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DE Specs Version 2.1.1 Autumn 2011
author | Klaus Thoden <kthoden@mpiwg-berlin.mpg.de> |
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<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?><echo xmlns="http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/ns/echo/1.0/" xmlns:de="http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/ns/de/1.0/" xmlns:dcterms="http://purl.org/dc/terms" xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xmlns:echo="http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/ns/echo/1.0/" xmlns:xhtml="http://www.w3.org/1999/xhtml" xmlns:mml="http://www.w3.org/1998/Math/MathML" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" version="1.0RC"> <metadata> <dcterms:identifier>ECHO:HQ8URX9E.xml</dcterms:identifier> <dcterms:creator identifier="GND:119083787">Bernstein, Aaron</dcterms:creator> <dcterms:title xml:lang="de">Naturwissenschaftliche Volksbücher, Bd. 17/21</dcterms:title> <dcterms:date xsi:type="dcterms:W3CDTF">1897</dcterms:date> <dcterms:language xsi:type="dcterms:ISO639-3">deu</dcterms:language> <dcterms:rights>CC-BY-SA</dcterms:rights> <dcterms:license xlink:href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/">CC-BY-SA</dcterms:license> <dcterms:rightsHolder xlink:href="http://www.mpiwg-berlin.mpg.de">Max Planck Institute for the History of Science, Library</dcterms:rightsHolder> <echodir>/permanent/einstein_exhibition/sources/HQ8URX9E</echodir> <parameters>despecs = 2.0</parameters> <log>Index at the end is utterly garbled</log> </metadata> <text xml:lang="de" type="free"> <div xml:id="echoid-div1" type="section" level="1" n="1"><pb file="001" n="1"/> <figure> <image file="001-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/001-01"/> <caption xml:id="echoid-caption1" xml:space="preserve">Naturwissenschaftlliche <lb/>Volksbücher <lb/>von <lb/>A. Bennstein.</caption> </figure> <pb file="002" n="2"/> <pb file="003" n="3"/> <pb file="004" n="4"/> <pb file="005" n="5"/> </div> <div xml:id="echoid-div2" type="section" level="1" n="2"> <head xml:id="echoid-head1" xml:space="preserve"><emph style="bf">Naturwiſſenſchaftliche Volksbücher</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">A. Bernſtein.</emph></head> <head xml:id="echoid-head2" xml:space="preserve">Fünfte, reich iſſuſtrierte Auflage.</head> <head xml:id="echoid-head3" xml:space="preserve">Durchgeſehen und verbeſſert <lb/>von <lb/><emph style="bf">H. Potonié</emph> und <emph style="bf">R. Hennig.</emph></head> <head xml:id="echoid-head4" xml:space="preserve">Siebzehnter Ceil.</head> <figure> <image file="005-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/005-01"/> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div3" type="section" level="1" n="3"> <head xml:id="echoid-head5" xml:space="preserve"><emph style="bf">Berlin.</emph></head> <head xml:id="echoid-head6" xml:space="preserve">Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.</head> <pb file="006" n="6"/> <handwritten/> <p> <s xml:id="echoid-s1" xml:space="preserve">Das Necht der Überſetzung in fremde Sprachen iſt vorbehalten.</s> <s xml:id="echoid-s2" xml:space="preserve"/> </p> <handwritten/> </div> <div xml:id="echoid-div4" type="section" level="1" n="4"> <head xml:id="echoid-head7" xml:space="preserve">MAX-PLANCK-INSTITUT <lb/>FÜR WI@@@MSCMAFTS@E@@MICHTE <lb/>Biblioth@k</head> <handwritten/> <pb file="007" n="7"/> </div> <div xml:id="echoid-div5" type="section" level="1" n="5"> <head xml:id="echoid-head8" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhaltsverzeichnis.</emph></head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>## <emph style="bf">Die anſteckenden Krankheiten und die Bakterien.</emph> <lb/>I. # Ein Wort über Kultur und Civiliſation . . . . . . # 1 <lb/>II. # Die anſteckenden Krankheiten . . . . . . . . . # 6 <lb/>III. # Die Bakterien . . . . . . . . . . . . . # 11 <lb/>IV. # Fortpflanzung der Bakterien . . . . . . . . . . # 15 <lb/>V. # Die Urzeugung und die Frage der Herkunſt der Lebeweſen # 16 <lb/>VI. # Die Einflüſſe der Umgebung auf die Bakterien . . # 19 <lb/>VII. # Die Bakterien-Arten und ihre Stoffwechſelprodukte . . # 20 <lb/>VIII. # Wie unterſucht man Bakterien? . . . . . . . . . # 22 <lb/>IX. # Feſte Nährböden . . . . . . . . . . . . . # 23 <lb/>X. # Die Steriliſation . . . . . . . . . . . . . # 26 <lb/>XI. # Die Züchtung der Bakterien in Neinkulturen . . . . # 29 <lb/>XII. # Das Bakterien-Mikroſkop . . . . . . . . . . . # 34 <lb/>XIII. # Die Unterſuchung der Bakterien unter dem Mikroſkop . # 37 <lb/>XIV. # Das Färben der Bakterien . . . . . . . . . . # 38 <lb/>XV. # Nachweis und Zählung von Bakterien . . . . . . # 39 <lb/>XVI. # Unterſuchung der Luft auf Bakterien . . . . . . . # 43 <lb/>XVII. # Unterſuchung des Bodens auf Bakterien . . . . . . # 46 <lb/>XVIII. # Bemühungen, die durch Bakterien veranlaßten Krankheiten <lb/># zu heilen . . . . . . . . . . . . . . . # 49 <lb/>XIX. # Kochs Heilmethode der Schwindſucht . . . . . . . # 50 <lb/>XX. # Verſuch zur Heilung der Diphtheritis . . . . . . . # 55 <lb/>## <emph style="bf">Die Pflanzenwelt unſerer Heimat ſouſt und jetzt.</emph> <lb/>I. # War die Erde ſtets von Lebeweſen bewohnt? . . . . # 57 <lb/>II. # Die Pflanzenſpuretr und -Reſte der Vorwelt und ihr <lb/># Zuſtandekommen . . . . . . . . . . . . . # 58 <lb/>III. # Geringfügigkeit der uns hinterbliebenen organiſchen Reſte <lb/># der Vorwelt . . . . . . . . . . . . . . # 67 <lb/>IV. # Die geologiſchen Zeitepochen . . . . . . . . . . # 69 <lb/>V. # Die älteſten Pflanzen . . . . . . . . . . . . # 70 <lb/>VI. # Entſtehung der Steinkohlen . . . . . . . . . # 74 <lb/></note> <pb o="IV" file="008" n="8"/> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>VII. # Die Flora der Steinkohlenzeit . . . . . . . . # 80 <lb/>VIII. # Das Klima zur Steinkohlenzeit . . . . . . . . # 87 <lb/>IX. # Nach der Steinkohlenzeit . . . . . . . . . . . # 106 <lb/>X. # Die Pflanzen der Eiszeit . . . . . . . . . . # 107 <lb/>XI. # Pflanzen unſerer Steppenzeit . . . . . . . . . # 110 <lb/>XII. # Die heimatliche Flora erhält die heute für ſie charak-<lb/># teriſtiſchen Arten . . . . . . . . . . . . # 112 <lb/>## <emph style="bf">Die Spektralanalyſe und die Fixſternwelt.</emph> <lb/>I. # Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . # 115 <lb/>II. # Von der Brechung des Lichtes und dem Spektrum . . # 116 <lb/>III. # Merkwürdigkeiten im Spektrum . . . . . . . . # 119 <lb/>IV. # Die Löſung des Rätſels . . . . . . . . . . . # 120 <lb/>V. # Bedeutung der Spektralanalyſe für die Chemie . . . # 122 <lb/>VI. # Spektralanalyſe und Aſtronomie . . . . . . . . # 123 <lb/>VII. # Was für Stoffe kommen auf der Sonne vor? . . . # 125 <lb/>VIII. # Aus was für Stoffen beſtehen die Fixſterne? . . . . # 129 <lb/>IX. # Verwandlung des Weltbildes . . . . . . . . . # 131 <lb/>X. # Die große That Herſchels . . . . . . . . . . # 134 <lb/>XI. # Bewegt ſich die Sonne? . . . . . . . . . # 137 <lb/>XII. # Wohin geht die Reiſe? . . . . . . . . . . # 139 <lb/>XIII. # Bewegen ſich die Fixſterne? . . . . . . . . . # 141 <lb/>XIV. # Meſſung der Fixſtern-Bewegungen . . . . . . . # 142 <lb/>XV. # Das Spektrum zeigt uns, wie ſich die Sterne bewegen # 146 <lb/>XVI. # Ergebniſſe der Meſſungen auf ſpektroſkopiſchem Wege . # 147 <lb/>XVII. # Das Sternbild des Orion . . . . . . . . . . # 150 <lb/>XVIII. # Das Sternbild des großen Bären . . . . . . . # 155 <lb/>XIX. # Die Geſchwindigkeit der Fixſtern-Bewegungen . . . . # 160 <lb/>XX. # Unvollkommenheiten der bisherigen Meſſungen . . . # 163 <lb/>XXI. # Die Unendlichkeit in Raum und Zeit . . . . . . # 165 <lb/>XXII. # Neue Sterne . . . . . . . . . . . . . . # 168 <lb/>XXIII. # Von den Nebelflecken . . . . . . . . . . . . # 170 <lb/>XXIV. # Die Spektralanalyſe und die Nebelflecke . . . . . # 173 <lb/></note> <pb file="009" n="9"/> </div> <div xml:id="echoid-div6" type="section" level="1" n="6"> <head xml:id="echoid-head9" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die anſteckenden Krankheiten und die</emph> <lb/><emph style="bf">Bakterien.</emph></head> <head xml:id="echoid-head10" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Ein Wort über Kultur und Civiliſation.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3" xml:space="preserve">Die zwei Worte “Kultur” und “Civiliſation” werden ſo <lb/>häufig als gleichbedeutend neben einander genannt, daß man <lb/>ihren Sinn auch irrtümlich häufig verwechſelt, wenn man ſie <lb/>einzeln gebraucht. </s> <s xml:id="echoid-s4" xml:space="preserve">Will man ſich jedoch dieſer Worte zur rich-<lb/>tigen Bezeichnung der Zuſtände bedienen, ſo muß man ſich in <lb/>Wahrheit die Verſchiedenheit derſelben klar machen.</s> <s xml:id="echoid-s5" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6" xml:space="preserve">Ja, ſie ſind nicht bloß ihrem Begriffe nach verſchieden, <lb/>ſondern ſtehen ſogar in hiſtoriſcher und ſachlicher Beziehung <lb/>in einem gewiſſen Gegenſatze zu einander. </s> <s xml:id="echoid-s7" xml:space="preserve">Es giebt eine <lb/>Kultur, welche hiſtoriſch nur möglich war, ſo lange keine <lb/>Civiliſation herrſchte, und es tritt thatſächlich eine Civili-<lb/>ſation zuweilen auf, welche der höheren Kultur einen Wider-<lb/>ſtand bietet.</s> <s xml:id="echoid-s8" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s9" xml:space="preserve">Mit Kultur kann man nur einen hohen Zuſtand des <lb/>Wiſſens und des Schaffens in Wiſſenſchaft und Kunſt be-<lb/>zeichnen, der das gewöhnliche, volkstümliche Maß der Bildung <lb/>bedeutend überragt. </s> <s xml:id="echoid-s10" xml:space="preserve">Die Kultur iſt die Frucht einzelner her-<lb/>vorragender Geiſter. </s> <s xml:id="echoid-s11" xml:space="preserve">Mit Civiliſation darf man nur den Ge-<lb/>ſetzeszuſtand bezeichnen, der die gleiche Berechtigung der Be-<lb/>völkerung zur Geltung bringt. </s> <s xml:id="echoid-s12" xml:space="preserve">Sie iſt ein Merkmal des Staats-</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s13" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s14" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s15" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s16" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="2" file="010" n="10"/> <p> <s xml:id="echoid-s17" xml:space="preserve">und Geſellſchaftszuſtandes und kann auch dort exiſtieren, wo ſich <lb/>die Kultur keineswegs eines hohen Grades erfreut.</s> <s xml:id="echoid-s18" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s19" xml:space="preserve">In welchen Gegenſatz Kultur und Civiliſation zu einander <lb/>geraten können, davon giebt uns hiſtoriſch die Zeit der Griechen <lb/>ein recht ſchlagendes Beiſpiel. </s> <s xml:id="echoid-s20" xml:space="preserve">In Kunſt und Wiſſenſchaft war <lb/>ſie in der Geſchichte der Menſchheit von ſo ſtrahlendem Glanze, <lb/>daß wir noch heutigen Tages ihre Kunſtwerke anſtaunen und <lb/>den Geiſt ihrer Denker und Forſcher bewundern. </s> <s xml:id="echoid-s21" xml:space="preserve">Wodurch <lb/>aber wurde es möglich, daß ſich ausgezeichnete Talente und <lb/>Geiſter ganz der Kunſt und dem Wiſſen hingeben und ſich von <lb/>den Arbeiten freimachen konnten, welche des Lebens Notdurft <lb/>der geſamten Menſchheit auferlegt? </s> <s xml:id="echoid-s22" xml:space="preserve">Es war dies nur dadurch <lb/>möglich, daß Staat und Geſellſchaft die Sklaverei für berech-<lb/>tigt hielt. </s> <s xml:id="echoid-s23" xml:space="preserve">Der Sklave ſtand im Dienſte der niedrigſten Be-<lb/>dürfniſſe des Daſeins. </s> <s xml:id="echoid-s24" xml:space="preserve">Ihm waren die Arbeiten zugewieſen, <lb/>welche den Leib erhalten, nicht aber die Geiſtespflege ermög-<lb/>lichen. </s> <s xml:id="echoid-s25" xml:space="preserve">Und weil dem ſo war, vermochte ſich aus der höheren <lb/>Geſellſchaft der ſorgenloſe Geiſt emporzuſchwingen in den <lb/>Leiſtungen, die der Nation den Ruhm der kulturreichſten der <lb/>Welt errungen haben. </s> <s xml:id="echoid-s26" xml:space="preserve">Hätte in Athen die volle Gleichberech-<lb/>tigung aller Bewohner geherrſcht, ſo hätte es auf ſeinen Kultur-<lb/>ruhm in der Mitwelt und in der Nachwelt Verzicht leiſten <lb/>müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s27" xml:space="preserve">Es hatte eine hohe Kultur, weil es keine Civiliſation <lb/>in dem richtigen Sinne des Wortes beſaß.</s> <s xml:id="echoid-s28" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s29" xml:space="preserve">In einem gewiſſen Gegenſatz hierzu ſtand Sparta mit <lb/>ſeinem auf Gleichberechtigung der Bewohner begründeten Zu-<lb/>ſtand. </s> <s xml:id="echoid-s30" xml:space="preserve">Es war dieſer Zuſtand der einer durch Geſetzesſtrenge <lb/>gebotenen Civiliſation, in welcher jedoch Kunſt und Wiſſenſchaft <lb/>faſt der Verachtung preisgegeben war. </s> <s xml:id="echoid-s31" xml:space="preserve">Die Gleichheit hat die <lb/>Auszeichnung verhindert. </s> <s xml:id="echoid-s32" xml:space="preserve">Mit Ausnahme der rigoriſtiſchen <lb/>Gleichheitsgeſetze hat es der Mitwelt und der Nachwelt nichts <lb/>hinterlaſſen, das ihm Ruhm verleiht. </s> <s xml:id="echoid-s33" xml:space="preserve">Es war ein Vorbild der <lb/>Civiliſation ohne Kultur.</s> <s xml:id="echoid-s34" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="3" file="011" n="11"/> <p> <s xml:id="echoid-s35" xml:space="preserve">Daß es Zeiten gab, in welchen Kultur und Civiliſation <lb/>in gleicher Weiſe auf einem <emph style="sp">niedrigen</emph> Standpunkte verharrten, <lb/>das zeigt uns ein Blick auf das Mittelalter. </s> <s xml:id="echoid-s36" xml:space="preserve"><emph style="sp">Geiſtloſigkeit</emph> <lb/>und <emph style="sp">Rechtloſigkeit</emph> gingen Hand in Hand, von <emph style="sp">Glaubens-<lb/>feſſeln</emph> und <emph style="sp">Gewalthabereien</emph> umſtrickt. </s> <s xml:id="echoid-s37" xml:space="preserve">Erſt die neuere <lb/>Zeit begann die Ketten zu brechen. </s> <s xml:id="echoid-s38" xml:space="preserve">Die Kämpfe unſerer <lb/>Gegenwart, ſie ſind immer noch der Aufgabe gewidmet, die <lb/><emph style="sp">Geiſtesfreiheit der Kultur und die Menſchenfreiheit <lb/>der Civiliſation</emph> aus dem Bann zu erlöſen, den eine Jahr-<lb/>taufende lange Abirrung dem Menſchen auferlegt hat.</s> <s xml:id="echoid-s39" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s40" xml:space="preserve">Wenn wir heutigen Tags gar ſo häufig Kultur und <lb/>Civiliſation als gleichbedeutend neben einander geſtellt ſehen, <lb/>ſo iſt es nicht eine <emph style="sp">Gleichartigkeit</emph>, die dazu berechtigt, <lb/>ſondern die <emph style="sp">Gleichzeitigkeit</emph>, in welcher ſie erkämpft werden <lb/>müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s41" xml:space="preserve">Fortan befriedigt uns die eine nicht, ohne die <lb/>andere. </s> <s xml:id="echoid-s42" xml:space="preserve">Wenn wir die Probleme, welche die Zukunft zu <lb/>löſen haben wird, in dieſen zwei Worten bezeichnen, ſo drücken <lb/>wir nur ihre <emph style="sp">Gemeinſamkeit</emph>, nicht ihre <emph style="sp">Gleichartigkeit</emph> <lb/>damit aus. </s> <s xml:id="echoid-s43" xml:space="preserve">Ihre Verſchiedenheit findet ſich auch bereits in <lb/>zwei anderen Bezeichnungen deutlicher dargelegt. </s> <s xml:id="echoid-s44" xml:space="preserve">Die Kultur <lb/>findet man mit gutem Grund in der “<emph style="sp">Freiheit der Wiſſen-<lb/>ſchaft</emph>“; </s> <s xml:id="echoid-s45" xml:space="preserve">die Civiliſation wird nur zum Siege geführt <lb/>werden durch eine, jetzt ſchwer mißbrauchte, aber doch im <lb/>wahren Weſen richtig zu bezeichnende Aufgabe der <emph style="sp">ſozialen <lb/>Reform</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s46" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s47" xml:space="preserve">Glücklicherweiſe iſt auch die Bahn bereits geebnet, auf <lb/>welcher dieſe zwei Träger der beſſeren Zuſtände ihre Löſung <lb/>finden werden. </s> <s xml:id="echoid-s48" xml:space="preserve">Die <emph style="sp">Naturwiſſenſchaft</emph> iſt es, welche uns <lb/>der Löſung dieſes weltgeſchichtlichen Problems näher führt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s49" xml:space="preserve">In ihr ſteckt die Geiſteserleuchtung, welche man mit Recht die <lb/>Kultur nennt. </s> <s xml:id="echoid-s50" xml:space="preserve">In der Verwirklichung dieſes Wiſſens iſt auch <lb/>allein die Möglichkeit gegeben, die <emph style="sp">wahre Civiliſation</emph> her-<lb/>beizuführen. </s> <s xml:id="echoid-s51" xml:space="preserve">Die Beherrſchung der <emph style="sp">Naturkräfte</emph> wird uns <pb o="4" file="012" n="12"/> von der <emph style="sp">Menſchenbeherrſchung</emph> befreien, die das Hemmnis <lb/>der Civiliſation in früheren Zeiten war.</s> <s xml:id="echoid-s52" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s53" xml:space="preserve">Ein Umblick auf die Gegenwart zeigt uns bereits den <lb/>Beginn dieſes Sieges. </s> <s xml:id="echoid-s54" xml:space="preserve">Es iſt eine Thatſache, die ſelbſt dem <lb/>bornierteſten Geiſt einleuchten muß, daß Alles, was Großes in <lb/>der Welt geſchaffen wird, ſtets auf dem breiten Boden der <lb/>Gleichberechtigung, der Civiliſation, d. </s> <s xml:id="echoid-s55" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s56" xml:space="preserve">der Volkstümlichkeit, <lb/>baſiert werden muß. </s> <s xml:id="echoid-s57" xml:space="preserve">Die Eiſenbahnen konnten nicht für die <lb/>ſogenannte <emph style="sp">höhere</emph> Geſellſchaft ins Leben gerufen werden. </s> <s xml:id="echoid-s58" xml:space="preserve">Es <lb/>liegt ihnen die <emph style="sp">Demokratiſierung</emph> zu Grunde, in der ſie <lb/>allein exiſtenzfähig ſind. </s> <s xml:id="echoid-s59" xml:space="preserve">Selbſt die Telegraphen ſind demo-<lb/>kratiſiert; </s> <s xml:id="echoid-s60" xml:space="preserve">ſie dienen Jedem in gleicher Weiſe. </s> <s xml:id="echoid-s61" xml:space="preserve">Die Kunſt ſucht <lb/>ihren Ruhm in <emph style="sp">öffentlichen</emph> Denkmälern, um vor den Augen <lb/>des Volkes die geiſtigen Größen zu verherrlichen. </s> <s xml:id="echoid-s62" xml:space="preserve">Die Muſeen <lb/>ſind nicht mehr bloß für vereinzelte Liebhaber zugänglich. </s> <s xml:id="echoid-s63" xml:space="preserve">Die <lb/>Muſik iſt eine freie Beigabe der Volksbeluſtigungen, in welchen <lb/>ehedem die rüde Völlerei ihre Orgien feierte. </s> <s xml:id="echoid-s64" xml:space="preserve">Die Litteratur <lb/>trägt erſt ihre beſten Früchte, wenn ſie in zahlloſen <emph style="sp">Volks-<lb/>ausgaben</emph> vervielfältigt wird. </s> <s xml:id="echoid-s65" xml:space="preserve">Die Photographie iſt zu einem <lb/>ſo weit verzweigten Komfort geworden, daß ihre Einnahmen <lb/>die Etats ſämtlicher Kunſtakademien der Welt zehnfach über-<lb/>ſteigen. </s> <s xml:id="echoid-s66" xml:space="preserve">Zur Volksbeluſtigung gehört der Luftballon, deſſen <lb/>Lenkung zu den ſchwierigſten Problemen der Wiſſenſchaft ge-<lb/>zählt werden muß. </s> <s xml:id="echoid-s67" xml:space="preserve">Die Chemie gehört zu den praktiſchen <lb/>Wiſſenſchaften, die bereits bis zur Hausfrau in die Küche ſich <lb/>hineindrängt. </s> <s xml:id="echoid-s68" xml:space="preserve">Die Phyſik verſucht ihre Verwirklichung bereits <lb/>im Kinderſpielzeug. </s> <s xml:id="echoid-s69" xml:space="preserve">Gas und elektriſches Licht führen ihren <lb/>Wettkampf in den Straßen auf, um ſich in der Gunſt des <lb/>Volkes den Rang abzulaufen. </s> <s xml:id="echoid-s70" xml:space="preserve">Selbſt das politiſche Leben <lb/>bietet das Bild eines Kampfes, der nach der Gunſt des Volkes <lb/>trachten muß. </s> <s xml:id="echoid-s71" xml:space="preserve">Der Weltverkehr der Poſt kann nur auf der <lb/>Baſis eines faſt unglaublich niedrigen, volksmäßigen Tarifs <lb/>ſeinen Triumph feiern. </s> <s xml:id="echoid-s72" xml:space="preserve">Die Schranken der Länder in allen <pb o="5" file="013" n="13"/> Weltteilen werden nach und nach von dem geiſtigen Verkehr <lb/>durchbrochen. </s> <s xml:id="echoid-s73" xml:space="preserve">Mag die alte Polizei-Kunſt und die gedankenloſe <lb/>Zollbeglückung auch noch immer verſuchen, ſich eine Bedentung <lb/>anzueignen; </s> <s xml:id="echoid-s74" xml:space="preserve">ſie kann wohl <emph style="sp">ſtören</emph>, aber den Geiſt des Welt-<lb/>verkehrs nicht mehr <emph style="sp">hemmen</emph>, dem der Sieg in der Zukunft <lb/>bevorſteht.</s> <s xml:id="echoid-s75" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s76" xml:space="preserve">Im Vollbewußtſein dieſes unav<unsure/>weisbaren Sieges beginnen <lb/>auch die Spezialwiſſenſchaften ihren hohen Wert im Dienſte <lb/>des geſamten Volkes geltend zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s77" xml:space="preserve">Die Geſundheitspflege <lb/>iſt ein neuer Zweig der Forſchung geworden, der ſich im vollen <lb/>Sinne des Wortes dem Volkswohl widmet. </s> <s xml:id="echoid-s78" xml:space="preserve">Neu ſind die Er-<lb/>rungenſchaften auf dem Gebiete der Heilung der Wunden, die <lb/>noch vor wenig Jahrzehuten ſtets einen tötlichen Ausgang <lb/>fauden; </s> <s xml:id="echoid-s79" xml:space="preserve">und beſonders neu ſind die Unterſuchungen, die Ur-<lb/>ſachen der anſteckenden Krankheiten zu ermitteln. </s> <s xml:id="echoid-s80" xml:space="preserve">Was man <lb/>ehedem als eine Schickung der Vorſehung betrachtete oder <lb/>in zelotiſcher Frömmelei für eine Zuchrute eines zürnenden <lb/>Gottes wider die Ungläubigkeit der Menſchen ausgab, ſucht <lb/>man jetzt mit glücklichem Erfolg durch wiſſenſchaftliche Er-<lb/>mittelungen als Naturerſcheinung nachzuweiſen, nicht bloß, um <lb/>die Krankheitsurſache zu verhüten, ſondern auch um im weitern <lb/>Verlauf der Forſchung die Krankheit ſelbſt zu heilen.</s> <s xml:id="echoid-s81" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s82" xml:space="preserve">All dies berechtigt uns zu ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s83" xml:space="preserve">wir leben gegenwärtig, <lb/>trotz aller Rückſchrittskünſtelei, im Zeitalter der Wiſſenſchaft und <lb/>des ſozialen Fortſchritts, oder mit anderen Worten: </s> <s xml:id="echoid-s84" xml:space="preserve">im Anbruch <lb/>der gemeinſamen Hebung der Kultur und der Civiliſation.</s> <s xml:id="echoid-s85" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s86" xml:space="preserve">Und mit dieſen tröſtlichen Betrachtungen wollen wir den <lb/>Verſuch beginnen, die neueſten Forſchungen auf dem Gebiete <lb/>der anſteckenden Krankheiten unſeren Leſern vorzuführen, wobei <lb/>es ſich gerade um eine weit verbreitete Krankheits-Urſache <lb/>handelt, die ganz beſonders in den ärmeren Volksklaſſen <lb/>ſchwere Verwüſtungen anrichtet.</s> <s xml:id="echoid-s87" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="6" file="014" n="14"/> </div> <div xml:id="echoid-div7" type="section" level="1" n="7"> <head xml:id="echoid-head11" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Die anſteckenden Krankheiten.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s88" xml:space="preserve">Seit einer ſehr langen Reihe von Jahren beſchäftigen <lb/>ſich die Naturforſcher mit der wichtigen Frage: </s> <s xml:id="echoid-s89" xml:space="preserve">in welcher <lb/>Weiſe ſich gewiſſe Krankheiten auf Geſunde übertragen und <lb/>dadurch eine Verbreitung finden, die längere Zeit anhält, <lb/>dann aber beginnen ſeltener zu werden und endlich ganz und <lb/>gar verſchwinden?</s> <s xml:id="echoid-s90" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s91" xml:space="preserve">Auffallend war hierbei noch die Wahrnehmung, daß es <lb/>Krankheiten giebt, welche in der Regel nur einmal den <lb/>Menſchen befallen, wie beiſpielsweiſe Pocken, Maſern und <lb/>Scharlach und ſodann vor nochmaliger gleicher Erkrankung <lb/>eine Art Schutz bilden. </s> <s xml:id="echoid-s92" xml:space="preserve">Dieſe Eigentümlichkeit zeigt ſich zwar <lb/>meiſt bei Hautkrankheiten; </s> <s xml:id="echoid-s93" xml:space="preserve">es wurde dieſelbe aber auch bei <lb/>inneren Krankheiten behauptet, wie man denn beobachtet haben <lb/>will, daß auch die Cholera den Menſchen nicht zweimal heim-<lb/>ſuche und der erſte Erkrankungsfall eine Art Schutz gegen <lb/>einen zweiten Aufall bildet.</s> <s xml:id="echoid-s94" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s95" xml:space="preserve">Von lebhafteſtem Intereſſe war in dieſer Unterſuchung <lb/>die Hauptfrage, ob ſich die Anſteckung von Perſon zu Perſon <lb/>durch direkte Berührung fortpflanze, oder ob auch die Luft, <lb/>welche den Patienten umgiebt, imſtande iſt, dieſelbe Krankheit <lb/>auf andere zu übertragen, die ſie einatmen. </s> <s xml:id="echoid-s96" xml:space="preserve">Mannigfache Er-<lb/>fahrungen deuteten darauf hin, daß nicht bloß die Luft in <lb/>den Krankenzimmern die Krankheit verbreite, ſondern daß auch <lb/>die Luft ganzer Gegenden die Krankheit von Ort zu Ort fort-<lb/>pflanze. </s> <s xml:id="echoid-s97" xml:space="preserve">Für gewiſſe Krankheiten (z. </s> <s xml:id="echoid-s98" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s99" xml:space="preserve">für die Tuberkuloſe) <lb/>iſt es feſtgeſtellt, daß durch die den Kranken umgebende Luft, <lb/>oder richtiger ausgedrückt, durch die in dieſer Luft enthaltenen <lb/>(weiter unten zu beſprechenden) <emph style="sp">Krankheitskeime</emph> (Bakterien) <lb/>eine Übertragung der Krankheit ſtattfinden kann. </s> <s xml:id="echoid-s100" xml:space="preserve">In vielen <lb/>Fällen zeigte es ſich ganz zweifellos, daß Kleider, Betten und <pb o="7" file="015" n="15"/> ſonſtige Stoffe die Übertragung von Krankheitskeimen herbei-<lb/>führen, wie es denn auch bekannt iſt, daß die Peſt ſich ſogar <lb/>durch Briefe von kranken Orten her fortgepflanzt hat, ſo daß <lb/>man Briefe aus ſolchen Gegenden durch Räucherung zu desin-<lb/>fizieren ſuchte.</s> <s xml:id="echoid-s101" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s102" xml:space="preserve">Ohne in dieſen Fragen eine ſichere Entſcheidung herbei-<lb/>zuführen, machte man im vorigen Jahrhundert die wichtige <lb/>Entdeckung, daß es wirklich möglich ſei, durch eine künſtlich <lb/>erzeugte, leichte Form einer Krankheit den Anfall einer ſchweren <lb/>und gefährlichen Form derſelben Krankheit zu verhüten. </s> <s xml:id="echoid-s103" xml:space="preserve">Bei <lb/>der Pockenkraukheit bewährte ſich dieſe Methode und wird <lb/>deshalb durch geſetzliche Beſtimmungen zur allgemeinen Geltung <lb/>gebracht. </s> <s xml:id="echoid-s104" xml:space="preserve">Man erzeugt künſtlich durch ein ungefährliches <lb/>Pockengift, das ſich an Schafen und Rindern zeigt, eine gleiche <lb/>Krankheitserſcheinung au einzelnen Stellen des menſchlichen <lb/>Körpers, woſelbſt man durch einen feinen Stich in die Ober-<lb/>haut ein wenig von dem Krankheitsſtoff bis in die Aderhaut <lb/>hineinbringt. </s> <s xml:id="echoid-s105" xml:space="preserve">Nach einigen Tagen zeigt ſich die kleine Wund-<lb/>ſtelle ein wenig entzündet, und bald darauf entwickelt ſich <lb/>daſelbſt ein Geſchwür, worin ſich eine ganze Maſſe von <lb/>gleichem Krankheitsſtoff aus dem Blute des Menſchen an-<lb/>ſammelt. </s> <s xml:id="echoid-s106" xml:space="preserve">Es iſt alſo hier der Krankheitsſtoff wie eine Saat <lb/>eingepflanzt worden, welche ſich an Ort und Stelle vermehrt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s107" xml:space="preserve">Man nennt dieſe Operation die <emph style="sp">Impfung</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s108" xml:space="preserve">Nach mehreren <lb/>Tagen mäßigt ſich die Entzündung der geimpften Stelle, und <lb/>das Geſchwür erreicht eine gewiſſe Reife. </s> <s xml:id="echoid-s109" xml:space="preserve">Öffnet man das <lb/>Häutchen des Geſchwürs und bringt von der darunter ange-<lb/>ſammelten Materie wiederum etwas an eine Nadel, ſo zeigt <lb/>ſich auch dieſe abgeimpfte Materie fähig, an anderen Körpern <lb/>einen gleichen Prozeß herbeizuführen, ſo daß man die Impfung <lb/>von einem Individuum auf andere übertragen kann.</s> <s xml:id="echoid-s110" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s111" xml:space="preserve">Dieſes Verfahren hat den Vorteil, daß die Geimpften vor <lb/>gefährlichen Pockenkrankheiten auf mindeſtens eine Reihe von <pb o="8" file="016" n="16"/> Jahren geſchützt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s112" xml:space="preserve">In der Regel bleiben die Geimpften <lb/>ſelbſt bei ſtarken Pocken-Epidemien ganz verſchont, und die-<lb/>jenigen, die dennoch erkranken, überſtehen die Krankheit außer-<lb/>ordentlich leicht.</s> <s xml:id="echoid-s113" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s114" xml:space="preserve">Am 14. </s> <s xml:id="echoid-s115" xml:space="preserve">Mai 1796 wurde durch den engliſchen Arzt <lb/><emph style="sp">Jenner</emph> (1749—1823) die Entdeckung der Schutzpockenimpfung <lb/>gemacht, und heute — 100 Jahre ſpäter — können wir trotz <lb/>der irrigen und auf falſchen Schlußfolgerungen beruhenden <lb/>Gegnerſchaft, welche die “Zwangsimpfung” vielfach findet, mit <lb/>hohem Stolz feſtſtellen, daß die Pockenkrankheit, die einſt eine <lb/>der ſchwerſten Geißeln der Menſchheit bildete, infolge der <lb/>Schutzpockenimpfung zu völliger Bedeutungsloſigkeit herabge-<lb/>ſunken iſt und zu den “ausſterbenden Krankheiten” gehört.</s> <s xml:id="echoid-s116" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s117" xml:space="preserve">Eine vollkommen befriedigende Erklärung für den durch <lb/>die Impfung erzeugten Schutz (die <emph style="sp">Immunität</emph>) gegen die <lb/>betreffende Krankheit iſt bisher noch nicht gegeben worden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s118" xml:space="preserve">Diejenige Erklärung, welche die längere Dauer des Impf-<lb/>ſchutzes noch am leichteſten verſtändlich macht, beſteht in der <lb/>Annahme, daß die die Krankheit erzeugenden, in dem Körper <lb/>des Erkrankten lebenden und ſich ungeheuer vermehrenden <lb/>Keime (Bakterien) bei ihrem Wachstum einen nicht blos auf <lb/>den Kranken, ſondern auf ſie ſelbſt giftig wirkenden, ſchwer <lb/>zerſetzbaren, im Blute des Kranken ſich anhäufenden Stoff er-<lb/>zeugen. </s> <s xml:id="echoid-s119" xml:space="preserve">Die ſchwere Zerſetzbarkeit dieſes Stoffes würde die <lb/>Thatſache erklärlich machen, daß der Impfſchutz (die Immu-<lb/>nität) Jahre oder gar Jahrzehnte andauert. </s> <s xml:id="echoid-s120" xml:space="preserve">Andrerſeits würde <lb/>die Thatſache, daß der Impfſchutz nicht unmittelbar nach der <lb/>Impfung, ſondern erſt nach Verlauf einiger Tage oder Wochen <lb/>(nach der ſogenannten Incubationszeit) eintritt, ſich dadurch <lb/>erklären laſſen, daß die bei der Impfung übertragenen Krank-<lb/>heitskeime (Bakterien) erſt einige Zeit im Körper des Geimpften <lb/>wachſen und ſich vermehren müſſen, bis ſie die nötige Menge <lb/>des den Impfſchutz verleihenden Stoffes erzeugt haben.</s> <s xml:id="echoid-s121" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="9" file="017" n="17"/> <p> <s xml:id="echoid-s122" xml:space="preserve">Da man an Maſern und Scharlach ebenfalls die Bemerkung <lb/>machte, daß ſie in der Regel auch nur einmal den Menſchen <lb/>heimſuchen und dieſe dadurch ſodann von einer zweiten An-<lb/>ſteckung verſchont bleiben, ſo bemühte man ſich auch hier einen <lb/>Impfſtoff ausfindig zu machen, der eine leichte Form der Er-<lb/>krankung lokal erzeugt und dabei die Ausſcheidung und Auf-<lb/>zehrung des gefährlichen Stoffs in leichter Weiſe herbeiführt, <lb/>um fortan jede weitere Anſteckung ſchwererer Art zu verhüten, <lb/>wie dies bei den Pocken der Fall iſt.</s> <s xml:id="echoid-s123" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s124" xml:space="preserve">Die Verſuche, einen ſolchen Impfſtoff für Maſern und <lb/>Scharlach herzuſtellen, waren bisher vergeblich. </s> <s xml:id="echoid-s125" xml:space="preserve">Bei Maſern <lb/>beruhigte man ſich indeſſen, weil ſie bei ciniger Vorſicht nicht <lb/>beſonders gefährlich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s126" xml:space="preserve">Ja, man pflegt in kinderreichen <lb/>Familien, wenn ein Kind von leichter Maſernkrankheit befallen <lb/>wird, die andern Kinder nicht abzuſperren, und findet es ge-<lb/>raten, daß ſie alle zu gleicher Zeit die leichte Krankheit über-<lb/>ſtehen, um von ſchwereren Fällen verſchont zu bleiben. </s> <s xml:id="echoid-s127" xml:space="preserve">Das <lb/>Scharlachfieber dagegen iſt keineswegs ſo ungefährlich, und <lb/>man thut wohl daran, durch Abſperrung des Patienten die <lb/>Anſteckung der geſunden Kinder zu verhüten.</s> <s xml:id="echoid-s128" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s129" xml:space="preserve">In ueuerer Zeit iſt eine audere und recht gefährliche <lb/>Krankheit, die “Diphtheritis”, der Gegenſtand ſehr auge-<lb/>ſtrengter Unterſuchungen geworden. </s> <s xml:id="echoid-s130" xml:space="preserve">Judeſſen ſind die Unter-<lb/>ſuchungen und die Bemühungen, ein Schutzmittel gegen Diph-<lb/>theritis zu finden, noch nicht völlig abgeſchloſſen.</s> <s xml:id="echoid-s131" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s132" xml:space="preserve">In noch viel höherem Grade ſind die Anſtrengungen <lb/>geweſen, welche man zur Bekämpfung der Cholera-Anſteckung <lb/>verſucht hat. </s> <s xml:id="echoid-s133" xml:space="preserve">Ob wirklich eine Erkrankung an derſelben, die <lb/>nicht tötlich endet, einen Schutz gegen einen zweiten Anfall <lb/>bildet, das iſt immer noch ſehr zweifelhaft. </s> <s xml:id="echoid-s134" xml:space="preserve">Übertragen läßt <lb/>ſich dieſe Krankheit durch Impfung ganz ſicher; </s> <s xml:id="echoid-s135" xml:space="preserve">doch iſt es <lb/>ſelbſtverſtändlich, daß man dergleichen nicht an Menſchen pro-<lb/>bieren darf. </s> <s xml:id="echoid-s136" xml:space="preserve">Bei Tieren, die man mit Ausſcheidungen von <pb o="10" file="018" n="18"/> Cholerakranken geimpft hat, iſt es bisher noch nicht gelungen, <lb/>die echte aſiatiſche Cholera zu erzeugen; </s> <s xml:id="echoid-s137" xml:space="preserve">es ſcheint daher, daß <lb/>letztere eine nur dem Menſchen eigentümliche Krankheit iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s138" xml:space="preserve">Wiſſen wir es doch, daß Schweine, deren Muskeln voll Trichinen <lb/>ſind, durchaus nicht krank erſcheinen, obwohl dieſe im menſch-<lb/>lichen Körper im höchſten Grade verderblich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s139" xml:space="preserve">Auch von <lb/>anderen Krankheitsſtoffen weiß man, daß ſie auf verſchiedene <lb/>Tiere ſehr verſchieden einwirken. </s> <s xml:id="echoid-s140" xml:space="preserve">Das Studium der Impfungen, <lb/>ſei es, um Krankheiten in geſunden Tieren hervorzurufen, oder <lb/>crkrankte Tiere zu heilen, iſt bisher trotz vieler Arbeit auf dem <lb/>Gebiet noch erſt im Beginnen und läßt für jetzt noch keinen <lb/>Schluß auf deſſen Entwicklung ziehen.</s> <s xml:id="echoid-s141" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s142" xml:space="preserve">In dieſer Beziehung iſt indeſſen eine Thatſache im hohen <lb/>Grade intereſſant. </s> <s xml:id="echoid-s143" xml:space="preserve">Dem franzöſiſchen Chemiker <emph style="sp">Paſteur</emph> <lb/>(1822—1895) iſt es gelungen, durch Impfung von Hühnern <lb/>die dieſen und andern Geflügelarten eigentümliche (von der <lb/>menſchlichen durchaus verſchiedene) Hühnercholera künſtlich <lb/>zu erzeugen und durch Übertragungen auch die Dauerhaftigkeit <lb/>des Krankheitsſtoffes zu ermitteln. </s> <s xml:id="echoid-s144" xml:space="preserve">Paſteur gehörte zu den <lb/>hervorragendſten Gelehrten ſeines Fachs und hat auch einen <lb/>Impfſtoff erfunden, der Rinder und Schafe vor dem Milz-<lb/>brand ſchützt.</s> <s xml:id="echoid-s145" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s146" xml:space="preserve">In den letzten beiden Jahrzehnten hat eine Reihe neuer <lb/>Entdeckungen ganz neue Geſichtspunkte über das Thema der <lb/>Anſteckungen gewährt, die auch die Heilkunde in hohem Grade <lb/>gefördert haben. </s> <s xml:id="echoid-s147" xml:space="preserve">Dieſe Fortſchritte wollen wir nunmehr unſeren <lb/>Leſern vorführen. </s> <s xml:id="echoid-s148" xml:space="preserve">Wir müſſen zu einem Verſtändnis derſelben <lb/>näher auf eigentümliche kleinſte Lebeweſen eingehen, die unter <lb/>dem Namen Baktcrien jetzt allgemein bekannt ſind.</s> <s xml:id="echoid-s149" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="11" file="019" n="19"/> </div> <div xml:id="echoid-div8" type="section" level="1" n="8"> <head xml:id="echoid-head12" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Die Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s150" xml:space="preserve">Unter “Bakterien” verſteht man Organismen von cylin-<lb/>driſch-ſtabförmiger Geſtalt. </s> <s xml:id="echoid-s151" xml:space="preserve">Der Name Bakterie kommt von <lb/>dem griechiſchen Wort bakterion, was ſo viel wie ein kleiner <lb/>Stab bedeutet; </s> <s xml:id="echoid-s152" xml:space="preserve">baktron heißt der Stab.</s> <s xml:id="echoid-s153" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s154" xml:space="preserve">Obwohl viele derſelben kugelförmig (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s155" xml:space="preserve">1, 3, 4, 5), <lb/>elliptiſch (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s156" xml:space="preserve">2), oder auch korkzieherähnlich gedreht ſind <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-019-01a" xlink:href="fig-019-01"/> (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s157" xml:space="preserve">13, 14, 15, 16), ſo hat ſich doch die Bezeichnung “Bak-<lb/>terien” als Geſamtuame eingebürgert und iſt jedenfalls mehr <lb/>verbreitet als die ſonſt noch üblichen Namen: </s> <s xml:id="echoid-s158" xml:space="preserve">Schizomyceten <lb/>(Spaltpilze), Vibrionen, Monaden, Mikrozymen u. </s> <s xml:id="echoid-s159" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s160" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s161" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div8" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-019-01" xlink:href="fig-019-01a"> <caption xml:id="echoid-caption2" xml:space="preserve">Fig. 1-19.</caption> <variables xml:id="echoid-variables1" xml:space="preserve">1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 a b c d e f g a b c d e f g</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s162" xml:space="preserve">Bereits 1675 wurden die Bakterien durch den Holländer <lb/><emph style="sp">Leeuwenhoek</emph> (1632—1723) im Mundſpeichel entdeckt. </s> <s xml:id="echoid-s163" xml:space="preserve">Daß <lb/>den von Leeuwenhoek erkannten Thatſachen in den nachfolgenden <lb/>Jahrhunderten kaum etwas Neues hinzugefügt wurde, hat ſeinen <pb o="12" file="020" n="20"/> Grund wohl hauptſächlich in der Mangelhaftigkeit der damaligen <lb/>Mikroſkope und der daraus ſich ergebenden Schwierigkeit der <lb/>Beobachtung. </s> <s xml:id="echoid-s164" xml:space="preserve">Erſt der bekanute Berliner Naturforſcher <lb/><emph style="sp">Ehrenberg</emph> (1795—1876) wandte dem Gegenſtande 1838 von <lb/>neuem ſeine Aufmerkſamkeit zu. </s> <s xml:id="echoid-s165" xml:space="preserve">In den damals herrſchenden <lb/>naturphiloſophiſchen Anſchauungen befangen, begnügte er ſich <lb/>damit, jene Organismen zu klaſſifizieren und wies ihnen die <lb/>niederſte Stufe im Tierreiche zu.</s> <s xml:id="echoid-s166" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s167" xml:space="preserve">Eine weſentliche Erweiterung erfuhren unſere Kenntniſſe <lb/>von den Bakterien erſt gegen Ende der 50er Jahre durch <lb/><emph style="sp">Ferd. Cohn</emph> (geſt. 25. Juni 1898 als Profeſſor der Botanik <lb/>an der Univerſität Breslau), welcher durch ſeine bahubrechenden <lb/>Unterſuchungen zu dem unzweifelhaften Ergebuis gelangte, daß <lb/>jene Organismen eine der niederſten, wenn nicht gar die <lb/>niederſte Stufe des Pflauzenreichs darſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s168" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s169" xml:space="preserve">Seitdem hat die Bakterienforſchung einen ungeahuten Auf-<lb/>ſchwung genommen, namentlich durch die Arbeiten von <emph style="sp">Cohn, <lb/>Paſteur, Nägeli, van Tieghem, Zopf, de Bary, <lb/>Brefeld, Robert Koch u. a.</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s170" xml:space="preserve">Bevor wir der Betrachtung der Bakterien ſelbſt näher <lb/>treten, wollen wir zum beſſeren Verſtändnis ihres Baues <lb/>einige Worte aus der elementaren botaniſchen Anatomie wieder-<lb/>holen.</s> <s xml:id="echoid-s171" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s172" xml:space="preserve">Dem Kundigen der Lebeweſen iſt ja das Mikroſkop, jener <lb/>freundliche Verräter des Kleinſten unentbehrlich geworden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s173" xml:space="preserve">Wenn wir mit ſeiner Hilfe bei ſtärkerer Vergrößerung irgend <lb/>einen Pflanzenteil, z. </s> <s xml:id="echoid-s174" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s175" xml:space="preserve">ein kleines Holzſplitterchen betrachten, <lb/>ſo überraſcht uns ein verwickelter Bau, der im erſten Augen-<lb/>blick wohl etwas verwirrt. </s> <s xml:id="echoid-s176" xml:space="preserve">Soviel iſt jedoch bald zu er-<lb/>kennen, daß das betrachtete Pflanzenteilchen — wie wir <lb/>ſchon früher ſahen — aus vielen, kleinen Kämmerchen zu-<lb/>ſammengeſetzt wird. </s> <s xml:id="echoid-s177" xml:space="preserve">Es werden dieſe Kämmerchen <emph style="sp">Zellen</emph> <lb/>genannt, und es hat ſich ergeben, daß alle Organismen:</s> <s xml:id="echoid-s178" xml:space="preserve"> <pb o="13" file="021" n="21"/> Tiere und Pflanzen, ausnahmslos von Zellen gebildet werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s179" xml:space="preserve">Die uns aus dem täglichen Leben her geläufigen Pflanzen <lb/>werden aus Millionen und aber Millionen Zellen zuſammen-<lb/>geſetzt: </s> <s xml:id="echoid-s180" xml:space="preserve">es ſind vielzellige Pflanzen; </s> <s xml:id="echoid-s181" xml:space="preserve">aber es giebt auch ein-<lb/>zellige Organismen, und zu dieſen gehören die Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s182" xml:space="preserve">An <lb/>einer einzelnen Zelle unterſcheiden wir eine feſte Umhüllung, <lb/>die <emph style="sp">Zellhaut oder Membran</emph>, welche eine ſchleimig-flüſſige <lb/>Subſtanz, das <emph style="sp">Protoplasma</emph>, umſchließt. </s> <s xml:id="echoid-s183" xml:space="preserve">In dem Proto-<lb/>plasma iſt häufig ein feſterer Kern, ein <emph style="sp">Zellkern</emph>, bemerkbar.</s> <s xml:id="echoid-s184" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s185" xml:space="preserve">Eine allgemein angenommene Einteilung der Bakterien <lb/>giebt es zur Zeit noch nicht, weil die verſchiedenen Forſcher <lb/>je nach der von ihnen vertretenen Spezialwiſſenſchaft ein an-<lb/>deres Einteilungsprinzip wählten. </s> <s xml:id="echoid-s186" xml:space="preserve">Hierzu kommt noch die durch <lb/>die außerordentliche Kleinheit jener Organismen bedingte <lb/>Schwierigkeit der Beobachtung. </s> <s xml:id="echoid-s187" xml:space="preserve">Die Bakterien gehören un-<lb/>ſtreitig zu den kleinſten uns bekannten Lebeweſen; </s> <s xml:id="echoid-s188" xml:space="preserve">der Quer-<lb/>durchmeſſer der ſtäbchenähulichen Formen beträgt bei den <lb/>meiſten etwa nur {1/1000} eines Millimeters, ein Maß, das der <lb/>mikroſkopiſche Anatom als einen Mikromillimeter zu bezeichnen <lb/>pflegt, ihre Länge etwa das zwei- bis vierfache des Quer-<lb/>durchmeſſers, ſelten mehr. </s> <s xml:id="echoid-s189" xml:space="preserve">Die Sonnenſtäubchen, die anfäng-<lb/>lich von Unkundigen für Bakterien gehalten wurden, ſind alſo <lb/>im Vergleich zu dieſen rieſengroß.</s> <s xml:id="echoid-s190" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s191" xml:space="preserve">Eines der bei der Beobachtung am meiſten hervor-<lb/>tretenden Unterſcheidungsmerkmale iſt die äußere Geſtalt, wo-<lb/>nach man am zweckmäßigſten folgende Gruppen unterſcheidet:</s> <s xml:id="echoid-s192" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s193" xml:space="preserve">Kugelbakterien oder Kokken (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s194" xml:space="preserve">1, 3, 4, 5).</s> <s xml:id="echoid-s195" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s196" xml:space="preserve">Stäbchenbakterien oder Bacillen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s197" xml:space="preserve">6 u. </s> <s xml:id="echoid-s198" xml:space="preserve">7).</s> <s xml:id="echoid-s199" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s200" xml:space="preserve">Schraubenbakterien oder Spirillen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s201" xml:space="preserve">13, 14, 15, 16).</s> <s xml:id="echoid-s202" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s203" xml:space="preserve">Der Hauptgrund, weshalb die älteren Forſcher die Bak-<lb/>terien für Tiere hielten, liegt darin, daß eine Anzahl von <lb/>Arten eigener Bewegung fähig iſt, hervorgebracht durch Geißel-<lb/>fäden, welche den Enden der Individuen anſitzen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s204" xml:space="preserve">7, 14, 16).</s> <s xml:id="echoid-s205" xml:space="preserve"> <pb o="14" file="022" n="22"/> Wegen ihrer außerordentlichen Zartheit und der Schnelligkeit <lb/>ihrer Bewegung ſind die Geißeln allerdings ſchwer zu beob-<lb/>achten. </s> <s xml:id="echoid-s206" xml:space="preserve">Den unwiderleglichſten Beweis, daß ſie wirklich <lb/>exiſtieren, hat Koch dadurch erbracht, daß es ihm gelungen <lb/>iſt ſie zu färben und zu photographieren. </s> <s xml:id="echoid-s207" xml:space="preserve">Hieraus darf man <lb/>aber noch nicht umgekehrt ſchließen, daß jede frei bewegliche <lb/>Bakterien-Art auch Geißeln beſitzt.</s> <s xml:id="echoid-s208" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s209" xml:space="preserve">In Rückſicht auf die Art ihres Wachstums und ihrer Ver-<lb/>mehrung müſſen wir die Bakterien — wie ſchon geſagt — <lb/>als einfache Zellen betrachten. </s> <s xml:id="echoid-s210" xml:space="preserve">Sie beſitzen einen ſchleimig-<lb/>flüſſigen, protoplasmatiſchen Inhalt und eine deutlich unter-<lb/>ſchiedene Zellhaut. </s> <s xml:id="echoid-s211" xml:space="preserve">Der Inhalt erſcheint als eine gleichmäßig <lb/>durchſcheinende, trübe Maſſe ohne beſondere Struktur, ja ſelbſt <lb/>einen Zellkern hat man bisher noch nicht entdecken können. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s212" xml:space="preserve">Jedoch beſitzt der Plasmakörper der Zelle die meiſt nur den <lb/>Zellkernen zukommende Eigenſchaft Anilinfarben begierig auf-<lb/>zunehmen und feſtzuhalten, ein Umſtand, der namentlich für <lb/>die Erkennung der pathogenen, d. </s> <s xml:id="echoid-s213" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s214" xml:space="preserve">krankheiterregenden Arten <lb/>von Wichtigkeit iſt; </s> <s xml:id="echoid-s215" xml:space="preserve">man kann alſo annehmen, daß der Zell-<lb/>kernſtoff in dem ganzen Protoplasma gleichmäßig verteilt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s216" xml:space="preserve"><lb/>Die Membran iſt meiſt erſt dann crkennbar, wenn der <lb/>Plasmakörper auf Reagentien zum Zuſammenziehen gebracht <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s217" xml:space="preserve">Sie ſcheint von ähnlicher Beſchaffenheit zu ſein wie <lb/>die pflanzliche Zellmembran (Celluloſe), wenigſtens hat ſie mit <lb/>dieſer eine große Elaſtizität gemein und zeigt, wie viele pflanz-<lb/>liche Membranen, die Neigung, durch Waſſeraufuahme gallert-<lb/>artig zu verquellen.</s> <s xml:id="echoid-s218" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s219" xml:space="preserve">Die Vermehrung durch Zweiteilung, von der wir gleich <lb/>noch reden werden, und das eigentümliche Verhalten der Mem-<lb/>bran bewirken, daß die Individuen oft nach der Teilung noch <lb/>zuſammenhängen. </s> <s xml:id="echoid-s220" xml:space="preserve">Auf dieſe Weiſe entſtehen charakteriſtiſche <lb/>Zellverbände, die für die Klaſſifikation von Bedeutung ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s221" xml:space="preserve">So unterſcheidet man hiernach z. </s> <s xml:id="echoid-s222" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s223" xml:space="preserve"><emph style="sp">Diplokokken</emph>, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s224" xml:space="preserve">3, <pb o="15" file="023" n="23"/> (wenn die Individuen paarweiſe zuſammenhängen), <emph style="sp">Strepto-<lb/>kokken</emph>, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s225" xml:space="preserve">5 (wenn ſie zu längeren, perlſchnurähnlichen <lb/>Reihen vereinigt bleiben), <emph style="sp">Staphylokokken</emph> (wenn ſie größere <lb/>Häufchen, “Kolonien”, bilden). </s> <s xml:id="echoid-s226" xml:space="preserve">Geſchieht die Teilung gleich-<lb/>zeitig nach allen drei Richtungen des Raumes, ſo entſtehen <lb/>Warenballen-ähnliche Zellverbände. </s> <s xml:id="echoid-s227" xml:space="preserve">Bleiben die Individuen <lb/>bei gleichzeitiger Verquellung der Membranen zu zähen Maſſen <lb/>vereinigt, dann entſtehen die ſogenannten “Kahmhäute” oder <lb/>“<emph style="sp">Zooglöen</emph>“, welche, falls das Nährſubſtrat eine Flüſſigkeit <lb/>iſt, auf deren Oberfläche ſchwimmen.</s> <s xml:id="echoid-s228" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div10" type="section" level="1" n="9"> <head xml:id="echoid-head13" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Fortpflanzung der Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s229" xml:space="preserve">Die Fortpflanzung der Bakterien geſchieht auf zweierlei <lb/>Weiſe: </s> <s xml:id="echoid-s230" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s231" xml:space="preserve">durch Teilung und 2. </s> <s xml:id="echoid-s232" xml:space="preserve">durch Sporenbildung. </s> <s xml:id="echoid-s233" xml:space="preserve">Sobald <lb/>eine Bakterie eine beſtimmte Größe und Ausbildung erreicht <lb/>hat, zerfällt ſie einfach in zwei gleiche Teile, die heranwachſen <lb/>und wiederum eine einfache Teilung eingehen und ſo fort, <lb/>und zwar zerfällt bei günſtigen Bedingungen im Durchſchnitt <lb/>ein Bakterien-Individuum ſchon in zwei Teile, wenn es erſt <lb/>eine halbe Stunde alt iſt, deren jedes dann nach einer wei-<lb/>teren halben Stunde wieder zur Teilung in zwei Individuen <lb/>befähigt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s234" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s235" xml:space="preserve">Die zweite Art der Fortpflanzung iſt auch ſehr einfach, <lb/>aber doch immerhin komplizierter als die erſte. </s> <s xml:id="echoid-s236" xml:space="preserve">Unter be-<lb/>ſtimmten Umſtänden entſtehen dann z. </s> <s xml:id="echoid-s237" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s238" xml:space="preserve">im Innern der <lb/>Bakterien kleine, kugelige Zellen mit beſonders feſter Zellhaut, <lb/>die hierdurch und durch ihre ſonſtige Organiſation — wie wir <lb/>noch ſehen werden — beſonders widerſtandsfähig ſind. </s> <s xml:id="echoid-s239" xml:space="preserve">Es ſind <lb/>das die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s240" xml:space="preserve">8 abgebildeten <emph style="sp">Sporen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s241" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="16" file="024" n="24"/> <p> <s xml:id="echoid-s242" xml:space="preserve">Obwohl die Vermehrung durch Zweiteilung der Individuen <lb/>eine geradezu unbegrenzte iſt und als die gewöhnliche Art der <lb/>Fortpflanzung angeſehen werden muß, ſo iſt doch die <emph style="sp">Sporen-<lb/>bildung</emph> (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s243" xml:space="preserve">5b, 8, 9, 10, 12), von größter Wichtigkeit für <lb/>die Erhaltung der einzelnen Art. </s> <s xml:id="echoid-s244" xml:space="preserve">Während nämlich die meiſten <lb/>Bakterien in ihrer gewöhnlichen Wuchsform bei + 55 bis 60°, <lb/>alſo verhältnismäßig leicht, zu töten ſind, beſitzen die Sporen <lb/>eine außerordentliche Widerſtandsfähigkeit gegen phyſikaliſche <lb/>und chemiſche Einflüſſe. </s> <s xml:id="echoid-s245" xml:space="preserve">Siedendes Waſſer tötet mit Sicherheit <lb/>erſt nach 10 Minuten ſämtliche Bakterienſporen, trockene Hitze <lb/>von 140° muß ſogar faſt drei Stunden einwirken, um gewiſſe <lb/>Sporen zu töten. </s> <s xml:id="echoid-s246" xml:space="preserve">Die Bakterienſporen ſind ſomit die wider-<lb/>ſtandsfähigſten organiſchen Gebilde, die wir kennen.</s> <s xml:id="echoid-s247" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s248" xml:space="preserve">Die erſtaunliche Widerſtandsfähigkeit der Sporen iſt einer <lb/>der Hauptgründe, weshalb ſich bis in die neuere Zeit die <lb/>Anſicht erhalten konnte, daß die Bakterien durch Urzeugung <lb/>entſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s249" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div11" type="section" level="1" n="10"> <head xml:id="echoid-head14" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die Urzeugung und die Frage der Herkunft</emph> <lb/><emph style="bf">der Lebeweſen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s250" xml:space="preserve">Um den Begriff der Urzeugung richtig zu verſtehen, wollen <lb/>wir einen Augenblick abſchweifen, um die Beantwortungen auf <lb/>die Frage anzuführen: </s> <s xml:id="echoid-s251" xml:space="preserve">“Woher kommen die organiſchen <lb/>Weſen?</s> <s xml:id="echoid-s252" xml:space="preserve">” — Dieſe Frage haben die Menſchen von alters her <lb/>zu löſen getrachtet, und ſie hat daher auch ſchon die mannig-<lb/>faltigſten Löſungen gefunden; </s> <s xml:id="echoid-s253" xml:space="preserve">im weſentlichen laſſen ſich jedoch <lb/>drei Anſichten unterſcheiden. </s> <s xml:id="echoid-s254" xml:space="preserve">Als erſte führen wir diejenige an, <lb/>nach welcher die einzelnen Arten, wie ſie da ſind, von einem <lb/>höheren Weſen <emph style="sp">erſchaffen</emph> wurden, als zweite diejenige, <pb o="17" file="025" n="25"/> welche die Arten unabhängig von einem elterlichen Organis-<lb/>mus, alſo ohne Hinzuthun von ihresgleichen entſtehen läßt, <lb/>allein durch das Zuſammenwirken von Kräften und Stoffen <lb/>der unorganiſchen Natur, das iſt es, was man als <emph style="sp">Urzeu-<lb/>gung</emph> bezeichnet. </s> <s xml:id="echoid-s255" xml:space="preserve">Eine ſolche Urzeugung nahm z. </s> <s xml:id="echoid-s256" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s257" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ariſto-<lb/>teles</emph> für die Aale und Fröſche an, welche er im Schlamme <lb/>entſtehen ließ, und die Fabrikation eines “Homunculus” (eines <lb/>künſtlich geſchaffenen Menſchen) in der Retorte durch Fauſts <lb/>Famulus Wagner gehört ebenfalls in das Gebiet der Urzeugung. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s258" xml:space="preserve">Die Bakterien ſollten nach älteren Forſchern z. </s> <s xml:id="echoid-s259" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s260" xml:space="preserve">in faulenden <lb/>Subſtanzen entſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s261" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s262" xml:space="preserve">Was nun endlich drittens die <emph style="sp">Abſtammungslehre</emph> be-<lb/>trifft, welcher <emph style="sp">Darwin</emph> huldigte, ſo ſind von dieſer auch den-<lb/>jenigen, die außerhalb der engeren Wiſſenſchaft ſtehen, die <lb/>Prinzipien bekannt geworden, weil dieſelbe auch verſuchte, in <lb/>naturwiſſenſchaftlicher Weiſe den Urſprung des Menſchenge-<lb/>ſchlechts feſtzuſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s263" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s264" xml:space="preserve">Jedermann weiß, daß nach der Darwin’ſchen Aufſaſſung <lb/>die organiſchen Weſen blutsverwandt ſind, daß dieſelbe eine <lb/>leibliche Abſtammung aller Weſen von einander annimmt. </s> <s xml:id="echoid-s265" xml:space="preserve">Wir <lb/>haben uns ſchon im I. </s> <s xml:id="echoid-s266" xml:space="preserve">Teil auf S. </s> <s xml:id="echoid-s267" xml:space="preserve">30-39 mit dieſer Lehre <lb/>des Näheren abgegeben.</s> <s xml:id="echoid-s268" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s269" xml:space="preserve">Die drei angeführten Lehren gehen von der Anſicht aus, <lb/>daß die unorganiſche Natur <emph style="sp">vor</emph> der organiſchen beſtauden <lb/>habe; </s> <s xml:id="echoid-s270" xml:space="preserve">aber es iſt auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen <lb/>worden, daß ſowohl das organiſche Leben als auch die un-<lb/>organiſche Materie von Ewigkeit her beſtehen, und <emph style="sp">Preyer</emph> <lb/>(1841—1897) meint gar, wie übrigens auch ſchon früher der <lb/>Mikroſkopiker <emph style="sp">Ehrenberg</emph>, daß im Anfange nur lebende, <lb/>organiſche Materie vorhanden geweſen ſei, die durch Abſterben <lb/>die unorganiſche erzeugt habe.</s> <s xml:id="echoid-s271" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s272" xml:space="preserve">Mag dem nun ſein wie ihm wolle, mögen die erſten <lb/>Organismen entſtanden ſein wie ſie wollen: </s> <s xml:id="echoid-s273" xml:space="preserve">über Spekulationen</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s274" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s275" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s276" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s277" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="18" file="026" n="26"/> <p> <s xml:id="echoid-s278" xml:space="preserve">kommen wir hier nicht hinaus, ſo wird doch heute, durch die <lb/>Macht der Thatſachen gezwungen, von dem Naturforſcher ganz <lb/>allgemein angenommen, daß die Lebeweſen alle im Sinne der <lb/>ſchon von <emph style="sp">Lamarck</emph> (1744—1829) naturwiſſenſchaftlich genügend <lb/>begründeten und von <emph style="sp">Darwin</emph> (1809—1882) vertieften Ab-<lb/>ſtammungslehre miteinander blutsverwandt ſind.</s> <s xml:id="echoid-s279" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s280" xml:space="preserve">Mag man nun über <emph style="sp">Darwin’s</emph> Anſchauung denken wie <lb/>man will: </s> <s xml:id="echoid-s281" xml:space="preserve">ſie läßt ſich nicht beweiſen, ſondern nur im höchſten <lb/>Grade wahrſcheinlich machen; </s> <s xml:id="echoid-s282" xml:space="preserve">ſoviel iſt aber gewiß, daß die <lb/>Individuen einer Art bisher ſtets, ſofern nur exakt unterſucht <lb/>worden iſt, in leiblichem Zuſammenhange mit Individuen <lb/>ihresgleichen, von denen ſie abſtammen, gefunden worden ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s283" xml:space="preserve">Auch die Bakterien entſtehen nicht plötzlich durch Verbindungen <lb/>unorganiſcher Stoffe, ſondern ſie ſind ſtets — ebenſo die Kinder <lb/>ihrer Eltern wie alle Tiere und der Menſch.</s> <s xml:id="echoid-s284" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s285" xml:space="preserve">Daß bei den Bakterien lange an Urzeugung geglaubt <lb/>wurde, liegt alſo in der ungemeinen Widerſtandsfähigkeit ihrer <lb/>Sporen. </s> <s xml:id="echoid-s286" xml:space="preserve">Es mußte ja auch im höchſten Grade auffallen, <lb/>wenn in ſiedend gekochten Flüſſigkeiten alsbald wieder Bak-<lb/>terien auftraten, auch dann, wenn man alle möglichen Vor-<lb/>ſichtsmaßregeln, um ihr Eindringen zu verhindern, angewendet <lb/>hatte. </s> <s xml:id="echoid-s287" xml:space="preserve">Man glaubte früher ſicher ſämtliche Keime getötet zu <lb/>haben, wenn man Flüſſigkeiten bis zur Siedetemperatur erhitzte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s288" xml:space="preserve">Erſt die verdienſtvollen Unterſuchungen <emph style="sp">Cohn’s</emph> und <emph style="sp">Paſteur’s</emph> <lb/>haben uns hierüber völlige Klarheit verſchafft. </s> <s xml:id="echoid-s289" xml:space="preserve">Eine weſent-<lb/>liche weitere Stütze fand die Urzeugungstheorie in der außer-<lb/>ordentlichen Verbreitung der Bakterien; </s> <s xml:id="echoid-s290" xml:space="preserve">denn in allen uns <lb/>umgebenden Medien: </s> <s xml:id="echoid-s291" xml:space="preserve">Luft, Waſſer, Boden, in vielen unſerer <lb/>Nahrungsmittel finden ſich Bakterien oder deren Spuren. </s> <s xml:id="echoid-s292" xml:space="preserve">In <lb/>gleicher Weiſe haften ſie an unſeren Kleidern und an der <lb/>Hautoberfläche, an Gebrauchsgegenſtänden und an den Zimmer-<lb/>wänden. </s> <s xml:id="echoid-s293" xml:space="preserve">Die Naſenſchleimhaut, der Mund und namentlich <lb/>der Darmkanal wimmeln von Bakterien.</s> <s xml:id="echoid-s294" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="19" file="027" n="27"/> <p> <s xml:id="echoid-s295" xml:space="preserve">Auch die erſtaunliche Anſpruchsloſigkeit der Bakterien an <lb/>das Nährmittel hat die Urzeugungslehre unterſtützt. </s> <s xml:id="echoid-s296" xml:space="preserve">In Flüſſig-<lb/>keiten, die man völlig frei von geeigneter Nahrung glaubte, <lb/>fand man Bakterien auf, da ſelbſt <emph style="sp">Spuren</emph> organiſcher Sub-<lb/>ſtanz zur Erhaltung ihres Lebens ausreichen. </s> <s xml:id="echoid-s297" xml:space="preserve">Die Anſpruchs-<lb/>loſigkeit an den Nährboden iſt eine der Haupturſachen der <lb/>ungeheueren Verbreitung der Bakterien; </s> <s xml:id="echoid-s298" xml:space="preserve">denn überall, wo ſich <lb/>auch nur Spuren toter organiſcher Subſtanz finden, können <lb/>ſie gedeihen.</s> <s xml:id="echoid-s299" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s300" xml:space="preserve">Gewiſſe Arten ſind allerdings anſpruchsvoller in Bezug <lb/>auf ihr Nährmittel; </s> <s xml:id="echoid-s301" xml:space="preserve">ſie entwickeln ſich ausſchließlich im leben-<lb/>den Körper höherer Organismen, ernähren ſich auf deren <lb/>Koſten und töten ſie in manchen Fällen. </s> <s xml:id="echoid-s302" xml:space="preserve">Von dieſen ſtrengen <lb/>Schmarotzern, zu denen auch die krankheiterzeugenden Arten <lb/>gehören, unterſcheidet man die übrigen Arten als Fäulnis-<lb/>bewohner. </s> <s xml:id="echoid-s303" xml:space="preserve">Wie überall in der Natur, ſind aber auch hier <lb/>Übergänge vorhanden.</s> <s xml:id="echoid-s304" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div12" type="section" level="1" n="11"> <head xml:id="echoid-head15" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Die Einflüſſe der Umgebung auf die</emph> <lb/><emph style="bf">Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s305" xml:space="preserve">Eine wichtige Rolle beim Wachstum der Bakterien ſpielt <lb/>die Temperatur des Nährbodens und der Umgebung. </s> <s xml:id="echoid-s306" xml:space="preserve">Unter-<lb/>halb 5° iſt ein Wachstum und eine Vermehrung der Bakterien <lb/>ſo gut wie ausgeſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s307" xml:space="preserve">Es tritt nämlich dann die ſogenannte <lb/>Kälteſtarre ein, welche jedoch keineswegs mit einer Vernichtung <lb/>des Lebens identiſch iſt; </s> <s xml:id="echoid-s308" xml:space="preserve">denn Milzbrandbacillen können eine <lb/>Temperatur von — 110°, Cholerabacillen eine ſtundenlange <lb/>Einwirkung von — 10° ertragen, ohne an ihrer Lebensfähig-<lb/>keit geſchädigt zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s309" xml:space="preserve">Sobald die Bacillen wieder in <pb o="20" file="028" n="28"/> günſtigere Temperaturen gelangen, entwickeln ſie ſich in ge-<lb/>wohnter Weiſe weiter. </s> <s xml:id="echoid-s310" xml:space="preserve">Zu große Wärme übt einen ähulichen <lb/>Einfluß. </s> <s xml:id="echoid-s311" xml:space="preserve">Mit 45° tritt meiſtens die ſogenannte Wärmeſtarre <lb/>ein, während 50—60° bei längerer Dauer die gewöhulichen <lb/>Formen, aber noch nicht die Sporen töten. </s> <s xml:id="echoid-s312" xml:space="preserve">Zwiſchen den oben <lb/>angegebenen Extremen, die ſelbſtverſtändlich nicht von allen <lb/>Arten ertragen werden, liegt eine ebenfalls für die einzelnen <lb/>Arten verſchiedene mittlere Temperatur, bei welcher Wachstum <lb/>und Vermehrung am beſten von ſtatten gehen. </s> <s xml:id="echoid-s313" xml:space="preserve">Für die krankheit-<lb/>erregenden Bakterien liegt die Temperatur, bei welcher ſie am <lb/>beſten gedeihen, bei 37°, alſo der normalen Körperwärme des <lb/>Menſchen, während die günſtigſte Temperatur für die meiſten <lb/>übrigen Bakterien bei 20° liegt.</s> <s xml:id="echoid-s314" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s315" xml:space="preserve">Eine ähnliche wichtige Rolle wie die Wärme ſpielt der <lb/>unſere Luft beinahe zu einem Viertel zuſammenſetzende Sauer-<lb/>ſtoff, bei deſſen Abweſenheit die meiſten Arten nicht leben können. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s316" xml:space="preserve">Die meiſten krankheiterregenden Arten können ſich aber auch bei <lb/>völligem Mangel an Sauerſtoff, wenn auch langſam, weiter <lb/>entwickeln.</s> <s xml:id="echoid-s317" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s318" xml:space="preserve">Gewiſſe Bakterien bieten die höchſt überraſchende Er-<lb/>ſcheinung dar, daß der Sauerſtoff ſchädlich auf ihre Ent-<lb/>wicklung einwirkt und manche derſelben bei längerer Berührung <lb/>ſogar tötet.</s> <s xml:id="echoid-s319" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div13" type="section" level="1" n="12"> <head xml:id="echoid-head16" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Die Bakterien-Arten und ihre Stoffwechſel-</emph> <lb/><emph style="bf">produkte.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s320" xml:space="preserve">Die vielen bis jetzt bekannt gewordenen Bakterien-Arten <lb/>können wir hier nicht näher betrachten, als Beiſpiele ſeien nur <lb/>die ſo ſehr gefürchteten Arten genannt: </s> <s xml:id="echoid-s321" xml:space="preserve">der Cholerabacillus, der <pb o="21" file="029" n="29"/> Diphtheriebacillus, der Eiterkokkus und der Tuberkelbacillus. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s322" xml:space="preserve">Der Cholerabacillus iſt gebogen, daher auch ſein Name Komma-<lb/>bacillus, der Tuberkelbacillus iſt gerade, der Diphtheriebacillus <lb/>eingeſchnürt, der Eiterkokkus kugelrund. </s> <s xml:id="echoid-s323" xml:space="preserve">Wir müſſen nun noch <lb/>die von den Bakterien erzeugten <emph style="sp">Stoffwechſelprodukte</emph> <lb/>erwähnen.</s> <s xml:id="echoid-s324" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s325" xml:space="preserve">Manche Bakterien beſitzen die Fähigkeit feſte Nährböden <lb/>(wie Peptongelatine) durch die von ihnen ausgeſchiedenen Stoff-<lb/>wechſelprodukte zu verflüſſigen. </s> <s xml:id="echoid-s326" xml:space="preserve">Andere erzeugen auf der Höhe <lb/>der Vegetation Farbſtoffe. </s> <s xml:id="echoid-s327" xml:space="preserve">Am längſten bekannt iſt dieſes Ver-<lb/>halten wohl beim Bakterium des Blutwunders (Mikrococcus <lb/>prodigiosus). </s> <s xml:id="echoid-s328" xml:space="preserve">Das intenſiv rote, blutähnliche Ausſehen dieſes <lb/>Farbſtoffes und das dem Unkundigen völlig rätſelhafte Auf-<lb/>treten ſeines Erzeugers haben namentlich im Mittelalter Anlaß <lb/>zu dem wunderlichſten Aberglauben wie dem der blutenden <lb/>Hoſtien gegeben.</s> <s xml:id="echoid-s329" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s330" xml:space="preserve">Gewiſſe Bakterien ſind bei der Erzeugung von Gährungs-<lb/>prozeſſen thätig; </s> <s xml:id="echoid-s331" xml:space="preserve">andere verurſachen Fäulnisprozeſſe.</s> <s xml:id="echoid-s332" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s333" xml:space="preserve">Einzelne Arten ſcheiden bei ihrer Vegetation ſtark riechende, <lb/>oft abſcheulich ſtinkende Gaſe aus; </s> <s xml:id="echoid-s334" xml:space="preserve">ſo erzeugt z. </s> <s xml:id="echoid-s335" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s336" xml:space="preserve">der eben <lb/>erwähnte Mikrococcus prodigiosus, wenn er auf Kartoffeln <lb/>gezüchtet wird, einen eigentümlichen, dem der Salzheringslake <lb/>ähnlichen Geruch.</s> <s xml:id="echoid-s337" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s338" xml:space="preserve">In vielen Fällen erzeugen die Bakterien Stoffwechſel-<lb/>produkte, welche ihnen ſelbſt ſchädlich ſind und ihre Entwicke-<lb/>lung verlangſamen oder ſie zum Stillſtand bringen. </s> <s xml:id="echoid-s339" xml:space="preserve">Ähnlich <lb/>wie die Hefearten in der Bierwürze oder im Moſt durch ihre <lb/>Vegetation den in dieſen Flüſſigkeiten enthaltenen Zucker in <lb/>Alkohol, einen für ſie giftigen Stoff, verwandeln und ſich ſchließ-<lb/>lich wie man zu ſagen pflegt “zu Tode gähren”, ſo erzeugen <lb/>die Bakterien vielfach organiſche Alkaloïde (Pflanzengifte), die <lb/>ebenfalls für ſie giftig ſind. </s> <s xml:id="echoid-s340" xml:space="preserve">Um auf künſtlichen Nährböden <lb/>eine zu große Anhäufung derartiger Stoffwechſelprodukte zu <pb o="22" file="030" n="30"/> verhindern, empfiehlt es ſich daher, künſtliche Kulturen hin <lb/>und wieder auf friſche Nährböden zu übertragen: </s> <s xml:id="echoid-s341" xml:space="preserve">zu “über-<lb/>impfen”.</s> <s xml:id="echoid-s342" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s343" xml:space="preserve">Wenn man die Übertragung auf friſche Nährböden zu <lb/>lange hinausſchiebt, oder wenn man künſtliche Kulturen einer zu <lb/>hohen oder zu niedrigen Temperatur ausſetzt, ſo können die <lb/>Individuen vieler Arten ihre “typiſche Wuchsform” vollſtändig <lb/>verlieren. </s> <s xml:id="echoid-s344" xml:space="preserve">So nehmen z. </s> <s xml:id="echoid-s345" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s346" xml:space="preserve">ganz regelmäßig geformte Stäbchen <lb/>eine übermäßig langgezogene oder blaſig aufgetriebene Geſtalt <lb/>an. </s> <s xml:id="echoid-s347" xml:space="preserve">Bringt man derartige verkrüppelte Individuen in ihre <lb/>normalen Lebensbedingungen, ſo nehmen ſie bald wieder ihre <lb/>gewöhnliche, regelmäßige Geſtalt an, vorausgeſetzt natürlich, daß <lb/>ſie überhaupt noch lebensfähig waren.</s> <s xml:id="echoid-s348" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div14" type="section" level="1" n="13"> <head xml:id="echoid-head17" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Wie unterſucht man Bakterien?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s349" xml:space="preserve">Die Entdeckung der Bakterien in der Luft erweckte anfangs <lb/>bei vielen Unkundigen die irrtümliche Meinung, daß alle ſoge-<lb/>nannten Sonnenſtäubchen Bakterien ſeien; </s> <s xml:id="echoid-s350" xml:space="preserve">auch erfüllte die aus <lb/>ihrem Vorkommen in der Luft leicht erklärliche ungeheure <lb/>Verbreitung der Bakterien viele ängſtliche Gemüter mit über-<lb/>triebener Furcht vor Erkrankung infolge von Infektion durch <lb/>pathogene Mikroorganismen. </s> <s xml:id="echoid-s351" xml:space="preserve">Glücklicherweiſe iſt die Zahl der <lb/>krankheiterregenden Bakterien eine verhältnismäßig geringe, und <lb/>überdies ſind bei weitem nicht alle krankheiterregenden Arten auch <lb/>ſpeziell für den Menſchen krankheiterregend (pathogen). </s> <s xml:id="echoid-s352" xml:space="preserve">Aller-<lb/>dings wurde dieſe Thatſache erſt durch die künſtlichen Züchtungs-<lb/>methoden und die hieraus gewonnene Erkenntnis, daß es wie <lb/>bei den höheren Organismen, ſo auch bei den Bakterien <lb/>deutlich unterſcheidbare Arten giebt, definitiv bewieſen. </s> <s xml:id="echoid-s353" xml:space="preserve">Noch <pb o="23" file="031" n="31"/> 1885 äußerte ein ſo hervorragender Forſcher wie C. </s> <s xml:id="echoid-s354" xml:space="preserve">von <lb/>Nägeli: </s> <s xml:id="echoid-s355" xml:space="preserve">“Wenn meine Anſicht richtig iſt, ſo nimmt die gleiche <lb/>Spezies im Laufe der Generationen abwechſelnd verſchiedene, <lb/>morphologiſch und phyſiologiſch ungleiche Formen an, welche <lb/>im Laufe von Jahren und Jahrzehnten bald die Säuerung <lb/>der Milch, bald die Butterſäurebildung im Sauerkraut, bald <lb/>das Langwerden des Weins, bald die Fäulnis der Eiweißſtoffe, <lb/>bald die Zerſetzung des Harnſtoffs, bald die Rotfärbung ſtärke-<lb/>mehlhaltiger Nahrungsſtoffe bewirken, bald Typhus, bald <lb/>Cholera, bald Wechſelfieber erzeugen.</s> <s xml:id="echoid-s356" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s357" xml:space="preserve">Eine derartige Verkennung der Thatſachen iſt nur durch <lb/>die Mangelhaftigkeit der damaligen Unterſuchungsmethoden er-<lb/>klärlich. </s> <s xml:id="echoid-s358" xml:space="preserve">Vielleicht haben auch die von Nägeli als “Involutions-<lb/>formen”, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s359" xml:space="preserve">17, bezeichneten Gebilde dieſe falſche Anſicht <lb/>unterſtützt.</s> <s xml:id="echoid-s360" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s361" xml:space="preserve">Um die Konſtanz einer Bakterienart zu beweiſen iſt es <lb/>vor allen Dingen nötig, dieſelbe künſtlich zu züchten, dadurch, <lb/>daß man ſie auf Nährböden bringt, welche ihren natürlichen <lb/>Lebensbedingungen möglichſt entſprechen, und “Reinkulturen” <lb/>von derſelben anzulegen, welche nur Individuen dieſer einen <lb/>Art enthalten. </s> <s xml:id="echoid-s362" xml:space="preserve">Der einzige Weg, auf dem dies erreicht werden <lb/>kann, beſtcht darin, die betreffende Art möglichſt aus einer <lb/>Spore oder einem Individuum zu züchten.</s> <s xml:id="echoid-s363" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div15" type="section" level="1" n="14"> <head xml:id="echoid-head18" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Feſte Nährböden.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s364" xml:space="preserve">Solange man ſich ausſchließlich der flüſſigen Nährböden <lb/>bediente, war es ganz unmöglich aus einem vorhandenen <lb/>Bakteriengemenge (und ſolche hat man in der Natur meiſtens) <lb/>eine Art rein zu züchten; </s> <s xml:id="echoid-s365" xml:space="preserve">denn ſelbſt in dem kleinſten, aus der <pb o="24" file="032" n="32"/> Nährlöſung entnommenen Tröpſchen hat man mindeſtens <lb/>1 Individuum von jeder darin enthaltenen Spezies. </s> <s xml:id="echoid-s366" xml:space="preserve">Bei der <lb/>weiteren Vermehrung in der nenen Nährlöſung geraten die <lb/>verſchiedenen Arten eben ſo wirr durcheinander wie vorher, <lb/>ſodaß durch die Übertragung nichts gewonnen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s367" xml:space="preserve">Die erſten <lb/>erfolgreichen Reſultate bei der Herſtellung von Reinkulturen <lb/>erzielte man durch Anwendung feſter Nährböden. </s> <s xml:id="echoid-s368" xml:space="preserve">Die Brauch-<lb/>barkeit derſelben hatte man dadurch erkannt, daß Scheiben <lb/>gekochter Kartoffeln, welche einige Zeit an der Luft gelegen <lb/>hatten, und dann, vor dem Austrocknen geſchützt, weiter auf-<lb/>bewahrt wurden, nach 1 oder mehreren Tagen auf der Ober-<lb/>fläche eine Anzahl verſchiedenfarbiger Pünktchen zeigten, die <lb/>ſich ziemlich ſchnell vergrößerten und bald die ganze Ober-<lb/>fläche bedeckten. </s> <s xml:id="echoid-s369" xml:space="preserve">Die nähere Unterſuchung lehrte, daß jene <lb/>Pünktchen Anhäufungen, “Kolonien” von Bakterien waren, <lb/>und daß überraſchender Weiſe jede Kolonie ſtets nur Individuen <lb/>einer einzigen Art enthielt. </s> <s xml:id="echoid-s370" xml:space="preserve">Dieſe anfangs auffallende That-<lb/>ſache hatte man ſehr bald richtig dahin gedeutet, daß jede <lb/>Kolonie die Stelle bezeichnete, wohin aus der Luft eine einzige <lb/>Spore niedergefallen war und ſich von anderen Arten un-<lb/>behindert zu einer Kolonie der betreffenden Art, zu einer <lb/>“Reinkultur” entwickelt hatte.</s> <s xml:id="echoid-s371" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s372" xml:space="preserve">Dieſer große Vorzug der feſten Nährböden vor den <lb/>flüſſigen wurde von Koch ſehr bald als ein wichtiges Hilfs-<lb/>mittel erkannt, um aus Bakteriengemengen die einzelnen Arten <lb/>für ſich auszuſondern. </s> <s xml:id="echoid-s373" xml:space="preserve">Entnimmt man nämlich mittelſt eines <lb/>keimfreien Meſſers ein wenig “Impfſtoff” aus einem Bakterien-<lb/>gemenge, möglichſt dünner Schicht auf die ebene Fläche einer <lb/>halbierten, gedämpften Kartoffel, ſo entwickeln ſich nach einigen <lb/>Tagen größere Kolonien. </s> <s xml:id="echoid-s374" xml:space="preserve">Das eigentümlich gefleckte Ausſehen <lb/>dieſer Kolonien beweiſt, daß ſich bereits Gruppen gebildet <lb/>haben, die vorwiegend aus Individuen einer einzigen Bakterien-<lb/>art beſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s375" xml:space="preserve">Dadurch, daß man aus jeder durch ihre Farbe <pb o="25" file="033" n="33"/> ſich abhebenden Gruppe ein wenig entnimmt und das obige <lb/>Verfahren (die “Verdünnung” des Impfſtoffs) wiederholt, <lb/>gelingt es ſehr bald Kolonien zu bekommen, die immer nur <lb/>eine einzige Art enthalten, alſo “Reinkulturen” der betreffenden <lb/>Arten darſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s376" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s377" xml:space="preserve">Um den Nährboden vor dem Austrocknen zu ſchützen, und <lb/>beſonders um die in der Luft ſchwebenden Keime abzuhalten, <lb/>müſſen die Kartoffelſcheiben ſofort nach de<unsure/>r “Impfung” in eine <lb/>“feuchte Kammer” gebracht werden, d. </s> <s xml:id="echoid-s378" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s379" xml:space="preserve">in eine mit einem <lb/>gut ſchließenden Deckel verſehene Glasſchale<anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/>, deren Boden mit feuchtem Filtrierpapier ausgekleidet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s380" xml:space="preserve">Aus obigen Gründen <lb/>muß auch das Impfen friſcher Nährböden möglichſt ſchnell ge-<lb/>ſchehen; </s> <s xml:id="echoid-s381" xml:space="preserve">auch darf beim Entnehmen des Impfſtoffs der Deckel <lb/>der feuchten Kammer nur wenig gelüftet werden.</s> <s xml:id="echoid-s382" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s383" xml:space="preserve">Die feſten Nährböden hatten trotz der oben geſchilderten <lb/>Vorzüge aber doch den großen Nachteil, daß ſie undurchſichtig <lb/>und ſomit für direkte mikroſkopiſche Beobachtung unbrauchbar <lb/>waren. </s> <s xml:id="echoid-s384" xml:space="preserve">Auch dieſen Mangel wußte Kochs Erfindungsgabe zu <lb/>beſeitigen. </s> <s xml:id="echoid-s385" xml:space="preserve">Dadurch, daß er der als Nährflüſſigkeit ſehr ge-<lb/>eigneten Rindfleiſchbouillon eine gewiſſe Menge von beſter <lb/>franzöſiſcher Gelatine beimiſchte, gelang es ihm, eine allen <lb/>Anforderungen genügende Nährſubſtanz herzuſtellen. </s> <s xml:id="echoid-s386" xml:space="preserve">Um den <lb/>Nährwert der Bouillongelatine zu erhöhen empfiehlt es ſich, <lb/>noch eine gewiſſe Menge von Pepton (lösliches Eiweiß) zuzuſetzen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s387" xml:space="preserve">Bei gewöhnlicher Zimmertemperatur bildet dieſe Peptongelatine <lb/>eine durchſichtige, nahezu farbloſe, gallertartige Maſſe; </s> <s xml:id="echoid-s388" xml:space="preserve">bei mehr <lb/>als 24° wird ſie dünnflüſſig und kann daher auch als flüſſiger <lb/>Nährboden Verwendung finden.</s> <s xml:id="echoid-s389" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s390" xml:space="preserve">Wie oben erwähnt, ſind künſtliche Reinkulturen fortwährend <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-033-01a" xlink:href="note-033-01"/> <pb o="26" file="034" n="34"/> durch das Eindringen fremder Keime bedroht. </s> <s xml:id="echoid-s391" xml:space="preserve">Um letzteres <lb/>zu verhüten, mußten ſelbſtverſtändlich die Hilfsmittel der Unter-<lb/>ſuchung, Apparate, Reagentien a. </s> <s xml:id="echoid-s392" xml:space="preserve">fortwährend verbeſſert werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s393" xml:space="preserve">Die von den früheren Forſchern erprobten Methoden ſind in den <lb/>letzten Jahren namentlich von <emph style="sp">Koch</emph> und deſſen Schülern weiter <lb/>ausgebildet und derart verbeſſert worden, daß ein berechtigter <lb/>Einwand gegen die auf dieſem Wege erlangten Reſultate nicht <lb/>mehr geltend gemacht werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s394" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div15" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-033-01" xlink:href="note-033-01a" xml:space="preserve"> Am einfachſten bedient man ſich hierzu einer mittelgroßen Kryſtalliſier-<lb/>ſchale mit glattgeſchliffenem, hohen Nande, auf welche man eine zweite von <lb/>etwas größerem Durchmeſſer umgekehrt als Deckel aufſetzt.</note> </div> </div> <div xml:id="echoid-div17" type="section" level="1" n="15"> <head xml:id="echoid-head19" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Die Steriliſation.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s395" xml:space="preserve">Wer eine bakteriologiſche Unterſuchung beginnen will, muß <lb/>vor allen Dingen ſeine Hände und ſämtliche Apparate und Inſtru-<lb/>mente “ſteriliſieren”, d. </s> <s xml:id="echoid-s396" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s397" xml:space="preserve">keimfrei machen. </s> <s xml:id="echoid-s398" xml:space="preserve">Das Steriliſieren <lb/>der Hände geſchieht am beſten durch Waſchen mit 1 pro mille <lb/>Sublimatlöſung, <anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> nochmaliges Waſchen mit Alkohol und Nach- ſpülen mit Äther, den man auf den Händen verdunſten läßt, <lb/>Die nötigen Inſtrumente werden unmittelbar vor und nach dem <lb/>jedesmaligen Gebrauch durch die Flamme eines Bunſen’ſchen <lb/>Brenners gezogen. </s> <s xml:id="echoid-s399" xml:space="preserve">Die Kulturgefäße (Glaskolben, Glasplatten <lb/>und Reagensgläſer) werden im Trockenſchrank<anchor type="note" xlink:href="" symbol="**)"/> eine halbe Stunde lang einer Hitze von mindeſtens 160° ausgeſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s400" xml:space="preserve">Um <lb/>fremde Keime abzuhalten, werden die Kulturgefäße vor dem <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-034-01a" xlink:href="note-034-01"/> <anchor type="note" xlink:label="note-034-02a" xlink:href="note-034-02"/> <pb o="27" file="035" n="35"/> Steriliſieren mit einem mindeſtens 2 Centimeter hohen Watte-<lb/>propf verſchloſſen, der alſo mit ſteriliſiert wird und erfahrungs-<lb/>gemäß für die in der Luft ſchwebenden Keime undurchläſſig iſt.</s> <s xml:id="echoid-s401" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div17" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-034-01" xlink:href="note-034-01a" xml:space="preserve">D. h. einer Auflöſung von 1 Gramm Queckſilberchlorid (Hg Cl<emph style="sub">2</emph>) <lb/>in 1 Liter Waſſer, wozu man noch ein wenig Salzſäure beimiſcht. Dieſe <lb/>Löſung iſt ſo außerordentlich giftig, daß ſie die meiſten Bakterienkeime faſt <lb/>augenblicklich tötet.</note> <note symbol="**)" position="foot" xlink:label="note-034-02" xlink:href="note-034-02a" xml:space="preserve"> Einem mit doppelten Wänden verſehenen, aus ſtarkem Eiſenblech <lb/>beſtehenden, verſchließbaren Kaſten, welcher mit Gas geheizt wird.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s402" xml:space="preserve">Die Kulturgefäße müſſen nun mit einer ebenfalls keimfreien <lb/>Nährſubſtanz gefüllt (“beſchickt”) werden, wozu ſich in den <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-035-01a" xlink:href="fig-035-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-035-02a" xlink:href="fig-035-02"/> meiſten Fällen die <emph style="sp">Koch</emph>‘ſche Peptongelatine eignet. </s> <s xml:id="echoid-s403" xml:space="preserve">Da während <lb/>der Beſchickung eine Infektion durch Keime aus der Luft möglich <lb/>iſt, ſo müſſen die entſprechend gefüllten und ſofort wieder mit <lb/>dem ſterilen Wattepropf verſtopften Gefäße nochmals ſteriliſiert <lb/>werden, ehe ſie zur Anlegung einer Reinkultur verwendet <lb/>werden dürfen.</s> <s xml:id="echoid-s404" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div18" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-035-01" xlink:href="fig-035-01a"> <caption xml:id="echoid-caption3" xml:space="preserve">Fig. 20.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-035-02" xlink:href="fig-035-02a"> <caption xml:id="echoid-caption4" xml:space="preserve">Fig. 21.</caption> <variables xml:id="echoid-variables2" xml:space="preserve">g f f d A d B c c C</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s405" xml:space="preserve">Das Steriliſieren geſchieht am beſten im <emph style="sp">Koch</emph>‘ſchen Dampf- <pb o="28" file="036" n="36"/> Steriliſierungs-Cylinder (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s406" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s407" xml:space="preserve">20 Außenanſicht und Fig. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s408" xml:space="preserve">21 Durchſchnitt). </s> <s xml:id="echoid-s409" xml:space="preserve">Derſelbe beſteht aus einem etwa {3/4} Meter <lb/>hohen, mit Filz oder Asbeſt bekleideten Cylinder von ſtarkem <lb/>Blech und beſitzt in ſeiner unteren Hälfte einen Stabroſt c—c. </s> <s xml:id="echoid-s410" xml:space="preserve"><lb/>Auf letzteren werden entweder die Kulturgefäße ſelbſt oder ein <lb/>ebenfalls mit einem Roſt verſehener, kleiner Metallcylinder (B) <lb/>geſtellt, in welchem ſich die Gefäße befinden. </s> <s xml:id="echoid-s411" xml:space="preserve">Nachdem das im <lb/>unteren Teil (C) befindliche Waſſer zum Kochen erhitzt iſt, <lb/>werden die zu ſteriliſierenden Gefäße eingeſtellt und ein mit <lb/>Ausſtrömungsöffnung (g, in welche, wie in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s412" xml:space="preserve">20 angedeutet, <lb/>ein Thermometer eingeſetzt werden kann) für den Dampf ver-<lb/>ſehener Deckel (E) aufgeſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s413" xml:space="preserve">In der Höhlung des zur beque-<lb/>meren Hantierung mit 2 Porzellanknöpfen (f—f) verſehenen <lb/>Deckels befinden ſich 2 querüber laufende Meſſingſtäbe (n—n), <lb/>an welchen die zu ſteriliſienden Gegenſtände auch aufgehängt <lb/>werden können. </s> <s xml:id="echoid-s414" xml:space="preserve">Da an dem oberen Rande des Cylinders ein <lb/>hydrauliſcher Verſchluß (d) angebracht iſt, welcher ein ſeitliches <lb/>Ausſtrömen der Dämpfe verhindert, und die obere Ausſtrömungs-<lb/>öffnung (g) verhältnismäßig klein iſt, ſo entſteht im oberen <lb/>Teile (A) des Cylinders eine geringe Spannung, welche bewirkt, <lb/>daß auch die hier befindlichen Dämpfe eine Temperatur von <lb/>100° beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s415" xml:space="preserve">Beim fortgeſetzten Erwärmen entſteht nun ein <lb/>langſamer Strom von heißen Waſſerdämpfen. </s> <s xml:id="echoid-s416" xml:space="preserve">Die Erfahrung <lb/>hat gelehrt, daß ſtrömender Waſſerdampf von 100° eines der <lb/>beſten Steriliſierungsmittel iſt und ebenſo raſch und ſicher wirkt, <lb/>als auf mehr als 100° erhitzte Waſſerdämpfe unter höherem <lb/>Druck.</s> <s xml:id="echoid-s417" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s418" xml:space="preserve">Nährgelatine darf man aber höchſtens 20—25 Minuten <lb/>auf 100° erhitzen, weil ſie bei längerer Erwärmung die Fähig-<lb/>keit, feſt zu werden, verliert. </s> <s xml:id="echoid-s419" xml:space="preserve">Um dennoch mit Sicherheit alle <lb/>etwa eingedrungenen Keime zu töten, bedient man ſich der <lb/>von <emph style="sp">Tyndall</emph> empfohlenen fraktionierten (diskontinuierlichen) <lb/>Steriliſation. </s> <s xml:id="echoid-s420" xml:space="preserve">Man läßt nämlich die einmal ſteriliſierten Ge- <pb o="29" file="037" n="37"/> fäße 24 Stunden ſtehen, damit alle fremden Sporen keimen <lb/>und auswachſen können. </s> <s xml:id="echoid-s421" xml:space="preserve">Wiederholt man nun die Steriliſation, <lb/>ſo werden ſämtliche Bakterien in ihrer gewöhnlichen Wuchsform <lb/>ſicher getötet. </s> <s xml:id="echoid-s422" xml:space="preserve">Zur größeren Sicherheit kann man das Ver-<lb/>fahren nochmals wiederholen und erhält dann einen vollſtändig <lb/>keimfreien Nährboden.</s> <s xml:id="echoid-s423" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div20" type="section" level="1" n="16"> <head xml:id="echoid-head20" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Die Züchtung der Bakterien in Neinkulturen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s424" xml:space="preserve">Beim Züchten von Reinkulturen finden die gewöhnlichen <lb/>chemiſchen Reagensgläſer die ausgedehnteſte Anwendung; </s> <s xml:id="echoid-s425" xml:space="preserve">die <lb/>in ihnen anzulegenden Gelatinekulturen ſind entweder Stich-<lb/>oder Strichkulturen. </s> <s xml:id="echoid-s426" xml:space="preserve">Die erſteren erhält man dadurch, daß <lb/>man die mit dem Impfſtoff infizierte Spitze einer Platinnadel <lb/>in ein zu {1/3}— {1/2} mit erſtarrter Gelatine gefülltes Reagensglas <lb/>hineinſticht. </s> <s xml:id="echoid-s427" xml:space="preserve">(Vergl. </s> <s xml:id="echoid-s428" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s429" xml:space="preserve">24). </s> <s xml:id="echoid-s430" xml:space="preserve">Will man Strichkulturen an-<lb/>legen, ſo werden die Reagensgläſer vor dem Erſtarren der <lb/>Gelatine ſehr ſtark geneigt, wodurch deren Oberfläche auf das <lb/>4—6 fache vergrößert wird. </s> <s xml:id="echoid-s431" xml:space="preserve">Auf der ſo gewonnenen verhältnis-<lb/>mäßig großen, ſchrägen Oberfläche der Gelatine wird dann der <lb/>Impfſtoff mittels der zu einer Öſe umgebogenen Spitze einer <lb/>Platinnadel abgeſtrichen (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s432" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s433" xml:space="preserve">22 u. </s> <s xml:id="echoid-s434" xml:space="preserve">23). </s> <s xml:id="echoid-s435" xml:space="preserve">Die Anwen-<lb/>dung beider Kulturmethoden iſt nötig, weil viele Arten, je <lb/>nachdem ſie auf die eine oder andere Weiſe gezüchtet werden, <lb/>ein ganz eigentümliches, ſtets wiederzuerkennendes Verhalten <lb/>in Bezug auf ihr äußeres Ausſehen und die Art des Wachs-<lb/>tums der Kolonien zeigen.</s> <s xml:id="echoid-s436" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s437" xml:space="preserve">Das Übertragen des Impfſtoffes geſchieht, wie erwähnt, <lb/>mittels einer Platinnadel, die man ſich dadurch herſtellt, daß <lb/>man einen etwa 5 cm langen Platindraht {1/2} cm weit in das <pb o="30" file="038" n="38"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-038-01a" xlink:href="fig-038-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-038-02a" xlink:href="fig-038-02"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-038-03a" xlink:href="fig-038-03"/> <pb o="31" file="039" n="39"/> Ende eines Glasſtabes einſchmilzt. </s> <s xml:id="echoid-s438" xml:space="preserve">Die Nadel muß ſelbſtver-<lb/>ſtändlich unmittelbar vor dem Gebrauch durch die Flamme <lb/>eines Bunſen’ſchen Brenners gezogen werden, um etwa anhaf-<lb/>tende fremde Keime zu töten und gleich nach dem Gebrauch <lb/>geglüht werden. </s> <s xml:id="echoid-s439" xml:space="preserve">Will man aus einem vorhandenen Bakterien-<lb/>gemenge eine beſtimmte Spezies rein züchten, ſo geſchieht dies <lb/>mittels des <emph style="sp">Koch</emph>‘ſchen Plattenverfahrens, deſſen Prinzip der <lb/>“Verdünnung” des Impf-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-039-01a" xlink:href="fig-039-01"/> ſtoffs bei Beſchreibung der <lb/>Kartoffelkulturen bereits er-<lb/>läutert wurde. </s> <s xml:id="echoid-s440" xml:space="preserve">In der <lb/>Regel ſtellt man ſich drei <lb/>Verdünnungen in der fol-<lb/>genden Weiſe her: </s> <s xml:id="echoid-s441" xml:space="preserve">Ein <lb/>wenig des Impfſtoffs wird <lb/>mittels einer Platinöſe in <lb/>ein zu {1/3} mit flüſſiger, d. </s> <s xml:id="echoid-s442" xml:space="preserve">h. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s443" xml:space="preserve">24—25° warmer Gelatine <lb/>gefülltes Reagensglas ge-<lb/>bracht und durch raſche Be-<lb/>wegung der Nadel in der <lb/>Flüſſigkeit verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s444" xml:space="preserve">Ein <lb/>Tropfen dieſer infizierten <lb/>Gelatine wird nun ſofort <lb/>in ein zweites Reagensglas <lb/>gebracht und auf die obige Weiſe möglichſt gleichmäßig verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s445" xml:space="preserve"><lb/>Ein Tropfen dieſer zweiten Verdünnung wird nun ſofort in <lb/>einem dritten Reagensglaſe verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s446" xml:space="preserve">Die ſo erhaltenen drei <lb/>Verdünnungen werden ſchleunigſt in möglichſt gleichmäßiger <lb/>Schicht auf ſterile Glasplatten gegoſſen, welche, von einer gut <lb/>ſchließenden Glasglocke überdeckt, auf einer durch Eiswaſſer ge-<lb/>kühlten, möglichſt ebenen, durch Stellſchrauben zu regulierenden <lb/>Unterlage ruhen (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s447" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s448" xml:space="preserve">25). </s> <s xml:id="echoid-s449" xml:space="preserve">Sofort nach dem Erſtarren <pb o="32" file="040" n="40"/> der Gelatine bringt man die Platten in eine feuchte Kammer. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s450" xml:space="preserve">Nach einem oder mehreren Tagen ſind die bei der Impfung <lb/>übertragenen Keime zu Kolonien ausgewachſen, deren Zahl <lb/>natürlich auf der von der dritten Verdünnung gewonnenen <lb/>Platte am geringſten iſt. </s> <s xml:id="echoid-s451" xml:space="preserve">Da nun die meiſten Bakterien ein <lb/>durch Farbe und Geſtalt ganz eigentümliches, ſtets wiedererkenn-<lb/>bares Ausſehen ihrer Kolonien zeigen, ſo hat man nur nötig, <lb/>während man die Platte bei ſchwacher Vergrößerung betrachtet, <lb/>mittels der Platinnadel ein wenig Impfſtoff aus einer der von <lb/>der gewünſchten Bakterienart erzeugten Kolonien zu entnehmen <lb/>und auf einen geeigneten Nährboden zu übertragen, um eine <lb/>“Reinkultur” dieſer Art zu erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s452" xml:space="preserve">Sollte ſich die Kultur <lb/>dennoch als unrein erweiſen, ſo muß man natürlich das be-<lb/>ſchriebene Verfahren wiederholen.</s> </p> <div xml:id="echoid-div20" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-038-01" xlink:href="fig-038-01a"> <caption xml:id="echoid-caption5" xml:space="preserve">Fig. 22.<lb/>Fig. 22: Strichkultur des Friedländerſchen Pnenmonie-Kokkus (Vorderanſicht).</caption> <variables xml:id="echoid-variables3" xml:space="preserve">g c iv g</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-038-02" xlink:href="fig-038-02a"> <caption xml:id="echoid-caption6" xml:space="preserve">Fig. 23.<lb/>Fig. 23: Strichkultur des Tuberkelbacillus (Seitenanſicht).</caption> <variables xml:id="echoid-variables4" xml:space="preserve">c iv g</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-038-03" xlink:href="fig-038-03a"> <caption xml:id="echoid-caption7" xml:space="preserve">Fig. 24.<lb/>Fig. 24: Strichkultur (ſog. “Nagelkultur”) des Friedländerſchen Pneumonie-Kokkus.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-039-01" xlink:href="fig-039-01a"> <caption xml:id="echoid-caption8" xml:space="preserve">Fig. 25.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s453" xml:space="preserve">Trotz ihrer großen Vorzüge hat die Peptongelal<unsure/>ine doch <lb/>die früher gebräuchlichen Nährböden (Fleiſchbrühe, Kartoffel-<lb/>ſcheiben a.) </s> <s xml:id="echoid-s454" xml:space="preserve">nicht vollſtändig verdrängen können, denn gewiſſe <lb/>Bakterienarten zeigen, wenn ſie auf dem einen oder andern <lb/>dieſer Nährböden gezüchtet werden, ein ſo typiſches Ausſehen <lb/>ihrer Kolonien, daß ſie daran immer wiederzuerkennen ſind, ſo <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s455" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s456" xml:space="preserve">der Mikrokokkus prodigiosus und der Typhusbacillus <lb/>bei ihrem Wachstum auf Kartoffelſcheiben.</s> <s xml:id="echoid-s457" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s458" xml:space="preserve">Neben den oben beſchriebenen Nährböden findet noch die <lb/>Agar-Agar-Gallerte eine ausgedehnte Anwendung. </s> <s xml:id="echoid-s459" xml:space="preserve">Dieſelbe <lb/>wird ebenſo bereitet wie die gewöhnliche Peptongallerte; </s> <s xml:id="echoid-s460" xml:space="preserve">jedoch <lb/>anſtatt 5—10% gewöhnlicher Gelatine fügt man der Rind-<lb/>fleiſchbouillon etwa 1,5% Agar-Agar<anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> bei. </s> <s xml:id="echoid-s461" xml:space="preserve">Die ſo gewonnene Nährſubſtanz iſt zwar etwas trüb und nicht ſo durchſichtig wie <lb/>die gewöhnliche Gallerte, kann aber meiſt ebenſo wie letztere <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-040-01a" xlink:href="note-040-01"/> <pb o="33" file="041" n="41"/> verwendet werden und beſitzt außerdem den großen Vorzug, <lb/>daß ſie erſt bei 40—44° flüſſig wird.</s> <s xml:id="echoid-s462" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div21" type="float" level="2" n="2"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-040-01" xlink:href="note-040-01a" xml:space="preserve">Agar-Agar iſt der Handelsname für eine beſonders in Japan aus <lb/>Meeresalgen (Tangen) z. B. Gracilaria lichenoides und Gigartina <lb/>speciosa gewonnene Pflanzengelatine.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s463" xml:space="preserve">Wie früher erwähnt, liegt die günſtigſte Temperatur für das <lb/>Gedeihen der krank-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-041-01a" xlink:href="fig-041-01"/> heiterregenden Bak-<lb/>terien bei 37°. </s> <s xml:id="echoid-s464" xml:space="preserve">Da <lb/>nun die gewöhnliche <lb/>Gallerte ſchon bei <lb/>24—25° flüſſig <lb/>wird, ſo iſt ſie zum <lb/>Anlegen von Kolo-<lb/>nien krankheiterre-<lb/>gender (pathogener) <lb/>Organismen nicht <lb/>geeignet. </s> <s xml:id="echoid-s465" xml:space="preserve">Für letz-<lb/>teren Fall wendet <lb/>man deshalb meiſt <lb/>Agar-Agar-Gallerte <lb/>an.</s> <s xml:id="echoid-s466" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div22" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-041-01" xlink:href="fig-041-01a"> <caption xml:id="echoid-caption9" xml:space="preserve">Fig. 26.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s467" xml:space="preserve">Auch Blutſerum <lb/>liefert einen zum <lb/>Züchten pathogener <lb/>Arten ſehr brauch-<lb/>baren Nährboden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s468" xml:space="preserve">Man gewinnt das-<lb/>ſelbe aus dem beim <lb/>Schlachten größerer <lb/>Tiere aufgefangenen <lb/>Blute, welches man <lb/>zu dieſem Zweck vor Luftzutritt geſchützt im Eisſchrank ſtehen <lb/>läßt, bis die Scheidung von Serum und Blutkuchen ſtattge-<lb/>funden hat. </s> <s xml:id="echoid-s469" xml:space="preserve">Das über dem zu Boden geſunkenen Kuchen <lb/>ſtehende, klare Serum wird in Reagensgläſer gefüllt und bei</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s470" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s471" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s472" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s473" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="34" file="042" n="42"/> <p> <s xml:id="echoid-s474" xml:space="preserve">ſchräger Lage derſelben durch Erwärmen auf 65 bis 70° zum <lb/>Gerinnen (Coagulieren) gebracht. </s> <s xml:id="echoid-s475" xml:space="preserve">Auf dieſe Weiſe erhält man <lb/>einen ſchwach gelblichen, aber vollkommen durchſichtigen, eiweiß-<lb/>reichen Nährboden, der in der früher beſchriebenen Weiſe zu <lb/>Strichkulturen verwendet werden kann. </s> <s xml:id="echoid-s476" xml:space="preserve">Selbſtverſtändlich <lb/>müſſen hier, wie in früheren Fällen, ſämtliche Gefäße und <lb/>Apparate vor dem Gebrauch in geeigneter Weiſe ſteriliſiert <lb/>werden.</s> <s xml:id="echoid-s477" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s478" xml:space="preserve">Um Bakterien bei einer beſtimmten, ſtets gleichbleibenden <lb/>Temperatur zu züchten, bedient man ſich des Brutſchranks <lb/>(Vegetationskaſten, Thermoſtat. </s> <s xml:id="echoid-s479" xml:space="preserve">Vergl. </s> <s xml:id="echoid-s480" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s481" xml:space="preserve">26), eines aus <lb/>ſtarkem Blech gefertigten, mit Filz bekleideten, gut ſchließenden <lb/>Kaſtens, zwiſchen deſſen doppelten Wänden ſich eine Waſſer-<lb/>ſchicht befindet. </s> <s xml:id="echoid-s482" xml:space="preserve">Das Erwärmen des Kaſtens geſchieht mittels <lb/>eines für eine beliebige Temperatur genau einzuſtellenden, ſich <lb/>ſelbſt regulierenden Gasbrenners. </s> <s xml:id="echoid-s483" xml:space="preserve">Der zum Wachstum der <lb/>Kolonien nötige Sauerſtoff wird durch ein Syſtem von Röhren <lb/>zugeführt, deren Enden an der oberen Wand des Kaſtens ſicht-<lb/>bar ſind.</s> <s xml:id="echoid-s484" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div24" type="section" level="1" n="17"> <head xml:id="echoid-head21" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Das Bakterien-Mikroſkop.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s485" xml:space="preserve">Die außerordentliche Kleinheit der Bakterien und der Um-<lb/>ſtand, daß ſie lebende, zum Teil frei bewegliche Organismen <lb/>ſind, haben begreiflicherweiſe einen beſtimmenden Einfluß auf <lb/>die Hilfsmittel und den Gang ihrer mikroſkopiſchen Unterſuchung <lb/>ausgeübt. </s> <s xml:id="echoid-s486" xml:space="preserve">Auch hier mag nicht unerwähnt bleiben, daß es be-<lb/>ſonders <emph style="sp">Robert Koch</emph> geweſen iſt, der die Unzulänglichkeit der <lb/>früher gebräuchlichen Mikroſkope nachwies, und die Forderungen, <lb/>die man an ein für bakteriologiſche Unterſuchungen brauchbares <lb/>Mikroſkop ſtellen muß, genau formulierte. </s> <s xml:id="echoid-s487" xml:space="preserve">Die Kleinheit der <pb o="35" file="043" n="43"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-043-01a" xlink:href="fig-043-01"/> <pb o="36" file="044" n="44"/> Objekte erheiſcht zunächſt eine genügend ſtarke, 500—1000 fache <lb/>lineare Vergrößerung. </s> <s xml:id="echoid-s488" xml:space="preserve">Zunehmende Vergrößerung erfordert <lb/>aber notwendig ſtark gewölbte Objektivlinſen mit möglichſt ge-<lb/>ringer Brennweite. </s> <s xml:id="echoid-s489" xml:space="preserve">Damit aber die von den Lichtſtrahlen zu <lb/>durchlaufende Glasſchicht nicht zu dick wird und die Schärfe <lb/>des Bildes beeinträchtigt, müſſen ſtark vergrößernde Linſen eine <lb/>entſprechend kleinere Frontebene d. </s> <s xml:id="echoid-s490" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s491" xml:space="preserve">einen kleineren Umfang <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s492" xml:space="preserve">Je kleiner aber die dem Objekt zugewandte Linſen-<lb/>fläche iſt, deſto geringer iſt die Menge der in die Linſe ein-<lb/>fallenden Lichtſtrahlen, d. </s> <s xml:id="echoid-s493" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s494" xml:space="preserve">deſto mehr verliert das mikroſko-<lb/>piſche Bild an Helligkeit und Schärfe der Umriſſe. </s> <s xml:id="echoid-s495" xml:space="preserve">Hieraus <lb/>ergiebt ſich, daß die lineare Vergrößerung eine gewiſſe Grenze <lb/>nicht überſchreiten darf, ohne das Auflöſungsvermögen der <lb/>Linſen zu ſchädigen. </s> <s xml:id="echoid-s496" xml:space="preserve">Aber ſelbſt bei mäßig ſtarker Vergröße-<lb/>rung entſteht ein merklicher Lichtverluſt dadurch, daß die Licht-<lb/>ſtrahlen die zwiſchen Deckglas und Linſe befindliche Luftſchicht, <lb/>alſo ein dünneres Medium durchlaufen müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s497" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div24" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-043-01" xlink:href="fig-043-01a"> <caption xml:id="echoid-caption10" xml:space="preserve">Fig. 27.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s498" xml:space="preserve">Eine teilweiſe Beſeitigung dieſes Mangels erreicht man <lb/>dadurch, daß man an Stelle der Luft ein ſtärker brechendes <lb/>Medium, z. </s> <s xml:id="echoid-s499" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s500" xml:space="preserve">Waſſer einſchaltet (Immerſionsſyſtem). </s> <s xml:id="echoid-s501" xml:space="preserve">Noch <lb/>empfehlenswerter und für bakteriologiſche Unterſuchungen <lb/>geradezu unentbehrlich iſt die Anwendung der Ölimmerſion, <lb/>namentlich der von Abbe verbeſſerten ſogenannten “homogenen <lb/>Immerſion”. </s> <s xml:id="echoid-s502" xml:space="preserve">Das Weſentliche ihrer Anwendung beſteht darin, <lb/>daß die zwiſchen Objekt und Linſe befindliche Luftſchicht durch <lb/>eine gewiſſe Art von Cedernöl erſetzt wird, deſſen Brechungs-<lb/>exponent mit dem des Glaſes nahezu übereinſtimmt. </s> <s xml:id="echoid-s503" xml:space="preserve">Die von <lb/>dem Objekt ausgehenden Lichtſtrahlen verhalten ſich daher faſt <lb/>ebenſo, als ob ſie ein einziges gleichartiges (homogenes) Medium <lb/>durchliefen.</s> <s xml:id="echoid-s504" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s505" xml:space="preserve">Einen weiteren weſentlichen Teil des Bakterienmikroſkops <lb/>bildet der aus großen Konvexlinſen zuſammengeſetzte Kondenſor <lb/>(Abbe’ſcher Beleuchtungsapparat), welcher an Stelle der Blende <pb o="37" file="045" n="45"/> in den Objekttiſch eingeſetzt wird und einen breiten Lichtkegel <lb/>auf die Mitte des Geſichtsfeldes wirft. </s> <s xml:id="echoid-s506" xml:space="preserve">Hierdurch erſcheinen <lb/>alle durchſichtigen und durchſcheinenden Teile des Präparates <lb/>weſentlich heller, während die undurchſichtigen Teile des Objekts <lb/>ſich mit ſcharfen, dunklen Umriſſen vom hellen Geſichtsfelde ab-<lb/>heben. </s> <s xml:id="echoid-s507" xml:space="preserve">Die Anwendung des Kondenſors empfiehlt ſich alſo be-<lb/>ſonders bei der Unterſuchung von Gewebsſchnitten, in denen <lb/>die einzelnen Bakterien durch künſtliche Färbung undurchſichtig <lb/>gemacht ſind und ſich infolgedeſſen um ſo ſchärfer von den <lb/>umgebenden Gewebsteilen abgrenzen.</s> <s xml:id="echoid-s508" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div26" type="section" level="1" n="18"> <head xml:id="echoid-head22" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Die Unterſuchung der Bakterien unter dem</emph> <lb/><emph style="bf">Mikroſkop.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s509" xml:space="preserve">Auch die Art der Unterſuchung der Bakterien im lebenden <lb/>Zuſtande weicht von der gewöhnlichen Unterſuchungsmethode <lb/>hiſtologiſcher Objekte weſentlich ab. </s> <s xml:id="echoid-s510" xml:space="preserve">Solange man lebende <lb/>Bakterien in einem Flüſſigkeitstropfen (Bouillon, deſtilliertes <lb/>Waſſer) mit aufgelegtem Deckblatt beobachtete, war es ganz <lb/>unmöglich, genauen Aufſchluß über ihre Formen, die Art ihrer <lb/>Bewegung, Teilungsvorgänge a. </s> <s xml:id="echoid-s511" xml:space="preserve">zu erlangen. </s> <s xml:id="echoid-s512" xml:space="preserve">Die frei be-<lb/>weglichen Arten wimmelten wirr durcheinander, die unbeweglichen <lb/>wurden infolge der zur Beobachtung nötigen ſtarken Ver-<lb/>größerung durch die leiſeſte Berührung des Deckglaſes aus dem <lb/>Geſichtsfelde weggeſchwemmt, ein Übelſtand, der beſonders dann <lb/>zu Tage trat, wenn man das an der freien Luft unvermeidliche <lb/>Austrocknen der unter dem Deckglas befindlichen Flüſſigkeit <lb/>durch Zuſatz eines neuen Flüſſigkeitströpfchens verhindern wollte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s513" xml:space="preserve">Die einzige Möglichkeit, die geſchilderten Nachteile zu vermeiden, <pb o="38" file="046" n="46"/> bietet die Unterſuchung im “hängenden Tropfen”. </s> <s xml:id="echoid-s514" xml:space="preserve">Letzterer wird <lb/>dadurch hergeſtellt, daß man mittelſt einer vorher geglühten <lb/>Platinöſe einen etwa linſengroßen Tropfen der zu unterſuchenden <lb/>Flüſſigkeit auf ein Deckglas bringt, dieſes vorſichtig umkehrt <lb/>und auf die ausgeſchliffene Vertiefung eines ſogenannten “hohlen” <lb/>Objektträgers legt. </s> <s xml:id="echoid-s515" xml:space="preserve">Der kreisförmige Ausſchliff wird vorher <lb/>mit Vaſeline, Wachs oder einem andern luftabſchließenden Mittel <lb/>umrandet, ſodaß der Tropfen, vor Verdunſtung geſchützt, in die <lb/>Höhlung des Objektträgers hineinhängt. </s> <s xml:id="echoid-s516" xml:space="preserve">Sollen Bakterien unter-<lb/>ſucht werden, welche auf feſtem Nährboden gewachſen ſind, ſo <lb/>bringt man einen Tropfen Bouillon oder deſtilliertes Waſſer <lb/>auf das Deckglas, miſcht ihm eine Spur des bakterienhaltigen <lb/>Stoffes bei und verfährt wie oben.</s> <s xml:id="echoid-s517" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div27" type="section" level="1" n="19"> <head xml:id="echoid-head23" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Das Färben der Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s518" xml:space="preserve">Trotz ihrer großen Vorzüge hat die Unterſuchung im <lb/>hängenden Tropfen doch auch die Nachteile, daß die den einzelnen <lb/>Arten zukommenden, beſonderen Eigentümlichkeiten der Form nicht <lb/>genügend ſcharf hervortreten, und daß die ſo hergeſtellten Prä-<lb/>parate zu wenig haltbar und daher für vergleichende Unter-<lb/>ſuchungen nicht ausreichend ſind. </s> <s xml:id="echoid-s519" xml:space="preserve">Die Einführung der Färbe-<lb/>methoden, durch deren Anwendung es ſehr bald gelang Dauer-<lb/>präparate der verſchiedenen Bakterienarten herzuſtellen, iſt daher <lb/>einer der wichtigſten Fortſchritte der Baktcrienkunde. </s> <s xml:id="echoid-s520" xml:space="preserve">Die Farb-<lb/>ſtoffe ſind nicht bloß wichtige Unterſcheidungs- und Erkennungs-<lb/>mittel für die einzelnen Arten geworden, ſondern gewiſſe krank-<lb/>heiterregende Bakterien, deren Exiſtenz man früher nur ver-<lb/>mutete, ſind überhaupt erſt durch Färbung entdeckt worden.</s> <s xml:id="echoid-s521" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s522" xml:space="preserve">Abgeſehen von dem Extrakt des Campecheholzes (Häma- <pb o="39" file="047" n="47"/> toxylin) und dem aus den Cochenilleläuſen gewonnenen Carmin <lb/>benutzt man faſt ausſchließlich Anilinfarben. </s> <s xml:id="echoid-s523" xml:space="preserve">Seit ihrer erſten <lb/>Anwendung durch Weigert (1871) hat ſich die Kunſt des Färbens <lb/>derart vervollkommnet, daß die Anilinfarben ein unentbehrliches <lb/>Hilfsmittel der Bakterienforſchung geworden ſind. </s> <s xml:id="echoid-s524" xml:space="preserve">Die aus-<lb/>gedehnteſte Verwendung finden namentlich die folgenden: </s> <s xml:id="echoid-s525" xml:space="preserve">Gen-<lb/>tianaviolett, Methylviolett, Methylenblau, Fuchſin, Veſuvin, <lb/>Eoſin und Safranin.</s> <s xml:id="echoid-s526" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s527" xml:space="preserve">Daß die zur Färbung beſtimmten Präparate einer beſonderen <lb/>Vorbereitung bedürfen, braucht wohl kaum noch hervorgehoben <lb/>zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s528" xml:space="preserve">In den meiſten Fällen empfiehlt es ſich, folgendes <lb/>Verfahren anzuwenden: </s> <s xml:id="echoid-s529" xml:space="preserve">Man bringt mittels der Platinöſe ein <lb/>kleines Tröpfchen des zu färbenden Unterſuchungsmaterials auf <lb/>das Deckglas, verreibt es mittels der Öſe in gleichmäßig dünner <lb/>Schicht auf demſelben und läßt es vollkommen lufttrocken werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s530" xml:space="preserve">Das ſo vorbereitete Deckglas zieht man, die beſtrichene Seite <lb/>nach oben haltend, dreimal mäßig ſchnell durch die Flamme <lb/>eines Bunſen’ſchen Brenners, wodurch die Bakterien und ſämtliche <lb/>eiweißhaltigen Subſtanzen auf dem Deckglas fixiert werden. </s> <s xml:id="echoid-s531" xml:space="preserve"><lb/>Hierauf bringt man mittels eines Tropfenzählers einige Tropfen <lb/>der verdünnten alkoholiſchen Farblöſung auf das Deckglas, läßt <lb/>dieſelbe eine halbe bis eine Minute einwirken, ſpült dann mit <lb/>deſtilliertem Waſſer ab und kann das ſo hergeſtellte Präparat <lb/>in der gewöhnlichen Weiſe in Waſſer oder, nachdem es luft-<lb/>trocken geworden, auch in Canadabalſam beobachten.</s> <s xml:id="echoid-s532" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div28" type="section" level="1" n="20"> <head xml:id="echoid-head24" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Nachweis und Zählung von Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s533" xml:space="preserve">Um Bakterien im Gewebe des Körpers nachzuweiſen, muß <lb/>man letzteres in feine Schnitte zerlegen. </s> <s xml:id="echoid-s534" xml:space="preserve">Ein etwa 1 Kubik-<lb/>centimeter großes, möglichſt friſches Gewebeſtück wird zu dieſem <pb o="40" file="048" n="48"/> Zweck zwei Tage lang in abſolutem Alkohol gehärtet und dann <lb/>mittels eines ſogenannten Mikrotoms in feine Schnitte zerlegt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s535" xml:space="preserve">In vielen Fällen genügt es, wenn die letzteren nach folgendem <lb/>Verfahren einfach gefärbt werden: </s> <s xml:id="echoid-s536" xml:space="preserve">Man legt den Schnitt etwa <lb/>fünf Minuten in die verdünnte alkoholiſche Farblöſung, wäſcht <lb/>den überſchüſſigen Farbſtoff mittels ſtark verdünnter Eſſigſäure <lb/>aus, entzieht das eingedrungene Waſſer durch längeres Ein-<lb/>tauchen des Schnittes in Alkohol und legt ihn dann zur Auf-<lb/>hellung in Cedernöl — oder noch beſſer Origanumöl — und <lb/>ſchließt ihn in Canadabalſam ein.</s> <s xml:id="echoid-s537" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s538" xml:space="preserve">Um Bakterien im Gewebe noch deutlicher hervortreten zu <lb/>laſſen, empfiehlt es ſich in manchen Fällen Doppelfärbung an-<lb/>zuwenden. </s> <s xml:id="echoid-s539" xml:space="preserve">Zu dieſem Zweck färbt man das Gewebe zunächſt <lb/>mittels Karmin oder Safranin, wäſcht den überſchüſſigen <lb/>Farbſtoff aus und läßt dann erſt eine ſpezielle Bakterienfarbe <lb/>(z. </s> <s xml:id="echoid-s540" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s541" xml:space="preserve">Gentianaviolett) einwirken.</s> <s xml:id="echoid-s542" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s543" xml:space="preserve">Bei der außerordentlichen Verbreitung der Mikroorga-<lb/>nismen iſt es von höchſtem Intereſſe ſowohl die Menge als <lb/>auch die Arten der in den uns umgebenden Medien (Luft, <lb/>Boden, Waſſer) vorkommenden Bakterien kennen zu lernen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s544" xml:space="preserve">Waſſerproben müſſen ſelbſtverſtändlich mittels ſteriliſierter Ge-<lb/>fäße entnommen und möglichſt ſofort unterſucht werden, um <lb/>einen durch nachträgliche Vermehrung der Keime entſtehenden <lb/>Irrtum zu vermeiden. </s> <s xml:id="echoid-s545" xml:space="preserve">Um die Zahl der in einer Waſſerprobe <lb/>enthaltenen Keime feſtzuſtellen, bringt man mittels einer ſterili-<lb/>ſierten Pipette je 1 Kubikcentimeter und {1/2} Kubikcentimeter in <lb/>Reagensgläſer, die mit der gleichen Menge flüſſiger Pepton-<lb/>gelatine gefüllt ſind, erzeugt durch Schütteln eine gleichmäßige <lb/>Miſchung, gießt beide Proben in der früher beſchriebenen Weiſe <lb/>auf Glasplatten aus und bringt letztere in eine feuchte Kammer. </s> <s xml:id="echoid-s546" xml:space="preserve"><lb/>Nach einigen Tagen zählt man mittels der Lupe die entſtandenen <lb/>Kolonien. </s> <s xml:id="echoid-s547" xml:space="preserve">Zu dieſem Zweck legt man die Platten auf eine <lb/>durch Einritzen in kleine Quadrate geteilte, ſchwarze Glas- <pb o="41" file="049" n="49"/> platte, zählt eine größere Anzahl von Quadraten aus und <lb/>nimmt das Mittel. </s> <s xml:id="echoid-s548" xml:space="preserve">Die Herſtellung zweier Platten dient zur <lb/>gegenſeitigen Kontrolle; </s> <s xml:id="echoid-s549" xml:space="preserve">denn die Anzahl der Kolonien muß <lb/>auf einer der Platten doppelt ſo groß ſein wie auf der andern.</s> <s xml:id="echoid-s550" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s551" xml:space="preserve">Leider hat dieſe Unterſuchungsmethode verſchiedene Mängel. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s552" xml:space="preserve">Einer derſelben beſteht darin, daß ſich die Gelatine nicht in <lb/>ganz gleichmäßig ſtarker Schicht auf der Glasplatte verteilen <lb/>läßt; </s> <s xml:id="echoid-s553" xml:space="preserve">hierdurch geſchieht es, daß an den Stellen, wo die <lb/>Gelatineſchicht dick iſt, einzelne Keime ſo tief eingebettet werden, <lb/>daß ſie wegen mangelnden Zutritts der Luft nicht zur Ent-<lb/>wicklung kommen, während die Keime, welche an ſolchen Stellen <lb/>liegen, wo die Gelatineſchicht dünn iſt, oft mangelhaft ernährt <lb/>werden und infolgedeſſen ſo kleine Kolonien bilden, daß man <lb/>ſie beim Zählen mit der Lupe leicht überſehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s554" xml:space="preserve">Da ſich <lb/>im Waſſer ohnedies eine größere Anzahl von Bakterienarten <lb/>finden, welche die Gelatine verflüſſigen, ſo kann man die <lb/>Plattenkulturen nur bei Zimmertemperatur ſtehen laſſen; </s> <s xml:id="echoid-s555" xml:space="preserve">die <lb/>Folge davon iſt, daß etwa vorhandene krankheitserregende <lb/>Arten, welche zu ihrem Gedeihen größerer Wärme bedürfen, <lb/>nicht zur Entwicklung kommen. </s> <s xml:id="echoid-s556" xml:space="preserve">Da man die Platten wegen <lb/>derjenigen Arten, welche die Gelatine verflüſſigen, und dadurch <lb/>leicht ein Zuſammenfließen benachbarter Kolonien bewirken, <lb/>ſchon nach 3—4 Tagen unterſuchen muß, ſo findet man aus <lb/>dieſem Grunde die Anzahl der Keime kleiner als ſie in <lb/>Wirklichkeit iſt, weil die langſam wachſenden Arten erſt nach <lb/>mehr als 4 Tagen Kolonien bilden, welche bei der für die <lb/>Zählung nötigen, ſchwachen Vergrößerung ſichtbar ſind. </s> <s xml:id="echoid-s557" xml:space="preserve">Ein <lb/>weiterer Grund, welcher die Anzahl der Keime zu gering er-<lb/>ſcheinen läßt, liegt darin, daß manche ſcheinbar aus einem Keim <lb/>entſtandenen Kolonien aus mehreren nahe bei einander liegenden <lb/>Keimen entſtanden ſein können.</s> <s xml:id="echoid-s558" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s559" xml:space="preserve">Die Zahl der im Waſſer enthaltenen Keime iſt ſelbſtver-<lb/>ſtändlich nach Zeit und Ort verſchieden. </s> <s xml:id="echoid-s560" xml:space="preserve">Im Sommer iſt <pb o="42" file="050" n="50"/> ſie größer als im Winter. </s> <s xml:id="echoid-s561" xml:space="preserve">In ſtehendem Waſſer iſt ſie größer <lb/>als in fließendem, weil letzteres infolge der Bewegung ſich <lb/>fortwährend mit Sauerſtoff miſcht. </s> <s xml:id="echoid-s562" xml:space="preserve">Hierdurch werden die im <lb/>Waſſer vorhandenen organiſchen Stoffe ſchneller oxydiert, und <lb/>gehen ſchließlich in ſauer reagierende Verbindungen über, die, <lb/>wie früher erwähnt, zur Ernährung der meiſten Bakterien nicht <lb/>geeignet ſind. </s> <s xml:id="echoid-s563" xml:space="preserve">Die aus größeren Städten ſtammenden, mit <lb/>organiſchen Stoffen verunreinigten Abwäſſer ſteigern natürlich <lb/>die Zahl der im Flußwaſſer enthaltenen Bakterien ganz <lb/>bedeutend. </s> <s xml:id="echoid-s564" xml:space="preserve">So fand z. </s> <s xml:id="echoid-s565" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s566" xml:space="preserve">Frank 1887 im Spreewaſſer ober-<lb/>halb Berlins 6140 Keime auf 1 Kubikcentimeter, während <lb/>unterhalb Berlins dieſe Zahl auf 243 000 angewachſen iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s567" xml:space="preserve">Wenn auch glücklicherweiſe faſt ſämtliche im Waſſer vor-<lb/>kommenden Arten für den Menſchen unſchädlich ſind, ſo iſt <lb/>doch andrerſeits ſchon mehrfach der Typhusbacillus im Trink-<lb/>waſſer nachgewieſen worden; </s> <s xml:id="echoid-s568" xml:space="preserve">auch hat Koch den Cholera-<lb/>bacillus in einem Indiſchen Teich aufgefunden, aus welchem <lb/>die Umwohner ihr Nutzwaſſer zu entnehmen pflegten.</s> <s xml:id="echoid-s569" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s570" xml:space="preserve">Schließlich mag hier noch erwähnt werden, daß die bak-<lb/>terioſkopiſchen Unterſuchungen des Waſſers die ehemals geltenden <lb/>Anſichten über die Brauchbarkeit eines Trink- und Nutzwaſſers <lb/>weſentlich umgeſtaltet haben. </s> <s xml:id="echoid-s571" xml:space="preserve">Da, wie oben erwähnt, ſelbſt <lb/>das als chemiſch rein geltende deſtillierte Waſſer der Labora-<lb/>torien meiſt Bakterien enthält, ſo kann die früher übliche che-<lb/>miſche Unterſuchung allein keinen vollſtändigen Aufſchluß über <lb/>die Brauchbarkeit eines Trinkwaſſers geben; </s> <s xml:id="echoid-s572" xml:space="preserve">denn ſelbſt ein <lb/>nahezu chemiſch reines Waſſer kann wegen der darin enthal-<lb/>tenen Bakterien für den menſchlichen Haushalt durchaus unge-<lb/>eignet ſein, während ein chemiſch weniger reines, aber bakterien-<lb/>freies oder mindeſtens von krankheiterregenden Bakterien freies <lb/>Waſſer vollſtändig brauchbar ſein kann.</s> <s xml:id="echoid-s573" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s574" xml:space="preserve">Wenn ſchon die bakterioſkopiſchen Unterſuchungsmethoden <lb/>des Waſſers als mangelhaft bezeichnet werden mußten, ſo gilt <pb o="43" file="051" n="51"/> dies vielleicht in noch höherem Grade von den Methoden zur <lb/>Unterſuchung der uns umgebenden Luft.</s> <s xml:id="echoid-s575" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div29" type="section" level="1" n="21"> <head xml:id="echoid-head25" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Unterſuchung der Luft auf Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s576" xml:space="preserve">Da die Bakterien an ihrem Nährboden feſthaften, ſo iſt <lb/>ihr Vorkommen in der Luft nur dadurch zu erklären, daß der <lb/>Nährboden vertrocknet, infolgedeſſen verſtäubt, und die Bakterien <lb/>auf dieſe Weiſe von der Luftſtrömung fortgeführt werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s577" xml:space="preserve">Weil aber viele Arten das Austrocknen nicht vertragen können, <lb/>ſo iſt glücklicherweiſe die Zahl der in der Luft enthaltenen <lb/>lebensfähigen Keime eine verhältnismäßig geringe; </s> <s xml:id="echoid-s578" xml:space="preserve">ſie beträgt <lb/>in der Regel nicht mehr als 5 auf 1 Liter Luft.</s> <s xml:id="echoid-s579" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s580" xml:space="preserve">Mit zunehmender Erhebung über den Meeresſpiegel und <lb/>mit zunehmender Entfernung von bewohnten Orten nimmt <lb/>dieſe Zahl ſtetig ab; </s> <s xml:id="echoid-s581" xml:space="preserve">auf hohen Bergen und auf offenem <lb/>Meere iſt die Luft bakterienfrei. </s> <s xml:id="echoid-s582" xml:space="preserve">Von krankheitserregenden <lb/>Arten iſt bis jetzt nur der den gelben Eiter erzeugende <lb/>Staphylococcus pyogenes aureus in der Luft gefunden <lb/>worden.</s> <s xml:id="echoid-s583" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s584" xml:space="preserve">Von den zur Zeit angewandten Luftunterſuchungs-Methoden <lb/>iſt jedenfalls die Heſſe’ſche eine der beſten. </s> <s xml:id="echoid-s585" xml:space="preserve">Dieſelbe beſteht <lb/>darin, daß man meßbare Mengen von Luft langſam über eine <lb/>größere Fläche von Nährgelatine ſtreichen läßt, die letztere dann <lb/>von der umgebenden Luft abſchließt und die nach einigen <lb/>Tagen entſtandenen Kolonien zählt. </s> <s xml:id="echoid-s586" xml:space="preserve">Da jede Kolonie einem <lb/>Keime entſpricht, ſo kann man hiernach mit annähernder <lb/>Sicherheit die in 1 Liter Luft enthaltenen Keime ſchätzen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s587" xml:space="preserve">Der hierbei verwendete Apparat (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s588" xml:space="preserve">umſtehende Fig. </s> <s xml:id="echoid-s589" xml:space="preserve">28) <lb/>beſteht aus einem etwa {2/3} Meter langen und etwa 4 Meter <pb o="44" file="052" n="52"/> weiten Glasrohr und einem Aſpirator. </s> <s xml:id="echoid-s590" xml:space="preserve">Das Glasrohr iſt an <lb/>dem einen Ende durch 2 über einander geſpannte Kautſchuk-<lb/>kappen verſchloſſen, von denen die innere eine centrale Öffnung <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-052-01a" xlink:href="fig-052-01"/> von etwa 2 Centi-<lb/>meter Durchmeſſer <lb/>beſitzt. </s> <s xml:id="echoid-s591" xml:space="preserve">Das andere <lb/>Ende iſt mittels <lb/>eines Kautſchuk-<lb/>pfropfens verſchloſ-<lb/>ſen, durch deſſen <lb/>centrale Durchboh-<lb/>rung ein enges, <lb/>etwa 15 Centimeter <lb/>langes Glasrohr in <lb/>den Hohlraum des <lb/>zweiten Rohres hin-<lb/>eingeführt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s592" xml:space="preserve">Das <lb/>enge Glasrohr iſt <lb/>ſowohl au dieſem <lb/>Ende als auch in <lb/>der Mitte durch <lb/>einen Pfropf aus <lb/>Schießbaumwolle <lb/>verſtopft. </s> <s xml:id="echoid-s593" xml:space="preserve">Das freie <lb/>Ende des engen <lb/>Rohres wird mit <lb/>dem Aſpirator ver-<lb/>bunden. </s> <s xml:id="echoid-s594" xml:space="preserve">Nachdem <lb/>der ganze Apparat ſteriliſiert worden iſt, füllt man unter <lb/>Lüftung des Kautſchukpfropfens eine entſprechende Menge <lb/>Peptongelatine in das weite Glasrohr, verſchließt dasſelbe <lb/>ſofort und ſteriliſiert die Gelatine nochmals innerhalb des <lb/>Glasrohres. </s> <s xml:id="echoid-s595" xml:space="preserve">Während die Gelatine noch dünnflüſſig iſt, ver- <pb o="45" file="053" n="53"/> teilt man ſie durch Rollen des Rohres in möglichſt gleich-<lb/>mäßiger Schicht auf deſſen Wandungen und kühlt dabei <lb/>das Rohr unter dem Strahl der Waſſerleitung ſo weit ab, <lb/>daß die Gelatine zähflüſſig wird. </s> <s xml:id="echoid-s596" xml:space="preserve">Hierauf legt man das Rohr <lb/>wagerecht hin, damit bis zum vollſtändigen Erſtarren ein <lb/>kleiner Teil der Gelatine noch Zeit hat an der Wandung <lb/>herabzufließen und auf dem Boden eine etwas dickere, gleich-<lb/>mäßige Schicht zu bilden. </s> <s xml:id="echoid-s597" xml:space="preserve">Wenn der Apparat in Thätigkeit <lb/>treten ſoll, ſo wird das weite Rohr in horizontaler Lage auf <lb/>einem Geſtell befeſtigt, die äußere der beiden Gummikappen <lb/>abgenommen, und mittelſt des Aſpirators langſam Luft hin-<lb/>durchgeſogen. </s> <s xml:id="echoid-s598" xml:space="preserve">Den Aſpirator kann man ſich ſehr leicht dadurch <lb/>herſtellen, daß man, wie es Figur 28 zeigt, zwei Literflaſchen <lb/>hierzu benützt, von denen die eine bei Beginn des Verſuches <lb/>mit Waſſer gefüllt und etwa {1/2} Meter höher aufgehängt wird <lb/>als die andere. </s> <s xml:id="echoid-s599" xml:space="preserve">Wenn man nun nach dem Prinzip des Saug-<lb/>hebers das Waſſer aus der oberen in die untere Flaſche <lb/>fließen läßt, ſo tritt der Aſpirator in Thätigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s600" xml:space="preserve">Sobald <lb/>ſämtliches Waſſer in die untere Flaſche gefloſſen iſt, vertauſcht <lb/>man die Flaſchen und kann auf dieſe Weiſe jedesmal einen <lb/>Liter Luft durch das weite Glasrohr hindurchſaugen.</s> <s xml:id="echoid-s601" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div29" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-052-01" xlink:href="fig-052-01a"> <caption xml:id="echoid-caption11" xml:space="preserve">Fig. 28.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s602" xml:space="preserve">Wie bereits oben angedeutet wurde, hat auch dieſe Unter-<lb/>ſuchungsmethode weſentliche Mängel. </s> <s xml:id="echoid-s603" xml:space="preserve">Der Umſtand, daß zahl-<lb/>reiche Keime bis an das Ende des Glasrohrs gelangen, ehe <lb/>ſie niederfallen, macht es zur Gewißheit, daß viele Keime <lb/>überhaupt nicht auf die Gelatine niederfallen. </s> <s xml:id="echoid-s604" xml:space="preserve">Ferner ſind <lb/>an dem Ende, wo die Luft eintritt, die Kolonien häufig ſo <lb/>dicht gedrängt, daß die Zählung derſelben ſehr ſchwierig und <lb/>ungenau wird. </s> <s xml:id="echoid-s605" xml:space="preserve">Um auch die Keime zu berückſichtigen, welche <lb/>ohne niederzufallen das weite Glasrohr paſſiert haben, werden <lb/>die Schießbaumwollenbänſche in Äther aufgelöſt und die in <lb/>dieſer Löſung etwa enthaltenen Keime gezählt.</s> <s xml:id="echoid-s606" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s607" xml:space="preserve">Wie aus den von Miquel (auf dem Montſouris bei Paris) <pb o="46" file="054" n="54"/> und namentlich aus den von Emil <emph style="sp">Chr. Hanſen</emph> (in Alt-Carls-<lb/>berg bei Kopenhagen) angeſtellten Unterſuchungen hervorgeht, <lb/>ſind die Arten der in der Luft ſchwebenden Mikroorganismen <lb/>ſchon an wenige Meter von einander entfernten Orten weſent-<lb/>lich verſchieden, ſo daß man, um ein einigermaßen genaues <lb/>Reſultat zu erlangen, mehrere Apparate zu gleicher Zeit in <lb/>Thätigkeit ſetzen muß.</s> <s xml:id="echoid-s608" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div31" type="section" level="1" n="22"> <head xml:id="echoid-head26" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Unterſuchung des Bodens auf Bakterien.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s609" xml:space="preserve">Am wenigſten vollkommen ſind zur Zeit noch die <emph style="sp">Boden-</emph> <lb/><emph style="sp">unterſuchungs-Methoden</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s610" xml:space="preserve">Während ſich eine zu unterſuchende <lb/>Waſſerprobe verhältnismäßig leicht mit der als Nährboden <lb/>dienenden Gelatine miſchen läßt, iſt dies mit den bedeutend <lb/>ſchwereren Bodenteilchen nicht ſo leicht möglich. </s> <s xml:id="echoid-s611" xml:space="preserve">Am beſten <lb/>läßt ſich dies noch nach dem v. </s> <s xml:id="echoid-s612" xml:space="preserve"><emph style="sp">Esmarch</emph>‘ſchen Verfahren er-<lb/>reichen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s613" xml:space="preserve">29). </s> <s xml:id="echoid-s614" xml:space="preserve">Dasſelbe beſteht darin, daß man eine be-<lb/>ſtimmte Menge der betreffenden Bodenprobe in ein zu ein <lb/>Viertel mit flüſſiger Nährgelatine gefülltes Reagensglas <lb/>ſchüttet und durch ſchnelles Umrühren mittels der Platinöſe <lb/>verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s615" xml:space="preserve">Das Glas wird nun ſofort mit einem ſterilen Watte-<lb/>bauſch verſtopft, über welchen man eine ſterile Kautſchukkappe <lb/>ſpannt. </s> <s xml:id="echoid-s616" xml:space="preserve">Indem man nun das Röhrchen in wagerechter Haltung <lb/>unter dem Strahl der Waſſerleitung oder in Eiswaſſer raſch <lb/>dreht, erreicht man, daß die Gelatine in nahezu gleichmäßig <lb/>dicker Schicht an den Wandungen erſtarrt. </s> <s xml:id="echoid-s617" xml:space="preserve">Nach einigen <lb/>Tagen ſind die lebensfähigen Keime zu Kolonien ausgewachſen, <lb/>deren Zahl man mittels des obenſtehend abgebildeten Zähl-<lb/>apparats beſtimmt. </s> <s xml:id="echoid-s618" xml:space="preserve">Letzterer beſteht aus einer zur Aufnahme <lb/>des Reagensglaſes dienenden, wagerechten Metallhülſe, welche <pb o="47" file="055" n="55"/> mit Ausſchnitten von bekannter Größe verſehen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s619" xml:space="preserve">In ſämt-<lb/>lichen Ausſchnitten werden nun die bei Unterlegung einer <lb/>ſchwarzen Platte deutlich hervortretenden Kolonien gezählt. </s> <s xml:id="echoid-s620" xml:space="preserve">Der <lb/>hieraus entnommene Mittelwert giebt mit annähernder Sicher-<lb/>heit die Anzahl der Keime.</s> <s xml:id="echoid-s621" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s622" xml:space="preserve">Zur Kontrolle dient ein mit der Hälfte der oben ver-<lb/>wendeten Bodenmenge infiziertes Reagensglas, welches natür-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-055-01a" xlink:href="fig-055-01"/> lich nur etwa die Hälfte der oben angeführten Keime ent-<lb/>halten darf.</s> <s xml:id="echoid-s623" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div31" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-055-01" xlink:href="fig-055-01a"> <caption xml:id="echoid-caption12" xml:space="preserve">Fig. 29.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s624" xml:space="preserve">Ein anderes zur Bodenunterſuchung dienendes Verfahren <lb/>beſteht darin, daß 1 kbcm der betreffenden, lufttrocken ge-<lb/>machten Bodenprobe in einer ſteriliſierten Reibſchale mittels <lb/>eines ſteriliſierten Piſtills fein zerrieben wird. </s> <s xml:id="echoid-s625" xml:space="preserve">Dieſer feine <lb/>Staub wird nun mittels eines ſteriliſierten Skalpells in mög-<lb/>lichſt dünner Schicht auf eine oder zwei unter der Glasglocke <pb o="48" file="056" n="56"/> des früher beſchriebenen Eis-Kühlapparats liegende, mit <lb/>flüſſiger Gelatine bedeckte Glasplatten geſtreut, welche man <lb/>nach dem Erſtarren der Gelatine in eine feuchte Kammer bringt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s626" xml:space="preserve">Die Zahl der Kolonien wird auf dieſelbe Weiſe wie bei Waſſer-<lb/>unterſuchungen feſtgeſtellt.</s> <s xml:id="echoid-s627" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s628" xml:space="preserve">Zur Kontrolle empfiehlt es ſich, eine gleiche Menge der <lb/>betreffenden Bodenprobe auf eine ebenſo große Gelatinefläche <lb/>zu ſtreuen und dieſelbe dann mit einer Glimmerplatte zu <lb/>bedecken. </s> <s xml:id="echoid-s629" xml:space="preserve">Durch den ſomit bewirkten Luftabſchluß erreicht <lb/>man, daß auch die Keime der die Luft nicht vertragenden <lb/>(“anaeroben”) Arten zu größeren, deutlich ſichtbaren Kolonien <lb/>auswachſen.</s> <s xml:id="echoid-s630" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s631" xml:space="preserve">Leider ſind Bodenunterſuchungen bisher in ſo geringem <lb/>Umfange angeſtellt worden, daß über dieſe Verhältniſſe noch <lb/>kein abſchließendes Urteil möglich iſt; </s> <s xml:id="echoid-s632" xml:space="preserve">ſoviel ſteht jedoch feſt, <lb/>daß die Anzahl der Keime in den oberſten Bodenſchichten am <lb/>größten iſt und nach untenhin ſchnell abnimmt. </s> <s xml:id="echoid-s633" xml:space="preserve">Da die Keime <lb/>nur mit dem von der Oberfläche eindringenden Waſſer hin-<lb/>untergeſchwemmt werden können, ſo folgt hieraus, daß der <lb/>Boden ein gutes Filter bildet, um Bakterien zurückzuhalten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s634" xml:space="preserve">Eine praktiſche Anwendung findet dieſe Thatſache in den zur <lb/>Reinigung des Leitungswaſſers der meiſten Städte dienenden <lb/>großen Filterbecken. </s> <s xml:id="echoid-s635" xml:space="preserve">Ferner erklärt es ſich hieraus, daß Quell-<lb/>waſſer, wenn es aus genügender Tiefe kommt, immer bakterien-<lb/>frei iſt, vorausgeſetzt natürlich, daß es an der Ausflußſtelle <lb/>nicht durch ſeitliche Zuflüſſe aus den oberen Bodenſchichten <lb/>verunreinigt wird.</s> <s xml:id="echoid-s636" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="49" file="057" n="57"/> </div> <div xml:id="echoid-div33" type="section" level="1" n="23"> <head xml:id="echoid-head27" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVIII. Bemühungen, die durch Bakterien ver-</emph> <lb/><emph style="bf">aulaßten Krankheiten zu heilen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s637" xml:space="preserve">Wir haben ſchon darauf aufmerkſam gemacht, daß die <lb/>Bakterien Stoffwechſelprodukte erzeugen, die ihnen ſelbſt ſchädlich <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s638" xml:space="preserve">Es iſt das nun etwa keine beſondere und beſonders merk-<lb/>würdige Eigentümlichkeit der Bakterien allein, denn ſie iſt in <lb/>den Lebensprozeſſen <emph style="sp">aller</emph> lebenden Weſen begründet. </s> <s xml:id="echoid-s639" xml:space="preserve">Produkte, <lb/>welche die Organismen z. </s> <s xml:id="echoid-s640" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s641" xml:space="preserve">von ſich geben, damit beweiſend, <lb/>daß ſie ſie nicht gebrauchen können, ſind ihnen dieſer Sachlage <lb/>nach <emph style="sp">naturgemäß</emph> ſchädlich. </s> <s xml:id="echoid-s642" xml:space="preserve">Was aber dem einen Weſen <lb/>ſchädlich iſt, braucht es für ein anders gebautes Weſen nicht <lb/>zu ſein. </s> <s xml:id="echoid-s643" xml:space="preserve">Um ein ganz bekanntes Beiſpiel zu wählen, iſt ja <lb/>die von den Tieren und dem Menſchen als Produkt der <lb/>Atmung ausgeſchiedene Kohlenſäure die wichtigſte Nahrung <lb/>der Pflanzen, wird alſo von dieſen begierig aufgenommen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s644" xml:space="preserve">Denken wir uns nun die von den Bakterien gebildeten Stoff-<lb/>wechſelprodukte dem Nährboden der Bakterien zugefügt, ſo <lb/>müſſen dieſe kleinſten Organismen ebenſo in ihren Lebens-<lb/>thätigkeiten leiden und ſchließlich zu Grunde gehen, wie der <lb/>Menſch erkranken und ſchließlich ſterben würde, dem wir die <lb/>von ihm ausgeſchiedene Kohlenſäure in außergewöhnlicher <lb/>Menge zuführen wollten. </s> <s xml:id="echoid-s645" xml:space="preserve">Auf dieſem Prinzip beruht die <lb/><emph style="sp">Koch</emph>‘ſche Methode zur Heilung der Schwindſucht.</s> <s xml:id="echoid-s646" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s647" xml:space="preserve">Es gelingt auf zwei verſchiedenen Wegen, Tiere reſp. </s> <s xml:id="echoid-s648" xml:space="preserve">den <lb/>Menſchen gegen die Einwirkung krankheiterregender Bakterien <lb/>zu feſtigen. </s> <s xml:id="echoid-s649" xml:space="preserve">Der eine, durch die großartigen Verſuche von <lb/>Paſteur erſchloſſene, bedient ſich künſtlich abgeſchwächter Kul-<lb/>turen der anſteckenden Bakterien ſelbſt, deren Entwickelung im <lb/>empfänglichen Körper die natürliche Widerſtandskraft erhöht <lb/>und ihn ſo “<emph style="sp">ſchutzimpft</emph>“. </s> <s xml:id="echoid-s650" xml:space="preserve">Das andere durch die Experimente <lb/>von <emph style="sp">Salmon</emph> und <emph style="sp">Smith, Chamberland</emph> und <emph style="sp">Roux</emph>,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s651" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s652" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s653" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s654" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="50" file="058" n="58"/> <p> <s xml:id="echoid-s655" xml:space="preserve"><emph style="sp">Beumer</emph> und <emph style="sp">Peiper</emph> u. </s> <s xml:id="echoid-s656" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s657" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s658" xml:space="preserve">begründete Verfahren ver-<lb/>pflanzt nicht die Bakterien ſelbſt, ſondern nur ihre keimfreien <lb/>Stoffwechſelprodukte und kommt ſo zum Ziele. </s> <s xml:id="echoid-s659" xml:space="preserve">Grundſätzlich <lb/>ſind dieſe Methoden einander wohl nahe verwandt, denn auch <lb/>die abgeſchwächten Bakterien können wohl kaum anders als <lb/>eben durch ihre Stoffwechſelprodukte, denen die ſchützende <lb/>Fähigkeit innewohnt, eine Wirkung ausüben. </s> <s xml:id="echoid-s660" xml:space="preserve">Der ganze <lb/>Unterſchied beruht alſo allein darauf, daß im einen Falle die <lb/>Stoffwechſelprodukte im Körper erzeugt, das andere Mal dem-<lb/>ſelben fertig gebildet zugeführt werden.</s> <s xml:id="echoid-s661" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div34" type="section" level="1" n="24"> <head xml:id="echoid-head28" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIX. Koch’s Heilmethode der Schwindſucht.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s662" xml:space="preserve">Bei dem allgemeinſten Intereſſe, das überall die Robert <lb/><emph style="sp">Koch</emph>‘ſche Heilmethode der Tuberkuloſe gefunden hat, gehen <lb/>wir noch näher auf dieſen Gegenſtand ein. </s> <s xml:id="echoid-s663" xml:space="preserve">Nichts auf medi-<lb/>ziniſchem Gebiete hat im Verlaufe des letzten Jahrzehnts die <lb/>Geiſter des ganzen Erdballes ſo ſehr erregt, wie eine Mit-<lb/>teilung, welche <emph style="sp">Robert Koch</emph> auf dem 10. </s> <s xml:id="echoid-s664" xml:space="preserve">internationalen <lb/>mediziniſchen Kongreß am 4. </s> <s xml:id="echoid-s665" xml:space="preserve">Auguſt 1890 in Berlin machte, <lb/>nichts weniger betreffend, als die Andeutung eines Mittels zur <lb/>Heilung der Tuberkuloſe, an der bekanntlich ungefähr {1/7} aller <lb/>Menſchen zu Grunde geht.</s> <s xml:id="echoid-s666" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s667" xml:space="preserve">Dieſe allgemeinſte Beachtung, welche <emph style="sp">Koch</emph>‘s Worte fanden <lb/>— ſie wurden Tagesgeſpräch, wie es ſonſt nur die einſchnei-<lb/>dendſte politiſche Begebenheit zu werden vermag — floß aus <lb/>zwei Quellen. </s> <s xml:id="echoid-s668" xml:space="preserve">Einerſeits nämlich mußten Bemerkungen der <lb/>angedeuteten Art aus dem Munde eines Mannes wie <emph style="sp">Koch</emph>, <lb/>dem die Wiſſenſchaft gediegenſte und fruchtbarſte Unterſuchungen <lb/>verdankt, von welchem dieſe nur die gewiſſenhafteſten Arbeiten <pb o="51" file="059" n="59"/> zu ſehen gewohnt war, wieder die Blicke aller Forſcher auf <lb/>ihn lenken. </s> <s xml:id="echoid-s669" xml:space="preserve">Andrerſeits war aber die geſamte Menſchheit be-<lb/>teiligt, da die neueſte Forſchung <emph style="sp">Koch</emph>‘s unmittelbar das prak-<lb/>tiſche Leben anging: </s> <s xml:id="echoid-s670" xml:space="preserve">handelte es ſich doch um das eigenſte <lb/>Wohl und Wehe Aller.</s> <s xml:id="echoid-s671" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s672" xml:space="preserve">Oftmals ſchon ſind Heilmethoden der genannten, leider <lb/>jedem bekannten Krankheit aufgetaucht, keine aber von ihnen <lb/>hatte ſich bewährt, und nun verkündete der Entdecker der Ur-<lb/>ſachen der Cholera und der Tuberkuloſe — die er, wie wir <lb/>ſahen, in den winzigſten Lebeweſen, den Bakterien, ſpezieller <lb/>dem Tuberkel- (1882) und dem Cholerabacillus (1884) fand — <lb/>daß er dem lange Geſuchten auf der Spur ſei: </s> <s xml:id="echoid-s673" xml:space="preserve">er, deſſen <lb/>Wort bei der allgemeinſten Anerkennung ſeiner Vorſicht und <lb/>Gewiſſenhaftigkeit zündend wirken mußte.</s> <s xml:id="echoid-s674" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s675" xml:space="preserve">Zunächſt war <emph style="sp">Koch</emph> noch ziemlich zurückhaltend: </s> <s xml:id="echoid-s676" xml:space="preserve">er teilte <lb/>nur das Allgemeine mit, eine nähere Ausführung für ſpäter <lb/>in Ausſicht ſtellend, wenn ſeine noch nicht abgeſchloſſenen <lb/>Studien über den Gegenſtand weiter gediehen ſein würden.</s> <s xml:id="echoid-s677" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s678" xml:space="preserve">In dem erwähnten Vortrag ſagt <emph style="sp">Koch</emph>, daß er ſeit der <lb/>Entdeckung der Tuberkelbacillen, alſo ſeit 1882, nach einem <lb/>Heilverfahren geſucht habe. </s> <s xml:id="echoid-s679" xml:space="preserve">Von anderen Forſchern, die mit <lb/>ihm in der Meinung der Heilbarkeit der Tuberkuloſe überein-<lb/>ſtimmen, ſei in der Regel nicht der richtige Weg bei ihren <lb/>Unterſuchungen eingeſchlagen worden, indem ſie ihre Verſuche <lb/>beim Menſchen beginnen ließen. </s> <s xml:id="echoid-s680" xml:space="preserve">Dem ſchreibt <emph style="sp">Koch</emph> auch zu, <lb/>daß alles, was man auf dieſem Wege entdeckt zu haben <lb/>glaubte, vom benzöeſauren Natron bis zur Heißluftmethode <lb/>herab ſich als Täuſchung erwieſen hat. </s> <s xml:id="echoid-s681" xml:space="preserve"><emph style="sp">Koch</emph> fing ſeine <lb/>Unterſuchungen nicht beim Menſchen, ſondern mit dem <lb/>Schmarotzer, dem Tuberkelbacillus, in ſeinen Reinzüchtungen <lb/>an. </s> <s xml:id="echoid-s682" xml:space="preserve">Er prüfte eine ſehr große Zahl von Subſtanzen darauf, <lb/>welchen Einfluß ſie auf die in Reinzüchtungen lebenden <lb/>Tuberkelbacillen ausüben, und er fand, daß garnicht wenige <pb o="52" file="060" n="60"/> Stoffe imſtande ſind, ſchon in ſehr geringer Menge das <lb/>Wachstum des Schmarotzers zu verhindern. </s> <s xml:id="echoid-s683" xml:space="preserve">Aber die bei <lb/>weitem meiſten dieſer Subſtanzen blieben vollkommen wirkungs-<lb/>los, wenn ſie an tuberkulöſen Tieren verſucht wurden. </s> <s xml:id="echoid-s684" xml:space="preserve">Er <lb/>fährt dann in ſeinem Vortrage fort: </s> <s xml:id="echoid-s685" xml:space="preserve">“Trotz dieſes Miß-<lb/>erfolges habe ich mich von dem Suchen nach entwickelungs-<lb/>hemmenden Mitteln nicht abſchrecken laſſen und habe ſchließ-<lb/>lich Subſtanzen getroffen, welche nicht allein im Reagensglaſe, <lb/>ſondern auch im Tierkörper das Wachstum der Tuberkel-<lb/>bacillen aufzuhalten imſtande ſind.</s> <s xml:id="echoid-s686" xml:space="preserve">” Ohne dieſe Subſtanzen <lb/>näher zu bezeichnen, teilte er in ſeinem Vortrage nur noch ſo-<lb/>viel mit, daß Meerſchweinchen, welche für Tuberkuloſe außer-<lb/>ordentlich empfänglich ſind, wenn man ſie der Wirkung einer <lb/>ſolchen Subſtanz ausſetzt, eine nachträgliche Impfung mit <lb/>tuberkulöſem Gift dann ohne jeden Schaden ertragen und, was <lb/>beſonders wichtig erſcheint, daß bei Meerſchweinchen, welche <lb/>ſchon in hohem Grade an Tuberkuloſe erkrankt ſind, der <lb/>Krankheitsprozeß vollkommen zum Stillſtehen gebracht werden <lb/>kann. </s> <s xml:id="echoid-s687" xml:space="preserve">Die Hoffnung war ſomit vollauf berechtigt, daß es auch <lb/>beim Menſchen gelingen müßte, die furchtbarſte Krankheit ſeines <lb/>Geſchlechtes zu heilen, und <emph style="sp">Koch</emph> beſchäftigte ſich denn auch <lb/>nunmehr damit, ſein Mittel am kranken Menſchen zu prüfen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s688" xml:space="preserve">Mit wahrhaft fieberhafter Aufregung ſahen nun begreiflicher-<lb/>weiſe alle diejenigen, welche an den Forſchungen <emph style="sp">Koch</emph>‘s, ſei <lb/>es als Gelehrte, Ärzte oder Kranke, intereſſiert waren, weiteren <lb/>Mitteilungen von ſeiner Seite, ihn faſt drängend, entgegen, <lb/>die er dann, den Ungeduldigen nicht ſchnell genug, im No-<lb/>vember 1890 bot. </s> <s xml:id="echoid-s689" xml:space="preserve">Das Tagesgeſpräch wurde <emph style="sp">Koch</emph>‘s Artikel: </s> <s xml:id="echoid-s690" xml:space="preserve"><lb/>“Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkuloſe”, <lb/>in welchem er über mit ſeinem Mittel gemachte Verſuche am <lb/>Menſchen berichtete, indem er dabei weniger ſeiner Neigung <lb/>dies zu thun folgte, als aus dem Grunde mit einer Veröffent-<lb/>lichung ſchon jetzt hervortrat, weil über ſeine Verſuche und <pb o="53" file="061" n="61"/> Reſultate trotz aller Vorſichtsmaßregeln und zwar in entſtellter <lb/>und übertriebener Weiſe Nachrichten in die Öffentlichkeit ge-<lb/>drungen waren und es ihm daher geboten ſchien, um keine <lb/>falſchen Vorſtellungen aufkommen zu laſſen, eine orientierende <lb/>Überſicht über den augenblicklichen Stand der Sache zu geben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s691" xml:space="preserve">Aber auch in dieſer Abhandlung ſagt <emph style="sp">Koch</emph> noch nichts über <lb/>die Herkunft und die Bereitung ſeines Mittels.</s> <s xml:id="echoid-s692" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s693" xml:space="preserve">Als Reſultat der mit ihm gewonnenen Erfahrungen ſpricht <lb/><emph style="sp">Koch</emph> aber aus, daß <emph style="sp">beginnende</emph> Tuberkuloſe durch das <lb/>Mittel mit Sicherheit zu heilen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s694" xml:space="preserve">Ob die Heilung aber eine <lb/>dauernde ſei, das zu entſcheiden war die Zeit ſeit der Anwen-<lb/>dung des Mittels zu kurz.</s> <s xml:id="echoid-s695" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s696" xml:space="preserve">Mitte Januar 1891 endlich gab auch <emph style="sp">Koch</emph> die Art ſeines <lb/>Mittels an. </s> <s xml:id="echoid-s697" xml:space="preserve">Er ſagt: </s> <s xml:id="echoid-s698" xml:space="preserve">“Das Mittel, mit welchem das neue <lb/>Heilverfahren gegen Tuberkuloſe ausgeübt wird, iſt . </s> <s xml:id="echoid-s699" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s700" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s701" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s702" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s703" xml:space="preserve">. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s704" xml:space="preserve">ein Glyzerinextrakt aus den Reinkulturen der Tuberkelbacillen.</s> <s xml:id="echoid-s705" xml:space="preserve">” <lb/>Das Mittel wird dem Körper des Kranken eingeſpritzt und <lb/>durch die Blutbahn auch den Stellen zugeführt, wo ſich Ba-<lb/>cillen eingeniſtet haben. </s> <s xml:id="echoid-s706" xml:space="preserve">Es ſchafft hier ſtörende Lebensbedin-<lb/>gungen für die Bakterien, was ſich z. </s> <s xml:id="echoid-s707" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s708" xml:space="preserve">durch eine Verkrüppelung <lb/>oder einen Zerfall der Bakterienindividuen kund giebt, ohne <lb/>dieſe aber zu töten. </s> <s xml:id="echoid-s709" xml:space="preserve">Um dieſen Einfluß verſtändlich zu machen, <lb/>mag der folgende Vergleich dienen.</s> <s xml:id="echoid-s710" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s711" xml:space="preserve">Die Bakterien erzeugen — wie ſchon geſagt — Produkte <lb/>ihres Stoffwechſels, die ihnen ſelbſt ſchädlich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s712" xml:space="preserve">Denken <lb/>wir uns nun die von den Tuberkelbacillen gebildeten Stoff-<lb/>wechſelprodukte — und eine Glyzerinlöſung derſelben iſt ja die <lb/>erwähnte <emph style="sp">Koch</emph>‘ſche Flüſſigkeit, welche heute <emph style="sp">Tuberkulin</emph> ge-<lb/>nannt wird — dem Nährboden der Bakterien zugefügt, ſo <lb/>müſſen dieſe kleinſten Organismen ebenſo in ihren Lebens-<lb/>thätigkeiten leiden, wie alſo der Menſch erkranken und ſchließ-<lb/>lich ſterben würde, dem wir die von ihm ausgeſchiedene <lb/>Kohlenſäure in außergewöhnlicher Menge zuführen wollten.</s> <s xml:id="echoid-s713" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="54" file="062" n="62"/> <p> <s xml:id="echoid-s714" xml:space="preserve">Daß die Ärzte nicht unthätig geblieben ſind, das Tuber-<lb/>kulin, das von <emph style="sp">Koch</emph> in reichlicher Menge geliefert wurde, zu <lb/>prüfen, verſteht ſich von ſelbſt, und in den mediziniſchen Ge-<lb/>ſellſchaften und Zeitſchriften war kaum von etwas anderm die <lb/>Rede als von der Anwendung des Tuberkulins und den dabei <lb/>gewonnenen Reſultaten. </s> <s xml:id="echoid-s715" xml:space="preserve">Es fehlte nun nicht an Stimmen, <lb/>welche ſich mehr oder minder ablehnend äußerten. </s> <s xml:id="echoid-s716" xml:space="preserve">So machte <lb/><emph style="sp">Rudolf Virchow</emph> beſonders auf die Gefahr aufmerkſam, daß <lb/>bei Kranken mit auf einen beſtimmten Sitz beſchränkter Tuber-<lb/>kuloſe durch eine Behandlung mit der <emph style="sp">Koch</emph>‘ſchen Flüſſigkeit <lb/>leicht eine Tuberkuloſe des ganzen Körpers, eine “<emph style="sp">Miliar-<lb/>tuberkuloſe</emph>“, wie der ärztliche Ausdruck lautet, erzeugt <lb/>werden kann, eine Thatſache, die ſich mit Berückſichtigung des <lb/>Vorhergeſagten leicht begreift. </s> <s xml:id="echoid-s717" xml:space="preserve">Denn, wie oben ſchon erwähnt, <lb/>werden ja die Bacillen durch das Tuberkulin nicht getötet, <lb/>ſondern nur geſchädigt, und ſie haben nun alſo überdies die <lb/>gefährliche Neigung auszuwandern, wo es ihnen nicht behagt, <lb/>um ſich beſſere Orte aufzuſuchen.</s> <s xml:id="echoid-s718" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s719" xml:space="preserve">Allgemeinere Anerkennung fand das <emph style="sp">Koch’</emph>ſche Mittel als <lb/><emph style="sp">Reagens</emph> auf Tuberkuloſe; </s> <s xml:id="echoid-s720" xml:space="preserve">denn es hat eine beſondere Wir-<lb/>kung in kleinen Doſen angewendet wohl bei Tuberkulöſen, be-<lb/>ſtehend in vorübergehendem Fieber und entzündungsartigen <lb/>Reaktionen der erkrankten Stellen, nicht aber auf geſunde <lb/>Menſchen: </s> <s xml:id="echoid-s721" xml:space="preserve">es geſtattet hiernach die Erkennung der Tuberkuloſe <lb/>auch in zweifelhaften Fällen und in ſonſt ſchwer erkennbaren <lb/>Anfangsſtadien.</s> <s xml:id="echoid-s722" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s723" xml:space="preserve">Wir müſſen uns auf dieſe Angaben beſchränken mit dem <lb/>Hinweiſe, daß das letzte Wort in der Sache keineswegs ge-<lb/>ſprochen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s724" xml:space="preserve"><emph style="sp">Koch</emph> iſt noch immer dabei, ſie nutzbar auszu-<lb/>bauen und zu vervollkommen.</s> <s xml:id="echoid-s725" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s726" xml:space="preserve">Möge ſein unermüdlicher Feiß auch hier durch Erreichung <lb/>des ihm vorſchwebenden Reſultates belohnt werden!</s> </p> <pb o="55" file="063" n="63"/> </div> <div xml:id="echoid-div35" type="section" level="1" n="25"> <head xml:id="echoid-head29" xml:space="preserve"><emph style="bf">XX. Verſuch zur Heilung der Diphtheritis.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s727" xml:space="preserve">Neuerdings iſt es nun auch gelungen, ein Mittel aufzu-<lb/>finden, welches gegen Diphtheritis, jene ebenfalls durch eine <lb/>Bakterie hervorgerufene, ſchreckliche Krankheit unempfänglich <lb/>macht; </s> <s xml:id="echoid-s728" xml:space="preserve">hier hat ſich <emph style="sp">Behring</emph> beſonders verdient gemacht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s729" xml:space="preserve">Zunächſt hat dasſelbe naturgemäß nur bei Tieren Verwen-<lb/>dung gefunden. </s> <s xml:id="echoid-s730" xml:space="preserve">Es wird bei Experimenten in die Blutbahn <lb/>des unempfänglich zu machenden Tieres eingeſpritzt, wodurch der <lb/>Nährboden für die Diphtheritisbakterie untauglich gemacht <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s731" xml:space="preserve">Bekanntlich ſind nicht alle Tiere für alle Krankheiten <lb/>empfänglich. </s> <s xml:id="echoid-s732" xml:space="preserve">Kaninchen bekommen Diphtheritis, andere Tiere, <lb/>wie Ratten und Mäuſe, bekommen ſie nicht. </s> <s xml:id="echoid-s733" xml:space="preserve">Die körperliche, <lb/>namentlich die Blutbeſchaffenheit der letzteren muß demnach <lb/>einen ungünſtigen Nährboden für die Diphtheritis-Bakterien <lb/>abgeben. </s> <s xml:id="echoid-s734" xml:space="preserve">Bringen wir nun etwa durch Einſpritzung in die <lb/>Blutbahn der empfänglichen Tiere etwas Blut der nicht em-<lb/>pfänglichen, ſo iſt erſichtlich, daß das Blut der empfänglichen <lb/>Tiere in ſeiner Zuſammenſetzung geändert, mit anderen Worten <lb/>als Nährboden für Diphtheritis-Bakterien ungünſtiger gemacht <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s735" xml:space="preserve">Aber auch dieſe Methode kommt im Prinzip auf die <lb/>erſterwähnte zurück, weil die von Natur unempfänglichen Tiere, <lb/>bevor ihr Blut zur Verwendung für Schutzimpfungen gelangen <lb/>kann, vorerſt mit Bakterien reſp. </s> <s xml:id="echoid-s736" xml:space="preserve">den Stoffwechſelprodukten <lb/>derjenigen Arten geimpft werden müſſen, vor denen Schutz <lb/>geſucht wird.</s> <s xml:id="echoid-s737" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s738" xml:space="preserve">Wird einem Tiere reſp. </s> <s xml:id="echoid-s739" xml:space="preserve">dem Menſchen etwas von dem <lb/>giftigen Stoffwechſelprodukt einer krankheiterregenden Bakterie <lb/>eingeimpft, ſo iſt der Zweck, eine Gewöhnung an dieſes Stoff-<lb/>wechſelprodukt zu erzielen. </s> <s xml:id="echoid-s740" xml:space="preserve">Denn nicht die Bakterien ſelbſt <lb/>verurſachen die Krankheiten, ſondern eben die — vorſichtig an-<lb/>gewendet, ſchützenden — Stoffwechſelprodukte.</s> <s xml:id="echoid-s741" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="56" file="064" n="64"/> <p> <s xml:id="echoid-s742" xml:space="preserve">Frühere Anſichten über die Urſachen des durch Anſteckungs-<lb/>krankheiten herbeigeführten Todes gingen dahin, daß durch die <lb/>in der Blutbahn in Milliarden ſich anſammelnden Bakterien, <lb/>wie namentlich bei dem Milzbrand, eine Hemmung der Blut-<lb/>zirkulation ſtattfände und dadurch der Tod verurſacht werde; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s743" xml:space="preserve">nach einer anderen Meinung glaubte man annehmen zu müſſen, <lb/>daß durch die rieſenſchnelle Entwickelung der Bakterien, die <lb/>zu ihrem Aufbau das Plasma verwenden, den tieriſchen Säften <lb/>eben zu viel Plasma entzogen worden wäre und das Weiter-<lb/>leben infolge davon geſtört worden ſei.</s> <s xml:id="echoid-s744" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s745" xml:space="preserve">Zur Zeit wird kaum mehr in Zweifel gezogen, daß die <lb/>ſchädliche Wirkung der krankheiterregenden Bakterien weſentlich <lb/>auf Rechnung ihrer Stoffwechſelprodukte kommt, welche den <lb/>Körper in eigentümlicher Weiſe beeinfluſſen und ſchließlich zu <lb/>vernichten imſtande ſind.</s> <s xml:id="echoid-s746" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s747" xml:space="preserve">Wir können die angegebenen Methoden der Schutzimpfung <lb/>hier nur andeuten aber nicht weiter ausführen; </s> <s xml:id="echoid-s748" xml:space="preserve">ſie ſind berufen, <lb/>die Medizin umzugeſtalten, da ſie ſich gerade gegen die <lb/>ſchlimmſten Krankheiten — die durch Bakterien vermittelten <lb/>Anſteckungskrankheiten wenden.</s> <s xml:id="echoid-s749" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s750" xml:space="preserve">Wir gehen ſicherlich einer neuen Ära der Medizin entgegen.</s> <s xml:id="echoid-s751" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s752" xml:space="preserve">Der Naturforſcher, der ſich’s zur Aufgabe macht, ſeine <lb/>Mitmenſchen zu belehren, iſt noch oft genötigt im Streite zu <lb/>leben; </s> <s xml:id="echoid-s753" xml:space="preserve">aber wo ſeine Forſchungen unmittelbar die Praxis <lb/>treffen und es ſich gar — wie in den berührten Fällen — <lb/>um das Allen teure, eigne Leben oder dasjenige der nächſten <lb/>Lieben handelt, da ſieht er mit Befriedigung, daß ſich die <lb/>Menſchenwelt vor den Reſultaten ſeiner Wiſſenſchaft beugt.</s> <s xml:id="echoid-s754" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="065" n="65"/> </div> <div xml:id="echoid-div36" type="section" level="1" n="26"> <head xml:id="echoid-head30" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Pflanzenwelt unſerer Heimat ſonſt</emph> <lb/><emph style="bf">und jetzt.</emph></head> <head xml:id="echoid-head31" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. War die Erde ſtets von Lebeweſen bewohnt?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s755" xml:space="preserve">Die Pflanzenwelt unſerer Heimat, verehrter Leſer, ſoll den <lb/>Gegenſtand der folgenden Unterhaltung bieten und zwar ins-<lb/>beſondere die uns umgebende Pflanzenwelt, die uns ſagen ſoll, <lb/>wo ſie hergekommen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s756" xml:space="preserve">Treten wir dieſer Frage näher, ſo <lb/>möchten wir zunächſt wiſſen, woher denn die organiſchen Weſen <lb/>überhaupt kommen. </s> <s xml:id="echoid-s757" xml:space="preserve">Dieſe — auch das Menſchengeſchlecht ſo <lb/>nahe angehende Frage — haben wir jedoch ſchon in Teil 1 <lb/>und 16 zu beantworten verſucht, und wir können daher gleich <lb/>die engere Frage vornehmen: </s> <s xml:id="echoid-s758" xml:space="preserve">Woher kommt denn nun insbe-<lb/>ſondere die Pflanzenwelt unſerer Heimat? </s> <s xml:id="echoid-s759" xml:space="preserve">Hat ſie immer das <lb/>gleiche Ausſehen gehabt wie jetzt, und wenn nicht, wie war <lb/>ſie einſt beſchaffen? </s> <s xml:id="echoid-s760" xml:space="preserve">Nun, das ſchöne, grüne Kleid, welches <lb/>jetzt unſere Wälder, Wieſen und Felder ziert, iſt nicht zu allen <lb/>Zeiten dasſelbe geweſen, ſondern hat gewechſelt, ebenſo wie das <lb/>Kleid des Menſchen im Verlaufe ſeiner Entwickelung ſich ändert. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s761" xml:space="preserve">Ja, ebenſo wie der Menſch einſt ohne jegliche künſtliche Be-<lb/>deckung die Wälder durchſtreifte, ſo nahm auch die Erde ein-<lb/>mal kahl und tot ihren Weg durch die Himmelsräume, keine <lb/>Pflanze und kein Tier belebte ihre Einöden. </s> <s xml:id="echoid-s762" xml:space="preserve">Wir müſſen dies <lb/>unter anderm aus aſtronomiſchen Gründen annehmen. </s> <s xml:id="echoid-s763" xml:space="preserve">Erſt <pb o="58" file="066" n="66"/> ſpäter, als die Erde ſchon ungemeſſene Zeit-Epochen hinter ſich <lb/>hatte, begann ſich auf derſelben das Leben zu regen.</s> <s xml:id="echoid-s764" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div37" type="section" level="1" n="27"> <head xml:id="echoid-head32" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Die Pflanzenſpuren und -Reſte der Vorwelt</emph> <lb/><emph style="bf">und ihr Zuſtandekommen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s765" xml:space="preserve">Das einzige Mittel, das uns die Natur gewährt, um uns <lb/>ein Bild von den früheren Verhältniſſen, von dem ehemaligen <lb/>Ausſehen der Pflanzenwelt zu machen, iſt das Studium der <lb/>zufällig erhalten gebliebenen Reſte und Spuren derſelben.</s> <s xml:id="echoid-s766" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s767" xml:space="preserve">Solche in den Geſteinen der Erdkruſte erhalten geblie-<lb/>benen Reſte und Spuren organiſcher Körper werden als <lb/><emph style="sp">Foſſilien, Petrefacten, Verſteinerungen</emph> (im weiteſten <lb/>Sinne), bezeichnet. </s> <s xml:id="echoid-s768" xml:space="preserve">Iſt die Umwandlung, welche mit den <lb/>Reſten im Verlauf der Zeiten vor ſich gegangen iſt, nicht tief-<lb/>greifend, ſo daß ſie Teilen von Lebeweſen der Jetztwelt noch <lb/>ſehr ähnlich ſehen, wie Früchte u. </s> <s xml:id="echoid-s769" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s770" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s771" xml:space="preserve">in den Torfmooren, <lb/>ſo ſpricht man auch wohl von <emph style="sp">Subfoſſilien</emph>, d. </s> <s xml:id="echoid-s772" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s773" xml:space="preserve">überſetzt <lb/>“beinahe oder faſt Foſſilien”. </s> <s xml:id="echoid-s774" xml:space="preserve">Auch Braunkohlen - Hölzer <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s775" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s776" xml:space="preserve">— namentlich wenn ſie von harzausſcheidenden Bäumen <lb/>ſtammen — zeigen oft, da Harz erhaltend wirkt, nur eine ge-<lb/>ringe Verwandlung; </s> <s xml:id="echoid-s777" xml:space="preserve">meiſt jedoch iſt mit den Pflanzenteilen, <lb/>und zwar ſtets mit denjenigen der älteſten, älteren und mittleren <lb/>geologiſchen Formationen eine vollſtändige Veränderung vor ſich <lb/>gegangen. </s> <s xml:id="echoid-s778" xml:space="preserve">Entweder ſind dann die Reſte <emph style="sp">verkohlt</emph>, oder die <lb/>Organe, namentlich dickere Teile — wie Stengel, Früchte und <lb/>dgl. </s> <s xml:id="echoid-s779" xml:space="preserve">— haben im Laufe der Zeiten eine vollſtändige Umwandelung <lb/>erlitten. </s> <s xml:id="echoid-s780" xml:space="preserve">Bei dieſen iſt der urſprüngliche, organiſche Stoff ganz <lb/>oder faſt ganz verloren gegangen und durch eine kieſelige oder <lb/>andere mineraliſche Maſſe erſetzt worden, ſo daß wir <emph style="sp">echte</emph> <pb o="59" file="067" n="67"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-067-01a" xlink:href="fig-067-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-067-02a" xlink:href="fig-067-02"/> <pb o="60" file="068" n="68"/> <emph style="sp">Verſteinerungen</emph> (Verſteinerungen im engeren Sinne) er-<lb/>halten, die jedoch die inneren organiſchen Formen oft getreu <lb/>wiedergeben (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s781" xml:space="preserve">30 u. </s> <s xml:id="echoid-s782" xml:space="preserve">31). </s> <s xml:id="echoid-s783" xml:space="preserve">Man hat ſich vorzuſtellen, daß <lb/>die Pflanzenmaterialien von Waſſer durchtränkt waren, welches <lb/>mineraliſche Beſtandteile in Löſung enthielt. </s> <s xml:id="echoid-s784" xml:space="preserve">Da nun ver-<lb/>weſende Pflanzenſubſtanzen die Neigung haben, ſolche mine-<lb/>raliſche Beſtandteile niederzuſchlagen, ſo werden die Zellmem-<lb/>branen allmählich durch dieſelben mehr oder minder weitgehend <lb/>erſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s785" xml:space="preserve">Das verſteinernde Mittel iſt meiſt Kieſelſäure, Kalk, <lb/>Dolomit, Schwefelkies oder Eiſenkarbonat.</s> <s xml:id="echoid-s786" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div37" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-067-01" xlink:href="fig-067-01a"> <caption xml:id="echoid-caption13" xml:space="preserve">Fig. 30. <lb/>Querſchliff durch einen als echte Verſteinerung erhal@enen Stamm, der ſchon mit <lb/>bloßem Auge durch die Radialſtreifung in der Figur erſichtlich, die wohlerhaltene <lb/>innere Struktur zeigt.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-067-02" xlink:href="fig-067-02a"> <caption xml:id="echoid-caption14" xml:space="preserve">Fig. 31. <lb/>Querſchliff durch einen, aber dünneren Stamm wie Fig. 30, unter dem Mikroſkop<unsure/>, <lb/>alſo bei ſtarker Vergrößerung geſe@en.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s787" xml:space="preserve">Stets ſind die foſſilen Reſte reſp. </s> <s xml:id="echoid-s788" xml:space="preserve">die foſſilen Pflanzen-<lb/>Spuren in Geſtein eingebettet, ſei das Einbettungs-Mittel nun <lb/>ein kalkiges, thoniges oder ſandiges Geſtein oder Bernſtein u. </s> <s xml:id="echoid-s789" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s790" xml:space="preserve">w. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s791" xml:space="preserve">Der Bernſtein iſt foſſiles, erhärtetes Harz, der in flüſſigem <lb/>Zuſtande, bei der klebrigen Beſchaffenheit der Harze, leicht an-<lb/>fliegende oder im Wege liegende Objekte aufnehmen konnte. </s> <s xml:id="echoid-s792" xml:space="preserve"><lb/>So gering die Durchläſſigkeit des Bernſteins auch iſt, ſo haben <lb/>doch die Objekte, die er als “Einſchlüſſe” enthält, nur Spuren <lb/>von Kohle hinterlaſſen, ſo daß die vermeintlichen Blüten-, <lb/>Blatt- u. </s> <s xml:id="echoid-s793" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s794" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s795" xml:space="preserve">“Einſchlüſſe” nur Hohlräume ſind. </s> <s xml:id="echoid-s796" xml:space="preserve">Je nach <lb/>der Durchläſſigkeit der Geſteine verſchwindet die urſprüngliche <lb/>Pflanzenſubſtanz mehr oder minder. </s> <s xml:id="echoid-s797" xml:space="preserve">Es kann bei genügender <lb/>Durchläſſigkeit des einbettenden Geſteins alle organiſche Sub-<lb/>ſtanz ſpurlos verſchwinden.</s> <s xml:id="echoid-s798" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s799" xml:space="preserve">Die Einbettung der Reſte hat meiſt durch Vermittelung <lb/>des Waſſers ſtattgefunden. </s> <s xml:id="echoid-s800" xml:space="preserve">Die z. </s> <s xml:id="echoid-s801" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s802" xml:space="preserve">im Herbſt auf der <lb/>Oberfläche eines Sees befindlichen, abgeworfenen Blätter ver-<lb/>bleiben zuerſt ſchwimmend oben, ſaugen ſich jedoch voll Waſſer <lb/>und ſinken alsbald zu Boden. </s> <s xml:id="echoid-s803" xml:space="preserve">Sie werden hier mit den be-<lb/>reits am Boden befindlichen anderen Pflanzenbruchſtücken von <lb/>den durch einen Waſſerzufluß unter Umſtänden herbeigeführten <lb/>und abgeſetzten ſchlammigen, erdigen Teilchen bedeckt, indem <lb/>dieſe Schlammmaſſen, ſich allen Unebenheiten anſchmiegend, <pb o="61" file="069" n="69"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-069-01a" xlink:href="fig-069-01"/> <pb o="62" file="070" n="70"/> ein getreues Abbild der Blätter liefern. </s> <s xml:id="echoid-s804" xml:space="preserve">Nach und nach er-<lb/>härtet der Schlamm und wird zu feſtem Geſtein, welches uns <lb/>nun — wenn wir es zerſchlagen — die ſchönſten Abdrücke <lb/>und Modellierungen zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s805" xml:space="preserve">Der Pflanzenreſt ſelber kann alſo <lb/>durch Verweſung oder Fäulnis vollſtändig verſchwinden oder <lb/>mehr oder minder verkohlt ſich bemerkbar machen. </s> <s xml:id="echoid-s806" xml:space="preserve">Das Ge-<lb/>ſtein wird in jedem Falle die <emph style="sp">Abdrücke</emph> (<emph style="sp">Negative, Hohl-<lb/>drücke</emph>) der eingebetteten Objekte aufweiſen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s807" xml:space="preserve">32).</s> <s xml:id="echoid-s808" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div38" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-069-01" xlink:href="fig-069-01a"> <caption xml:id="echoid-caption15" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 32.</emph> <lb/>Abdrücke von Farublattſtückchen auf Thonſchiefer, entſtanden aus erhärtetem, <lb/>tyonigen Schlamm.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s809" xml:space="preserve">Fault ein eingebetteter Pflanzenteil ohne Hinterlaſſung <lb/>von Subſtanz vollkommen weg, ſo erhalten wir einen Hohl-<lb/>raum, deſſen Fläche alſo der Hohldruck des eingehüllt geweſenen <lb/>Pflanzenreſtes iſt, wie alſo bei der ganz überwiegenden Zahl <lb/>der pflanzlichen “Einſchlüſſe” im Bernſtein. </s> <s xml:id="echoid-s810" xml:space="preserve">Wird, wie das <lb/>meiſtens der Fall iſt, der Hohlraum nachträglich von er-<lb/>härtendem Schlamm, Sand u. </s> <s xml:id="echoid-s811" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s812" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s813" xml:space="preserve">ausgefüllt, ſo erhalten <lb/>wir eine Nachbildung des urſprünglich eingebettet geweſenen <lb/>Pflanzenreſtes, einen <emph style="sp">Steinkern</emph>, deſſen Außenfläche das poſitive <lb/>Bild derjenigen des urſprünglichen Pflanzenreſtes wiedergiebt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s814" xml:space="preserve">Die meiſten Steinkerne ſind durch Ausfüllung in der Pflanze <lb/>urſprünglicher oder durch Verweſung ſich bildender Hohlräume <lb/>entſtanden, dann ſind gewöhnlich noch kohlige Reſte erhalten <lb/>geblieben; </s> <s xml:id="echoid-s815" xml:space="preserve">namentlich ſind es die chemiſch widerſtandsfähigeren <lb/>Hautgewebe, welche noch als Kohlen-Rinde vorhanden ſind, und <lb/>die Steinkerne, die dann natürlich verloren gegangenen Innen-<lb/>teilen der Pflanzen entſprechen, zeigen demgemäß auf ihren <lb/>Oberflächen die Skulpturen <emph style="sp">innerer</emph> Flächen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s816" xml:space="preserve">33). </s> <s xml:id="echoid-s817" xml:space="preserve">Stein-<lb/>kerne treten begreiflicherweiſe vorwiegend als Erhaltungs-<lb/>zuſtände dickerer Organteile auf; </s> <s xml:id="echoid-s818" xml:space="preserve">ja, der mächtige (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s819" xml:space="preserve">36) ab-<lb/>gebildete Baumſtumpf iſt weiter nichts als ein Steinkern, der <lb/>nur hier und da von etwas Rinde in kohliger Erhaltung be-<lb/>kleidet wird. </s> <s xml:id="echoid-s820" xml:space="preserve">Flache Organe, wie Blätter, laſſen allermeiſt <lb/>einen ganz dünnen, kohligen Reſt zwiſchen den einbettenden <lb/>Mitteln zurück. </s> <s xml:id="echoid-s821" xml:space="preserve">Beim Aufſpalten des ſolche Organe ein- <pb o="63" file="071" n="71"/> bettenden Geſteins wird die eine Seite der Spaltfläche den <lb/>Abdruck, das Negativ, nehmen wir <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-071-01a" xlink:href="fig-071-01"/> einmal an der Blattoberſeite zeigen, <lb/>während die andere Seite der Spalt-<lb/>fläche den kohligen Reſt des Blattes <lb/>ſelbſt trägt. </s> <s xml:id="echoid-s822" xml:space="preserve">Dieſer zeigt natürlich <lb/>das Poſitiv der Blattoberſeite; </s> <s xml:id="echoid-s823" xml:space="preserve">um <lb/>auch die Oberflächenſkulptur der <lb/>Blattunterſeite kennen zu lernen, <lb/>wäre demnach hier die Entfernung der <lb/>kohligen Bedeckung erforderlich. </s> <s xml:id="echoid-s824" xml:space="preserve">Man <lb/>pflegt ſchlecht beide Seiten der <lb/>Spaltfläche als <emph style="sp">Druck</emph> und <emph style="sp">Gegen-<lb/>druck</emph> zu unterſcheiden; </s> <s xml:id="echoid-s825" xml:space="preserve">der eine der-<lb/>ſelben iſt dann in Wirklichkeit ein <lb/>Hohldruck, ein Abdruck, der andere <lb/>bietet eine Poſitiv-Oberfläche des <lb/>kohligen Petrefakts ſelbſt.</s> <s xml:id="echoid-s826" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div39" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-071-01" xlink:href="fig-071-01a"> <caption xml:id="echoid-caption16" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 33.</emph> <lb/>Steinkern eines Stämmchens. <lb/>Bei k noch kleine Fetzchen der <lb/>kohlig erhaltenen Rinde.</caption> <variables xml:id="echoid-variables5" xml:space="preserve">k k</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s827" xml:space="preserve">Auch vulkaniſche Aſchen (Tuffe) <lb/>und ſogar Laven wie auf Hawai, wo <lb/>ſich in der Lava Hohlräume finden, <lb/>die durch das Umfließen von Baum-<lb/>ſtämmen mit Lava entſtanden ſind <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s828" xml:space="preserve">34 u. </s> <s xml:id="echoid-s829" xml:space="preserve">35), ferner Dünenſande, <lb/>ſowohl ältere — gewiſſe Sandſteine <lb/>der Kreide z. </s> <s xml:id="echoid-s830" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s831" xml:space="preserve">werden als aus <lb/>Dünenſand zuſammengeſetzt ange-<lb/>geben — wie junge, können natürlich <lb/>Pflanzenreſte, manchmal ganze Wäl-<lb/>derſtrecken (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s832" xml:space="preserve">Teil 8, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s833" xml:space="preserve">15 <lb/>auf S. </s> <s xml:id="echoid-s834" xml:space="preserve">35) bedecken, zuweilen unter <lb/>derartigen Bedingungen, daß die <lb/>Reſte beſtimmbar bleiben.</s> <s xml:id="echoid-s835" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="64" file="072" n="72"/> <figure> <caption xml:id="echoid-caption17" xml:space="preserve">Fig. 34. Zwei von Lava umfloſſene Stammſtümpfe von der Kokos-Palme, weit aus der übrigen Lava dadurch hervorragend, <lb/>daß die urſprünglich beim Ausbruch höher ſtehende Lava wieder bis zum jetzigen Niveau abgefloſſen iſt. Von Nen-Kokos-Land <lb/>(Niuafo’ou). — Photographie von Dr. Benedikt Friedländer aufgenommen und dem Verf. (P.) gütigſt zur Verfügung geſtellt.</caption> </figure> <pb o="65" file="073" n="73"/> <p> <s xml:id="echoid-s836" xml:space="preserve">Es brauchen alſo nicht unter allen Umſtänden <emph style="sp">von Waſſer <lb/>angeſchwemmte</emph> Materialien zu ſein, welche die Pflanzenreſte <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-073-01a" xlink:href="fig-073-01"/> umhüllen, denn, wie wir ſahen, kann die Einbettung, wenn <lb/>auch vergleichsweiſe ſehr viel ſeltener, gelegentlich auf trockenem</s> </p> <div xml:id="echoid-div40" type="float" level="2" n="4"> <figure xlink:label="fig-073-01" xlink:href="fig-073-01a"> <caption xml:id="echoid-caption18" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 35.</emph> <lb/>Lavaröhren; die Höhlungen entſtanden durch eingeſchloſſen geweſene Baumſtämme.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s837" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s838" xml:space="preserve">Bernſtein, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s839" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s840" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="66" file="074" n="74"/> <p> <s xml:id="echoid-s841" xml:space="preserve">Wege erfolgen. </s> <s xml:id="echoid-s842" xml:space="preserve">Aber auch wenn die vom Waſſer mitgeführten <lb/>Geſteinsmaterialien die Umhüllung beſorgen, handelt es ſich <lb/>keineswegs immer um angeſchwemmte, alſo in Waſſer ſus-<lb/>pendiert geweſene Materialien. </s> <s xml:id="echoid-s843" xml:space="preserve">Zuweilen ſind es nämlich <lb/><emph style="sp">chemiſche Niederſchläge</emph> (namentlich von Kalk), welche das <lb/>Einbettungsmittel liefern; </s> <s xml:id="echoid-s844" xml:space="preserve">es iſt das die <emph style="sp">Inkruſtation, <lb/>Überkruſtung</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s845" xml:space="preserve">Die grünen Pflanzenteile nehmen ja das <lb/>Kohlendioxyd (die Kohlenſäure) ihrer Umgebung als Nährſub-<lb/>ſtanz auf. </s> <s xml:id="echoid-s846" xml:space="preserve">Wachſen die Pflanzen im Waſſer, ſo entnehmen ſie <lb/>das Kohlendioxyd aus dieſem; </s> <s xml:id="echoid-s847" xml:space="preserve">hat ein an Kohlendioxyd reiches <lb/>Waſſer Gelegenheit Kalk aufzulöſen, ſo thut es dies in be-<lb/>ſonders reichlichem Maße. </s> <s xml:id="echoid-s848" xml:space="preserve">Bei Kohlendioxyd-Verluſt, wie ein <lb/>ſolcher 1. </s> <s xml:id="echoid-s849" xml:space="preserve">bei Berührung von Quellwaſſer mit der Luft ſtatt-<lb/>findet, 2. </s> <s xml:id="echoid-s850" xml:space="preserve">durch Verdunſtung von Waſſer und außerdem 3. </s> <s xml:id="echoid-s851" xml:space="preserve">durch <lb/>die Ernährungsthätigkeit grüner Pflanzen, dann namentlich <lb/>Algen, unterſtützt wird, ſchlägt ſich der in weniger Kohlen-<lb/>dioxyd-haltigem Waſſer auch weniger leicht lösliche Kalk auf <lb/>der Pflanze nieder und bettet ſie ein: </s> <s xml:id="echoid-s852" xml:space="preserve">inkruſtiert ſie.</s> <s xml:id="echoid-s853" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s854" xml:space="preserve">Auch ohne eine ſolche Unterſtützung durch im Waſſer <lb/>wachſende Pflanzen kommen Inkruſtationen zu ſtande. </s> <s xml:id="echoid-s855" xml:space="preserve">Quellen <lb/>ſcheiden oft, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s856" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s857" xml:space="preserve">der Karlsbader Sprudel, an ihrer <lb/>Austrittsſtelle, aber auch weiterhin das Gros der gelöſten <lb/>mineraliſchen Stoffe aus, ſobald das Waſſer an die Luft tritt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s858" xml:space="preserve">Hineinfallende Pflanzenteile werden ſo inkruſtiert, da die Ab-<lb/>ſcheidung an den Wänden und den in der Quelle befindlichen <lb/>Objekten erfolgt.</s> <s xml:id="echoid-s859" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s860" xml:space="preserve">Mineraliſche Subſtanzen ſchlagen ſich eben ganz allgemein <lb/>gern an feſteren Teilen nieder, an Teilen, die heterogene Be-<lb/>ſtandteile in einer homogenen Maſſe bilden. </s> <s xml:id="echoid-s861" xml:space="preserve">Pflanzenteile, <lb/>die ſich z. </s> <s xml:id="echoid-s862" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s863" xml:space="preserve">in loſem Sande eingebettet finden, werden daher <lb/>ebenfalls die Urſachen für Niederſchläge. </s> <s xml:id="echoid-s864" xml:space="preserve">Als Beiſpiel ſeien <lb/>die “<emph style="sp">Beinbruchſteine</emph>“ (<emph style="sp">Oſteocollen</emph>) genannt, die ſich in <lb/>lockerem Sand, namentlich in Dünenſand finden und welche <pb o="67" file="075" n="75"/> Kalkſteinbildungen, bei uns namentlich um abgeſtorbene Kiefern-<lb/>wurzeln, darſtellen, welche die Veranlaſſung zum Niederſchlag <lb/>des Kalkes in den zirkulierenden Wäſſern geweſen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s865" xml:space="preserve">In <lb/>ähnlichen Bildungen und zwar aller möglichen Formationen <lb/>findet man daher nicht ſelten Pflanzenreſte. </s> <s xml:id="echoid-s866" xml:space="preserve">Nicht ſelten finden <lb/>ſich in ſolchen Bildungen echte Verſteinerungen in dem oben <lb/>auseinandergeſetzten Sinne.</s> <s xml:id="echoid-s867" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s868" xml:space="preserve">Ein Foſſil kann gleichzeitig mehrere der erwähnten Er-<lb/>haltungsweiſen zeigen, z. </s> <s xml:id="echoid-s869" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s870" xml:space="preserve">zum Teil verkohlt, zum Teil ver-<lb/>ſteinert ſein; </s> <s xml:id="echoid-s871" xml:space="preserve">ſo giebt es verſteinerte Hölzer, bei denen aber die <lb/>ſich chemiſchen Einwirkungen gegenüber anders wie das Holz <lb/>verhaltende Rinde, namentlich das Hautgewebe derſelben, kohlig <lb/>erhalten iſt.</s> <s xml:id="echoid-s872" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div42" type="section" level="1" n="28"> <head xml:id="echoid-head33" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Geringfügigkeit der uns hinterbliebenen</emph> <lb/><emph style="bf">organiſchen Reſte der Vorwelt.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s873" xml:space="preserve">Zur Entſtehung der erwähuten Reſte und Spuren, jener <lb/>Denkmäler der Vorwelt, die uns, um einen Blick in das orga-<lb/>niſche Leben derſelben thun zu können, ſo ſehr wichtig ſind, <lb/>gehören, wie man ſich denken kann, beſondere, ganz günſtige <lb/>Bedingungen, und da dieſe nur hier und da zuſammentreffen, <lb/>ſo iſt erſichtlich, daß ihre Aufbewahrung in der beſchriebenen <lb/>Weiſe von Zufällen abhängig iſt, und wir werden leicht be-<lb/>greifen, daß uns im Vergleich zum Vorhandengeweſenen nur <lb/><emph style="sp">ein außerordentlich, nur ein ganz gewaltig ver-<lb/>ſchwindend kleiner Teil</emph> erhalten bleiben konnte. </s> <s xml:id="echoid-s874" xml:space="preserve">Da die <lb/>Tiere in ihren äußeren und inneren Skelettteilen Beſtandteile <lb/>aufweiſen, die der Zerſetzung im Allgemeinen beſſeren Wider-<lb/>ſtand leiſten, als die dauerhafteren Teile der Pflanzen, ſind <pb o="68" file="076" n="76"/> überdies die Reſte der letzteren nicht in gleicher Weiſe verbreitet, <lb/>als ſolche der erſteren.</s> <s xml:id="echoid-s875" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s876" xml:space="preserve">Daß bei der geſchilderten Sachlage ſich Spuren und Reſte <lb/>der früher die Erde bewohnenden Pflanzen faſt ausſchließlich <lb/>in Geſteinen finden müſſen, deren Bildung das Waſſer veran-<lb/>laßt hat, alſo faſt nur in “neptuniſchen” Bildungen, und ferner <lb/>in ſolchen, deren Entſtehung auf die Thätigkeit der Pflanzen <lb/>ſelbſt zurückzuführen iſt, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s877" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s878" xml:space="preserve">im Torf und in Geſteinen, <lb/>die in der oben geſchilderten Weiſe durch von Pflanzen veran-<lb/>laßte Niederſchläge aus Löſungen entſtanden ſind, iſt ſelbſtver-<lb/>ſtändlich. </s> <s xml:id="echoid-s879" xml:space="preserve">In vulkaniſchen (plutoniſchen) Geſteinen — überhaupt <lb/>in ſolchen auf trockenem Wege abgelagerten — werden nur <lb/>unter ausnahmsweiſen Bedingungen, und dann meiſt nur <lb/>Spuren von Pflanzen nachweisbar ſein können. </s> <s xml:id="echoid-s880" xml:space="preserve">Speziell in <lb/>vulkaniſchen Aſchen finden ſich Pflanzenreſte reſp. </s> <s xml:id="echoid-s881" xml:space="preserve">ihre Spuren <lb/>verhältnismäßig noch am häufigſten; </s> <s xml:id="echoid-s882" xml:space="preserve">kann dock vulkaniſche <lb/>Aſche ganze Ortſchaften begraben, wie uns dies die ver-<lb/>ſchütteten Ortſchaften Herculanum und Pompeji, die dem Alter-<lb/>tumsforſcher ſo viel wertvolles Material geliefert haben, zeigen.</s> <s xml:id="echoid-s883" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s884" xml:space="preserve">Durch ein genaues Studium der in der beſchriebenen <lb/>Weiſe erhaltenen Urkunden älteſter und alter Zeiten ſind nun <lb/>die Pflanzenvorweſenkundigen (Pflanzenpalaeontologen, Palaeo-<lb/>phytologen) durch zeitraubende Arbeit in der Lage, ein mög-<lb/>lichſt getreues, durch ſeine uns ungewohnten Formen wunderbar <lb/>anmutendes Bild z. </s> <s xml:id="echoid-s885" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s886" xml:space="preserve">der Flora der Steinkohlenzeit zu ent-<lb/>werfen, das den ſinnenden Beſchauer in eine menſchenloſe, <lb/>fernweite Vergangenheit zurückverſetzt: </s> <s xml:id="echoid-s887" xml:space="preserve">eine ſchwache Anſchauung <lb/>der landſchaftlichen Eigentümlichkeiten unſerer Heimat zu dieſer <lb/>Zeit bietend, ſoweit ſie die Wiſſenſchaft eben auf Grund langer <lb/>und mühſamer Thätigkeit wieder hervorzuzaubern vermag.</s> <s xml:id="echoid-s888" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="69" file="077" n="77"/> </div> <div xml:id="echoid-div43" type="section" level="1" n="29"> <head xml:id="echoid-head34" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Die geologiſchen Zeitepochen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s889" xml:space="preserve">Wie man von vornherein ſieht, iſt es für die Geſchichte der <lb/>Entwickelung des organiſchen Lebens auf unſerer Erde von <lb/>großer Wichtigkeit zu wiſſen, welche von den durch Ablagerungen <lb/>des Meeres und der Gewäſſer überhaupt entſtandenen Geſteins-<lb/>Schichten der Erde, in denen die Reſte und Abdrücke ſich finden, <lb/>die älteren und welche die jüngeren ſind: </s> <s xml:id="echoid-s890" xml:space="preserve">kurz, das relative <lb/>Alter derſelben richtig zu beurteilen. </s> <s xml:id="echoid-s891" xml:space="preserve">Da nun die jüngeren <lb/>Ablagerungen, wenigſtens dort, wo keine vollſtändigen, nach-<lb/>träglichen Umwälzungen ſtattgefunden haben, natürlich die <lb/>älteren überlagern, alſo die oberen Schichten immer jünger <lb/>ſein müſſen als die darunter befindlichen, ſo iſt die Entſcheidung <lb/>hinſichtlich ihres Alters möglich, und wir können ſomit — mit <lb/>den älteſten Geſteinen beginnend, indem wir die pflanzlichen <lb/>Reſte und Abdrücke in denſelben einer ſorgfältigen Betrachtung <lb/>unterziehen — die ehemalige Geſtaltung der nunmehr ver-<lb/>ſchwundenen und von anderen Arten verdrängten Pflanzendecke <lb/>in ihrer Eutwickelung von Anbeginn bis jetzt in unſerer Phan-<lb/>taſie wieder erſtehen laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s892" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s893" xml:space="preserve">In Teil 8 haben wir uns mit dieſem Gegenſtande ſchon <lb/>eingehender beſchäftigt und dort geſehen, daß die Erforſcher <lb/>der Erdrinde, die Geologen, die verſchiedenen Zeitepochen nach <lb/>den während derſelben in der angedeuteten Weiſe entſtandenen <lb/>Geſteins-Ablagerungen einteilen.</s> <s xml:id="echoid-s894" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s895" xml:space="preserve">Die vier großen Abteilungen, die gemacht werden, ſeien <lb/>hier genannt:</s> <s xml:id="echoid-s896" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s897" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s898" xml:space="preserve">die <emph style="sp">Urzeit</emph>,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s899" xml:space="preserve">2. </s> <s xml:id="echoid-s900" xml:space="preserve">das <emph style="sp">Altertum</emph>,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s901" xml:space="preserve">3. </s> <s xml:id="echoid-s902" xml:space="preserve">das <emph style="sp">Mittelalter</emph>,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s903" xml:space="preserve">4. </s> <s xml:id="echoid-s904" xml:space="preserve">die <emph style="sp">Neuzeit</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s905" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="70" file="078" n="78"/> <p> <s xml:id="echoid-s906" xml:space="preserve">Wir können 5. </s> <s xml:id="echoid-s907" xml:space="preserve">noch die <emph style="sp">Jetztzeit</emph> hinzufügen. </s> <s xml:id="echoid-s908" xml:space="preserve">Mit den <lb/>gleichlautenden Ausdrücken, wie wir ſie aus der menſchlichen <lb/>Geſchichte kennen, haben die unſrigen natürlich nichts zu thun. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s909" xml:space="preserve">Menſchen traten erſt in der Neuzeit der Erde auf: </s> <s xml:id="echoid-s910" xml:space="preserve">wir ſind <lb/>ein vergleichsweiſe ſehr junges Geſchlecht.</s> <s xml:id="echoid-s911" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div44" type="section" level="1" n="30"> <head xml:id="echoid-head35" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die älteſten Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s912" xml:space="preserve">Wenn wir nun, mit den älteſten Geſteinen beginnend, zu <lb/>den jüngeren aufſteigend, dieſelben noch ſo fleißig durchſuchen, <lb/>ſo iſt es doch unmöglich, feſtzuſetzen, wo denn nun das pflanz-<lb/>liche und organiſche Leben überhaupt beginnt. </s> <s xml:id="echoid-s913" xml:space="preserve">Die Morgen-<lb/>röte desſelben iſt für uns in tiefſtes Dunkel gehüllt; </s> <s xml:id="echoid-s914" xml:space="preserve">wir wiſſen <lb/>nicht wann, wie und wo es entſtand. </s> <s xml:id="echoid-s915" xml:space="preserve">Der zu Bleiſtiften ver-<lb/>wendete <emph style="sp">Graphit</emph> (<emph style="sp">Reisblei</emph>), aus Kryſtall@chüppchen von <lb/>Kohle gebildet, beſteht ſehr wahrſcheinlich aus Reſten der <lb/>erſten organiſchen Weſen. </s> <s xml:id="echoid-s916" xml:space="preserve">Er findet ſich ſchon in Geſteinen <lb/>der <emph style="sp">Urzeit</emph>, die ſonſt noch keine Spuren eines Lebeweſens <lb/>aufweiſen.</s> <s xml:id="echoid-s917" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s918" xml:space="preserve">Man findet allermeiſt die Anſicht ausgeſprochen, daß die <lb/>älteſte bekannte Flora am Beginn des Altertums eine Algen-<lb/>(Tang-)Flora ſei, daß die höheren Pflanzen erſt nachher auf-<lb/>getreten ſeien, und zwar wird dieſe Angabe gewöhnlich mit <lb/>dem Anſpruch gemacht, hiermit eine längſt feſtſtehende, ſichere <lb/>Thatſache auszudrücken. </s> <s xml:id="echoid-s919" xml:space="preserve">Demgegenüber muß aber ausdrücklich <lb/>betont werden, daß 1. </s> <s xml:id="echoid-s920" xml:space="preserve">die meiſten Objekte, die als Algenreſte <lb/>angeſehen wurden, entweder in Wirklichkeit ganz zweifelhafter <lb/>Natur ſind oder aber bereits höheren Pflanzen angehören, und <lb/>daß 2. </s> <s xml:id="echoid-s921" xml:space="preserve">die wenigen zweifelloſen Algen keineswegs eine ſo weite <lb/>Schlußfolgerung geſtatten, da ſich in ſpäteren geologiſchen Forma- <pb o="71" file="079" n="79"/> tionen Algenreſte in gleicher Häufigkeit vorfinden. </s> <s xml:id="echoid-s922" xml:space="preserve">“Daß Algen”, <lb/>ſagt der Pflanzenpalaeontologe <emph style="sp">Graf H. zu Solms-Laubach</emph>, <lb/>“ſo vorwiegend aus den älteſten Formationen ans Tageslicht <lb/>kamen, hing lediglich damit zuſammen, daß dort der Bedürf-<lb/>niſſe der geologiſchen Forſchung halber mit größerem Eifer als <lb/>anderswo nach organiſchen Reſten geſucht wurde.</s> <s xml:id="echoid-s923" xml:space="preserve">” In Wahr-<lb/>heit liegt die Sache ſo, daß die älteſten bekannten Pflanzen <lb/>bereits hochorganiſierte Farne oder Pflanzen aus deren Ver-<lb/>wandtſchaft und auch Algen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s924" xml:space="preserve">Wir ſind weit davon ent-<lb/>fernt, die älteſte Flora, welche die Erde bevölkerte, zu kennen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s925" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vermöge des uns Erhaltenen beginnt unſere that-<lb/>ſächliche Kenntnis der Floren erſt ungemeſſene Zeit-<lb/>perioden nach der Entſtehung der erſten Pflanzen.</emph></s> <s xml:id="echoid-s926" xml:space="preserve"><lb/>Freilich iſt nicht außer acht zu laſſen, daß ſchwerwiegende <lb/>Gründe die Annahme einer ausſchließlichen Algenflora als An-<lb/>fang der Pflanzenwelt unſerer Erde verlangen; </s> <s xml:id="echoid-s927" xml:space="preserve">es iſt das aber <lb/>nur eine <emph style="sp">theoretiſche Folgerung:</emph></s> <s xml:id="echoid-s928" xml:space="preserve"> wo dieſer Algenhorizont <lb/>ſteckt, in welche geologiſche Zeit er zu ſetzen iſt, <emph style="sp">das wiſſen <lb/>wir nicht</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s929" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s930" xml:space="preserve">Wenn der freundliche Leſer das in unſeren geologiſchen <lb/>Auseinanderſetzungen in Teil 8 (“Etwas vom Alter der Erde”) <lb/>Geſagte berückſichtigt, ſo wird ihm klar werden, daß es <lb/>ſogar in hohem Grade wunderbar wäre, wenn von den alten <lb/>Schichten, die die älteſte Flora und die älteſten Lebeweſen <lb/>überhaupt in ſich bargen, noch irgend etwas erhalten ſein ſollte, <lb/>wenn bei den langſamen, aber durch die Zeit gewaltig erſchei-<lb/>nenden Umwälzungen, welche die Erde erlitten hat, nicht all’ <lb/>das namentlich durch Einwirkung des Waſſers wieder aufge-<lb/>arbeitet und umgelagert worden ſein ſollte. </s> <s xml:id="echoid-s931" xml:space="preserve">Wir haben an dem <lb/>angeführten Orte geſehen, daß Norddeutſchland ganz oder zum <lb/>Teil zu wiederholten Malen vom Waſſer überſchwemmt und <lb/>wieder freigelegt wurde, indem ſich z. </s> <s xml:id="echoid-s932" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s933" xml:space="preserve">das Land abwechſelnd <lb/>ſenkte und hob; </s> <s xml:id="echoid-s934" xml:space="preserve">es müſſen alſo die Landfloren im Laufe der <pb o="72" file="080" n="80"/> Zeiten mehrmals vernichtet worden und durch Einwanderung <lb/>aus der Nachbarſchaft wieder erſtanden ſein. </s> <s xml:id="echoid-s935" xml:space="preserve">Hätten auch <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-080-01a" xlink:href="fig-080-01"/> dieſe zeitweiligen “Sintfluten” nicht ſtattgefunden, ſo würde <lb/>dennoch die Landflora aus der Zeit des Altertums unſeres <pb o="73" file="081" n="81"/> Gebietes im weſentlichen keine andere geweſen ſein, als die <lb/>der umgebenden Länder, denn ein Hauptfaktor, welcher be-<lb/>ſonders eine Verſchiedenheit in der Zuſammenſetzung der <lb/>heutigen Floren der Erde bedingt, nämlich das Klima, zeigte <pb o="74" file="082" n="82"/> in den älteren Epochen im allgemeinen noch keine ſolche Unter-<lb/>ſchiede in den einzelnen Ländern des Erdballes wie heute.</s> <s xml:id="echoid-s936" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div44" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-080-01" xlink:href="fig-080-01a"> <caption xml:id="echoid-caption19" xml:space="preserve">Fig. 36. Stigmaria. Vom Piesberg bei Osnabrück. — Aufgeſtell@f der Kgl. Bergakademie und Geologiſchen Landesanſtalt zu Berlin.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s937" xml:space="preserve">Die erſten und auch noch die in ſpäteren Epochen erſchei-<lb/>nenden Gewächſe waren jedoch von denjenigen, welche jetzt bei <lb/>uns leben, durchaus verſchieden. </s> <s xml:id="echoid-s938" xml:space="preserve">Bevor wir es aber verſuchen, <lb/>uns ein allgemeines Bild der Landflora, namentlich zur <emph style="sp">Stein-<lb/>kohlenzeit</emph>, der pflauzenreichſten Epoche des Altertums der <lb/>Erde, zu machen, wollen wir bei dem großen Intereſſe, welches <lb/>die Steinkohlen für uns beſitzen, einiges über die Entſtehung <lb/>dieſes wichtigen Geſteins vorausſchicken.</s> <s xml:id="echoid-s939" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div46" type="section" level="1" n="31"> <head xml:id="echoid-head36" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Entſtehung der Steinkohlen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s940" xml:space="preserve">“Verſetzen wir uns im Geiſte — ſagt G. </s> <s xml:id="echoid-s941" xml:space="preserve"><emph style="sp">de Saporta</emph> — <lb/>in dieſe entfernte Vergangenheit (nämlich in die Steinkohlen-<lb/>zeit), ſo ſehen wir von beweglichem, waſſerdurchtränkten Boden <lb/>gebildete Uferniederungen, die kaum erhaben genug ſind, um <lb/>den Meereswellen den Zugang zu den inneren Lagunen zu <lb/>verwehren, über welche ſanfte, von dicken Nebeln häufig ver-<lb/>ſchleierte Hügel hervorragen, die ſich in weiter Ferne verlieren <lb/>und einen ruhigen Waſſerſpiegel von unbeſtimmter Begrenzung <lb/>mit einem dichten Grün umgürten. </s> <s xml:id="echoid-s942" xml:space="preserve">Das war die Wiege der <lb/>Steinkohlen; </s> <s xml:id="echoid-s943" xml:space="preserve">tauſende von klaren Bächen, von unaufhörlichen <lb/>Regengüſſen geſpeiſt, floſſen von allen benachbarten Gehängen <lb/>und Thälern dieſen Becken zu. </s> <s xml:id="echoid-s944" xml:space="preserve">Die Vegetation hatte damals <lb/>auf weitem Umkreiſe alles überdeckt; </s> <s xml:id="echoid-s945" xml:space="preserve">wie ein undurchdringlicher <lb/>Vorhang drang ſie weit in das Innere des Landes vor und <lb/>behauptete auch den überſchwemmten Boden in der Nähe der <lb/>Lagunen.</s> <s xml:id="echoid-s946" xml:space="preserve">” Von der Gewaltigkeit der damaligen häufigen <lb/>wäſſerigen Niederſchläge können wir uns kaum eine Vorſtellung <pb o="75" file="083" n="83"/> machen: </s> <s xml:id="echoid-s947" xml:space="preserve">die ſtärkſten Wolkcubrüche in den Tropen erreichen <lb/>dieſelben vielleicht nicht im entfernteſten.</s> <s xml:id="echoid-s948" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s949" xml:space="preserve">Es iſt daher erklärlich, daß unter ſolchen beſonderen Be-<lb/>dingungen bei der großen Fülle pflanzlichen Materials das <lb/>Waſſer Trümmer von Stämmen, Stengeln, Blättern, Früchten <lb/>u. </s> <s xml:id="echoid-s950" xml:space="preserve">dergl. </s> <s xml:id="echoid-s951" xml:space="preserve">ohne weitgehende Vermiſchung mit Geſteinsteilchen <lb/>des Erdbodens in bedeutenden Anſammlungen zuſammenzu-<lb/>ſchwemmen vermochte, aus welchen dann alſo eine verhältnis-<lb/>mäßig reine Steinkohle hervorgehen konnte. </s> <s xml:id="echoid-s952" xml:space="preserve">Vieles deutet <lb/>darauf hin, daß ein ſolcher Transport meiſt nicht weit vom <lb/>Urſprungsorte der Pflanzen weg ſtattgefunden haben kann; </s> <s xml:id="echoid-s953" xml:space="preserve">ja <lb/>am häufigſten treten die Steinkohlen in einer Weiſe zwiſchen <lb/>dem übrigen Geſtein auf, welche die Erklärung erfordert, daß <lb/>die Steinkohle nur an der Stelle ſich gebildet haben kann, wo <lb/>auch das pflanzliche Material zu derſelben gewachſen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s954" xml:space="preserve">Denn <lb/>gewöhnlich erſtrecken ſich die Steinkohlenlager viele, in Amerika <lb/>hunderte von Quadratmeilen weit in verhältnismäßig reiner <lb/>Beſchaffenheit, ihre Unterlagen enthalten meiſt Wurzeln oder <lb/>doch unterirdiſche Organe in einem Material, welches man <lb/>verſteinerten Parkboden nennen möchte, während ſich die ober-<lb/>irdiſchen Teile der Pflanzen — wie z. </s> <s xml:id="echoid-s955" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s956" xml:space="preserve">Blätter — vorzugs-<lb/>weiſe in den das Lager bedeckenden Schichten zeigen, und end-<lb/>lich findet man aufrechtſtehende Stämme.</s> <s xml:id="echoid-s957" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s958" xml:space="preserve">Das ſind Erſcheinungen, wie ſie nachträglich von Sand <lb/>oder durch ſonſt ein Material bedeckte Torfmoore auch zeigen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s959" xml:space="preserve">Unten, d. </s> <s xml:id="echoid-s960" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s961" xml:space="preserve">in dem Untergrund des Moores finden ſich <lb/>oft Wurzeln von Bäumen, und die bedeckenden Schichten <lb/>nehmen natürlich die oberirdiſchen Teile der Pflanzen auf, <lb/>die zuletzt auf dem Moore wuchſen: </s> <s xml:id="echoid-s962" xml:space="preserve">auf den Leichen ihrer <lb/>Vorfahren.</s> <s xml:id="echoid-s963" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s964" xml:space="preserve">Die Steinkohlenflötze ſind alſo, mit verſchwindenden Aus-<lb/>nahmen, verſteinerte (“foſſile”) alte Moore, und zwar insbe-<lb/>ſondere <emph style="sp">Waldmoore</emph> wie die in Teil 8, S. </s> <s xml:id="echoid-s965" xml:space="preserve">40 und folgende <pb o="76" file="084" n="84"/> geſchilderten Braunkohlenflötze, nur daß ſich’s hier um eine <lb/>total verſchieden zuſammengeſetzte Flora handelt.</s> <s xml:id="echoid-s966" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s967" xml:space="preserve">Die Steinkohlen- und Braunkohlenlager — die man auch <lb/>als <emph style="sp">foſſile Humuslager</emph> bezeichnen kann, wenn man be-<lb/>rückſichtigt, daß Humus die aus verweſten Pflanzenſubſtanzen <lb/>hervorgehende Maſſe iſt — ſind alſo im ganzen ebenſo <lb/>“<emph style="sp">autochthon</emph>“ (d. </s> <s xml:id="echoid-s968" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s969" xml:space="preserve">an demſelben Ort gebildet, wo die <lb/>Pflanzen wuchſen, die das Kohlematerial lieferten) wie das <lb/>Gros der heutigen hauptſächlichſten Humuslager: </s> <s xml:id="echoid-s970" xml:space="preserve">die Moore. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s971" xml:space="preserve">Das heißt nochmals: </s> <s xml:id="echoid-s972" xml:space="preserve">ebenſo wie die Pflanzen der Torf- und <lb/>Waldmoore an Ort und Stelle, wo ſie wachſen, Humuslager <lb/>erzeugen, war es auch in der Vorzeit die Norm, daß ſolche <lb/>Lager an derſelben Stelle gebildet wurden, wo auch das <lb/>Material derſelben gewachſen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s973" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s974" xml:space="preserve">Die Annahme, daß die Autochthonie die Hauptrolle ge-<lb/>ſpielt hat, hat von vornherein mehr Wahrſcheinlichkeit für ſich <lb/>als diejenige der <emph style="sp">Allochthonie</emph>, d. </s> <s xml:id="echoid-s975" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s976" xml:space="preserve">der Anſchwemmung des <lb/>Flötzmateriales; </s> <s xml:id="echoid-s977" xml:space="preserve">es gehören nur einfache Vorbedingungen zur <lb/>Bildung von autochthonen Humuslagern, die immer wieder <lb/>leicht gegeben ſein mußten und gegeben ſind, wie ſchon die <lb/>erwähnte Thatſache, daß wir heute die Autochthonie herrſchen <lb/>ſehen, ſofort klar macht.</s> <s xml:id="echoid-s978" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s979" xml:space="preserve">Die Pflanzen der Steinkohlenformation, ihr übliches Vor-<lb/>kommen, ihre gewöhnliche Erhaltungsweiſe: </s> <s xml:id="echoid-s980" xml:space="preserve">Alles ſpricht durch-<lb/>aus dafür, daß wir es in der überwiegenden Mehrzahl der <lb/>Kohlenflötze dieſer Formation mit foſſilen Moorbildungen zu <lb/>thun haben. </s> <s xml:id="echoid-s981" xml:space="preserve">Es ſei nur das Folgende hervorgehoben.</s> <s xml:id="echoid-s982" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s983" xml:space="preserve">Das häufigſte Foſſil der Steinkohlenformation iſt die <lb/>Stigmaria (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s984" xml:space="preserve">36). </s> <s xml:id="echoid-s985" xml:space="preserve">Die Stigmarien ſind die unterirdiſchen <lb/>Organe der ſogenannten Schuppen- und Siegel-Bäume, der <lb/>hauptſächlichſten Waldbäume der Steinkohlenzeit. </s> <s xml:id="echoid-s986" xml:space="preserve">Die wage-<lb/>rechte Ausbreitung der wiederholt gegabelten Stigmaria-Zweige <lb/>iſt inſofern bemerkenswert, weil dieſe Eigentümlichkeit durch- <pb o="77" file="085" n="85"/> aus an das Verhalten der Wurzeln der gegenwärtig in Sümpfen <lb/>und Mooren wachſenden Bäume erinnert, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s987" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s988" xml:space="preserve">an die <lb/>“Moor-Kiefern”, die dieſelbe Tracht des Wurzelwerkes zeigen, <lb/>wie die Stigmarien. </s> <s xml:id="echoid-s989" xml:space="preserve">Pflanzen, die auf ſo beſtändig naſſem <lb/>Boden wachſen, wie ihn die Moore bieten, brauchen ihre Wurzeln <lb/>reſp. </s> <s xml:id="echoid-s990" xml:space="preserve">die Teile, welche die Wurzeln vertreten, nicht in größere <lb/>Tiefen zu ſenden, wie es die Pflanzen auf trockenen Böden nötig <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s991" xml:space="preserve">So beſitzen Wüſtenpflanzen, welche die Regenzeit über-<lb/>dauern, ungemein lange, ſenkrecht hinabgehende Wurzeln, die <lb/>die oberirdiſchen Teile der zugehörigen Pflanzen um das <lb/>20 fache (!) an Länge übertreffen können. </s> <s xml:id="echoid-s992" xml:space="preserve">Fand man doch bei <lb/>Gelegenheit der Ausgrabung des Suezkanals auf deſſen Sohle <lb/>Wurzeln, die zu hoch oben auf ſeitwärts gelegenen Höhen <lb/>wachſenden Bäumen gehörten. </s> <s xml:id="echoid-s993" xml:space="preserve">Auch ſtatiſche Gründe, oder mit <lb/>andern Worten, auch Gründe für die Erhaltung des Gleich-<lb/>gewichtes ſind für die eigenartige Ausbildung der Wurzeln <lb/>größerer, ſchwererer Pflanzen in Sumpflandſchaften zu berück-<lb/>ſichtigen. </s> <s xml:id="echoid-s994" xml:space="preserve">Denn der mechaniſche Halt einer großen Pflanze, die <lb/>in ſchlüpfrigem Boden fußt, wird durch die erwähnte Ausbildung <lb/>ſehr viel bedeutender: </s> <s xml:id="echoid-s995" xml:space="preserve">ein in einen Sumpf oder in Triebſand <lb/>verſinkender Menſch wird ſich zu ſeiner Rettung flach hinwerfen <lb/>und die Arme ausbreiten, wie die jetzt lebenden Moorbäume es <lb/>mit ihren Wurzeln, die Foſſilien es mit den Stigmarien thun.</s> <s xml:id="echoid-s996" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s997" xml:space="preserve">Den Stigmaria-Körpern ſitzen radial zur Längsaxe aus-<lb/>ſtrahlend cylindriſche Gebilde “Appendices” an (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s998" xml:space="preserve">37 u. </s> <s xml:id="echoid-s999" xml:space="preserve">38), <lb/>die man gewöhnlich bandförmig erhalten an dem Foſſil meiſt <lb/>noch in der urſprünglichen Richtung abgehend angeheftet findet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1000" xml:space="preserve">Das wäre bei der ſehr geringen Feſtigkeit der Appendices un-<lb/>erklärlich, wenn ſolche Stigmarien nicht an Ort und Stelle <lb/>gewachſen wären, wo wir ſie heute finden. </s> <s xml:id="echoid-s1001" xml:space="preserve">Auch bei anderen <lb/>Steinkohlenpflanzen kann man dieſelbe Erſcheinung beobachten, <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s1002" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1003" xml:space="preserve">bei den Vorfahren der Schachtelhalme: </s> <s xml:id="echoid-s1004" xml:space="preserve">den unterirdiſchen <lb/>Organen der Calamariaceen.</s> <s xml:id="echoid-s1005" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="78" file="086" n="86"/> <p> <s xml:id="echoid-s1006" xml:space="preserve">Die Steinkohle tritt keineswegs an den Orten, wo ſie ſich <lb/>findet, in nur einem Lager auf, ſondern es wiederholen ſich <lb/>übereinander die Kohle-Schichten (“Flötze”) in verſchiedener <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-086-01a" xlink:href="fig-086-01"/> Dicke (“Mächtigkeit”), indem Schichten von Sandſtein und <lb/>Schieferthon mit ihnen abwechſeln. </s> <s xml:id="echoid-s1007" xml:space="preserve">Dieſe eigentümliche Er- <pb o="79" file="087" n="87"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-087-01a" xlink:href="fig-087-01"/> <pb o="80" file="088" n="88"/> ſcheinung deutet offenbar auf mehrmalige Hebungen und <lb/>Senkungen der betreffenden Strecken zur Zeit der Bildung der <lb/>Steinkohlenſchichten, welche eine ebenſo oftmalige Wiederkehr <lb/>gleicher Exiſtenz-Bedingungen zur Folge gehabt hätten. </s> <s xml:id="echoid-s1008" xml:space="preserve">Nach <lb/>jeder Senkung bis unter die Oberfläche des Gewäſſers wäre <lb/>dann die Vegetation von ſpäter erhärteten Schlamm- und Sand-<lb/>maſſen bedeckt worden. </s> <s xml:id="echoid-s1009" xml:space="preserve">Will man keine Senkungen annehmen, <lb/>ſo müßte man mit ungeheuren Überſchwemmungen rechnen, <lb/>welche die bedeckenden Sand- und Thonſchichten mitgeführt <lb/>haben.</s> <s xml:id="echoid-s1010" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div46" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-086-01" xlink:href="fig-086-01a"> <caption xml:id="echoid-caption20" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 37.</emph> <lb/>Stigmaria mit nach allen Richtungen ausſtrahlenden Appendices.</caption> <description xml:id="echoid-description1" xml:space="preserve">1 = Stigmaria-Haupſkörver a mit den kreisförmigen Narben, deren Appendices <lb/>in dem abgedeckten Geſteinsſtück ſtecken. Die in der Schichtungsfläche befindlichen <lb/>Appendices c ſind mehr oder minder bandförmig. — {1/2} der natürlichen Größe.</description> <variables xml:id="echoid-variables6" xml:space="preserve">1</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-087-01" xlink:href="fig-087-01a"> <caption xml:id="echoid-caption21" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 38.</emph> <lb/>Stigmaria mit nach allen Richtungen ausſtrahlenden Appendices.<lb/>2 = Dasſelbe Stück wie Fig. 37 von der Unterſeite, die durchtretenden, querzer-<lb/>brochenen, noch cylindriſchen Appendices der Unterſeite von a zeigend. 3 = Das-<lb/>ſelbe Stück von der Seite geſehen. a der Stigmaria-Hauptkörder mit dem Mark-<lb/>ſteinkern b; c die Appendices. — Alles {1/2} der natürlichen Größe.</caption> <variables xml:id="echoid-variables7" xml:space="preserve">2 3 c c c b a</variables> </figure> </div> </div> <div xml:id="echoid-div48" type="section" level="1" n="32"> <head xml:id="echoid-head37" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Die Flora der Steinkohlenzeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1011" xml:space="preserve">Betrachten wir nun mit geiſtigem Auge die Flora dieſer <lb/>Zeit, ſo wird uns das Fehlen eines jeglichen Blumenſchmuckes <lb/>am meiſten auffallen. </s> <s xml:id="echoid-s1012" xml:space="preserve">Die Organe, welche in Bezug auf ihre <lb/>Lebensthätigkeit mit den Blüten der höheren, d. </s> <s xml:id="echoid-s1013" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s1014" xml:space="preserve">verwickelter <lb/>gebauten Pflanzen vergleichbar ſind, waren unſcheinbar, und <lb/>dies um ſo mehr, als ihnen wahrſcheinlich auch jede Farben-<lb/>pracht fehlte. </s> <s xml:id="echoid-s1015" xml:space="preserve">Die äußeren Geſtalten dieſer längſt ausgeſtor-<lb/>benen Gewächſe erſcheinen uns, verglichen mit denen, die wir <lb/>zu ſehen gewohnt ſind, abenteuerlich und fremd; </s> <s xml:id="echoid-s1016" xml:space="preserve">ſie machen im <lb/>ganzen einen düſteren Eindruck auf uns. </s> <s xml:id="echoid-s1017" xml:space="preserve">Die vorherrſchenden <lb/>Arten, wie die <emph style="sp">Calamarien</emph> und <emph style="sp">Lepidophyten</emph>, hatten <lb/>eine große Ähnlichkeit, erſtere mit unſeren Schachtelhalmen, <lb/>letztere mit den Bärlappen, nur müſſen wir uns — abgeſehen <lb/>von ſonſtigen Abweichungen — dieſelben in Baumform vor-<lb/>ſtellen. </s> <s xml:id="echoid-s1018" xml:space="preserve">Zu den Lepidophyten gehören die ſchon S. </s> <s xml:id="echoid-s1019" xml:space="preserve">76 erwähnten <lb/>Siegel- und Schuppenbäume.</s> <s xml:id="echoid-s1020" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1021" xml:space="preserve">Betrachten wir zunächſt einmal den künſtlich aus Holz <pb o="81" file="089" n="89"/> und ſonſtigen Materialien (zu Dekorationszwecken bei Gelegen-<lb/>heit eines Kaiſerbeſuches der Königs- und Laurahütte in Ober-</s> </p> <figure> <caption xml:id="echoid-caption22" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 39.</emph> <lb/>Eine reſtaurierte Sigillaria aus@ der Steinkohlenflora.</caption> </figure> <p> <s xml:id="echoid-s1022" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1023" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein,</emph> Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1024" xml:space="preserve">Voltsbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1025" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="82" file="090" n="90"/> <p> <s xml:id="echoid-s1026" xml:space="preserve">ſchleſien vom Verfaſſer <emph style="sp">Potonié</emph>) reſtaurierten “Siegelbaum” <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-090-01a" xlink:href="fig-090-01"/> (Sigillaria), Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1027" xml:space="preserve">39, ſo genannt wegen <lb/>der, wie mit einem ſcharfen Petſchaft <lb/>ſauber eingedrückten Blattnarben, <lb/>welche die ganze Stammoberfläche <lb/>bekleiden, wofür Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1028" xml:space="preserve">40 und 41 Bei-<lb/>ſpiele bieten, ſo fällt uns wohl am <lb/>meiſten die durchweg gablige Ver-<lb/>zweigung der Krone auf, eine Ver-<lb/>zweigungsart, welche die Pflanzen der <lb/>älteſten geologiſchen Zeiten im Gegen-<lb/>ſatz zu der heute beliebten, vorwiegend <lb/>riſpigen Verzweigung auffallend be-<lb/>vorzugen, und die der Verfaſſer <lb/>durch die von vielen Thatſachen unter-<lb/>ſtützte Annahme der urſprünglichen <lb/>Abſtammung der erſten Landpflanzen <lb/>von gegabelten, tangartigen Waſſer-<lb/>pflanzen zu erklären verſucht hat. </s> <s xml:id="echoid-s1029" xml:space="preserve">Es <lb/>iſt in der That bemerkenswert, wie <lb/>gern auch die heutigen Waſſerpflanzen <lb/>zu Gabelungen neigen, und ſo wären <lb/>die Gabeln der Sigillarien Erinne-<lb/>rungen an ihre Herkunft aus dem <lb/>Waſſer, eine Herkunft, die nach An-<lb/>ſicht der heutigen Wiſſenſchaft alle <lb/>Lebeweſen ohne Ausnahme mit der <lb/>“Schaumgebo@enen” teilen. </s> <s xml:id="echoid-s1030" xml:space="preserve">Schon die <lb/>ſo ſinnige griechiſche Mythologie weiſt <lb/>durch dieſen Beinamen der Aphrodite <lb/>auf denſelben Urquell alles Lebens <lb/>hin. </s> <s xml:id="echoid-s1031" xml:space="preserve">An der Anſatzſtelle der Krone <lb/>am Stamm ſehen wir mächtige, zapfen- <pb o="83" file="091" n="91"/> förmige Gebilde, geſtielte Blüten, herabhängen; </s> <s xml:id="echoid-s1032" xml:space="preserve">dieſe ſind alſo <lb/>hier “ſtammbürtig”.</s> <s xml:id="echoid-s1033" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div48" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-090-01" xlink:href="fig-090-01a"> <caption xml:id="echoid-caption23" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 40.</emph> <lb/>Eine Sigillaria-Stamm-<lb/>Oberfläche mit Blattnarben, <lb/>unten mit “rhytidoleper”, <lb/>oben mit “teſſellater” <lb/>Skulptur, ganz oben die <lb/>Blattnarben wieder ent-<lb/>fernter ſtehend.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1034" xml:space="preserve">Die unterirdiſchen Teile des Baumes ſind von Pflanzen-<lb/>Vorweſen-Kun-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-091-01a" xlink:href="fig-091-01"/> digen, bevor ſie <lb/>noch die Zu-<lb/>ſammengehörig-<lb/>keit der einzel-<lb/>nen Teile erkannt <lb/>hatten, — wie <lb/>wir ſchon ſahen <lb/>— als Stig-<lb/>maria beſchrie-<lb/>ben worden. </s> <s xml:id="echoid-s1035" xml:space="preserve">Es <lb/>ſind gegabelte, <lb/>wurzelartige Ge-<lb/>bilde, die natür-<lb/>lich auch die <lb/>Arbeit der Wur-<lb/>zel zu verrichten <lb/>hatten, dadurch <lb/>beſonders bemer-<lb/>kenswert, daß <lb/>ſie durchaus ho-<lb/>rizontal ausge-<lb/>breitet ſind, ge-<lb/>nau ebenſo wie <lb/>die Wurzeln <lb/>z.</s> <s xml:id="echoid-s1036" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1037" xml:space="preserve">der Sumpf-<lb/>cypreſſe in den <lb/>mächtigen Waldmooren des ſüdlichen Nordamerika.</s> <s xml:id="echoid-s1038" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div49" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-091-01" xlink:href="fig-091-01a"> <caption xml:id="echoid-caption24" xml:space="preserve">Fig. 41. <lb/>Ein Stück der Stamm-Oberfläche mit Blattnarben von <lb/>Sigillaria Brardi, unten mit “clathrariſcher”, oben mit <lb/>“leiodermer” Skulptur.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1039" xml:space="preserve">Auch die unterirdiſchen Organe des in der anderen Gruppe, <lb/>in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1040" xml:space="preserve">42, veranſchaulichten künſtlichen Modelles eines Stein- <pb o="84" file="092" n="92"/> kohlen-Baumes, eines “Schuppenbaumes” (Lepidodendron) (ſo <lb/>genannt, weil die den Stamm bekleidenden, ſchön und regel-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-092-01a" xlink:href="fig-092-01"/> <pb o="85" file="093" n="93"/> mäßig ſkulpturierten Polſter, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1041" xml:space="preserve">43 und 44, welche die Blätter <lb/>trugen, früher für Schuppen gehalten wurden) ſind “Stigmarien”. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1042" xml:space="preserve">Dieſer Baum zeigt ebenfalls die bemerkenswerte Gabelbildung <lb/>der ganzen Krone. </s> <s xml:id="echoid-s1043" xml:space="preserve">Die Äſte ſind reicher verzweigt und enden <lb/>in feinere Sproſſe als die der Sigillarien, ja Gabelzweige <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-093-01a" xlink:href="fig-093-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-093-02a" xlink:href="fig-093-02"/> letzterer ſind überhaupt erſt ſpäter bekannt geworden und ſind <lb/>auch ſeltener als ſolche von Lepidodendron, ſo daß man früher <lb/>glaubte, die Sigillarien hätten durchweg die Tracht einer <lb/>Lampencylinderbürſte gehabt: </s> <s xml:id="echoid-s1044" xml:space="preserve">einfache, unverzweigte Stämme <lb/>mit einem Schopf Blätter am Gipfel. </s> <s xml:id="echoid-s1045" xml:space="preserve">So findet man denn <lb/>auch die Sigillarien in den Abbildungen meiſt rekonſtruiert, <lb/>Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1046" xml:space="preserve">45; </s> <s xml:id="echoid-s1047" xml:space="preserve">aber ſchon der Gedanke, daß der Aufwand eines mäch- <pb o="86" file="094" n="94"/> tigen Baumſtammes für eine ganz ſpärliche “Krone”, die nur <lb/>wenigen Blättern Platz gewährt, unerklärlich wäre, gebietet, <lb/>ſolche Rekonſtruktionen mit Vorſicht aufzunehmen. </s> <s xml:id="echoid-s1048" xml:space="preserve">Hält man <lb/>ſich, wie das die exakte Forſchung verlangen muß, genau an <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-094-01a" xlink:href="fig-094-01"/> die bekannten Einzelthatſachen, ſo er-<lb/>hält man nämlich eine bei weitem <lb/>ſpärlichere Krone als ſie durch die <lb/>übertrieben lang gezeichneten Blätter <lb/>wiedergegeben zu werden pflegt, und <lb/>es kommt hinzu, daß auch der Stamm <lb/>auf Grund der Funde ſogenannter <lb/>unverzweigter Sigillaria-Stämme eine <lb/>ganz andere Tracht beſitzt als Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1049" xml:space="preserve">45.</s> <s xml:id="echoid-s1050" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div50" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-092-01" xlink:href="fig-092-01a"> <caption xml:id="echoid-caption25" xml:space="preserve">Fig. 42. <lb/>Ein reſtauriertes Lepidodendron aus der Steinkohlenflora.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-093-01" xlink:href="fig-093-01a"> <caption xml:id="echoid-caption26" xml:space="preserve">Fig. 43. <lb/>Stammoberflächenſtück von Lepido-<lb/>dendron Volkmannianum.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-093-02" xlink:href="fig-093-02a"> <caption xml:id="echoid-caption27" xml:space="preserve">Fig. 44. <lb/>Stammoberflächenſtück von Lepido-<lb/>dendron Veltheimii.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-094-01" xlink:href="fig-094-01a"> <caption xml:id="echoid-caption28" xml:space="preserve">Fig. 45.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1051" xml:space="preserve">Beſonders wichtig für das flori-<lb/>ſtiſche Gepräge der Steinkohlenzeit <lb/>ſind <emph style="sp">Farnkräuter</emph> in vielen Arten, <lb/>und auch dieſe zeichneten ſich durch <lb/>beſondere Größe aus. </s> <s xml:id="echoid-s1052" xml:space="preserve">Von Pflanzen, <lb/>die mit unſeren Nadelhölzern verwandt <lb/>ſind, kamen ebenfalls welche vor, ſo <lb/>die <emph style="sp">Cordaiten</emph>, große Bäume, die <lb/>äußerlich freilich eher an Drachenblut-<lb/>bäume (Dracaenen) als an Nadelhölzer <lb/>erinnern, deren Fortpflanzungsorgane <lb/>jedoch beweiſen, daß ſie noch zu den <lb/>nacktſamigen Pflanzen gehören, zu <lb/>denen eben die Nadelhölzer gleichfalls <lb/>geſtellt werden. </s> <s xml:id="echoid-s1053" xml:space="preserve">Verwandte unſerer Laubhölzer ſind in dieſer <lb/>fernen Zeit noch lange nicht vorhanden: </s> <s xml:id="echoid-s1054" xml:space="preserve">gar nichts aus den <lb/>höchſten Gruppen des Pflanzenreiches, den Monocotyledonen <lb/>(wohin z. </s> <s xml:id="echoid-s1055" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1056" xml:space="preserve">die Palmen gehören) oder den Dicotyledonen <lb/>(wohin unſere Laubhölzer gehören).</s> <s xml:id="echoid-s1057" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1058" xml:space="preserve">Wenn ſich der freundliche Leſer an das erinnert, was in <pb o="87" file="095" n="95"/> Teil I von S. </s> <s xml:id="echoid-s1059" xml:space="preserve">94 ab über die Blüten und Blumen geſagt <lb/>worden iſt, ſo hätten wir in Anknüpfung an die Kennt-<lb/>niſſe, die wir an der angeführten Stelle erworben haben, mit <lb/>Rückſicht auf die Art der Fortpflanzung bei den Pflanzen der <lb/>Steinkohlenzeit das Folgende zu erwähnen.</s> <s xml:id="echoid-s1060" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1061" xml:space="preserve">Durch Vermittelung des Waſſers befruchtete Pflanzen, <lb/>welche heute bei uns z. </s> <s xml:id="echoid-s1062" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1063" xml:space="preserve">durch die Farnkräuter vertreten <lb/>ſind, waren die erſten Gewächſe bis zur <emph style="sp">Steinkohlen-Zeit</emph> <lb/>faſt ausſchließlich. </s> <s xml:id="echoid-s1064" xml:space="preserve">Es beweiſen uns dies die allerdings oft <lb/>recht zweifelhaften und ſchwer zu deutenden Spuren und Reſte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1065" xml:space="preserve">Wir werden jedoch gewiß nicht fehltreffen, wenn wir an-<lb/>nehmen, daß die allererſten Gewächſe ſich in der einfachſten <lb/>Weiſe fortgepflanzt haben, die uns überhaupt bekannt iſt, <lb/>nämlich durch bloße Teilung, alſo durch Zerfallen des Mutter-<lb/>körpers in mehrere Stücke. </s> <s xml:id="echoid-s1066" xml:space="preserve">Es finden ſich gegen Ende des <lb/>Altertums auch ſchon einige Windblüher, es ſind das die ſchon <lb/>erwähnten Cordaiten, aber zahlreicher treten dieſe erſt ſpäter <lb/>hinzu, in einer Zeit, die wir geradezu als die der Wind-<lb/><emph style="sp">blüher</emph> kennzeichnen können, da die letzteren hier ihre Haupt-<lb/>entwickelung erreichen.</s> <s xml:id="echoid-s1067" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1068" xml:space="preserve">Noch viel ſpäter, in der Zeit, die wir als die des Mittel-<lb/>alters bezeichneten, treten auch Inſektenblüher hinzu, die uns <lb/>heute in ihrer reichen Entwickelung durch Schönheit und Farben-<lb/>pracht erfreuen.</s> <s xml:id="echoid-s1069" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div52" type="section" level="1" n="33"> <head xml:id="echoid-head38" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Das Klima zur Steinkohlenzeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1070" xml:space="preserve">Wie uns die erhaltenen Überbleibſel und Abdrücke der <lb/>Pflanzen lehren, herrſchte im Großen und Ganzen von der <lb/>Steinkohlenzeit bis faſt gegen das Ende des Mittelalters, d. </s> <s xml:id="echoid-s1071" xml:space="preserve">h. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1072" xml:space="preserve">bis zur mittleren Kreidezeit, auf der ganzen Erdoberfläche <pb o="88" file="096" n="96"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-096-01a" xlink:href="fig-096-01"/> von den Polen <lb/>bis zum Äquator <lb/>ein mehr gleich-<lb/>mäßiges und <lb/>zwar tropiſches <lb/>Klima, d. </s> <s xml:id="echoid-s1073" xml:space="preserve">h.</s> <s xml:id="echoid-s1074" xml:space="preserve">, wir <lb/>finden alſo wäh-<lb/>rend dieſes ge-<lb/>waltig langen <lb/>Zeitraumes auf <lb/>dem ganzen Erd-<lb/>ball eine Pflan-<lb/>zenwelt von dem <lb/>Charakter der-<lb/>jenigen, wie ſie <lb/>heute nur n@ch <lb/>unſere heißeſten <lb/>Erdſtriche bevöl-<lb/>kert.</s> <s xml:id="echoid-s1075" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div52" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-096-01" xlink:href="fig-096-01a"> <caption xml:id="echoid-caption29" xml:space="preserve">Fig. 46. <lb/>Modell zweier Farn-Lianen (Sphenopteris Hoeninghausi <lb/>und Mariopteris muricata) der Steinkohlenzeit, ſich um <lb/>mächtige Calamarien-Schößlinge windend. Etwa 25 mal <lb/>verkleinert.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1076" xml:space="preserve">Die Pflanzen-<lb/>reſte der Stein-<lb/>kohlenzeit weiſen <lb/>uns im Vergleich <lb/>mit den Pflanzen <lb/>unſerer heutigen <lb/>Tropen und der <lb/>anderen klima-<lb/>tiſchen Zonen <lb/>auf Schritt und <lb/>Tritt auf die <lb/>Tropennatur <lb/>derſelben.</s> <s xml:id="echoid-s1077" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1078" xml:space="preserve">Sehen wir <pb o="89" file="097" n="97"/> uns zunächſt einmal die Farne daraufhin an. </s> <s xml:id="echoid-s1079" xml:space="preserve">Während in den <lb/>heutigen gemäßigten Zonen nur Farn-<emph style="sp">Stauden</emph> vorkommen, <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s1080" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s1081" xml:space="preserve">Pflanzen, deren Stengel-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-097-01a" xlink:href="fig-097-01"/> Organe im weſentlichen im <lb/>Erdboden verbleiben und ſich <lb/>nicht in die Luft erheben, <lb/>haben wir es in den Farnen <lb/>der Steinkohlenzeit überwie-<lb/>gend mit Farn-Bäumen und <lb/>kletternden Farnen zu thun, <lb/>wie ſolche für unſere heuti-<lb/>gen Tropen charakteriſtiſch <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1082" xml:space="preserve">Die letzteren müſſen <lb/>im Steinkohlen-Urwalde die <lb/>Rolle unſerer heutigen tro-<lb/>piſchen höheren Schling-<lb/>Pflanzen geſpielt haben, wo-<lb/>von unſere Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1083" xml:space="preserve">46 eine Vor-<lb/>ſtellung geben ſoll. </s> <s xml:id="echoid-s1084" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1085" xml:space="preserve">60 <lb/>giebt ein Stückchen des <lb/>Wedels von dem kleineren, <lb/>um den grünen Schößling <lb/>hinaufwindenden Farn in <lb/>natürlicher Größe.</s> <s xml:id="echoid-s1086" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div53" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-097-01" xlink:href="fig-097-01a"> <caption xml:id="echoid-caption30" xml:space="preserve">Fig. 47. <lb/>Pecopteris dentata aus der Steinkohlen-<lb/>formation. Stück der Hauptſpindel mit <lb/>Adventivfiedern.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1087" xml:space="preserve">Es muß dabei freilich <lb/>dahingeſtellt bleiben, ob es <lb/>ſich in ſolchen lang- und <lb/>dabei dünnſtämmigen, be-<lb/>ziehungsweiſe dünnſpindeli-<lb/>gen Farn-Arten wirklich um <lb/><emph style="sp">windende</emph> Pflanzen gehandelt hat, wie ſolche auch unter den <lb/>heutigen tropiſchen Farnen, ohne jedoch der Phyſiognomie der <lb/>Landſchaft einen Charakter aufzuprägen, gelegentlich vorkommen.</s> <s xml:id="echoid-s1088" xml:space="preserve"> <pb o="90" file="098" n="98"/> So viel iſt ſicher, daß die in Rede ſtehenden, dünnen und <lb/>langen foſſilen Farn-Stämme oder -Spindeln nicht in der <lb/>Lage waren, ohne Stütze ſich aufrecht zu erhalten, ſo daß <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-098-01a" xlink:href="fig-098-01"/> mindeſtens anzunehmen <lb/>iſt, daß ſolche Farne <lb/>durch Anſchmiegen an <lb/>Stämme, die in der Lage <lb/>waren, ſich ſelbſt zu <lb/>tragen, den Kampf zur <lb/>Erreichung der Licht-<lb/>quelle aufnahmen. </s> <s xml:id="echoid-s1089" xml:space="preserve">Es <lb/>muß alſo der Charakter <lb/>des Steinkohlen - Ur-<lb/>waldes nicht unweſent-<lb/>lich durch ſolche Farne <lb/>beeinflußt geweſen ſein, <lb/>ſo daß ſie den tropiſchen <lb/>Habitus desſelben mit-<lb/>bedingen halfen. </s> <s xml:id="echoid-s1090" xml:space="preserve">Unſere <lb/>Abbildung 46 ſtellt zwei <lb/>mächtige Calamarien-<lb/>Schößlinge vor, die von <lb/>Sphenopteris Hoe-<lb/>ninghausi — es iſt das <lb/>der von dem einen <lb/>Schößling auf den an-<lb/>deren überſpringende <lb/>Farn — und Mariop-<lb/>teris muricata — der <lb/>kleinere, den größeren <lb/>Schößling hinaufwindende Farn — als Stütze benutzt werden.</s> <s xml:id="echoid-s1091" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div54" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-098-01" xlink:href="fig-098-01a"> <caption xml:id="echoid-caption31" xml:space="preserve">Fig. 48. <lb/>Ein Wedelſtückchen von Gleichenia (Mertensia) <lb/>gigantea. — a = Hauptſpindel (Spindel erſter <lb/>Ordnung) mit Adventivfiedern; b = Spindel <lb/>zweiter Orduung mit normalen Fiedern.</caption> <variables xml:id="echoid-variables8" xml:space="preserve">a b b a</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1092" xml:space="preserve">Unter den Steinkohlenfarnen kommen nicht ſelten ſolche <lb/>vor, die auf ihren Haupt-Wedelſpindeln eigentümliche, in ihrer <pb o="91" file="099" n="99"/> Geſtalt von den “normalen” Fiedern ganz abweichende ſoge-<lb/>nannte “Adventivfiedern” tragen, wie ſie auch heute noch bei <lb/>tropiſchen Farnen vorkommen: </s> <s xml:id="echoid-s1093" xml:space="preserve">wiederum ein Hinweis auf die <lb/>Tropennatur un-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-099-01a" xlink:href="fig-099-01"/> ſerer Heimat zur <lb/>Steinkohlenzeit. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1094" xml:space="preserve">Solche Adventiv-<lb/>fiedern zeigen der <lb/>Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1095" xml:space="preserve">47 abgebil-<lb/>dete Reſt aus der <lb/>Steinkohlenfor-<lb/>mation und im <lb/>Vergleich damit <lb/>die Wedelſtücke <lb/>tropiſcher Farnder <lb/>Jetztzeit, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1096" xml:space="preserve">48 <lb/>und 49. </s> <s xml:id="echoid-s1097" xml:space="preserve">Die Ad-<lb/>ventivfiedern find <lb/>vielleicht als Über-<lb/>reſte, Erinnerun-<lb/>gen an die ur-<lb/>ſprünglich ſpreitig <lb/>beſetzt geweſenen <lb/>Hauptſpindeln der <lb/>Wedel zu deuten; </s> <s xml:id="echoid-s1098" xml:space="preserve"><lb/>ihre feine Zertei-<lb/>lung mit gern <lb/>mehr oder minder <lb/>lineal geſtalteten <lb/>Teilen letzter Ord-<lb/>nung, ferner ihre zuweilen hervortretende Neigung zu Gabe-<lb/>lungen, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1099" xml:space="preserve">49, erinnern durchaus an die von den älteſten <lb/>und älteren Farnen, z. </s> <s xml:id="echoid-s1100" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1101" xml:space="preserve">von der Gattung Rhodea, beliebten <pb o="92" file="100" n="100"/> Eigentümlichkeiten (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1102" xml:space="preserve">50 und 51) hinſichtlich der Zerteilung <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-100-01a" xlink:href="fig-100-01"/> und Geſtaltung der <lb/>ſpreitigen Fläche. </s> <s xml:id="echoid-s1103" xml:space="preserve">Wie <lb/>Erſtlingsblätter von <lb/>Pflanzen in ihrer Aus-<lb/>bildung Eigentümlich-<lb/>keiten der Hauptblätter <lb/>der Vorfahren lange <lb/>bewahren können, ſo <lb/>ſind vielleicht die Ad-<lb/>ventivfiedern, die doch <lb/>Primär- (Erſtlings-) <lb/>fiedern ſind, ebenfalls <lb/>auf den Ausſterbeetat <lb/>geſetzte Reſte, die aber <lb/>nicht bloß wie in an-<lb/>deren Fällen ihrer <lb/>Stellung, ſondern über-<lb/>dies auch ihrer Form <lb/>nach an weit entlegene <lb/>Bau-Verhältniſſe der <lb/>Vorfahren erinnern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1104" xml:space="preserve">Für die erwähnte Deu-<lb/>tung der Adventiv-<lb/>fiedern kann auch noch <lb/>die Thatſache verwertet <lb/>werden, daß ſie erſt <lb/>an Arten des ſpäteren <lb/>Altertums auftreten <lb/>und vor allem bei <lb/>Arten von der Aus-<lb/>bildung wie Rhodea <lb/>noch nicht vorhanden <pb o="93" file="101" n="101"/> ſind, da es ja hier nach dem Geſagten die “normalen” Fiedern <lb/>ſind, die die feine, lineale Zerteilung aufweiſen.</s> <s xml:id="echoid-s1105" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div55" type="float" level="2" n="4"> <figure xlink:label="fig-099-01" xlink:href="fig-099-01a"> <caption xml:id="echoid-caption32" xml:space="preserve">Fig. 49. <lb/>Baſis des Wedelſtiels von Hemitelia capensis mit <lb/>Adventivſiedern.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-100-01" xlink:href="fig-100-01a"> <caption xml:id="echoid-caption33" xml:space="preserve">Fig. 50. <lb/>Rhodea Schimperi.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1106" xml:space="preserve">Aber nicht allein durch die erwähnten Eigentümlichkeiten <lb/>zeigen ſich die Steinkohlenfarne als tropiſche, ſondern auch <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-101-01a" xlink:href="fig-101-01"/> durch den Bau ihrer Fortpflanzungsorgane, der darauf hin-<lb/>weiſt, daß die nächſten heutigen Verwandten jener längſt aus-<lb/>geſtorbenen Arteu in den Tropen zu Hauſe ſind.</s> <s xml:id="echoid-s1107" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div56" type="float" level="2" n="5"> <figure xlink:label="fig-101-01" xlink:href="fig-101-01a"> <caption xml:id="echoid-caption34" xml:space="preserve">Fig. 51. <lb/>Rhodea dissecta.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1108" xml:space="preserve">Eine bemerkenswerte Erſcheinung der Steinkohlenflora iſt <lb/>ferner das Überwiegen <emph style="sp">holziger</emph> Gewächſe auch bei Pflanzen <pb o="94" file="102" n="102"/> aus Gruppen, die heute keine holzigen Arten mehr umfaſſen, <lb/>ſondern meiſt krautig ſind, nur ganz ausnahmsweiſe Andeu-<lb/>tungen von Dickenwachstum zeigen und dabei im allgemeinen <lb/>bei weitem kleinere Dimenſionen aufweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s1109" xml:space="preserve">“Die Verholzung <lb/>des Stammes, der Zweige und Äſte, — ſagt z. </s> <s xml:id="echoid-s1110" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1111" xml:space="preserve">der Bo-<lb/>taniker G. </s> <s xml:id="echoid-s1112" xml:space="preserve"><emph style="sp">Haberlandt</emph> — das ſogenannte ſekundäre Dicken-<lb/>wachstum, durch welches die Feſtigkeit des Traggerüſtes all-<lb/>mählich erhöht, die Stoffleitungsbahnen vergrößert werden, iſt <lb/>eine ſozuſagen ganz ſelbſtverſtändliche Erſcheinung, ſobald in-<lb/>folge der Gunſt des Klimas das Wachstum der Pflanzen gleich-<lb/>mäßig fortdauern kann und keine periodiſchen Unterbrechungen <lb/>und Schädigungen erleidet. </s> <s xml:id="echoid-s1113" xml:space="preserve">Wenn man ſich überhaupt das <lb/>Bild einer “<emph style="sp">typiſchen</emph>“ höher entwickelten Landpflanze ent-<lb/>werfen will, an welcher die Anpaſſung an äußere Verhältniſſe <lb/>möglichſt wenig herumgemodelt hat, ſo wird dasſelbe jeden-<lb/>ſalls weit mehr einem tropiſchen, immergrünen Holzgewächſe, <lb/>als einem europäiſchen Kraute gleichen, deſſen Lebenserſchei-<lb/>nungen mehr oder weniger deutlich den Stempel der Anpaſſung <lb/>an die lange Winterruhe erkennen laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s1114" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1115" xml:space="preserve">Wie die tropiſchen Holzgewächſe, die vermöge der günſtigen <lb/>klimatiſchen Verhältniſſe oft ein <emph style="sp">ſtetiges</emph> Dickenwachstum be-<lb/>ſitzen und ſomit oft der durch ein periodiſches Wachstum be-<lb/>dingten Jahresringe im Holzkörper entbehren, ſo fehlen Jahres-<lb/>ringe auch den Holzgewächſen der Steinkohlenformation, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1116" xml:space="preserve">52. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1117" xml:space="preserve">Entſpricht nun auch das ſtete Vorhandenſein von Jahresringen <lb/>bei den jetzigen Holzgewächſen unſerer gemäßigten und kalten <lb/>Zone, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1118" xml:space="preserve">53, gerade der Periodizität der Klimate dieſer <lb/>Zonen, im Gegenſatz zu dem mehr gleichmäßigen Wachstum <lb/>der tropiſchen Pflanzen der heutigen und der Steinkohlenzeit, <lb/>ſo ſind doch aber, wie es freilich ſelbſtverſtändlich iſt, länger <lb/>dauernde Wechſel in den Witterungsverhältniſſen zur Stein-<lb/>kohlenzeit vorgekommen, ähnlich wie in den heutigen Tropen. </s> <s xml:id="echoid-s1119" xml:space="preserve"><lb/>Das iſt an den uns überkommenen Reſten zuweilen in inter- <pb o="95" file="103" n="103"/> eſſanter Weiſe noch wahrzunehmen. </s> <s xml:id="echoid-s1120" xml:space="preserve">Wie nämlich unſere heu-<lb/>tigen Pflanzen, wenn ſie ungenügend belichtet werden, wohl <lb/>in dem Beſtreben, das fehlende Licht zu ſuchen, gern lang <lb/>aufſchießen und dadurch ihre Blätter weit auseinanderrücken, <lb/>und wie die Pflanzen in der Trockenheit oder aus anderen <lb/>Gründen leicht klein und kurz bleiben und dann umgekehrt <lb/>ihre Blätter dichter gedrängt zeigen, ſo kann man auch auf <lb/>dem Stamm der in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1121" xml:space="preserve">39 zur Darſtellung gebrachten Sigillaria <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-103-01a" xlink:href="fig-103-01"/> einige Zonen enger ſtehender Blattnarben bemerken, die die <lb/>foſſilen Reſte zuweilen zeigen, und die demjenigen, der ihre <lb/>Sprache zu leſen verſteht, die wechſelvolle Landſchaft in der <lb/>Phantaſie bis in gewiſſe Einzelheiten hinein wieder erſtehen läßt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1122" xml:space="preserve">Solche foſſilen Reſte mit abwechſelnden Zonen enger und weiter <lb/>ſtehender Blattnarben (mit “Wechſelzonen”) veranſchaulichen <lb/>unſere Figuren 40 und 41.</s> <s xml:id="echoid-s1123" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div57" type="float" level="2" n="6"> <figure xlink:label="fig-103-01" xlink:href="fig-103-01a"> <caption xml:id="echoid-caption35" xml:space="preserve">Fig. 52. <lb/>Vergrößerter Querſchliff durch ein Stück einer Calamariacee ohne Spur von <lb/>Jahresringen.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1124" xml:space="preserve">Auch die Blattformen der foſſilen Pflanzen ſcheinen auf <lb/>im ganzen tropiſche Verhältniſſe in der in Rede ſtehenden Zeit <lb/>hinzuweiſen.</s> <s xml:id="echoid-s1125" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="96" file="104" n="104"/> <p> <s xml:id="echoid-s1126" xml:space="preserve">Der Botaniker E. </s> <s xml:id="echoid-s1127" xml:space="preserve">Stahl hat gezeigt, daß die Zerteilung <lb/>der Blattſpreite in mehr oder weniger von einander unab-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-104-01a" xlink:href="fig-104-01"/> hängige Lamellen den Vorteil hervorbringt, daß, bei im <lb/>Übrigen gleichem Bau und gleicher Geſamtoberfläche, die <lb/>Spreiten ſchwächer gebaut ſein können, als wenn ſie ganz ſind.</s> <s xml:id="echoid-s1128" xml:space="preserve"> <pb o="97" file="105" n="105"/> “Hieraus ergiebt ſich — ſagt Stahl —, daß die Herſtellung einer <lb/>gegen Regen und Wind gleich reſiſtenten, geteilten Spreite einen <lb/>geringeren Materialaufwand erheiſcht als die einer einfachen <lb/>ungeteilten.</s> <s xml:id="echoid-s1129" xml:space="preserve">”</s> </p> <div xml:id="echoid-div58" type="float" level="2" n="7"> <figure xlink:label="fig-104-01" xlink:href="fig-104-01a"> <caption xml:id="echoid-caption36" xml:space="preserve">Fig. 53. <lb/>Stark vergrößerter Querſchnitt durch einen 3 jährigen, alſo mit 3 Jahresringen <lb/>verſehenen Lindenzweig.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1130" xml:space="preserve">“Als . </s> <s xml:id="echoid-s1131" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s1132" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s1133" xml:space="preserve">Schutzmittel gegen die mechaniſchen Wirkungen <lb/>des Regens und Hagels — ſagt auch der Botaniker <emph style="sp">Kny</emph> — be-<lb/>trachten wir die Zerteilung der Blattſpreite” u. </s> <s xml:id="echoid-s1134" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s1135" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s1136" xml:space="preserve">, und <lb/>ferner: </s> <s xml:id="echoid-s1137" xml:space="preserve">“Ebenſo, wie zerteilte, werden ſchmale mit ſehr bieg-<lb/>ſame Blattſpreiten . </s> <s xml:id="echoid-s1138" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s1139" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s1140" xml:space="preserve">befähigt ſein, den mechaniſchen Wir-<lb/>kungen der atmoſphäriſchen Niederſchläge auszuweichen.</s> <s xml:id="echoid-s1141" xml:space="preserve">” Denn <lb/>es leuchtet ohne weiteres ein, “daß, wenn die Spreite tief-ge-<lb/>buchtet oder in eine größere Zahl kleiner, ſelbſtändig geſtielter <lb/>Abſchnitte zerlegt iſt, die Beweglichkeit der einzelnen Teile ſehr <lb/>erhöht wird und letztere dem Anprall eines ſie treffenden <lb/>Stoßes leichter durch Biegung ausweichen können, als dies <lb/>bei einer größeren, ungeteilten Spreite möglich iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1142" xml:space="preserve">” Experi-<lb/>mente beweiſen das Geſagte und die Natur zeigt die Richtig-<lb/>keit der Anſchauung überall, ſobald man erſt einmal auf die <lb/>Sache aufmerkſam gemacht worden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1143" xml:space="preserve">So treten nach <emph style="sp">Stahl</emph> <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s1144" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1145" xml:space="preserve">grob-gefiederte oder völlig ganzrandige Blätter den fein-<lb/>zerſchlitzten gegenüber bei den erdbewohnenden Farnen der <lb/>feuchten Tropenregionen ganz bedeutend zurück. </s> <s xml:id="echoid-s1146" xml:space="preserve">“Dieſer Um-<lb/>ſtand ſpricht dafür, daß wir in der Spreitenteilung nicht bloß <lb/>eine Anpaſſung an den Wind zu ſehen haben, denn gerade die <lb/>farnreichen Schluchten der Wälder der tropiſchen Gebirge ge-<lb/>hören zu den allerwindſtillſten Standorten.</s> <s xml:id="echoid-s1147" xml:space="preserve">” Namentlich lehr-<lb/>reich muß es natürlich ſein, verwandte Arten mit einander zu <lb/>vergleichen. </s> <s xml:id="echoid-s1148" xml:space="preserve">Sehen wir uns diesbezüglich z. </s> <s xml:id="echoid-s1149" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1150" xml:space="preserve">die europäiſchen <lb/>Arten der Pappeln an, ſo bemerken wir, daß bei der Silber-<lb/>pappel die größten Blätter (die an jüngeren und üppigen <lb/>Trieben oft bis 15 cm lang 12 cm breit werden) die Ein-<lb/>ſchnitte des Blattrandes am tiefſten haben, die Spreite nicht <lb/>ſelten drei- bis fünflappig iſt, während dieſelbe bei der Zitter-</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1151" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1152" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1153" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1154" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="98" file="106" n="106"/> <figure> <caption xml:id="echoid-caption37" xml:space="preserve">Fig. 54. <lb/>Sphenopteris typ. elegantiforme.</caption> </figure> <figure> <caption xml:id="echoid-caption38" xml:space="preserve">Fig. 55. <lb/>Sphenopteris elegans.</caption> </figure> <figure> <caption xml:id="echoid-caption39" xml:space="preserve">Fig. 56. <lb/>Sphenopteris obtusiloba. Rechts ein <lb/>Stückchen in {3/1}.</caption> </figure> <figure> <caption xml:id="echoid-caption40" xml:space="preserve">Fig. 57. <lb/>Sphenopteris trifoliolata.</caption> </figure> <pb o="99" file="107" n="107"/> <p> <s xml:id="echoid-s1155" xml:space="preserve">pappel und der Schwarzpappel, deren Blätter immer nur ge-<lb/>ringe Größe erreichen, niemals ſo weit geteilt, höchſtens mit <lb/>Randkerben oder Zähnen verſehen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1156" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1157" xml:space="preserve">Es iſt nun auffällig, daß das Auftreten großflächiger un-<lb/>geteilter Blattſpreiten im ganzen erſt eine Errungenſchaft im <lb/>Verlaufe der Entwickelung der Pflanzenwelt darſtellt. </s> <s xml:id="echoid-s1158" xml:space="preserve">Je tiefer <lb/>wir in den geologiſchen Formationen in die Vorzeit hinab-<lb/>ſteigen, um ſo ſchmaler reſp. </s> <s xml:id="echoid-s1159" xml:space="preserve">zerteilter und kleinfiederiger ſind <lb/>im allgemeinen (alſo von Ausnahmen abgeſehen) die uns <lb/>überkommenen Blattreſte, eine Thatſache, die, im Lichte der <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-107-01a" xlink:href="fig-107-01"/> <emph style="sp">Kny-Stahl’</emph>ſchen Unterſuchun-<lb/>gen betrachtet, mit der Anſchau-<lb/>ung in Einklang ſteht, daß die <lb/>Regengüſſe der früheren Erd-<lb/>perioden im großen und ganzen <lb/>ſtärker geweſen ſind als heute.</s> <s xml:id="echoid-s1160" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div59" type="float" level="2" n="8"> <figure xlink:label="fig-107-01" xlink:href="fig-107-01a"> <caption xml:id="echoid-caption41" xml:space="preserve">Fig. 58. <lb/>Palmatopteris furcata in natürlicher <lb/>Größe.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1161" xml:space="preserve">An den foſſilen Farnen <lb/>läßt ſich das Geſagte ſehr ſchön <lb/>beobachten. </s> <s xml:id="echoid-s1162" xml:space="preserve">Man braucht nur <lb/>einige umfangreichere Abbil-<lb/>dungswerke, die ſich mit den <lb/>verſchiedenen Formationen des <lb/>Altertums beſchäftigen, durch-<lb/>zuſehen, um ſich von dem Ge-<lb/>ſagten zu überzeugen.</s> <s xml:id="echoid-s1163" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1164" xml:space="preserve">In den älteſten Formatio-<lb/>nen des Altertums wird uns <lb/>das verhältnismäßig zahlreiche <lb/>Vorkommen eines Farntypus <lb/>mit ſchmal-linealen bis fadenförmigen Fiederchen letzter Ord-<lb/>nung auffallen (Typus Rhodea, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1165" xml:space="preserve">50 u. </s> <s xml:id="echoid-s1166" xml:space="preserve">51). </s> <s xml:id="echoid-s1167" xml:space="preserve">In dem der <lb/>Zeit nach folgenden geologiſchen Horizont finden ſich zwar <lb/>ebenfalls noch Farne mit ſehr ſchmal-linealen Fiederchen, aber <pb o="100" file="108" n="108"/> nicht ſo zahlreich wie vorher, und es überwiegen die Formen <lb/>mit kleinen, ſich der Keil- und Kreisform nähernden Fiedern, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-108-01a" xlink:href="fig-108-01"/> Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1168" xml:space="preserve">54—57. </s> <s xml:id="echoid-s1169" xml:space="preserve">Gehen wir in noch höhere Schichten hinauf, ſo be-<lb/>merken wir ſolche Formen, die man zum Typus Rhodea ſtellen <lb/>könnte, nur noch ganz untergeordnet. </s> <s xml:id="echoid-s1170" xml:space="preserve">An ſeine Stelle tritt ein <pb o="101" file="109" n="109"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-109-01a" xlink:href="fig-109-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-109-02a" xlink:href="fig-109-02"/> <pb o="102" file="110" n="110"/> Typus, den man als Palmatopteris (= Fächerfarn) -Typus <lb/>bezeichnen kann, der ſich zwar noch durch ſchmale, aber doch <lb/>fächerig-zuſammentretende Fiedern charakteriſiert, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1171" xml:space="preserve">58 u. </s> <s xml:id="echoid-s1172" xml:space="preserve">59. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1173" xml:space="preserve">Es kommt der Typus Mariopteris hinzu mit größeren, im <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-110-01a" xlink:href="fig-110-01"/> ganzen länglich - dreieckigen <lb/>Fiederchen, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1174" xml:space="preserve">60. </s> <s xml:id="echoid-s1175" xml:space="preserve">Auch <lb/>der Typus Pecopteris mit <lb/>am Grunde breit-anſitzenden <lb/>Fiederchen letzter Ordnung <lb/>tritt nunmehr bemerkens-<lb/>werter auf, ein Typus, der <lb/>in dem demnächſt höheren <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-110-02a" xlink:href="fig-110-02"/> Horizont häufiger und darüber, in dem ſogenannten Rot-<lb/>liegenden, das iſt die Formation über der Steinkohlenformation, <lb/>ſogar herrſchend wird, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1176" xml:space="preserve">61—66. </s> <s xml:id="echoid-s1177" xml:space="preserve">Daß ein pecopteridiſches <lb/>Fiederchen weniger leicht und ſchnell einem durch ſchwere <pb o="103" file="111" n="111"/> Regentropfen bewirkten Stoß ausweicht, als ein Fiederchen <lb/>von den älteren Typen, das nur durch einen ganz ſchmalen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-111-01a" xlink:href="fig-111-01"/> Teil, oft nur durch <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-111-02a" xlink:href="fig-111-02"/> ein Stielchen anſitzt, <lb/>iſt ohne weiteres ein-<lb/>leuchtend.</s> <s xml:id="echoid-s1178" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div60" type="float" level="2" n="9"> <figure xlink:label="fig-108-01" xlink:href="fig-108-01a"> <caption xml:id="echoid-caption42" xml:space="preserve">Fig. 59. <lb/>Vollſtändigſtes bisher gefundenes Wedelſtück von Palmatopteris furcata in {1/2} <lb/>der natürlichen Größe.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-109-01" xlink:href="fig-109-01a"> <caption xml:id="echoid-caption43" xml:space="preserve">Fig. 60. <lb/>Mariopteris muricata.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-109-02" xlink:href="fig-109-02a"> <caption xml:id="echoid-caption44" xml:space="preserve">Fig. 61. <lb/>Pecopteris arborescens. — Unten zwei Fiedern letzter Ordnung vergrößert.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-110-01" xlink:href="fig-110-01a"> <caption xml:id="echoid-caption45" xml:space="preserve">Fig. 63. <lb/>Alethopteris decurrens.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-110-02" xlink:href="fig-110-02a"> <caption xml:id="echoid-caption46" xml:space="preserve">Fig. 62. <lb/>Callipteridium pteridium. — <lb/>Oben ein Teil letzter Ordnung <lb/>vergrößert.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-111-01" xlink:href="fig-111-01a"> <caption xml:id="echoid-caption47" xml:space="preserve">Fig. 64. <lb/>Lonchopteris rugosa.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-111-02" xlink:href="fig-111-02a"> <caption xml:id="echoid-caption48" xml:space="preserve">Fig. 65. <lb/>Odontopteris Reichiana. — Oben eine Fieder <lb/>letzter Ordnung vergrößert.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1179" xml:space="preserve">Endlich mag noch <lb/>darauf hingewieſen <lb/>werden, daß die baum-<lb/>förmigen Verwandten <lb/>unſerer Bärlappe und <lb/>Schachtelhalme, die <lb/>Schuppen- und Siegel-<lb/>bäume, ſowie die Cal-<lb/>marien der Stein-<lb/>kohlenformation alle <lb/>nur ſchmale, oft lineale <lb/>Blätter beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s1180" xml:space="preserve">Nur <lb/>die Cordaiten haben <pb o="104" file="112" n="112"/> zwar breitere, bandförmige Blätter, die aber immer noch, mit <lb/>den Blättern der gegenwärtigen Bäume verglichen, ſchmal <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-112-01a" xlink:href="fig-112-01"/> namentlich im Verhältnis zu ihrer Länge ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1181" xml:space="preserve">Iſt das alles <lb/>ein “Zufall”? </s> <s xml:id="echoid-s1182" xml:space="preserve">Die Blätter der Baumkronen ſind der Wucht <lb/>der Regentropfen beſonders ausgeſetzt, und es iſt gewiß erlaubt <pb o="105" file="113" n="113"/> ja einzig möglich, die Eigentümlichkeiten der foſſilen Pflanzen <lb/>nach den Erkenntniſſen, die uns das Studium der heutigen <lb/>verſchafft, zu beurteilen.</s> <s xml:id="echoid-s1183" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div61" type="float" level="2" n="10"> <figure xlink:label="fig-112-01" xlink:href="fig-112-01a"> <caption xml:id="echoid-caption49" xml:space="preserve">Fig. 66. <lb/>Callipteris conferta. — Aus dem Rotliegenden.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1184" xml:space="preserve">Stammbürtige Blüten, wie ſie nicht ſelten bei Calamarien, <lb/>Lepidodendren (Schuppenbäumen), Sigillarien (Siegelbäumen, <lb/>Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1185" xml:space="preserve">39) und anderen erſcheinen, ſind für eine größere Zahl <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-113-01a" xlink:href="fig-113-01"/> heutiger tropiſcher Arten ebenfalls charakteriſtiſch. </s> <s xml:id="echoid-s1186" xml:space="preserve">Die tro-<lb/>piſchen Gewächſe, mit ihrer vielfach weitgehenden Arbeits-<lb/>teilung ſämtlicher Organe und Organſyſteme, zeigen viel <lb/>häufiger als unſere Pflanzen die Ausbildung eigener Sproſſe, <lb/>denen ausſchließlich die Arbeit der Ernährung zukommt. </s> <s xml:id="echoid-s1187" xml:space="preserve">Bei <lb/>den Bäumen mit ſtammbürtigen Blüten nimmt gewiſſermaßen <lb/>die ganze Laubkrone einen ſolchen Charakter an und die <lb/>Nebenarbeit des Blühens und Früchtetragens wird den älteren <pb o="106" file="114" n="114"/> Äſten und dem Hauptſtamme übertragen. </s> <s xml:id="echoid-s1188" xml:space="preserve">Es iſt der mächtige <lb/>Kampf ums Licht, der ſich darin ausſpricht, daß die lichtbe-<lb/>dürftigen Laubblätter oft ganz ausſchließlich den Gipfel ein-<lb/>nehmen, während die Fortpflanzungsorgane an den Teilen der <lb/>Pflanzen auftreten, die dem Licht weniger zugänglich ſind, <lb/>wo ſie jedenfalls die ausgiebige Lebensverrichtung der Laub-<lb/>blätter in keiner Weiſe behindern. </s> <s xml:id="echoid-s1189" xml:space="preserve">Unſer Foſſil, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1190" xml:space="preserve">67, zeigt <lb/>Abbruchsſtellen ſtammbürtiger Blüten an einem ziemlich dicken <lb/>Sproßſtück.</s> <s xml:id="echoid-s1191" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div62" type="float" level="2" n="11"> <figure xlink:label="fig-113-01" xlink:href="fig-113-01a"> <caption xml:id="echoid-caption50" xml:space="preserve">Fig. 67. <lb/>Stammoberfläche mit Blattpolſtern eines Lepidophyten (Lepidophloios) mit <lb/>Wülſten, welche je eine Anſatzſtelle der abgefallenen ſtammbürtigen Blüten auf-<lb/>weiſen. A in natürlicher Größe, B 3 fach vergrößert.</caption> <variables xml:id="echoid-variables9" xml:space="preserve">A B</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1192" xml:space="preserve">Der Gedanke, daß es “heimatliche” Weſen ſind, die uns <lb/>ſo fremd anmuten, drängt zum Vergleich der fernſten Ver-<lb/>gangenheit und der Gegenwart, damit aber unwiderſtehlich zu <lb/>der Frage führend: </s> <s xml:id="echoid-s1193" xml:space="preserve">“Wie wird es einſt werden?</s> <s xml:id="echoid-s1194" xml:space="preserve">”</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div64" type="section" level="1" n="34"> <head xml:id="echoid-head39" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Nach der Steinkohlenzeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1195" xml:space="preserve">Allmählich begannen ſich die Erdpole abzukühlen und die <lb/>Pflanzen zogen ſich nach Maßgabe der Wärme-Abnahme nach <lb/>und nach gegen den Äquator zurück. </s> <s xml:id="echoid-s1196" xml:space="preserve">Aber noch zur <emph style="sp">Braun-<lb/>kohlenzeit</emph>, d. </s> <s xml:id="echoid-s1197" xml:space="preserve">i. </s> <s xml:id="echoid-s1198" xml:space="preserve">der Beginn der Neuzeit, während welcher <lb/>klimatiſche Verſchiedenheiten anfingen, ſich auf unſerem Erdball <lb/>bemerklicher zu machen, zeigte unſer Gebiet doch immer noch <lb/>faſt halbtropiſches Klima und die Pflanzenwelt beſaß daher <lb/>auch ein entſprechendes tropiſches Gepräge. </s> <s xml:id="echoid-s1199" xml:space="preserve">Die <emph style="sp">Braun-<lb/>kohlen</emph> ſind Reſte jener Flora, und der <emph style="sp">Bernſtein</emph>, welcher <lb/>beſonders im Samlande in Oſtpreußen gefunden wird, iſt das <lb/>damals von einem jetzt ausgeſtorbenen Nadelholz reichlich aus-<lb/>geſchwitzte, erhärtete Harz. </s> <s xml:id="echoid-s1200" xml:space="preserve">Während nun die Arten, welche <lb/>früher lebten, die mit der Erde vorgegangenen Wandlungen <lb/>nicht zu überdauern vermochten und wohl alle vom Erdboden <lb/>verſchwunden ſind, ſodaß ſie uns alſo nur durch kümmerlich <pb o="107" file="115" n="115"/> erhaltene Reſte bekannt geworden ſind, helfen manche Arten <lb/>der Braunkohlenzeit noch heute die Erde beleben. </s> <s xml:id="echoid-s1201" xml:space="preserve">Wir rücken <lb/>eben unſerer Jetztzeit näher, und in ihrem äußeren Anſehen <lb/>erſcheinen uns auch die in dieſer Epoche vorhandenen Arten <lb/>nicht mehr ſo fremd, indem ſie ſchon oft auffallend an jetzt <lb/>lebende Gewächſe erinnern.</s> <s xml:id="echoid-s1202" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1203" xml:space="preserve">Der Grad der Temperatur nahm alſo, wie ſchon ange-<lb/>deutet, allmählich ab; </s> <s xml:id="echoid-s1204" xml:space="preserve">aber ſchon gegen Ende der Braunkohlen-<lb/>zeit war ungefähr der jetzige Wärmegrad bei uns erreicht und <lb/>iſt nun nicht etwa bis heute der gleiche geblieben, ſondern nahm <lb/>immer weiter ab und zwar ſoweit, daß unſere Heimat ſchließ-<lb/>lich ein eisbedecktes, vergletſchertes Gebiet wurde, ſodaß eine <lb/>Jahrtauſende währende Eiszeit eintrat, deren hinterlaſſene <lb/>Spuren, da ſie verhältnismäßig jung ſind, ſich in unſerem <lb/>Flachlande vielfach und auffallend kund geben. </s> <s xml:id="echoid-s1205" xml:space="preserve">In Teil 8, <lb/>Seite 57 ff. </s> <s xml:id="echoid-s1206" xml:space="preserve">der Volksbücher haben wir uns eingehend mit <lb/>unſerer Heimat zur Eiszeit beſchäftigt.</s> <s xml:id="echoid-s1207" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div65" type="section" level="1" n="35"> <head xml:id="echoid-head40" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Die Pflanzen der Eiszeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1208" xml:space="preserve">Es ſind aus der unmittelbar auf die Eiszeit folgenden <lb/>Epoche einige Pflanzenreſte bekannt geworden, welche Arten <lb/>angehören, die jetzt vornehmlich nur noch in kälteren Gegenden <lb/>anzutreffen ſind, wie die Zwergbirke und verſchiedene Zwerg-<lb/>weiden. </s> <s xml:id="echoid-s1209" xml:space="preserve">Aber es iſt annehmbar, daß auch <emph style="sp">während</emph> der <lb/>Eiszeit, trotz der Eisdecke, die das Land damals bekleidete, <lb/>einige günſtige Örtlichkeiten einem — im Vergleich zu früher <lb/>und jetzt freilich ſpärlichen — Pflanzenwuchs im Sommer das <lb/>Leben geſtatteten. </s> <s xml:id="echoid-s1210" xml:space="preserve">Auch das heutige eisbedeckte Grönland, <lb/>welches uns die beſte Vorſtellung von dem damaligen Ausſehen <lb/>Norddeutſchlands giebt, beſitzt — wie die Wüſten — zerſtreut <pb o="108" file="116" n="116"/> am Rande des vergleichsweiſe toten Eisfeldes Oaſen mit Tieren <lb/>und Pflanzen, welche, von der übrigen Lebewelt abgeſchloſſen, <lb/>ein ſtilles Daſein genießen.</s> <s xml:id="echoid-s1211" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1212" xml:space="preserve">Unter den Arten der mutmaßlichen <emph style="sp">Flora der Eiszeit</emph>, <lb/>der <emph style="sp">Glazial-Flora</emph>, ſind namentlich diejenigen bemerkens-<lb/>wert, die jetzt echte boreal-(arktiſch-)alpine Pflanzen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1213" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>wurden bei dem Übergang der Eiszeit in die wärmere Jetzt-<lb/>Zeit zum Rückzuge veranlaßt. </s> <s xml:id="echoid-s1214" xml:space="preserve">Aber an vereinzelten Stellen, <lb/>welche den nachdrängenden Einwanderern keine zuſagenden <lb/>Lebensbedingungen boten, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s1215" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1216" xml:space="preserve">auf den naß-feuchten <lb/>Moorflächen, welches die kälteſten Stellen unſeres Flachlandes <lb/>ſind, dort erhielt ſich an einigen Punkten dieſe Vegetation vom <lb/>Ausgange der Eiszeit noch bis auf den heutigen Tag! Wegen <lb/>des eigentümlichen Baues und da ſie jetzt meiſt ſelten ſind, er-<lb/>ſcheinen uns dieſe in unſeren Torfmooren hier und da anzu-<lb/>treffenden Arten des Nordens und der hohen Gebirge wie <lb/>Fremdlinge, und man wird verführt, das gemeinſame Auftreten <lb/>mehrerer von dieſen Arten an demſelben Standort als eine <lb/>“Kolonie” zu bezeichnen, während doch gerade dieſe Gewächſe, <lb/>wie wir ſehen, von den jetzt bei uns lebenden höchſt wahr-<lb/>ſcheinlich diejenigen ſind, welche am längſten unſere Heimat <lb/>bewohnen: </s> <s xml:id="echoid-s1217" xml:space="preserve">es ſind lebende Zeugen einer längſt verſchwundenen <lb/>Zeit, der Eiszeit; </s> <s xml:id="echoid-s1218" xml:space="preserve">ſie ſtellen gleichſam ein Stück Vorwelt dar <lb/>unter den Pflanzen der Gegenwart. </s> <s xml:id="echoid-s1219" xml:space="preserve">So wächſt z. </s> <s xml:id="echoid-s1220" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1221" xml:space="preserve">noch <lb/>heute ganz in der Nähe von Berlin auf einem Wieſen-Moor <lb/>bei Franzöſiſch-Buchholz eine kleine, relativ großblumige Art <lb/>von Alpen-Enzian, deren Vorkommen an dieſer Örtlichkeit <lb/>früher als ein pflanzen-geographiſches Rätſel bezeichnet werden <lb/>mußte, und auf Torfmooren beſonders der nördlichen Pro-<lb/>vinzen finden ſich z. </s> <s xml:id="echoid-s1222" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1223" xml:space="preserve">kleine hochnordiſche Zwerg-Birken-, <lb/>Brombeer- und Weiden-Arten.</s> <s xml:id="echoid-s1224" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1225" xml:space="preserve">Die typiſchen Arten der Eiszeit ſind alſo heute meiſt nur <lb/>noch auf den höchſten Gebirgen und im hohen Norden anzu- <pb o="109" file="117" n="117"/> treffen. </s> <s xml:id="echoid-s1226" xml:space="preserve">Wollen wir uns ein Bild der Flora jener Zeit machen, <lb/>ſo brauchen wir daher nur die <emph style="sp">Pflanzenwelt</emph> z. </s> <s xml:id="echoid-s1227" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1228" xml:space="preserve">der <lb/><emph style="sp">Hoch-Alpen und des hohen Nordens</emph> anzuſehen. </s> <s xml:id="echoid-s1229" xml:space="preserve">Die bei <lb/>weitem meiſten Arten dieſer Erdſtrecken zeichnen ſich durch auf-<lb/>fallend niedrigen Wuchs aus. </s> <s xml:id="echoid-s1230" xml:space="preserve">Die boreal-alpinen Arten müſſen <lb/>in kurzer Zeit zur Fruchtreife gelangen, wenn ſie überhaupt Nach-<lb/>kommen erzeugen ſollen, da während der längſten Zeit im Jahre <lb/>die Kälte und die Bedeckung des Erdbodens mit Schnee und <lb/>Eis, welche höhere Pflanzen niederbrechen würde, das Pflanzen-<lb/>wachstum hemmen. </s> <s xml:id="echoid-s1231" xml:space="preserve">Sie erzeugen daher nur eine kurze Sproß-<lb/>Unterlage und ſchreiten dann ſofort zur Bildung der Blüten.</s> <s xml:id="echoid-s1232" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1233" xml:space="preserve">Abweichend von der gegebenen Darſtellung lag es vor <lb/>kurzer Zeit noch nahe — entſprechend der früheren allgemeinen <lb/>Anſicht der Geologen, nach welcher das ganze norddeutſche <lb/>Flachland unmittelbar vor der Jetzt-Zeit von einem Meere be-<lb/>deckt geweſen wäre — die an ſalzhaltigen Örtlichkeiten des <lb/>Binnenlandes anzutreffenden ſalzliebenden Arten als einen <lb/>beim allmählichen Zurückweichen des Meeres an günſtigen <lb/>Stellen zurückgebliebenen Reſt der Flora der ehemaligen Meeres-<lb/>küſten aufzufaſſen, ſodaß hiernach alſo die <emph style="sp">Salzpflanzen</emph> <lb/>und nicht die Glazialpflanzen die älteſten Bewohner Nord-<lb/>deutſchlands wären. </s> <s xml:id="echoid-s1234" xml:space="preserve">Allein die Salzpflanzen haben gewiß <lb/>erſt ſpäter die in Rede ſtehenden Orte des Binnenlandes be-<lb/>ſetzt, indem dieſelben teils von der jetzigen Küſte nach Süden, <lb/>teils aus dem öſtlichen durch Salzboden ausgezeichnetes Steppen-<lb/>gebiet zu uns gekommen ſind; </s> <s xml:id="echoid-s1235" xml:space="preserve">denn manche dieſer Salzpflanzen <lb/>gehören überhaupt gar nicht zur Küſtenflora.</s> <s xml:id="echoid-s1236" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1237" xml:space="preserve">Die vorwiegend wohl aus dem Weſten ſpäter eingewan-<lb/>derte jetzige Küſtenflora Norddeutſchlands konnte natürlich erſt <lb/>nach dem Verſchwinden der Gletſcher-Eis-Maſſen Platz greifen, <lb/>und erſt dann war von der Küſte aus eine Beſiedelung der <lb/>Salzſtellen des Binnenlandes möglich.</s> <s xml:id="echoid-s1238" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="110" file="118" n="118"/> </div> <div xml:id="echoid-div66" type="section" level="1" n="36"> <head xml:id="echoid-head41" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Pflanzen unſerer Steppenzeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1239" xml:space="preserve">Die nun zunächſt nach der Eiszeit einwandernden Arten <lb/>drangen vorzugsweiſe über die öſtliche Grenze in Norddeutſch-<lb/>land ein, und zwar zeichnen ſich unter dieſen die aus den ſüd-<lb/>ruſſiſchen Gebieten nördlich und nordweſtlich vom ſchwarzen <lb/>Meer, alſo den pontiſchen Gegenden beſonders aus. </s> <s xml:id="echoid-s1240" xml:space="preserve">Da die <lb/>bezeichneten Länderſtrecken ſtellenweiſe einen mehr oder minder <lb/>ausgeſprochenen Steppencharakter tragen und auch eine ganze <lb/>Reihe der bei uns auftretenden Pflanzen-Arten von daher in <lb/>ihrem Ausſehen ſehr an typiſche Steppenpflanzen erinnert, ſo <lb/>kann man dieſe letzteren von unſeren Arten ſchlechtweg als <lb/><emph style="sp">Steppenpflanzen</emph> bezeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s1241" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1242" xml:space="preserve">Wie die Arten der Alpen und des hohen Nordens, zeigen <lb/>auch die Pflanzen ſpeziell des Steppengebiets eine gemein-<lb/>ſchaftliche Tracht: </s> <s xml:id="echoid-s1243" xml:space="preserve">ſie ſind mehr ſchlank, höher als die typiſchen <lb/>Pflanzen der Eiszeit und beſitzen ſchmale, oft faſt borſtenför-<lb/>mige, ſteife Blätter und Blattteile, welche bei dem Eintritt <lb/>größerer Trockenheit widerſtandsfähiger ſind, da ſie durch ihre <lb/>große Feſtigkeit und ſonſtige Bauart beſonders gegen Ver-<lb/>ſchrumpfung und gegen vollſtändiges Austrocknen geſchützt ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1244" xml:space="preserve">Von den boreal-alpinen Pflanzen der Eiszeit weichen ſie hier-<lb/>nach in ihrem äußeren Anſehen ſo ſehr ab, daß ſie beim erſten <lb/>Blick mit Leichtigkeit von denſelben unterſchieden werden können.</s> <s xml:id="echoid-s1245" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1246" xml:space="preserve">Von unſeren Pflanzen nun, welche die geſchilderten Eigen-<lb/>tümlichkeiten mehr oder minder deutlich zeigen, iſt das auf-<lb/>fallende, ſchöne und deshalb zu trockenen Blumenſträußen ver-<lb/>wendete Federgras wohl die bekannteſte Art.</s> <s xml:id="echoid-s1247" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1248" xml:space="preserve">Wenn wir in Norddeutſchland nach ſolchen Pflanzen ſuchen, <lb/>welche in Bezug auf ihre Anforderungen an die Boden-Be-<lb/>ſchaffenheit und an das Klima den echten Steppenpflanzen am <lb/>meiſten gleichen und daher auch eine mit dieſen übereinſtim- <pb o="111" file="119" n="119"/> mende Tracht zeigen, ſo werden wir erwarten, dieſe am eheſten <lb/>an trockenen und ſandigen Stellen zu finden. </s> <s xml:id="echoid-s1249" xml:space="preserve">Tragen wir uns <lb/>nun die Standörter mit ſolchen Pflanzen-Kolonieen in eine <lb/>Karte unſeres Gebietes ein, ſo nehmen wir bald wahr, daß <lb/>ſie ſich vorwiegend an den Ufern der Weichſel angeſiedelt haben <lb/>und an einem Striche, der ſich von der Weichſel der Brom-<lb/>berger Gegend, wo alſo dieſer Strom eine plötzliche Biegung <lb/>nach Norden macht, nach dem Weſten durch Norddeutſchland <lb/>hinzieht, und an anderen großen Thälern, die der vorbezeich-<lb/>neten Linie etwa parallel gehen. </s> <s xml:id="echoid-s1250" xml:space="preserve">Wir können noch heute in <lb/>auffallendſter Weiſe ſehen, daß dieſe ſich von Oſten nach <lb/>Weſten erſtreckenden Thäler die Betten von alten mächtigen <lb/>Ur-Strömen darſtellen, welche gegen Ende der Eiszeit die <lb/>jetzigen Thäler der Weichſel, Elbe und Oder miteinander ver-<lb/>banden und welche die gewaltigen Waſſermaſſen des abſchmel-<lb/>zenden Eiſes nach Weſten in die Nordſee führten. </s> <s xml:id="echoid-s1251" xml:space="preserve">In dieſen <lb/>von Oſten nach Weſten ſich hinziehenden Thälern bauen wir <lb/>heute unſere Kanäle. </s> <s xml:id="echoid-s1252" xml:space="preserve">Berlin liegt in dem Thale und zwar an <lb/>der engſten Stelle des einen dieſer Urſtröme, wo alſo unſere <lb/>Vor-Vorfahren den leichteſten Übergang fanden. </s> <s xml:id="echoid-s1253" xml:space="preserve">Die Ufer <lb/>ſind noch deutlich zu erkennen; </s> <s xml:id="echoid-s1254" xml:space="preserve">im Süden der Kreuzberg bis <lb/>zu den Wilmersdorfer Höhen, im Norden ein deutlicher Höhen-<lb/>zug beim Roſenthaler-, Schönhauſer- und Prenzlauer-Thor, in <lb/>welchem Stadtviertel die Straßen, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s1255" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1256" xml:space="preserve">der Weinbergs-<lb/>Weg, nach Norden anſteigen. </s> <s xml:id="echoid-s1257" xml:space="preserve">Längs der noch erkennbaren <lb/>Thäler dieſer Urſtröme alſo finden ſich die Steppenpflanzen <lb/>unſeres Gebietes in bedeutenderen Anſammlungen, und es er-<lb/>ſcheint aus dieſem Grunde die Vermutung plauſibel, daß die <lb/>in Rede ſtehenden Gewächſe die Ufer dieſer verſchwundenen, <lb/>großen Ströme als Heerſtraße bei der Einwanderung benutzt <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s1258" xml:space="preserve">Allerdings iſt eine Verbreitung der Steppenpflanzen <lb/>unſeres Gebietes vorwiegend durch Vermittelung des Windes <lb/>vielleicht noch wahrſcheinlicher.</s> <s xml:id="echoid-s1259" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="112" file="120" n="120"/> <p> <s xml:id="echoid-s1260" xml:space="preserve">Eine ausgedehnte Kolonie der fraglichen Pflanzen zwiſchen <lb/>dem Thüringer-Wald und dem Harz im Weſten und Magde-<lb/>burg und der Saale im Oſten, in einer Gegend, in welcher <lb/>von A. </s> <s xml:id="echoid-s1261" xml:space="preserve"><emph style="sp">Nehring</emph> auch Reſte von Steppentieren nachgewieſen <lb/>worden ſind, iſt jedoch höchſt wahrſcheinlich über Böhmen ein-<lb/>gewandert.</s> <s xml:id="echoid-s1262" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div67" type="section" level="1" n="37"> <head xml:id="echoid-head42" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Die heimatliche Flora erhält die heute für</emph> <lb/><emph style="bf">ſie charakteriſtiſchen Arten.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1263" xml:space="preserve">Es kamen dann auch aus dem Weſten, den lieblichen Ge-<lb/>filden zwiſchen dem atlantiſchen Ozean und dem weſtlichen <lb/>Mittelmeer, Pflanzenarten zu uns, welche im ganzen genommen, <lb/>wieder ein beſonderes Gepräge erkennen laſſen; </s> <s xml:id="echoid-s1264" xml:space="preserve">nur erſcheint <lb/>uns dasſelbe nicht ſo eigenartig wie bei den Eiszeit- und <lb/>Steppen-Gewächſen, weil die allgemeine Tracht dieſer Pflanzen <lb/>jetzt bei uns die herrſchende iſt und wir daher an dieſelbe ge-<lb/>wöhnt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1265" xml:space="preserve">Als vornehmlichſtes Merkmal diene uns, wenig-<lb/>ſtens als Gegenſatz zu den meiſten Steppenpflanzen, die breitere, <lb/>deutlich flächenartige Ausbildung der Laubblätter, wie ſolche <lb/>Pflanzen feuchterer Klimate überhaupt im allgemeinen beſitzen.</s> <s xml:id="echoid-s1266" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1267" xml:space="preserve">Zur Jetztzeit beſteht alſo unſere Flora aus den Reſten <lb/>der Vegetation aus der Eiszeit, aus Gewächſen, die wir dem <lb/>Oſten verdanken, ſowie atlantiſchen und weſtmediterranen <lb/>Pflanzen, und hierzu kommen noch 4. </s> <s xml:id="echoid-s1268" xml:space="preserve">längs der Ufer der <lb/>jetzigen Flüſſe ſpäter eingewanderte <emph style="sp">Flußthalpflanzen</emph> und <lb/>endlich 5. </s> <s xml:id="echoid-s1269" xml:space="preserve">die <emph style="sp">Ankömmlinge</emph> (im weiteſten Sinne), welche erſt <lb/>in geſchichtlicher Zeit eingewandert ſind, wie eine der häufigſten <lb/>Pflanzen des öſtlichen Norddeutſchlands, das <emph style="sp">Wucher-</emph> oder <lb/><emph style="sp">Kreuzkraut</emph>, das erſt in den zwanziger Jahren unſeres Jahr- <pb o="113" file="121" n="121"/> hunderts aus Rußland zunächſt in Oberſchleſien und in die <lb/>Provinz Preußen eingedrungen, aber jetzt dem Landwirt durch <lb/>maſſenhaftes Auftreten in der ganzen öſtlichen Hälfte unſeres <lb/>Gebietes ſo ſchädlich geworden iſt, daß viele Verwaltungen <lb/>ſich veranlaßt ſehen, alljährlich Verfügungen die Ausrottung <lb/>dieſes Unkrautes betreffend zu erlaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1270" xml:space="preserve">Überhaupt breiten ſich <lb/>zuweilen gerade die ſpäter eingewanderten Gewächſe wie z. </s> <s xml:id="echoid-s1271" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1272" xml:space="preserve">auch das kanadiſche Ruhrkraut in großer Individuenzahl und <lb/>ſehr ſchnell aus; </s> <s xml:id="echoid-s1273" xml:space="preserve">ſie verdrängen dann gern die ihnen ver-<lb/>wandten einheimiſchen Arten und erſcheinen uns oft wie längſt <lb/>bei uns eingebürgert. </s> <s xml:id="echoid-s1274" xml:space="preserve">Häufig ſorgt der Menſch durch Ver-<lb/>ſchleppung von Samen, die ſich in tauſend Schlupfwinkeln ver-<lb/>bergen, für eine Einführung von Ankömmlingen, und auf ſolche <lb/>Weiſe hat neuerdings unſere Flora manche Bereicherung be-<lb/>ſonders an nordamerikaniſchen Arten erfahren; </s> <s xml:id="echoid-s1275" xml:space="preserve">es iſt in dieſer <lb/>Beziehung z. </s> <s xml:id="echoid-s1276" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1277" xml:space="preserve">an eine jetzt leider nur zu häufige Pflanze <lb/>unſerer Gewäſſer, an die Waſſerpeſt zu erinnern. </s> <s xml:id="echoid-s1278" xml:space="preserve">Andere <lb/>bekanntere Ankömmlinge ſind ferner manche zwar jetzt ſehr <lb/>verbreitete und häufige, aber dennoch erſt mit der Getreide-<lb/>kultur eingeführte Unkräuter, wie die Kornrade, die Korn-<lb/>blume, der Acker-Ritterſporn, die Klatſchroſen und andere <lb/>Pflanzen, die uns notwendig zur deutſchen Heimat gehören <lb/>und jedem vertraut ſind; </s> <s xml:id="echoid-s1279" xml:space="preserve">nichtsdeſtoweniger ſind ſie alſo. </s> <s xml:id="echoid-s1280" xml:space="preserve">nicht <lb/>bei uns einheimiſch, ſondern Eindringlinge der Jetztzeit. </s> <s xml:id="echoid-s1281" xml:space="preserve">Wenn <lb/>wir zur Vervollſtändigung noch hinzufügen, daß auch durch <lb/>bewußte Einführung von Kultur- und Zierpflanzen, die zu-<lb/>weilen verwildern, unſere Flora vermehrt wird, ſo hätten wir <lb/>die hauptſächlichſten Elemente genannt, welche jetzt die Flora <lb/>Norddeutſchlands zuſammenſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s1282" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1283" xml:space="preserve">Wie nun aber nach der Eiszeit neue Pflanzen einwan-<lb/>derten, indem die früheren, wenigſtens zum großen Teile, ver-<lb/>drängt wurden, ſo ſind ja die Glazialpflanzen urſprünglich <lb/>ebenfalls eingewandert. </s> <s xml:id="echoid-s1284" xml:space="preserve">Denn vor der Eiszeit, während der</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1285" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1286" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1287" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1288" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="114" file="122" n="122"/> <p> <s xml:id="echoid-s1289" xml:space="preserve">Braunkohlenzeit, war ja das Klima unſeres Gebietes wärmer, <lb/>faſt halbtropiſch, und die Flora beſaß infolgedeſſen auch, wie <lb/>die Funde vorweltlicher Pflanzenreſte zeigen, ein mehr oder <lb/>minder deutliches tropiſches Gepräge.</s> <s xml:id="echoid-s1290" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1291" xml:space="preserve">Das Reſultat aus den letzten Erörterungen würde alſo <lb/>lauten: </s> <s xml:id="echoid-s1292" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die jetzige Pflanzenwelt des norddeutſchen <lb/>Flachlandes iſt als eine Miſchflora zu betrachten, <lb/>als eine Vereinigung von Gewächſen der verſchie-<lb/>denſten Heimat.</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1293" xml:space="preserve">Wenden wir unſeren Blick noch einmal zurück in die ferne <lb/>Vergangenheit und verſuchen wir uns eine Anſchauung auch <lb/>von dem einſtigen Charakter unſerer heimatlichen Fluren zu <lb/>verſchaffen, ſo müßten wir alſo die ganze Erde beſuchen: </s> <s xml:id="echoid-s1294" xml:space="preserve">auch <lb/>die Tropen, die Länder des Eismeeres und die Steppen. </s> <s xml:id="echoid-s1295" xml:space="preserve">Wir <lb/>müſſen uns in der Fremde vertiefen in die Schönheiten und <lb/>Wunderbarkeiten ihrer Naturen, um die Bilder aus der <lb/>graueſten Geſchichte unſerer Heimat zu vervollſtändigen; </s> <s xml:id="echoid-s1296" xml:space="preserve">aber <lb/>wir werden ſchließlich von der Fülle ermüdet zurückkehren in <lb/>das unvergeßliche Paradies unſerer Kindheit, deſſen Blumen, <lb/>Wieſen und Wälder ſchließlich doch am ſchönſten und uns am <lb/>liebſten ſind, weil ſie dieſes Paradies geſchmückt haben und <lb/>uns erinnern an die ſorgenloſe, hoffnungsreichſte, nimmer <lb/>wiederkehrende Zeit unſeres Lebens.</s> <s xml:id="echoid-s1297" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1298" xml:space="preserve">Knüpfen wir an das Ganze eine Betrachtung, ſo ſehen <lb/>wir: </s> <s xml:id="echoid-s1299" xml:space="preserve">Nicht allein die Völker der Menſchen drängen ſich, tragen <lb/>miteinander den Kampf ums Daſein aus und haben ihre <lb/>Wanderungen; </s> <s xml:id="echoid-s1300" xml:space="preserve">auch die Geſchlechter der Gewächſe verdrängen <lb/>einander und wandern, aber es geſchieht hier in Ruhe und <lb/>Stille, unblutig und ohne Leidenſchaft.</s> <s xml:id="echoid-s1301" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="123" n="123"/> </div> <div xml:id="echoid-div68" type="section" level="1" n="38"> <head xml:id="echoid-head43" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Spektralanalyſe und die F<unsure/>irſternwelt.</emph></head> <head xml:id="echoid-head44" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Einleitung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1302" xml:space="preserve">Der Trieb der Menſchen, die Dunkel der Zukunft zu ent-<lb/>hüllen, hat einſt die mächtigſten Inſtitutionen des Aberglaubens <lb/>ins Leben gerufen. </s> <s xml:id="echoid-s1303" xml:space="preserve">Das Streben der Menſchen, das Licht der <lb/>Gegenwart zu erkennen, iſt die einzige Erlöſung aus den <lb/>Feſſeln des noch immer weit ausgeſponnenen Truges.</s> <s xml:id="echoid-s1304" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1305" xml:space="preserve">Solch ein Licht der Erlöſung, das in den Entdeckungen <lb/>der Naturwiſſenſchaft ſchon mehrfach die Nacht des Geiſtes <lb/>durchſtrahlt hat und als ein Zeugnis ewiger Geiſtesoffenbarung <lb/>neu erſcheint, iſt unter dem Titel “Spektral-Analyſe” als ein <lb/>neuer Zweig der Forſchung aufgetreten, mächtiger und umfang-<lb/>reicher als irgend ein bisheriger am Baum der menſchlichen <lb/>Erkenntnis. </s> <s xml:id="echoid-s1306" xml:space="preserve">Was in unſichtbarer Kleinheit kein Mikroſkop zu <lb/>enthüllen, was in unüberſehbarer Weite kein Fernrohr zu durch-<lb/>dringen vermochte, hat dieſe junge Wiſſenſchaft ſchon dem Auge <lb/>und dem Verſtändnis nahe geführt. </s> <s xml:id="echoid-s1307" xml:space="preserve">Für ihre Entdeckungen iſt <lb/>bisher das Sonnenſtäubchen nicht zu klein, der Weltraum nicht <lb/>zu groß geweſen. </s> <s xml:id="echoid-s1308" xml:space="preserve">— Geheimniſſe, die kein Prophet je verkündet, <lb/>die kein Dichter je geahnt und kein Prieſter je erſonnen, legt <lb/>dieſe Wiſſenſchaft dem Forſcherauge ihrer treuen Jünger offen <lb/>dar und verweiſt den Wiſſensdrang der Menſchheit auf ein <lb/>lichteres Gebiet, in welchem die nach uns lebenden Geſchlechter <pb o="116" file="124" n="124"/> die alleinige Wahrheitsquelle ewiger Offenbarungen erkennen <lb/>und verehren werden.</s> <s xml:id="echoid-s1309" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1310" xml:space="preserve">Dieſen Zweig des Wiſſens und Forſchens unſerer kühnſten <lb/>Geiſter der Gegenwart auch der Laienwelt näher zu führen, <lb/>ſoll der Zweck der folgenden Betrachtung ſein.</s> <s xml:id="echoid-s1311" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1312" xml:space="preserve">Wenn die erdichteten Wunder des ehemaligen Glaubens <lb/>ſtets mit ſtaunenerregenden Erſcheinungen begonnen haben, ſo <lb/>charakteriſiert es die Wunder der jetzigen Wiſſenſchaft, daß ſie <lb/>ihren Anfang in gar ſchlichten Wahrnehmungen und unſchein-<lb/>baren Phänomenen finden. </s> <s xml:id="echoid-s1313" xml:space="preserve">Ein Stück geriebenes Glas, das <lb/>leichte Fäſerchen anzieht und abſtößt, iſt der Anfang einer <lb/>Reihe elektriſcher Entdeckungen geweſen, deren Ausbildung zu <lb/>den erdumſpannenden Leitungen geführt, welche die Menſchen-<lb/>botſchaften von Weltteil zu Weltteil tragen. </s> <s xml:id="echoid-s1314" xml:space="preserve">— Die Spannkraft, <lb/>welche den Deckel eines Gefäßes hochhob, worin ein wenig <lb/>Waſſer kochte, iſt der Vorläufer der Rieſenmacht geworden, <lb/>welche mit ihren Eiſenreifen das Erdenrund umſpannt und <lb/>mit ihren Dampfern die Weltmeere durchſchneidet. </s> <s xml:id="echoid-s1315" xml:space="preserve">— Ein keil-<lb/>artig geſchliffenes Stück Glas, das das Kinderauge durch ſeine <lb/>ſchönen Regenbogenfarben ergötzt, iſt die Baſis der Spektral-<lb/>analyſe, der lichteſten Wiſſenſchaft, geworden, die nunmehr <lb/>heller als ſonſt eine die Welt der Verborgenheiten aufſchließt.</s> <s xml:id="echoid-s1316" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1317" xml:space="preserve">Gehen wir daher in unſerer Darſtellung gleichfalls ſo <lb/>ſchlicht vom Einfachſten zum Höheren zu Werke, wie der Weg <lb/>der Wiſſenſchaft ſelber.</s> <s xml:id="echoid-s1318" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div69" type="section" level="1" n="39"> <head xml:id="echoid-head45" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Von der Brechung des Lichtes und dem</emph> <lb/><emph style="bf">Spektrum.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1319" xml:space="preserve">Ein Stück durchſichtiges Glas, keilartig geſchliffen, nennt <lb/>man ein “Prisma”.</s> <s xml:id="echoid-s1320" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1321" xml:space="preserve">Was man mit ſolch einem Prisma, mit einem Lichtſtrahl, <pb o="117" file="125" n="125"/> den man durch ſeine Dachflächen fallen läßt, für merkwürdige <lb/>Kunſtſtücke zu machen verſteht, haben wir ſchon in einem früheren <lb/>Teil gehört und wollen es hier nur in Kürze nochmals wieder-<lb/>holen.</s> <s xml:id="echoid-s1322" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1323" xml:space="preserve">Verſchließt man die Fenſterladen eines Zimmers und läßt <lb/>durch eine kleine Öffnung einen Sonnenſtrahl hineinſcheinen, <lb/>ſo braucht man nur ſolch ein Prisma ſo vor die Öffnung zu <lb/>halten, daß der Lichtſtrahl durch die beiden, ſchief gegen ein-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-125-01a" xlink:href="fig-125-01"/> ander ſtehenden Flächen hindurch muß (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1324" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1325" xml:space="preserve">68), ſo ſieht <lb/>man, daß der Lichtſtrahl s nicht mehr wie früher gradenwegs, <lb/>ſondern wie von der Scheide des Prismas P zerbrochen, ins <lb/>Zimmer hineinkommt. </s> <s xml:id="echoid-s1326" xml:space="preserve">Dieſe Erſcheinung nennt man die Brechung <lb/>des Lichtes durch das Prisma. </s> <s xml:id="echoid-s1327" xml:space="preserve">Ferner beobachtet man, daß die <lb/>lichte Stelle, welche jetzt der Strahl auf dem Fußboden oder <lb/>einer Wand des Zimmers, einnimmt, nicht mehr ſo ausſieht, <lb/>wie früher, ſondern einen viel breiteren Raum nach der Richtung <lb/>der Brechung hin einnimmt. </s> <s xml:id="echoid-s1328" xml:space="preserve">Dieſe Verbreiterung nennt man <pb o="118" file="126" n="126"/> die Zerſtreuung des Lichtſtrahls durch das Prisma. </s> <s xml:id="echoid-s1329" xml:space="preserve">Endlich <lb/>gewahrt man, daß das weiße Sonnenlicht ſich bei der Zer-<lb/>ſtreuung in ein ſchönes Farbenbild verwandelt und regen-<lb/>bogenartig vom ſchönſten Rot bis ins feinſte Violett durch <lb/>alle bekannten Farben hinüberſpielt. </s> <s xml:id="echoid-s1330" xml:space="preserve">Die Reihenfolge der Farben <lb/>iſt die des Regenbogens: </s> <s xml:id="echoid-s1331" xml:space="preserve">rot (r), orange (o), gelb (g), grün (gr), <lb/>blau (b), indigo (i), violett (v). </s> <s xml:id="echoid-s1332" xml:space="preserve">— Dieſes Farbenbild, hervor-<lb/>gerufen durch die Zerſtreuung des Lichtes, nennt man das <lb/>Spektrum. </s> <s xml:id="echoid-s1333" xml:space="preserve">Und auf dieſes haben wir nunmehr unſer Augen-<lb/>merk zu richten.</s> <s xml:id="echoid-s1334" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div69" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-125-01" xlink:href="fig-125-01a"> <caption xml:id="echoid-caption51" xml:space="preserve">Fig. 68. <lb/>Entſtehung eines Spektrums.</caption> <variables xml:id="echoid-variables10" xml:space="preserve">v i b s g<unsure/> g<unsure/> P o T H A K O</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1335" xml:space="preserve">Das Spektrum, das Farbenbild des durch ein Prisma <lb/>zerſtreuten Lichtes kanu<unsure/>te und ſtudierte bereits der große Forſcher <lb/><emph style="sp">Newton</emph> vor zweihundert Jahren. </s> <s xml:id="echoid-s1336" xml:space="preserve">Er durchforſchte die Geſetze <lb/>dieſer Erſcheinung und gab auch die Bedingungen an, wie <lb/>man dieſelbe am reinſten darſtellen kann. </s> <s xml:id="echoid-s1337" xml:space="preserve">Von ihm rührt auch <lb/>die richtige Erklärung her, daß das Licht, welches unſerem Auge <lb/>weiß erſcheint, in Wahrheit zuſammengeſetzt ſei aus den far-<lb/>bigen Strahlen, die wir im Regenbogen wahrnehmen, und die <lb/>Zerſtreuung des Strahles und das Farbenbild nur daher <lb/>rühren, daß die verſchiedenen Strahlen einen verſchiedenen <lb/>Grad von Brechbarkeit beſitzen, wenn ſie durch das Glas des <lb/>Prismas hindurch wandern.</s> <s xml:id="echoid-s1338" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1339" xml:space="preserve">Freilich wurden dieſe Erklärungen Newtons in den <lb/>weſentlichſten Punkten durch die neuere Naturwiſſenſchaft be-<lb/>richtigt und erweitert. </s> <s xml:id="echoid-s1340" xml:space="preserve">Namentlich hat die Lehre von der <lb/>Natur des Lichtes und dem Entſtehen der Farbe durch neuere <lb/>Forſchungen und Unterſuchungen eine ganz andere Grundlage <lb/>ſeitdem erhalten; </s> <s xml:id="echoid-s1341" xml:space="preserve">da uns jedoch eine Auseinanderſetzung derart <lb/>viel zu weit von unſerem Hauptthema abführen könnte, wollen <lb/>wir hier nur dasjenige berühren, was zur Kenntnis der <lb/>hohen Aufgabe und Löſung der Spektral-Analyſe unumgänglich <lb/>nötig iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1342" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1343" xml:space="preserve">Nicht bloß das Sonnenlicht, ſondern jede Art von Licht, <pb o="119" file="127" n="127"/> ſei es das einer Kerze, einer Lampe, eines künſtlichen Feuers, <lb/>des Gaſes, des elektriſchen Funkens, eines Sternes, eines <lb/>Glühwürmchens oder des faulen Holzes, wird durch ein Prisma <lb/>in Farben zerſtreut; </s> <s xml:id="echoid-s1344" xml:space="preserve">und nicht bloß ein Glas-Prisma, ſondern <lb/>jede durchſichtige Maſſe, welche dem Lichte nicht parallele <lb/>Flächen zum Durchſcheinen darbietet, bricht, zerſtreut und färbt <lb/>dasſelbe. </s> <s xml:id="echoid-s1345" xml:space="preserve">Wir ſehen ein Farbenbild des Lichtes, ein Spektrum, <lb/>in der Waſſerkaraffe auf unſerem Tiſche, an dem Gehänge der <lb/>Kronleuchter, in dem Brillant des Feuerringes, im Regenbogen <lb/>der Luft, im Springbrunnen unſerer Gärten, wie im Tau-<lb/>tropfen, der ſich auf dem Grashalm wiegt. </s> <s xml:id="echoid-s1346" xml:space="preserve">— Zur wiſſen-<lb/>ſchaftlichen Unterſuchung jedoch bedarf man eines reinen Spek-<lb/>trums, das möglichſt abgeſchloſſen von anderem Lichte, nur <lb/>von einem einzigen Strahl herrührt, und hierzu beſitzt man <lb/>bereits ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts optiſche Inſtrumente, <lb/>welche in den Händen der fleißigen Naturforſcher zu mannig-<lb/>fachen Experimenten gebraucht werden.</s> <s xml:id="echoid-s1347" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div71" type="section" level="1" n="40"> <head xml:id="echoid-head46" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Merkwürdigkeiten im Spektrum.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1348" xml:space="preserve">Da machte denn bei Unterſuchung eines möglichſt reinen <lb/>Spektrums der treffliche Optiker <emph style="sp">Fraunhofer</emph> (1787—1826) <lb/>in München im Jahre 1814 die merkwürdige Entdeckung, daß <lb/>es mit dem Sonnenlichte doch eine eigene Bewandtnis haben <lb/>müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s1349" xml:space="preserve">Er zeigte nämlich, daß, wenn man ein Spektrum des <lb/>Sonnenlichtes in ſtarker Vergrößerung betrachtet, man nicht <lb/>bloß die ſchönen Farben, ſondern auch ſchwarze Linien ſieht, <lb/>die aufrecht in den einzelnen Farben ſtehen Die Stärke dieſer <lb/>Linien iſt verſchieden, auch ſind ſie in den einzelnen Farben <lb/>verſchieden gruppiert. </s> <s xml:id="echoid-s1350" xml:space="preserve">Ihre Zahl aber erweiſt ſich bei ſchärferer <pb o="120" file="128" n="128"/> Unterſuchung ganz außerordentlich groß, ſo daß man ſie mit <lb/>feinen Inſtrumenten zu Tauſenden zählen kann.</s> <s xml:id="echoid-s1351" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1352" xml:space="preserve">Was bedeuten dieſe Linien? </s> <s xml:id="echoid-s1353" xml:space="preserve">Weshalb fehlen dieſe Linien <lb/>in jedem Spektrum eines anderen Lichtes, und woher dieſe <lb/>Eigentümlichkeit des Sonnenlichtes, von dem man doch am <lb/>eheſten vermuten ſollte, daß es am reinſten und klarſten ſein <lb/>werde, wie es das ſtärkſte und mächtigſte iſt?</s> <s xml:id="echoid-s1354" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1355" xml:space="preserve">Dieſe Fragen wurden ein halbes Jahrhundert lang ver-<lb/>gebens aufgeworfen. </s> <s xml:id="echoid-s1356" xml:space="preserve">Kaum wagte irgend ein Naturforſcher, <lb/>einen Schatten von Erklärung dieſes Rätſels laut werden zu <lb/>laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1357" xml:space="preserve">Die Fraunhofer’ſchen Linien blieben trotz aller ſorg-<lb/>ſamen Unterſuchungen, wie dunkle Grenzſtriche unſeres Wiſſens <lb/>im lichten Felde der Forſchungen, ſtehen, bis im Jahre 1859, <lb/>jenem Jahre, das auch ſonſt einen Markſtein bildet in der <lb/>Geſchichte der Naturwiſſenſchaft, da es uns mit dem Darwi-<lb/>nismus beſchenkte, zwei lichte Geiſter die bisherigen Grenzen <lb/>der Wiſſenſchaft kühn durchbrachen und aus dem Dunkel dieſer <lb/>rätſelhaften Linien ein Licht erſchloſſen haben, das tief in die <lb/>geheimſten wie in die fernſten Werkſtätten der Natur hinein-<lb/>leuchtet.</s> <s xml:id="echoid-s1358" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div72" type="section" level="1" n="41"> <head xml:id="echoid-head47" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Die Löſung des Rätſels.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1359" xml:space="preserve">Der noch heut lebende Altmeiſter unter den Phyſikern, <lb/><emph style="sp">Bunſen</emph>, und der geniale <emph style="sp">Kirchhoff</emph> (1824—1887) in Heidel-<lb/>berg gingen bei Unterſuchung des Spektrums von der bereits <lb/>von ihnen beobachteten Thatſache aus, daß gewiſſe chemiſche <lb/>Stoffe, welche man in einer Flamme verdampfen läßt, dieſelbe <lb/>färben, wie man das an den bengaliſchen Flammen vielfach <lb/>zu ſehen Gelegenheit hat. </s> <s xml:id="echoid-s1360" xml:space="preserve">Betrachtet man ſolche Flammen <pb o="121" file="129" n="129"/> durch ein Prisma, ſo zeigen ſie nicht ſchwarze Linien, wie die <lb/>Fraunhofer’ſchen, ſondern im Gegenteil einzelne helle, farbige <lb/>Linien innerhalb gewiſſer Stellen des Spektrums. </s> <s xml:id="echoid-s1361" xml:space="preserve">Bunſen und <lb/>Kirchhoff verfolgten dieſe Erſcheinung genauer und kamen zu <lb/>einem überraſchenden Reſultat.</s> <s xml:id="echoid-s1362" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1363" xml:space="preserve">Das Ergebnis ihrer Unterſuchungen iſt Folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s1364" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1365" xml:space="preserve">Lichtſtrahlen, gleichviel, woher ſie ſtammen, geben unter <lb/>allen Umſtänden ein reines und linienfreies Spektrum, das <lb/>ſtets die Farben zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s1366" xml:space="preserve">Wenn jedoch die Lichtſtrahlen durch <lb/>das Gas eines verdampfenden chemiſchen Stoffes hindurch-<lb/>gehen, ſo werden gewiſſe Strahlen des Lichtes von dieſem Gas <lb/>abſorbiert, vernichtet, und es entſtehen dadurch im Spektrum <lb/>dunkle Linien an der Stelle, wo die ausgelöſchten Lichtſtrahlen <lb/>ihre Farbe hätten zeigen ſollen. </s> <s xml:id="echoid-s1367" xml:space="preserve">— Dieſer Grundgedanke wurde <lb/>von den ausgezeichneten Forſchern ſowohl auf theoretiſchem <lb/>Wege, wie durch praktiſche Experimente aufs Glänzendſte be-<lb/>wieſen. </s> <s xml:id="echoid-s1368" xml:space="preserve">Sie zeigten, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s1369" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1370" xml:space="preserve">elektriſches Licht ein reines <lb/>Spektrum giebt, aber ſofort, wenn man eine Spur von Koch-<lb/>ſalzdämpfen vor die Flamme bringt, eine ſehr leicht erkennbare, <lb/>ſchwarze Linie im Gelb des Spektrums entſteht. </s> <s xml:id="echoid-s1371" xml:space="preserve">Sie wieſen auch <lb/>nach, daß eine Spur von Salz in einer ſehr ſchwach leuchtenden <lb/>Spiritusflamme genau an derſelben Stelle des Spektrums, wo <lb/>die ſchwache Linie ſichtbar wurde, eine <emph style="sp">helle gelbe</emph> Linie her-<lb/>vorbringt, wenn man das elektriſche Licht auslöſcht. </s> <s xml:id="echoid-s1372" xml:space="preserve">Sobald <lb/>man aber das elektriſche Licht durch das verdampfende Salz-<lb/>gas hindurchgehen läßt, verwandelt ſich dieſelbe helle gelbe <lb/>Linie wieder in eine ſchwarze Linie. </s> <s xml:id="echoid-s1373" xml:space="preserve">Sie zeigten, daß die <lb/>charakteriſtiſche gelbe Linie im Spektrum ſtets dann auftritt, <lb/>wenn das bekannte Metall <emph style="sp">Natrium</emph> verbrennt, das ja auch <lb/>einen Beſtandteil des Kochſalzes bildet. </s> <s xml:id="echoid-s1374" xml:space="preserve">Hieraus zogen ſie <lb/>den kühnen Schluß, daß, wenn in irgend welchem Spektrum-<lb/>felde ſich eine bisher noch nicht wahrgenommene neue Farben-<lb/>linie zeigt, auch in der verdampfenden Subſtanz ein neuer, <pb o="122" file="130" n="130"/> bisher noch unbekannter chemiſcher Urſtoff ſtecken müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s1375" xml:space="preserve">Die <lb/>Unterſuchung krönte dieſen kühnen Schluß mit den glänzendſten <lb/>Erfolgen. </s> <s xml:id="echoid-s1376" xml:space="preserve">Beim Verbrennen einiger Rückſtände von Mineral-<lb/>waſſer zeigten ſich im Spektrumfelde eine rote und eine charak-<lb/>teriſtiſche blaue, feine Linie, die keinem bis dahin bekannten <lb/>chemiſchen Stoffe eigen war. </s> <s xml:id="echoid-s1377" xml:space="preserve">Sofort erkannten die Forſcher, daß <lb/>hier ein noch unentdeckter Urſtoff vorhanden ſei. </s> <s xml:id="echoid-s1378" xml:space="preserve">Nach Aus-<lb/>ſcheidung aller anderen bekannten Stoffe gelang es ihnen auch, <lb/>dieſen Findling geſondert darzuſtellen, und ſeit jener Zeit be-<lb/>ſitzen wir ein neues chemiſches Element, einen Urſtoff, ein <lb/>neues Metall, daß ſie Cäſium benannten.</s> <s xml:id="echoid-s1379" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1380" xml:space="preserve">In ganz gleicher Weiſe wurde noch ein zweites neues <lb/>Metall, das Rubidium entdeckt, welches ſich durch eine neue <lb/>Linie von roter Farbe im Spektrumfelde verriet. </s> <s xml:id="echoid-s1381" xml:space="preserve">Dieſem <lb/>folgten die weiteren Entdeckungen der bis dahin unbekannten <lb/>Metalle Thallium und Indium.</s> <s xml:id="echoid-s1382" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div73" type="section" level="1" n="42"> <head xml:id="echoid-head48" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Bedeutung der Spektralanalyſe für die Chemie.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1383" xml:space="preserve">Alle dieſe neuen Urſtoffe, oder wie man ſie gewöhnlich <lb/>nennt, “neue chemiſche Elemente”, ſind nur in ſo geringen <lb/>Mengen den andern Stoffen beigemiſcht, daß kein Mikroſkop <lb/>und kein ſonſt angewendetes chemiſches Mittel ihre Exiſtenz <lb/>verrät. </s> <s xml:id="echoid-s1384" xml:space="preserve">Nur die entſprechende farbige Linie im Spektrumfelde <lb/>zeigte ihre Exiſtenz an und gab die Mittel an die Hand, ſie <lb/>auszuſcheiden und rein darzuſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s1385" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1386" xml:space="preserve">Seit der Zeit dieſer Entdeckungen iſt denn auch der Spek-<lb/>tral-Apparat ein unentbehrliches Werkzeug jedes Chemikers <lb/>geworden. </s> <s xml:id="echoid-s1387" xml:space="preserve">Soll er irgend eine Subſtanz auf ihre Elementar-<lb/>Beſtandteile unterſuchen, ſo genügt ein Körnchen davon, in <pb o="123" file="131" n="131"/> richtiger Weiſe in eine Spiritus- oder nicht leuchtende Gas-<lb/>flamme gebracht, um durch Beobachtung des Spektrums die <lb/>erſte Frage zu entſcheiden, welche Urſtoffe in der Subſtanz <lb/>enthalten ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1388" xml:space="preserve">Die einzelnen hellen Linien, welche ſich im <lb/>Spektrumfelde an ganz beſtimmten Stellen zeigen, ſind untrüg-<lb/>liche Merkmale für die Stoffe, welche verbrennen. </s> <s xml:id="echoid-s1389" xml:space="preserve">Dies gilt <lb/>ebenſo für die Flammen im Laboratorium, wie für die einer <lb/>entfernten Feuersbrunſt oder eines Vulkans. </s> <s xml:id="echoid-s1390" xml:space="preserve">Der Chemiker <lb/>braucht alſo jetzt nicht mehr eine Subſtanz in die Hand zu <lb/>nehmen, um ſie in Rückſicht auf ihre Elementar-Stoffe zu <lb/>unterſuchen, wenn er dieſelben in unerreichbarer Entfernung <lb/>nur brennen ſieht, ſagt ihm ein Blick in ſeinen Spektral-Apparat <lb/>mit voller Gewißheit, welche Beſtandteile jene Subſtanz enthält.</s> <s xml:id="echoid-s1391" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1392" xml:space="preserve">Inſoweit iſt die Spektral-Analyſe eine Fundamental-<lb/>Wiſſenſchaft der neueren Chemie geworden, um die Geheim-<lb/>niſſe der ſonſt unſichtbaren Stoffe zu enthüllen.</s> <s xml:id="echoid-s1393" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div74" type="section" level="1" n="43"> <head xml:id="echoid-head49" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Spektralanalyſe und Aſtronomie.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1394" xml:space="preserve">Intereſſanter aber noch als im Gebiet der Unſichtbarkeit <lb/>iſt ihr kühner Griff in die Welt der Unendlichkeit geworden, <lb/>von der wir nunmehr ſprechen wollen.</s> <s xml:id="echoid-s1395" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1396" xml:space="preserve">Bunſen und Kirchhoff richteten auch ſofort ihre Aufmerkſam-<lb/>keit auf die bis dahin rätſelhaften Fraunhofer’ſchen ſchwarzen <lb/>Linien des Sonnen-Spektrums; </s> <s xml:id="echoid-s1397" xml:space="preserve">und da machten ſie die über-<lb/>raſchendſte Entdeckung, welche jemals dem Forſcherblick der <lb/>Menſchheit weit in den Raum der Unendlichkeit eine neue <lb/>Bahn gebrochen.</s> <s xml:id="echoid-s1398" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1399" xml:space="preserve">Wir können das Reſultat dieſer Entdeckung mit wenig <lb/>Worten, wie folgt, wiedergeben.</s> <s xml:id="echoid-s1400" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="124" file="132" n="132"/> <p> <s xml:id="echoid-s1401" xml:space="preserve">Die Sonne ſelbſt beſteht aus einer glühenden Kugel, welche <lb/>Licht ausſendet; </s> <s xml:id="echoid-s1402" xml:space="preserve">dieſes Licht würde für ſich allein ein Spektrum <lb/>ohne dunkle Linien geben. </s> <s xml:id="echoid-s1403" xml:space="preserve">Die Sonnenkugel indeſſen iſt von <lb/>einer Hülle umgeben, in welcher viele chemiſche Stoffe in Gas-<lb/>form glühen, die gleichfalls ihr Licht uns zuſenden. </s> <s xml:id="echoid-s1404" xml:space="preserve">Wäre es <lb/>möglich, dieſes Licht der Hülle allein ohne das intenſive Licht <lb/>der Sonnenkugel zu unterſuchen, ſo würde es ganz wie die <lb/>Verbrennung der irdiſchen chemiſchen Urſtoffe ein Spektrum <lb/>mit hellen farbigen Linien geben. </s> <s xml:id="echoid-s1405" xml:space="preserve">Da wir aber unſer gewöhn-<lb/>liches Sonnenlicht aus beiden Lichtquellen zugleich erhalten, <lb/>aus der Sonnenkugel und aus der Sonnenhülle, und das <lb/>Licht der Sonnenkugel durch das Licht der Sonnenhülle <lb/>hindurch ſcheint, bevor es zu uns gelangt, ſo wird ein Teil <lb/>der Lichtſtrahlen der Sonnenkugel durch die Sonnenhülle <lb/>abſorbiert, und wir ſehen im Spektrum dieſelben Linien, <lb/>welche, allein von der Hülle ausgehend, hell und farbig er-<lb/>ſcheinen würden, nunmehr als ſchwarze Linien.</s> <s xml:id="echoid-s1406" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1407" xml:space="preserve">Wie dies zugeht, daß die Lichtſtrahlen zweier Lichtquellen <lb/>in einander fallend nicht helleres Licht geben, ſondern unter <lb/>Umſtänden einander verdunkeln können, das iſt der Wiſſen-<lb/>ſchaft längſt bekannt. </s> <s xml:id="echoid-s1408" xml:space="preserve">Die Lehre von der Interferenz des <lb/>Lichtes erklärt eine ſolche Erſcheinung theoretiſch eben ſo klar, <lb/>wie man durch ganz bekaunte Experimente auch dieſes inter-<lb/>eſſante Phänomen jedem Laien deutlich zeigen kann. </s> <s xml:id="echoid-s1409" xml:space="preserve">Um <lb/>jedoch ein ungefähres Bild dieſer Thatſache vorzuführen, <lb/>wollen wir folgendes erwähnen, wodurch man ſich leicht über-<lb/>zeugen kann, wie zuweilen ein Licht das andere ſchwächt.</s> <s xml:id="echoid-s1410" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1411" xml:space="preserve">Wenn man einen Wachsſtock im Dunkeln anzündet, ſo <lb/>wird man das Licht desſelben recht hell ſcheinend finden; </s> <s xml:id="echoid-s1412" xml:space="preserve">wenn <lb/>man jedoch den brennenden Wachsſtock vor der hell ſcheinenden <lb/>Sonne hinſtellt, und dieſe nun mit einem geſchwärzten Schütz-<lb/>glaſe betrachtet, ſo wird man finden, daß die Stelle, wo man <lb/>beide Lichter ſieht, nicht heller, ſondern im Gegenteil dunkler <pb o="125" file="133" n="133"/> iſt als die übrige Sonnenſcheibe. </s> <s xml:id="echoid-s1413" xml:space="preserve">Die Dämpfe des Wachs-<lb/>lichtes verdunkeln das klare Sonnenlicht ein wenig. </s> <s xml:id="echoid-s1414" xml:space="preserve">Wenngleich <lb/>dieſes Experiment nicht genau auf unſeren Fall, wo die hellen <lb/>Spektral-Linien in ſchwarze verwandelt werden, zutrifft, ſo <lb/>kann es doch die Vorſtellung hiervon einigermaßen erleichtern.</s> <s xml:id="echoid-s1415" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1416" xml:space="preserve">Aus dieſer kühnen Entdeckung unſerer großen Forſcher <lb/>folgt, daß man nunmehr nur die ſchwarzen Linien des <lb/>Sonnenſpektrums gründlich zu unterſuchen und mit den hellen, <lb/>farbigen Linien des Spektrums verdampfender irdiſcher Urſtoffe <lb/>zu vergleichen braucht, <emph style="sp">um ſofort zu wiſſen, welche <lb/>chemiſchen Urſtoffe da oben, 20 Millionen Meilen <lb/>fern von uns, in der Atmoſphäre der Sonne ver-<lb/>dampfen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s1417" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div75" type="section" level="1" n="44"> <head xml:id="echoid-head50" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Was für Stoffe kommen auf der Sonne vor?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1418" xml:space="preserve">Die herrlichen Forſcher haben dieſe Unterſuchung, Meſſung <lb/>und Vergleichung nicht unterlaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1419" xml:space="preserve">Noch niemals iſt ſeit dem <lb/>Aufblühen unſerer Wiſſenſchaften eine ſo kühne Entdeckung <lb/>ſogleich mit ſo glänzendem Erfolge gekrönt worden. </s> <s xml:id="echoid-s1420" xml:space="preserve">Als die <lb/>ſtaunende Welt mit dieſer unvergleichlich erhabenen Entdeckung <lb/>überraſcht wurde, wurde ſie zugleich von der exakten Methode <lb/>überraſcht, welche jeden Zweifel niederſchlug.</s> <s xml:id="echoid-s1421" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1422" xml:space="preserve">Die Arbeiten Kirchhoff’s in dieſem Punkte tragen den <lb/>Stempel einer unübertroffenen Vollendung. </s> <s xml:id="echoid-s1423" xml:space="preserve">Ihr unumſtoß-<lb/>bares Reſultat iſt, daß in der Sonnen-Atmoſphäre, außer <lb/>einigen uns noch nicht bekannten Stoffen, die Urſtoffe <lb/>Eiſen, Natrium, Magneſium, Waſſerſtoff, Calcium, Nickel, <lb/>Chrom, Kupfer, Zink, Barium und wahrſcheinlich auch Kobalt, <lb/>Cadmium u. </s> <s xml:id="echoid-s1424" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s1425" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s1426" xml:space="preserve">im Verbrennen begriffen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1427" xml:space="preserve">Da dies <pb o="126" file="134" n="134"/> Stoffe ſind, welche ſich auch auf der Erde am meiſten ver-<lb/>breitet finden, ſo wurde hierdurch die längſt behauptete Theorie <lb/>ſtark beſtätigt, daß die Erdkugel ſo wie alle anderen Planeten <lb/>nur Teile der Sonnenmaſſe ſind, welche infolge der Zuſammen-<lb/>ziehung derſelben aus ihr abgeſondert wurden.</s> <s xml:id="echoid-s1428" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1429" xml:space="preserve">Wenn noch irgend ein Zweifel über die Wahrheit dieſer <lb/>großen Entdeckung hätte obwalten können, ſo hat das Jahr 1868 <lb/>eine Beſtätigung herbeigeführt, welche alle berechtigte Er-<lb/>wartung übertroffen hat.</s> <s xml:id="echoid-s1430" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1431" xml:space="preserve">Schon beim erſten Auftreten der kühnen Entdeckung von <lb/>Bunſen und Kirchhoff über die Eigentümlichkeit des Sonnen-<lb/>lichts wurde darauf hingewieſen, daß eine große Sonnen-<lb/>finſternis im ſtande ſein würde, die Probe hierfür abzugeben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1432" xml:space="preserve">— Iſt es wahr — ſo ſagte man ſich damals — daß wir von <lb/>der Sonne zwei Arten Lichtſtrahlen erhalten, ein Licht von der <lb/>Sonnenkugel, deſſen Spektrum allein gar keine Linien zeigen <lb/>würde, und Lichtſtrahlen aus der Sonnenhülle, welche für <lb/>ſich allein geſehen, helle Linien im Spektrum erblicken ließen, <lb/>ſo müßte eine große Sonnenfinſternis ein eigentümliches <lb/>Phänomen zeigen. </s> <s xml:id="echoid-s1433" xml:space="preserve">Wenn der Mond nämlich vor die Sonne <lb/>tritt, uns den Anblick der Sonnenkugel entzieht und alſo das <lb/>Licht der Sonnenkugel nicht zu uns gelangen läßt, ſo haben <lb/>wir einen Moment vor uns, der uns Gelegenheit bietet, das <lb/>Licht der Sonnenhülle allein zu unterſuchen, und da würde es <lb/>ſich zeigen, ob man an der Stelle des Spektrums, wo man <lb/>ſonſt ſchwarze Linien ſieht, in ſolchem Moment helle, farbige <lb/>Linien ſehen würde.</s> <s xml:id="echoid-s1434" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1435" xml:space="preserve">Die große Sonnenfinſternis am 18. </s> <s xml:id="echoid-s1436" xml:space="preserve">Auguſt 1868 ver-<lb/>anlaßte daher mit Recht die Ausſendung von wiſſenſchaftlichen <lb/>Expeditionen aller civiliſierten Völker. </s> <s xml:id="echoid-s1437" xml:space="preserve">Eine der wichtigſten <lb/>Aufgaben dieſer Expeditionen war, zu beobachten, ob man bei <lb/>völliger Verfinſterung der Sonnenkugel noch irgend welche <lb/>Lichterſcheinungen der Sonnenhülle wahrnehmen könne. </s> <s xml:id="echoid-s1438" xml:space="preserve">Eine <pb o="127" file="135" n="135"/> weitere Aufgabe beſtand darin, im Falle ſolcher Lichterſcheinung <lb/>die Natur dieſes Lichtes mit dem Spektral-Apparat zu unter-<lb/>ſuchen und zu ſehen, ob da an Stelle der ſchwarzen Fraunhofer-<lb/>ſchen Linien wirklich helle Linien ſichtbar würden.</s> <s xml:id="echoid-s1439" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1440" xml:space="preserve">Die erſte Aufgabe, nämlich feſtzuſtellen, ob etwas von <lb/>einer Sonnenumhüllung zu ſehen ſei, wenn die Sonnenkugel <lb/>ſelbſt verfinſtert iſt, wurde von allen Expeditionen glücklich gelöſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1441" xml:space="preserve">Alle Naturforſcher ſahen große, roſenrote Hervorragungen, <lb/>ſogenannte Protuberanzen, über der Sonnenkugel ſchweben. </s> <s xml:id="echoid-s1442" xml:space="preserve"><lb/>Unſerer norddeutſchen Expedition und ebenſo einer engliſchen <lb/>gelang es ſogar, zur Beſeitigung jedes Zweifels, mehrere <lb/>Photographien anzufertigen, auf welchen man dieſe Protube-<lb/>ranzen in ihrer wunderbar flammenden Geſtalt vollkommen <lb/>klar und deutlich ſieht (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1443" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1444" xml:space="preserve">69). </s> <s xml:id="echoid-s1445" xml:space="preserve">Daß alſo die Sonnenkugel <lb/>noch von einer leuchtenden Hülle umgeben iſt, das iſt völlig feſt-<lb/>geſtellt. </s> <s xml:id="echoid-s1446" xml:space="preserve">Dem franzöſiſchen Naturforſcher <emph style="sp">Janſſen</emph> und einigen <lb/>engliſchen Aſtronomen aber gelang es auch, vom Wetter be-<lb/>ſonders begünſtigt, dieſe Protuberanzen mit dem Spektral-<lb/>Apparat zu unterſuchen; </s> <s xml:id="echoid-s1447" xml:space="preserve">und — die Thatſache wurde voll-<lb/>berechtigt mit großem Jubel als Triumph der Wiſſenſchaft auf-<lb/>genommen — ſie ſahen im Spektrum dieſer Protuberanzen helle <lb/>Linien, und zwar ſolche Linien, welche die Gewißheit gaben, <lb/>daß man in dieſen flammenden Hervorragungen glühendes <lb/>Waſſerſtoffgas vor ſich habe, das durch koloſſale Exploſionen <lb/>viele tauſend Meilen über die Sonne emporgeſchleudert wird <lb/>und von ungeheuren Stürmen in der Sonnenatmoſphäre mit <lb/>raſender Schnelligkeit umhergewirbelt wird.</s> <s xml:id="echoid-s1448" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1449" xml:space="preserve">Durfte man dieſen faſt unglaublich klingenden Triumph <lb/>der Wiſſenſchaft, die es ermöglicht hat, mit einem irdiſchen <lb/>Inſtrumente Stoffe zu ermitteln, welche droben in der <lb/>20 Millionen Meilen entfernten Sonnen-Umhüllung glühen, <lb/>jubelnd aufnehmen, ſo iſt dieſem ſofort ein weiterer Triumph <lb/>gefolgt, der den erſteren in überraſchender Weiſe überflügelt.</s> <s xml:id="echoid-s1450" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="128" file="136" n="136"/> <p> <s xml:id="echoid-s1451" xml:space="preserve">Der franzöſiſche Naturforſcher Janſſen merkte ſich genau <lb/>die Stelle, wo die Protuberanzen im Moment der Sonnen-<lb/>finſternis zu ſehen waren. </s> <s xml:id="echoid-s1452" xml:space="preserve">Daß dieſe nach Ablauf der Ver-<lb/>finſterung wieder unſichtbar werden mußten, war bereits aus <lb/>älteren Erfahrungen bekannt. </s> <s xml:id="echoid-s1453" xml:space="preserve">Aber <lb/>Herr Janſſen machte den glücklichen <lb/>Verſuch, ob es gelingen würde, die <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-136-01a" xlink:href="fig-136-01"/> geſehenen, hellen Linien durch den Spektral-Apparat wieder <lb/>aufzufinden. </s> <s xml:id="echoid-s1454" xml:space="preserve">Und wirklich gelang ihm dies an allen darauf <lb/>folgenden Tagen bei unverfinſterter Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s1455" xml:space="preserve">Bei geeigneten <lb/>Vorrichtungen gelingt dies jetzt noch immer, ſo daß man gegen-<lb/>wärtig nicht mehr der ſo ſeltenen Erſcheinung einer totalen <lb/>Sonnenfinſternis bedarf, um ſich von der Exiſtenz der Sonnen- <pb o="129" file="137" n="137"/> Protuberanzen zu überzeugen, ihre ſehr wechſelnde Geſtalt zu <lb/>ermitteln und die Stoffe zu erforſchen, aus welchen ſie beſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s1456" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div75" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-136-01" xlink:href="fig-136-01a"> <caption xml:id="echoid-caption52" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 69.</emph> <lb/>Protuberanzen am Rande der Sonne.</caption> <variables xml:id="echoid-variables11" xml:space="preserve">P P</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1457" xml:space="preserve">Auf der Berliner Sternwarte wurde dieſes Aufſuchen und <lb/>Beobachten der Protuberanzen von <emph style="sp">Tietjen</emph> (1834—1896) mit <lb/>Glück fortgeſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s1458" xml:space="preserve">Ein Gleiches geſchieht auch von anderen <lb/>Aſtronomen, welche mit geeigneten Apparaten ausgerüſtet ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1459" xml:space="preserve">Namentlich aber muß es hier erwähnt werden, daß der engliſche <lb/>Naturforſcher <emph style="sp">Lockyer</emph>, ohne von Janſſen’s Entdeckung etwas <lb/>zu wiſſen, ganz gleichzeitig dieſelbe Entdeckung und zwar <lb/>in England machte, wo die Sonnenfinſternis nicht ſtattfand. </s> <s xml:id="echoid-s1460" xml:space="preserve"><lb/>Lockyer’s Verdienſt überflügelt daher das ſeines franzöſiſchen <lb/>Rivalen und zeigt uns die oft ſich wiederholende Erſcheinung, <lb/>daß einer Wiſſenſchaft, wenn ſie der Reife nahe gekommen iſt, <lb/>die Früchte von allen Seiten zuſtrömen.</s> <s xml:id="echoid-s1461" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div77" type="section" level="1" n="45"> <head xml:id="echoid-head51" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Aus was für Stoffen beſtehen die Fixſterne?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1462" xml:space="preserve">Aber nicht bloß bis zum Zentral-Punkt unſeres Planeten-<lb/>Syſtems hat ſich der kühne Flug der neueſten Wiſſenſchaft er-<lb/>hoben, ſondern weit hinaus über die Grenzen, die bisher die <lb/>Unermeßlichkeit und die Unendlichkeit des Weltalls dem <lb/>Forſcherdrang entgegenſtellte, iſt der Geiſt ſiegreich vorge-<lb/>drungen. </s> <s xml:id="echoid-s1463" xml:space="preserve">In die Räume, die ſich nunmehr eröffnen, blicken <lb/>wir freilich noch mit dem Schauern der Andacht hinein, die <lb/>uns ſtets erfaßt, wo uns halb wiſſend, halb ahnend, ein neues <lb/>Licht der Erkenntnis überſtrömt. </s> <s xml:id="echoid-s1464" xml:space="preserve">Allein wo der Strahl der <lb/>getreuen Wiſſenſchaft uns, wie hier, leitet, dürfen wir getroſt <lb/>dem Fluge folgen, wenn er auch in Fernen hinein führt, wo <lb/>ſelbſt die Sonne und ihr ganzes Syſtem zu einem ver-<lb/>ſchwindenden Punkte des Weltalls wird.</s> <s xml:id="echoid-s1465" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1466" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1467" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1468" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1469" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="130" file="138" n="138"/> <p> <s xml:id="echoid-s1470" xml:space="preserve">Seitdem Sir <emph style="sp">William Herſchel</emph> am Ende des 18. </s> <s xml:id="echoid-s1471" xml:space="preserve">Jahr-<lb/>hunderts ſein Rieſen-Teleſkop zum Fixſtern-Himmel hinauf <lb/>gerichtet, hat die ſtaunende Menſchheit erfahren, daß nicht ihre <lb/>kleinen und oft kleinlichen Geſchicke die Weltgeſchichte bedeuten, <lb/>ſondern die ausführliche Geſchichte des Weltalls, die Jahr-<lb/>billionen umfaßt und dort oben in dem Himmelsplan all-<lb/>nächtlich vor uns aufgerollt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1472" xml:space="preserve">Der herrliche Forſcher, <lb/>Entdecker und Denker ahnte mit tieferer Einſicht als je <lb/>Einer vor ihm, daß wir in den Himmelslichtern nicht eine <lb/>einmal fertig gewordene Welt vor uns ſehen, ſondern eine <lb/>ewig werdende Welt, die Zeugen ihres Daſeins, ihres Ent-<lb/>ſtehens und Vergehens zu uns hinunterſendet. </s> <s xml:id="echoid-s1473" xml:space="preserve">Er erklärte, <lb/>daß dieſe Millionen von Welten in den verſchiedenſten Stadien <lb/>ihrer Exiſtenz begriffen ſind, daß die hellen Fixſterne fertige <lb/>Sterne ſeien, die teils einſam, wie unſere Sonne, ihren Weg <lb/>im Weltraum wandern, teils Doppelſonnen ſind, die um <lb/>einander kreiſen, teils größere Gruppen bilden, die im gemein-<lb/>ſamen Schwerpunkt ihren Zuſammenhang haben. </s> <s xml:id="echoid-s1474" xml:space="preserve">William <lb/>Herſchel lehrte, daß das lichte, breite Band, welches in <lb/>hellen Nächten den Himmelsdom als Milchſtraße umſpannt, <lb/>ein großes Sonnen-Heer ſei, in welchem auch unſere Sonne <lb/>wie ein Tropfen im Weltmeer eine beſcheidene Stelle ein-<lb/>nimmt. </s> <s xml:id="echoid-s1475" xml:space="preserve">Er wies nach, daß kleine Nebelflecke, die ſich kaum <lb/>dem unbewaffneten Auge verraten, gewaltige Sonnen-Inſeln <lb/>im Weltmeer ſind, ſo fern von uns, daß das Licht, der <lb/>flüchtigſte Sendbote des Alls, viele Jahrtauſende braucht, um <lb/>zu uns zu dringen. </s> <s xml:id="echoid-s1476" xml:space="preserve">Er lehrte uns Ring-Nebel des Fixſtern-<lb/>Himmels kennen, die Milchſtraßen für ſich bilden, gleich der, <lb/>zu welcher unſer Sonnenſyſtem als einziges Einzelglied gehört. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1477" xml:space="preserve">Das herrliche Inſtrument Herſchels verwandelte Nebelflecke in <lb/>Sternenhaufen und zeigte helle Sterne von weiten Nebelhüllen <lb/>umgeben. </s> <s xml:id="echoid-s1478" xml:space="preserve">Endlich aber verriet dieſem großen Ergründer des <lb/>Weltalls ſein lichtverſtärkendes Teleſkop wie der leuchtende <pb o="131" file="139" n="139"/> Scharfblick ſeines Geiſtes, daß es auch unauflösliche Nebel <lb/>gebe, welche den Urſtoff werdender Welten und Welten-Syſteme <lb/>in den verſchiedenſten Stadien der Entwickelung bilden, und <lb/>daß das Licht von dieſen hernieder leuchtend uns die ewige <lb/>Geſchichte der Welten-Entſtehung offenbare, die zu erforſchen <lb/>und zu erkennen die würdigſte Aufgabe unſeres vergänglichen <lb/>Daſeins ſei.</s> <s xml:id="echoid-s1479" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1480" xml:space="preserve">Faſt vier Jahrzehnte waren über dem Grabe dieſes herr-<lb/>lichen Forſchers dahin gegangen, ohne daß die Himmelsleiter <lb/>ſich zeigte, auf welcher eine Stufe neuer Entdeckungen in dieſem <lb/>Gebiete erſtiegen werden könnte. </s> <s xml:id="echoid-s1481" xml:space="preserve">Dann aber iſt die Spektral-<lb/>Analyſe zu einer ſolchen geworden. </s> <s xml:id="echoid-s1482" xml:space="preserve">Steht unſere Forſchung <lb/>auch noch an der unterſten Sproſſe der in die Unendlichkeit <lb/>führenden Bahn, ſo dürfen wir doch in Betracht des Reichtums <lb/>unſerer Entdeckungen ſagen, daß die nächſten Jahrzehnte weiter <lb/>hinausreichen werden in das Gebiet des Wiſſens, als Wiſſens-<lb/>drang und Geiſtesahnung je anzudeuten im ſtande waren.</s> <s xml:id="echoid-s1483" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1484" xml:space="preserve">Verſuchen wir es demnach, dem kühnen Fluge der Wiſſen-<lb/>ſchaft in die Weltenräume zu folgen, die weit hinaus außerhalb <lb/>unſeres Sonnenſyſtems liegen.</s> <s xml:id="echoid-s1485" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div78" type="section" level="1" n="46"> <head xml:id="echoid-head52" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Verwandlung des Weltbildes.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1486" xml:space="preserve">Es liegt in der Spektroſkopie ein ruhmreicher Triumph <lb/>des Menſchengeiſtes, der ſich nicht begnügt mit den Erforſchungen <lb/>der irdiſchen Zuſtände und der Kräfte der uns unmittelbar <lb/>umgebenden Natur, ſondern hinausſtreift in die Regionen des <lb/>fernſten Weltalls, um auch von dort her die Geiſteseroberungen <lb/>der Menſchheit zu ſteigern und zu vermehren. </s> <s xml:id="echoid-s1487" xml:space="preserve">Hier gilt es <lb/>nicht den materiellen Gewinn der Herrſchaft über Naturkräfte, <pb o="132" file="140" n="140"/> nicht der Bereicherung an Dienſtleiſtungen, durch welche wir <lb/>uns als die Gebieter über die Naturkräfte erweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s1488" xml:space="preserve">Was die <lb/>Spektroſkopie der Himmelskörper uns bietet, gehört einzig und <lb/>allein dem Schatz des Geiſtes an, dem ſich kein Hauch ſelbſt-<lb/>ſüchtiger Bereicherung beimiſcht. </s> <s xml:id="echoid-s1489" xml:space="preserve">Auf dieſem Gebiet tritt der <lb/>Menſch ſo recht als Geiſtesweſen auf, dem nichts teurer iſt <lb/>als die Wahrheit und nichts befriedigender als die Erforſchung <lb/>von Geſetzen und Zuſtänden, die Billionen und Billionen <lb/>Meilen fern von uns walten. </s> <s xml:id="echoid-s1490" xml:space="preserve">Die Errungenſchaften, mit <lb/>welchen dieſer Zweig der Wiſſenſchaft uns bereichert, ſind die <lb/>reinſten Gaben unter allen Schätzen des menſchlichen Daſeins. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1491" xml:space="preserve">Sie adeln den Forſchertrieb und verklären das menſchliche <lb/>Schaffen. </s> <s xml:id="echoid-s1492" xml:space="preserve">Sie mahnen die Menſchheit zum ſelbſtloſen Streben <lb/>und verleihen ihr das Gepräge der Unſterblichkeit, in welchem <lb/>ſich am deutlichſten der Spruch der Weisheit bewahrheitet, <lb/>der den Menſchenſohn zum Sohn des ewig ſtrebenden Geiſtes <lb/>ſtempelt.</s> <s xml:id="echoid-s1493" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1494" xml:space="preserve">Aus dem Weltenraum, in ſternenhellen Nächten, gelangt <lb/>nichts zu uns als der Lichtſtrahl, der unſer Auge trifft. </s> <s xml:id="echoid-s1495" xml:space="preserve">Gleich-<lb/>wohl hat er zu allen Zeiten die ahnende Seele erfüllt mit Ge-<lb/>danken eines ewigen Daſeins. </s> <s xml:id="echoid-s1496" xml:space="preserve">Selbſt in den dunkeln Epochen <lb/>des Altertums, als man den blauen Dom des ſternenreichen <lb/>Himmels nur als eine Kuppel anſtaunte, über die Erdfläche <lb/>ausgebreitet, hat das Menſchenherz im dichteriſchen Gewande <lb/>eine ewige Macht unendlicher Schöpfung dahinter geahnt und <lb/>in Andacht geſtrebt, die Endloſigkeit des Raumes und die <lb/>Ewigkeit der Zeit im Glauben an eine Allmacht zu faſſen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1497" xml:space="preserve">Menſchengeſchlechter auf Menſchengeſchlechter gingen ungezählt <lb/>dahin, vom dunkeln Trieb nach Erforſchung des ewigen Seins <lb/>getragen, dem ſie eine Stätte über dem Sternenzelt zuſchrieben. </s> <s xml:id="echoid-s1498" xml:space="preserve"><lb/>Erſt nach und nach erwachte in ihnen ein eigner Geiſt des <lb/>Wiſſens, der ſie lehrte in den Sternen Welten zu erkennen <lb/>und in dem Raum lebende Kräfte zu ahnen, die Geſetzen <pb o="133" file="141" n="141"/> untergeordnet ſind, welche auch in unſerer Umgebung herrſchen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1499" xml:space="preserve">Der Gedanke, daß die Erde ſelbſt ein Himmelskörper, im <lb/>Himmel ſchwebend und im Rundlauf um die Sonne begriffen <lb/>iſt, dieſer Gedanke hat erſt vor wenigen Jahrhunderten die <lb/>Sonderung von Himmel und Erde aufgelöſt und uns ſelber <lb/>zu Himmelsgeſchöpfen erhoben, entſtehend und vergehend nach <lb/>ewigen Geſetzen, denen Alles, was das Weltall erfüllt, unter-<lb/>worfen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1500" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1501" xml:space="preserve">Seit den Zeiten des Kopernikus iſt nicht bloß die Erde <lb/>als ein Himmelsgeſtirn erkannt worden, ſondern auch die <lb/>Sonne wurde zum Weltkörper gleicher Beſchaffenheit und <lb/>gleichen Ranges mit Millionen anderer Fixſterne. </s> <s xml:id="echoid-s1502" xml:space="preserve">Nicht “der <lb/>Mond und die Sterne”, wie der lichte Augenſchein es lehrt, <lb/>ſondern die Sonne und die Sterne, die niemals gleichzeitig <lb/>dem menſchlichen Auge ſichtbar ſind, wurden als nahe Verwandte <lb/>erkannt. </s> <s xml:id="echoid-s1503" xml:space="preserve">Es war dies ein Rieſenſchritt der geiſtigen Erkenntnis, <lb/>der die Menſchheit erlöſte von dem trügeriſchen Schein des <lb/>Auges und ihr Licht gewährte zum freien Urteil des Geiſtes.</s> <s xml:id="echoid-s1504" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1505" xml:space="preserve">Dieſem erſten Schritt vom Augenſchein zur Geiſteswahr-<lb/>heit folgte eine große, ergänzende Entdeckung, welche das <lb/>Weſen der Sonne in ganz anderem Lichte als bis dahin er-<lb/>ſcheinen ließ. </s> <s xml:id="echoid-s1506" xml:space="preserve">Galilei richtete das von ihm erfundene Fernrohr <lb/>auf den großen Himmelskörper, den man gewohnt war, als <lb/>die Leuchte des Weltalls zu betrachten. </s> <s xml:id="echoid-s1507" xml:space="preserve">Da entdeckte er, daß <lb/>auf der Sonne eine Thätigkeit ſtatthabe, in welcher von Zeit <lb/>zu Zeit dunkle Maſſen auf ihrer Oberfläche ſichtbar werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1508" xml:space="preserve">Die Sonnenflecke veränderten nicht nur ihre Geſtalt, ſondern <lb/>wanderten auch über die Sonnenkugel in regelmäßiger Be-<lb/>wegung dahin, waraus der Schluß gezogen wurde, daß ſich <lb/>der Sonnenkörper in circa fünfundzwanzig Tagen um ſeine <lb/>Achſe drehe. </s> <s xml:id="echoid-s1509" xml:space="preserve">Man ſchloß hieraus ſehr bald, daß dieſer <lb/>Himmelskörper nicht bloß eine Leuchte für die Planetenwelt <lb/>ſei, ſondern in einer eigenen Thätigkeit verharre, die ihre <pb o="134" file="142" n="142"/> eigene Urſache habe und eigenen Geſetzen unterworfen ſein <lb/>müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s1510" xml:space="preserve">Es war dies der erſte Schritt zu einer neuen Wiſſen-<lb/>ſchaft, welche man jetzt weiter ausbaut. </s> <s xml:id="echoid-s1511" xml:space="preserve">Es iſt die Wiſſen-<lb/>ſchaft, welche wir nunmehr mit dem Namen “die Phyſik des <lb/>Himmels” bezeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s1512" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div79" type="section" level="1" n="47"> <head xml:id="echoid-head53" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Die große That Herſchels.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1513" xml:space="preserve">Der weitere Schritt auf dieſer Bahn wurde von dem <lb/>großen William Herſchel gethan. </s> <s xml:id="echoid-s1514" xml:space="preserve">Bis zu ſeiner Zeit hatte <lb/>man nur hin und wieder Beobachtungen gemacht, welche an-<lb/>deuteten, daß die Fixſternwelt keineswegs eine fertige und un-<lb/>veränderliche Weltallsſchöpfung ſei. </s> <s xml:id="echoid-s1515" xml:space="preserve">Man ſah neue Sterne <lb/>erſcheinen und nach einiger Zeit wieder verſchwinden. </s> <s xml:id="echoid-s1516" xml:space="preserve">Wenn <lb/>man auch die Urſache dieſes rätſelhaften Phänomens nicht <lb/>ergründen konnte, ahnte man doch ſchon, daß in den fernen <lb/>Himmelsräumen eine thätige Kraft obwalten müſſe, die ſolche <lb/>Erſcheinungen hervorruft. </s> <s xml:id="echoid-s1517" xml:space="preserve">Auch aus einzelnen Notizen des <lb/>Altertums entnahm man, daß während der Jahrtauſende Ver-<lb/>änderungen an den Fixſternen vorgegangen ſein müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1518" xml:space="preserve">Der <lb/>glänzendſte aller Fixſterne, der Sirius, wurde im Altertum in <lb/>rotem Lichte geſehen, während er in den letzten Jahrhunderten <lb/>in weißem Lichte ſtrahlt. </s> <s xml:id="echoid-s1519" xml:space="preserve">Auch die zwei Hauptſterne der <lb/>Zwillinge haben an Lichtſtärke gewechſelt. </s> <s xml:id="echoid-s1520" xml:space="preserve">Die griechiſchen <lb/>Aſtronomen fanden Caſtor größer als Pollux, während in <lb/>neueren Jahrhunderten das Umgekehrte der Fall iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1521" xml:space="preserve">Aber <lb/>ſolche Veränderungen erſcheinen doch nur ſo vereinzelt, daß <lb/>man ihrethalben keineswegs den Grundgedanken aufgab, in <lb/>der Fixſternwelt eine abgeſchloſſene Schöpfung vor ſich zu <lb/>haben!</s> </p> <pb o="135" file="143" n="143"/> <p> <s xml:id="echoid-s1522" xml:space="preserve">Der kühne Fernblick William Herſchels, der zuerſt lichtend <lb/>in den Raum der Fixſternwelt eindrang, hatte dem ſtaunenden <lb/>Geiſt der Menſchheit ein neues Weltbild aufgeſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1523" xml:space="preserve">Er <lb/>hat es zur Gewißheit erhoben, daß die Sonne nur eine Mit-<lb/>bürgerin eines Fixſternſyſtems iſt, zu welchem all die Millionen <lb/>und Millionen Sonnen gehören, die wir in dichten Scharen <lb/>die Milchſtraße bilden ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s1524" xml:space="preserve">Er hat nachgewieſen, daß mit <lb/>dieſem gewaltigen Milchſtraßen-Syſtem und ihren unzählbaren <lb/>Sonnen nicht die Bevölkerung des Weltraums abgeſchloſſen ſei, <lb/>ſondern nach allen Seiten hin, weit außerhalb derſelben, in <lb/>Fernen, für welche uns Maß und Ausdruck fehlt, ähnliche und <lb/>gleiche Sonnen-Inſeln, von unzählbaren Himmelskörpern ge-<lb/>bildet, exiſtieren, die ihr Licht nur im Schimmer kleiner Nebel-<lb/>flecke zu uns herſenden. </s> <s xml:id="echoid-s1525" xml:space="preserve">Er hat es wahrſcheinlich gemacht, <lb/>daß die Zahl dieſer fernen Milchſtraßen größer ſei als die Zahl <lb/>der Sonnen, die die Milchſtraßen-Syſteme bilden. </s> <s xml:id="echoid-s1526" xml:space="preserve">Viele dieſer <lb/>kleinen Nebelflecke vermochte er durch die Schärfe ſeines Tele-<lb/>ſkops in dicht gedrängte Sternenhaufen aufzulöſen, die als <lb/>Welten-Inſeln für ſich in unendlich fernen Räumen exiſtieren. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1527" xml:space="preserve">Er zeigte aber auch andere Nebelflecke in gewaltiger Anzahl, <lb/>die der Kraft der Fernröhre widerſtehen und ihre Nebelgeſtalt <lb/>in den verſchiedenſten Formen unverändert beibehalten, wie <lb/>ſtark man auch verſucht, ſie durch Vergrößerung mittelſt des <lb/>Teleſkops in einzelne Sonnen zu ſondern.</s> <s xml:id="echoid-s1528" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1529" xml:space="preserve">William Herſchel ſprach hiernach den kühnen Gedanken <lb/>aus, daß die meiſten dieſer Milchſtraßen-Syſteme in Fernen <lb/>exiſtieren, in welcher das Licht wohl Jahrtauſende braucht, um <lb/>bis zu uns zu dringen. </s> <s xml:id="echoid-s1530" xml:space="preserve">Er entwickelte den noch kühneren <lb/>Gedanken, daß es im Weltraum noch Sonnengruppen geben <lb/>könne in ſolcher Ferne, daß ihr Licht erſt in ſpäteren Zeiten <lb/>bis zu uns vordringen wird. </s> <s xml:id="echoid-s1531" xml:space="preserve">Von den Nebelflecken aber, die <lb/>jeder Macht des Teleſkops widerſtehen und ihre Nebelſtruktur <lb/>trotz aller vergrößernder Inſtrumente beibehalten, wagte er den <pb o="136" file="144" n="144"/> kühnſten aller menſchlichen Gedanken auszuſprechen, daß ſie die <lb/>Gebilde werdender Welten-Syſteme ſeien, daß dort erſt loſe <lb/>Weltenmaſſe exiſtiere, die der Jahrmillionen der Geſtaltung <lb/>bedürfe, um durch die Kraft der Anziehung einzelner Teile <lb/>Sonnen zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s1532" xml:space="preserve">Wir erblicken in dieſen nicht die Erzeug-<lb/>niſſe eines bereits geſchaffenen, ſondern die Zeugniſſe einer erſt <lb/>in Urmaſſe befindlichen und im Werden begriffenen Welt.</s> <s xml:id="echoid-s1533" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1534" xml:space="preserve">Mit den großen Entdeckungen Herſchel’s gewann das <lb/>Weltbild einen ganz anderen Charakter. </s> <s xml:id="echoid-s1535" xml:space="preserve">Man unterſchätzt gar <lb/>ſehr die hohe Bedeutung dieſer Entdeckungen, wenn man ſie <lb/>bloß als wichtige Momente in der Geſchichte der aſtronomiſchen <lb/>Wiſſenſchaft betrachtet. </s> <s xml:id="echoid-s1536" xml:space="preserve">Mit dieſen Entdeckungen wurde ein <lb/>Vorurteil zerſchmettert, das durch Jahrtauſende wie ein un-<lb/>verrückbarer Felſen auf dem Geiſte der Menſchen in allen Ge-<lb/>bieten ſeiner Denkergabe laſtete. </s> <s xml:id="echoid-s1537" xml:space="preserve">Die fertige, einmal geſchaffene <lb/>Welt gehörte vor Herſchel zu den unerſchütterlichen Axiomen, <lb/>welche ſelbſt kühne Philoſophen kaum leiſe anzuzweifeln wagten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1538" xml:space="preserve">Die Vorſtellung von einer fertigen Schöpfung verlieh ihr auch <lb/>in der Anſchauung der Menſchheit zugleich den Charakter der <lb/>höchſten Vollendung. </s> <s xml:id="echoid-s1539" xml:space="preserve">In wie weite Fernen vergangener Zeiten <lb/>man auch den Moment der Entſtehung des Weltalls verlegte, <lb/>es führte die natürliche Logik ſtets zu der Schlußfolgerung, <lb/>daß auch nur eine ebenſo ohne Entwicklung eintretende Neu-<lb/>ſchöpfung eine Veränderung oder eine Zerſtörung herbeiführen <lb/>könne.</s> <s xml:id="echoid-s1540" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1541" xml:space="preserve">Von dem Moment ab, in welchem Herſchel’s Forſchungen <lb/>zur unzweifelhaften Eroberung der Wiſſenſchaft wurden, trat <lb/>ein anderes Weltbild an die Stelle des früheren. </s> <s xml:id="echoid-s1542" xml:space="preserve">Herſchel <lb/>zeigte der Menſchheit eine nicht fertige, ſondern eine werdende <lb/>Schöpfung. </s> <s xml:id="echoid-s1543" xml:space="preserve">Die Fixſterne ſtehen nicht unbeweglich im Welten-<lb/>raum, ſondern ſind auf ſtetiger Wanderung durch denſelben <lb/>begriffen. </s> <s xml:id="echoid-s1544" xml:space="preserve">Sie ſind Sonnen, von welchen ſich viele um ein-<lb/>ander bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s1545" xml:space="preserve">Ihr Licht dringt nach Jahrtauſenden und <pb o="137" file="145" n="145"/> Jahrtauſenden immer weiter in den Weltenraum hinein. </s> <s xml:id="echoid-s1546" xml:space="preserve">Es <lb/>dringt zu uns und zeigt uns eine noch immer werdende <lb/>Schöpfung in Millionen Exemplaren ſehr verſchiedenen Alters <lb/>und ſehr verſchiedener Entwicklungsſtufen. </s> <s xml:id="echoid-s1547" xml:space="preserve">Seit dieſer lichtenden <lb/>Epoche erblicken wir in tauſenden von Nebelflecken des Welten-<lb/>raumes Weltinſeln gleich der Milchſtraßeninſel, in welcher wir <lb/>ſelber einen kleinen Punkt bewohnen (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1548" xml:space="preserve">die Figuren in <lb/>Teil VIII). </s> <s xml:id="echoid-s1549" xml:space="preserve">Mit Herſchel iſt eine neue Weltanſchauung auf-<lb/>getreten, die einen vollen Gegenſatz zu der älteren bildet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1550" xml:space="preserve">Durch ſeine Entdeckungen am Himmelsdom iſt uns eine der <lb/>größten Errungenſchaften auf dem Gebiete der geiſtigen Er-<lb/>kenntnis zu teil geworden. </s> <s xml:id="echoid-s1551" xml:space="preserve">Mit ihm iſt eine Welt des ewigen <lb/>Werdens vor uns aufgetaucht, der ein ganz anderes Geſetz zu <lb/>Grunde liegt, als der früher angenommenen Welt des Seins.</s> <s xml:id="echoid-s1552" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div80" type="section" level="1" n="48"> <head xml:id="echoid-head54" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Bewegt ſich die Sonne?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1553" xml:space="preserve">Von der Zeit ab, als man wiſſenſchaftlich über die ſtatt-<lb/>findenden Bewegungen in der Fixſternwelt in keinem Zweifel <lb/>mehr war, wandte man ſich ſehr rege der konſequenten Frage <lb/>zu, wie es ſich in dieſer Beziehung mit der Sonne verhält. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1554" xml:space="preserve">Dieſe ſich ſtillſtehend in einer Welt voller Bewegung und Ver-<lb/>änderung vorzuſtellen, fand man ganz unannehmbar. </s> <s xml:id="echoid-s1555" xml:space="preserve">Je ent-<lb/>ſchiedener ſich aus den Beobachtungen der Doppelſterne die <lb/>Gewißheit ergab, daß auch in den fernſten Fernen des Welt-<lb/>raumes das Newton’ſche Geſetz der Anziehung und Bewegung <lb/>herrſcht, deſto begründeter war der Schluß, daß auch die <lb/>Sonne in ihrem Verhältnis zu den benachbarten Fixſternen <lb/>einer gegenſeitigen Anziehung und Bewegung unterworfen ſein <lb/>müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s1556" xml:space="preserve">Aber je ſicherer man hierüber war, deſto dringlicher <pb o="138" file="146" n="146"/> wurde die Frage nach der Richtung, in welcher ſich die Sonne <lb/>mit ihrem ganzen Planetenſyſtem bewegt, und nach der Ge-<lb/>ſchwindigkeit, mit welcher dieſe Bewegung vor ſich geht. </s> <s xml:id="echoid-s1557" xml:space="preserve">Es <lb/>liegt ja auf der Hand, daß, ſo lange man keinen ſichern Maß-<lb/>ſtab für den Ort, welchen das ganze Sonnenſyſtem im Weltraum <lb/>einnimmt, man auch durch Meſſungen und Beobachtungen die <lb/>Bewegungen anderer Himmelskörper nicht ſicher angeben kann.</s> <s xml:id="echoid-s1558" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1559" xml:space="preserve">An dieſe Frage über die Richtung und die Geſchwindig-<lb/>keit der Sonnenbewegung im Weltraum reihte ſich ſofort die <lb/>zweite Frage an, ob ſich die Sonne in einer geraden Linie <lb/>fortbewegt, oder ob ſie gleich den Planeten, den Kometen und <lb/>den Doppelſternen in kreisartigen Umläufen um einen Zentral-<lb/>punkt begriffen ſei. </s> <s xml:id="echoid-s1560" xml:space="preserve">Die Frage ob und wo dieſes Centrum <lb/>exiſtiert, ob man dasſelbe unter den ſichtbaren Geſtirnen zu <lb/>ſuchen habe, oder ob es irgendwo in unſichtbaren Fernen <lb/>exiſtiert, aus denen kein Lichtſtrahl zu uns dringt, beſchäftigten <lb/>ſehr lebhaft die Forſcher der Sternenwelt, die einen hohen <lb/>Wert darauf ſetzten, der neuen Anſchauung der ewig werdenden <lb/>Natur nicht auf ſpekulativem Wege, ſondern durch den exakten <lb/>Weg der Beobachtungen und der Meſſungen eine ſicherere <lb/>Grundlage zu verleihen.</s> <s xml:id="echoid-s1561" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1562" xml:space="preserve">Die erſte Frage nach der Richtung, in welcher wir uns <lb/>ſamt dem ganzen Sonnenſyſtem innerhalb des Weltraums <lb/>bewegen, konnte ziemlich befriedigend gelöſt werden. </s> <s xml:id="echoid-s1563" xml:space="preserve">Es waren <lb/>drei der vorzüglichſten Beobachter, welche ſich beſonders mit <lb/>dieſer Unterſuchung beſchäftigt haben. </s> <s xml:id="echoid-s1564" xml:space="preserve">Der erſte derſelben war <lb/><emph style="sp">William Herſchel</emph> ſelber, der zweite war ein verdienſtvoller <lb/>franzöſiſcher Aſtronom <emph style="sp">Prevoſt</emph>, der dritte war der deutſche <lb/>Aſtronom <emph style="sp">Argelander</emph> (1799—1875), deſſen Arbeiten über <lb/>die Fixſternwelt zu den exakteſten und wertvollſten der Aſtro-<lb/>nomie gehören.</s> <s xml:id="echoid-s1565" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1566" xml:space="preserve">Obwohl die drei Forſcher unabhängig von einander ihre <lb/>Beobachtungen und Meſſungen vornahmen, hatte doch die Art <pb o="139" file="147" n="147"/> und Weiſe ihrer Unterſuchung eine gleiche Baſis. </s> <s xml:id="echoid-s1567" xml:space="preserve">Sie gingen <lb/>alle von dem richtigen Gedanken aus, daß in der Gegend des <lb/>Himmelsraums, von welcher wir uns entfernen, die Sterne <lb/>näher an einander gerückt erſcheinen müſſen, als die Sterne <lb/>der Himmelsgegend, auf welche wir hineilen. </s> <s xml:id="echoid-s1568" xml:space="preserve">Sie durch-<lb/>forſchten daher die alten Sternkarten mit außerordentlicher <lb/>Sorgfalt, um zu ermitteln, ob ſeit der älteſten Zeit, in welcher <lb/>man begonnen hat, die Stellung der Fixſterne gegen einander <lb/>zu meſſen, irgendwo ein Zuſammendrängen derſelben auf einen <lb/>kleinen Raum bemerkbar iſt, und ob auf dem entgegengeſetzten <lb/>Ende der Himmelskugel die Entfernung der dort befindlichen <lb/>Fixſterne von einander ſich ſcheinbar erweitert hat. </s> <s xml:id="echoid-s1569" xml:space="preserve">Die <lb/>Schwierigkeit ſolcher Unterſuchung war eine ſehr große, da <lb/>einerſeits die Veränderungen, wenn ſie bemerkbar wurden, <lb/>immer nur ſehr geringfügige ſein konnten und andererſeits die <lb/>Veränderungen auch abhängig ſein konnten von den Eigenbe-<lb/>wegungen der einzelnen Fixſterne, ohne eine Beziehung auf <lb/>die Bewegung des Sonnenſyſtems zu haben. </s> <s xml:id="echoid-s1570" xml:space="preserve">Um ſo wichtiger <lb/>aber war es, daß die unabhängig von einander unter-<lb/>nommenen Unterſuchungen doch auf ein ziemlich gleiches <lb/>Reſultat hinausführten, und auch wiederholte Reviſionen neuerer <lb/>Aſtronomen nur in ſehr geringem Maße von dem Ergebnis <lb/>abwichen.</s> <s xml:id="echoid-s1571" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div81" type="section" level="1" n="49"> <head xml:id="echoid-head55" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Wohin geht die Reiſe?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1572" xml:space="preserve">Die Gegend im Himmelsraum, nach welcher die Sonne <lb/>ſamt allen Himmelskörpern, welche ſich um ſie bewegen, da-<lb/>hin eilt, liegt dort, wo wir allnächtlich das Sternbild des <lb/>Herkules erblicken. </s> <s xml:id="echoid-s1573" xml:space="preserve">Die Gegend, von welcher ſich die Sonne <lb/>ſamt ihrem ganzen Syſtem entfernt, liegt in unſerm Breiten- <pb o="140" file="148" n="148"/> grad unter dem Horizont. </s> <s xml:id="echoid-s1574" xml:space="preserve">Um ſich ein ungefähres Bild von <lb/>der Richtung dieſer Bewegungslinie zu machen, können wir <lb/>annehmen, daß wir ſamt dem ganzen Sonnenſyſtem auf einer <lb/>Weltallsreiſe begriffen ſind, die ungefähr von der Gegend aus-<lb/>geht, in welcher wir an hellen Winterabenden den hellſten <lb/>Fixſtern des Himmels, den Sirius, leuchten ſehen, und nach <lb/>der Gegend geht, in welcher wir an ſchönen Sommerabenden <lb/>hoch über uns einen ſchönen, hellen Stern erſter Größe, Wega, <lb/>im Sternbild der Leier glänzen ſehen.</s> <s xml:id="echoid-s1575" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1576" xml:space="preserve">Eine Frage ganz anderer Art iſt es, ob dieſes Dahineilen <lb/>der Sonne ſamt all’ ihren Begleitern in gerader Linie ge-<lb/>ſchieht oder ob ihr Lauf eine Bogenlinie bildet, die ſich zu <lb/>einem Kreiſe oder einer Ellipſe rundet. </s> <s xml:id="echoid-s1577" xml:space="preserve">Hierüber hat die <lb/>direkte Beobachtung noch keinen ſicheren Aufſchluß gegeben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1578" xml:space="preserve">Die Wahrſcheinlichkeit ſpricht freilich dafür, daß die Bewegung <lb/>nicht in gerader Linie vor ſich geht, weil die Anziehung der <lb/>benachbarten Fixſterne auf die Sonne ganz ſicher nicht unwirk-<lb/>ſam ſein und jedenfalls den gradlinigen Lauf derſelben ſtören <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s1579" xml:space="preserve">Allein wenn man auch die bogenartige Bewegung an-<lb/>nimmt, ſo bleibt doch die Frage nach der Lage der Bahn, <lb/>nach ihrer Weite, nach der Zeit, in welcher der Umlauf voll-<lb/>endet wird, und nach dem Schwerpunkt dieſer Bahn eine ganz <lb/>außerordentlich ſchwierige. </s> <s xml:id="echoid-s1580" xml:space="preserve">Der deutſche Aſtronom <emph style="sp">Mädler</emph> <lb/>(1794—1874) hat den Mut gehabt, durch eine ſehr weitläufige <lb/>Unterſuchung dieſe Frage löſen zu wollen, und hat ſeine Ergeb-<lb/>niſſe dahin ausgeſprochen, daß der Schwerpunkt eines Fixſtern-<lb/>Syſtems, zu dem auch unſere Sonne gehört, in der Gegend des <lb/>Weltraums liegt, in welcher wir die dichtgedrängte ſchöne Stern-<lb/>gruppe der Plejaden ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s1581" xml:space="preserve">Die ſtrenge Kritik indeſſen, welche <lb/>gerade auf dem Gebiete der aſtronomiſchen Wiſſenſchaft ob-<lb/>waltet, hat die Beweiskraft der Mädler’ſchen Unterſuchungen <lb/>keineswegs für ausreichend gefunden zur Feſtſtellung ſeiner <lb/>Annahme. </s> <s xml:id="echoid-s1582" xml:space="preserve">Ja, ſie erachtet den Verſuch, jetzt ſchon dieſe <pb o="141" file="149" n="149"/> Kardinalfrage löſen zu wollen, für verfrüht, da noch ſchwierige <lb/>Vorfragen unerledigt ſind, welche die Baſis zur Löſung der <lb/>großen Frage bilden müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s1583" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div82" type="section" level="1" n="50"> <head xml:id="echoid-head56" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Bewegen ſich die Fixſterne?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1584" xml:space="preserve">Da kam die wundervolle Entdeckung der Spektral-Analyſe <lb/>den Forſchern zu Hilfe: </s> <s xml:id="echoid-s1585" xml:space="preserve">ſie hat im Bereich der Aſtronomie in <lb/>ganz ungeahnter Weiſe ganze Reihen von Unterſuchungen über <lb/>die Stoffe eröffnet, aus welchen die Himmelskörper beſtehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1586" xml:space="preserve">Dieſe Unterſuchungen der chemiſchen Stoffe dringen ſo weit <lb/>in die unendlichen Räume hinaus, ſo weit eine Spur von Licht <lb/>durch die fernſte Ferne zu uns her dringt. </s> <s xml:id="echoid-s1587" xml:space="preserve">Wir wiſſen jetzt <lb/>mit voller Beſtimmtheit anzugeben, daß gewiſſe Stoffe, welche <lb/>wir auf Erden finden, auch in den Fixſternen vorhanden ſind <lb/>und in der Glut derſelben verdampfen. </s> <s xml:id="echoid-s1588" xml:space="preserve">Es verraten ſich dieſe <lb/>Stoffe durch ganz genau beſtimmbare Linien, welche man im <lb/>Spektrum der Sterne erblickt, wenn man deren Licht durch ein <lb/>Prisma betrachtet. </s> <s xml:id="echoid-s1589" xml:space="preserve">Es iſt vollkommen gleichgiltig, ob die Licht-<lb/>ſtrahlen aus einer Entfernung von wenigen Meilen zu uns <lb/>dringen, oder aus Fernen, die Billionen und Billionen Meilen <lb/>umfaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1590" xml:space="preserve">Man erlangt jetzt durch die Unterſuchungen der <lb/>Spektra der Himmelskörper eine Kenntnis der Stoffe, welche <lb/>in ihrer Sphäre in Glut geraten, ſelbſt wenn das Licht, das <lb/>nahe an 40 000 Meilen in einer Sekunde durch den Weltraum <lb/>fliegt, von ſolcher Entfernung herkommt, daß es Jahrzehnte, <lb/>Jahrhunderte, ja Jahrtauſende brauchte, um bis zu uns zu <lb/>gelangen.</s> <s xml:id="echoid-s1591" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1592" xml:space="preserve">Aber mit dieſer Kenntnis der chemiſchen Stoffe der <lb/>Himmelskörper allein iſt noch keineswegs das Material der <pb o="142" file="150" n="150"/> Unterſuchung der neueren Aſtronomie erſchöpft. </s> <s xml:id="echoid-s1593" xml:space="preserve">Es bietet die <lb/>genaue Beobachtung der Spektrallinien noch die Möglichkeit, <lb/>zu beſtimmen, ob ſich ein Fixſtern uns nähert oder von uns <lb/>entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s1594" xml:space="preserve">Dieſe Möglichkeit gewährt uns erſt einen richtigen <lb/>Einblick in die Bewegungen der Himmelskörper und bildet <lb/>auch die Grundlage zu der einmal ſpruchreif werdenden Frage: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1595" xml:space="preserve">Wohin wandert die Sonne mit uns hinaus in die unendlichen <lb/>Fernen, welche wir uns als Weltraum vorſtellen?</s> <s xml:id="echoid-s1596" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1597" xml:space="preserve">Zur Grundlage dieſer Unterſuchungen ſind bereits Meſſun-<lb/>gen ausgeführt, welche wir nunmehr kennen lernen wollen.</s> <s xml:id="echoid-s1598" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div83" type="section" level="1" n="51"> <head xml:id="echoid-head57" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Meſſung der Fixſtern-Bewegungen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1599" xml:space="preserve">Der Fortſchritt, welchen die Spektroſkopie in der Beob-<lb/>achtung der Fixſterne angebahnt hat, iſt dadurch ein ſo ge-<lb/>waltiger, daß ſie eine direkte Meſſung ermöglicht, an die man <lb/>früher gar nicht denken konnte.</s> <s xml:id="echoid-s1600" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1601" xml:space="preserve">Die Bewegungen, welche ein Fixſtern macht, verraten ſich <lb/>nur dadurch, daß man die Entfernung mißt, welche zwiſchen <lb/>ihm und einem zweiten Stern beſteht. </s> <s xml:id="echoid-s1602" xml:space="preserve">Wenn man durch Ver-<lb/>gleichung alter Meſſungen findet, daß dieſe Entfernung der <lb/>zwei Sterne von einander größer oder kleiner geworden iſt, <lb/>ſo hat man die Zeit zu beachten, welche ſeit den früheren <lb/>Meſſungen verſtrichen iſt, und kann unter gewiſſen Voraus-<lb/>ſetzungen annehmen, daß die veränderte Stellung der zwei <lb/>Sterne zu einander durch eine Bewegung im Himmelsraum <lb/>verurſacht worden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1603" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1604" xml:space="preserve">Hierbei iſt es zunächſt zweifelhaft, ob überhaupt die alte <lb/>Meſſung eine genaue war. </s> <s xml:id="echoid-s1605" xml:space="preserve">Die Kenntnis, welche wir von <lb/>alten Meſſungen haben, beſteht in den Aufzeichnungen, welche <pb o="143" file="151" n="151"/> der alte Aſtronom Hipparch vor zweitauſend Jahren über die <lb/>Stellung einer Anzahl von Fixſternen hinterlaſſen hat. </s> <s xml:id="echoid-s1606" xml:space="preserve">Wir <lb/>wiſſen jedoch, daß ſeine hierbei gebrauchten Inſtrumente ſehr <lb/>unvollkommen waren im Vergleich mit den unſrigen. </s> <s xml:id="echoid-s1607" xml:space="preserve">Alle <lb/>ſeine Meſſungen ſind noch ſo mangelhaft, daß ſie um eine volle <lb/>Mondbreite unſicher ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1608" xml:space="preserve">So wertvoll ſein Stern-Verzeichnis <lb/>für die Wiſſenſchaft im ganzen iſt, ſo wenig läßt ſich etwas <lb/>darauf geben, wenn es ſich um die Frage handelt, ob ſich <lb/>zwei Sterne von einander in ihrer Stellung verändert haben, <lb/>welche jetzt zu einander näher oder entfernter, als es Hipparch <lb/>angiebt, erſcheinen. </s> <s xml:id="echoid-s1609" xml:space="preserve">Angenommen aber, daß Hipparch’s Meſſung <lb/>wirklich genau genug wäre, ſo bleibt es noch immer fraglich, <lb/>welcher der zwei Sterne ſeine Stellung verändert hat, oder <lb/>ob ſie nicht beide Bewegungen gemacht haben, oder ob nicht <lb/>gar die bemerkbare Veränderung nur eine ſcheinbare ſei und <lb/>nur daher rührt, daß die Sonne und ſomit auch die Erde eine <lb/>andere Stelle im Himmelsraum einnimmt, als vor zweitauſend <lb/>Jahren.</s> <s xml:id="echoid-s1610" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1611" xml:space="preserve">Um ſich über dieſe Fragen möglichſt Aufſchluß zu ver-<lb/>ſchaffen, muß man zunächſt mindeſtens einen dritten Stern <lb/>mit in Betracht ziehen. </s> <s xml:id="echoid-s1612" xml:space="preserve">Zeigt ſich, daß dieſer zu einem der <lb/>zwei Sterne dieſelbe Entfernung hat, wie vor zweitauſend <lb/>Jahren, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß der andere der zwei <lb/>Sterne eine Bewegung gemacht habe. </s> <s xml:id="echoid-s1613" xml:space="preserve">Findet man, daß dieſer <lb/>dritte Stern nicht mehr ſo zu den zwei anderen ſteht, wie vor <lb/>zweitauſend Jahren, ſo hat man Grund zu ſchließen, daß er <lb/>entweder ſelber inzwiſchen ſeine Stelle verlaſſen hat oder die <lb/>veränderte Stellung eine ſcheinbare iſt und von einer Bewegung <lb/>der Sonne herrühren mag.</s> <s xml:id="echoid-s1614" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1615" xml:space="preserve">Eine größere Sicherheit des Urteils erlangt man, wenn <lb/>man dieſen Unterſuchungen noch die eines vierten Sterns <lb/>anſchließt. </s> <s xml:id="echoid-s1616" xml:space="preserve">Noch ſicherer wird der Schluß, wenn man einen <lb/>fünften oder ſechſten benachbarten Stern zur Vergleichung <pb o="144" file="152" n="152"/> heranziehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s1617" xml:space="preserve">Auf Grund ſolcher Unterſuchungen, die man <lb/>auf eine möglichſt große Zahl von Sternen ausdehnen muß, ver-<lb/>mag man eine umfaſſende Wahrſcheinlichkeitsrechnung anzuſtellen, <lb/>die je nach den Argumenten mit mehr oder weniger Sicherheit <lb/>über die Bewegungen der einzelnen Sterne einen Aufſchluß giebt.</s> <s xml:id="echoid-s1618" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1619" xml:space="preserve">Eine außerordentliche Förderung dieſer Unterſuchungs-<lb/>methode gewinnt man, wenn es gelingt, neben dem alten <lb/>Stern-Katalog von Hipparch noch jüngere Kataloge dieſer <lb/>Art zu benutzen. </s> <s xml:id="echoid-s1620" xml:space="preserve">Hätten wir neben dem zweitauſend Jahre <lb/>alten Katalog noch den eines Aſtronomen, der vor tauſend <lb/>Jahren die Stellungen der Fixſterne gemeſſen, ſo würde uns <lb/>derſelbe die Vergleichung mit der heutigen Stellung der <lb/>Sterne ungemein erleichtern. </s> <s xml:id="echoid-s1621" xml:space="preserve">Es würde ſich dadurch ſchon <lb/>bei jedem einzelnen Stern ergeben, ob die Veränderung ſeines <lb/>Ortes im erſten Jahrtauſend auch mit der Veränderung ſtimmt, <lb/>welche er im zweiten Jahrtauſend zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s1622" xml:space="preserve">Findet ſich dieſe <lb/>Übereinſtimmung, ſo kann man dem Reſultat ſchon großes <lb/>Vertrauen ſchenken. </s> <s xml:id="echoid-s1623" xml:space="preserve">Leider jedoch beſitzen wir keinen zweiten <lb/>Katalog von vor tauſend Jahren. </s> <s xml:id="echoid-s1624" xml:space="preserve">Es ſtanden den Aſtronomen, <lb/>welche dieſe Unterſuchungen führten, außer dem alten Hipparch-<lb/>ſchen Katalog nur zwei andere Kataloge zur Dispoſition, die <lb/>verhältnismäßig ſehr jung ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1625" xml:space="preserve">Der eine iſt das Sternver-<lb/>zeichnis des engliſchen Aſtronomen <emph style="sp">Bradley</emph> (1692—1762), <lb/>der vor circa zweihundert Jahren denſelben anfertigte; </s> <s xml:id="echoid-s1626" xml:space="preserve">der <lb/>zweite, von dem italieniſchen Aſtronomen <emph style="sp">Piazzi</emph> angelegt, iſt <lb/>erſt ein Jahrhundert alt. </s> <s xml:id="echoid-s1627" xml:space="preserve">Da nun die Bewegungen, welche die <lb/>Fixſterne machen, wegen ihrer ungeheuren Entfernungen uns <lb/>ganz außerordentlich klein erſcheinen, ſo hat es ſeine großen <lb/>Schwierigkeiten, jüngere Meſſungen zu verwerten, zumal man <lb/>ſich doch dabei immer vergegenwärtigen muß, daß die Meß-<lb/>inſtrumente vor hundert und zweihundert Jahren noch immer <lb/>ſo unvollkommen waren, daß man ſich auf deren Ergebniſſe <lb/>keineswegs ſicher verlaſſen kann.</s> <s xml:id="echoid-s1628" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="145" file="153" n="153"/> <p> <s xml:id="echoid-s1629" xml:space="preserve">Alle dieſe Umſtände boten den Unterſuchungen über die <lb/>Bewegungen der Fixſterne außerordentliche Schwierigkeiten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1630" xml:space="preserve">Die Ergebniſſe wurden immer nur aus ſehr weitläufigen <lb/>Wahrſcheinlichkeits-Rechnungen gewonnen, bei welchen man <lb/>über den Grad der Sicherheit der älteren Meſſungen nur <lb/>ſchätzungsweiſe verfahren konnte. </s> <s xml:id="echoid-s1631" xml:space="preserve">Die Ortsveränderung der <lb/>Fixſterne durch eine zuverläſſige, direkte Meſſung war bis auf <lb/>die neuere Zeit eine Unmöglichkeit.</s> <s xml:id="echoid-s1632" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1633" xml:space="preserve">Zu all dem tritt aber noch der beſondere Umſtand, daß <lb/>ſelbſt die allergenaueſte und ſicherſte Beobachtung und Meſſung <lb/>immer nur die Ortsveränderung eines Fixſternes ergeben kann, <lb/>die er nach rechts oder links, nach oben oder unten macht, <lb/>das heißt mit anderen Worten: </s> <s xml:id="echoid-s1634" xml:space="preserve">es laſſen ſich ſelbſt mit den <lb/>allerempfindlichſten und allerexakteſten optiſchen Inſtrumenten <lb/>immter nur ſolche Veränderungen erkennen und meſſen, die <lb/>ſenkrecht zu dem unſer Auge treffenden Lichtſtrahl vor ſich <lb/>gehen, wogegen die Frage, ob ſich ein Stern in ſeiner Be-<lb/>wegung uns nähert, oder ſich von uns entfernt, ganz und <lb/>gar unergründlich bleibt! Wir können uns ſehr wohl die <lb/>Möglichkeit denken, daß ein Stern, der trotz aller Meſſungen <lb/>mit ſeinen Nachbarſternen zu den feſtſtehenden und unbeweg-<lb/>lichen gezählt werden muß, weil er unverändert immer an <lb/>demſelben Ort zu verharren ſcheint, gleichwohl in ſehr ſtarkem <lb/>Fortſchreiten begriffen iſt, indem er in gerader Linie auf uns <lb/>zukommt oder in ebenſo gerader Linie ſich von uns entfernt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1635" xml:space="preserve">Es iſt ja ganz klar, daß die Bewegungen der Himmelskörper <lb/>nicht etwa ſo vor ſich gehen, wie die Bewegungen, welche <lb/>eine Fliege macht, die an der Wand herumſpaziert, ſondern <lb/>wie eine, welche ſich im Fluge uns nähert oder von uns ent-<lb/>fernt. </s> <s xml:id="echoid-s1636" xml:space="preserve">Das Himmelsgewölbe, das wir ſehen, iſt ja nicht ein <lb/>feſter Hintergrund, auf welchem die Sterne ſich bewegen, ſondern <lb/>ein leerer Raum, in welchem die Bewegungen ebenſo nach der <lb/>Tiefe hin, wie von dieſer her vor ſich gehen können. </s> <s xml:id="echoid-s1637" xml:space="preserve">Bewegen</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1638" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1639" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1640" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1641" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="146" file="154" n="154"/> <p> <s xml:id="echoid-s1642" xml:space="preserve">ſich die Fixſterne, ſo iſt es ganz zweifellos, daß ſie ſich auch <lb/>nach dieſer Dimenſion hin bewegen und ihre Verſchiebung <lb/>nach rechts oder links, nach oben oder unten zugleich mit Be-<lb/>wegungen verbunden iſt, in welchen ſie ſich entweder der Sonne <lb/>nähern oder von ihr entfernen. </s> <s xml:id="echoid-s1643" xml:space="preserve">So lange wir über dieſe <lb/>letztere Bewegung im Dunkeln bleiben, ſind wir auch nicht <lb/>im ſtande, die wirkliche Richtung und die wirkliche Geſchwindig-<lb/>keit ihrer Bewegungen zu erkennen, oder gar die Grundurſache <lb/>dieſer Bewegungen zu ermitteln.</s> <s xml:id="echoid-s1644" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div84" type="section" level="1" n="52"> <head xml:id="echoid-head58" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Das Spektrum zeigt uns, wie ſich die</emph> <lb/><emph style="bf">Sterne bewegen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1645" xml:space="preserve">Dieſe Kardinalfrage aber iſt es, für welche uns die <lb/>Spektroſkopie die Ausſicht auf eine glückliche Löſung bietet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1646" xml:space="preserve">Vermittelſt der ſpektroſkopiſchen Beobachtungen ſind wir in <lb/>den Stand geſetzt, zu beſtimmen, ob ſich uns ein Fixſtern <lb/>nähert oder von uns entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s1647" xml:space="preserve">Zu dieſer Beſtimmung iſt es <lb/>nicht nötig, alte Sternverzeichniſſe mit den Ergebniſſen neuer <lb/>Meſſungen zu vergleichen. </s> <s xml:id="echoid-s1648" xml:space="preserve">Ja, wir brauchen hierbei auch <lb/>nicht einmal Meſſungen an mehreren Sternen vorzunehmen, <lb/>um uns über die Bewegung eines Nachbarſternes Aufſchluß <lb/>zu verſchaffen. </s> <s xml:id="echoid-s1649" xml:space="preserve">Wir ſind vielmehr im ſtande, jeden einzelnen <lb/>Stern ganz direkt zu beobachten und ohne weiteres zu be-<lb/>ſtimmen, ob er in Bewegung auf uns zu oder von uns fort <lb/>begriffen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1650" xml:space="preserve">Ja, wir können noch mehr: </s> <s xml:id="echoid-s1651" xml:space="preserve">wir können, wenn <lb/>die Beobachtungen nur mit möglichſter Genauigkeit gemacht <lb/>worden ſind, feſtſtellen, wie viel Meilen er in einer Sekunde <lb/>in dieſer Bewegung dahin eilt!</s> </p> <pb o="147" file="155" n="155"/> </div> <div xml:id="echoid-div85" type="section" level="1" n="53"> <head xml:id="echoid-head59" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Ergebniſſe der Meſſungen auf ſpektro-</emph> <lb/><emph style="bf">ſkopiſchem Wege.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1652" xml:space="preserve">Die neueſten Spektralbeobachtungen der Fixſternbewegun-<lb/>gen, die Feſtſtellung, welche derſelben ſich uns nähern und <lb/>welche ſich von uns entfernen, und endlich die Meſſungen der <lb/>Geſchwindigkeit, mit welcher dies geſchieht, verdanken wir <lb/>hauptſächlich der Ausdauer engliſcher Aſtronomen, welche ſich <lb/>die Vorteile, die das Spektroſkop uns bietet, mit rühmlichem <lb/>Eifer frühzeitig zu eigen gemacht haben.</s> <s xml:id="echoid-s1653" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1654" xml:space="preserve">Einer der ſchönſten Sterne des Himmels, an frühen Herbſt-<lb/>abenden am ſüdöſtlichen Horizont aufſteigend, iſt der Alde-<lb/>baran. </s> <s xml:id="echoid-s1655" xml:space="preserve">Er ſtrahlt im rötlich hellen Licht und iſt ein Stern <lb/>erſter Größe im Sternbilde des Stiers, das Auge desſelben <lb/>bildend. </s> <s xml:id="echoid-s1656" xml:space="preserve">Die Beobachtung ſeines Spektrums bietet große <lb/>Schwierigkeiten, da er im Orange außerordentlich viele, ſehr <lb/>feine Linien zeigt, die uns unbekannte Stoffe in ſeiner Um-<lb/>hüllung andenten. </s> <s xml:id="echoid-s1657" xml:space="preserve">Nur im Rot ſeines Spektrums tritt eine <lb/>Linie ſehr klar auf, welche beweiſt, daß in ſeiner Hülle Waſſer-<lb/>ſtoff in ſtarker Maſſe exiſtiert. </s> <s xml:id="echoid-s1658" xml:space="preserve">Acht andere Linien gewähren <lb/>uns die Sicherheit, daß auch Natrium, Magneſium, Calcium, <lb/>Eiſen, Wismut, ſehr viel Tellur, Antimon und Queckſilber <lb/>auf dieſem Fixſtern vorhanden ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1659" xml:space="preserve">Mit der Sonne ver-<lb/>glichen, iſt es beachtenswert, daß Wismut der Sonnenhülle <lb/>fehlt. </s> <s xml:id="echoid-s1660" xml:space="preserve">Dagegen fehlen im Aldebaran Stickſtoff, Kobalt, Zinn, <lb/>Blei, Cadmium, Lithium und Barium, die in der Sonne vor-<lb/>handen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1661" xml:space="preserve">Die Verſchiebung der meßbaren Linien im <lb/>Spektrum des Aldebaran lehrt uns, daß er ſich von uns ent-<lb/>fernt, und zwar mit einer Geſchwindigkeit von 32 Kilometer <lb/>in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1662" xml:space="preserve">Dieſe Beobachtung iſt ſo ſicher, daß ſie nur <lb/>etwa um 4 Kilometer zweifelhaft bleibt.</s> <s xml:id="echoid-s1663" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1664" xml:space="preserve">Nicht allzufern vom Aldebaran, und zwar nördlich von <pb o="148" file="156" n="156"/> ihm auf dem Wege nach dem Polarſtern, und auf der andern <lb/>Seite der Milchſtraße, glänzt ein ſchöner Stern im Bilde des <lb/>Fuhrmanns, der mit dem Namen Capella bezeichnet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1665" xml:space="preserve">Sein <lb/>Spektrum iſt der Sonne ähnlich. </s> <s xml:id="echoid-s1666" xml:space="preserve">Auch er entfernt ſich von <lb/>uns, und zwar mit größerer Geſchwindigkeit als Aldebaran. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1667" xml:space="preserve">Seine Fliehkraft beträgt 43 Kilometer in der Sekunde, wobei <lb/>circa 7 Kilometer noch zweifelhaft ſein können.</s> <s xml:id="echoid-s1668" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1669" xml:space="preserve">Den ſtrahlendſten Lichtglanz am Sternenhimmel ſendet <lb/>der Sirius uns zu. </s> <s xml:id="echoid-s1670" xml:space="preserve">Man nahm noch im Anfang unſeres <lb/>Jahrhunderts an, daß dies nur der Fall ſei, weil er uns näher <lb/>wäre als alle anderen Fixſterne; </s> <s xml:id="echoid-s1671" xml:space="preserve">aber die fortgeſchrittene Meß-<lb/>kunſt der Aſtronomie hat ergeben, daß dem keineswegs ſo <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1672" xml:space="preserve">Der der Sonne nächſte Fixſtern iſt ein Stern erſter Größe <lb/>im Vilde des Centaur, der nur in der ſüdlichen Hemiſphäre <lb/>ſichtbar iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1673" xml:space="preserve">Wenn wir die Entfernungen der Fixſterne nach <lb/>der Zeit bemeſſen, welche das Licht derſelben braucht, um bis <lb/>zu uns zu dringen, ſo ergiebt die Beobachtung, daß das Licht <lb/>vom hellſten Stern des Centaur drei Jahre und ſieben Mo-<lb/>nate hierzu braucht, während der Sirius ſo weit von uns ent-<lb/>fernt iſt, daß deſſen Lichtſtrahlen erſt in circa 14 Jahren zu <lb/>uns gelangen. </s> <s xml:id="echoid-s1674" xml:space="preserve">Gleichwohl deutet ſein helles, weißes Licht auf <lb/>eine Verwandtſchaft in ſeinen chemiſchen Beſtandteilen mit <lb/>denen der Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s1675" xml:space="preserve">Sein Spektrum iſt zwar anders als das <lb/>des Sonnenlichtes, namentlich iſt die Zahl ſeiner Linien im <lb/>blauen Teil ganz außerordentlich groß, er bietet auch für die <lb/>Meſſung mannigfache Schwierigkeiten wegen ſeines niedrigen <lb/>Standes am Himmelsdom; </s> <s xml:id="echoid-s1676" xml:space="preserve">aber dennoch iſt es feſtgeſtellt, daß <lb/>auf ihm Waſſerſtoff überaus ſtark vorwaltet und Eiſen, Na-<lb/>trium, Magneſium und andere Metalle in ſeiner Licht-Um-<lb/>hüllung in gleicher Weiſe wie auf unſerer Sonne glühen. </s> <s xml:id="echoid-s1677" xml:space="preserve">Über <lb/>die Thatſache, daß ſich Sirius von uns entfernt, waltet kein <lb/>Zweifel ob; </s> <s xml:id="echoid-s1678" xml:space="preserve">aber über die Geſchwindigkeit, mit welcher dies <lb/>geſchieht, haben die bisherigen Meſſungen ſehr verſchiedene <pb o="149" file="157" n="157"/> Reſultate ergeben. </s> <s xml:id="echoid-s1679" xml:space="preserve">Während <emph style="sp">Higgins</emph> aus ſeinen Beobach-<lb/>tungen den Schluß zog, daß Sirius ſich in jeder Sekunde <lb/>nahezu um 63 Kilometer von uns entfernt, lauten die neueren <lb/>Ergebniſſe der in Greenwich erfolgten Meſſungen dahin, daß <lb/>dieſe Geſchwindigkeit in jeder Sekunde nur circa 32 Kilometer <lb/>beträgt. </s> <s xml:id="echoid-s1680" xml:space="preserve">Zu beachten iſt hierbei freilich, daß Sirius ein Doppel-<lb/>ſtern iſt und alſo außer ſeinen Bewegungen im Weltraum auch <lb/>noch eine Bewegung um den gemeinſamen Schwerpunkt macht, <lb/>der zwiſchen ihm und ſeinem Begleiter liegt. </s> <s xml:id="echoid-s1681" xml:space="preserve">Hierzu tritt noch <lb/>der Umſtand, daß Sirius in einer Himmelsgegend exiſtiert, von <lb/>welcher ſich das ganze Sonnenſyſtem ohnehin in ſeiner Be-<lb/>wegung entfernt, und außerdem darf nicht unbeachtet bleiben, <lb/>daß unſere Aſtronomen ihre Beobachtungen auf der Erde <lb/>machen, welche in ihrem Umlauf um die Sonne in jeder Se-<lb/>kunde circa 30 Kilometer dahinfliegt. </s> <s xml:id="echoid-s1682" xml:space="preserve">Dieſe Umſtände be-<lb/>wirken, daß jede Meſſung am Sirius eine ſehr kombinierte <lb/>Geſchwindigkeit ergeben muß, deren wirkliches Reſultat ſich <lb/>nicht leicht angeben läßt. </s> <s xml:id="echoid-s1683" xml:space="preserve">Hoffentlich werden fortgeſetzte <lb/>Meſſungen bald eine größere Sicherheit über die Hauptſ@age <lb/>herbeiführen.</s> <s xml:id="echoid-s1684" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1685" xml:space="preserve">Im Sternbild der Zwillinge nehmen wir die zwei Sterne <lb/>Caſtor und Pollux wahr, welchen man nach den mythiſchen <lb/>Anſchauungen des Altertums noch immer eine gewiſſe Gleich-<lb/>mäßigkeit und Zuſammengehörigkeit andichtet. </s> <s xml:id="echoid-s1686" xml:space="preserve">Die wiſſen-<lb/>ſchaftliche Unterſuchung indeſſen zeigt eine ſehr weſentliche Ver-<lb/>ſchiedenheit derſelben, ſowohl in ihrem Weſen wie in ihren <lb/>Bewegungen. </s> <s xml:id="echoid-s1687" xml:space="preserve">Caſtor iſt ein Doppelſtern. </s> <s xml:id="echoid-s1688" xml:space="preserve">Seine Helligkeit <lb/>verdankt er dem nahen Zuſammenſtehen von zwei Sternen, <lb/>von welchen einer dritter und der andere vierter Größe iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1689" xml:space="preserve">Die zwei Sterne ſtehen einander ſo nahe, daß ſie zuſammen <lb/>wie ein einziger Stern zweiter Größe erſcheinen. </s> <s xml:id="echoid-s1690" xml:space="preserve">Pollux da-<lb/>gegen iſt ein einfacher Stern zweiter Größe. </s> <s xml:id="echoid-s1691" xml:space="preserve">In Bezug auf <lb/>ihre Bewegungen im Himmelsraum ſind Caſtor und Pollux <pb o="150" file="158" n="158"/> nicht bloß unabhängig von einander, ſondern ſogar entgegen-<lb/>geſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s1692" xml:space="preserve">Die Unterſuchung ihrer Spektren ergiebt, daß ſich <lb/>Caſtor von uns entfernt, und zwar mit einer Geſchwindigkeit <lb/>von circa 40 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1693" xml:space="preserve">Pollux dagegen <lb/>nähert ſich uns, und zwar mit faſt gleicher Geſchwindigkeit, <lb/>wie ſein Zwillingsbruder ſich von uns entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s1694" xml:space="preserve">Nach den <lb/>Meſſungen beträgt dieſe Geſchwindigkeit 41 Kilometer in der <lb/>Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1695" xml:space="preserve">Hieraus geht hervor, daß ſich die beiden Sterne <lb/>der Zwillinge von einander in jeder Sekunde um 80 Kilometer <lb/>entfernen.</s> <s xml:id="echoid-s1696" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div86" type="section" level="1" n="54"> <head xml:id="echoid-head60" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Das Sternbild des Orion.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1697" xml:space="preserve">Zu den intereſſanteſten Meſſungen im Weltraum, welche <lb/>erſt durch die Spektral-Unterſnchungen möglich geworden ſind, <lb/>gehören die der in neuerer Zeit beobachteten Fixſterne, welche <lb/>von alter Zeit her zu den bekannteſten Sternbildern gruppiert <lb/>wurden und in gewohnter Welſe noch heutigen Tages ſo be-<lb/>trachtet werden, als ob ſie in Wirklichkeit zuſammengehörten.</s> <s xml:id="echoid-s1698" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1699" xml:space="preserve">Nachdem wir bereits früher verſucht haben, unſeren Leſern <lb/>darzuthun, wie ſich die lichteſten Sterne des Himmels, die un-<lb/>beweglich erſcheinen, in Wirklichkeit in mächtigen Bewegungen <lb/>befinden, und zwar in Bewegungen, in welchen ſich einzelne <lb/>von dem Sonnenſyſtem entfernen, andere demſelben ſich nähern, <lb/>wollen wir jetzt die Gruppen, welche man “Sternbilder” nennt, <lb/>in dieſer Beziehung unſeren Leſern vorführen. </s> <s xml:id="echoid-s1700" xml:space="preserve">Wir wählen <lb/>hierzu die zwei Gruppen, die im gewöhnlichen Leben die be-<lb/>kannteſten ſind, die Gruppe des Orionbildes und die des <lb/>“großen Bären”, den man auch den “Wagen” nennt.</s> <s xml:id="echoid-s1701" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1702" xml:space="preserve">Das Sternbild des Orion iſt das glänzendſte am Himmels- <pb o="151" file="159" n="159"/> dom (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1703" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1704" xml:space="preserve">70). </s> <s xml:id="echoid-s1705" xml:space="preserve">Man ſieht dasſelbe in unſerer Gegend <lb/>an hellen Winterabenden im Süden hoch aufſteigen, woſelbſt <lb/>es bis zum anbrechenden Morgen über unſerem Horizont ver-<lb/>weilt. </s> <s xml:id="echoid-s1706" xml:space="preserve">Es fällt beſonders auf durch vier Sterne, welche wie <lb/>in einem verſchobenen Viereck ſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s1707" xml:space="preserve">Zwei dieſer Sterne, <lb/>welche die Spitzen dieſes Vierecks einnehmen, und welche ſeit <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-159-01a" xlink:href="fig-159-01"/> dem Mittelalter die beſon-<lb/>deren Namen Beteigeuze und <lb/>Rigel führen, ſind Sterne <lb/>erſter, die zwei anderen ſind <lb/>Sterne zweiter und dritter <lb/>Größe. </s> <s xml:id="echoid-s1708" xml:space="preserve">In der Mitte dieſes <lb/>Vierecks ſind außerordentlich <lb/>auffallend drei Sterne zweiter <lb/>Größe, die faſt in gleicher <lb/>Entfernung zu einander ſtehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1709" xml:space="preserve">Das Sternbild ſelbſt wird <lb/>als ein Kämpfer dargeſtellt, <lb/>der ſich gegen einen ſehr <lb/>ſchönen Stern erſter Größe, <lb/>den Aldebaran im Bilde <lb/>des Stieres, wendet. </s> <s xml:id="echoid-s1710" xml:space="preserve">Die <lb/>drei Sterne in der Mitte des <lb/>Orion werden der “Gürtel <lb/>des Orion”, von anderen <lb/>der “Jakobsſtab” genannt. </s> <s xml:id="echoid-s1711" xml:space="preserve"><lb/>Zieht man eine Linie von dem Aldebaran nach dem Gürtel des <lb/>Orion und verlängert man dieſe Linie (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1712" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1713" xml:space="preserve">71), ſo trifft <lb/>man nahe auf den allerhellſten aller Fixſterne, den Sirius, der <lb/>der Hauptſtern im Bilde des “großen Hundes” iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1714" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div86" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-159-01" xlink:href="fig-159-01a"> <caption xml:id="echoid-caption53" xml:space="preserve">Fig. 70.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1715" xml:space="preserve">Trotz der willkürlichen Art, wie man im Altertum die <lb/>Fixſterne in zuſammengehörige Gruppen ordnete und ſie zu <lb/>Bildern geſtaltete, iſt die Phantaſie in keinem entſprechender <pb o="152" file="160" n="160"/> als im Bilde des Orion. </s> <s xml:id="echoid-s1716" xml:space="preserve">Es gehört wenig Einbildung dazu, <lb/>um in ihm einen Kämpfer zu erblicken, weshalb er denn auch <lb/>bereits im Homer und in der Bibel als ſolcher genannt wird. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1717" xml:space="preserve">Hat man ihn einmal unter dieſer phantaſtiſchen Vorſtellung <lb/>angeſehen, ſo kehrt ſie immer bei ſeinem Anblick wieder und <lb/>begünſtigt die Annahme, daß eine Zuſammengehörigkeit zwiſchen <lb/>dieſen Sternen wirklich exiſtiert.</s> <s xml:id="echoid-s1718" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1719" xml:space="preserve">Es ſind aber auch eine große Maſſe kleiner Sterne und <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-160-01a" xlink:href="fig-160-01"/> merkwürdiger Ge-<lb/>bilde, die inner-<lb/>halb des Orion-<lb/>bildes ſichtbar wer-<lb/>den und es vor <lb/>allen anderen Bil-<lb/>dern des Himmels-<lb/>gewölbes auszeich-<lb/>nen. </s> <s xml:id="echoid-s1720" xml:space="preserve">Das Fern-<lb/>rohr macht in <lb/>neueſter Zeit fort-<lb/>während neue Ent-<lb/>deckungen in der <lb/>Region des Orion. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1721" xml:space="preserve">Es ſind daſelbſt <lb/>Doppelſterne in großer Zahl vorhanden, die ſich um einander <lb/>bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s1722" xml:space="preserve">Unter dem ſogenannten Gürtel des Orion ſieht man <lb/>den merkwürdigſten Nebelfleck des Himmels, deſſen unregel-<lb/>mäßige Geſtalt am auffallendſten iſt: </s> <s xml:id="echoid-s1723" xml:space="preserve">innerhalb dieſes Nebels <lb/>nimmt man nämlich ein Trapez wahr, deſſen Beobachtung <lb/>alle Aſtronomen unſerer Zeit außerordentlich in Anſpruch <lb/>nimmt. </s> <s xml:id="echoid-s1724" xml:space="preserve">Ob dieſes Trapez, in deſſen Mitte und Umgebung <lb/>noch immer kleinere Sterne entdeckt werden, wirklich zum <lb/>Nebelgebilde gehört, oder ob dasſelbe in viel tieferem Himmels-<lb/>raum ſeinen Sitz hat und nur durch das lockere Gebilde des <pb o="153" file="161" n="161"/> Nebels hindurchſchimmert, das iſt eine noch ungelöſte Frage, <lb/>die vielleicht erſt in Jahrhunderte langer Beobachtung wird <lb/>mit Sicherheit beantwortet werden können. </s> <s xml:id="echoid-s1725" xml:space="preserve">Jedenfalls aber <lb/>ſteht es feſt, daß man im Sternbild des Orion in eine Welten-<lb/>gegend hineinblickt, die für die fleißigſten Forſchungen des <lb/>Menſchengeſchlechtes noch ſehr, ſehr lange Zeiten eine der <lb/>würdigſten Aufgaben bilden wird. </s> <s xml:id="echoid-s1726" xml:space="preserve">Man begnügt ſich für jetzt <lb/>durch möglichſt genaue Zeichnungen den künftigen Forſchungen <lb/>eine Vorarbeit zu leiſten. </s> <s xml:id="echoid-s1727" xml:space="preserve">Die Aſtronomie iſt einmal die <lb/>erhabene Wiſſenſchaft, welche den Stempel der Unendlichkeit <lb/>an ſich trägt, wie der Weltenraum unendlich iſt, den ſie zu <lb/>durchforſchen ſtrebt.</s> <s xml:id="echoid-s1728" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div87" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-160-01" xlink:href="fig-160-01a"> <caption xml:id="echoid-caption54" xml:space="preserve">Fig. 71.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1729" xml:space="preserve">Ein Geſamterergebnis von den bisherigen Arbeiten über <lb/>den Orion zu geben, liegt außerhalb unſerer gegenwärtigen <lb/>Darlegung. </s> <s xml:id="echoid-s1730" xml:space="preserve">Die Hauptfrage aber, wie es ſich mit den größeren <lb/>Sternen dieſes Gebildes verhält, die Frage, ob die hellſten <lb/>Sterne wirklich den Charakter der Zuſammengehörigkeit an ſich <lb/>tragen oder nur für unſer Auge ſo erſcheinen, iſt durch die <lb/>Spektroſkopie glücklich gelöſt. </s> <s xml:id="echoid-s1731" xml:space="preserve">Die Hauptſterne ſind nicht zu-<lb/>ſammengehörig. </s> <s xml:id="echoid-s1732" xml:space="preserve">Die Spektral-Unterſuchung ergiebt, daß ſie <lb/>gar keine gemeinſamen Bewegungen machen.</s> <s xml:id="echoid-s1733" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1734" xml:space="preserve">Bis jetzt ſind zwar nur ſechs dieſer Sterne ſicher durch <lb/>das Spektroſkop in ihren Bewegungen unterſucht worden. </s> <s xml:id="echoid-s1735" xml:space="preserve">Das <lb/>Ergebnis iſt, daß drei derſelben eine Bewegung haben, in <lb/>welcher ſie ſich uns, das heißt, dem Raum, in welchem ſich <lb/>gegenwärtig unſere Sonne befindet, nähern, während drei von <lb/>ihnen ſich von dieſem Raum entfernen. </s> <s xml:id="echoid-s1736" xml:space="preserve">Dieſe Annäherung und <lb/>dieſes Entfernen iſt auch keineswegs ein gleichmäßiges, ja man <lb/>ſieht, daß nicht einmal zwei derſelben den Stempel der Zu-<lb/>ſammengehörigkeit an ſich tragen.</s> <s xml:id="echoid-s1737" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1738" xml:space="preserve">Von dem Sterne erſter Größe an der Schulter des Orion-<lb/>bildes hat die Unterſuchung ergeben, daß er ſich in jeder <lb/>Sekunde mit einer Geſchwindigkeit von 33 Kilometer von uns <pb o="154" file="162" n="162"/> entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s1739" xml:space="preserve">In dieſer Angabe ſind nur etwa 2 {1/2} Kilometer noch <lb/>zweifelhaft. </s> <s xml:id="echoid-s1740" xml:space="preserve">Von dem Stern zweiter Größe, welcher an der <lb/>anderen Schulter des Orionbildes ſeinen Stand hat, weiß man, <lb/>daß er ſich uns nähert. </s> <s xml:id="echoid-s1741" xml:space="preserve">Zwar iſt die Annäherung nur gering-<lb/>fügig. </s> <s xml:id="echoid-s1742" xml:space="preserve">Sie beträgt pro Sekunde nur etwas über 1 {1/2} Kilo-<lb/>meter, und dabei walten noch Zweifel über die Sicherheit dieſer <lb/>Meſſung ob; </s> <s xml:id="echoid-s1743" xml:space="preserve">aber jedenfalls ſteht das feſt, daß dieſer Stern <lb/>gar keinen Zuſammenhang mit dem Stern an der anderen <lb/>Schulter hat. </s> <s xml:id="echoid-s1744" xml:space="preserve">Auch von den zwei Sternen an den Füßen des <lb/>Orionbildes kann man gleichfalls mit Beſtimmtheit ſagen, daß <lb/>ſie nicht in ihren Bewegungen einen Zuſammenhang verraten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1745" xml:space="preserve">Der eine derſelben, der Stern erſter Größe, hat noch nicht in <lb/>ſeiner Bedeutung ermittelt werden können; </s> <s xml:id="echoid-s1746" xml:space="preserve">der Stern dritter <lb/>Größe am anderen Fuße des Orionbildes nähert ſich uns aber <lb/>entſchieden, und zwar mit einer Geſchwindigkeit von etwa <lb/>4 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1747" xml:space="preserve">— Auch die drei Sterne im <lb/>Gürtel des Orion, der ſogenannte “Jakobsſtab,” bewegen ſich <lb/>durchaus nicht wie ein zuſammenhängendes Gebilde. </s> <s xml:id="echoid-s1748" xml:space="preserve">Der eine <lb/>Stern rechts im Gürtel ſcheint ſich von uns zu entfernen, ſein <lb/>Nachbar dagegen nähert ſich uns ganz entſchieden, und zwar <lb/>mit einer Geſchwindigkeit von 35 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1749" xml:space="preserve"><lb/>Der dritte der Genoſſen hat ſeine Bewegung noch nicht ver-<lb/>raten, iſt aber jedenfalls in keinem Zuſammenhang mit ſeinen <lb/>Genoſſen.</s> <s xml:id="echoid-s1750" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1751" xml:space="preserve">Die Entſcheidung über die Bewegung des Nebels des <lb/>Orion iſt für jetzt unmöglich zu treffen. </s> <s xml:id="echoid-s1752" xml:space="preserve">Er bietet keinen <lb/>ſichern Punkt für die Meſſung, da er in ſeinen Umriſſen außer-<lb/>ordentlich unbeſtimmt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s1753" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1754" xml:space="preserve">Wie gering nun auch die Zahl der ſicheren Beobachtungen <lb/>hierin iſt, ſo ſteht doch ſo viel feſt, daß es ein leeres Phantaſie-<lb/>ſtück iſt, was heidniſche Sagen und bibliſche Annahmen über <lb/>dieſes Himmelsgebilde uns darbieten.</s> <s xml:id="echoid-s1755" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="155" file="163" n="163"/> </div> <div xml:id="echoid-div89" type="section" level="1" n="55"> <head xml:id="echoid-head61" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVIII. Das Sternbild des großen Bären.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1756" xml:space="preserve">Das zweite Sternbild, welches zu allen Zeiten die Auf-<lb/>merkſamkeit des Volkes in Anſpruch nahm, iſt “der große <lb/>Bär” oder, wie man es im Altertum meiſt nannte, “der Wagen” <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1757" xml:space="preserve">72). </s> <s xml:id="echoid-s1758" xml:space="preserve">Es beſteht dieſes Sternbild in ſeinen Hauptteilen <lb/>aus ſechs Sternen zweiter Größe und einem ſiebenten dritter <lb/>Größe, die in ihrer gegenſeitigen Stellung eine faſt regelmäßige <lb/>Figur bilden. </s> <s xml:id="echoid-s1759" xml:space="preserve">Vier dieſer Sterne ſtellen eine Art Viereck dar, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-163-01a" xlink:href="fig-163-01"/> die man als die Räder eines Wagens betrachten kann, während <lb/>drei andere Sterne die etwas gebogene Deichſel desſelben <lb/>bilden würden. </s> <s xml:id="echoid-s1760" xml:space="preserve">Die Regelmäßigkeit dieſes Sternbildes beſteht <lb/>noch beſonders darin, daß die Entfernungen der Sterne von <lb/>einander meiſt gleich erſcheinen. </s> <s xml:id="echoid-s1761" xml:space="preserve">Die zwei Sterne, welche man <lb/>als Hinterräder des Wagens bezeichnet, ſind von einander <lb/>faſt ebenſo weit entfernt, wie die fünf anderen Sterne, welche <lb/>die Vorderräder und die Deichſel bilden, ſo daß ihre Zu- <pb o="156" file="164" n="164"/> ſammengehörigkeit dem gewöhnlichen Blick ganz natürlich er-<lb/>ſcheint.</s> <s xml:id="echoid-s1762" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div89" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-163-01" xlink:href="fig-163-01a"> <caption xml:id="echoid-caption55" xml:space="preserve">Fig. 72.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1763" xml:space="preserve">Aber auch ein anderer und ſehr weſentlicher Umſtand war <lb/>es, welcher dieſes Sternbild zum Gegenſtand der Aufmerkſam-<lb/>keit machte. </s> <s xml:id="echoid-s1764" xml:space="preserve">Die ſieben Sterne nehmen eine Stellung am <lb/>Himmelsdom in einer Nähe des nördlichen Polarſterns ein, <lb/>in welcher ſie zu allen Jahreszeiten auf unſerer nördlichen <lb/>Halbkugel durch die ganze Nacht geſehen werden können. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1765" xml:space="preserve">Wenn man ſich die zwei Hinterräder dieſes Wagens durch eine <lb/>Linie verbunden denkt und in der Richtung nach Norden dieſe <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-164-01a" xlink:href="fig-164-01"/> Linie circa fünfmal verlängert (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1766" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1767" xml:space="preserve">73), ſo trifft man auf <lb/>einen anderen Stern zweiter Größe, der der eigentliche Polar-<lb/>ſtern iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1768" xml:space="preserve">Bei der Umdrehung der Erde um ihre eigene Achſe in <lb/>24 Stunden ſcheint das Sternbild einen regelmäßigen Umlauf <lb/>um den Polarſtern zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s1769" xml:space="preserve">Merkt man ſich die Stellung des <lb/>Wagens in irgend einer Nachtſtunde, ſo kann man eine Stunde <lb/>ſpäter ſehr wohl das Vorrücken der Nacht erkennen. </s> <s xml:id="echoid-s1770" xml:space="preserve">Es war <lb/>daher die regelmäßige Umkreiſung, welche das Sternbild um <lb/>den Polarſtern vollzieht, eine Art Uhr für die Völker des <lb/>Altertums, und es wurde die Zeit auch danach gemeſſen und <lb/>ziemlich richtig abgeſchätzt. </s> <s xml:id="echoid-s1771" xml:space="preserve">Das Sternbild ſpielte die Rolle <pb o="157" file="165" n="165"/> eines Zeigers der Nachtuhr, während der Polarſtern den Mittel-<lb/>punkt des Zifferblattes darſtellte.</s> <s xml:id="echoid-s1772" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div90" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-164-01" xlink:href="fig-164-01a"> <caption xml:id="echoid-caption56" xml:space="preserve">Fig. 73.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1773" xml:space="preserve">Zwar bildet die Stellung des Sternbildes eine Uhr, <lb/>welche in jeder Jahreszeit anders geht. </s> <s xml:id="echoid-s1774" xml:space="preserve">Wenn man im Sommer <lb/>nach Sonnenuntergang das Sternbild aufſucht, ſo findet man, <lb/>daß es ſeitwärts in gleicher Höhe mit dem Polarſtern ſteht, <lb/>während man es im Herbſt bei Einbruch des Abends tief <lb/>unter dem Polarſtern erblickt. </s> <s xml:id="echoid-s1775" xml:space="preserve">Der Umlauf des Sternbildes <lb/>um den Polarſtern bildet zugleich eine Art Jahres-Uhr, ſo daß <lb/>man bei der Stellung derſelben auch zugleich auf die Jahres-<lb/>zeit achten muß. </s> <s xml:id="echoid-s1776" xml:space="preserve">Allein für die Völker des Altertums, die <lb/>keine künſtliche Uhr hatten, war die Beobachtung des Stern-<lb/>bildes in jeder Nacht immerhin eine natürliche Uhr, die <lb/>ſchätzungsweiſe die Nachtſtunden ziemlich richtig erkennen ließ.</s> <s xml:id="echoid-s1777" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1778" xml:space="preserve">Dieſer Umſtand veranlaßte es, daß man jeden der ſieben <lb/>Sterne mit einem beſtimmten Namen bezeichnete, die auch jetzt <lb/>noch in der Aſtronomie beibehalten werden und in neueſter <lb/>Zeit Gegenſtand neuer Meſſungen wurden, um auf ſpektro-<lb/>ſkopiſchem Wege zu ermitteln, ob ſie ſich von dem Sonnen-<lb/>ſyſtem entfernen oder ihm nähern. </s> <s xml:id="echoid-s1779" xml:space="preserve">Das Ergebnis dieſer <lb/>Meſſungen iſt auch hier dasſelbe wie bei dem Orion. </s> <s xml:id="echoid-s1780" xml:space="preserve">Es war <lb/>eine reine Einbildung des Altertums, daß dieſe ſieben Sterne <lb/>eine Zuſammengehörigkeit beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s1781" xml:space="preserve">Sie ſind in ihren Be-<lb/>wegungen im Weltraume ſehr verſchieden und ſehr unab-<lb/>hängig von einander. </s> <s xml:id="echoid-s1782" xml:space="preserve">Einige dieſer Sterne nähern ſich, <lb/>andere entfernen ſich von uns; </s> <s xml:id="echoid-s1783" xml:space="preserve">aber auch hierin ſind ſie ver-<lb/>ſchieden in ihrer Geſchwindigkeit, ſo daß von einem Zuſammen-<lb/>gehören zu einem gleichen Vewegungsſyſtem gar nicht die Rede <lb/>ſein kann.</s> <s xml:id="echoid-s1784" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1785" xml:space="preserve">Gehen wir die Reihe dieſer Erſcheinungen durch, ſo ſtellt <lb/>ſich Folgendes heraus:</s> <s xml:id="echoid-s1786" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1787" xml:space="preserve">Der Stern des Hinterrades, welcher der nächſte zum <lb/>Polarſtern iſt, wandert ſehr ſchnell auf uns zu. </s> <s xml:id="echoid-s1788" xml:space="preserve">Er nähert <pb o="158" file="166" n="166"/> ſich in der Sekunde an 43 Kilometer dem Sonnenſyſtem. </s> <s xml:id="echoid-s1789" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>Bewegung iſt ziemlich genau feſtgeſtellt und gehört mit zu den <lb/>ſtärkſten Geſchwindigkeiten, die auf ſpektroſkopiſchem Wege bis-<lb/>her ermittelt worden ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1790" xml:space="preserve">Sein nächſter Nachbar, das zweite <lb/>Hinterrad des Wagens, übertrifft ihn noch in der Geſchwin-<lb/>digkeit ſeiner Bewegung im Weltraum; </s> <s xml:id="echoid-s1791" xml:space="preserve">aber dieſe Bewegung <lb/>iſt die entgegengeſetzte. </s> <s xml:id="echoid-s1792" xml:space="preserve">Er entfernt ſich von der Stelle, welche <lb/>das Sonnenſyſtem jetzt einnimmt, um faſt 45 Kilometer per <lb/>Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1793" xml:space="preserve">Dieſes Ergebnis iſt indeſſen noch um 7 Kilometer <lb/>unſicher. </s> <s xml:id="echoid-s1794" xml:space="preserve">Durchſchnittlich kann man alſo annehmen, daß dieſe <lb/>zwei Sterne, welche die Hinterräder des Himmelswagens bilden, <lb/>ſich von einander mit der Geſchwindigkeit von faſt 90 Kilo-<lb/>metern in jeder Sekunde entfernen.</s> <s xml:id="echoid-s1795" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1796" xml:space="preserve">Von den zwei Vorderrädern des Wagens iſt der Stern <lb/>zweiter Größe gleichfalls im Begriff, ſich von uns zu ent-<lb/>fernen, und zwar mit einer Geſchwindigkeit von 27 Kilometer <lb/>pro Sekunde, wobei noch circa 4 Kilometer zweifelhaft ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1797" xml:space="preserve">Sein nächſter Nachbar, das vierte Rad am Wagen, der ein <lb/>Stern dritter Größe iſt, wandert ebenfalls von uns fort, jedoch <lb/>nur mit einer Geſchwindigkeit von 16 Kilometer in der Se-<lb/>kunde. </s> <s xml:id="echoid-s1798" xml:space="preserve">Ein Zuſammenhang zwiſchen dieſen zwei Sternen iſt <lb/>ebenfalls nicht vorhanden. </s> <s xml:id="echoid-s1799" xml:space="preserve">Da in den dritthalbtauſend Jahren, <lb/>in welchen man die Helligkeit dieſer Sterne beobachtet hat, <lb/>ſtets die Lichtſtärke derſelben ſich gleich geblieben zu ſein ſcheint, <lb/>ſo muß man auf eine ungeheure Entfernung dieſer zwei Sterne <lb/>von uns ſchließen, die immer noch keinen Unterſchied ihrer <lb/>Größe bemerkbar gemacht hat.</s> <s xml:id="echoid-s1800" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1801" xml:space="preserve">Intereſſant ſind die zwei den Rädern nächſten Sterne in <lb/>der Deichſel des Wagens. </s> <s xml:id="echoid-s1802" xml:space="preserve">Sie ſind beide Sterne zweiter <lb/>Größe. </s> <s xml:id="echoid-s1803" xml:space="preserve">Beide entfernen ſich von uns, und zwar iſt ihr Lauf <lb/>ſo ziemlich ein gleicher. </s> <s xml:id="echoid-s1804" xml:space="preserve">Während ſich der den Rädern des <lb/>Wagens nächſte Stern in der Deichſel mit einer Geſchwindig-<lb/>keit von 25 Kilometern von uns fortbewegt, eilt ſein Nachbar <pb o="159" file="167" n="167"/> mit ca. </s> <s xml:id="echoid-s1805" xml:space="preserve">28 Kilometer pro Sekunde von uns fort und in den <lb/>Weltraum hinein. </s> <s xml:id="echoid-s1806" xml:space="preserve">Hier könnte man freilich eine Art Zuſammen-<lb/>gehörigkeit vorausſetzen und eine weitere Urſache ihrer Be-<lb/>wegung in der Ferne annehmen. </s> <s xml:id="echoid-s1807" xml:space="preserve">Aber unwahrſcheinlich iſt <lb/>und bleibt auch eine ſolche Vorausſetzung. </s> <s xml:id="echoid-s1808" xml:space="preserve">So nahe bei ein-<lb/>ander dieſe zwei Sterne uns ſcheinen, ſo gewaltig muß doch <lb/>ihre wirkliche Entfernung von einander ſein. </s> <s xml:id="echoid-s1809" xml:space="preserve">Man bemerkt <lb/>nämlich, daß der eine ein Doppelſtern iſt, deſſen Begleiter in <lb/>circa 61 Jahren den Hauptſtern umkreiſt, und hat auch die <lb/>Ellipſe beobachtet, in welcher er ſeinen Umlauf vollführt; </s> <s xml:id="echoid-s1810" xml:space="preserve">dieſe <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-167-01a" xlink:href="fig-167-01"/> aber zeigt keine Spur von <lb/>Neigung zu dem Nachbarſtern, <lb/>woraus man berechtigt iſt zu <lb/>ſchließen, daß auch dieſe zwei <lb/>Hauptſterne keinen Zuſammen-<lb/>hang haben.</s> <s xml:id="echoid-s1811" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div91" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-167-01" xlink:href="fig-167-01a"> <caption xml:id="echoid-caption57" xml:space="preserve">Fig. 74.</caption> <variables xml:id="echoid-variables12" xml:space="preserve">a b c</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s1812" xml:space="preserve">Der ſiebente Stern endlich, <lb/>der letzte der Deichſel, be-<lb/>findet ſich auf einer Welten-<lb/>reiſe, die ihn unſerem Sonnen-<lb/>ſyſtem näher bringt. </s> <s xml:id="echoid-s1813" xml:space="preserve">Die Ge-<lb/>ſchwindigkeit ſeines Laufes <lb/>beträgt 12 Kilometer in der <lb/>Sekunde; </s> <s xml:id="echoid-s1814" xml:space="preserve">gleichwohl haben die <lb/>Jahrtauſende der Beobachtun-<lb/>gen ihn ſtets an Größe und <lb/>Lichtſtärke gleich geſchätzt mit <lb/>ſeinen Nachbarſternen, die ſich <lb/>notoriſch von uns entfernen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1815" xml:space="preserve">Es läßt dies ebenfalls dara@f <lb/>ſchließen, daß Billionen und <lb/>Billionen Meilen Näherung <lb/>oder Entfernung an ſich keinen <pb o="160" file="168" n="168"/> klaren Eindruck der Lichtſtärke auf unſer Auge machen, während <lb/>das neueſte Juſtrument der Wiſſenſchaft, das Spektroſkop, uns <lb/>Bewegungen verrät, die innerhalb einer einzigen Sekunde er-<lb/>kennbar und meßbar ſind.</s> <s xml:id="echoid-s1816" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1817" xml:space="preserve">Erſt nach Verlauf von vielen Tauſenden von Jahren wird <lb/>ſich die fortwährende Bewegung der Sterne auf Erden für den <lb/>bloßen Augenſchein erkennen laſſen, indem allmählich die Hellig-<lb/>keit der Sterne ſich ändert und auch ihre Stellung zu einander. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1818" xml:space="preserve">Nach den bisher angeſtellten Beobachtungen hat Flammarion <lb/>berechnet und darzuſtellen verſucht (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s1819" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s1820" xml:space="preserve">74 a—c), wie ver-<lb/>mutlich unſer Sternbild des großen Bären (b) vor 50 000 Jahren <lb/>ausſah (a) und wie es ſich vermutlich in weiteren 50 000 Jahren <lb/>dem Auge des Beſchauers darſtellen wird (c).</s> <s xml:id="echoid-s1821" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div93" type="section" level="1" n="56"> <head xml:id="echoid-head62" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIX. Die Geſchwindigkeit der Fixſtern-</emph> <lb/><emph style="bf">Bewegungen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1822" xml:space="preserve">Unter den Sternen, deren Bewegungen in neueſter Zeit <lb/>ſpektroſkopiſch gemeſſen worden ſind, wollen wir nur noch <lb/>drei Sterne im Bilde des “<emph style="sp">Pegaſus</emph>“ erwähnen, um ſodann <lb/>mit einigen W@rten der Betrachtung dieſes Thema abzu-<lb/>ſchließen.</s> <s xml:id="echoid-s1823" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1824" xml:space="preserve">Das Sternbild des Pegaſus zieht an Herbſtabenden durch <lb/>eine gewiſſe Regelmäßigkeit in der Lage ſeiner Hauptſterne die <lb/>Aufmerkſamkeit auf ſich. </s> <s xml:id="echoid-s1825" xml:space="preserve">Man findet dieſes Sternbild ſehr <lb/>leicht auf, wenn man ſich eine Linie vom Großen Bären nach <lb/>dem Polarſtern gezogen und dieſelbe doppelt verlängert denkt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1826" xml:space="preserve">Die Hauptſterne des Pegaſus ſind zweiter Größe; </s> <s xml:id="echoid-s1827" xml:space="preserve">aber ſie <lb/>ſtehen in einem ſo regelmäßigen länglichen Viereck, daß man es <lb/>vielfach das “Trapez” oder noch bezeichnender den “Tiſch” <pb o="161" file="169" n="169"/> nennt. </s> <s xml:id="echoid-s1828" xml:space="preserve">Von dieſen vier Sternen liegt einer an der Grenze <lb/>des Nachbarbildes der “Andromeda.</s> <s xml:id="echoid-s1829" xml:space="preserve">” Schräg gegenüber in <lb/>der Diagonale des Tiſches liegt der Hauptſtern des Pegaſus δ. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1830" xml:space="preserve">Die beiden anderen Ecken des Tiſches nehmen die Sterne, <lb/>mit β und γ bezeichnet, ein, die alle drei einer Meſſung durch <lb/>das Spektroſkop unterzogen worden ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1831" xml:space="preserve">Das Ergebnis iſt <lb/>folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s1832" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1833" xml:space="preserve">Der Stern α nähert ſich uns mit einer Geſchwindigkeit <lb/>von 54 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1834" xml:space="preserve">Der Stern β entfernt ſich <lb/>mit einer Geſchwindigkeit von 30 Kilometer in der Sekunde. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1835" xml:space="preserve">Der Stern γ nähert ſich der Himmelsgegend, in der wir uns <lb/>befinden, und zwar mit einer Geſchwindigkeit, welche an-<lb/>ſcheinend die größte aller bisher beobachteten iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1836" xml:space="preserve">Sein Lauf <lb/>beträgt circa 73 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1837" xml:space="preserve">Eine ſo große <lb/>Geſchwindigkeit hatte man früher nur beim Sirius angenommen, <lb/>der ſich von uns entfernt; </s> <s xml:id="echoid-s1838" xml:space="preserve">die neueſten Meſſungen indeſſen <lb/>haben die Geſchwindigkeit im Lauf des Sirius auf die Hälfte <lb/>reduziert, ſo daß der Stern γ im Pegaſus mit einer ausnahms-<lb/>weiſe großen Schnelligkeit im Weltraum dahineilt.</s> <s xml:id="echoid-s1839" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1840" xml:space="preserve">In dieſem Punkte könnte man freilich noch an die Mög-<lb/>lichkeit denken, daß dabei auch die eigene Geſchwindigkeit der <lb/>Sonne im Weltraum mit ins Spiel kommt. </s> <s xml:id="echoid-s1841" xml:space="preserve">Wäre dieſe in <lb/>ihrem Lauf grade auf den betreffenden Stern im Pegaſus hin <lb/>gerichtet, ſo könnte man den Sturmlauf des Pegaſus-Sternes <lb/>auf etwa die Hälfte reduzieren, wodurch er ein normales <lb/>Maß annehmen würde. </s> <s xml:id="echoid-s1842" xml:space="preserve">Allein die Bahn des Sonnenlaufs <lb/>im Weltraum hat man bisher mit gutem Grund nicht nach <lb/>dem Pegaſus hin gerichtet angenommen. </s> <s xml:id="echoid-s1843" xml:space="preserve">Es bewegt ſich die <lb/>Sonne nach den Berechnungen, die man bisher, ohne Hilfe <lb/>des Spektroſkops, nur aus den Vergleichungen der älteſten <lb/>und der neueſten Sternkataloge angeſtellt hat, auf das Stern-<lb/>bild des Herkules hin. </s> <s xml:id="echoid-s1844" xml:space="preserve">Dieſes Sternbild aber liegt ſtark <lb/>ſeitwärts von dem des Pegaſus, ſo daß der Lauf der Sonne</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1845" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s1846" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s1847" xml:space="preserve">Volksbücher XVII.</s> <s xml:id="echoid-s1848" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="162" file="170" n="170"/> <p> <s xml:id="echoid-s1849" xml:space="preserve">faſt einen rechten Winkel mit der Linie bildet, die man nach <lb/>dem Pegaſus zieht. </s> <s xml:id="echoid-s1850" xml:space="preserve">Hieraus folgt, daß, die Zuverläſſigkeit <lb/>der neuen ſpektroſkopiſchen Meſſungen vorausgeſetzt, wirklich <lb/>der Stern im Pegaſus als einer der am ſchnellſten dahin-<lb/>fliegenden Himmelskörper gelten muß.</s> <s xml:id="echoid-s1851" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1852" xml:space="preserve">Verſuchen wir es nun einmal auf Grund der bisherigen <lb/>ſpektroſkopiſchen Meſſungen eine Normal-Geſchwindigkeit der <lb/>Himmelskörper im Weltraum feſtzuſtellen, ſo finden wir, daß <lb/>ſie im allgemeinen nicht gar zu fern von den Erſcheinungen <lb/>iſt, welche man als vollkommen ſicher zu betrachten hat. </s> <s xml:id="echoid-s1853" xml:space="preserve">Die <lb/>mittlere Geſchwindigkeit ſämtlicher bisher beobachteten Fixſterne <lb/>iſt noch geringer als die notoriſch feſtgeſtellte Geſchwindigkeit, <lb/>welche die Erde in ihrem Lauf um die Sonne hat. </s> <s xml:id="echoid-s1854" xml:space="preserve">Die Erde <lb/>durcheilt in ihrem Umlauf um die Sonne mehr als vier Meilen, <lb/>alſo an 30 Kilometer in der Sekunde. </s> <s xml:id="echoid-s1855" xml:space="preserve">Die Sonne ſelbſt <lb/>wandert, nach den freilich noch nicht ſicheren Beobachtungen, <lb/>faſt mit doppelt ſo großer Geſchwindigkeit in den Weltraum <lb/>hinein auf die Gegend hin, in welcher wir das Sternbild des <lb/>Herkules ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s1856" xml:space="preserve">Da die meiſten Fixſterne, welche bisher den <lb/>ſpektroſkopiſchen Meſſungen unterworfen worden ſind, auch circa <lb/>30 Kilometer in der Sekunde dahinfliegen, ſo iſt dies, mit dem <lb/>Sturmlauf der Erde verglichen, durchaus nicht abnorm. </s> <s xml:id="echoid-s1857" xml:space="preserve">Auch <lb/>der Schnellläufer γ im Pegaſus überſchreitet ein normales <lb/>Maß keineswegs, da die Sonne ja faſt ebenſo ſchnellfüßig im <lb/>Weltraum dahinſtürmt. </s> <s xml:id="echoid-s1858" xml:space="preserve">Weit eher als die Geſchwindigkeit <lb/>könnte man die Langſamkeit einiger Fixſterne, mit der Bewegung <lb/>der Erde verglichen, eine abnorme nennen. </s> <s xml:id="echoid-s1859" xml:space="preserve">Im Sternbild des <lb/>Orion und dem des Großen Bären finden ſich, wie wir be-<lb/>reits angegeben, einzelne Fixſterne, welche bei weitem lang-<lb/>ſamer ihre Weltreiſe als unſere Erde zu vollziehen ſcheinen.</s> <s xml:id="echoid-s1860" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="163" file="171" n="171"/> </div> <div xml:id="echoid-div94" type="section" level="1" n="57"> <head xml:id="echoid-head63" xml:space="preserve"><emph style="bf">XX. Unvollkommenheiten der bisherigen</emph> <lb/><emph style="bf">Meſſungen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1861" xml:space="preserve">Bedenken muß man nun freilich, daß das Spektroſkop bei <lb/>all ſeinen glänzenden Leiſtungen doch immer nur ein einſeitiges <lb/>Inſtrument iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1862" xml:space="preserve">Es verrät uns zwar die Geſchwindigkeit, mit <lb/>welcher ſich uns ein Stern nähert oder von uns entfernt, ent-<lb/>hüllt uns aber dabei keineswegs die wirkliche Bewegungslinie <lb/>des Sterns, die dabei auch ſeitwärts nach allen möglichen Rich-<lb/>tungen hin gehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s1863" xml:space="preserve">Es iſt kaum anzunehmen, daß es <lb/>irgend einen Fixſtern im Weltraume giebt, der gar keine andere <lb/>Bewegung hat, als entweder auf uns zu oder von uns ab. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1864" xml:space="preserve">Ja, gäbe es einen ſolchen Stern, ſo würde ſchon die nächſte <lb/>Sekunde dieſen Lauf anders geſtalten, weil in der Zwiſchen-<lb/>zeit die Sonne ſelber nicht ſtill ſteht und ſomit eine Ver-<lb/>ſchiebung der nach uns gerichteten Geſichtslinie eintreten würde.</s> <s xml:id="echoid-s1865" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1866" xml:space="preserve">Bei näherem Nachdenken findet man leicht heraus, daß <lb/>die wirkliche Bewegung eines Sternes im Weltraum nur be-<lb/>rechnet werden kann, wenn man mit gleicher Sicherheit die <lb/>veränderte Stellung des Sternes am Himmelsdom angeben <lb/>kann, wie das Ergebnis des Spektroſkops uns ſeine Annähe-<lb/>rung oder ſein Entfernen von uns zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s1867" xml:space="preserve">Das iſt aber bisher <lb/>nur ſchätzungsweiſe anzugeben. </s> <s xml:id="echoid-s1868" xml:space="preserve">Es liegt das in der Ver-<lb/>ſchiedenheit, welche die beiden Beobachtungsmethoden an ſich <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s1869" xml:space="preserve">Die Frage, ob ein Fixſtern ſeine Stellung am <lb/>Himmelsdom verändert hat, erfordert eine Durchforſchung aller <lb/>Sternbeobachtungen und der Sternkarten, welche ſeit zwei-<lb/>tauſend Jahren exiſtieren, während die Beobachtung durch <lb/>das Spektroſkop nur eine Sekunde zu betragen braucht. </s> <s xml:id="echoid-s1870" xml:space="preserve">Die <lb/>Verſchiebung, welche ein Stern im Himmelsdom verrät, geht <lb/>auf Jahrtauſende zurück in der Vergleichung der Gegenwart <lb/>mit der Vergangenheit, während die ſpektroſkopiſche Beobach- <pb o="164" file="172" n="172"/> tung nur einen günſtigen Augenblick erfordert. </s> <s xml:id="echoid-s1871" xml:space="preserve">Schon dieſer <lb/>Unterſchied allein erſchwert die gleiche Sicherheit für beide <lb/>Methoden und ſchiebt die eigentliche Löſung der Frage <lb/>nach der wirklichen Bewegung eines Sterns in eine vielleicht <lb/>noch ferne Zukunft hinaus, in welcher möglicherweiſe noch <lb/>eine große wiſſenſchaftliche Entdeckung oder Erfindung dem <lb/>Forſchergeiſt der Menſchheit neue Bahnen der Erkenntnis er-<lb/>öffnet.</s> <s xml:id="echoid-s1872" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1873" xml:space="preserve">Gleichwohl bietet uns bereits das gegenwärtig verwend-<lb/>bare Material der Wiſſenſchaft einen erfreulichen Einblick in <lb/>die Fernen des Weltraumes. </s> <s xml:id="echoid-s1874" xml:space="preserve">Namentlich gilt dies von der <lb/>zweiten Unendlichkeit, deren wir uns anfangen bewußt zu <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s1875" xml:space="preserve">Wir meinen die Unendlichkeit der Zeit, die erſt im <lb/>Einklang mit der Unendlichkeit des Raumes uns einen Fern-<lb/>blick in das Weltenbild darbieten kann.</s> <s xml:id="echoid-s1876" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1877" xml:space="preserve">Der Aufblick in den Weltraum, von wo das Licht aus <lb/>unermeßlichen Fernen zu uns herniederſtrömt, hat von jeher <lb/>auf das endliche Menſchengeſchlecht als eine Mahnung aus dem <lb/>unfaßbaren Reiche der Unendlichkeit und der Ewigkeit gewirkt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1878" xml:space="preserve">Es knüpften ſich daran all die Mythen der Religionen des <lb/>Altertums, die der dichtenden Seele ein Genüge bieten mußten <lb/>für die Sehnſucht nach einem Wiſſen und Ahnen, das die <lb/>Grenzen der kindlichen Einſicht der Menſchheit überſchreitet. </s> <s xml:id="echoid-s1879" xml:space="preserve"><lb/>Es wurzeln in dieſer Sehnſucht noch heutigen Tages all die <lb/>Empfindungen, welche wir mit dem Worte “Religion” be-<lb/>zeichnen, wenngleich die Mythen verblaßt ſind, und die Ewig-<lb/>keit der Zeit und die Unendlichkeit des Raumes zu Problemen <lb/>der aufſtrebenden Wiſſenſchaft geworden ſind.</s> <s xml:id="echoid-s1880" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1881" xml:space="preserve">Die Probleme ſind an ſich noch nicht gelöſt. </s> <s xml:id="echoid-s1882" xml:space="preserve">Unſer <lb/>menſchliches Denkvermögen iſt ſo eingeſchränkt von den Grund-<lb/>begriffen des Raumes und der Zeit, daß wir bei jedem Forſchen <lb/>nach dem Urſprung der Erſcheinungswelt immer noch vor dieſen <lb/>Pforten der Unbegreiflichkeit verweilen. </s> <s xml:id="echoid-s1883" xml:space="preserve">Nur die Grenzen <pb o="165" file="173" n="173"/> haben ſich weit hinaus verſchoben. </s> <s xml:id="echoid-s1884" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft lehrt uns <lb/>jetzt Fernen meſſen, die für das Altertum zum Bereich der <lb/>Unermeßlichkeit gehörten. </s> <s xml:id="echoid-s1885" xml:space="preserve">Sie lehrt uns Zeiten berechnen, die <lb/>nach den Grundanſchauungen des Altertums ganz außerhalb <lb/>des Anfangs aller Dinge lagen.</s> <s xml:id="echoid-s1886" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div95" type="section" level="1" n="58"> <head xml:id="echoid-head64" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXI. Die Unendlichkeit in Raum und Zeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1887" xml:space="preserve">Das Thema, welches wir bisher beſprochen haben, zeigt <lb/>uns die heutige Wiſſenſchaft innerhalb der Grenzen ihrer neueren <lb/>Errungenſchaften auf dieſen Gebieten. </s> <s xml:id="echoid-s1888" xml:space="preserve">Die Verſchiebung der <lb/>Fixſterne in ihrer Stellung am Himmelsraum lehrt uns Zeiten <lb/>meſſen, die für unſere Anſchauung wie endloſe Ewigkeiten <lb/>klingen. </s> <s xml:id="echoid-s1889" xml:space="preserve">Ein Blick durch das Spektroſkop lehrt uns Be-<lb/>wegungen feſtſtellen in Fernen, welche in unendlichen Räumen <lb/>vor ſich gehen.</s> <s xml:id="echoid-s1890" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1891" xml:space="preserve">Die erweiterte Wiſſenſchaft hat ſich auch genötigt geſehen, <lb/>neue Maßſtäbe für ihre Errungenſchaften zu erſinnen. </s> <s xml:id="echoid-s1892" xml:space="preserve">Wie <lb/>weit ſind einzelne Fixſterne von uns entfernt? </s> <s xml:id="echoid-s1893" xml:space="preserve">Man vermag <lb/>die Antwort gar nicht mehr in Meilenzahlen zu veranſchau-<lb/>lichen, ſondern iſt genötigt, ſie in Sonnenweiten auszudrücken, <lb/>das heißt, in Zahlen, in welchen die zwanzig Millionen Meilen, <lb/>welche die Erdkugel von der Sonnenkugel trennen, als Eins <lb/>gezählt werden. </s> <s xml:id="echoid-s1894" xml:space="preserve">Ja, aber auch dieſe Einheit genügt der Be-<lb/>greiflichkeit keineswegs. </s> <s xml:id="echoid-s1895" xml:space="preserve">Wenn wir hören, daß der allernächſte <lb/>Fixſtern, der Hauptſtern im Sternbilde des Centaur, zweimal <lb/>hunderttauſendmal entfernter von uns iſt als die Sonne, ſo <lb/>verſchwindet für uns der Begriff dieſer Ferne. </s> <s xml:id="echoid-s1896" xml:space="preserve">Man nimmt <lb/>deshalb zu der Zeit ſeine Zuflucht, welche das Licht des ge-<lb/>nannten Sternes gebraucht, um bis zu uns zu dringen. </s> <s xml:id="echoid-s1897" xml:space="preserve">Man <pb o="166" file="174" n="174"/> nennt dies die Lichtzeit dieſes Sternes, die drei und ein halbes <lb/>Jahr beträgt, obwohl das Licht in jeder Sekunde an 40 000 <lb/>Meilen des Weltraums durcheilt. </s> <s xml:id="echoid-s1898" xml:space="preserve">Der Mangel unſeres Be-<lb/>griffsvermögens veranlaßt uns, unbegreifliche Räume durch <lb/>begreiflichere Zeitabſchnitte zu verſinnlichen.</s> <s xml:id="echoid-s1899" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1900" xml:space="preserve">Einer der Fixſterne, deſſen Abſtand von uns gemeſſen <lb/>wurde, iſt auch der Polarſtern. </s> <s xml:id="echoid-s1901" xml:space="preserve">Seine Lichtzeit beträgt mehr <lb/>als fünfunddreißig und ein halbes Jahr. </s> <s xml:id="echoid-s1902" xml:space="preserve">Dieſe Strecke in <lb/>Zahlen ausgedrückt lautet:</s> <s xml:id="echoid-s1903" xml:space="preserve"><unsure/> 2 Millionen und 267 000 Sonnen-<lb/>weiten. </s> <s xml:id="echoid-s1904" xml:space="preserve">Um ſie in Meilen auszudrücken, müſſen wir die Zahl <lb/>2 267 000 mit 20 000 000 multiplizieren. </s> <s xml:id="echoid-s1905" xml:space="preserve">Da eine Meile <lb/>7 {1/2} Kilometer enthält, ſo müſſen wir die Zahl nochmals mit <lb/>7 {1/2} vervielfältigen, um ſie mit dem Maß zu vergleichen, welches <lb/>wir in den Angaben der Geſchwindigkeit gebraucht haben, mit <lb/>welcher ſich Sterne in einer Sekunde unſerer Sonne nähern <lb/>oder von ihr entfernen.</s> <s xml:id="echoid-s1906" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1907" xml:space="preserve">Die Meſſungen der Lichtzeit und die Beſtimmungen der <lb/>Geſchwindigkeit, mit welcher die Sterne auf uns zueilen oder <lb/>ſich von uns entfernen, bilden zwei geſonderte Felder der Be-<lb/>obachtungen. </s> <s xml:id="echoid-s1908" xml:space="preserve">Sie betreffen nur ſelten einen und denſelben <lb/>Fixſtern, ſo daß man denſelben in ſeiner wirklichen Bewegungs-<lb/>bahn beſtimmen kann. </s> <s xml:id="echoid-s1909" xml:space="preserve">Aber bei einzelnen Sternen iſt dies <lb/>dennoch der Fall, und wir haben dann Gelegenheit, den un-<lb/>geheuren Spielraum zu überblicken, welchen die Meſſungen im <lb/>Weltraum bereits gewonnen haben.</s> <s xml:id="echoid-s1910" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1911" xml:space="preserve">So z. </s> <s xml:id="echoid-s1912" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s1913" xml:space="preserve">wiſſen wir von dem Sterne erſter Größe, <lb/>“Capella,” im Bilde des Fuhrmanns, daß er an 10 {1/2} Jahr <lb/>Lichtzeit von uns entfernt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s1914" xml:space="preserve">Wie groß dieſe Entfernung iſt, <lb/>kann man hiernach leicht ausrechnen. </s> <s xml:id="echoid-s1915" xml:space="preserve">Die ſpektroſkopiſchen <lb/>Meſſungen ſeiner Bewegung ergeben, daß er ſich in einer <lb/>Sekunde an 43 Kilometer von uns entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s1916" xml:space="preserve">Bedenken wir <lb/>nun, wie klein eine Sekunde an Zeit gegen die Zeit von <lb/>10 {1/2} Jahr iſt, und wie geringfügig 43 Kilometer an Raum <pb o="167" file="175" n="175"/> iſt gegen den Raum, welchen das Licht in 10 {1/2} Jahren <lb/>durchſchreitet, ſo erſehen wir ſehr deutlich, wie mächtig die <lb/>Wiſſenſchaft in die Maßſtäbe von Raum und Zeit im Weltall <lb/>hineingreift, und wie das Gebiet unſeres Wiſſens ſich ausge-<lb/>dehnt hat ſeit den Zeiten, in welchen man Glaubensmythen <lb/>dichtete, worin Fixſterne nicht viel höher angenommen worden <lb/>ſind, als die Wolken, die unſere Erde umhüllen.</s> <s xml:id="echoid-s1917" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1918" xml:space="preserve">Ebenſo wie die genannten Sterne iſt der Stern erſter <lb/>Größe “Procyon” nach beiden Richtungen hin gemeſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1919" xml:space="preserve">Er <lb/>iſt von uns ſo entfernt, daß ſein Licht 26 {1/2} Jahr braucht, <lb/>um bis zu uns zu dringen. </s> <s xml:id="echoid-s1920" xml:space="preserve">Auch er entfernt ſich von uns <lb/>mit jeder Sekunde um 38 Kilometer. </s> <s xml:id="echoid-s1921" xml:space="preserve">Ein Vergleich dieſer <lb/>Meſſungen zu einander giebt uns ebenfalls einen Begriff von <lb/>der Macht der Wiſſenſchaft, in Raum und Zeit einzudringen.</s> <s xml:id="echoid-s1922" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1923" xml:space="preserve">Wir kennen dieſe Sternbilder ſeit länger als zwei Jahr-<lb/>tauſenden. </s> <s xml:id="echoid-s1924" xml:space="preserve">Wir wiſſen nunmehr, daß ihre einzelnen Sterne <lb/>ſich außerordentlich ſtark in ihrer Bewegung und in ihrer <lb/>Entfernung von einander verändert haben. </s> <s xml:id="echoid-s1925" xml:space="preserve">Sie haben ſich <lb/>auf dem Gewölbe, welches wir Himmel nennen, ſowohl nach <lb/>rechts wie nach links, nach oben wie nach unten verſchoben, <lb/>und außerdem iſt ihre Bewegung im Nähern und Entfernen <lb/>in zweitauſend Jahren ſo bedeutend geweſen, daß ihre Licht-<lb/>ſtärke ſich auch verändert haben muß. </s> <s xml:id="echoid-s1926" xml:space="preserve">Wenn wir gleichwohl <lb/>finden, daß Orion noch immer unſerem Auge ſo erſcheint wie <lb/>unſeren Vorfahren vor Jahrtauſenden, ſo gewinnen wir einen <lb/>Einblick in die überwältigende Unendlichkeit ihrer Entfernung, <lb/>welche die Veränderung ihrer Gruppierung für das menſch-<lb/>liche Auge unmerklich macht. </s> <s xml:id="echoid-s1927" xml:space="preserve">Das heißt mit anderen Worten: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1928" xml:space="preserve">eine Zeit von zweitauſend Jahren iſt unmerkbar für unſer <lb/>körperliches Auge, wenn Veränderungen in einem Gebiet vor <lb/>ſich gehen, deſſen Dimenſionen unendlich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s1929" xml:space="preserve">Nur der Geiſt <lb/>iſt es, der uns meſſen läßt, was dem leiblichen Auge voll-<lb/>kommen entgehen würde.</s> <s xml:id="echoid-s1930" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="168" file="176" n="176"/> <p> <s xml:id="echoid-s1931" xml:space="preserve">Eine gewiſſe Ahnung hiervon hatte der bibliſche Dichter <lb/>bereits, als er von dem Schöpfer des Alls ſagte: </s> <s xml:id="echoid-s1932" xml:space="preserve">“Denn <lb/>tauſend Jahre ſind vor Dir wie ein Tag.</s> <s xml:id="echoid-s1933" xml:space="preserve">” Mit noch <lb/>triftigerem Grunde kann die heutige Forſchung dem hinzufügen: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1934" xml:space="preserve">Nur der Geiſt der Wiſſenſchaft eröffnet uns Fernblicke von <lb/>Bewegungen im Weltall, die die bisherigen Begriffe von Raum <lb/>und Zeit weit überflügeln.</s> <s xml:id="echoid-s1935" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div96" type="section" level="1" n="59"> <head xml:id="echoid-head65" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXII. Neue Sterne.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1936" xml:space="preserve">Jetzt aber müſſen wir noch eines Ereigniſſes gedenken, <lb/>das, zweifelloſer als je eines, die ewig geſtaltende Wandlung <lb/>und Umgeſtaltungskraft in der uns ewig ruhig ſcheinenden <lb/>Fixſternenwelt andeutet.</s> <s xml:id="echoid-s1937" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1938" xml:space="preserve">Am 10. </s> <s xml:id="echoid-s1939" xml:space="preserve">Mai des Jahres 1866, als unſere Phantaſie auf-<lb/>ging in den Tagesbegebenheiten von Blut und Eiſen, flammte <lb/>am ewig gleichmäßig und ruhig ſcheinenden Sternenhimmel im <lb/>Sternbild der nördlichen Krone ein ſonſt kleiner, ſchwach <lb/>leuchtender Stern neunter Größe, der nur durch lichtſtarke <lb/>Fernrohre geſehen werden konnte, urplötzlich zu einem Stern <lb/>zweiter Größe auf, ſo hell, wie wir die bekannten Sterne im <lb/>Sternbild des großen Löwen ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s1940" xml:space="preserve">Neu war ſolch ein <lb/>plötzliches Aufleuchten eines Sternes keineswegs. </s> <s xml:id="echoid-s1941" xml:space="preserve">Schon oftmals <lb/>iſt ſolche Erſcheinung in der Menſchengeſchichte aufgetreten, wo <lb/>man einen neuen Stern zu ſehen wähu<unsure/>te. </s> <s xml:id="echoid-s1942" xml:space="preserve">In den Zeiten des <lb/>Aberglaubens knüpfte man daran wunderliche Sagen. </s> <s xml:id="echoid-s1943" xml:space="preserve">Welche <lb/>Deutung man jener Erſcheinung in der nördlichen Krone etwa <lb/>für die Krone Norddeutſchland gegeben hätte, wenn der Stern <lb/>ſo hell aufleuchtend geweſen wäre, wie die “neuen Sterne” <lb/>der Jahre 1572 und 1604, die im Glanz ſelbſt Venus über- <pb o="169" file="177" n="177"/> ſtrahlten, das mögen wir der Phantaſie der Verehrer flüchtiger <lb/>Tagesbegebenheiten zu beſtimmen überlaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1944" xml:space="preserve">Die Heroen der <lb/>edlen Wiſſenſchaft, welche die Ereigniſſe des Weltalls zur <lb/>Aufgabe ihrer Studien machen, haben nicht verabſäumt, ihn <lb/>ſofort der Beobachtung zu unterziehen. </s> <s xml:id="echoid-s1945" xml:space="preserve">Man gewahrte ſchon <lb/>am 15. </s> <s xml:id="echoid-s1946" xml:space="preserve">Mai, daß er an Glanz abnehme, und in der Thai <lb/>trat er am 30. </s> <s xml:id="echoid-s1947" xml:space="preserve">Juni desſelben Jahres bereits in die beſcheidene <lb/>Stellung der neunten Größe zurück, ähnlich wie in kürzerer <lb/>oder längerer Zeit auch die andern ehemals für neu erklärten <lb/>Sterne endlich erloſchen ſind.</s> <s xml:id="echoid-s1948" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1949" xml:space="preserve">Wie man vor dem Jahre 1859 ſolch ein plötzliches <lb/>Aufleuchten eines Sternes als eine rätſelhafte Kataſtrophe zu <lb/>bezeichnen pflegte, das findet man in jedem beſſeren aſtro-<lb/>nomiſchen Werke angegeben. </s> <s xml:id="echoid-s1950" xml:space="preserve">Nachdem jedoch dann die <lb/>Errungenſchaft der Spektral-Analyſe gelehrt hatte, daß man <lb/>rätſelhafte Vorgänge in der fernſten Ferne durch genaue <lb/>Beobachtungen zu löſen im ſtande ſei, ſuchte und erhielt man <lb/>auch für dieſe rätſelhafte Kataſtrophe einen klareren Aufſchluß.</s> <s xml:id="echoid-s1951" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1952" xml:space="preserve">Huggins richtete ſein Spektroſkop auf den flammenden <lb/>Stern und ſah ſofort, daß er zwei Spektra habe. </s> <s xml:id="echoid-s1953" xml:space="preserve">Eines, vom <lb/>Stern ſelber herrührend, war das gewöhnliche helle Spektrum <lb/>mit dunklen Linien: </s> <s xml:id="echoid-s1954" xml:space="preserve">über demſelben aber zeigte ſich ein anderes <lb/>von einem den ganzen Stern umhüllenden, flammenden Gaſe <lb/>herrührend, das die charakteriſtiſchen hellen Linien des Waſſer-<lb/>ſtoffes deutlich erkennen ließ. </s> <s xml:id="echoid-s1955" xml:space="preserve">Hierdurch und durch fortgeſetzte <lb/>Beobachtungen iſt es jetzt ganz außer Zweifel geſtellt, daß <lb/>dieſes vielen Fixſternen eigene, auch auf der Sonne exiſtierende <lb/>und uns auf Erden wohlbekannte Gas in gewaltiger Fülle ſich <lb/>um jenen Stern angeſammelt habe, und daß es dieſes Gas <lb/>war, welches plötzlich entzündet ein ſo wunderbares Aufflammen <lb/>hervorgerufen hatte. </s> <s xml:id="echoid-s1956" xml:space="preserve">Daß nach und nach dies Leuchten ab-<lb/>nahm, iſt ein Beweis, daß das Gas eine chemiſche Verbindung <lb/>einging oder ſich ſchnell abkühlte. </s> <s xml:id="echoid-s1957" xml:space="preserve">Das Ereignis ſelber aber <pb o="170" file="178" n="178"/> zeigte, daß neben der ſtetig wirkenden Kraft des Werdens <lb/>und Vergehens in den weiten Weltenräumen auch zuweilen <lb/>eine plötzliche Wendung in die Geſchicke der Weltkörper ein-<lb/>greift und Veränderungen und Neugeſtaltungen unberechenbarer <lb/>Art herbeiführt: </s> <s xml:id="echoid-s1958" xml:space="preserve">Milliarden etwaiger Lebeweſen, welche den <lb/>Planeten jener plötzlich zu ungeheurer Glut entflammten “neuen <lb/>Sterne” angehörten, können in wenigen Sekunden durch der-<lb/>artige Kataſtrophen vernichtet worden ſein.</s> <s xml:id="echoid-s1959" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div97" type="section" level="1" n="60"> <head xml:id="echoid-head66" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIII. Von den Nebelflecken.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1960" xml:space="preserve">Nunmehr wollen wir unſere Aufmerkſamkeit auf ein Welt-<lb/>Gebiet hinlenken, zu welchem ſelbſt der himmelkundigſte Forſcher <lb/>niemals den Blick erhebt, ohne die andachtsvollen Schauer zu <lb/>empfinden, die dem flüchtigen Menſchenleben auf dieſem <lb/>winzigen Erdenrunde ziemen, gegenüber der Unendlichkeit des <lb/>Raumes und der Ewigkeit der Zeiten. </s> <s xml:id="echoid-s1961" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1962" xml:space="preserve">Noch ehe der große William Herſchel ſein Rieſenteleſkop <lb/>auf den Sternenhimmel richtet, ſah und erkannte man auch <lb/>mit ſchwächeren Inſtrumenten, daß das Weltall nicht ab-<lb/>geſchloſſen ſei mit der Fixſtern-Region, die wir das Milch-<lb/>ſtraßen-Syſtem nennen, und in welchem unſer mächtiger <lb/>Sonnenball ſamt all ſeinen Planeten nur einen ver-<lb/>ſchwindenden Lichtpunkt unter Millionen gleicher Weltkörper <lb/>bildet.</s> <s xml:id="echoid-s1963" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1964" xml:space="preserve">Fern von dieſem gewaltigen Syſtem erblickte man feine <lb/>Nebel in mattem Schimmer glänzen, und der ahnende Geiſt <lb/>der Forſcher ſchwang ſich zu dem kühnen Gedanken auf, daß <lb/>dieſe Nebel wohl ebenfalls Milchſtraßen-Syſteme für ſich ſein <pb o="171" file="179" n="179"/> mögen, die inſelartig im Weltenraum ſchwimmen und in <lb/>Weltgegenden exiſtieren, von welchen unſer ganzes Milchſtraßen-<lb/>Syſtem angeſehen auch nur als ein kleiner matt ſchimmernder <lb/>Nebel erſcheint.</s> <s xml:id="echoid-s1965" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1966" xml:space="preserve">Herſchel’s Rieſen-Inſtrument beſtätigte dieſe wohlberechtigte <lb/>Ahnung zum großen Teil. </s> <s xml:id="echoid-s1967" xml:space="preserve">Durch ſein Teleſkop betrachtet, <lb/>verwandelten ſich viele Nebel zu dicht gedrängten, hellglänzenden <lb/>Sterngruppen, in welchen man viele Tauſende geſonderter Fix-<lb/>ſterne erkennen und zählen konnte. </s> <s xml:id="echoid-s1968" xml:space="preserve">Da blickte man von Welten-<lb/>Syſtem zu Welten-Syſtem, von Sonnengruppen zu Sonnen-<lb/>gruppen und ſchwelgte in dem andachtsvollen Gefühl, daß <lb/>dem ſchwachen Menſchenauge, verſtärkt durch die gewaltigen <lb/>Hilfsmittel der Optik, ein Vertiefen gegönnt iſt in lichte Fernen, <lb/>welche ſelbſt die ungemeſſenen Schranken der Phantaſie <lb/>überflügeln.</s> <s xml:id="echoid-s1969" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1970" xml:space="preserve">Aber die Schranke des Menſchenauges ſank auch da nicht <lb/>nieder, ſondern erweiterte ſich nur immer mehr und mehr. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1971" xml:space="preserve">Dasſelbe Teleſkop nämlich, welches Nebel auflöſte und in <lb/>Sternenhaufen verwandelte, zeigte bei näherer Betrachtung <lb/>immer neue bis dahin unſichtbar geweſene Nebel, die das <lb/>Teleſkop nicht mehr auflöſen und in Sonnenhaufen verwandeln <lb/>konnte. </s> <s xml:id="echoid-s1972" xml:space="preserve">— Sind ſie wirklich unauflösbar? </s> <s xml:id="echoid-s1973" xml:space="preserve">Exiſtieren wirkliche <lb/>Nebelgebilde, die ſich noch nicht zu geſonderten Weltenſyſtemen <lb/>geſtaltet haben? </s> <s xml:id="echoid-s1974" xml:space="preserve">Oder ſchweben dieſe ſcheinbaren Nebel nur <lb/>in ſo weiter, unendlich weiter Entfernung, daß unſere <lb/>Inſtrumente zu ſchwach ſind, die fertigen Welten zu erkennen? </s> <s xml:id="echoid-s1975" xml:space="preserve"><lb/>Blicken wir in Weltenräume, wo ein “Werde” das Werden <lb/>längſt abgeſchloſſen und in ein Sein verwandelt hat, oder iſt <lb/>es uns vergönnt, in die Werkſtatt eines ewigen Werdens <lb/>hineinzuſchauen, wo “Entſtehung” und nicht “Vollendung” <lb/>herrſcht?</s> <s xml:id="echoid-s1976" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1977" xml:space="preserve">Das Rieſenteleſkop drängte dem Rieſengeiſt ſeines Schöpfers <lb/>dieſe Rieſenfrage des Seins oder Werdens mit mächtiger <pb o="172" file="180" n="180"/> Gewalt auf und forderte eine kühne Antwort, würdig dieſer <lb/>kühnen Aufgabe, heraus.</s> <s xml:id="echoid-s1978" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1979" xml:space="preserve">Der kühne Forſcher, Denker und Weltentdecker ſchreckte vor <lb/>der kühnen Antwort nicht zurück.</s> <s xml:id="echoid-s1980" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1981" xml:space="preserve">Entgegen allen hergebrachten Vorſtellungen von einem <lb/>durch ein allmachtsvolles “Wort” fertig geſchaffenen Weltall, <lb/>erklärte ſich Herſchel für das ewige Werden des Weltalls. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1982" xml:space="preserve">Viele Tauſende dieſer Nebel, lehrte der unvergleichliche, herrliche <lb/>Denker, ſind bereits geſonderte Sonnen-Welten. </s> <s xml:id="echoid-s1983" xml:space="preserve">Viele Tauſende <lb/>der Nebel, welche mein Teleſkop nicht aufzulöſen vermag, <lb/>werden durch beſſere Inſtrumente aufgelöſt und als Sonnen-<lb/>gruppen nachgewieſen werden. </s> <s xml:id="echoid-s1984" xml:space="preserve">Aber viele Tauſende anderer <lb/>Nebel ſind noch wirkliche Nebelmaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s1985" xml:space="preserve">Sie werden ſich erſt <lb/>zu Sonnen, zu Sonnengruppen, zu Milchſtraßen-Syſtemen <lb/>geſtalten, wenngleich Millionen der Erdenjahre darüber noch <lb/>hingehen. </s> <s xml:id="echoid-s1986" xml:space="preserve">Das Weltall iſt nicht vollendet, ein abgeſchloſſenes <lb/>Sein, ſondern ein zur Vollendung hinſtrebendes, ewig thätiges <lb/>Werden!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1987" xml:space="preserve">Dieſe Antwort, die kühn ein Weltbild aufrollte, das allen <lb/>hergebrachten Dogmen widerſprach, wurde ein halbes Jahr-<lb/>hundert ſpäter durch ein noch rieſigeres Teleſkop wiederum zum <lb/>Teil beſtätigt. </s> <s xml:id="echoid-s1988" xml:space="preserve">Ein treuer Freund der Wiſſenſchaft, Lord <lb/>Roſſe (1800—1867), ſtellte 1844 einen Reflektor auf, der an <lb/>Mächtigkeit und Lichtſtärke das Rieſenwerk Herſchels noch weit <lb/>überragte. </s> <s xml:id="echoid-s1989" xml:space="preserve">Der forſchende Blick durch dieſes neue Inſtrument <lb/>beſtätigte zum Teil die Vorausſagung Herſchels, daß Nebel-<lb/>flecke, die bis dahin unauflöslich ſchienen, nunmehr als Sternen-<lb/>haufen ſichtbar wurden, wogegen andere Nebel jeder Mühe <lb/>der Beobachter ſpotteten und unaufgelöſt blieben. </s> <s xml:id="echoid-s1990" xml:space="preserve">Aber zum <lb/>Abſchluß konnte die kühne Frage dennoch nicht gebracht werden, <lb/>weil das neue, lichtſtärkere Inſtrument nur immer neue Nebel <lb/>erblicken ließ, alſo die Kardinal-Fragen häufte, anſtatt zu <lb/>mindern.</s> <s xml:id="echoid-s1991" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="173" file="181" n="181"/> <p> <s xml:id="echoid-s1992" xml:space="preserve">Da trat in unſern Tagen die Spektral-Analyſe mit einem <lb/>gar kleinen Inſtrumente auf, das die mächtigſten an licht-<lb/>gebender Macht überflügelt.</s> <s xml:id="echoid-s1993" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div98" type="section" level="1" n="61"> <head xml:id="echoid-head67" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIV. Die Spektralanalyſe und die Nebelflecke.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s1994" xml:space="preserve">Secchi und Huggins, und nach ihnen viele andere Spektro-<lb/>ſkopiker zeigten nunmehr jedem, der es zu ſehen wünſcht, wie <lb/>ſich Nebel von Nebel, wie ſich gewordene Weltenſyſteme von <lb/>werdenden Weltenſyſtemen vollkommen erkennbar unterſcheiden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1995" xml:space="preserve">Wo Nebel ſchon zu Sonnengruppen ſich geſtaltet haben, da <lb/>zeigt der Spektralapparat ganz ebenſo wie die Sonne und <lb/>die tauſende von Fixſternen ein helles Farbenbild, durchzogen <lb/>von dunklen Spektral-Linien. </s> <s xml:id="echoid-s1996" xml:space="preserve">Wo jedoch der Nebel noch eine <lb/>glühende Gasmaſſe iſt, die ſich erſt zur Welt geſtalten wird, <lb/>da zeigt das Spektroſkop ganz ſo wie bei irdiſch brennenden, <lb/>in Vergaſung exiſtierenden Stoffen ein dunkles Spektrum-Feld, <lb/>durchzogen von hellen, farbigen Linien, welche die Natur der <lb/>verdampfenden Stoffe verraten.</s> <s xml:id="echoid-s1997" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s1998" xml:space="preserve">Die hellen Linien dieſer Nebel ſind noch nicht alle enthüllt, <lb/>denn viele dieſer Himmels-Stoffe, die ſich dort zu erſt werdenden <lb/>Geſtaltungen ſondern, ſind uns auf Erden bisher unbekannt; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s1999" xml:space="preserve">aber andere Linien bekannter Stoffe ſchlagen jeden Zweifel über <lb/>den wahren Zuſtand dieſer Weltenmaſſen nieder, es ſind vor-<lb/>nehmlich Stickſtoff, Waſſerſtoff und auch Sauerſtoff, die in Gas-<lb/>form dort eriſtieren, wo bis auf unſere Tage ſich ſelbſt die kühnſte <lb/>Phantaſie nicht hin wagte, um ihren Vermutungen freien Spiel-<lb/>raum zu ſchaffen.</s> <s xml:id="echoid-s2000" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2001" xml:space="preserve">Alſo die gleichen Stoffe, die uns hier auf Erden überall <lb/>entgegentreten, finden ſich auch in den fernſten Fernen des <pb o="174" file="182" n="182"/> grenzenloſen Weltalls, in Weltenräumen, wo unſere Monde <lb/>erblaſſen, unſere Planeten verſchwinden, unſere Sonne zu <lb/>einem unſichtbaren Punkte wird und unſere Milchſtraße wieder <lb/>nur als ein Nebelhauch erſcheint, ein Rätſel in fernen Welten, <lb/>das nur der Geiſt der Forſchung löſen kann! — Damit zeigt <lb/>ſich uns das Weltgebäude in einer Einheitlichkeit, die uns mit <lb/>freudiger Bewunderung erfüllen muß.</s> <s xml:id="echoid-s2002" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2003" xml:space="preserve">Wahrlich, es iſt ſchwer zu ſagen, ob der Menſch jenen <lb/>unermeßlichen Dimenſionen, den Milliarden der gewaltigſten <lb/>Sonnenſyſteme gegenüber, welche im weiten Univerſum allent-<lb/>halben dahinrollen, beſchämt ſeine eigne, unendliche Nichtigkeit <lb/>und ſeine Ohnmacht eingeſtehen ſoll, oder ob er in freudigem <lb/>Stolze aufjauchzen ſoll, daß er mit dem Auge des Geiſtes <lb/>wiſſen lernte, was in den fernſten Sphären des Weltalls vor-<lb/>geht, und daß es ſeinem forſchenden Geiſte vergönnt war, die <lb/>Erkenntnis eines ſolchen unermeßlich erhabenen Weltbildes zu <lb/>erringen.</s> <s xml:id="echoid-s2004" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2005" xml:space="preserve">Druck von G. </s> <s xml:id="echoid-s2006" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein in</emph> Berlin.</s> <s xml:id="echoid-s2007" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="183" n="183"/> </div> <div xml:id="echoid-div99" type="section" level="1" n="62"> <head xml:id="echoid-head68" xml:space="preserve"><emph style="bf">Naturwiſſenſchaftliche Volksbücher</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">A. Bernſtein.</emph></head> <head xml:id="echoid-head69" xml:space="preserve">Fünfte, reich iſſuſtrierte Auflage.</head> <head xml:id="echoid-head70" xml:space="preserve">Durchgeſehen und verbeſſert <lb/>von <lb/><emph style="bf">H. Potonié</emph> und <emph style="bf">R. Hennig.</emph></head> <head xml:id="echoid-head71" xml:space="preserve">Achtzehnter Ceil.</head> <figure> <image file="183-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/183-01"/> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div100" type="section" level="1" n="63"> <head xml:id="echoid-head72" xml:space="preserve"><emph style="bf">Berlin.</emph></head> <head xml:id="echoid-head73" xml:space="preserve">Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.</head> <pb file="184" n="184"/> <p> <s xml:id="echoid-s2008" xml:space="preserve">Das Necht der Überſetzung in fremde Sprachen iſt vorbehalten.</s> <s xml:id="echoid-s2009" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="185" n="185"/> </div> <div xml:id="echoid-div101" type="section" level="1" n="64"> <head xml:id="echoid-head74" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhaltsverzeichnis.</emph></head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>## <emph style="bf">Die Abſtammungs- oder Deſcendenz-Lehre.</emph> <lb/>I. # Deſcendenz-Lehre, Darwinismus und Lamarckismus . . # 1 <lb/>II. # Über das Populariſieren . . . . . . . . . . . 3 <lb/>III. # Einige wichtige Begriffe der Deſcendenz-Lehre . . . . # 6 <lb/>IV. # Anſichten über die Herkunſt der Lebeweſen . . . . . # 13 <lb/>V. # Die Schlagworte der Darwinſchen Theorie . . . . . # 15 <lb/>VI. # Die Zuchtwahl . . . . . . . . . . . . . . # 17 <lb/>VII. # Zuchtwahl und Soziologie . . . . . . . . . . # 19 <lb/>VIII. # Charles Darwin . . . . . . . . . . . . . # 20 <lb/>IX. # Gedanken zur Abſtammungslehre im Altertum . . . . # 30 <lb/>X. # Deſcendenz-Lehre im Mittelalter und in der darauf fol-<lb/># genden Zeit . . . . . . . . . . . . . . # 33 <lb/>XI. # Gedanken zur Deſcendenz-Lehre bei deutſchen Philoſophen <lb/># und Schriftſtellern . . . . . . . . . . . . # 35 <lb/>XII. # Johann Gottfried Herder . . . . . . . . . . # 37 <lb/>XIII. # Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . # 39 <lb/>XIV. # Goethe . . . . . . . . . . . . . . . . . # 40 <lb/>XV. # Lamarckismus . . . . . . . . . . . . . . # 42 <lb/>XVI. # Jean Baptiſt de Lamarck . . . . . . . . . . # 45 <lb/>XVII. # Darwins Meinung über Lamarck . . . . . . . . # 47 <lb/>XVIII. # Weitere unmittelbare Vorgänger Darwins unter den <lb/># Naturforſchern . . . . . . . . . . . . . . # 49 <lb/>XIX. # A. Moritzi, ein noch nicht gewürdigter Vorgänger Darwins # 50 <lb/>XX. # Schwierigkeit des Eindringens wiſſenſchaftlicher Gedanken <lb/># in den Geiſt der Zeitgenoſſen . . . . . . . . # 56 <lb/>XXI. # Die Deſcendenz-Lehre und die heutige Wiſſenſchaft . . # 58 <lb/>XXII. # Der Kampf ums Daſein und das Menſchengeſchlecht . . # 61 <lb/>XXIII. # Stammesgeſchichtliche Entwickelung der Pflanzenwelt . . # 62 <lb/>XXIV. # Das Syſtem . . . . . . . . . . . . . . # 62 <lb/></note> <pb o="IV" file="186" n="186"/> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>XXV. # Die Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . # 66 <lb/>XXVI. # Die Ernährung . . . . . . . . . . . . # 68 <lb/>XXVII. # Die Fortpflanzung . . . . . . . . . . . # 70 <lb/>XXVIII. # Niedere Pflanzen . . . . . . . . . . . . # 72 <lb/>XXIX. # Farne und verwandte Pflanzen . . . . . . . # 74 <lb/>XXX. # Die höchſt-entwickelten Pflanzen . . . . . . . # 76 <lb/>XXXI. # Die Pflanzen in ihrem Auftreten in den geologiſchen <lb/># Perioden . . . . . . . . . . . . . . # 79 <lb/>XXXII. # Aus der Lehre von den Verzweigungen der Pflanzen-<lb/># Organe . . . . . . . . . . . . . . # 82 <lb/>XXXIII. # Die übliche Verzweigungs-Art der älteſten Pflanzen # 84 <lb/>XXXIV. # Das biogenetiſche Grundgeſetz . . . . . . . . # 86 <lb/>XXXV. # Die Verzweigungen bei höheren Pflanzen . . . . # 87 <lb/>XXXVI. # Wie erklärt ſich die Verdrängung der Gabel-Ver-<lb/># zweigung bei Luſtpflanzen durch die fiederige reſp. <lb/># riſpige Verzweigung? . . . . . . . . . . # 97 <lb/>XXXVII. # Vermutliche Vorfahren der höchſten Pflanzen . . . # 99 <lb/>XXXVIII. # Ein Schlußwort über die Arbeitsteilung . . . . # 101 <lb/>XXXIX. # Rückſchlags-Erſcheinungen der Lebeweſen auf Eigen-<lb/># tümlichkeiten ihrer Vorfahren (Atavismus) . . . # 102 <lb/>XL. # Verkümmerte Organe . . . . . . . . . . # 111 <lb/>XLI. # Die Divergenz der Arten und Formen . . . . . # 116 <lb/>XLII. # Morphologiſche Charaktere . . . . . . . . . # 118 <lb/></note> <pb o="1" file="187" n="187"/> </div> <div xml:id="echoid-div102" type="section" level="1" n="65"> <head xml:id="echoid-head75" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Abſtammungs- oder Deſcendenz-Lehre.</emph></head> <head xml:id="echoid-head76" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Deſcendenz-Lehre, Darwinismus und <lb/>Lamarckismus.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2010" xml:space="preserve">Bei der außerordentlichen Beachtung, welche die Deſcendenz-<lb/>Lehre bei den Gelehrten, die ſich mit dem Studium der Lebe-<lb/>welt beſchäftigen, finden mußte — eine Lehre, die unter dem <lb/>Namen des einen ihrer vorzüglichſten Begründer, der ihr eine <lb/>beſondere Form gegeben hat, beſonders bekannt iſt, nämlich <lb/>unter dem Namen der Darwinſchen Theorie — wurde ſie <lb/>in Kürze bereits in der “Einleitung” zu den Volksbüchern <lb/>und zwar auf S. </s> <s xml:id="echoid-s2011" xml:space="preserve">30—39 behandelt.</s> <s xml:id="echoid-s2012" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2013" xml:space="preserve">Dem freundlichen Leſer wird es angenehm ſein, im Fol-<lb/>genden Ausführlicheres über die Deſcendenz-Lehre zu hören; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2014" xml:space="preserve">wir bitten ihn aber zur Vorbereitung die an der angeführten <lb/>Stelle der Volksbücher über den Gegenſtand gebotenen Kapitel <lb/>vorher zu leſen.</s> <s xml:id="echoid-s2015" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2016" xml:space="preserve">Es iſt genau darauf zu achten, daß die Ausdrücke Deſcen-<lb/>denz-Lehre und Darwinismus oder Darwinſche Theorie nicht <lb/>etwa dasſelbe mit anderen Worten ausdrücken. </s> <s xml:id="echoid-s2017" xml:space="preserve">Die Ab-<lb/>ſtammungs- (Deſcendenz-) Lehre iſt die Lehre, nach</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2018" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s2019" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s2020" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s2021" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="2" file="188" n="188"/> <p> <s xml:id="echoid-s2022" xml:space="preserve">welcher die organiſchen Weſen, wie ſie uns heute entgegen-<lb/>treten, alle mit einander blutsverwandt ſind, d. </s> <s xml:id="echoid-s2023" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2024" xml:space="preserve">die durch <lb/>viele Thatſachen notwendig gewordene wiſſenſchaftliche Anſicht, <lb/>daß alle dieſe Lebeweſen durch einen einzigen Stammbaum <lb/>oder, falls urſprünglich mehrere Organismen gebildet wurden <lb/>— und es iſt in der That nicht einzuſehen warum, wenn ein-<lb/>mal die Bedingungen zur Bildung einfacher Lebeweſen gegeben <lb/>waren, nicht gleichzeitig mehrere entſtanden ſein ſollten — durch <lb/>mehrere Stammbäume bis in die Urzeit der Erde zurückreichen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2025" xml:space="preserve">Die Deſcendenz-Lehre iſt — wenn ſie auch erſt ſpät bei den <lb/>Naturforſchern die gebührende Beachtung fand — doch, wie <lb/>wir ſehen werden, alt: </s> <s xml:id="echoid-s2026" xml:space="preserve">ſehr viel älter als der Darwinismus. </s> <s xml:id="echoid-s2027" xml:space="preserve"><lb/>Der Darwinismus, durch den die Deſcendenz-Lehre erſt <lb/>genügende Einführung in die Wiſſenſchaft gefunden hat und <lb/>zwar nur deshalb, weil der Boden, den die Wiſſenſchaft nun-<lb/>mehr bot, genügend vorbereitet war, iſt einer der Erklärungs-<lb/>verſuche der Abſtammung der Organismen von einander, einer <lb/>der Verſuche, welche die Art und Weiſe klar zu machen ſuchen, <lb/>wie die einzelnen Arten der Lebeweſen, die Mannigfaltigkeit <lb/>derſelben entſtanden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s2028" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2029" xml:space="preserve">Neben dem Darwinismus iſt insbeſondere der Lamarckis-<lb/>mus, der älter als der erſtere iſt, in höchſtem Maße beachtens-<lb/>wert und hat bei einem Teile der heutigen Naturforſcher unter <lb/>dem Namen Neu-Lamarckismus (“Neo-Lamarckismus) ſogar <lb/>den Darwinismus verdrängt. </s> <s xml:id="echoid-s2030" xml:space="preserve">Wie der Darwinismus iſt auch <lb/>der Lamarckismus ein Erklärungsverſuch, beide überhaupt die <lb/>bedeutendſten Erklärungsverſuche der Abſtammung der Lebe-<lb/>weſen. </s> <s xml:id="echoid-s2031" xml:space="preserve">Wir werden dieſelben daher näher kennen zu lernen <lb/>haben und betonen nur vorläufig, daß der Beſtand der De-<lb/>ſcendenz-Lehre nach dem Geſagten ganz unabhängig von dem <lb/>Beſtand des Darwinismus oder Lamarckismus iſt. </s> <s xml:id="echoid-s2032" xml:space="preserve">Sollte alſo <lb/>einer dieſer beiden oder beide weichen müſſen, und im letzteren <lb/>Falle ein dritter Erklärungsverſuch notwendig werden, ſo iſt <pb o="3" file="189" n="189"/> doch die Deſcendenz-Lehre damit nicht erſchüttert. </s> <s xml:id="echoid-s2033" xml:space="preserve">Wir hätten <lb/>alſo feſtzuhalten:</s> <s xml:id="echoid-s2034" xml:space="preserve"/> </p> <figure> <description xml:id="echoid-description2" xml:space="preserve">Deſcendenz-Lehre</description> <description xml:id="echoid-description3" xml:space="preserve">Lamarckismus</description> <description xml:id="echoid-description4" xml:space="preserve">Darwinismus.</description> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div103" type="section" level="1" n="66"> <head xml:id="echoid-head77" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Über das Populariſieren.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2035" xml:space="preserve">Man hört nicht ſelten die Meinung ausſprechen, daß eine <lb/>Populariſierung der Wiſſenſchaften, insbeſondere der Natur-<lb/>wiſſenſchaften, ſchädlich ſei, und eine ſolche Anſicht hat gegen-<lb/>über der Deſcendenz-Lehre beſonders oft Ausdruck gefunden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2036" xml:space="preserve">Deshalb ſei an dieſer Stelle unſere Meinung einmal nach-<lb/>drücklich gekennzeichnet.</s> <s xml:id="echoid-s2037" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2038" xml:space="preserve">Je intenſiver eine Frage unſer Leben ſtreift und alt-<lb/>gewohnte, tiefgewurzelte Anſchauungen zu erſchüttern droht, <lb/>um ſo gewaltiger platzen die Geiſter in der Erörterung der-<lb/>ſelben auf einander. </s> <s xml:id="echoid-s2039" xml:space="preserve">Hier glaubt ſich ein jeder berufen mit-<lb/>zureden und mit zu entſcheiden. </s> <s xml:id="echoid-s2040" xml:space="preserve">Antworten, die die Gemüts-<lb/>bedürfniſſe einflößen, werden mit ſolchen, die der Verſtand <lb/>diktiert, vermengt: </s> <s xml:id="echoid-s2041" xml:space="preserve">Logik giebt’s nicht mehr! So war’s auch <lb/>im Kampf um die als Darwinſche Theorie allgemein bekannte <lb/>Anſchauung der gemeinſamen Blutsabſtammung aller organi-<lb/>ſchen Weſen.</s> <s xml:id="echoid-s2042" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2043" xml:space="preserve">Begeiſterte Anhänger wie Ernſt Haeckel und Ludwig <lb/>Büchner behandeln ihr Thema mit wahrem Feuereifer. </s> <s xml:id="echoid-s2044" xml:space="preserve">Sie <lb/>möchten — das ſieht man aus jeder Zeile ihrer Schriften — <lb/>die ganze Welt von der Richtigkeit der von den Naturforſchern <lb/>gewonnenen Einſicht überzeugen. </s> <s xml:id="echoid-s2045" xml:space="preserve">Iſt dieſes Streben auch durch- <pb o="4" file="190" n="190"/> aus verſtändlich, ſo iſt es doch gut, wenn man ſich auch ein-<lb/>mal klar macht, daß die Erreichung desſelben wahrſcheinlich zu <lb/>den Unmöglichkeiten gehört. </s> <s xml:id="echoid-s2046" xml:space="preserve">Stets wird es wohl Menſchen <lb/>geben, deren Hauptneigung nicht in der Erkenntnis der Wahr-<lb/>heit liegt, die nicht “wiſſen” wollen, ſondern die es vorziehen, <lb/>dort, wo Gefühle und Wünſche in Frage kommen, zu “glau-<lb/>ben”, auch wenn die Logik entgegenſteht.</s> <s xml:id="echoid-s2047" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2048" xml:space="preserve">Soll man dies tadeln? </s> <s xml:id="echoid-s2049" xml:space="preserve">“Phantaſie”, — ſagt Honoré de <lb/>Balzac einmal — “ich bedarf deiner Narrheit! Dulde nicht, <lb/>daß die Fackeln der Wahrheit je deine Fittiche verſengen! <lb/>Gleich der Welt ziehe auch ich eine glänzende Täuſchung <lb/>traurigen Wahrheiten vor; </s> <s xml:id="echoid-s2050" xml:space="preserve">erheitere meinen Kummer, decke mit <lb/>unwahrem Schleier die Vergangenheit und die Zukunft und <lb/>winde eine Blumenkrone, welche die Gegenwart verſchönt.</s> <s xml:id="echoid-s2051" xml:space="preserve">” <lb/>Wer ſo aufrichtig ſeinen Standpunkt kundgiebt und nicht <lb/>Glaubens-Lehrſätze (Dogmen) und wiſſenſchaftliche Ver-<lb/>mutungen (Theorien) zuſammenwirft, dem iſt kein Vorwurf zu <lb/>machen. </s> <s xml:id="echoid-s2052" xml:space="preserve">Der ernſte Naturforſcher aber ſchreibt eine andere <lb/>Deviſe auf ſeine Fahne: </s> <s xml:id="echoid-s2053" xml:space="preserve">er will erkennen, was die Welt im <lb/>Innerſten zuſammenhält. </s> <s xml:id="echoid-s2054" xml:space="preserve">Iſt es ihm auch klar, daß dieſes <lb/>Ziel in ſeinem letzten Ende unerreichbar iſt, ſo ſtrebt er doch <lb/>dahin, die Entſcheidung aller Fragen, auch derjenigen, welche <lb/>die Phantaſie ſtark beeinflußt hat, dem einzigen Mittel über-<lb/>laſſend, das es giebt: </s> <s xml:id="echoid-s2055" xml:space="preserve">dem Verſtande.</s> <s xml:id="echoid-s2056" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2057" xml:space="preserve">Aber nicht nur die geiſtigen Führer ſcharen ſich um die <lb/>beiden Fahnen, ſie oft verteidigend, auch der geiſtig hochſtehende <lb/>Laie entſcheidet ſich für eine derſelben oder ſucht doch, ſich an <lb/>eigens für ihn geſchriebenen Büchern und durch Anhörung von <lb/>Vorträgen bildend, ſeine Partei zu finden. </s> <s xml:id="echoid-s2058" xml:space="preserve">An der Anerkennung <lb/>oder Nichtanerkennung der Deſcendenz-Theorie kann man wegen <lb/>ihrer fundamentalen Wichtigkeit jene beiden Parteien leicht <lb/>unterſcheiden, und dieſe Theorie mit all ihren Ausläufen ver-<lb/>ſtehen zu lernen, muß daher eines der Ziele jedes Denkenden <pb o="5" file="191" n="191"/> ſein. </s> <s xml:id="echoid-s2059" xml:space="preserve">Populäre Schriften und Vorträge ſind die einzigen, <lb/>die dem Laien Verſtändnis bringen können. </s> <s xml:id="echoid-s2060" xml:space="preserve">Die größten Ge-<lb/>lehrten haben ſich an dieſer edlen Aufgabe beteiligt und ihre <lb/>Namen ſollten jene zum Schweigen bringen, welche das Popu-<lb/>lariſieren nicht für recht halten. </s> <s xml:id="echoid-s2061" xml:space="preserve">Nur an jedermann Bekanntes <lb/>ſei erinnert, wenn außer den ſchon obengenannten noch andere <lb/>genannt werden. </s> <s xml:id="echoid-s2062" xml:space="preserve">Wer dächte, wenn er die Namen A. </s> <s xml:id="echoid-s2063" xml:space="preserve">v. </s> <s xml:id="echoid-s2064" xml:space="preserve">Hum-<lb/>boldt, Liebig, Helmholtz, du Bois-Reymond, Virchow, <lb/>aber auch Faraday, Tyndall, Claude Bernard hört, <lb/>nicht alsbald auch an die Thätigkeit dieſer Männer im Sinne der <lb/>Verbreitung der Reſultate ihrer Wiſſenſchaft unters Volk? </s> <s xml:id="echoid-s2065" xml:space="preserve">Die <lb/>Feindſchaft gegen das Populariſieren hat nur zu oft eine un-<lb/>lautere Quelle. </s> <s xml:id="echoid-s2066" xml:space="preserve">Nicht ſelten kann man nämlich bemerken, daß die-<lb/>jenigen Gelehrten das Populariſieren für ſchädlich, unwürdig, <lb/>oder wie ſie es ſonſt nennen mögen, halten, die nicht die Fähigkeit <lb/>haben, einfache, leicht verſtändliche Sätze zu ſchreiben und — <lb/>denen die Kunſt der Beredſamkeit abgeht. </s> <s xml:id="echoid-s2067" xml:space="preserve">Was nun aber die <lb/>Laien betrifft, die hier und da dieſen Gelehrten nachbeten, ſo <lb/>kann nur geſagt werden, daß, wenn ein ſolcher ſich gegen das <lb/>Populariſieren der Wiſſenſchaften ausſpricht, er eine bedenkliche <lb/>Intereſſenloſigkeit den höchſten Fragen gegenüber verrät, die <lb/>den Menſchen überhaupt zu bewegen imſtande ſind; </s> <s xml:id="echoid-s2068" xml:space="preserve">und dieſe <lb/>Gleichgültigen, denen ein Hinweis auf das, was außerhalb des <lb/>Alltäglichen liegt, keinen Reiz zu bieten vermag, können über-<lb/>haupt nicht in Betracht kommen.</s> <s xml:id="echoid-s2069" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2070" xml:space="preserve">Soll alſo der Laie, dem der Trieb innewohnt, über das <lb/>Erſte und Letzte der Welt eine Anſchauung zu erſtreben, dieſem <lb/>Triebe — wenn ihm die Mühſal im täglichen Kampf ums <lb/>Daſein Zeit läßt — folgen? </s> <s xml:id="echoid-s2071" xml:space="preserve">Oder ſoll er ſein Streben, eine <lb/>Befriedigung zu erringen, aufgeben? </s> <s xml:id="echoid-s2072" xml:space="preserve">Es iſt nichts thörichter <lb/>und voreiliger, als ſchnell auf die letzte Frage — wie man oft <lb/>genug hören kann — zu antworten: </s> <s xml:id="echoid-s2073" xml:space="preserve">“ja, denn es kommt nichts <lb/>dabei heraus”. </s> <s xml:id="echoid-s2074" xml:space="preserve">Sehr ſchön und in gewiſſer Beziehung auch <pb o="6" file="192" n="192"/> wahr. </s> <s xml:id="echoid-s2075" xml:space="preserve">Aber zeigt nicht auch ein ehrliches Forſchen dem Ge-<lb/>lehrten in einem fort Grenzen unſeres Erkennens auf? </s> <s xml:id="echoid-s2076" xml:space="preserve">Kommt <lb/>alſo bei dieſem das erſtrebte letzte Ziel ganz heraus? </s> <s xml:id="echoid-s2077" xml:space="preserve">Arbeitet <lb/>der wahre Gelehrte nicht trotzdem weiter? </s> <s xml:id="echoid-s2078" xml:space="preserve">Warum? </s> <s xml:id="echoid-s2079" xml:space="preserve">Nun im <lb/>Grunde doch nur, weil er ſeinem Triebe zu forſchen und zu <lb/>denken, das ihm ſchon ſo viele Befriedigung gewährt hat, nicht <lb/>wehren kann und mag, alſo weil es zu ſeinem Lebensbeſtande <lb/>gehört. </s> <s xml:id="echoid-s2080" xml:space="preserve">Und ſollte wirklich nicht jeder Menſch das Recht haben <lb/>zu denken und den Stoff ſeines Nachdenkens aus einem Gebiete <lb/>zu holen, das ihm beliebt? </s> <s xml:id="echoid-s2081" xml:space="preserve">Freilich — wenn wir uns einmal <lb/>auf den Standpunkt des Nutzens der wiſſenſchaftlichen <lb/>Forſchung ſtellen wollen — es kann vorkommen, daß die Ge-<lb/>danken in falſche Bahnen gelenkt werden, die dann zerſetzend <lb/>auf das Leben und die Umgebung des Strebenden einwirken, <lb/>wie wir denn überall von Gefahren umringt ſind; </s> <s xml:id="echoid-s2082" xml:space="preserve">aber wir <lb/>glauben mit vielen anderen, daß die Gefahren, die aus einer <lb/>ehrlichen Beſchäftigung mit der Naturwiſſenſchaft kommen, null <lb/>und nichtig ſind gegen die Gefahren, welche dem Menſchen aus <lb/>der blöden Unkenntnis auch der elementarſten Naturerſchei-<lb/>nungen erwachſen.</s> <s xml:id="echoid-s2083" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div104" type="section" level="1" n="67"> <head xml:id="echoid-head78" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Einige wichtige Begriffe der Deſcendenzlehre.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2084" xml:space="preserve">Wie die Alltagsſprache ſich dem Bedürfnis des Verkehrs <lb/>und Umganges unter den Menſchen beſondere Worte für be-<lb/>ſondere Begriffe ſchafft, ſo auch die wiſſenſchaftliche Sprache, <lb/>die mit den Worten des Alltags nicht immer auskommt, da <lb/>ſie vielfach zu neuen Begriffen kommt, die daher auch be-<lb/>ſondere Ausdrücke verlangen.</s> <s xml:id="echoid-s2085" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2086" xml:space="preserve">Einer der wichtigſten Begriffe der Deſcendenzlehre iſt <lb/>derjenige der “Art” (species). </s> <s xml:id="echoid-s2087" xml:space="preserve">Unter einer Art begreift <pb o="7" file="193" n="193"/> man diejenigen Einzelweſen, die untereinander am ähnlichſten <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2088" xml:space="preserve">So rechnet man alle die einzelnen Haus-Pferde zu einer <lb/>Art, eben zu der Art Haus-Pferd, im Gegenſatz zu Tieren, <lb/>die zwar dem Pferde ähnlich ſind, ſich aber deutlich und jeder-<lb/>mann leicht erſichtlich von ihm unterſcheiden, wie etwa der <lb/>Eſel, das Zebra u. </s> <s xml:id="echoid-s2089" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2090" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s2091" xml:space="preserve">, die alſo <emph style="sp">beſondere</emph> “Arten” bilden.</s> <s xml:id="echoid-s2092" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2093" xml:space="preserve">Die frühere Wiſſenſchaft hielt die “<emph style="sp">Beſtändigkeit der <lb/>Arten</emph>“ für ausgemacht, d. </s> <s xml:id="echoid-s2094" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2095" xml:space="preserve">ſie nahm an, daß ſie ur-<lb/>ſprünglich und ſeit jeher, ſolange es auf der Erde Organismen <lb/>giebt, in derſelben Form wie heute, ganz unwandelbar und <lb/>unabänderlich beſtanden haben, ohne jeden gegenſeitigen Zu-<lb/>ſammenhang.</s> <s xml:id="echoid-s2096" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2097" xml:space="preserve"><emph style="sp">Carl Linné’s</emph> (1707—1778) bekannter lateiniſcher Aus-<lb/>ſpruch, den wir hier überſetzt geben: </s> <s xml:id="echoid-s2098" xml:space="preserve">“Soviel verſchiedene <lb/>Arten giebt es, wie verſchiedene Formen zu Anfang vom un-<lb/>endlichen Weſen geſchaffen ſind”, drückt den Standpunkt der <lb/>maßgebenden Naturforſcher auch noch in der erſten Hälfte <lb/>unſeres Jahrhunderts ſchlagend aus.</s> <s xml:id="echoid-s2099" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2100" xml:space="preserve">Schlüſſe, welche die Beſtändigkeit der Arten begründen <lb/>ſollen, die ſich auf Thatſachen ſtützen, die der menſchengeſchicht-<lb/>lichen Zeit entnommen ſind, ſind ohne jeden Wert. </s> <s xml:id="echoid-s2101" xml:space="preserve">So hatte <lb/>der Gegner Lamarck’s, ein Zeitgenoſſe dieſes franzöſiſchen Zoo-<lb/>logen, G. </s> <s xml:id="echoid-s2102" xml:space="preserve">Cuvier (1769—1832), auf die Beſtändigkeit der <lb/>Arten geſchloſſen, weil die als Mumien in Egypten erhaltenen <lb/>Katzen, Ibiſſe und Krokodile ganz genau den heute noch in <lb/>Egypten lebenden gleichen. </s> <s xml:id="echoid-s2103" xml:space="preserve">Solcher Beiſpiele laſſen ſich noch <lb/>viel auffallendere finden: </s> <s xml:id="echoid-s2104" xml:space="preserve">in der Kreidezeit, lange, lange vor <lb/>Auftreten des Menſchen auf der Erde, lebten bereits einige <lb/>Pflanzenarten, die heute ganz genau, ununterſcheidbar gleich <lb/>noch in den Tropen vorkommen.</s> <s xml:id="echoid-s2105" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2106" xml:space="preserve">Warum ſollen ſich denn Lebeweſen ändern, wenn die <lb/>äußeren Verhältniſſe ihrer Umgebung für ihre Lebensbedürfniſſe <lb/>die genau gleichen bleiben?</s> <s xml:id="echoid-s2107" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="8" file="194" n="194"/> <p> <s xml:id="echoid-s2108" xml:space="preserve">Ändern ſich die Verhältniſſe, nun ſo muß ſich eine Art <lb/>denſelben anpaſſen, wodurch ſie eben allmählich eine andere <lb/>Art wird, oder kann ſie das nicht, ſo geht ſie zu Grunde, und <lb/>wir wiſſen ja, daß viele Arten ausgeſtorben ſind, ſodaß wir <lb/>ihr ehemaliges Vorhandenſein nur noch erkennen, weil ſie als <lb/>Foſſilien erhalten ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2109" xml:space="preserve">Andere Foſſilien ergeben ſich als die <lb/>Vorfahren heutiger Arten und Arten-Gruppen und geben ſo <lb/>Kunde, daß hier eine Anpaſſung an neue Verhältniſſe ſtatt-<lb/>gefunden hat.</s> <s xml:id="echoid-s2110" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2111" xml:space="preserve">Es wurde viele, freilich wenig fruchtbare Mühe und Arbeit <lb/>darauf verwandt, die abſoluten Arten genau zu trennen, und <lb/>ſo feſt war früher der Gedanke der ewigen Beſtändigkeit der <lb/>Arten eingewurzelt, daß auch ein vergebliches Bemühen nach <lb/>dieſer Richtung dieſes Vorgehen nicht unterbrach.</s> <s xml:id="echoid-s2112" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2113" xml:space="preserve">Der berühmte Botaniker A. </s> <s xml:id="echoid-s2114" xml:space="preserve">de Candolle ſagte jedoch: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2115" xml:space="preserve">“Diejenigen ſind im Irrtum, welche immer wiederholen, daß <lb/>die Mehrzahl unſerer Arten deutlich begrenzt und daß die <lb/>zweifelhaften Spezies in einer geringen Minorität ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2116" xml:space="preserve">Dies <lb/>ſchien ſo lange wahr zu ſein, als man eine Gattung nur un-<lb/>vollkommen kannte und ihre Arten auf bloß wenige Exemplare <lb/>gegründet wurden. </s> <s xml:id="echoid-s2117" xml:space="preserve">Sobald wir aber dazu kommen, ſie beſſer <lb/>kennen zu lernen, ſtrömen die Zwiſchenformen herbei und die <lb/>Zweifel über die Grenzen der Arten tauchen auf.</s> <s xml:id="echoid-s2118" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2119" xml:space="preserve">Kein Einzelweſen gleicht vollkommen und abſolut zum <lb/>Verwechſeln einem anderen Einzelweſen derſelben Art, z. </s> <s xml:id="echoid-s2120" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2121" xml:space="preserve">ſind die Kinder ſtets von ihren Eltern zu unterſcheiden, und <lb/>wenn uns das auch bei den Tieren weniger auffallend iſt <lb/>als beim Menſchen, ſo beruht das nur darauf, daß wir bei <lb/>den letztgenannten mehr Übung in ſolchen individuellen Unter-<lb/>ſcheidungen haben als bei den Tieren.</s> <s xml:id="echoid-s2122" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2123" xml:space="preserve">Dieſe Thatſache wird die Veränderlichkeit (Variation) <lb/>der Arten genannt.</s> <s xml:id="echoid-s2124" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2125" xml:space="preserve">Je nach Beobachtungsgabe, eingehenderer oder oberfläch- <pb o="9" file="195" n="195"/> licherer Beſchäftigung mit beſtimmten Gruppen wird der eine <lb/>noch Unterſchiede, die ihm genügend ſcheinen, um Arten zu <lb/>trennen, finden oder aber hierzu für wichtig halten, während <lb/>einem anderen die Unterſchiede zur Artentrennung nicht hin-<lb/>reichend ſein werden. </s> <s xml:id="echoid-s2126" xml:space="preserve">So unterſcheidet der eine mehrere <lb/>Menſchenarten, der andere aber hält es für beſſer, nur von <lb/>einer einzigen Menſchenart zu reden, indem dieſer die auf-<lb/>fallenden Unterſchiede, wie ſie vom Neger im Vergleich zum <lb/>Kaukaſier u. </s> <s xml:id="echoid-s2127" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2128" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2129" xml:space="preserve">geboten werden, nicht für klaffend <lb/>genug hält.</s> <s xml:id="echoid-s2130" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2131" xml:space="preserve">Daß aber einer ſolchen Verſchiedenheit der Anſichten ganz <lb/>und gar keine grundlegende (prinzipielle) Wichtigkeit zukommt, <lb/>erhellt aus dem über die Begriffsbeſtimmung der Art Geſagten <lb/>zur Genüge.</s> <s xml:id="echoid-s2132" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2133" xml:space="preserve">Oft trennen die Forſcher eine Gruppe von Lebeweſen in <lb/>zwei Arten, die nach Kenntnis von vermittelnden Übergängen <lb/>wieder zu einer einzigen Art zuſammengezogen werden, wie <lb/>man neuerdings — nachdem zwiſchen Tiger und Löwe Mittel-<lb/>formen bekannt geworden ſind — dieſe beiden Arten hier und <lb/>da nunmehr als eine einzige betrachten möchte. </s> <s xml:id="echoid-s2134" xml:space="preserve">So ſagt dies-<lb/>bezüglich der Säugetierkenner P. </s> <s xml:id="echoid-s2135" xml:space="preserve">Matſchie: </s> <s xml:id="echoid-s2136" xml:space="preserve">“Löwe und Tiger <lb/>ſind ſehr nahe Verwandte, ſie ſind nur geographiſche Abarten <lb/>einer und derſelben Form. </s> <s xml:id="echoid-s2137" xml:space="preserve">Gerade wie der Einhufer im Kap-<lb/>lande als Bergzebra, im Vaalgebiete als Quagga, in Central-<lb/>Aſien als Wildeſel in die Erſcheinung tritt, ſo hat ſich in <lb/>Afrika die größte lebende Katzenart als Löwe, in Süd-Aſien <lb/>als Tiger ausgebildet. </s> <s xml:id="echoid-s2138" xml:space="preserve">Löwe und Tiger ſind allerdings an-<lb/>ſcheinend ſehr verſchieden, und niemand wird an die Zuſammen-<lb/>gehörigkeit dieſer beiden Formen glauben, ſo lange er nicht <lb/>Löwen geſehen hat, die in ihrer Erſcheinung an den Tiger <lb/>erinnern, und Tiger, welche mit dem Löwen Ähnlichkeit haben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2139" xml:space="preserve">Erſt in allerneueſter Zeit haben die im Berliner Zoologiſchen <lb/>Garten ausgeſtellten Turkmenentiger eine Breſche in die bisher <pb o="10" file="196" n="196"/> herrſchenden allgemeinen Anſchauungen geſchlagen. </s> <s xml:id="echoid-s2140" xml:space="preserve">Sie haben <lb/>ſoviel von der Geſtalt des Löwen, daß man wohl oder übel <lb/>daran glauben muß, daß Löwe und Tiger Tierformen einer <lb/>Art darſtellen, welche ſich in verſchiedenen geographiſchen Ge-<lb/>bieten erſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s2141" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2142" xml:space="preserve">Im Grunde genommen ſind Streitereien, wie weit eine <lb/>Art reicht, was noch zu ihr gehört und was nicht, belanglos. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2143" xml:space="preserve">Es iſt in Wirklichkeit eine rein praktiſche Frage, wie man die <lb/>Arten abgrenzen will.</s> <s xml:id="echoid-s2144" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2145" xml:space="preserve">Eine als ſolche anerkannte Art, die in mehrere Formen <lb/>zerfällt, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s2146" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2147" xml:space="preserve">der Hund, das Pferd, die Taube u. </s> <s xml:id="echoid-s2148" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2149" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s2150" xml:space="preserve">, <lb/>zerfällt, wie der gebräuchliche Ausdruck lautet, in <emph style="sp">Abarten, <lb/>Unterarten, Spielarten, Raſſen, Varietäten</emph> oder <lb/><emph style="sp">Subſpecies</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s2151" xml:space="preserve">Mops, Spitz, Dogge, Bernhardiner u. </s> <s xml:id="echoid-s2152" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2153" xml:space="preserve">w. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2154" xml:space="preserve">wären alſo Unterarten der Art Hund.</s> <s xml:id="echoid-s2155" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2156" xml:space="preserve">Die Arten werden nun gruppiert zu Geſchlechtern, <lb/>Gattungen (genera; </s> <s xml:id="echoid-s2157" xml:space="preserve">Gattung = genus).</s> <s xml:id="echoid-s2158" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2159" xml:space="preserve">Die ähnlichſten, alſo nächſt-verwandten Gattungen werden <lb/>zu Familien vereinigt und die ähnlichſten Familien in <lb/><emph style="sp">Ordnungen</emph> oder <emph style="sp">Reihen</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s2160" xml:space="preserve">Darauf folgen als höhere <lb/>Gruppen die <emph style="sp">Klaſſen</emph> und dann noch weitere Haupt-<lb/>abteilungen. </s> <s xml:id="echoid-s2161" xml:space="preserve">Jede einzelne Gruppe kann wieder je nach Be-<lb/>dürfnis in mehrere Untergruppen, alſo <emph style="sp">Unterfamilien, <lb/>Untergattungen</emph> u. </s> <s xml:id="echoid-s2162" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2163" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2164" xml:space="preserve">zerlegt werden.</s> <s xml:id="echoid-s2165" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2166" xml:space="preserve">Um eine Überſicht über den außerordentlichen Artenreich-<lb/>tum, den die Erde bietet, gewinnen zu können, muß das vor-<lb/>handene Material irgendwie geordnet, d. </s> <s xml:id="echoid-s2167" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2168" xml:space="preserve">in ein <emph style="sp">Syſtem</emph> <lb/>gebracht werden.</s> <s xml:id="echoid-s2169" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2170" xml:space="preserve">Bei wiſſenſchaftlichen Arten-Bezeichnungen bedient man <lb/>ſich einer beſonderen, in ihrer Bildung dem Lateiniſchen ange-<lb/>lehnten und meiſt entnommenen Sprache; </s> <s xml:id="echoid-s2171" xml:space="preserve">es geſchieht dies, <lb/>um überall (international) verſtändlich zu ſein, da naturgemäß <lb/>einheimiſche Namen, die überdies ſehr wechſeln (ſo heißt das <pb o="11" file="197" n="197"/> Maiglöckchen in Schleſien Springauf, während dort als Mai-<lb/>blume eine Pflanze bezeichnet wird, die z. </s> <s xml:id="echoid-s2172" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2173" xml:space="preserve">in der Mark <lb/>Brandenburg Löwenzahn heißt), ſchon deshalb unbrauchbar <lb/>ſind, weil die auffälligeren Pflanzen z. </s> <s xml:id="echoid-s2174" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2175" xml:space="preserve">ſehr viele deutſche <lb/>Namen beſitzen, während die meiſten Lebeweſen überhaupt <lb/>keine Volks-Namen haben.</s> <s xml:id="echoid-s2176" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2177" xml:space="preserve">Der ſchwediſche Naturforſcher <emph style="sp">Carl Linné</emph> hat die zwei-<lb/>teilige Namengebung (binäre Nomenclatur) eingeführt. </s> <s xml:id="echoid-s2178" xml:space="preserve">So <lb/>nennt man das Katzengeſchlecht, zu welchem die Hauskatze, der <lb/>Panther, der Tiger, der Löwe u. </s> <s xml:id="echoid-s2179" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2180" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2181" xml:space="preserve">gehören, wiſſenſchaftlich <lb/>Felis, der Löwe heißt nun Felis leo und der Tiger Felis <lb/>tigris u. </s> <s xml:id="echoid-s2182" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2183" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s2184" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2185" xml:space="preserve">Die Gattung Veilchen, mit wiſſenſchaftlichem Namen <lb/>Viola, beſteht aus mehreren Arten, z. </s> <s xml:id="echoid-s2186" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2187" xml:space="preserve">dem Sumpfveilchen <lb/>(V. </s> <s xml:id="echoid-s2188" xml:space="preserve">palustris), dem Ackerveilchen (V. </s> <s xml:id="echoid-s2189" xml:space="preserve">tricolor), dem wohl-<lb/>riechenden Veilchen (V. </s> <s xml:id="echoid-s2190" xml:space="preserve">odorata) u. </s> <s xml:id="echoid-s2191" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2192" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s2193" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2194" xml:space="preserve">Die Deszendenz-(Abſtammungs-) Lehre bemüht ſich nun, <lb/>die <emph style="sp">Abſtammung</emph> der <emph style="sp">Arten</emph> feſtzuſtellen; </s> <s xml:id="echoid-s2195" xml:space="preserve">man ſpricht daher <lb/>von einer <emph style="sp">Stammes-Geſchichte</emph> (<emph style="sp">Phylogenie</emph>).</s> <s xml:id="echoid-s2196" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2197" xml:space="preserve">Auch das Individuum hat natürlich eine Geſchichte; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2198" xml:space="preserve">zuerſt, als Ei, iſt es ja eine einzige, ungegliederte Zelle; </s> <s xml:id="echoid-s2199" xml:space="preserve">ſo-<lb/>fern es ſich um ein höheres Weſen handelt, macht ja dieſes <lb/>Ei eine komplizierte Entwickelung durch, und die Wiſſenſchaft, <lb/>die ſich mit der Erforſchung der Entwickelung der Einzelweſen <lb/>beſchäftigt, heißt <emph style="sp">Ontogenie</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s2200" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2201" xml:space="preserve">Obwohl nun die Einzelweſen variieren, ſo ſind ſie doch <lb/>ſtets in höherem Grade ihren Eltern ähnlich als irgend welche <lb/>anderen Einzelweſen, die von anderen Eltern abſtammen; </s> <s xml:id="echoid-s2202" xml:space="preserve">es iſt <lb/>eben die Verwandtſchaft an dem höheren Maß der Ähnlichkeit <lb/>zu erkennen. </s> <s xml:id="echoid-s2203" xml:space="preserve">Mit anderen Worten: </s> <s xml:id="echoid-s2204" xml:space="preserve">die Weſen haben die <lb/>Neigung, ihre beſonderen Eigentümlichkeiten auf ihre Nach-<lb/>kommen zu <emph style="sp">vererben</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s2205" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2206" xml:space="preserve">Nach der Abſtammungslehre haben ſich alſo die höher <pb o="12" file="198" n="198"/> organiſierten Lebeweſen, d. </s> <s xml:id="echoid-s2207" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2208" xml:space="preserve">diejenigen, welche am kom-<lb/>plizierteſten gebaut ſind, bei denen die Verteilung der mannig-<lb/>faltigen Lebens-Arbeiten auf viele verſchiedene Organe ſtatt-<lb/>gefunden hat, am meiſten in ihrem Baue geändert. </s> <s xml:id="echoid-s2209" xml:space="preserve">Da eine <lb/>Veränderung natürlich immer im Anſchluß an das bereits bei <lb/>den Vorfahren Vorhandene geſchieht, ſo wird ſich oftmals <lb/>wahrſcheinlich machen laſſen, daß ein beſtimmtes Organ im <lb/>Verlauf der Generationen durch Umbildung aus einem anderen <lb/>beſtimmten Organ hevorgegangen iſt, oder, wie die Wiſſenſchaft <lb/>ſagt, eine <emph style="sp">Metamorphoſe</emph> (eine Umwandlung oder Ver-<lb/>wandlung) erlitten hat. </s> <s xml:id="echoid-s2210" xml:space="preserve">Wenn wir alſo ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s2211" xml:space="preserve">die bei einer <lb/>beſtimmten Art vorhandenen Ranken, welche ſchwächlich ge-<lb/>baute Gewächſe an widerſtandsfähige Teile zu befeſtigen ver-<lb/>mögen, ſind metamorphiſierte Blätter reſp. </s> <s xml:id="echoid-s2212" xml:space="preserve">Teile von Blättern, <lb/>und bei einer anderen Art, wie beim Weinſtock u. </s> <s xml:id="echoid-s2213" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2214" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2215" xml:space="preserve">meta-<lb/>morphoſierte Sproſſe, ſo ſoll das nach dem Geſagten ein <lb/>kurzer Ausdruck für die Meinung ſein, daß die Vorfahren der <lb/>fraglichen Pflanzen an Stelle der Ranken Blätter reſp. </s> <s xml:id="echoid-s2216" xml:space="preserve">Sproſſe <lb/>getragen haben, ſodaß alſo die Ranken im Laufe der Gene-<lb/>rationen aus dieſen Organen hervorgegangen wären.</s> <s xml:id="echoid-s2217" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2218" xml:space="preserve">Bei einer Pflanze, bei welcher wir in dieſer Weiſe die <lb/>Entſtehung eines Organes b aus einem Organ a annehmen <lb/>dürfen, nennen wir dieſe Organe <emph style="sp">homolog</emph>; </s> <s xml:id="echoid-s2219" xml:space="preserve">wo wir z. </s> <s xml:id="echoid-s2220" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2221" xml:space="preserve">anzunehmen berechtigt ſind, daß Ranken im Verlaufe der Gene-<lb/>rationen aus Blättern hervorgegangen ſind, nennt man die <lb/>Ranken und Blätter gleichwertig (homolog).</s> <s xml:id="echoid-s2222" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2223" xml:space="preserve">Sage ich alſo, Ranke und Blatt oder Ranke und Sproß <lb/>ſind einander homolog, ſo bleibt es ungewiß, welches von den <lb/>beiden Organen aus dem anderen hervorgegangen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s2224" xml:space="preserve">In <lb/>dieſem Falle kann man jedoch Gründe für die erſterwähnte <lb/>Auffaſſung beibringen, indem Ranken den Pflanzen nicht all-<lb/>gemein zukommen und die am komplizierteſten gebauten Arten <lb/>vorwiegend ſpäter entſtanden ſind als weniger hoch organiſierte.</s> <s xml:id="echoid-s2225" xml:space="preserve"> <pb o="13" file="199" n="199"/> Den Rankenbeſitzern iſt in den Ranken ein Organ mehr ge-<lb/>geben als ihren rankenloſen Verwandten, und ſie werden das-<lb/>ſelbe erſt ſpäter erworben haben.</s> <s xml:id="echoid-s2226" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2227" xml:space="preserve">Die Ranken wären alſo in dem angenommenen Fall — <lb/>wie ſchon geſagt — metamorphoſierte Blätter, aber nicht um-<lb/>gekehrt die Blätter metamorphoſierte Ranken.</s> <s xml:id="echoid-s2228" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2229" xml:space="preserve">Es kann vorkommen, daß ein bei den Vorfahren nützliches <lb/>Organ ſpäter zum Leben unnötig wird, wenn die Lebens-<lb/>bedingungen andere werden, und es kann dann allmählich <lb/>ſeine charakteriſtiſche Ausbildung und ſeine Größe verlieren <lb/>oder auch ganz verſchwinden. </s> <s xml:id="echoid-s2230" xml:space="preserve">Von dieſen Geſichtspunkten <lb/>aus ſpricht man im erſten Falle von <emph style="sp">verkümmerten</emph> (<emph style="sp">rudi-<lb/>mentären</emph>), im zweiten Falle von <emph style="sp">fehlgeſchlagenen, ver-<lb/>ſchwundenen</emph> (<emph style="sp">abortierten</emph>) Organen.</s> <s xml:id="echoid-s2231" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2232" xml:space="preserve">Das wären die wichtigſten Begriffe, die in der Lehre von <lb/>der Abſtammung der Lebeweſen, in der Lehre von der “Ent-<lb/>ſtehung der Arten” in Betracht kommen, und wir können es, <lb/>mit dieſen wenigen Begriffen ausgerüſtet, nunmehr wagen, <lb/>der Lehre ſelbſt etwas eingehender näherzutreten.</s> <s xml:id="echoid-s2233" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div105" type="section" level="1" n="68"> <head xml:id="echoid-head79" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Anſicht über die Herkunft der Lebeweſen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2234" xml:space="preserve">Die außerordentliche Beachtung, welche unter den Deſcen-<lb/>denz-Lehren ſpeziell die <emph style="sp">Darwinſche Theorie</emph> in den weiteſten <lb/>auch außerhalb der Naturwiſſenſchaft liegenden Kreiſen ge-<lb/>funden hat, mag es rechtfertigen, hier vorerſt die Geſchichte <lb/>dieſer bedeutungsvollen Theorie kurz zu beſprechen.</s> <s xml:id="echoid-s2235" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2236" xml:space="preserve">Woher kommen die organiſchen Weſen? </s> <s xml:id="echoid-s2237" xml:space="preserve">Dieſe Frage <lb/>haben die Menſchen von alters her zu löſen getrachtet, und ſie <lb/>hat daher auch ſchon die mannigfaltigſten Löſungen gefunden;</s> <s xml:id="echoid-s2238" xml:space="preserve"> <pb o="14" file="200" n="200"/> im weſentlichen laſſen ſich jedoch drei Anſichten unterſcheiden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2239" xml:space="preserve">Als 1. </s> <s xml:id="echoid-s2240" xml:space="preserve">muß diejenige angeführt werden, nach welcher die ein-<lb/>zelnen Arten der Lebeweſen, wie ſie da ſind, von einem höheren <lb/>Weſen <emph style="sp">erſchaffen</emph> wurden, als 2. </s> <s xml:id="echoid-s2241" xml:space="preserve">diejenige, welche die Arten <lb/>unabhängig von einem elterlichen Organismus, alſo ohne Hin-<lb/>zuthun von ihresgleichen entſtehen läßt, allein durch das Zu-<lb/>ſammenwirken von Kräften und Stoffen der unorganiſchen <lb/>Natur: </s> <s xml:id="echoid-s2242" xml:space="preserve">durch “<emph style="sp">Urzeugung</emph>“. </s> <s xml:id="echoid-s2243" xml:space="preserve">Eine ſolche Urzeugung nahm <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s2244" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2245" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ariſtoteles</emph> für die Aale und Fröſche an, welche er <lb/>im Schlamme entſtehen ließ, und es wurde an einer anderen <lb/>Stelle der Volksbücher ſchon darauf hingewieſen, daß die <lb/>Fabrikation eines “Homunculus” (eines “kleinen Menſchen”) <lb/>in der Retorte, wie ihn Goethe durch Fauſts Famulus und <lb/>Schüler Wagner herrichten läßt, ebenfalls in das Gebiet der <lb/>Urzeugung gehört. </s> <s xml:id="echoid-s2246" xml:space="preserve">Was nun endlich 3. </s> <s xml:id="echoid-s2247" xml:space="preserve">die <emph style="sp">Abſtammungs-<lb/>Lehre</emph> betrifft, welcher Darwin huldigte, ſo ſind von dieſer <lb/>auch denjenigen, die außerhalb der engeren Wiſſenſchaft ſtehen, <lb/>die Prinzipien bekannt geworden, weil dieſelbe auch verſuchte, <lb/>in naturwiſſenſchaftlicher Weiſe den Urſprung des Menſchen-<lb/>geſchlechts feſtzuſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s2248" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2249" xml:space="preserve">Die drei angeführten Lehren gehen von der Anſicht aus, <lb/>daß die unorganiſche Natur vor der organiſchen beſtanden <lb/>habe; </s> <s xml:id="echoid-s2250" xml:space="preserve">aber es iſt auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen <lb/>worden, daß ſowohl das organiſche Leben als auch die un-<lb/>organiſche Materie von Ewigkeit her beſtehen, und Preyer <lb/>(1841—1897) meint gar, daß im Anfange nur organiſche <lb/>Materie vorhanden geweſen ſei, die durch Abſterben die un-<lb/>organiſche erzeugt habe.</s> <s xml:id="echoid-s2251" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2252" xml:space="preserve">Für den genau vorgehenden (“exakten”) Naturforſcher liegt <lb/>die Beantwortung der Frage nach der urſprünglichen Herkunft <lb/>der Lebeweſen ſo, daß er darauf keine hinreichend begründbare <lb/>wiſſenſchaftliche Antwort zu geben vermag: </s> <s xml:id="echoid-s2253" xml:space="preserve">wir wiſſen vor-<lb/>läufig nicht wo, wann und wie die erſten Lebeweſen entſtanden <pb o="15" file="201" n="201"/> ſind; </s> <s xml:id="echoid-s2254" xml:space="preserve">da uns hier die genügende Thatſachen-Grundlage fehlt, <lb/>ſo helfen ſich die Ungeduldigen durch bloßes beſchauliches <lb/>Nachdenken oder, wie die Gelehrten ſagen, durch “Spekulatio-<lb/>nen”, die naturgemäß für den exakten Forſcher unbefriedigend <lb/>ſein müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s2255" xml:space="preserve">Hoffen wir, daß die Zukunft den Schleier auch <lb/>von dieſem Geheimnis nehmen wird!</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div106" type="section" level="1" n="69"> <head xml:id="echoid-head80" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die Schlagworte der Darwinſchen Theorie.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2256" xml:space="preserve">Bevor näher auf die Geſchichte der Deſcendenz-Lehre ein-<lb/>gegangen wird, ſei in aller Kürze zunächſt noch einmal an die <lb/>Schlagworte der Darwinſchen Theorie erinnert.</s> <s xml:id="echoid-s2257" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2258" xml:space="preserve">Jedermann weiß, daß alſo nach der Darwinſchen Auffaſſung <lb/>die organiſchen Weſen blutsverwandt ſind, daß dieſelbe eine <lb/>leibliche Abſtammung aller Weſen von einander annimmt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2259" xml:space="preserve">Hierbei iſt alſo nur die Entſtehung des erſten oder der erſten <lb/>Weſen, von welchen die übrigen abſtammen ſollen, unerklärt <lb/>geblieben, und Darwin ſagt, — wenigſtens in der erſten Auflage <lb/>ſeines Buches über die Entſtehung der Arten (1859) — daß <lb/>dieſe von Gott geſchaffen worden ſeien.</s> <s xml:id="echoid-s2260" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2261" xml:space="preserve">Es iſt eine Erfahrungs-Thatſache, daß das Kind den <lb/>Eltern niemals in allen Punkten vollkommen gleicht, d. </s> <s xml:id="echoid-s2262" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2263" xml:space="preserve">daß <lb/>die organiſchen Weſen die Fähigkeit beſitzen, in ihrer Geſtaltung <lb/>von der ihrer Erzeuger abzuweichen, zu “<emph style="sp">variieren</emph>“; </s> <s xml:id="echoid-s2264" xml:space="preserve">es iſt <lb/>jedoch ebenſo bemerkbar, daß gewiſſe Merkmale von den Eltern <lb/>auf die Kinder <emph style="sp">vererben</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s2265" xml:space="preserve">Die Lebeweſen ändern in dieſer <lb/>Weiſe nach allen möglichen Richtungen hin ab, aber nur die-<lb/>jenigen bleiben am Leben und vermögen die neu gewonnenen <lb/>Merkmale zu vererben, die mit der Außenwelt in keinen Wider-<lb/>ſtreit gekommen ſind; </s> <s xml:id="echoid-s2266" xml:space="preserve">denn diejenigen organiſchen Weſen, welche <lb/>unzweckmäßige, d. </s> <s xml:id="echoid-s2267" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2268" xml:space="preserve">mit den Außenbedingungen nicht in Ein- <pb o="16" file="202" n="202"/> klang ſtehende Abänderungen aufweiſen, gehen zu Grunde. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2269" xml:space="preserve">Um ſo vorteilhafter die Weſen gebaut ſind, je angepaßter ſie <lb/>den Verhältniſſen erſcheinen, um ſo mehr Ausſicht werden die-<lb/>ſelben auch haben, in dem Wettſtreit um das Leben den Sieg <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-202-01a" xlink:href="fig-202-01"/> zu erringen. </s> <s xml:id="echoid-s2270" xml:space="preserve">Daß ein ſolcher Kampf um das Daſein <lb/>zwiſchen den Weſen notwendig iſt, geht ſchon daraus hervor, <lb/>daß immer mehr Weſen erzeugt werden, als auf der Erde <lb/>beſtehen bleiben können. </s> <s xml:id="echoid-s2271" xml:space="preserve">So iſt z. </s> <s xml:id="echoid-s2272" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2273" xml:space="preserve">berechnet worden, daß <lb/>ein Bilſenkrautſtock von mittlerer Größe bereits nach fünf <lb/>Jahren eine Nachkommenſchaft beſitzen kann, welche die ganze <pb o="17" file="203" n="203"/> Erde derart bedecken würde, daß auf jedem Quadratfuß Erde <lb/>etwas über ſieben Stöcke Platz nehmen müßten. </s> <s xml:id="echoid-s2274" xml:space="preserve">Da nun jeder <lb/>Stock im Durchſchnitt 10 000 Samen erzeugt, ſo iſt erſichtlich, <lb/>daß von nun ab die meiſten Samen zu Grunde gehen müſſen, da <lb/>von nun an je einer von 10 000 hinreicht, die Erde in gleicher <lb/>Weiſe zu beſetzen. </s> <s xml:id="echoid-s2275" xml:space="preserve">Es überleben die den Umſtänden am beſten <lb/>angepaßten, d. </s> <s xml:id="echoid-s2276" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2277" xml:space="preserve">alſo die mit nützlichen Abänderungen ver-<lb/>ſehenen Individuen. </s> <s xml:id="echoid-s2278" xml:space="preserve">Durch dieſen Kampf wird eine Auswahl <lb/>unter den Organismen getroffen, weshalb die Theorie den <lb/>Namen der Zuchtwahl oder <emph style="sp">Selektions-Theorie</emph> er-<lb/>halten hat.</s> <s xml:id="echoid-s2279" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div106" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-202-01" xlink:href="fig-202-01a"> <caption xml:id="echoid-caption58" xml:space="preserve">Charles Darwin.</caption> </figure> </div> </div> <div xml:id="echoid-div108" type="section" level="1" n="70"> <head xml:id="echoid-head81" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Die Zuchtwahl.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2280" xml:space="preserve">Der Ausdruck “<emph style="sp">Zuchtwahl</emph>“ oder <emph style="sp">Ausleſe</emph> (<emph style="sp">Selection</emph>) <lb/>iſt dem Tierzüchter ohne weiteres verſtändlich. </s> <s xml:id="echoid-s2281" xml:space="preserve">Zeigen einige <lb/>ſeiner Zuchttiere plötzlich irgend welche körperlichen Eigen-<lb/>tümlichkeiten, die ihm wertvoll erſcheinen, ſei es, daß ſie in <lb/>praktiſcher Hinſicht das Tier brauchbar machen, oder ſei es, <lb/>daß es Merkwürdigkeiten ſind, von denen er ſich Erfolg bei Tier-<lb/>Sports-Liebhabern verſpricht, ſo ſondert er dieſe Tiere ab, be-<lb/>müht ſich, ſie zur Paarung zu bringen, damit ſie ihre neuen <lb/>Merkmale, oder mit andern Worten, damit die “Variationen”, <lb/>die Abänderungen möglichſt durch Vererbung ſich erhalten und <lb/>kräftigen.</s> <s xml:id="echoid-s2282" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2283" xml:space="preserve">Ja, der Züchter iſt unter Umſtänden in der Lage, von <lb/>vornherein beſondere Merkmale, die er erhalten möchte, zu <lb/>züchten, ohne daß ihm die Natur durch Variation der Orga-<lb/>nismen, wie in dem vorgedachten Fall, einen Wink giebt. </s> <s xml:id="echoid-s2284" xml:space="preserve">Er <lb/>kann ſich vornehmen, z. </s> <s xml:id="echoid-s2285" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2286" xml:space="preserve">Pferde mit beſonders langen</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2287" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s2288" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s2289" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s2290" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="18" file="204" n="204"/> <p> <s xml:id="echoid-s2291" xml:space="preserve">Schweifen oder Hähne mit auffallend großen Kämmen zu <lb/>züchten, wenn er nur eine <emph style="sp">Auswahl</emph>, eine <emph style="sp">Ausleſe</emph> (Selection) <lb/>unter ſeinen Tieren trifft, indem er im erſten Fall ſtets und <lb/>mehrere Generationen hintereinander die langſchweifigſten Pferde <lb/>reſp. </s> <s xml:id="echoid-s2292" xml:space="preserve">die Hähne mit den größten Kämmen aus ſeinen Be-<lb/>ſtänden auslieſt und zur Paarung verwendet.</s> <s xml:id="echoid-s2293" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2294" xml:space="preserve">Das wäre die <emph style="sp">künſtliche Zuchtwahl</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s2295" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2296" xml:space="preserve">Daß in der freien Natur ebenfalls Zuchtwahl, alſo hier <lb/><emph style="sp">natürliche Zuchtwahl</emph> vorkommt, iſt ganz zweifellos; </s> <s xml:id="echoid-s2297" xml:space="preserve">ob ſie <lb/>jedoch die weitgehende Rolle ſpielt, die ihr Darwin zuſchrieb, <lb/>iſt freilich eine andere Frage.</s> <s xml:id="echoid-s2298" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2299" xml:space="preserve">Auf Madeira und den zugehörigen Inſeln kommen Käfer <lb/>vor, die häufig durch die dort herrſchenden Winde entführt und <lb/>ins Meer geworfen werden, wo ſie umkommen; </s> <s xml:id="echoid-s2300" xml:space="preserve">ſie pflegen ſich <lb/>denn auch verſteckt zu halten, ſo lange es ſtürmt. </s> <s xml:id="echoid-s2301" xml:space="preserve">Ihre Flügel <lb/>haben überdies nicht die ausgiebige Entwickelung ihrer Ver-<lb/>wandten auf dem Kontinent: </s> <s xml:id="echoid-s2302" xml:space="preserve">ſie ſind vielmehr auf dem Wege <lb/>zu verkümmern. </s> <s xml:id="echoid-s2303" xml:space="preserve">Dieſe Eigentümlichkeit iſt erblich geworden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2304" xml:space="preserve">Unter den etwa 550 Käfer-Arten, die auf Madeira vor-<lb/>kommen, giebt es nicht weniger als rund 200 Arten, die un-<lb/>fähig ſind, einen längeren Flug auszuführen. </s> <s xml:id="echoid-s2305" xml:space="preserve">Von 29 nur <lb/>auf Madeira lebenden Gattungen ſind nicht weniger als 23 (!) <lb/>flügellos oder mit mehr oder minder rudimentären Flügeln <lb/>verſehen. </s> <s xml:id="echoid-s2306" xml:space="preserve">Dies hat die natürliche Zuchtwahl bewirkt, die die <lb/>guten Flieger, welche ſich hoch in die Luft wagten, ausgemerzt <lb/>hat, indem der Wind ſie ins Meer führte, ſodaß nur die <lb/>weniger gut hinſichtlich der Flugorgane ausgeſtatteten Tierchen <lb/>erhalten blieben und allmählich jene Eigentümlichkeit der In-<lb/>ſektenwelt Madeiras entſtand.</s> <s xml:id="echoid-s2307" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2308" xml:space="preserve">Einen beſonderen Fall der natürlichen Zuchtwahl bildet <lb/>die <emph style="sp">geſchlechtliche Zuchtwahl</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s2309" xml:space="preserve">Ausgehend davon, daß im <lb/>Kampf ums Daſein ſtets nicht nur die kräftigſten, ſondern <lb/>durch eine von den Weibchen beſorgte Auswahl auch die <pb o="19" file="205" n="205"/> ſchönſten Männchen gegenüber den weniger gut bedachten <lb/>Männchen im Vorteile ſind, ſucht Darwin die oft ſo auf-<lb/>fallenden Eigentümlichkeiten der Männchen als Ausleſe-<lb/>Produkt zu erklären, und da ſie ihre Eigentümlichkeiten ver-<lb/>erben, ſo werden auch die nachkommenden Weibchen einen ge-<lb/>wiſſen Vorteil von einer ſolchen geſchlechtlichen Ausleſe davon-<lb/>tragen.</s> <s xml:id="echoid-s2310" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div109" type="section" level="1" n="71"> <head xml:id="echoid-head82" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Zuchtwahl und Soziologie.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2311" xml:space="preserve">Die Thatſachen der Ausleſe, der Zuchtwahl, geben dem-<lb/>jenigen, der Alles auf die Verhältniſſe beim Menſchen zu be-<lb/>ziehen gewöhnt iſt, beſonders zu denken. </s> <s xml:id="echoid-s2312" xml:space="preserve">Wir ſehen, daß <lb/>manche unſerer ſozialen Einrichtungen gut oder ſchlecht genannt <lb/>werden können, je nachdem das Wohl des Einzelnen oder das-<lb/>jenige der Geſamtheit ins Auge gefaßt wird. </s> <s xml:id="echoid-s2313" xml:space="preserve">Man pflegt das <lb/>Wohl der letzteren ſtets in den Vordergrund zu ſtellen und <lb/>doch giebt uns die Erkenntnis der Bedeutung der Zuchtwahl <lb/>den Beweis an die Hand, daß die Geſellſchaft in einem der <lb/>wichtigſten Punkte zur Degeneration ihrer Nachkommen <lb/>— freilich aus perſönlichem Intereſſe — beiträgt.</s> <s xml:id="echoid-s2314" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2315" xml:space="preserve">Von einſichtigen Kennern des Darwinismus mußte nämlich <lb/>von vornherein die Meinung gefaßt werden, daß eine Heilung <lb/>von Krankheiten die menſchlichen Raſſen im allgemeinen ver-<lb/>ſchlechtern muß, da der natürlichen Ausleſe der widerſtands-<lb/>fähigeren Individuen dadurch entgegengearbeitet wird. </s> <s xml:id="echoid-s2316" xml:space="preserve">Im <lb/>Intereſſe der Raſſenverbeſſerung und zur Steuerung der Raſſen-<lb/>verſchlechterung iſt daher von der Zukunft zu fordern, daß eine <lb/>Ausleſe zur Ehe die Erzeugung der künftigen Generation durch <lb/>die Geſundeſten und Beſten der gegenwärtigen Generation ſicher <pb o="20" file="206" n="206"/> ſtelle. </s> <s xml:id="echoid-s2317" xml:space="preserve">Die beſten Raſſen ſind unter Not und Strapazen ent-<lb/>ſtanden, die die ſchwachen Individuen beſeitigt haben. </s> <s xml:id="echoid-s2318" xml:space="preserve">Zur <lb/>Zeit iſt durch die Wirkungen der heutigen Kultur eine Raſſen-<lb/>verſchlechterung eingetreten, denn die Kultur ſorgt im all-<lb/>gemeinen kurzſichtig nur für das Wohlergehen des einzelnen <lb/>Individuums, garnicht aber für dasjenige der Raſſen.</s> <s xml:id="echoid-s2319" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2320" xml:space="preserve">Nur in wenigen Fällen wendet der Menſch — wenn auch <lb/>unbewußt — im Intereſſe der Geſamtheit das Mittel der <lb/>Zuchtwahl an. </s> <s xml:id="echoid-s2321" xml:space="preserve">Wenn Mörder die Strafe des Todes für ihr <lb/>Verbrechen erfahren, ſo iſt dadurch eine ſoziale Verbeſſerung <lb/>bedingt, da — wenn auch nur ſehr allmählich und langſam — <lb/>die ſtörendſten Elemente ausgemerzt werden und ſo verhindert <lb/>ſind, ihre böſen Neigungen weiter fortzupflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s2322" xml:space="preserve">Mit tiefſter <lb/>Betrübnis muß aber der Menſchenfreund an die Wirkungen <lb/>eines Krieges denken, der gerade die geſundeſten und kräftigſten <lb/>Individuen verbraucht und ſo indirekt zur Fortpflanzung <lb/>mangelhafterer Individuen beiträgt.</s> <s xml:id="echoid-s2323" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2324" xml:space="preserve">Wer denkt bei dieſen Betrachtungen nicht an den Geſetz-<lb/>geber der Spartaner, <emph style="sp">Lycurgus</emph> (etwa 900—884 vor Beginn <lb/>unſerer Zeitrechnung), dem das ſpartaniſche Geſetz zugeſchrieben <lb/>wird, nach welchem jedes gebrechliche neugeborene Kind an <lb/>einer beſtimmten Stelle des Taygetosgebirges in einen Abgrund <lb/>geworfen wurde.</s> <s xml:id="echoid-s2325" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div110" type="section" level="1" n="72"> <head xml:id="echoid-head83" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Charles Darwin.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2326" xml:space="preserve">Charles Darwin wurde am 12. </s> <s xml:id="echoid-s2327" xml:space="preserve">Februar 1809 in Shrews-<lb/>bury in England geboren, wo ſein Vater ein ſehr beſchäftigter <lb/>Arzt war. </s> <s xml:id="echoid-s2328" xml:space="preserve">Im Alter von acht Jahren verlor Darwin ſeine <lb/>Mutter, deren er ſich überhaupt nur noch ganz dunkel er- <pb o="21" file="207" n="207"/> innerte. </s> <s xml:id="echoid-s2329" xml:space="preserve">In der Sammelſchule, die er ſeit dem Frühjahr 1817 <lb/>beſuchte, machte er geringe Fortſchritte, er lernte weit lang-<lb/>ſamer als ſeine jüngere Schweſter Catharine und gehörte nicht <lb/>zu den Muſterſchülern. </s> <s xml:id="echoid-s2330" xml:space="preserve">Aber ſchon jetzt zeigte Darwin einen <lb/>ausgeſprochenen Sinn für Naturgeſchichte und eine ſehr leb-<lb/>hafte Neigung zum Sammeln. </s> <s xml:id="echoid-s2331" xml:space="preserve">Er verſuchte die Namen der <lb/>Pflanzen aufzufinden und ſammelte alle möglichen Sachen, <lb/>Muſcheln, Siegel, Briefmarken, Münzen und Mineralien: </s> <s xml:id="echoid-s2332" xml:space="preserve">eine <lb/>Leidenſchaft, die ſich bei Knaben ja oftmals findet und daher <lb/>nichts Auffälliges hat. </s> <s xml:id="echoid-s2333" xml:space="preserve">Auch in anderen Beziehungen unter-<lb/>ſchied ſich Darwin nicht weſentlich von ſeinen Mitſchülern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2334" xml:space="preserve">“Ich will bekennen — ſagt er ſelbſt —, daß ich als kleiner <lb/>Junge ſehr geneigt war, unwahre Geſchichten zu erfinden, <lb/>und zwar geſchah dies immer zu dem Zwecke, Aufregung <lb/>hervorzurufen.</s> <s xml:id="echoid-s2335" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2336" xml:space="preserve">Im Jahre 1818 kam Darwin auf die große Schule von <lb/>Dr. </s> <s xml:id="echoid-s2337" xml:space="preserve">Butler in Shrewsbury und blieb dort bis zu ſeinem <lb/>16. </s> <s xml:id="echoid-s2338" xml:space="preserve">Lebensjahre. </s> <s xml:id="echoid-s2339" xml:space="preserve">Er ſagt: </s> <s xml:id="echoid-s2340" xml:space="preserve">“Nichts hätte für die Entwickelung <lb/>meines Geiſtes ſchlimmer ſein können, als Dr. </s> <s xml:id="echoid-s2341" xml:space="preserve">Butler’s Schule, <lb/>da ſie ausſchließlich klaſſiſch war und nichts anderes gelehrt <lb/>wurde, ausgenommen ein wenig alte Geographie und Ge-<lb/>ſchichte.</s> <s xml:id="echoid-s2342" xml:space="preserve">” Und in einem Briefe Darwins leſen wir: </s> <s xml:id="echoid-s2343" xml:space="preserve">“Niemand <lb/>kann die alte ſtereotype, einfältige, klaſſiſche Erziehung auf-<lb/>richtiger verachten, als ich es thue.</s> <s xml:id="echoid-s2344" xml:space="preserve">” Da Darwin für Sprachen <lb/>keine Begabung hatte, ſo hielten ihn die Lehrer und ſein Vater <lb/>für ziemlich beſchränkt, und dieſer tadelte den Sohn denn auch <lb/>einmal mit den Worten: </s> <s xml:id="echoid-s2345" xml:space="preserve">“Du wirſt Dir ſelbſt und der ganzen <lb/>Familie zur Schande.</s> <s xml:id="echoid-s2346" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2347" xml:space="preserve">Er beſchäftigte ſich aber weiter mit naturwiſſenſchaftlichen <lb/>Dingen, wenn auch meiſt nur ſehr oberflächlich. </s> <s xml:id="echoid-s2348" xml:space="preserve">So ſammelte <lb/>er zwar mit großem Eifer Mineralien, aber kümmerte ſich <lb/>dabei nur um ſolche mit neuen Namen und verſuchte kaum, <lb/>ſie zu klaſſifizieren. </s> <s xml:id="echoid-s2349" xml:space="preserve">Durch ſeinen älteren Bruder wurde <pb o="22" file="208" n="208"/> Darwin zu einer Beſchäftigung mit der Chemie angeregt und <lb/>der Direktor der Schule, Dr. </s> <s xml:id="echoid-s2350" xml:space="preserve">Butler, wies ihn dafür, daß er <lb/>ſeine Zeit mit derartigen “nutzloſen” Sachen verſchwende, <lb/>öffentlich zurecht.</s> <s xml:id="echoid-s2351" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2352" xml:space="preserve">“Da ich — ſagt Darwin — auf der Schule nichts Rechtes <lb/>zu Wege brachte, nahm mich mein Vater ſehr weiſe in einem <lb/>im ganzen früheren Alter als gewöhnlich zurück und ſchickte <lb/>mich (Oktober 1825) zu meinem Bruder auf die Univerſität <lb/>Edinburg.</s> <s xml:id="echoid-s2353" xml:space="preserve">” Hier ſollte Darwin Medicin ſtudieren, was ihm <lb/>aber nicht behagte. </s> <s xml:id="echoid-s2354" xml:space="preserve">Übrigens wußte Darwin, daß er einſt ge-<lb/>nügend Vermögen haben würde, um davon zu leben, und ſo <lb/>beſchäftigte er ſich mehr und mehr mit rein naturwiſſenſchaft-<lb/>lichen Dingen. </s> <s xml:id="echoid-s2355" xml:space="preserve">Der Verkehr mit bedeutenden Gelehrten hat <lb/>ihn beſonders angeregt. </s> <s xml:id="echoid-s2356" xml:space="preserve">Die meiſten der von ihm gehörten <lb/>Vorleſungen nennt er langweilig.</s> <s xml:id="echoid-s2357" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2358" xml:space="preserve">Der Vater Darwins, der wohl ſah, daß er keinen Arzt <lb/>aus ihm machen würde, ſchlug ihm nunmehr vor, ſich dem <lb/>geiſtlichen Stande zu widmen. </s> <s xml:id="echoid-s2359" xml:space="preserve">Darwin bat ſich, von vorn-<lb/>herein keineswegs abgeneigt, den Vorſchlag unbeachtet zu laſſen, <lb/>Bedenkzeit aus und beſchäftigte ſich mit theologiſchen Büchern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2360" xml:space="preserve">Er bezog die Univerſität Cambridge, füllte aber hier als <lb/>leidenſchaftlicher Jäger, der er damals war, die Zeit meiſt mit <lb/>Jagen, auch mit Reiten und ſonſtigen Zerſtreuungen, wie <lb/>Gelagen, aus. </s> <s xml:id="echoid-s2361" xml:space="preserve">Mit knapper Not machte er aber doch ein <lb/>Examen, welches ihm den Titel eines Magiſter artium eintrug.</s> <s xml:id="echoid-s2362" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2363" xml:space="preserve">Von naturwiſſenſchaftlichen Studien ſind es namentlich <lb/>Botanik unter Henslows und Geologie unter Sedgwicks <lb/>Leitung, und namentlich Entomologie, welche ihn nun be-<lb/>ſchäftigten.</s> <s xml:id="echoid-s2364" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2365" xml:space="preserve">Die beiden genannten Gelehrten erkannten in Darwin <lb/>den ſcharfſinnigen Kopf und haben beſtimmend auf ſeine Lebens-<lb/>bahn eingewirkt.</s> <s xml:id="echoid-s2366" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2367" xml:space="preserve">Die Erkenntnis der vollen Befriedigung, welche eine Be- <pb o="23" file="209" n="209"/> ſchäftigung mit den Naturwiſſenſchaften gewährt, war Darwin <lb/>jetzt aufgegangen; </s> <s xml:id="echoid-s2368" xml:space="preserve">auch ſein Streben war nunmehr, einen wenn <lb/>auch noch ſo beſcheidenen Bauſtein zu liefern zu dem erhabenen <lb/>Gebäude der Naturwiſſenfchaft.</s> <s xml:id="echoid-s2369" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2370" xml:space="preserve">Nach ſeiner Rückkehr nach Shrewsbury wurde Darwin <lb/>von Henslow ein Vorſchlag gemacht, der Darwins Wünſchen <lb/>nicht beſſer entſprechen konnte. </s> <s xml:id="echoid-s2371" xml:space="preserve">Die engliſche Regierung rüſtete <lb/>nämlich ein Kriegsſchiff, den “Beagle”, aus, das die Küſten <lb/>von Patagonien, Feuerland, Chili, Peru und einigen Inſeln <lb/>des Stillen Meeres aufnehmen und chronometriſche Beob-<lb/>achtungen zur Beſtimmung der Länge verſchiedener Punkte der <lb/>Erde machen ſollte. </s> <s xml:id="echoid-s2372" xml:space="preserve">Ein freiwilliger Naturforſcher ſollte mit-<lb/>gehen und Henslow empfahl Darwin. </s> <s xml:id="echoid-s2373" xml:space="preserve">Henslow ſchreibt an <lb/>Darwin: </s> <s xml:id="echoid-s2374" xml:space="preserve">“. </s> <s xml:id="echoid-s2375" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2376" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2377" xml:space="preserve">Ich habe ausgeſprochen, daß ich Sie für die <lb/>beſtqualifizierte Perſon unter denen, die ich kenne, halte. </s> <s xml:id="echoid-s2378" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2379" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2380" xml:space="preserve">. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2381" xml:space="preserve">Ich ſpreche dies aus, nicht in der Vorausſetzung, daß Sie ein <lb/>fertiger Naturforſcher, ſondern reichlich dazu qualifiziert ſind, zu <lb/>ſammeln, zu beobachten und alles, was einer Aufzeichnung auf <lb/>dem Gebiete der Naturgeſchichte wert iſt, zu notieren.</s> <s xml:id="echoid-s2382" xml:space="preserve">” . </s> <s xml:id="echoid-s2383" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2384" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2385" xml:space="preserve"><lb/>“Tragen Sie ſich nicht mit irgend welchen Zweifeln oder Be-<lb/>fürchtungen über Ihre Untüchtigkeit, denn ich verſichere Ihnen, <lb/>ich meine, Sie ſind gerade der Mann, welchen ſie ſuchen. </s> <s xml:id="echoid-s2386" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2387" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2388" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s2389" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2390" xml:space="preserve">Der Vater Darwins machte aber ernſtliche Einwenduugen <lb/>gegen die Mitreiſe ſeines Sohnes: </s> <s xml:id="echoid-s2391" xml:space="preserve">“Wenn Du irgend einen <lb/>Mann von geſundem Menſchenverſtande finden kannſt — ſagte <lb/>er ihm — der Dir den Rat giebt, zu gehen, ſo will ich meine <lb/>Zuſtimmung geben.</s> <s xml:id="echoid-s2392" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2393" xml:space="preserve">Darwins Onkel, Joſua Wegdwood, gelang es, die Be-<lb/>denken des Vaters zu beſchwichtigen, und im Dezember 1831 <lb/>ſchiffte ſich Darwin auf dem von dem erſt 24 jährigen Fitz-Roy <lb/>kommandierten “Beagle” ein, um erſt Ende 1836 zurückzukehren.</s> <s xml:id="echoid-s2394" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2395" xml:space="preserve">Die Reiſe nennt Darwin das bedeutungsvollſte Ereignis <lb/>ſeines Lebens, das ſeine ganze Laufbahn beſtimmt habe. </s> <s xml:id="echoid-s2396" xml:space="preserve">“Ich</s> </p> <pb o="24" file="210" n="210"/> <p> <s xml:id="echoid-s2397" xml:space="preserve"><emph style="bf">DOWN,</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2398" xml:space="preserve"><emph style="bf">BECKENHAM, KENT.</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2399" xml:space="preserve"><emph style="bf">RAILWAY STATION</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2400" xml:space="preserve"><emph style="bf">ORPINCTON. S. E. R. </emph></s> </p> <handwritten/> <pb o="25" file="211" n="211"/> <handwritten/> <figure> <caption xml:id="echoid-caption59" xml:space="preserve">Handſchriſt Charles Darwin’s (ein Brief an den Verfaſſer H. Potonié).</caption> </figure> <pb o="26" file="212" n="212"/> <p> <s xml:id="echoid-s2401" xml:space="preserve">habe ſtets gefühlt — ſagt er — daß ich der Reiſe die erſte <lb/>wirkliche Zucht oder Erziehung meines Geiſtes verdanke”. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2402" xml:space="preserve">Daß Darwin ſeine Unfähigkeit zu zeichnen ſehr bedauerte, iſt <lb/>nur zu begreiflich.</s> <s xml:id="echoid-s2403" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2404" xml:space="preserve">Schon die Reiſebriefe Darwins machten gerechtes Auf-<lb/>ſehen bei den Gelehrten und der berühmte Geologe Sedgwick <lb/>äußerte dem Vater Darwins gegenüber, daß der Sohn einſt <lb/>ein hervorragender Gelehrter werden würde.</s> <s xml:id="echoid-s2405" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2406" xml:space="preserve">Die Reiſebeſchreibung Darwins, “Reiſe eines Natur-<lb/>forſchers um die Welt”, muß ein heutiger Naturforſcher geleſen <lb/>haben und wird auch jeden, der ſich für Naturwiſſenſchaften <lb/>intereſſiert, ohne Gelehrter zu ſein, hohe Befriedigung gewähren.</s> <s xml:id="echoid-s2407" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2408" xml:space="preserve">Nach ſeiner Rückkehr erſchien Darwin weſentlich verändert. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2409" xml:space="preserve">Seine Geſundheit hatte ſtark gelitten, vielleicht in Folge der <lb/>Seekrankheit, an der er auf dem Waſſer faſt beſtändig litt. </s> <s xml:id="echoid-s2410" xml:space="preserve"><lb/>Sein Sohn <emph style="sp">Francis Darwin</emph> ſagt allerdings, es ſei die Ver-<lb/>mutung ausgeſprochen worden, daß Charles Darwins Kränk-<lb/>lichkeit eine Form der Gicht ſei, die in der Familie ſchon ſeit <lb/>dem Jahre 1600 erwähnt werde. </s> <s xml:id="echoid-s2411" xml:space="preserve">Es verging kein Tag mehr, <lb/>ohne daß er mehrere Stunden unpäßlich geweſen wäre. </s> <s xml:id="echoid-s2412" xml:space="preserve">Häufig <lb/>war er Tage, ja Wochen lang ganz arbeitsunfähig und er <lb/>beſuchte wiederholt eine Kaltwaſſerheilanſtalt. </s> <s xml:id="echoid-s2413" xml:space="preserve">Sein Schlaf <lb/>dauerte ſelten länger als einige Stunden.</s> <s xml:id="echoid-s2414" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2415" xml:space="preserve">Durch die Reiſe war aber Darwin ein Forſcher erſten <lb/>Ranges geworden.</s> <s xml:id="echoid-s2416" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2417" xml:space="preserve">Die 2 {1/4} Jahre nach der Rückkehr von der Reiſe waren <lb/>die thätigſten, die Darwin je verlebt hat. </s> <s xml:id="echoid-s2418" xml:space="preserve">In Cambridge, wo <lb/>ſich ſeine Sammlungen unter Henslows Obhut befanden, ar-<lb/>beitete er 3 Monate; </s> <s xml:id="echoid-s2419" xml:space="preserve">2 Jahre blieb er in London. </s> <s xml:id="echoid-s2420" xml:space="preserve">Er ſtellte <lb/>ſeine Reiſebeſchreibung fertig, hielt mehrere Vorträge in der <lb/>geologiſchen Geſellſchaft u. </s> <s xml:id="echoid-s2421" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2422" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2423" xml:space="preserve">Im Juli 1837 begann er <lb/>ſein erſtes Notizenbuch für Thatſachen in Bezug auf den Ur-<lb/>ſprung der Arten, worüber er lange nachgedacht hatte, und <pb o="27" file="213" n="213"/> hörte während der nächſten 20 Jahre nicht auf, daran zu ar-<lb/>beiten.</s> <s xml:id="echoid-s2424" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2425" xml:space="preserve">Am 29. </s> <s xml:id="echoid-s2426" xml:space="preserve">Januar 1839 heiratete er in London ſeine Nichte <lb/>Emma Wedgwood. </s> <s xml:id="echoid-s2427" xml:space="preserve">Der geſellſchaftliche Verkehr nahm ihn <lb/>nun aber derartig in Anſpruch, daß er ſich, um nachhaltiger <lb/>ſeinen Forſchungen leben zu können, im Jahre 1842 nach <lb/>Down in Kent zurückzog, wo er ſich ein Landhaus kaufte, das <lb/>er ſpäter nur noch ſelten verließ.</s> <s xml:id="echoid-s2428" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2429" xml:space="preserve">Das tägliche Leben in Down geſtaltete ſich in der ſpäteren <lb/>Zeit in der folgenden Weiſe.</s> <s xml:id="echoid-s2430" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2431" xml:space="preserve">Darwin ſtand früh auf und machte vor dem Frühſtück <lb/>einen Spaziergang. </s> <s xml:id="echoid-s2432" xml:space="preserve">Nachdem er allein gefrühſtückt hatte, begab <lb/>er ſich gegen 8 Uhr an die Arbeit und blieb dabei bis <lb/>9 {1/2} Uhr; </s> <s xml:id="echoid-s2433" xml:space="preserve">in dieſen 1 {1/2} Stunden war er zum Arbeiten am <lb/>beſten aufgelegt. </s> <s xml:id="echoid-s2434" xml:space="preserve">Um {1/2} 10 Uhr ging er ins Wohnzimmer, <lb/>ließ ſich bis {1/2} 11 Uhr Familienbriefe oder einen Roman vor-<lb/>leſen und ging darauf in ſein Zimmer, wo er wieder bis 12 <lb/>oder 12 {1/2} Uhr arbeitete. </s> <s xml:id="echoid-s2435" xml:space="preserve">Hiermit war ſein Tagewerk eigentlich <lb/>vollbracht. </s> <s xml:id="echoid-s2436" xml:space="preserve">Zunächſt ging er dann ſpazieren, mochte das <lb/>Wetter gut oder ſchlecht ſein. </s> <s xml:id="echoid-s2437" xml:space="preserve">Er wandelte gewöhnlich erſt <lb/>durch die Treibhäuſer, ſah ſich die keimenden Samen und die <lb/>Verſuchspflanzen an, ohne jedoch genauere Beobachtungen an-<lb/>zuſtellen, und ging dann ins Freie. </s> <s xml:id="echoid-s2438" xml:space="preserve">Wenn er allein war, <lb/>blieb er oft ſtehen und ſah ſich die Vögel und Tiere an. </s> <s xml:id="echoid-s2439" xml:space="preserve">Bei <lb/>einer ſolchen Gelegenheit liefen ihm einmal junge Eichhörnchen <lb/>die Beine und den Rücken hinauf, während die Mutter ihre <lb/>Jungen mit Angſtgeſchrei vom Baume aus zurückrief.</s> <s xml:id="echoid-s2440" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2441" xml:space="preserve">Nach dem Mittags-Spaziergange kam das zweite Frühſtück. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2442" xml:space="preserve">Darwin war äußerſt mäßig im Eſſen und Trinken; </s> <s xml:id="echoid-s2443" xml:space="preserve">er aß gern <lb/>Süßigkeiten, obgleich ſie ihm ſchlecht bekamen. </s> <s xml:id="echoid-s2444" xml:space="preserve">Nach dem zweiten <lb/>Frühſtück legte er ſich aufs Sopha und las die Zeitung. </s> <s xml:id="echoid-s2445" xml:space="preserve">Außer <lb/>dieſer las er ſelbſt nichts Unterhaltendes. </s> <s xml:id="echoid-s2446" xml:space="preserve">Alles Übrige: </s> <s xml:id="echoid-s2447" xml:space="preserve">Romane, <lb/>Reiſebeſchreibungen u. </s> <s xml:id="echoid-s2448" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2449" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2450" xml:space="preserve">ließ er ſich vorleſen. </s> <s xml:id="echoid-s2451" xml:space="preserve">Mit Politik <pb o="28" file="214" n="214"/> beſchäftigte er ſich nicht, verfolgte ſie aber. </s> <s xml:id="echoid-s2452" xml:space="preserve">Nunmehr ging er <lb/>an die Beantwortung der Briefe, von denen kein einziger un-<lb/>berückſichtigt blieb. </s> <s xml:id="echoid-s2453" xml:space="preserve">In Geld- und Geſchäftsſachen war Darwin <lb/>ſehr ſorgfältig. </s> <s xml:id="echoid-s2454" xml:space="preserve">Wenn die Briefe erledigt waren, legte er ſich <lb/>in ſeinem Schlafzimmer aufs Sopha, ließ ſich aus einem unter-<lb/>haltenden Werke vorleſen und rauchte eine Cigarette. </s> <s xml:id="echoid-s2455" xml:space="preserve">Beim <lb/>Arbeiten ſchnupfte er gern, um ſich aber nicht zu ſehr daran <lb/>zu gewöhnen, ſtand der Topf mit Schnupftabak im Hausgange.</s> <s xml:id="echoid-s2456" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2457" xml:space="preserve">Punkt 4 Uhr mit außerordentlicher Regelmäßigkeit kam er <lb/>die Treppe herunter, um ſich zum Spaziergange anzukleiden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2458" xml:space="preserve">Von {1/2} 5 bis {1/2} 6 Uhr arbeitete er wohl noch, dann kam er <lb/>aber ins Wohnzimmer und nahm an der Unterhaltung teil, <lb/>bis er um 6 Uhr ſich aufs Sopha legte, um ſich aus einem <lb/>Roman vorleſen zu laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s2459" xml:space="preserve">Gegen {1/2} 8 Uhr aß er zu Abend. </s> <s xml:id="echoid-s2460" xml:space="preserve"><lb/>Nach dem Eſſen blieb er nie im Wohnzimmer, ſondern ver-<lb/>kehrte mit den Damen. </s> <s xml:id="echoid-s2461" xml:space="preserve">Mit ſeiner Frau ſpielte er dann <lb/>Tricktrack, und war ärgerlich, wenn er kein Glück hatte. </s> <s xml:id="echoid-s2462" xml:space="preserve">Nachher <lb/>las er im Wohnzimmer oder, wenn zu viel geſprochen wurde, <lb/>in ſeinem Studierzimmer etwas Wiſſenſchaftliches, ſo lange, <lb/>bis er ſich müde fühlte; </s> <s xml:id="echoid-s2463" xml:space="preserve">dann hatte er gern, wenn ihm ſeine <lb/>Frau etwas auf dem Klavier vorſpielte. </s> <s xml:id="echoid-s2464" xml:space="preserve">Um 10 Uhr ging er <lb/>hinauf und gegen {1/2} 11 Uhr zu Bett.</s> <s xml:id="echoid-s2465" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2466" xml:space="preserve">Darwin hat viel geſchrieben. </s> <s xml:id="echoid-s2467" xml:space="preserve">Eine große Anzahl Aufſätze <lb/>finden ſich in Zeitſchriften, größere Arbeiten erſchienen in <lb/>Buchform; </s> <s xml:id="echoid-s2468" xml:space="preserve">ſeine Hauptwerke ſind alle ins Deutſche überſetzt <lb/>worden und bilden in der bekannteſten Ausgabe 16 ſtattliche <lb/>Bände. </s> <s xml:id="echoid-s2469" xml:space="preserve">Sein epochemachendes Buch “Die Entſtehung der <lb/>Arten”, das am 24. </s> <s xml:id="echoid-s2470" xml:space="preserve">November 1859 erſchien, war im Geiſte <lb/>Darwins bereits 1844 fertig. </s> <s xml:id="echoid-s2471" xml:space="preserve">Er ſchrieb ſeine Gedanken <lb/>nieder und übergab ſeiner Frau die ſchriftlich aufgezeichneten <lb/>genauen Beſtimmungen darüber, was in dem Falle, daß er vor <lb/>Vollendung ſeines Werkes ſtürbe, geſchehen ſolle. </s> <s xml:id="echoid-s2472" xml:space="preserve">Das Werk <lb/>ſchwoll immer mehr an und wäre in der jetzigen, ſo günſtigen <pb o="29" file="215" n="215"/> Faſſung überhaupt nicht erſchienen, wenn nicht 1858 ein be-<lb/>merkenswerter Zwiſchenfall eingetreten wäre.</s> <s xml:id="echoid-s2473" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2474" xml:space="preserve">Der Naturforſcher <emph style="sp">Wallace</emph>, welcher ſich damals im <lb/>malayiſchen Archipel aufhielt, ſchickte nämlich an Darwin eine <lb/>Abhandlung “Über das Beſtreben der Abarten, immer mehr <lb/>von der Stammart abzuweichen”. </s> <s xml:id="echoid-s2475" xml:space="preserve">Dieſe Abhandlung enthielt <lb/>faſt die ganze Darwinſche Lehre; </s> <s xml:id="echoid-s2476" xml:space="preserve">nur fehlten die Begründungen <lb/>und die Anwendungen. </s> <s xml:id="echoid-s2477" xml:space="preserve">Zunächſt war Darwin ratlos, was er <lb/>nun thun ſollte. </s> <s xml:id="echoid-s2478" xml:space="preserve">Auf den Rat von <emph style="sp">Lyell</emph> entſchloß er ſich nun <lb/>endlich, einen Überblick über die bisherigen Ergebniſſe ſeiner <lb/>Forſchung zu geben, den er zugleich mit der Abhandlung von <lb/>Wallace der Linnean Society vorlegte. </s> <s xml:id="echoid-s2479" xml:space="preserve">Darwin verzichtete <lb/>nunmehr darauf, ſeine Lehre mit allen Beobachtungen, Ver-<lb/>ſuchen und Belegen zu veröffentlichen, die er geſammelt hatte, <lb/>und entſchloß ſich zur Abfaſſung eines alles Weſentliche ent-<lb/>haltenden Auszuges. </s> <s xml:id="echoid-s2480" xml:space="preserve">Dieſe Arbeit iſt “Die Entſtehung der <lb/>Arten”: </s> <s xml:id="echoid-s2481" xml:space="preserve">“The origin of species.</s> <s xml:id="echoid-s2482" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2483" xml:space="preserve">Am Schluß ſeiner Autobiographie verſucht Darwin die <lb/>geiſtigen Eigenſchaften und die Bedingungen, von welchen <lb/>ſein Erfolg abgehangen habe, zu zergliedern, obwohl er ſich <lb/>— wie er ſagt — ſehr wohl bewußt ſei, daß dies niemand <lb/>ganz korrekt thun könne.</s> <s xml:id="echoid-s2484" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2485" xml:space="preserve">Er ſagt unter anderem:</s> <s xml:id="echoid-s2486" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2487" xml:space="preserve">“Ich beſitze keine große Schnelligkeit der Auffaſſung oder <lb/>des Witzes. </s> <s xml:id="echoid-s2488" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2489" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2490" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2491" xml:space="preserve">Meine Fähigkeit, einem langen und rein <lb/>abſtrakten Gedankengange zu folgen, iſt ſehr beſchränkt. </s> <s xml:id="echoid-s2492" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2493" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2494" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2495" xml:space="preserve">Mein <lb/>Gedächtnis iſt ausgedehnt, aber nebelig.</s> <s xml:id="echoid-s2496" xml:space="preserve">” Den Kritikern, die <lb/>von Darwin geſagt haben, daß er zwar ein guter Beobachter <lb/>ſei, ab nicht die Fähigkeit beſitze, Schlüſſe zu ziehen, erwidert <lb/>er: </s> <s xml:id="echoid-s2497" xml:space="preserve">“Ich glaube nicht, daß dies richtig ſein kann, denn die <lb/>“Entſtehung der Arten” iſt von Anfang bis zum Ende nur <lb/>eine lange Beweisführung.</s> <s xml:id="echoid-s2498" xml:space="preserve">” “Ich habe ein ordentliches Teil <lb/>Erfindungsgabe — ſagt er ferner — und geſunden Sinnes <pb o="30" file="216" n="216"/> oder Urteils, ſo viel ein jeder erfolgreiche Sachwalter oder <lb/>Arzt beſitzen muß, aber, wie ich glaube, in keinem höheren <lb/>Maße. </s> <s xml:id="echoid-s2499" xml:space="preserve">Was die günſtigere Seite der Wage betrifft, ſo glaube <lb/>ich, daß ich der gewöhnlichen Art Menſchen darin überlegen <lb/>bin, daß ich Dinge, welche der Aufmerkſamkeit leicht entgehen, <lb/>bemerke und dieſelben ſorgfältig beobachte. </s> <s xml:id="echoid-s2500" xml:space="preserve">Mein Fleiß im <lb/>Beobachten und im Sammeln von Thatſachen iſt ſo groß ge-<lb/>weſen, wie er nur hat ſein können. </s> <s xml:id="echoid-s2501" xml:space="preserve">Was aber von weit <lb/>größerer Bedeutung iſt: </s> <s xml:id="echoid-s2502" xml:space="preserve">meine Liebe zur Naturwiſſenſchaft iſt <lb/>beſtändig und heiß geweſen.</s> <s xml:id="echoid-s2503" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2504" xml:space="preserve">Am 19. </s> <s xml:id="echoid-s2505" xml:space="preserve">April 1882 iſt Charles Darwin geſtorben.</s> <s xml:id="echoid-s2506" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2507" xml:space="preserve">Die wenigen ſeiner wiſſenſchaftlichen Gegner aus dem <lb/>Kreiſe ſeiner Zeitgenoſſen, die es noch gab, ſind in dem Zeit-<lb/>raum ſeit ſeinem Tode ins Grab geſunken, und unter der <lb/>neuen Generation der Naturforſcher iſt ein Gegner der <lb/>Deſcendenztheorie kaum noch möglich. </s> <s xml:id="echoid-s2508" xml:space="preserve">Die Kenntnis der <lb/>Prinzipien dieſer Theorie und ſpeziell die Kenntnis des Dar-<lb/>winismus, alſo insbeſondere der Anſichten Charles Darwins <lb/>über die Entſtehung der Arten, gehört heute zu dem elementaren <lb/>Wiſſen jedes Naturforſchers.</s> <s xml:id="echoid-s2509" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2510" xml:space="preserve">Gehen wir nun näher auf die Geſchichte der Deſcendenz-<lb/>lehre ein.</s> <s xml:id="echoid-s2511" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div111" type="section" level="1" n="73"> <head xml:id="echoid-head84" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Gedanken zur Abſtammungslehre im Altertum.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2512" xml:space="preserve">Wenn wir uns nun in der Geſchichte nach Löſungs-<lb/>verſuchen des Problems der Entſtehung der Lebeweſen um-<lb/>ſehen, ſo können wir eigentlich nur ſolche Reſultate beachten, <lb/>die in wiſſenſchaftlichem Sinne verſucht worden ſind, d. </s> <s xml:id="echoid-s2513" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2514" xml:space="preserve">er-<lb/>langt ohne Zuhilfenahme der Mythologie oder Religion, <pb o="31" file="217" n="217"/> ſondern durch Stützung des Reſultats allein auf Erfahrungs-<lb/>thatſachen.</s> <s xml:id="echoid-s2515" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2516" xml:space="preserve">Alles, was über die Entſtehung organiſcher Weſen über-<lb/>haupt geſagt worden iſt, ſoll hier nicht dargeſtellt werden; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2517" xml:space="preserve">vielmehr beſchränken wir uns auf die Erwähnung desjenigen, <lb/>was auf die Darwinſche Theorie Bezug hat. </s> <s xml:id="echoid-s2518" xml:space="preserve">Und wenn auch <lb/>bei vielen <emph style="sp">nur wenige</emph> Berührungspunkte mit Darwinſchen <lb/>Anſchauungen ſich finden, ſo iſt eine kurze Beſprechung der <lb/>hier einſchlagenden Gedanken derjenigen Männer, die ſich eines <lb/>allgemeineren Intereſſes erfreuen, gewiß zu billigen.</s> <s xml:id="echoid-s2519" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2520" xml:space="preserve">Wir beginnen unſere Betrachtung mit Griechenland.</s> <s xml:id="echoid-s2521" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2522" xml:space="preserve">Gerade wie in der Geſchichte der Aſtronomie, welche <lb/>bereits im Altertume von einigen Philoſophen Hypotheſen auf-<lb/>weiſt, die erſt weit ſpäter eine hinreichende Begründung er-<lb/>fuhren, wie bei <emph style="sp">Philolaus</emph> (um 410? </s> <s xml:id="echoid-s2523" xml:space="preserve">v. </s> <s xml:id="echoid-s2524" xml:space="preserve">Chr.) </s> <s xml:id="echoid-s2525" xml:space="preserve">und <emph style="sp">Ariſtarch</emph> <lb/>(um 270 v. </s> <s xml:id="echoid-s2526" xml:space="preserve">Chr.) </s> <s xml:id="echoid-s2527" xml:space="preserve">und vielleicht auch bei <emph style="sp">Plato</emph> (429—348), <lb/>welche die Bewegung der Erde behaupteten, ohne daß ſie jedoch <lb/>ihre Anſichten für die exakte Forſchung verwertbar zu machen <lb/>vermochten, weil ſie ſich nicht auf genügende Erfahrungsthat-<lb/>ſachen ſtützen konnten: </s> <s xml:id="echoid-s2528" xml:space="preserve">ähnlich war es auch in der Geſchichte <lb/>der Lehre vom Urſprung der lebenden Weſen. </s> <s xml:id="echoid-s2529" xml:space="preserve">Denn die <lb/>griechiſchen Philoſophen, welche hier in Betracht kommen, <lb/>haben ihre Hypotheſen ebenfalls nur auf ganz oberflächliche <lb/>Beobachtungen gegründet. </s> <s xml:id="echoid-s2530" xml:space="preserve">Zwar benutzten ſie das zu ihrer <lb/>Zeit anerkanntermaßen wiſſenſchaftlich Feſtſtehende als Grund-<lb/>lage, z. </s> <s xml:id="echoid-s2531" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2532" xml:space="preserve">die Urzeugung; </s> <s xml:id="echoid-s2533" xml:space="preserve">allein bei einigen finden ſich den <lb/>Hypotheſen mythiſche Elemente beigemengt, und das, was als <lb/>wiſſenſchaftlich feſtſtehend angenommen wurde, ward nicht ge-<lb/>prüft.</s> <s xml:id="echoid-s2534" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2535" xml:space="preserve">Der erſte, von dem wir wiſſen, daß er die Frage nach <lb/>der Entſtehung der Lebeweſen zu löſen trachtete, iſt <emph style="sp">Anaxi-</emph> <lb/><emph style="sp">mander</emph> (ca. </s> <s xml:id="echoid-s2536" xml:space="preserve">610 v. </s> <s xml:id="echoid-s2537" xml:space="preserve">Chr.)</s> <s xml:id="echoid-s2538" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2539" xml:space="preserve">Nach dieſem haben die durch Ur-<lb/>zeugung entſtandenen erſten Organismen im Waſſer gelebt, und <pb o="32" file="218" n="218"/> vom Menſchen ſagt er, daß dieſer zuerſt die Geſtalt eines <lb/>Fiſches gehabt habe; </s> <s xml:id="echoid-s2540" xml:space="preserve">dieſe Fiſche ſeien, nachdem ſie ſich im <lb/>Waſſer genährt und die Fähigkeit anders weiter zu leben er-<lb/>langt hätten, an das Land geſchwommen, woſelbſt ihre Um-<lb/>hüllung zerborſten ſei. </s> <s xml:id="echoid-s2541" xml:space="preserve">Das in der Hülle befindliche menſchliche <lb/>Weſen habe nun ſelbſtändig weiter gelebt. </s> <s xml:id="echoid-s2542" xml:space="preserve">Um das letztere <lb/>wahrſcheinlicher zu machen, meinte er, daß die Menſchen nach <lb/>ihrer Geburt viel zu lange der Pflege anderer bedürften, als <lb/>daß ſie, wenn ſie gleich als Menſchen aufgetreten wären, ſich <lb/>ſelbſt hätten erhalten können.</s> <s xml:id="echoid-s2543" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2544" xml:space="preserve"><emph style="sp">Xenophanes</emph> (um 530 v. </s> <s xml:id="echoid-s2545" xml:space="preserve">Chr.) </s> <s xml:id="echoid-s2546" xml:space="preserve">ſtimmte mit Anaximander <lb/>darin überein, daß er ſich die Menſchen entſtanden dachte, als <lb/>die Erde vom “ſchlammartigen” in den feſten Zuſtand überging.</s> <s xml:id="echoid-s2547" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2548" xml:space="preserve">Einige wenn auch ganz entfernte Vergleichspunkte mit der <lb/>Deſcendenz-Theorie bietet auch die Anſicht des <emph style="sp">Empedokles</emph> <lb/>(um 450 v. </s> <s xml:id="echoid-s2549" xml:space="preserve">Chr.)</s> <s xml:id="echoid-s2550" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2551" xml:space="preserve">Dieſer ließ zuerſt die Pflanzen und ſpäter <lb/>die Tiere entſtehen; </s> <s xml:id="echoid-s2552" xml:space="preserve">den letzteren ſollten unvollkommenere Bil-<lb/>dungen vorangegangen ſein: </s> <s xml:id="echoid-s2553" xml:space="preserve">getrennte Teile derſelben, wie <lb/>Köpfe ohne Hals und Arme ohne Schultern, ſeien die erſten <lb/>Produke geweſen. </s> <s xml:id="echoid-s2554" xml:space="preserve">Die Liebe habe allmählich den Haß beſiegt, <lb/>und die Teile ſeien, wie es der Zufall fügte, vereinigt worden: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2555" xml:space="preserve">Stiere mit Menſchenköpfen und Menſchen mit Stierköpfen, <lb/>ſowie Weſen mit zwei Häuptern und dergleichen waren daher <lb/>die nun folgenden Geſtalten. </s> <s xml:id="echoid-s2556" xml:space="preserve">Dieſe jedoch gingen bald wieder <lb/>zu Grunde, und erſt nach wiederholten Verſuchen der Natur <lb/>brachte ſie erhaltungs- und fortpflanzungsfähige Bildungen zu-<lb/>ſtande.</s> <s xml:id="echoid-s2557" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2558" xml:space="preserve">Bei den bisher Genannten finden wir nur Anklänge an <lb/>die Abſtammungs-Lehre; </s> <s xml:id="echoid-s2559" xml:space="preserve">jedoch auch für die Selektions-Theorie <lb/>hat Darwin einen Vorgänger unter den Griechen, inſofern als <lb/><emph style="sp">Ariſtoteles</emph> (384—322 v. </s> <s xml:id="echoid-s2560" xml:space="preserve">Chr.) </s> <s xml:id="echoid-s2561" xml:space="preserve">der erſte geweſen zu ſein <lb/>ſcheint, der die Frage aufwarf, “ob nicht auch ohne eine Zweck-<lb/>thätigkeit der Natur zweckmäßig eingerichtete Naturprodukte <pb o="33" file="219" n="219"/> entſtehen können, indem von den Weſen, welche die blind-<lb/>wirkenden Kräfte in ihrem zufälligen Zuſammentreffen hervor-<lb/>@rachten, nur die lebensfähigen ſich erhielten.</s> <s xml:id="echoid-s2562" xml:space="preserve">” Aber Ariſtoteles <lb/>regt dieſe Frage nur an, die er ſelbſt verneinte, weil in der <lb/>Natur beinahe überall Zweckmäßigkeit vorkomme. </s> <s xml:id="echoid-s2563" xml:space="preserve">Jedoch er-<lb/>kannte, wie Darwin berichtet, der griechiſche Dichter <emph style="sp">Theognis</emph>, <lb/>welcher um 500 v. </s> <s xml:id="echoid-s2564" xml:space="preserve">Chr. </s> <s xml:id="echoid-s2565" xml:space="preserve">lebte, deutlich, wie wichtig die Aus-<lb/>wahl, wenn ſie ſorgfältig angewandt würde, für die Veredelung <lb/>der Menſchheit werden könnte. </s> <s xml:id="echoid-s2566" xml:space="preserve">Darwin erinnert gleichzeitig an <lb/>Sparta, woſelbſt — woran wir ſchon weiter vorn erinnerten — <lb/>geſetzlich die ſchwachen Kinder getötet oder vielleicht nur unter <lb/>die niedrigen Stände verſtoßen wurden, während die kräftigen <lb/>und wohlgebildeten erhalten blieben.</s> <s xml:id="echoid-s2567" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2568" xml:space="preserve">Soweit die Griechen.</s> <s xml:id="echoid-s2569" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2570" xml:space="preserve">Von den Römern, die in wiſſenſchaftlichen Dingen faſt <lb/>ausnahmslos ſich an die Griechen lehnten, läßt ſich nichts Be-<lb/>ſonderes erwarten, wenngleich nach Darwin Regeln über Züch-<lb/>tung, d. </s> <s xml:id="echoid-s2571" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2572" xml:space="preserve">Auswahl der günſtig abändernden Einzelweſen zur <lb/>Nachzucht, ſich bei einigen römiſchen Klaſſikern finden. </s> <s xml:id="echoid-s2573" xml:space="preserve">Ja, <lb/>ſogar in einer alten chineſiſchen Encyclopädie hat er das <lb/>Prinzip der Züchtung gefunden, und aus einigen Stellen der <lb/>Bibel (der Geneſis) ſoll hervorgehen, daß es auch bei den alten <lb/>Iſraeliten nicht unbekannt war.</s> <s xml:id="echoid-s2574" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div112" type="section" level="1" n="74"> <head xml:id="echoid-head85" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Deſcendenz-Lehre im Mittelalter und in der</emph> <lb/><emph style="bf">darauf folgenden Zeit.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2575" xml:space="preserve">Im Mittelalter und bis zum Ende des achtzehnten Jahr-<lb/>hunderts finden wir, wenigſtens ſoweit die Litteratur aus jenen <lb/>Zeiten bis jetzt bekannt iſt, nichts hier Brauchbares erwähnt.</s> <s xml:id="echoid-s2576" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2577" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s2578" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s2579" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s2580" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="34" file="220" n="220"/> <p> <s xml:id="echoid-s2581" xml:space="preserve">Auch laſſen ſich keine bedeutenden Beiträge von einer Zeit wie <lb/>das Mittelalter erwarten, während welcher eine unabhängige <lb/>Wiſſenſchaft nicht möglich war, weil auf die Lehrſätze (die <lb/>“Dogmen”) der Kirche die größten Rückſichten genommen werden <lb/>mußten, wenn man ſich nicht den Verfolgungen derſelben aus-<lb/>ſetzen wollte. </s> <s xml:id="echoid-s2582" xml:space="preserve">Um ſo intereſſanter iſt es daher, daß die Kirche <lb/>ſelbſt aus rein theologiſchen Gründen das Bedürfnis fühlte, <lb/>deſcendenz-theoretiſche Gedanken zu entwickeln. </s> <s xml:id="echoid-s2583" xml:space="preserve">Als es ſich <lb/>nämlich um die Frage handelte, wie Noah in der Arche ſo <lb/>viele Tierformen untergebracht hätte, verſuchte man es, die <lb/>Anzahl der urſprünglich, zur Zeit Noahs, vorhanden geweſenen <lb/>Arten bedeutend zu vermindern, und man half ſich mit der <lb/>Theorie, daß die mannigfaltigen in der Natur vorhandenen <lb/>Arten von Hirſchen, Rindern, Schafen u. </s> <s xml:id="echoid-s2584" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2585" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2586" xml:space="preserve">nur Abarten <lb/>je einer Urform ſeien. </s> <s xml:id="echoid-s2587" xml:space="preserve">Da dieſe Auffaſſung das Dogma unter-<lb/>ſtützte, ſchloſſen ſich die Theologen derſelben an. </s> <s xml:id="echoid-s2588" xml:space="preserve"><emph style="sp">Baco</emph> <lb/>(1561—1626) gab die Möglichkeit der Verwandlung einzelner <lb/>Arten in andere zu, und von den übrigen Forſchern hat ſich <lb/><emph style="sp">Naleigh</emph> (1640) für dieſe Meinung erklärt. </s> <s xml:id="echoid-s2589" xml:space="preserve">Erwähnenswert <lb/>iſt es ferner, daß <emph style="sp">Locke</emph> (1632—1704) betont, daß dem Art-<lb/>Begriff nichts Wirkliches in der Natur entſpricht; </s> <s xml:id="echoid-s2590" xml:space="preserve">auch wird <lb/>gewöhnlich als Vorgänger Darwins der Franzoſe <emph style="sp">Maillet</emph> <lb/>(1735) aufgeführt, der, wenn auch in phantaſtiſcher Weiſe, die <lb/>Wandlungsfähigkeit der organiſchen Weſen behauptete. </s> <s xml:id="echoid-s2591" xml:space="preserve">Der <lb/>Polyhiſtor <emph style="sp">Albrecht v. Haller</emph> (1708—1777) hielt ferner weit-<lb/>gehende Verwandlungen nicht für unmöglich, da er z. </s> <s xml:id="echoid-s2592" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2593" xml:space="preserve">meinte, <lb/>daß der Weizen aus einem für den Landwirt läſtigen Unkraut <lb/>der Quecke, Päde (Triticum repens), veredelt worden ſei. </s> <s xml:id="echoid-s2594" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>Anſicht war übrigens weiter verbreitet und findet ſich auch bei <lb/>ſpäteren Forſchern, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s2595" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2596" xml:space="preserve">bei C. </s> <s xml:id="echoid-s2597" xml:space="preserve">F. </s> <s xml:id="echoid-s2598" xml:space="preserve"><emph style="sp">Hornſchuh</emph> wieder, <lb/>der noch 1848 mitteilt, daß durch eine beſtimmte Behandlung <lb/>ein Übergang von Hafer in Roggen erzielt werden könnte.</s> <s xml:id="echoid-s2599" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="35" file="221" n="221"/> </div> <div xml:id="echoid-div113" type="section" level="1" n="75"> <head xml:id="echoid-head86" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Gedanken zur Deſcendenzlehre bei deutſchen</emph> <lb/><emph style="bf">Philoſophen und Schriftſtellern.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2600" xml:space="preserve">Weil nicht ſelten deutſche Philoſophen Vorgänger Darwins <lb/>genannt wurden, ſeien hier um ſo mehr die Darwinſche Ideen <lb/>berührenden Gedanken derſelben kurz angeführt, als gerade <lb/><emph style="sp">uns</emph> dieſer Kreis von Denkern am meiſten intereſſieren muß.</s> <s xml:id="echoid-s2601" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2602" xml:space="preserve">Wenn auch der erſte bedeutende deutſche Philoſoph nach <lb/>dem Mittelalter, <emph style="sp">Leibniz</emph> (1646—1716), nur von einer Ent-<lb/>wickelung ſeiner Monaden ſpricht und ebenſowenig wie einige <lb/>weiterhin genannte ſpätere Philoſophen von einem durch <lb/>Zeugungen bedingten Zuſammenhange der organiſchen Welt <lb/>irgend etwas ſagt, ſo verdient es dennoch Beachtung, daß er <lb/>eine Stetigkeit in der Abfolge der Weſen annimmt und des-<lb/>halb die Vermutung aufſtellt, daß es eine Zwiſchenſtufe zwiſchen <lb/>Tieren und Pflanzen gebe, weil ſonſt eine Formenleere, ein <lb/>“vacuum formarum”, wie Leibniz ſich ausdrückt, eine Lücke in <lb/>der Stufenreihe der Weſen, vorhanden wäre. </s> <s xml:id="echoid-s2603" xml:space="preserve">Dieſe Annahme <lb/>einer durch die Mannigfaltigkeit der Formen der Naturkörper <lb/>ſich darſtellenden Stufenfolge findet ſich übrigens noch öfters <lb/>wieder, wie gegen Ende des achtzehnten Jahrhunders bei <lb/><emph style="sp">Kielmeyer</emph> (1793), welcher meinte, daß die organiſche Welt <lb/>eine von den Säugetieren an ſtetig abſteigende Reihe bilde. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2604" xml:space="preserve">Es ſind dies jedoch nur Ausdrucksweiſen für die Formver-<lb/>wandtſchaft der Weſen.</s> <s xml:id="echoid-s2605" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2606" xml:space="preserve">Auch <emph style="sp">Leſſings</emph> Zuneigung zum Entwickelungsprinzip <lb/>(um 1777), zur Lehre vom allmählichen Entſtehen und Werden <lb/>des in der Welt zur Erſcheinung Kommenden, muß hier hervor-<lb/>gehoben werden. </s> <s xml:id="echoid-s2607" xml:space="preserve">Das Studium der philoſophiſchen Werke <lb/>dieſes Mannes erhebt bald über allen Zweifel in betreff ſeiner <lb/>in unſere Unterſuchung einſchlagenden Anſichten. </s> <s xml:id="echoid-s2608" xml:space="preserve">Er ſieht in <lb/>der Welt eine Entwickelung vor ſich gehen: </s> <s xml:id="echoid-s2609" xml:space="preserve">ein allmähliches <pb o="36" file="222" n="222"/> Werden des Vollkommeneren aus dem weniger Vollkommenen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2610" xml:space="preserve">Für alles, was wir wahrnehmen, ſowohl für das Geiſtige, wie <lb/>für das Körperliche, fordert er eine Einheit, aus der es ent-<lb/>ſtanden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s2611" xml:space="preserve">Fügen wir einige Citate aus Leſſings Schriften <lb/>bei, die ihren Urſprung der Idee der Entwickelung verdanken: </s> <s xml:id="echoid-s2612" xml:space="preserve"><lb/>“Die Seele iſt ein einfaches Weſen, welches unendlicher Vor-<lb/>ſtellungen fähig iſt. </s> <s xml:id="echoid-s2613" xml:space="preserve">Da ſie aber ein endliches Weſen iſt, ſo <lb/>iſt ſie dieſer unendlichen Vorſtellungen nicht auf einmal fähig, <lb/>ſondern erlangt ſie nach und nach in einer unendlichen Folge <lb/>von Zeit.</s> <s xml:id="echoid-s2614" xml:space="preserve">” Und weiter: </s> <s xml:id="echoid-s2615" xml:space="preserve">“Wenn die Natur nirgends einen <lb/>Sprung thut, ſo wird auch die Seele alle unteren Staffeln <lb/>durchgegangen ſein, ehe ſie auf die gekommen, auf welcher ſie <lb/>ſich gegenwärtig befindet.</s> <s xml:id="echoid-s2616" xml:space="preserve">” Alſo nach und nach erhält die <lb/>Seele ihre Ausbildung; </s> <s xml:id="echoid-s2617" xml:space="preserve">es entſtehen nacheinander die Sinne. </s> <s xml:id="echoid-s2618" xml:space="preserve"><lb/>“Solcher Sinne hat ſie gegenwärtig fünfe,” fährt er fort, <lb/>“aber nichts kann uns bewegen zu glauben, daß ſie Vor-<lb/>ſtellungen zu haben ſofort mit dieſen fünf Sinnen angefangen <lb/>habe.</s> <s xml:id="echoid-s2619" xml:space="preserve">” Deshalb meint Leſſing, daß es wohl denkbar ſei, daß <lb/>der Menſch mehr als fünf Sinne haben könne, allerdings nur <lb/>in einem weiteren Entwickelungszuſtand der Seele. </s> <s xml:id="echoid-s2620" xml:space="preserve">“Wenn <lb/>wir nur vier Sinne hätten”, ſagt er, “und der Sinn des Ge-<lb/>ſichts uns fehlte, ſo würden wir uns von dieſem ebenſowenig <lb/>einen Begriff machen können, als von einem ſechſten Sinne.</s> <s xml:id="echoid-s2621" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2622" xml:space="preserve">Leſſing hat auf den Zoologen Oken (1779—1851), der <lb/>das Tierreich als eine allmähliche Entwickelung der Fünf-<lb/>ſinnigkeit des Menſchen darzuſtellen ſuchte, anregend gewirkt, <lb/>aber nicht minder der Philoſoph <emph style="sp">Schelling</emph> (1775—1854), <lb/>der namentlich durch die Annahme einer durch die Natur <lb/>gehenden “Evolution” (d. </s> <s xml:id="echoid-s2623" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2624" xml:space="preserve">Entwickelung) einen bedeutenden <lb/>Einfluß ausgeübt zu haben ſcheint. </s> <s xml:id="echoid-s2625" xml:space="preserve">Denn es iſt ſehr wahr-<lb/>ſcheinlich kein Zufall, daß unter den als Vorgänger Darwins <lb/>aufgeführten Gelehrten Schüler und Zeitgenoſſen Schellings <lb/>ſich befinden, die bekanntermaßen Ideen desſelben hold waren, <pb o="37" file="223" n="223"/> und es bleibt dieſe Einwirkung wahrſcheinlich, wenngleich <lb/>Schelling meinte, daß der Bildungstrieb durch den Geſchlechts-<lb/>unterſchied auf beſtimmten Stufen gehemmt werde, da die Ver-<lb/>einigung der Geſchlechter wiederum nur Individuen derſelben <lb/>Art erzeugte, und ſie nur das Mittel ſei zur Erhaltung der <lb/>Gattung. </s> <s xml:id="echoid-s2626" xml:space="preserve">In der letzten Periode ſeines Geiſteslebens ſpricht <lb/>Schelling von einer ſtufenweiſen Entwickelung der Natur bis <lb/>zum Menſchen.</s> <s xml:id="echoid-s2627" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div114" type="section" level="1" n="76"> <head xml:id="echoid-head87" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Johann Gottfried Herder.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2628" xml:space="preserve">Die Betrachtung Leſſingſcher Gedanken hat uns in die <lb/>neuere Zeit hineingeführt, wir müſſen jedoch noch einmal und <lb/>zwar auf <emph style="sp">Herder</emph> zurückgehen. </s> <s xml:id="echoid-s2629" xml:space="preserve">In ſeinen “Ideen zur Philo-<lb/>ſophie der Geſchichte der Menſchheit”, welche vor mehr als <lb/>hundert Jahren (1784—1791) erſchienen, ſucht Herder die <lb/>Menſchengeſchichte als die Fortſetzung der Geſchichte der Natur <lb/>aufzufaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s2630" xml:space="preserve">Von dieſer ſagt er: </s> <s xml:id="echoid-s2631" xml:space="preserve">“Nichts in ihr ſteht ſtill; </s> <s xml:id="echoid-s2632" xml:space="preserve">alles <lb/>ſtrebt und rückt weiter.</s> <s xml:id="echoid-s2633" xml:space="preserve">” Und da von der Anſchauung des <lb/>Werdens, der ewigen Bewegung der Natur die Idee der Ent-<lb/>wickelung ausgeht, kommt er zu dem Schluß, daß der Menſch <lb/>als höchſtes Weſen der Erde auch das Endglied einer Ent-<lb/>wickelung von der Pflanze zum Tier, von dieſem zum Menſchen <lb/>ſein müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s2634" xml:space="preserve">So ſagt er, nachdem er bereits über Erde, Pflanzen <lb/>und Tiere Betrachtungen angeſtellt hat: </s> <s xml:id="echoid-s2635" xml:space="preserve">“Der Menſchen ältere <lb/>Brüder ſind die Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s2636" xml:space="preserve">Ehe jene da waren, waren dieſe.</s> <s xml:id="echoid-s2637" xml:space="preserve">” <lb/>Und ferner: </s> <s xml:id="echoid-s2638" xml:space="preserve">“Vom Stein zum Kryſtall, vom Kryſtall zu den <lb/>Metallen, von dieſen zur Pflanzenſchöpfung, von den Pflanzen <lb/>zum Tier, von dieſen zum Menſchen ſahen wir die Form der <lb/>Organiſation ſteigen, mit ihr auch die Kräfte und Triebe des <pb o="38" file="224" n="224"/> Geſchöpfes vielartiger werden und ſich endlich alle in der Ge-<lb/>ſtalt des Menſchen, ſofern dieſe ſie faſſen konnte, vereinen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2639" xml:space="preserve">Bei dem Menſchen ſtand die Reihe ſtill; </s> <s xml:id="echoid-s2640" xml:space="preserve">wir kennen kein Ge-<lb/>ſchöpf über ihm, das vielartiger und künſtlicher organiſiert <lb/>ſei; </s> <s xml:id="echoid-s2641" xml:space="preserve">er ſcheint das höchſte, wozu eine Erdorganiſation gebildet <lb/>werden konnte.</s> <s xml:id="echoid-s2642" xml:space="preserve">” Wenn auch Herder nur vom “Steigen der <lb/>Form der Organiſation” ſpricht, ſo denkt er ſich doch nicht dieſe <lb/>Formen zuſammenhanglos; </s> <s xml:id="echoid-s2643" xml:space="preserve">vielmehr ſind ſie alle miteinander <lb/>verknüpft: </s> <s xml:id="echoid-s2644" xml:space="preserve">die niedriger organiſierten bedingen die höheren <lb/>Weſen. </s> <s xml:id="echoid-s2645" xml:space="preserve">Deshalb ſagt er: </s> <s xml:id="echoid-s2646" xml:space="preserve">“Alles iſt in der Natur verbunden; </s> <s xml:id="echoid-s2647" xml:space="preserve"><lb/>ein Zuſtand ſtrebt zum anderen und bereitet ihn vor. </s> <s xml:id="echoid-s2648" xml:space="preserve">Wenn <lb/>alſo der Menſch die Kette der Erdorganiſation als ihr höchſtes <lb/>und letztes Glied ſchloß, ſo fängt er auch eben dadurch die <lb/>Kette einer höheren Gattung von Geſchöpfen als ihr niedrigſtes <lb/>Glied an, und ſo iſt er wahrſcheinlich der Mittelring zwiſchen <lb/>zwei ineinander greifenden Syſtemen der Schöpfung. </s> <s xml:id="echoid-s2649" xml:space="preserve">Wie wir <lb/>ſehen, war Herder nicht geneigt, den Menſchen als das Ziel <lb/>der Entwickelung der Natur zu betrachten, ſondern er erblickt <lb/>in ihm auch den Anfang einer neuen Entwickelungsreihe. </s> <s xml:id="echoid-s2650" xml:space="preserve"><lb/>Woraus er denn ſchließt: </s> <s xml:id="echoid-s2651" xml:space="preserve">“Wenn höhere Geſchöpfe alſo auf <lb/>uns blicken, ſo mögen ſie uns, wie wir die Mittelgattungen, <lb/>betrachten, mit denen die Natur aus einem Element ins andere <lb/>übergeht.</s> <s xml:id="echoid-s2652" xml:space="preserve">” Aus dieſen Ausſprüchen folgt wohl, daß Herder <lb/>das Prinzip der Entwickelung auf die Natur in weiteſtem <lb/>Sinne anzuwenden beſtrebt war; </s> <s xml:id="echoid-s2653" xml:space="preserve">allein ob ihm wirklich eine <lb/>Blutsverwandtſchaft aller Lebeweſen, wie er ſie für das <lb/>Menſchengeſchlecht mit Beſtimmtheit annahm, vorgeſchwebt hat, <lb/>kann aus Herders Worten keineswegs geſchloſſen werden — <lb/>wahrſcheinlich iſt es nicht. </s> <s xml:id="echoid-s2654" xml:space="preserve">— Wie ſich die genannten Philo-<lb/>ſophen die Entwickelung im Einzelnen überhaupt dachten, wird <lb/>nicht geſagt.</s> <s xml:id="echoid-s2655" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2656" xml:space="preserve">Noch könnte manches Einſchlagende aus dem genannten <lb/>Werke Herders aufgeführt werden; </s> <s xml:id="echoid-s2657" xml:space="preserve">jedoch ſchon obiges iſt für <pb o="39" file="225" n="225"/> unſeren Zweck vollkommen ausreichend. </s> <s xml:id="echoid-s2658" xml:space="preserve">Aber einer Stelle ſei <lb/>noch Erwähnung gethan, die unwillkürlich den Gedanken an <lb/>den Begriff des Kampfes ums Daſein im Sinne Darwins <lb/>erweckt, deſſen Vorhandenſein Herder zwar erkannt, aber deſſen <lb/>volle Bedeutung er noch nicht erfaßt hat. </s> <s xml:id="echoid-s2659" xml:space="preserve">An den thatſächlich <lb/>zwiſchen den Weſen ſtattfindenden Kampf denkend, der, weil er <lb/>ſo allgemein ſei, auch Natur ſein müſſe, legt er ſich die Frage <lb/>vor: </s> <s xml:id="echoid-s2660" xml:space="preserve">“Warum that die Natur dies? </s> <s xml:id="echoid-s2661" xml:space="preserve">Warum drängte ſie ſo <lb/>die Geſchöpfe auf einander?</s> <s xml:id="echoid-s2662" xml:space="preserve">” Und er antwortet ſogleich: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2663" xml:space="preserve">“Weil ſie im kleinſten Raum die größte und vielfachſte Anzahl <lb/>der Lebenden ſchaffen wollte, wo alſo auch eins das andere <lb/>überwältigt und nur durch das Gleichgewicht Friede wird in <lb/>der Schöpfung. </s> <s xml:id="echoid-s2664" xml:space="preserve">Jede Gattung ſorgt für ſich, als ob ſie die <lb/>einzige wäre; </s> <s xml:id="echoid-s2665" xml:space="preserve">ihr zur Seite ſteht aber eine andere da, die ſie <lb/>einſchränkt, und nur in dieſem Verhältnis entgegengeſetzter <lb/>Arten fand die Schöpferin das Mittel zur Erhaltung des <lb/>Ganzen. </s> <s xml:id="echoid-s2666" xml:space="preserve">Sie wog die Kräfte, ſie beſtimmte die Triebe der <lb/>Gattungen gegen einander und ließ übrigens die Erde tragen, <lb/>was ſie zu tragen vermochte.</s> <s xml:id="echoid-s2667" xml:space="preserve">”</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div115" type="section" level="1" n="77"> <head xml:id="echoid-head88" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Immanuel Kaut.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2668" xml:space="preserve">Am klarſten wirklich ausgeſprochen findet ſich jedoch die <lb/>Abſtammungstheorie bei <emph style="sp">Kant</emph> (1790). </s> <s xml:id="echoid-s2669" xml:space="preserve">Nachdem er die Ähn-<lb/>lichkeit ſo vieler Arten und den “Mechanismus der Natur”, <lb/>ohne welchen es ohnedem keine Naturwiſſenſchaft geben könne, <lb/>erwähnt hat, ſagt er: </s> <s xml:id="echoid-s2670" xml:space="preserve">“Dieſe Analogie der Formen, ſofern ſie <lb/>bei aller Verſchiedenheit einem gemeinſchaftlichen Urbilde gemäß <lb/>erzeugt zu ſein ſcheinen, verſtärkt die Vermutung einer wirk-<lb/>lichen Verwandtſchaft derſelben in der Erzeugung von einer <pb o="40" file="226" n="226"/> gemeinſchaftlichen Urmutter, durch die ſtufenartige Annäherung <lb/>einer Tiergattung zur andern, von derjenigen an, in welcher <lb/>das Prinzip der Zwecke am meiſten bewährt zu ſein ſcheint, <lb/>nämlich dem Menſchen, bis zum Polyp, von dieſem ſogar bis <lb/>zu Mooſen und Flechten und endlich zu der niedrigſten uns <lb/>merklichſten Stufe der Natur, zur rohen Materie, aus welcher <lb/>und ihren Kräften nach mechaniſchen Geſetzen (gleich denen, <lb/>danach ſie in Kryſtallerzeugungen wirkt) die ganze Technik der <lb/>Natur, die uns in organiſierten Weſen ſo unbegreiflich iſt, <lb/>daß wir uns dazu ein anderes Prinzip zu denken genötigt <lb/>glauben, abzuſtammen ſcheint.</s> <s xml:id="echoid-s2671" xml:space="preserve">” — Kant hat auch die Wirkungs-<lb/>weiſe der künſtlichen Züchtung erkannt (1757). </s> <s xml:id="echoid-s2672" xml:space="preserve">Dieſes Prinzip <lb/>ſcheint überhaupt ſchon länger angewendet worden zu ſein und <lb/>zwar von Züchtern teils mit voller Einſicht, teils unbewußt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2673" xml:space="preserve">Nach Darwin findet es ſich in Schriften aus der altengliſchen <lb/>Geſchichte angegeben, und er macht darauf aufmerkſam, daß in <lb/>Preußen zur Erlangung großer Grenadiere eine methodiſche <lb/>Zuchtwahl ausgeübt wurde; </s> <s xml:id="echoid-s2674" xml:space="preserve">denn es werde ausdrücklich an-<lb/>geführt, daß in den Dörfern, welche die Grenadiere mit ihren <lb/>großen Weibern bewohnten, viele eben ſo große Leute auf-<lb/>gezogen worden ſeien. </s> <s xml:id="echoid-s2675" xml:space="preserve">— Das Prinzip der natürlichen Zucht-<lb/>wahl jedoch wurde zuerſt in wiſſenſchaftlicher Weiſe von dem <lb/>Engländer C. </s> <s xml:id="echoid-s2676" xml:space="preserve"><emph style="sp">Wells</emph> (1813) ausgeſprochen, der es allerdings <lb/>nur auf Menſchenraſſen anwandte und nur, um die Entſtehung <lb/>beſonderer Merkmale zu erklären.</s> <s xml:id="echoid-s2677" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div116" type="section" level="1" n="78"> <head xml:id="echoid-head89" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Goethe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2678" xml:space="preserve">Endlich ſei hier noch <emph style="sp">Goethes</emph> gedacht, der wiederholt <lb/>deſcendenz-theoretiſch anklingende Gedanken und einmal den <lb/>Gedanken der Deſcendenz ganz klar mit Hinzufügung von <pb o="41" file="227" n="227"/> Erklärungen über die Entſtehung der Arten im Sinne Lamarcks <lb/>geäußert hat. </s> <s xml:id="echoid-s2679" xml:space="preserve">Er ſagt, als ihm in Italien neue Pflanzen <lb/>entgegentreten, “in Vorahnungen kommender naturwiſſenſchaft-<lb/>licher Ideen” (Helmholtz):</s> <s xml:id="echoid-s2680" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2681" xml:space="preserve">“Bei gewohnten Pflanzen, ſo wie bei anderen längſt be-<lb/>kannten Gegenſtänden denken wir zuletzt gar nichts; </s> <s xml:id="echoid-s2682" xml:space="preserve">und was <lb/>iſt Beſchauen ohne Denken? </s> <s xml:id="echoid-s2683" xml:space="preserve">Hier in dieſer nen mir entgegen-<lb/>tretenden Mannigfaltigkeit wird jener Gedanke immer lebendiger, <lb/>daß man ſich alle Pflanzengeſtalten vielleicht aus <emph style="sp">einer</emph> ent-<lb/>wickeln könne. </s> <s xml:id="echoid-s2684" xml:space="preserve">Hierdurch würde es allein möglich werden, <lb/>Geſchlechter und Arten wahrhaft zu beſtimmen, welches, wie <lb/>mich dünkt, bisher ſehr willkürlich geſchieht. </s> <s xml:id="echoid-s2685" xml:space="preserve">Auf dieſem Punkte <lb/>bin ich in meiner botaniſchen Philoſophie ſtecken geblieben, <lb/>und ich ſehe noch nicht, wie ich mich entwirren will. </s> <s xml:id="echoid-s2686" xml:space="preserve">Die <lb/>Tiefe und Breite dieſes Geſchäfts ſcheint mir völlig gleich.</s> <s xml:id="echoid-s2687" xml:space="preserve">” — <lb/>Und an einer anderen Stelle: </s> <s xml:id="echoid-s2688" xml:space="preserve">“Das Wechſelvolle der Pflanzen-<lb/>geſtalten hat in mir mehr und mehr die Vorſtellung erweckt, <lb/>die uns umgebenden Pflanzenformen ſeien nicht urſprünglich <lb/>determiniert und feſtgeſtellt, ihnen ſei vielmehr bei einer eigen-<lb/>ſinnigen generiſchen und ſpezifiſchen Hartnäckigkeit eine glück-<lb/>liche Mobilität und Biegſamkeit verliehen, um in ſo viele <lb/>Bedingungen, die über den Erdkreis auf ſie einwirken, ſich zu <lb/>fügen, hiernach bilden und umbilden zu können. </s> <s xml:id="echoid-s2689" xml:space="preserve">Hier kommen <lb/>die Verſchiedenheiten des Bodens in Betracht; </s> <s xml:id="echoid-s2690" xml:space="preserve">reichlich genährt <lb/>durch Feuchte der Thäler, verkümmert durch Trockne der Höhen, <lb/>geſchützt vor Froſt und Hitze in jedem Maße, oder beiden <lb/>unausweichbar bloßgeſtellt, kann das Geſchlecht ſich zur Art, <lb/>die Art zur Varietät, dieſe wieder durch andere Bedingungen <lb/>ins Unendliche ſich verändern . </s> <s xml:id="echoid-s2691" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2692" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s2693" xml:space="preserve">die allerentfernteſten jedoch <lb/>haben eine ausgeſprochene Verwandtſchaft, ſie laſſen ſich ohne <lb/>Zwang unter einander vergleichen.</s> <s xml:id="echoid-s2694" xml:space="preserve">”</s> </p> <pb o="42" file="228" n="228"/> </div> <div xml:id="echoid-div117" type="section" level="1" n="79"> <head xml:id="echoid-head90" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Lamarckismus.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2695" xml:space="preserve">Diejenigen Männer nun aber, welche für die neuere Zeit <lb/>der Geſchichte der Lehre von der “Entſtehung der Arten” ganz <lb/>beſonders wichtig ſind, das ſind am Anfang unſeres Jahr-<lb/>hunderts vor allen Dingen <emph style="sp">Jean Baptiſt de Lamarck</emph> und <lb/><emph style="sp">Etienne Geoffroy Saint-Hilaire</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s2696" xml:space="preserve">Zur Zeit des Lebens <lb/>dieſer Forſcher beginnt das Problem der Entſtehung der Arten <lb/>häufiger behandelt zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s2697" xml:space="preserve">Die Einzelkenntnis der Tiere <lb/>und Pflanzen war ſoweit herangereift, daß die Idee der Bluts-<lb/>verwandtſchaft größerer Gruppen derſelben in das Bewußtſein <lb/>eindringen <emph style="sp">mußte.</emph></s> <s xml:id="echoid-s2698" xml:space="preserve">Und daß manche der bedeutenderen Ge-<lb/>lehrten wirklich ihr Augenmerk auf die vorliegende Frage ge-<lb/>richtet hatten und den Streit der Häupter in dieſer Angelegen-<lb/>heit verfolgten, zeigt ſich darin, daß in philoſophiſchen und <lb/>naturwiſſenſchaftlichen Werken aus dem Anfange unſeres Jahr-<lb/>hunderts dieſes Problem beſprochen wird.</s> <s xml:id="echoid-s2699" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2700" xml:space="preserve"><emph style="sp">Lamarck</emph> hat zuerſt in naturwiſſenſchaftlichen Kreiſen <lb/>größere Aufmerkſamkeit für ſeine Theorie gefunden, aber ſie <lb/>wird erſt neuerdings in dem Maße gewürdigt, wie ſie es ver-<lb/>dient. </s> <s xml:id="echoid-s2701" xml:space="preserve">Lamarck hat 1802 und ausführlicher 1809 ein Syſtem <lb/>der Abſtammungslehre aufgeſtellt, das er — durch die weiteſten <lb/>Erfahrungen unterſtützt — umſichtig begründete. </s> <s xml:id="echoid-s2702" xml:space="preserve">Er erklärte <lb/>die Formen der Lebeweſen durch Anpaſſung an äußere Be-<lb/>dingungen und glaubte, daß hierzu Übung, Gewohnheit und <lb/>Vererbung der durch dieſe erlangten Charaktere ausreichend <lb/>ſeien. </s> <s xml:id="echoid-s2703" xml:space="preserve">Er geht davon aus, daß die Verhältniſſe auf die Lebe-<lb/>weſen einen Einfluß ausüben, und da die erſteren ſich ändern, <lb/>ſo wirken ſie auch umgeſtaltend auf die letzteren. </s> <s xml:id="echoid-s2704" xml:space="preserve">Beſonders <lb/>bemerkenswert iſt der von Lamarck ausgeſprochene Satz: </s> <s xml:id="echoid-s2705" xml:space="preserve">“Nicht <lb/>die Organe, d. </s> <s xml:id="echoid-s2706" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2707" xml:space="preserve">die Natur und Geſtalt der Körperteile eines <lb/>Tieres haben ſeine Gewohnheiten und ſeine beſonderen Fähig- <pb o="43" file="229" n="229"/> keiten hervorgerufen, ſondern umgekehrt ſeine Gewohnheiten, <lb/>ſeine Lebensweiſe und die Verhältniſſe, in denen ſich das In-<lb/>dividuum, von denen das Tier abſtammt, befanden, haben mit <lb/>der Zeit ſeine Körperteile, die Zahl und den Zuſtand ſeiner <lb/>Organe und ſeine Fähigkeiten beſtimmt.</s> <s xml:id="echoid-s2708" xml:space="preserve">” Alſo der Wille <lb/>des Tieres, zu leben, hat die beſonderen Einrichtungen hervor-<lb/>gerufen.</s> <s xml:id="echoid-s2709" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2710" xml:space="preserve">Allgemein bekannt iſt das Lamarckſche Beiſpiel von der <lb/>Giraffe. </s> <s xml:id="echoid-s2711" xml:space="preserve">Er ſagt: </s> <s xml:id="echoid-s2712" xml:space="preserve">“Bezüglich der Gewohnheiten iſt die durch <lb/>dieſe geſchaffene, beſondere Form und Geſtalt bei der Giraffe <lb/>bemerkenswert: </s> <s xml:id="echoid-s2713" xml:space="preserve">man weiß, daß dieſes Tier — das größeſte <lb/>unter den Säugetieren — das Innere Afrikas bewohnt und <lb/>daß es in Gegenden zu Hauſe iſt, wo der faſt immer trockene <lb/>und weideloſe Erdboden das Tier nötigt, das Laub der Bäume <lb/>als Nahrung zu benutzen und ſich daher beſtändig bemühen <lb/>muß, dasſelbe zu erreichen. </s> <s xml:id="echoid-s2714" xml:space="preserve">Aus dieſer lange gepflegten Ge-<lb/>wohnheit iſt bei allen Individuen der Art das Reſultat ent-<lb/>ſprungen, daß ihre Vorderbeine länger geworden ſind als die <lb/>Hinterbeine, und daß ihr Hals ſich derartig verlängert hat, <lb/>daß die Giraffe, ohne ſich auf die Hinterbeine aufzurichten, <lb/>ihren Kopf erhebt und bis ſechs Meter über den Erdboden <lb/>langen kann.</s> <s xml:id="echoid-s2715" xml:space="preserve">” Fig. </s> <s xml:id="echoid-s2716" xml:space="preserve">3.</s> <s xml:id="echoid-s2717" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2718" xml:space="preserve">Außer der Erwerbung neuer Eigenſchaften durch den Ge-<lb/>brauch und Vererbung derſelben auf die Nachkommen, nahm <lb/>Lamarck die gleichzeitige Wirkung organiſcher Bildungsgeſetze <lb/>an, die von einer unerforſchlichen erſten Urſache, von dem <lb/>Willen des Urhebers aller Dinge ausgehen. </s> <s xml:id="echoid-s2719" xml:space="preserve">Dieſe Entwicke-<lb/>lungsgeſetze ſollten die Stufenfolge bewirkt haben, in welcher <lb/>ſich Tiere und Pflanzen in fortſchreitender Ausbildung der <lb/>Organiſation vom Einfachen zum Verwickelteren ausbildeten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2720" xml:space="preserve">Wäre die unaufhörlich auf Verwirklichung der Organiſation <lb/>hinſtrebende Urſache die einzige, welche Abänderungen jener <lb/>hervorruft, ſo würde die Stufenfolge der Tiere eine regel- <pb o="44" file="230" n="230"/> mäßige ſein; </s> <s xml:id="echoid-s2721" xml:space="preserve">in Wahrheit aber erſcheint dieſelbe ſehr unregel-<lb/>mäßig, und zwar infolge der zweiten, auf Abänderungen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-230-01a" xlink:href="fig-230-01"/> hinwirkenden Urſache, des Einfluſſes einer großen Zahl ver-<lb/>ſchiedener Verhältniſſe, welche die Anpaſſung im Einzelnen <pb o="45" file="231" n="231"/> vermitteln und beſtrebt ſind, Störungen in der durch die <lb/>Bildungsgeſetze bedingten Arbeit der Natur, ſowie Abweichungen <lb/>in der kontinuierlichen Stufenfolge der Organiſation herbei-<lb/>zuführen.</s> <s xml:id="echoid-s2722" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div117" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-230-01" xlink:href="fig-230-01a"> <caption xml:id="echoid-caption60" xml:space="preserve">Fig. 3. Die Giraffe.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s2723" xml:space="preserve">Die einfachſten Lebeweſen entſtehen nach Lamarck unter <lb/>günſtigen Bedingungen durch Urzeugung.</s> <s xml:id="echoid-s2724" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2725" xml:space="preserve">Lamarck nimmt alſo vom Schöpfer gegebene Bildunggeſetze <lb/>in Anſpruch, und <emph style="sp">Darwin</emph> läßt den Schöpfer das erſte oder <lb/>die erſten Lebeweſen erſchaffen: </s> <s xml:id="echoid-s2726" xml:space="preserve">die Grenze unſerer derzeitigen <lb/>Erkenntnis wird hiermit gekennzeichnet. </s> <s xml:id="echoid-s2727" xml:space="preserve">Schon von <emph style="sp">Kant</emph> <lb/>war dieſe beſtimmt worden: </s> <s xml:id="echoid-s2728" xml:space="preserve">dieſer ſtellt es zwar als Aufgabe <lb/>aller Naturwiſſenſchaft hin, einer mechaniſchen Erklärung <lb/>aller Naturprodukte ſoweit als möglich nachzugehen, aber das <lb/>Vermögen, damit allein auszureichen, ſpricht er dem menſch-<lb/>lichen Geiſte ab.</s> <s xml:id="echoid-s2729" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2730" xml:space="preserve">Die Lamarck’ſche Auffaſſung iſt alſo wohl von derjenigen <lb/>Darwin’s zu unterſcheiden, da der letztere annimmt, daß von <lb/>den nach allen möglichen Richtungen hin abändernden Weſen <lb/>nur die günſtigſten, zweckmäßigſten im Kampf ums Daſein <lb/>erhalten bleiben.</s> <s xml:id="echoid-s2731" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div119" type="section" level="1" n="80"> <head xml:id="echoid-head91" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Jean Baptiſt de Lamarck.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2732" xml:space="preserve">Lamarck, am 1. </s> <s xml:id="echoid-s2733" xml:space="preserve">Auguſt 1744 als das 11. </s> <s xml:id="echoid-s2734" xml:space="preserve">Kind eines <lb/>Edelmanns in der Picardie geboren, war zum geiſtlichen Stande <lb/>beſtimmt, entzog ſich aber den Händen der Jeſuiten zu Amiens, <lb/>die ſeine ſpätere Erziehung leiteten, nach dem Tode ſeines <lb/>Vaters durch die Flucht, um Soldat zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s2735" xml:space="preserve">Er kämpfte <lb/>als ſolcher gegen die verbündeten deutſchen Heere, zeichnete ſich <lb/>durch Mut und Tapferkeit aus und avancierte zum Offizier.</s> <s xml:id="echoid-s2736" xml:space="preserve"> <pb o="46" file="232" n="232"/> Nach Beendigung des Krieges kam er nach Toulon und <lb/>Monaco in Garniſon. </s> <s xml:id="echoid-s2737" xml:space="preserve">Die Pflanzen der Umgebung derſelben <lb/>machten ihn zum Botaniker, nachdem er aus dem Militärdienſt <lb/>ausgetreten war. </s> <s xml:id="echoid-s2738" xml:space="preserve">Aber nur in ſeinen Mußeſtunden konnte er <lb/>ſtudieren: </s> <s xml:id="echoid-s2739" xml:space="preserve">ſeinen Lebensunterhalt erwarb er durch Arbeit bei <lb/>einem Bankier in Paris. </s> <s xml:id="echoid-s2740" xml:space="preserve">Als Frucht ſeines Studiums er-<lb/>ſchien 1778 die franzöſiſche Flora in drei Bänden, und außer-<lb/>dem bearbeitete Lamarck botaniſche Artikel für das von Diderot <lb/>und D’Alembert herausgegebene große Sammelwerk, die <lb/>“Encyclopédie méthodique“. </s> <s xml:id="echoid-s2741" xml:space="preserve">Aber es wollte ihm nicht <lb/>glücken, eine geſicherte Stellung im Staatsdienſte zu erringen: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2742" xml:space="preserve">ſeine beſten Lebensjahre verbrachte er in Sorge und Not. </s> <s xml:id="echoid-s2743" xml:space="preserve">Erſt <lb/>beinahe 50 jährig wurde ihm an dem neu gegründeten Muſeum <lb/>für Naturkunde (Musée d’histoire naturelle) eine Profeſſur <lb/>für Zoologie verliehen, die er nach einjähriger Vorbereitung <lb/>1794 antrat. </s> <s xml:id="echoid-s2744" xml:space="preserve">Er beſchäftigte ſich namentlich mit dem Syſtem <lb/>der Tiere, das von Jahr zu Jahr durch ihn verbeſſert wurde. </s> <s xml:id="echoid-s2745" xml:space="preserve"><lb/>Die mühevollen Studien, die Lamarck zu den Verbeſſerungen <lb/>führten, ſind in ſeiner 7 bändigen Naturgeſchichte der wirbel-<lb/>loſen Tiere niedergelegt, das ein Werk erſten Ranges iſt und <lb/>auch lange Jahre für die Formkenntnis der niederen Tiere <lb/>maßgebend blieb. </s> <s xml:id="echoid-s2746" xml:space="preserve">Seine früher erſchienene Philoſophie der <lb/>Zoologie (Philosophie zoologique) geriet jedoch bald in Ver-<lb/>geſſenheit. </s> <s xml:id="echoid-s2747" xml:space="preserve">Die angeſtrengte Thätigkeit bei Unterſuchung kleiner <lb/>Objekte hatte Lamarck’s Augen derartig geſchwächt, daß ſie <lb/>zuletzt vollſtändig erblindeten. </s> <s xml:id="echoid-s2748" xml:space="preserve">Die letzten zehn Jahre lebte er <lb/>“in Finſternis verſenkt” und materiell beſchränkt, bis er am <lb/>18. </s> <s xml:id="echoid-s2749" xml:space="preserve">Dezember 1829 im Alter von 85 Jahren ſtarb.</s> <s xml:id="echoid-s2750" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2751" xml:space="preserve">Die genannte, 1809 erſchienene Philosophie zoologique iſt <lb/>in den Augen der heutigen Naturforſchung das wichtigſte Werk <lb/>Lamarck’s: </s> <s xml:id="echoid-s2752" xml:space="preserve">es iſt eines jener wichtigen Fundamental-Werke ge-<lb/>worden, die man als “claſſiſch” bezeichnet: </s> <s xml:id="echoid-s2753" xml:space="preserve">enthält es doch die <lb/>heute in der Wiſſenſchaft von den Lebeweſen ſo außerordentlich <pb o="47" file="233" n="233"/> wichtig gewordene Lehre von der Herkunft der Arten und <lb/>zwar überdies in einer Ausgeſtaltung, die nach Anſicht einer <lb/>Anzahl trefflicher Gelehrter derjenigen Charles Darwin’s über-<lb/>legen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s2754" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div120" type="section" level="1" n="81"> <head xml:id="echoid-head92" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Darwins Meinung über Lamarck.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2755" xml:space="preserve">Bei der außerordentlichen Sachlichkeit, welche Darwins <lb/>ſämtliche Forſchungen, welche ſein ganzes Leben bewunderungs-<lb/>würdig beſeelt, muß es hohes Befremden erregen, daß er ſich <lb/>geringſchätzig über die Verdienſte Lamarcks hinſichtlich deſſen <lb/>Forſchungen und Anſichten über die Abſtammung der Orga-<lb/>nismen äußert. </s> <s xml:id="echoid-s2756" xml:space="preserve">Jetzt, wo man allgemein der Meinung iſt, <lb/>daß Lamarck in der Geſchichte der Deſcendenzlehre bis Darwin <lb/>den Hauptplatz einnimmt, muß es von Intereſſe ſein, ſich die <lb/>Gründe klar zu machen, die Darwin zu dem abſprechenden <lb/>Urteil bewogen haben mögen.</s> <s xml:id="echoid-s2757" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2758" xml:space="preserve">Abgeſehen von auch zu ſeiner Zeit allgemein anerkannten <lb/>botaniſchen und zoologiſchen Werken ſyſtematiſchen Inhalts hat <lb/>Lamarck eine Reihe wertloſer und ſchon damals ganz unberück-<lb/>ſichtigt gebliebener Schriften aus anderen Gebieten z. </s> <s xml:id="echoid-s2759" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2760" xml:space="preserve">der <lb/>Chemie, Meteorologie rein theoretiſchen Inhalts verfaßt. </s> <s xml:id="echoid-s2761" xml:space="preserve">Man <lb/>gewöhnte ſich daran, den bewunderungswürdigen Botaniker und <lb/>Zoologen von dem “Phantaſten” Lamarck zu unterſcheiden, und <lb/>ſo begegneten denn auch diejenigen theoretiſchen Erörterungen <lb/>einem allgemeinen Mißtrauen, welche Lamarck auf dem Gebiete <lb/>der Lebeweſen veröffentlichte.</s> <s xml:id="echoid-s2762" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2763" xml:space="preserve">Die erſte Äußerung Lamarcks über die Abſtammung der <lb/>Organismen findet ſich in ſeiner 1800 gehaltenen Eröffnungs-<lb/>rede eines zoologiſchen Kurſus, abgedruckt in dem 1801 er- <pb o="48" file="234" n="234"/> ſchienenen Syſtem der wirbelloſen Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s2764" xml:space="preserve">Weiteres bietet er <lb/>1802 in der Schrift “Unterſuchungen über den Bau der <lb/>lebenden Körper”, 1809 in der “Philosophie zoologique” <lb/>und endlich 1815 in der Einleitung der “Naturgeſchichte der <lb/>wirbelloſen Tiere”. </s> <s xml:id="echoid-s2765" xml:space="preserve">Obwohl nun der ſcharfſinnige Lamarck <lb/>hier von einer großen Erfahrung geleitet und gezügelt wurde, <lb/>iſt es doch auch ſeiner Abſtammungstheorie nicht beſſer er-<lb/>gangen als den anderen von ihm aufgeſtellten Theorien in <lb/>Gebieten, die er thatſächlich nicht überſah.</s> <s xml:id="echoid-s2766" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2767" xml:space="preserve">Auch Darwin konnte wie Lamarck dem Drange Hypotheſen <lb/>zu machen nie widerſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s2768" xml:space="preserve">Er meinte, daß falſche Anſichten, <lb/>wenn ſie durch einige Beweiſe unterſtützt ſeien, wenig Schaden <lb/>thäten, da jedermann ein heilſames Vergnügen darin fände, <lb/>ihre Irrigkeit nachzuweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s2769" xml:space="preserve">Aber in der Wertſchätzung ſolcher <lb/>Hypotheſen unterſchied ſich Darwin weſentlich von Lamarck. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2770" xml:space="preserve">“Während ſich Lamarck” — ſagt <emph style="sp">Arnold Lang</emph> — “für <lb/>eine Theorie, die er ſich ausgedacht hatte, raſch und dauernd <lb/>begeiſterte, ſobald ſie ihm plauſibel erſchien, diente Darwin die <lb/>Hypotheſe zunächſt immer nur als Leitfaden bei weiteren <lb/>Unterſuchungen, als heuriſtiſches Prinzip.</s> <s xml:id="echoid-s2771" xml:space="preserve">” Lamarck war <lb/>mit ſeinen Anſichten bald fertig, Darwin brauchte Jahre, <lb/>ja Jahrzehnte, um ſie zur Reife zu bringen. </s> <s xml:id="echoid-s2772" xml:space="preserve">Aus alle-<lb/>dem erklärt ſich die Abneigung, welche Darwin der “Philo-<lb/>sophie zoologique” Lamarcks gegenüber empfand. </s> <s xml:id="echoid-s2773" xml:space="preserve">Darwins <lb/>Stellung zeigt ſich am beſten in ſeinem eigenen Ausſpruch: </s> <s xml:id="echoid-s2774" xml:space="preserve"><lb/>“Ich habe mich beſtändig beſtrebt, meinen Geiſt frei zu er-<lb/>halten und jedwede Hypotheſe, ſo ſehr ich ſie auch geliebt <lb/>haben mochte, aufzugeben, ſobald nachgewieſen werden kann, <lb/>daß ihr Thatſachen widerſprechen. </s> <s xml:id="echoid-s2775" xml:space="preserve">Ich hatte allerdings keine <lb/>andere Wahl, als ſo zu handeln, denn mit Ausnahme der <lb/>Korallenriffe kann ich mich keiner zuerſt aufgeſtellten Hypotheſe <lb/>erinnern, welche nicht nach einiger Zeit hätte aufgegeben oder <lb/>bedeutend modificiert werden müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s2776" xml:space="preserve">Dies hat mich natürlich <pb o="49" file="235" n="235"/> darauf geführt, dem deductiven Denkverfahren in den Wiſſen-<lb/>ſchaften gemiſchten Charakters ſehr zu mißtrauen.</s> <s xml:id="echoid-s2777" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2778" xml:space="preserve">Der franzöſiſche Zoologe H. </s> <s xml:id="echoid-s2779" xml:space="preserve"><emph style="sp">de Lacaze-Duthiers</emph> be-<lb/>tont und auch treffliche andere Gelehrte, z. B. in Deutſchland, <lb/>ſind der Meinung, daß ſich die Deſcendenz-Theorie vollſtändig <lb/>klar und für den Naturforſcher genügend begründet bei Lamarck <lb/>vorfindet, und daß ſein Mißerfolg nur gelegen habe an der <lb/>abſtrakten Form, in der Lamarck ſeine Ideen vortrug, an den <lb/>zuweilen naiven Begründungen, mit denen er ſeine Lehre unter-<lb/>ſtützte, und vor allen Dingen <emph style="sp">an der ſolchen Fragen gar <lb/>nicht geneigten Richtung, in der ſich die damalige <lb/>Wiſſenſchaft bewegte.</emph></s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div121" type="section" level="1" n="82"> <head xml:id="echoid-head93" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVIII. Weitere unmittelbare Vorgänger Darwins</emph> <lb/><emph style="bf">unter den Naturforſchern.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2780" xml:space="preserve">Beinahe gleichzeitig mit Lamarck hat in Deutſchland <lb/><emph style="sp">Treviranus</emph> die gemeinſame Abſtammung der organiſchen <lb/>Weſen behauptet und ſpäter (1831) ſeine Anſichten noch genauer <lb/>wiederholt. </s> <s xml:id="echoid-s2781" xml:space="preserve">Es geſchah dies nur ein Jahr ſpäter, als jene <lb/>berühmte Debatte in der Pariſer Akademie der Wiſſenſchaften <lb/>ſich entſpann zwiſchen <emph style="sp">Cuvier und St.-Hilaire.</emph> Letzterer <lb/>behauptete die Veränderlichkeit der Art, während Cuvier die <lb/>Beſtändigkeit als eine notwendige Bedingung für die beſchrei-<lb/>bende Naturgeſchichte aufſtellte. </s> <s xml:id="echoid-s2782" xml:space="preserve">— Bekannt iſt die Teilnahme <lb/>Goethes an jenen Erörterungen; </s> <s xml:id="echoid-s2783" xml:space="preserve">ja, er hielt ſie für weit wich-<lb/>tiger als die damals in Frankreich ſich abſpielenden, verwickelten <lb/>politiſchen Vorgänge, und das letzte Werk des großen Dichters <lb/>iſt eine naturwiſſenſchaftliche Abhandlung, die jene Frage be-<lb/>ſpricht.</s> <s xml:id="echoid-s2784" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2785" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s2786" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s2787" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s2788" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="50" file="236" n="236"/> <p> <s xml:id="echoid-s2789" xml:space="preserve">Es finden ſich überhaupt von nun ab in vielen Schriften <lb/>namentlich deutſcher, engliſcher und franzöſiſcher Naturforſcher <lb/>Bemerkungen für und wider die Theorie Lamarcks und deſcen-<lb/>denz-theoretiſche Gedanken zerſtreut vor; </s> <s xml:id="echoid-s2790" xml:space="preserve">auch Gedanken, welche <lb/>der Selektions-Theorie gleichen oder ihr doch häufig nahe <lb/>kommen, werden hier und da ausgeſprochen. </s> <s xml:id="echoid-s2791" xml:space="preserve">Kurz, es wurde <lb/>über das Problem nach dem Urſprung der Arten geſtritten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2792" xml:space="preserve">Einzelne Forſcher haben ſogar vor 1859 dieſer wichtigen Frage <lb/>beſondere Abhandlungen und Werke gewidmet, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s2793" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2794" xml:space="preserve"><lb/><emph style="sp">Moritzi</emph> (1842), auf den wir gleich noch ausführlicher ein-<lb/>gehen wollen, <emph style="sp">Kützing</emph> (1856) und <emph style="sp">Godron</emph> (1859), von denen <lb/>der letztere ein Gegner Lamarcks war. </s> <s xml:id="echoid-s2795" xml:space="preserve">Die Forſcher, welche <lb/>aus dieſer Zeit als Vorgänger Darwins bis jetzt aufge-<lb/>funden worden ſind, alle zu nennen, iſt hier nicht der ge-<lb/>eignete Ort.</s> <s xml:id="echoid-s2796" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2797" xml:space="preserve">Aber nichtsdeſtoweniger ſchien St.</s> <s xml:id="echoid-s2798" xml:space="preserve">-Hilaires Anſicht, für <lb/>die Goethe eintrat, widerlegt. </s> <s xml:id="echoid-s2799" xml:space="preserve">St.</s> <s xml:id="echoid-s2800" xml:space="preserve">-Hilaire vermochte gegen <lb/>die Autorität eines Mannes wie Cuvier nichts auszurichten, <lb/>und bis zum Erſcheinen des Darwinſchen Werkes im Jahre 1859 <lb/>iſt Cuviers Anſicht die vorherrſchende geblieben, wenn auch <lb/>bedeutende Naturforſcher die Veränderlichkeit der Arten be-<lb/>tonten.</s> <s xml:id="echoid-s2801" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div122" type="section" level="1" n="83"> <head xml:id="echoid-head94" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIX. A. Moritzi, ein noch nicht gewürdigter</emph> <lb/><emph style="bf">Vorgänger Darwins.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2802" xml:space="preserve">Die Geſchichte der Wiſſenſchaft will ihr Recht! Die <lb/>Kenntnis derſelben iſt für den Gelehrten, um ein richtiges <lb/>Verſtändnis und um eine gebührende Würdigung für unſere <lb/>heutigen Kenntniſſe und Meinungen zu gewinnen, unbedingt <pb o="51" file="237" n="237"/> notwendig, und ſpeziell die Geſchichte der Abſtammungslehre <lb/>muß uns jetzt, wo die Darwinſchen Unterſuchungen eine ſo <lb/>breite Grundlage auf dem Gebiet der organiſchen Naturwiſſen-<lb/>ſchaft bilden, von beſonderem Intereſſe ſein. </s> <s xml:id="echoid-s2803" xml:space="preserve">Wir können <lb/>daher Forſchern erſten Ranges wie Lacaze-Duthiers, Claus <lb/>u. </s> <s xml:id="echoid-s2804" xml:space="preserve">a.</s> <s xml:id="echoid-s2805" xml:space="preserve">, die ſich mit der Geſchichte der Deſcendenzlehre beſchäftigt <lb/>haben, nur dankbar ſein, wenn ſie ſich auch einmal ihren <lb/>Spezialſtudien entziehen, um einen Blick in die Vergangenheit <lb/>zu thun.</s> <s xml:id="echoid-s2806" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2807" xml:space="preserve">Es iſt bei der jetzigen, vielfachen Beſchäftigung mit dem <lb/>Gegenſtand auffällig, daß nächſt Lamarck einer der bedeutendſten <lb/>Vorgänger Darwins bis jetzt vollſtändig überſehen worden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s2808" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2809" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s2810" xml:space="preserve"><emph style="sp">Moritzi</emph> veröffentlichte im Jahre 1842 zu Solothurn ein <lb/>Werk, welches den Titel führt: </s> <s xml:id="echoid-s2811" xml:space="preserve">“Réflexions sur l’espèce en <lb/>histoire naturelle“ (Betrachtungen über die Art in der Natur-<lb/>geſchichte), und dieſem Titel entſprechend gänzlich mit Betrach-<lb/>tungen über den naturhiſtoriſchen Begriff der Art erfüllt iſt, <lb/>die völlig im Sinne der heutigen Deſcendenz-Lehre gehalten <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2812" xml:space="preserve">Dieſe Betrachtungen führten ihn zu einer ſo vollſtän-<lb/>digen Verwerfung des ſeitherigen Artbegriffes, daß er, wie er <lb/>in der Vorrede bemerkt, nur deshalb dem Buche nicht den Titel <lb/>“Die Art exiſtiert nicht”, oder etwa “Ein allgemeines Vor-<lb/>urteil” oder einen ähnlichen Titel gegeben habe, weil er über-<lb/>zeugt ſei, daß man in dieſem Falle von ſeinem Buche nur die <lb/>Aufſchrift leſen würde. </s> <s xml:id="echoid-s2813" xml:space="preserve">Dann entſchuldigt er ſich in franzö-<lb/>ſiſcher Sprache geſchrieben zu haben:</s> <s xml:id="echoid-s2814" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2815" xml:space="preserve">“Ungeachtet des Vorteils,” ſagt er, “daß ein franzöſiſches <lb/>Buch von den Deutſchen, aber ein deutſches Buch von den <lb/>Franzoſen nicht geleſen wird, habe ich eine gewiſſe Abneigung, <lb/>““eine neue Anſicht”“, wie man ſagt, in die Republik der <lb/>deutſchen Gelehrten loszulaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s2816" xml:space="preserve">Dieſe neuen Anſichten ſind in <lb/>Mißkredit geraten, wenigſtens bei den wirklichen Naturforſchern, <lb/>weil ſie in Wirklichkeit nur dazu gedient haben, das zu ver- <pb o="52" file="238" n="238"/> wirren, was klar war, und das, was vorher einfach ſchien, <lb/>durch einen Luxus neuer Kunſtausdrücke verwickelter zu machen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2817" xml:space="preserve">Auch beeile ich mich zu erklären, daß ich nicht Anſpruch darauf <lb/>mache, die Welt durch eine neue Idee zu erleuchten, ſondern <lb/>daß ich mir nur vorgenommen habe, eine alte Anſicht durch <lb/>neue Gründe zu ſtützen, die dem Schatze neuerer Forſchung <lb/>entlehut ſind.</s> <s xml:id="echoid-s2818" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2819" xml:space="preserve">Das Buch beginnt mit einem “Was iſt die Art?</s> <s xml:id="echoid-s2820" xml:space="preserve">” über-<lb/>ſchriebenen Abſchnitt, in welchem Moritzi darauf hinweiſt, daß, <lb/>wenn man unter dem Begriffe Art eine Gruppe ähnlicher <lb/>Einzelweſen verſtehe, er zugeben wolle, daß ſie vorhanden ſei; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2821" xml:space="preserve">jedoch könne man dieſe Zuſammenfaſſung ähnlicher Weſen <lb/>ebenſowohl Gattung, Raſſe oder Varietät nennen, da der Grad <lb/>der Ähnlichkeit nicht feſtgeſtellt ſei. </s> <s xml:id="echoid-s2822" xml:space="preserve">Faſſe man jedoch unter <lb/>einer Art diejenigen Weſen zuſammen, die fähig ſeien, ſich <lb/>unter einander fortzupflanzen, ſo gäbe dies nur einen Maßſtab <lb/>für die Tiere und Pflanzen mit unterſchiedenen Geſchlechtern <lb/>ab. </s> <s xml:id="echoid-s2823" xml:space="preserve">Auch beſäßen Weſen, die kein Naturforſcher zu einer Art <lb/>rechne, die Fähigkeit, ſich geſchlechtlich fortzupflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s2824" xml:space="preserve">Hiermil <lb/>trenne man daher beſſer Gattungen ab als Arten.</s> <s xml:id="echoid-s2825" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2826" xml:space="preserve">Ferner zeigt Moritzi, daß auch einer dritten Auffaſſung, <lb/>nach welcher das zu einer Art gehöre, was durch geſchlechtliche <lb/>Vereinigung ſich fortpflanzen könne und von einem Paare ab-<lb/>ſtamme, unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s2827" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2828" xml:space="preserve">Zum vierten weiſt er auch die Begriffsbeſtimmung zurück: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2829" xml:space="preserve">Alle Individuen, die derſelben wirklich beobachteten Abſtam-<lb/>mung ſind, gehören zu einer Art, weil auch hiermit eine Ein-<lb/>teilung der ſich uns darbietenden organiſchen Weſen nicht er-<lb/>reicht wird.</s> <s xml:id="echoid-s2830" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2831" xml:space="preserve">Dann behandelt Moritzi die Frage: </s> <s xml:id="echoid-s2832" xml:space="preserve">“Warum glaubt man <lb/>an die Art?</s> <s xml:id="echoid-s2833" xml:space="preserve">” Er führt hier aus, daß die Idee der Art in <lb/>jedem Einzelnen allmählich durch die Betrachtung der verhält-<lb/>nismäßig wenigen, ſich demſelben darbietenden organiſchen Ge- <pb o="53" file="239" n="239"/> ſtaltungen entſteht; </s> <s xml:id="echoid-s2834" xml:space="preserve">kommen neue hinzu, ſo iſt der Menſch durch <lb/>die Thätigkeit ſeines Geiſtes angeregt, beſtrebt, Unterſchiede <lb/>zwiſchen dieſen neuen Formen und den ihm bereits bekannten <lb/>aufzufinden. </s> <s xml:id="echoid-s2835" xml:space="preserve">Andererſeits wird das Bedürfuis, größere Gruppen <lb/>zu bilden, um ſich leichter verſtändigen zu können, in der Weiſe <lb/>befriedigt, daß nicht, wie bei der Trennung der Weſen, Unter-<lb/>ſchiede, die den Verwandtſchaftsbeziehungen entſprechen, ent-<lb/>nommen werden, ſondern daß vielmehr einzelne, willkürlich ge-<lb/>wählte, beſonders in die Augen fallende Eigentümlichkeiten, <lb/>welche mehreren Weſen gemeinſam ſind, zur Bildung größerer <lb/>Gruppen benutzt werden. </s> <s xml:id="echoid-s2836" xml:space="preserve">Wenn daher die Zuſammenfaſſung <lb/>mehrerer Weſen nur aus dem Bedürfnis, ſich leichter zu ver-<lb/>ſtändigen, entſpringt und nicht aus der Idee der Verwandt-<lb/>ſchaft, und wenn es wahr iſt, daß der Menſch jeden Unter-<lb/>ſchied, ſo klein und ſo groß er auch ſei, hervorſucht, um auf <lb/>Grund desſelben neue Arten zu bilden, ſo kann man ſich nicht <lb/>wundern, daß alle Welt an das Vorhandenſein von Arten <lb/>glaubt. </s> <s xml:id="echoid-s2837" xml:space="preserve">Es hätte ja nun dieſe Sprechweiſe an und für ſich <lb/>keinen Nachteil, wenn ſie eben der Ausdruck für Gruppen von <lb/>Weſen bliebe, die in beſtimmten Punkten einander ähneln; </s> <s xml:id="echoid-s2838" xml:space="preserve">aber <lb/>ſobald man zu dieſer Idee diejenige der Gleichheit hinzufüge, <lb/>wie dies die Naturforſcher thäten, ſo verwickele man ſich in <lb/>einen Irrtum, deſſen Beſeitigung von der allergrößeſten Wichtig-<lb/>keit ſei. </s> <s xml:id="echoid-s2839" xml:space="preserve">Die berechtigte Idee von Gruppen verwandelt ſich ſo <lb/>in die Idee der Art.</s> <s xml:id="echoid-s2840" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2841" xml:space="preserve">Des weiteren zeigt Moritzi, wie man dazu gelangt, an <lb/>der Richtigkeit des Begriffes der Art in dem eben erwähnten <lb/>Sinne zu zweifeln. </s> <s xml:id="echoid-s2842" xml:space="preserve">Erſtens ſpricht das aufmerkſame und vor-<lb/>urteilsfreie Studium irgend einer Gruppe organiſcher Weſen <lb/>aus allen Ländern und in allen Entwickelungsſtadien gegen die <lb/>Auffaſſung der Art im älteren Sinne; </s> <s xml:id="echoid-s2843" xml:space="preserve">ferner führt die Be-<lb/>trachtung der vielen, nach einem Plan gebauten Formen, z. </s> <s xml:id="echoid-s2844" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2845" xml:space="preserve">der Inſekten, zu der Vermutung, daß die Änderung der Um- <pb o="54" file="240" n="240"/> gebung der Weſen auch Abänderungen im Baue der Organismen <lb/>bedingt. </s> <s xml:id="echoid-s2846" xml:space="preserve">— Die vergleichende Anatomie lehrt, daß die verſchie-<lb/>denen Organe eine Wandlung von einfacheren zu verwickelteren <lb/>Formen durchmachen, und die natürlichſte Erklärung für dieſe <lb/>Erſcheinung iſt, daß eine beſtändige Wirkung von Kräften <lb/>auch das Anſehen eines ſchon gebildeten Organes ändert.</s> <s xml:id="echoid-s2847" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2848" xml:space="preserve">Die Thatſachen der Geologie befeſtigten den Gedanken der <lb/>allmählichen Entwickelung der Weſen inſofern, als die höheren <lb/>Organismen ſich zuletzt zeigen.</s> <s xml:id="echoid-s2849" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2850" xml:space="preserve">Die kultivierten Gewächſe und die Haustiere bieten eine <lb/>größere Anzahl von Varietäten dar, als die wilden Weſen, offen-<lb/>bar weil ſie verſchiedeneren Bedingungen ausgeſetzt ſind, und <lb/>wenn man dieſe Kulturvarietäten mit einander vergleicht, ſo <lb/>findet man, daß ſie ſich durch Charaktere unterſcheiden, welche <lb/>zur Scheidung von Arten, oder auch wohl von Gattungen ge-<lb/>braucht werden.</s> <s xml:id="echoid-s2851" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2852" xml:space="preserve">In der zweiten Abteilung des Werkes wird zuerſt der <lb/>Vollſtändigkeit halber der Begriff der Art in der Mineralogie <lb/>und dann die Umgrenzung der Arten in der Botanik und in <lb/>der Zoologie behandelt. </s> <s xml:id="echoid-s2853" xml:space="preserve">Namentlich werden die Formver-<lb/>ſchiedenheiten gewiſſer Arten beſprochen und im Sinne der Ent-<lb/>ſtehung neuer Arten aus Varietäten verwertet.</s> <s xml:id="echoid-s2854" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2855" xml:space="preserve">Endlich giebt auch Moritzi Bemerkungen über die Trag-<lb/>weite des beſprochenen Problems. </s> <s xml:id="echoid-s2856" xml:space="preserve">— Noch einmal hebt er <lb/>hervor, daß wegen der vorhandenen Formenreihen die Arten <lb/>am beſten aus einander abgeleitet werden, und daß die <lb/>Urſachen der Abänderung derſelben in den phyſiſchen Ein-<lb/>flüſſen zu ſuchen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2857" xml:space="preserve">Beſonders bemerkenswert ſcheint in <lb/>dieſer Hinſicht eine Stelle, die wir hier überſetzt mitteilen:</s> <s xml:id="echoid-s2858" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2859" xml:space="preserve">“Die Harmonie, welche in der Natur herrſcht, wird ge-<lb/>wöhnlich als das Werk einer tiefen geiſtigen Schöpfung an-<lb/>geſehen, welche vorher und bis in die kleinſten Einzelheiten <lb/>hinein die Verkettung des organiſchen Lebens geregelt hat, <pb o="55" file="241" n="241"/> welche von Anfang an alle Bedürfniſſe vorhergeſehen und <lb/>durch alle dieſe Beſonderheiten nach einem Endziele, dem <lb/>Menſchen, geſtrebt hat. </s> <s xml:id="echoid-s2860" xml:space="preserve">Es wird ferner zugegeben, daß die <lb/>Naturwiſſenſchaften nur nach der Übereinſtimmung der ſpe-<lb/>ziellen Funktionen mit der Idee des Ganzen zu ſuchen haben, <lb/>und daß infolgedeſſen der Naturforſcher, der uns auf genügende <lb/>Weiſe die Verknüpfung der Mittel mit dem Endziel erklärt, <lb/>ſich der Aufgabe entledigt, welche ihm von der Wiſſenſchaft ge-<lb/>ſtellt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s2861" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2862" xml:space="preserve">Wir, weit davon entfernt, die Harmonie leugnen zu wollen, <lb/>finden dieſelbe notwendig. </s> <s xml:id="echoid-s2863" xml:space="preserve">Da Organismen ſich ihrer Um-<lb/>gebung angepaßt haben, mußte ſich notwendig eine Harmonie <lb/>zwiſchen der Organiſation und den äußeren Bedingungen <lb/>herausbilden. </s> <s xml:id="echoid-s2864" xml:space="preserve">Die Luft, das Waſſer, das Klima, die Natur <lb/>des Bodens, die Nahrung u. </s> <s xml:id="echoid-s2865" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2866" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2867" xml:space="preserve">alles dies fand ſich dem <lb/>Tiere oder der Pflanze angepaßt, gerade weil die Luft, das <lb/>Waſſer, der Boden u. </s> <s xml:id="echoid-s2868" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s2869" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s2870" xml:space="preserve">aus dem Tiere oder der Pflanze <lb/>das gemacht haben, was ſie ſind, und weil dieſe nicht eine <lb/>Beſchaffenheit annehmen konnten, welche den Urſachen, die <lb/>ſie hervorgerufen, entgegen wäre. </s> <s xml:id="echoid-s2871" xml:space="preserve">Wenn die Exiſtenz-Bedin-<lb/>gungen, die für ein Weſen geeignet ſind, zu wirken aufhören, <lb/>muß dasſelbe verſchwinden, und wenn dieſe Bedingungen ab-<lb/>nehmen oder unmerklich und allmählich ſich ändern, ſo hat dies <lb/>für die Organiſation die Folge, daß ſich dieſelbe nach Be-<lb/>dürfnis umgeſtaltet.</s> <s xml:id="echoid-s2872" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2873" xml:space="preserve">Weiter macht Moritzi darauf aufmerkſam, daß aus ſeiner <lb/>Auffaſſung nicht eine einzige Formenreihe organiſcher Weſen <lb/>ſolge, ſondern daß veräſtelte, hier und da unterbrochene Reihen <lb/>das organiſche Syſtem zuſammenſetzen müßten.</s> <s xml:id="echoid-s2874" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2875" xml:space="preserve">Die Aufgabe, welche die künftige Syſtematik zu löſen haben <lb/>wird, wird nach Moritzi ſein müſſen, zunächſt möglichſt alle <lb/>Organismen, welche ſich auf der Erde vorfinden, kennen zu <lb/>@ernen, unbekümmert um ihre Verwandtſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s2876" xml:space="preserve">Der Syſte- <pb o="56" file="242" n="242"/> matiker wird die Formenreihen, die eigentlich baumförmig an <lb/>einander geſchloſſen werden ſollten, im großen derart an <lb/>einander knüpfen, wie von einem Baum abgeſchnittene und <lb/>dann linear angeordnete Zweige. </s> <s xml:id="echoid-s2877" xml:space="preserve">— Die Umgrenzung der Arten <lb/>iſt ganz gleichgiltig, nur muß man der Nachwelt vollkommen <lb/>exakte Beſchreibungen hinterlaſſen.</s> <s xml:id="echoid-s2878" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div123" type="section" level="1" n="84"> <head xml:id="echoid-head95" xml:space="preserve"><emph style="bf">XX. Schwierigkeit des Eindringens wiſſenſchaft-</emph> <lb/><emph style="bf">licher Gedanken in den Geiſt der Zeitgenoſſen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2879" xml:space="preserve">Bei der grundlegenden Wichtigkeit der Deſcendenz-Lehre für <lb/>die Wiſſenſchaft von den Lebeweſen, für die “<emph style="sp">Biologie</emph>“, wie <lb/>der Gelehrte ſagt, muß ſich jeder fragen, wie es denn möglich <lb/>ſei, daß bei ſo trefflichen, weitſchauenden und kenntnisreichen <lb/>Vorgängern, die Darwin vorausgingen, es dennoch ſeit Lamarck <lb/>faſt ein halbes Jahrhundert gedauert hat, ehe dieſe Lehre von <lb/>der Wiſſenſchaft Anerkennung finden konnte!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2880" xml:space="preserve">Schon die Vorgänger Darwins ſind keineswegs alle folge-<lb/>richtig in ihrer wiſſenſchaftlichen Thätigkeit der von den meiſten <lb/>nur bei einer Nebengelegenheit geäußerten Theorie gefolgt, <lb/>ſondern haben ſich zum größten Teil durch die <emph style="sp">Macht der <lb/>Gewohnheit</emph> in die alte Betrachtungsweiſe zurückreißen laſſen, <lb/>wie ſich dies aus ſpäteren oder gleichzeitig ebenſo gelegentlich <lb/>veröffentlichten Bemerkungen ergiebt.</s> <s xml:id="echoid-s2881" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2882" xml:space="preserve">Unter den ſich Widerſprechenden befinden ſich unter anderen <lb/>die Botaniker <emph style="sp">Alexander Braun</emph> und <emph style="sp">Link</emph>, ferner der be-<lb/>kannte Berliner <emph style="sp">Zoologe Chr. G. Ehrenberg</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s2883" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2884" xml:space="preserve">In einem Falle drängt ſich ihnen die Notwendigkeit auf, <lb/>eine Blutsverwandtſchaft unter den Lebeweſen anzunehmen, und <lb/>an anderen Stellen behandeln ſie z. </s> <s xml:id="echoid-s2885" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s2886" xml:space="preserve">die Frage, ob ein be- <pb o="57" file="243" n="243"/> ſtimmtes Lebeweſen als Art oder Abart aufzufaſſen ſei, ohne <lb/>dieſen Wörtern vorher, wie dies nach dem Vorhergehenden <lb/>notwendig wird, neue Begriffe beizulegen. </s> <s xml:id="echoid-s2887" xml:space="preserve">Auch Widerſprüche <lb/>anderer Art finden ſich vielfach.</s> <s xml:id="echoid-s2888" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2889" xml:space="preserve">Nun iſt es allerdings höchſt unzweckmäßig, die Behand-<lb/>lungsweiſe wiſſenſchaftlicher Aufgaben, wenn ſich dieſelbe in <lb/>herkömmlichen Bahnen bewegt, zu verändern, auch wenn ſich <lb/>wirklich etwas praktiſchere Arten, die Sache anzugreifen, finden <lb/>ſollten. </s> <s xml:id="echoid-s2890" xml:space="preserve">Aber niemals darf doch die Form der Behandlung <lb/>anerkannten, neuaufgeſtellten wiſſenſchaftlichen Anſchauungen <lb/>geradezu widerſprechen; </s> <s xml:id="echoid-s2891" xml:space="preserve">in dieſem Falle ſollte ſelbſtredend eine <lb/>den neuen Anſichten entſprechende Behandlungsweiſe ſofort <lb/>die alte verdrängen. </s> <s xml:id="echoid-s2892" xml:space="preserve">— Thatſächlich erfordert aber die Wand-<lb/>lung eine nicht unbedeutende Spanne Zeit.</s> <s xml:id="echoid-s2893" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2894" xml:space="preserve">Die Kenntnis, wie der Menſch ſich neuen, ungewohnten <lb/>Anſchauungen gegenüber verhält, iſt überhaupt für das Ver-<lb/>ſtändnis der Entwickelung der Wiſſenſchaft von hervorragender <lb/>Bedeutung.</s> <s xml:id="echoid-s2895" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2896" xml:space="preserve">Wenn man aus der Geſchichte die Thatſache gelernt hat, <lb/>daß man häufig alte Anſchauungen feſtzuhalten geneigt iſt und <lb/>ſich nur ſchwer von ihnen zu trennen vermag, wenn auch eine <lb/>beſſere Einſicht einer neuen Anſchauung Eingang verſchaffen <lb/>müßte, ſo wird man ſich nicht mehr wundern, daß gerade die <lb/>bedeutendſten Reſultate der Wiſſenſchaften, d. </s> <s xml:id="echoid-s2897" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2898" xml:space="preserve">ſolche, die <lb/>am meiſten die Anſchauungen verändern müßten, dennoch erſt <lb/>mühſam und allmählich dieſe notwendige Wandlung herbeizu-<lb/>führen vermögen. </s> <s xml:id="echoid-s2899" xml:space="preserve">Es wird uns dann auch verſtändlich, wie <lb/>es komme, daß manche Gelehrte, durch die Gewohnheit in dem <lb/>alten Geleiſe feſtgehalten, ihre wiſſenſchaftlichen Arbeiten auf <lb/>Betrachtungsweiſen ſtützen, deren Unhaltbarkeit ſie bei anderen <lb/>Gelegenheiten bereits erkannt und für welche ſie neue wiſſen-<lb/>ſchaftliche Grundlagen bereits gefunden haben. </s> <s xml:id="echoid-s2900" xml:space="preserve">So iſt es auch <lb/>mit der Deſcendenz-Theorie gegangen, deren Annahme für die <pb o="58" file="244" n="244"/> Syſtematiker, man möchte ſagen, zwingend war, und auf die <lb/>ſo mancher Naturforſcher vor 1859 geleitet worden iſt, ohne <lb/>jedoch, wie es wiſſenſchaftlich geweſen wäre, bei jeder wiſſen-<lb/>ſchaftlichen Aufgabe von derſelben auszugehen. </s> <s xml:id="echoid-s2901" xml:space="preserve">Ja, noch heute <lb/>giebt es Gelehrte, die zwar die Deſcendenz-Theorie aner-<lb/>kennen, dennoch durch die Behandlungsweiſe ihrer wiſſenſchaft-<lb/>lichen Arbeiten beweiſen, daß ſie keineswegs in den Fällen, <lb/>wo es gilt, die angenommenen Anſchauungen zu verwenden, <lb/>ſich von der alten, zur Gewohnheit gewordenen Arbeitsweiſe <lb/>trennen.</s> <s xml:id="echoid-s2902" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2903" xml:space="preserve">Die Geſchichte der Deſcendenz-Lehre bietet ein bemerkens-<lb/>wertes Beiſpiel für die außerordentliche Macht der Gewohnheit: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2904" xml:space="preserve">der Übung.</s> <s xml:id="echoid-s2905" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div124" type="section" level="1" n="85"> <head xml:id="echoid-head96" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXI. Die Descendenz-Lehre und die heutige</emph> <lb/><emph style="bf">Wiſſenſchaft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2906" xml:space="preserve">Auch heute giebt es noch einzelne Gegner der Abſtammungs-<lb/>Lehre. </s> <s xml:id="echoid-s2907" xml:space="preserve">Zum Teil mag der Grund dieſer Erſcheinung in den <lb/>Ausſchweifungen der die Entwickelung lehrenden Naturphilo-<lb/>ſophie <emph style="sp">Schellings</emph> und ſeiner Nachfolger liegen, deren An-<lb/>hänger meiſt die durch die Naturwiſſenſchaft gewonnenen Er-<lb/>fahrungsthatſachen nicht genügend beachteten, wodurch ſie be-<lb/>wirkten, daß ſorgfältigere Forſcher gar keinen Schlüſſen der-<lb/>ſelben trauten, kurz, das Kind mit dem Bade ausſchütteten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2908" xml:space="preserve">Dieſe hat auch <emph style="sp">Moritzi</emph> gemeint, indem er von der damaligen <lb/>Furcht vor “neuen Anſichten” ſprach. </s> <s xml:id="echoid-s2909" xml:space="preserve">Daß ferner ungenaue <lb/>Beobachtung außerhalb dieſer Naturphiloſophie ebenfalls bei-<lb/>trug, den Gegenſatz der Parteien zu verſchärfen, iſt auch kaum <lb/>zu bezweifeln.</s> <s xml:id="echoid-s2910" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="59" file="245" n="245"/> <p> <s xml:id="echoid-s2911" xml:space="preserve">Was aber vorzugsweiſe der Verbreitung der Lehre auch <lb/>nach ihrer genügenden wiſſenſchaftlichen Begründung entgegen-<lb/>ſtand und zum Teil noch entgegenſteht, das war und iſt alſo <lb/>die Macht der Gewohnheit, die nicht allein im gewöhnlichen <lb/>Leben, ſondern, wie wir ſehen, auch in der Wiſſenſchaft eine <lb/>bedeutende Rolle ſpielt.</s> <s xml:id="echoid-s2912" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2913" xml:space="preserve">Die Abſtammungs-Theorie muß heute als in die Wiſſen-<lb/>ſchaft aufgenommen betrachtet werden, wenn auch die Behand-<lb/>lungsweiſe mancher naturwiſſenſchaftlichen Aufgaben durch eine <lb/>folgerichtigere Anlehnung an die Theorie noch eine Änderung <lb/>wird erfahren müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s2914" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2915" xml:space="preserve">Anders verhält es ſich mit den Elementen der Selektions-<lb/>Theorie, alſo insbeſondere mit dem Darwinismus.</s> <s xml:id="echoid-s2916" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2917" xml:space="preserve">Es ſind nämlich von einigen Gelehrten Umänderungen <lb/>dieſes Teiles der <emph style="sp">Darwin</emph> ſchen Lehre vorgenommen worden, <lb/>die wohl zu einer Umgeſtaltung desſelben führen, wie man <lb/>denn heute anfängt die direkte Anpaſſung, auf die Lamarck <lb/>ſo großes Gewicht legte, gebührender zu beachten.</s> <s xml:id="echoid-s2918" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2919" xml:space="preserve">Auf alle Fälle können Hinweiſe bedeutender Gelehrten <lb/>auf Punkte, welche geeignet ſind, der Theorie ſchwierige Fragen <lb/>zu bieten, nur von jedem wahren Naturforſcher gern geſehen <lb/>werden, da ſie geeignet ſind, ſeine Einſicht zu erweitern, wenn <lb/>er es unternimmt, dieſe Einwände in Zuſammenhang mit der <lb/>Theorie zu betrachten; </s> <s xml:id="echoid-s2920" xml:space="preserve">und er muß dann dahin ſtreben, wenn <lb/>wirklich gefährdende Einwürfe gegen einzelne Teile der Theorie <lb/>ſich herausſtellen, dieſelbe durch Modifizierung in Einklang mit <lb/>der Wahrheit zu ſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s2921" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2922" xml:space="preserve">Sollte auch die Theorie der Zuchtwahl eine Einſchränkung <lb/>erfahren müſſen, ſo wird doch die bewunderungswürdige Leiſtung <lb/><emph style="sp">Darwins</emph> nicht im geringſten erſchüttert; </s> <s xml:id="echoid-s2923" xml:space="preserve">denn dieſelbe liegt <lb/>nicht allein darin, in der Zuchtwahl ein bedeutendes Mittel, <lb/>welches die Natur zur Erhaltung irgendwie neu entſtandener <lb/>Formen braucht, aufgedeckt zu haben, ſondern auch darin, den <pb o="60" file="246" n="246"/> Gedanken der gemeinſamen Abſtammung von Gruppen orga-<lb/>niſcher Weſen als einen wiſſenſchaftlich gerechtfertigten be-<lb/>gründet zu haben. </s> <s xml:id="echoid-s2924" xml:space="preserve">Er gebrauchte, um ſeiner Theorie Halt zu <lb/>geben, ein umfangreiches, geſichtetes Material und deshalb <lb/>allerdings die Vorarbeiten der übrigen Naturforſcher. </s> <s xml:id="echoid-s2925" xml:space="preserve">Er und <lb/><emph style="sp">Lamarck</emph> ſind mit einem <emph style="sp">Kepler</emph> zu vergleichen, der das von <lb/>ihm anerkannte Weltenſyſtem auch nur deshalb begründen <lb/>konnte, weil er große Vorarbeiter wie <emph style="sp">Kopernikus</emph> und <lb/><emph style="sp">Tycho Brahe</emph> gehabt hat.</s> <s xml:id="echoid-s2926" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2927" xml:space="preserve">Die wichtigſte Arbeit in der Naturwiſſenſchaft beſteht in <lb/>der Verbindung eines Gedankens mit Erfahrungsthatſachen, <lb/>wodurch der Forſcher erſt berechtigt wird, dieſen hierdurch be-<lb/>gründeten Gedanken zum Weiterbau der Wiſſenſchaft zu ge-<lb/>brauchen. </s> <s xml:id="echoid-s2928" xml:space="preserve">— Die Naturwiſſenſchaft kann nur dann eine Theorie <lb/>aufnehmen, wenn bisher unerklärte Thatſachen durch dieſelbe <lb/>begreiflich werden.</s> <s xml:id="echoid-s2929" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2930" xml:space="preserve">Aber wenn auch allerdings erſt durch die meiſterhafte, rein <lb/>naturwiſſenſchaftliche Begründung unſerer Lehre durch <emph style="sp">Darwin</emph> <lb/>derſelben Eingang in die Wiſſenſchaft geſtattet worden iſt, ſo <lb/>iſt es doch für die Geſchichte von Intereſſe, daß bereits vor <lb/>der umſichtigen Begründung der Theorie einerſeits viele Natur-<lb/>forſcher zu der Annahme eines gemeinſamen organiſchen Ur-<lb/>ſprungs der Lebeweſen geführt wurden, und daß andererſeits, <lb/>namentlich in der deutſchen Philoſophie, der Gedanke einer die <lb/>ganze Natur umfaſſenden Entwickelung anregend wirken mußte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2931" xml:space="preserve"><emph style="sp">Darwin</emph> fand alſo den Boden vorbereitet: </s> <s xml:id="echoid-s2932" xml:space="preserve">die Deſcendenz-<lb/>lehre hatte nur noch, um eine berechtigte Stellung in der <lb/>Naturwiſſenſchaft zu erlangen, einer durch Erfahrungsthat-<lb/>ſachen hinreichend geſtützten Begründung bedurft.</s> <s xml:id="echoid-s2933" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="61" file="247" n="247"/> </div> <div xml:id="echoid-div125" type="section" level="1" n="86"> <head xml:id="echoid-head97" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXII. Der Kampf ums Daſein und das</emph> <lb/><emph style="bf">Menſchengeſchlecht.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2934" xml:space="preserve">Mag Darwin die <emph style="sp">Wirkung</emph> des Kampfes um das Da-<lb/>ſein überſchätzt haben oder nicht: </s> <s xml:id="echoid-s2935" xml:space="preserve">daß er ein wichtiger Hebel <lb/>der Entwickelung iſt, iſt zweifellos. </s> <s xml:id="echoid-s2936" xml:space="preserve">Wer das nicht ſieht, iſt <lb/>blind gegen die ſchlagenden Thatſachen, die uns auf Schritt <lb/>und Tritt begegnen. </s> <s xml:id="echoid-s2937" xml:space="preserve">Gerade daß ſie uns immer und überall <lb/>entgegentreten, hat uns gegen ihre Erkennung abgeſtumpft und <lb/>erklärt ihr Überſehen. </s> <s xml:id="echoid-s2938" xml:space="preserve">Über das Menſchengeſchlecht, das in <lb/>enger Beziehung zu den übrigen Lebeweſen ſteht, können wir <lb/>nur ſagen, daß es ebenſo wie dieſe den organiſchen und phyſi-<lb/>ſchen Geſetzen unterworfen iſt und ſich den Verhältniſſen an-<lb/>paſſen muß, wenn es Ausſicht auf Beſtehen und Gedeihen <lb/>haben will; </s> <s xml:id="echoid-s2939" xml:space="preserve">daß namentlich auch der Kampf ebenfalls im menſch-<lb/>lichen Leben von Einfluß iſt, haben ſchon die Denker <emph style="sp">Hobbes</emph> <lb/>(1588—1679) und dieſem folgend <emph style="sp">Spinoza</emph> (1632—1677), <lb/>ferner <emph style="sp">Chr. Thomaſius</emph> (1655—1726) und <emph style="sp">Malthus</emph> <lb/>(1766—1834) ausgeſprochen. </s> <s xml:id="echoid-s2940" xml:space="preserve">Ja, die Lehre des Letzteren iſt <lb/>es geweſen, die durch ihre Einwirkung auf Darwin dieſen <lb/>in dem bereits geahnten Zuſammenhange unterſtützte und ihn <lb/>zuverſichtlicher und ſchneller zum Ziele führte. </s> <s xml:id="echoid-s2941" xml:space="preserve">— Daß der <lb/>Kampf ſowohl für die Entwickelung des ganzen Menſchen-<lb/>geſchlechts als auch des einzelnen Menſchen ein bedeutender <lb/>Faktor iſt, kann ſelbſt nach oberflächlicher Betrachtung nicht <lb/>bezweifelt werden. </s> <s xml:id="echoid-s2942" xml:space="preserve">Dies hat auch der große naturforſchende <lb/>Dichter empfunden, indem er Fauſt ſagen läßt:</s> <s xml:id="echoid-s2943" xml:space="preserve"/> </p> <quote> <s xml:id="echoid-s2944" xml:space="preserve">Ja! Dieſem Sinne bin ich ganz ergeben, <lb/>Das iſt der Weisheit letzter Schluß: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2945" xml:space="preserve">Nur Der verdient ſich Freiheit wie das Leben, <lb/>Der täglich ſie erobern muß.</s> </quote> <pb o="62" file="248" n="248"/> </div> <div xml:id="echoid-div126" type="section" level="1" n="87"> <head xml:id="echoid-head98" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIII.Stammesgeſchichtliche Entwickelung der</emph> <lb/><emph style="bf">Pflanzenwelt.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2946" xml:space="preserve">Um auch nur einen ganz kurzen Überblick über die ſtammes-<lb/>geſchichtliche (<emph style="sp">phylogenetiſche</emph>) Entwickelung der Lebeweſen zu <lb/>geben, iſt viel Platz nötig. </s> <s xml:id="echoid-s2947" xml:space="preserve">Wir ziehen es vor uns diesbezüglich <lb/>auf die Pflanzen zu beſchränken, weil hierzu in den Volks-<lb/>büchern Teil 17 in dem Abſchnitt “Die Pflanzenwelt unſerer <lb/>Heimat ſonſt und jetzt” (S. </s> <s xml:id="echoid-s2948" xml:space="preserve">57 u. </s> <s xml:id="echoid-s2949" xml:space="preserve">folgende) ſchon eine Vor-<lb/>bereitung geboten wurde.</s> <s xml:id="echoid-s2950" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2951" xml:space="preserve">Will man die Entwickelung der Pflanzenwelt von An-<lb/>beginn der Entſtehung der erſten Formen bis zu den heute in <lb/>die Erſcheinung tretenden zahlreichen Arten verſtehen, ſich mit <lb/>Zuhülfenahme der Foſſilien ein Bild machen, wie die Ent-<lb/>ſtehung der Pflanzengruppen aus einander erfolgt iſt, ſo iſt es <lb/>nötig, auch eine eingehende Kenntnis des Pflanzenſyſtems zu <lb/>haben, d. </s> <s xml:id="echoid-s2952" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2953" xml:space="preserve">der Reihenfolge der Gruppen, wie ſie die Ge-<lb/>lehrten aufgeſtellt haben.</s> <s xml:id="echoid-s2954" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div127" type="section" level="1" n="88"> <head xml:id="echoid-head99" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIV. Das Syſtem.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s2955" xml:space="preserve">Fällt es ſchon ſchwer, zwiſchen lebenden und lebloſen <lb/>Weſen eine knappe und begrifflich beſtimmt faßbare Unter-<lb/>ſcheidung herzuſtellen, ſo iſt dies in noch höherem Maße in <lb/>Bezug auf Pflanzen und Tiere der Fall, weil wir hier un-<lb/>zweifelhaft Formen kennen, die man in keiner Weiſe mit Sicher-<lb/>heit auf die eine oder andere Seite der Lebeweſen verweiſen <lb/>könnte.</s> <s xml:id="echoid-s2956" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2957" xml:space="preserve">Die Unterſcheidung der Lebeweſen in Tiere und Pflanzen <pb o="63" file="249" n="249"/> iſt dem alltäglichen Leben entnommen; </s> <s xml:id="echoid-s2958" xml:space="preserve">dieſes lehrt im allge-<lb/>meinen nur ſehr verwickelt gebaute Organismen kennen, die <lb/>auch von dem oberflächlichſten Beobachter wegen ihrer auf-<lb/>fälligen Unterſchiede ſofort in die genannten beiden Abteilungen <lb/>gebracht werden. </s> <s xml:id="echoid-s2959" xml:space="preserve">Der auffallendſte Gegenſatz der uns all-<lb/>täglich entgegentretenden Tiere und Pflanzen iſt der, daß die <lb/>Tiere unſerer Umgebung eine ſelbſtändige Bewegungsfähigkeit <lb/>beſitzen, die Pflanzen jedoch an einen Ort gebannt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2960" xml:space="preserve">Aber <lb/>dieſer Unterſchied, ſowie alle anderen vorgebrachten Unterſchiede <lb/>haben ſich bei genauerer Kenntnis des ganzen Reiches der <lb/>lebenden Weſen als hinfällig erwieſen und der Trennungs-<lb/>ſchnitt zwiſchen Pflanzen- und Tierreich iſt daher in Wirk-<lb/>lichkeit konventionell oder dem Takte eines jeden überlaſſen.</s> <s xml:id="echoid-s2961" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2962" xml:space="preserve">Wir ſind daher genötigt — wie in allen Fällen, wo die <lb/>Natur einer ſcharfen, unſerem begrifflichen Verlangen ge-<lb/>nügenden Trennung widerſtrebt —, für die deutlich verſchie-<lb/>denen Weſen durchgreifende Unterſchiede aufzuſtellen und ſie zur <lb/>Erklärung und Beſtimmung zweier Abteilungen zu verwenden, <lb/>während alle Formen, welche ſich der hierdurch gewonnenen <lb/>Beſtimmung nicht fügen, als Übergangs- oder Zwiſchenformen <lb/>zu betrachten ſind. </s> <s xml:id="echoid-s2963" xml:space="preserve">Die letzteren hat <emph style="sp">Haeckel</emph> in eine beſondere <lb/>Gruppe gebracht, die er das <emph style="sp">Protiſtenreich</emph> nennt. </s> <s xml:id="echoid-s2964" xml:space="preserve">Freilich <lb/>iſt damit für die Sache nichts gewonnen, da die Schwierigkeit <lb/>der ſcharfen Abtrennung der Protiſten einerſeits von den <lb/>Pflanzen, andererſeits von den Tieren genau die gleiche iſt, <lb/>wie vorher die Scheidung in Pflanzen und Tiere allein.</s> <s xml:id="echoid-s2965" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2966" xml:space="preserve">Will man nun einen möglichſt durchgreifenden Unterſchied <lb/>zwiſchen Pflanzen und Tieren aufſtellen, ſo kann man den-<lb/>ſelben darin erblicken, daß die typiſchen Tiere ein Nerven- und <lb/>Muskelſyſtem beſitzen, d. </s> <s xml:id="echoid-s2967" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2968" xml:space="preserve">es ſind bei ihnen eigene Organe <lb/>vorhanden, welche die Wahrnehmung äußerer Einwirkungen <lb/>und die Auslöſung einer Gegenwirkung zum Amte haben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s2969" xml:space="preserve">Hierdurch wird es ermöglicht, daß — je ausgeſprochener das <pb o="64" file="250" n="250"/> Nervenſyſtem entwickelt iſt — die Tiere in ihren Lebens-<lb/>äußerungen um ſo ſelbſtändiger auftreten können.</s> <s xml:id="echoid-s2970" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2971" xml:space="preserve">Ein anderer Unterſchied zwiſchen typiſchen Pflanzen und <lb/>Tieren liegt in der Art ihrer Ernährung. </s> <s xml:id="echoid-s2972" xml:space="preserve">Denn während die <lb/>Tiere auf andere Lebeweſen angewieſen ſind, von denen ſie <lb/>ihre Nahrung beziehen, bauen die Pflanzen im allgemeinen <lb/>ihren Leib aus unorganiſchen Stoffen auf; </s> <s xml:id="echoid-s2973" xml:space="preserve">dieſe ſind, wie wir <lb/>geſehen haben, im weſentlichen Kohlenſäure und Waſſer und <lb/>werden durch äußere Organe: </s> <s xml:id="echoid-s2974" xml:space="preserve">die Blätter und die Wurzeln <lb/>aufgenommen, während die flüſſige oder feſte Nahrung der <lb/>Tiere ihre Umwandlung in einem tief im Innern des Körpers <lb/>vorhandenen Magenraume erfährt.</s> <s xml:id="echoid-s2975" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2976" xml:space="preserve">Man wird in Berückſichtigung der Deſcendenzlehre begreifen, <lb/>daß ſich ſcharfe Grenzen auch zwiſchen den einzelnen Abteilungen <lb/>des Pflanzenreichs nicht ziehen laſſen, und daß alſo die für <lb/>irgend eine Abteilung gegebene Beſchreibung ſich immer nur <lb/>auf die Eigentümlichkeiten bezieht, die den zu der betreffenden <lb/>Abteilung gehörigen Arten zwar im allgemeinen zukommen, <lb/>in einem ſpeziellen Falle jedoch einmal fehlen können.</s> <s xml:id="echoid-s2977" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2978" xml:space="preserve">In zweierlei Weiſe werden die Pflanzen eingeteilt.</s> <s xml:id="echoid-s2979" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2980" xml:space="preserve">Früher begnügte man ſich damit, die Pflanzen rein künſt-<lb/>lich zu klaſſifizieren, d. </s> <s xml:id="echoid-s2981" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2982" xml:space="preserve">nach herausgegriffenen, beliebigen, <lb/>bequemen Merkmalen, die es geſtatten die Rubrik, in welche <lb/>eine Pflanze vermöge dieſes Syſtems gehört, ſchnell zu finden.</s> <s xml:id="echoid-s2983" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2984" xml:space="preserve">Es entſpricht der Einreihung der Pflanzen in ein ſolches <lb/>“<emph style="sp">künſtliches</emph>“ Syſtem etwa die alphabetiſche Ordnung von <lb/>Wörtern in einem Lexikon, das ſo ihre Auffindung ſchnell er-<lb/>möglicht; </s> <s xml:id="echoid-s2985" xml:space="preserve">während die Zuſammenſtellung der Wörter in einer <lb/>Grammatik, die ſich mit der Herkunft (der Etymologie), dem <lb/>gegenſeitigen Zuſammmenhang der Wörter beſchäftigt, mit dem <lb/>natürlichen Syſtem verglichen werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s2986" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2987" xml:space="preserve">Das berühmteſte Syſtem dieſer Art iſt dasjenige des <lb/>ſchwediſchen Botanikers Carl Linné. </s> <s xml:id="echoid-s2988" xml:space="preserve">Aus der Schule iſt <pb o="65" file="251" n="251"/> Jedem bekannt, daß er vorwiegend Zahl und Ausbildung der <lb/>Staubblätter bei demſelben zu Grunde legte.</s> <s xml:id="echoid-s2989" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2990" xml:space="preserve">Namentlich franzöſiſche Botaniker, unter dieſen <emph style="sp">Adolphe <lb/>Brongniart</emph>, haben ſich bemüht, ein <emph style="sp">natürliches</emph> Pflanzen-<lb/>ſyſtem zu ſchaffen, d. </s> <s xml:id="echoid-s2991" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s2992" xml:space="preserve">ein Syſtem, das bei der Rubrizierung <lb/>die Eigentümlichkeiten der Geſamtpflanze berückſichtigt und da-<lb/>durch die wirklich ähnlichſten Pflanzen zuſammenzuſtellen be-<lb/>müht iſt, wodurch gleichzeitig im Sinne der Abſtammungslehre <lb/>die natürliche Verwandtſchaft, die Blutsverwandtſchaft, zum <lb/>Ausdruck kommt.</s> <s xml:id="echoid-s2993" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s2994" xml:space="preserve">Es muß hervorgehoben werden, daß das heute gültige <lb/>natürliche Syſtem ohne Berückſichtigung der Pflanzen-Vor-<lb/>weſenkunde geſchaffen wurde, und da iſt es denn gewiß be-<lb/>deutungsvoll, daß es trotzdem in der Reihenfolge ſeiner Gruppen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-251-01a" xlink:href="fig-251-01"/> dem zeitlichen (geologiſchen) Auf-<lb/>treten der verſchiedenen Pflanzen-<lb/>typen durchaus entſpricht: </s> <s xml:id="echoid-s2995" xml:space="preserve">das iſt <lb/>ſicherlich eine überzeugend ſprechende <lb/>Thatſache für die Richtigkeit der <lb/>Abſtammungslehre.</s> <s xml:id="echoid-s2996" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div127" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-251-01" xlink:href="fig-251-01a"> <caption xml:id="echoid-caption61" xml:space="preserve">Fig. 4.</caption> <variables xml:id="echoid-variables13" xml:space="preserve">e f g h i k b c d a</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s2997" xml:space="preserve">Es iſt nach dem Geſagten klar, <lb/>daß eine Darſtellung des Syſtems <lb/>nach Art eines weitverzweigten <lb/>Baumes zu geſchehen hat, weshalb <lb/>man auch von einem “<emph style="sp">Stammbaum</emph>“ redet. </s> <s xml:id="echoid-s2998" xml:space="preserve">Denn wenn <lb/>ein Urahne a (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s2999" xml:space="preserve">4) die Nachkommen b c d hat und dieſe <lb/>ihrerſeits die Nachkommen e f g h i k u. </s> <s xml:id="echoid-s3000" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3001" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s3002" xml:space="preserve">beſitzen, ſo <lb/>müſſen bei Betrachtung der Geſchlechter (Abteilungen) auch die <lb/>gleichen Generationen an der gleichen Stelle ihre Erörterung <lb/>finden. </s> <s xml:id="echoid-s3003" xml:space="preserve">Man hat ſich daher immer zu vergegenwärtigen, daß <lb/>die in den Syſtemen in einer einzigen Reihe hintereinander, <lb/>in einem Wort “linear” angeordneten Gruppen vielfach nicht <lb/>hintereinander, ſondern — einem Stammbaum entſprechend —</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3004" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3005" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3006" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s3007" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="66" file="252" n="252"/> <p> <s xml:id="echoid-s3008" xml:space="preserve">auch teilweiſe nebeneinander aufgeführt werden ſollten. </s> <s xml:id="echoid-s3009" xml:space="preserve">Aus <lb/>praktiſchen Gründen iſt das freilich kaum durchführbar, da ja <lb/>der Text eines Buches ebenfalls nur “linear” vorgebracht <lb/>werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s3010" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3011" xml:space="preserve">Verſuchen wir uns ein Bild zu machen von der im Ver-<lb/>laufe der geologiſchen Perioden, mit anderen Worten im Ver-<lb/>laufe der Generationen ſtattgefundenen Umbildung der Pflanzen-<lb/>formen bis zur Erreichung der heutigen Mannigfaltigkeit, ſo <lb/>haben wir eine ungeheure Fülle von Thatſachen zu berück-<lb/>ſichtigen, die miteinander verknüpft ſein wollen, und die gegeben <lb/>ſind 1. </s> <s xml:id="echoid-s3012" xml:space="preserve">im natürlichen Pflanzenſyſtem, 2. </s> <s xml:id="echoid-s3013" xml:space="preserve">in der Lehre von <lb/>den vorweltlichen Pflanzen und 3. </s> <s xml:id="echoid-s3014" xml:space="preserve">in den Lebenserſcheinungen <lb/>der Pflanzen, die uns die Formverhältniſſe derſelben ver-<lb/>ſtändlich machen.</s> <s xml:id="echoid-s3015" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3016" xml:space="preserve">Betrachten wir das natürliche Pflanzenſyſtem, ſo ſehen <lb/>wir, daß an den Anfang desſelben die am einfachſten gebauten, <lb/>“niederſten” Pflanzen geſtellt werden, und daß wir, je weiter <lb/>wir im Syſtem vorſchreiten, die Pflanzen immer komplizierterer, <lb/>verwickelterer Bauart aneinander gereiht werden bis zu den-<lb/>jenigen, die am komplizierteſten gebaut ſind oder, wie man zu <lb/>ſagen pflegt, bis zu den “höchſten” Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s3017" xml:space="preserve">Auch im Verlaufe <lb/>der geologiſchen Perioden ſehen wir deutlich an den in dem <lb/>Geſtein erhaltenen foſſilen Pflanzenreſten, daß höhere Pflanzen-<lb/>typen ſpäter auftreten als niedere, und daß die höchſten erſt <lb/>den Schlußſtein in der Entwickelung bilden. </s> <s xml:id="echoid-s3018" xml:space="preserve">Darauf haben <lb/>wir bereits ausführlich in dem Teil 17 der Volksbücher hin-<lb/>gewieſen.</s> <s xml:id="echoid-s3019" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div129" type="section" level="1" n="89"> <head xml:id="echoid-head100" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXV. Die Arbeitsteilung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3020" xml:space="preserve">Das gemeinſame Prinzip für die immer komplizierter <lb/>werdende Ausbildung der Pflanzenformen iſt die <emph style="sp">Arbeits-</emph> <pb o="67" file="253" n="253"/> <emph style="sp">teilung</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s3021" xml:space="preserve">Wie wir im Verlaufe der menſchlichen Geſchichte <lb/>eine immer weitergehende Arbeitsteilung erblicken, wie wir <lb/>ſehen, daß die in einem Gemeinweſen verrichteten Arbeiten ſich <lb/>immer ausſchließlicher auf die einzelnen Individuen verteilen, <lb/>ſo ſieht man in der Entwickelung des organiſchen Reiches das <lb/>gleiche Prinzip walten, indem die zum Leben notwendigen <lb/>Arbeiten immer weiter auf beſondere Organe ſpezialiſiert werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3022" xml:space="preserve">Während ſo der Körper der allereinfachſt gebauten Lebeweſen <lb/>in allen ſeinen Teilen allen Lebensverrichtungen dient und <lb/>daher denn auch keine beſonderen Organe aufweiſt, ſondern <lb/>gänzlich ungegliedert und in allen Teilen gleich gebaut iſt, <lb/>tritt ganz allmählich eine Scheidung des Körpers in unter-<lb/>ſchiedene Teile und ſchließlich in auffällig abgegliederte Organe <lb/>ein, wie bei den höchſten Pflanzen mit ihren Wurzeln, Stengeln <lb/>und ihren mannigfaltigen Blattſorten, wodurch auf eine weit-<lb/>gehende Arbeitsteilung hingewieſen wird.</s> <s xml:id="echoid-s3023" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3024" xml:space="preserve">Form und Verrichtung (“<emph style="sp">Funktion</emph>“) der Organe ſtehen <lb/>alſo in unmittelbarſter Beziehung zu einander, wie den Teilen <lb/>einer Maſchine allen eine ganz beſtimmte Aufgabe zugewieſen <lb/>iſt, deren Erfüllung und Ineinandergreifen den zweckmäßigen <lb/>Gang der Maſchine ausmacht. </s> <s xml:id="echoid-s3025" xml:space="preserve">Mögen wir nun aber hin-<lb/>blicken, wohin wir wollen, ſo ſehen wir doch, daß es nur zwei <lb/>Hauptverrichtungen ſind, denen alle Arbeiten der Organismen <lb/>direkt oder indirekt dienen; </s> <s xml:id="echoid-s3026" xml:space="preserve">es ſind das:</s> <s xml:id="echoid-s3027" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3028" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s3029" xml:space="preserve">Thätigkeiten, die die <emph style="sp">Erhaltung des Einzelweſens</emph> <lb/>(<emph style="sp">des Individuums</emph>) bedingen, und</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3030" xml:space="preserve">2. </s> <s xml:id="echoid-s3031" xml:space="preserve">ſolche, die die <emph style="sp">Erhaltung der Geſchlechter</emph> (<emph style="sp">der <lb/>Generation</emph>) zur Aufgabe haben.</s> <s xml:id="echoid-s3032" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3033" xml:space="preserve">Um die Lebenserhaltung, ſei es alſo der Individuen, ſei <lb/>es der Geſchlechter, drehen ſich alle Lebensverrichtungen der <lb/>Lebeweſen: </s> <s xml:id="echoid-s3034" xml:space="preserve">von dieſem Geſichtspunkt aus ſind demgemäß alle <lb/>Organe, alle Einrichtungen, welche die Organismen an ihrem <lb/>Körper bieten, zu betrachten.</s> <s xml:id="echoid-s3035" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="68" file="254" n="254"/> <p> <s xml:id="echoid-s3036" xml:space="preserve">Für die Erhaltung der Einzelweſen iſt die <emph style="sp">Ernährung</emph> <lb/>die Thätigkeit, der alles untergeordnet iſt, für die Erhaltung <lb/>der Geſchlechter iſt es die <emph style="sp">Fortpflanzung. Hunger</emph> und <lb/><emph style="sp">Liebe</emph> ſind alſo die beiden Faktoren, welche hier alles erklären, <lb/>auf welche ſich alles an und in den Organismen bezieht.</s> <s xml:id="echoid-s3037" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3038" xml:space="preserve">Mit Bewunderung muß der Naturforſcher, der durch lange <lb/>Arbeit und Erfahrungen zu dieſer Einſicht geführt wird, den <lb/>weitſchauenden Blick des Dichters anerkennen, der dieſes Re-<lb/>ſultat in die bündigen Worte brachte:</s> <s xml:id="echoid-s3039" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3040" xml:space="preserve">Einſtweilen, bis den Bau der Welt <lb/>Philoſophie zuſammenhält, <lb/>Erhält ſie das Getriebe <lb/>Durch <emph style="sp">Hunger</emph> und durch <emph style="sp">Liebe</emph>! (Schiller.)</s> <s xml:id="echoid-s3041" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3042" xml:space="preserve">Aus den Verrichtungen, welche der Ernährung und der <lb/>Fortpflanzung dienen, werden ſich daher die wichtigſten Eigen-<lb/>tümlichkeiten im Bau der Pflanzen erklären. </s> <s xml:id="echoid-s3043" xml:space="preserve">Wir müſſen uns <lb/>alſo mit den Begriffen und Apparaten der Ernährung und <lb/>der Fortpflanzung beſchäftigen, um eine Einſicht zu gewinnen, <lb/>in welcher Weiſe ſich in den Organen, welche beiden Funktio-<lb/>nen dienen, eine Arbeitsteilung vollzogen hat, die uns ja — <lb/>wie ſchon geſagt wurde — den Schlüſſel zum Verſtändnis des <lb/>natürlichen Stammbaumes der Lebeweſen in die Hand giebt.</s> <s xml:id="echoid-s3044" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div130" type="section" level="1" n="90"> <head xml:id="echoid-head101" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVI. Die Ernährung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3045" xml:space="preserve">Die Ernährung bedingt</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3046" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s3047" xml:space="preserve">das <emph style="sp">Wachstum</emph>,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3048" xml:space="preserve">2. </s> <s xml:id="echoid-s3049" xml:space="preserve">die <emph style="sp">Erhaltung</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3050" xml:space="preserve">der Einzelweſen. </s> <s xml:id="echoid-s3051" xml:space="preserve">Die Organismen entwickeln ſich ja — ſich als <lb/>einzelne Zelle von der Mutterpflanze oder dem Muttertier <pb o="69" file="255" n="255"/> trennend oder in dem Mutter-Organismus als einzelne Zelle <lb/>ſich abſondernd und zunächſt in ihm den Anfang des Lebens <lb/>durchmachend — nur allmählich zu dem vollkommenen Weſen <lb/>ihrer Mutter beziehungsweiſe ihrer Eltern; </s> <s xml:id="echoid-s3052" xml:space="preserve">ſie nehmen an <lb/>Größe zu, geſtalten ſich — nach und nach die Organe bildend — <lb/>aus, d. </s> <s xml:id="echoid-s3053" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3054" xml:space="preserve">ſie <emph style="sp">wachſen</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s3055" xml:space="preserve">Hierbei iſt eine Stoff- oder, wie hier <lb/>geſagt wird, Nahrungs-Aufnahme erforderlich, und dieſe Auf-<lb/>nahme und die Verarbeitung der Nahrung, die nicht ohne <lb/>weiteres als Bauſtoff Verwendung finden kann — ebenſowenig <lb/>wie der Baumeiſter die Rohſtoffe der Natur zum Hausbau <lb/>benutzt, ſondern in Form von Ziegeln und Mörtel vorbereitet — <lb/>übernehmen die Ernährungs-Organe.</s> <s xml:id="echoid-s3056" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3057" xml:space="preserve"><emph style="sp">Leben iſt Bewegung:</emph> beim Tiere wird das der Laie ohne <lb/>weiteres gern zugeben, bei der Pflanze aber iſt es nicht ſo <lb/>augenfällig zu ſehen, jedoch haben die Unterſuchungen der <lb/>Pflanzenkundigen dargethan, daß es auch hier nicht anders iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3058" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3059" xml:space="preserve">Die vom Menſchen erbauten Maſchinen, die uns ja Thätig-<lb/>keiten, alſo Bewegungen abnehmen ſollen, werden uns helfen, <lb/>eine nähere Einſicht zu gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s3060" xml:space="preserve">Durch ihre Bewegungen <lb/>findet ein Verbrauch, eine Abnutzung ſtatt; </s> <s xml:id="echoid-s3061" xml:space="preserve">gelegentlich müſſen <lb/>Teile erſetzt werden, wir müſſen ſie mit Öl ſpeiſen, kurz wir <lb/>müſſen ſie, falls wir auf ihren Beſtand Bedacht nehmen wollen, <lb/><emph style="sp">erhalien</emph>, und die Bewegung der Maſchine muß ihr, ſei’s <lb/>durch Übertragung von Kraft, z. </s> <s xml:id="echoid-s3062" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3063" xml:space="preserve">des Menſchen, oder von <lb/>Tieren, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3064" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3065" xml:space="preserve">das Drehen eines Schleifſteines oder das <lb/>Ziehen eines Wagens durch ein Pferd, von außen gegeben <lb/>oder durch Einführung von Nahrung (das iſt das Heizmaterial, <lb/>wie die Steinkohle, welche eine Lokomotive verbraucht) er-<lb/>möglicht werden.</s> <s xml:id="echoid-s3066" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3067" xml:space="preserve">Bei den Lebeweſen thut ſich der Verbrauch, die Abnutzung <lb/>des Organismus, jener lebenden Maſchine, unter anderem <lb/>durch die Atmung kund. </s> <s xml:id="echoid-s3068" xml:space="preserve">Es wird bei der Atmung der Sauer-<lb/>ſtoff der Luft in den Körper aufgenommen, der ſich mit nicht <pb o="70" file="256" n="256"/> mehr verwendbaren Kohlenſtoffteilen (und die Kohle iſt der <lb/>wichtigſte Beſtandteil lebender Körper) chemiſch verbindet, ſo daß <lb/>Kohlendioxyd (Kohlenſäure) entſteht: </s> <s xml:id="echoid-s3069" xml:space="preserve">ein gasförmiges Produkt, <lb/>das alle Lebeweſen, Pflanzen und Tiere, ſtändig und immer <lb/>ausſcheiden.</s> <s xml:id="echoid-s3070" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3071" xml:space="preserve">Die Nährſtoffe der Pflanzen ſind zweierlei Art.</s> <s xml:id="echoid-s3072" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3073" xml:space="preserve">Die grünen Pflanzen ſind imſtande, die nicht organiſchen, <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s3074" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3075" xml:space="preserve">die mineraliſchen Beſtandteile der Erde als Nahrung zu <lb/>verwenden; </s> <s xml:id="echoid-s3076" xml:space="preserve">andere Pflanzen jedoch, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3077" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3078" xml:space="preserve">die bleichen <lb/>Pilze, vermögen nur Subſtanzen als Nahrung aufzunehmen, <lb/>die von anderen Lebeweſen gebildet wurden, mit anderen <lb/>Worten organiſche Stoffe. </s> <s xml:id="echoid-s3079" xml:space="preserve">Entweder leben ſie direkt auf oder <lb/>in anderen noch lebenden Organismen, es ſind das die <emph style="sp">Para-<lb/>ſiten</emph>, oder aber von Produkten der Lebeweſen beziehungs-<lb/>weiſe auf abgeſtorbenen Körpern und Körperteilen; </s> <s xml:id="echoid-s3080" xml:space="preserve">es ſind <lb/>das die <emph style="sp">Fäulnisbewohner</emph> (<emph style="sp">Saprophyten</emph>).</s> <s xml:id="echoid-s3081" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3082" xml:space="preserve">Es iſt klar, daß die erſten Organismen, welche auf der <lb/>Erde auftraten, nicht Paraſiten oder Saprophyten ſein konnten, <lb/>die ſchon vorhandene Lebeweſen vorausſetzen, ſondern grüne <lb/>Pflanzen ſein mußten oder doch ſolche, bei denen der grüne <lb/>Farbſtoff (das Chlorophyll) wie bei vielen Algen- (Tang-) <lb/>Arten durch einen auderen Farbſtoff für unſer Auge nur ver-<lb/>deckt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3083" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div131" type="section" level="1" n="91"> <head xml:id="echoid-head102" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVII. Die Fortpflanzung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3084" xml:space="preserve">Während alſo die Ernährung im Dienſte der Individuen <lb/>ſteht, dient die Fortpflanzung dem Beſtande der Arten, mit <lb/>anderen Worten den Generationen. </s> <s xml:id="echoid-s3085" xml:space="preserve">Würden die Individuen <lb/>nicht die Möglichkeit, ſich fortzupflanzen, beſitzen, ſo würde ja <lb/>mit ihrem Tode die Art, zu der ſie gehören, ausſterben. </s> <s xml:id="echoid-s3086" xml:space="preserve">Da <pb o="71" file="257" n="257"/> alſo die Einzelweſen nach Verlauf einer gewiſſen Zeit zu Grunde <lb/>gehen, geben ſie Teile von ihrem Körper ab, die durch Er-<lb/>nährung wieder zu einem ähnlichen Individuum heranwachſen <lb/>und ſich erhalten.</s> <s xml:id="echoid-s3087" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3088" xml:space="preserve">Im Grunde genommen beruht eine Fortpflanzung <emph style="sp">ſtets</emph> <lb/>auf einer Teilung des Mutterkörpers: </s> <s xml:id="echoid-s3089" xml:space="preserve">mag nun dieſer Teil <lb/>groß oder klein ſein. </s> <s xml:id="echoid-s3090" xml:space="preserve">Bei den Bakterien ſahen wir (im Teil 17, <lb/>Abſchnitt IV S. </s> <s xml:id="echoid-s3091" xml:space="preserve">15 und 16) die Fortpflanzung in einfachſter <lb/>Weiſe durch eine Teilung des Mutterkörpers in zwei gleich <lb/>große Hälften vor ſich gehen; </s> <s xml:id="echoid-s3092" xml:space="preserve">in anderen Fällen zerfällt letzterer <lb/>in ein größeres und ein kleineres Stück, und bei den höchſt-<lb/>entwickelten Organismen endlich findet eine Abgliederung, eine <lb/>Abſonderung winzig kleiner, oft nur unter dem Mikroſkop <lb/>wahrnehmbarer Teilchen ſtatt, die allmählich durch regel-<lb/>mäßige Nahrungsaufnahme wieder heranwachſen (vergl. </s> <s xml:id="echoid-s3093" xml:space="preserve">Teil 1 <lb/>S. </s> <s xml:id="echoid-s3094" xml:space="preserve">94 und folgende).</s> <s xml:id="echoid-s3095" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3096" xml:space="preserve">Je komplizierter ein Organismus iſt, um ſo leichter wird <lb/>er von Außenangriffen geſtört, und da ſich dieſe Einflüſſe im <lb/>ganzen Körper kund thun, alſo auch auf die abgeteilten Fort-<lb/>pflanzungsſtücke, ſo würden ſich die Vererbungstendenzen der <lb/>ſchädlichen Einflüſſe mehren, wenn nicht durch das Eintreten <lb/>einer beſonderen Fortpflanzungsweiſe, ſobald die Pflanzen höher <lb/>organiſiert ſind, dagegen gewirkt würde, nämlich durch die <lb/><emph style="sp">geſchlechtliche Fortpflanzung</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s3097" xml:space="preserve">Durch die <emph style="sp">Vermiſchung</emph> <lb/>der abgetrennten Stücke verſchiedener Individuen findet ein <lb/>Ausgleich der Vererbungstendenzen ſtatt, aber natürlich nur <lb/>dann hinreichend, wenn die Stücke von verwandtſchaftlich <lb/>möglichſt abgelegenen Individuen ſtammen.</s> <s xml:id="echoid-s3098" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3099" xml:space="preserve">Verfolgen wir nun, wie ſich bei den verſchiedenen Pflanzen-<lb/>gruppen die beiden Thätigkeiten Ernährung und Fortpflanzung <lb/>vollziehen, ſo haben wir damit die Haupteigentümlichkeiten der <lb/>Gruppen gekennzeichuet.</s> <s xml:id="echoid-s3100" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="72" file="258" n="258"/> </div> <div xml:id="echoid-div132" type="section" level="1" n="92"> <head xml:id="echoid-head103" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVIII. Niedere Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3101" xml:space="preserve">Bei den niederen Pflanzen werden die genannten beiden <lb/>Hauptlebensverrichtungen von <emph style="sp">allen</emph> Teilen des Körpers voll-<lb/>führt; </s> <s xml:id="echoid-s3102" xml:space="preserve">erſt auf einer höheren Stufe findet eine Sonderung der <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-258-01a" xlink:href="fig-258-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-258-02a" xlink:href="fig-258-02"/> beiden Arbeiten auf verſchiedene Körperſtellen ſtatt. </s> <s xml:id="echoid-s3103" xml:space="preserve">Betrachten <lb/>wir z. </s> <s xml:id="echoid-s3104" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3105" xml:space="preserve">den in der Nord- und Oſtſee lebenden Blaſentang <lb/>Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3106" xml:space="preserve">5 (Fucus vesiculosus), oder den Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3107" xml:space="preserve">6 abgebildeten <lb/>Sägetang (Fucus serratus), ſo ſehen wir den bandförmigen <lb/>Körper wiederholt gabelig verzweigt. </s> <s xml:id="echoid-s3108" xml:space="preserve">Dadurch zeigt ſich die <pb o="73" file="259" n="259"/> Pflanze aus lauter unter einander gleichwertigen Gabelſtücken <lb/>zuſammengeſetzt, die aus ihrer Umgebung, dem Waſſer, die in <lb/>demſelben gelöſten Geſteins- (mineraliſchen) Beſtandteile, die in <lb/>dem Waſſer gelöſten Gaſe und endlich das Waſſer ſelbſt als <lb/>Nährſtoffe aufzunehmen vermögen. </s> <s xml:id="echoid-s3109" xml:space="preserve">Die letzten freien Gabel-<lb/>glieder unterſcheiden ſich von den übrigen oft dadurch, daß ſie <lb/>außer der Funktion der Ernährung auch oft noch diejenige der <lb/>Fortpflanzung übernehmen: </s> <s xml:id="echoid-s3110" xml:space="preserve">die angeſchwollenen Enden der in <lb/>Rede ſtehenden freien Gabelſtücke beim Blaſentang ſind nämlich <lb/>Fortpflanzungsorgane, während wir beim Sägetang die ganze <lb/>Oberfläche der letzten Gabel-Äſte gleichmäßig mit Fortpflanzungs-<lb/>organen bedeckt ſehen.</s> <s xml:id="echoid-s3111" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div132" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-258-01" xlink:href="fig-258-01a"> <caption xml:id="echoid-caption62" xml:space="preserve">Fig. 5. <lb/>Der Blaſentang (Fucus vesiculosus).</caption> <description xml:id="echoid-description5" xml:space="preserve">b = Fortpflanzungsorgane, a = <lb/>Schwimmblaſen.</description> <variables xml:id="echoid-variables14" xml:space="preserve">b a</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-258-02" xlink:href="fig-258-02a"> <caption xml:id="echoid-caption63" xml:space="preserve">Fig. 6. <lb/>Fucus serratus mit măunliche@ <lb/>Fortpflanzungsorganen.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3112" xml:space="preserve">Wir wollen Stücke der in Rede ſtehenden Art, die aus-<lb/>ſchließlich der Eruährung dienen, als <emph style="sp">Ernährungsglieder</emph> <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-259-01a" xlink:href="fig-259-01"/> (Trophosome) und Stücke, die der Er-<lb/>nährung ſowohl als auch der Fortpflan-<lb/>zung dienen, als <emph style="sp">Ernährungs-Fort-<lb/>pflanzungsglieder</emph> (Trophosporo-<lb/>some) bezeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s3113" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div133" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-259-01" xlink:href="fig-259-01a"> <caption xml:id="echoid-caption64" xml:space="preserve">Fig. 7. <lb/>Beerentaug (die ſogen. <lb/>“Beeren” ſind aber Luft-<lb/>[Schwimm-] Blaſen).</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3114" xml:space="preserve">Alle Glieder unſeres Blaſentangs <lb/>können Trophosporosome ſein, ſofern <lb/>ſie eben frei enden und ſich nicht weiter <lb/>gabeln. </s> <s xml:id="echoid-s3115" xml:space="preserve">Die einzelnen Glieder ſind ihrem <lb/>ganzen Baue nach ſowohl als auch ihrer <lb/>Entſtehung nach am Geſamtkörper durch-<lb/>aus gleichwertig, und man bezeichnet <lb/>ſolche Pflanzen, einſchließlich derjenigen, <lb/>die wie die Bakterien gar keine Glied-<lb/>ſtücke aufweiſen, als <emph style="sp">Lagerpflanzen</emph> <lb/>(Thallus-Pflanzen).</s> <s xml:id="echoid-s3116" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3117" xml:space="preserve">Eine höhere Stufe nehmen die <lb/>Pflanzen ein, bei denen die Glieder ſich <lb/>ihrem Bau und ihrer Funktion nach <pb o="74" file="260" n="260"/> weſentlich von einander unterſcheiden: </s> <s xml:id="echoid-s3118" xml:space="preserve">wenn wir ſie unter-<lb/>ſchieden ſehen in ſtengelförmige <emph style="sp">Träger</emph> (<emph style="sp">Ur-Stengel</emph> = Ur-<lb/>Kaulom) und in Anhangsorgane, die eben von den erſten ge-<lb/>tragen werden, und die wir als <emph style="sp">Blätter</emph> (Phyllome) be-<lb/>zeichnen: </s> <s xml:id="echoid-s3119" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3120" xml:space="preserve">7. </s> <s xml:id="echoid-s3121" xml:space="preserve">Dieſe Blätter dienen zunächſt gleichzeitig der <lb/>Ernährung <emph style="sp">und</emph> der Fortpflanzung: </s> <s xml:id="echoid-s3122" xml:space="preserve">es ſind <emph style="sp">Ernährungs-<lb/>Fortpflanzungs-Blätter</emph> (Trophosporophylle).</s> <s xml:id="echoid-s3123" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div135" type="section" level="1" n="93"> <head xml:id="echoid-head104" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIX. Farne und verwandte Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3124" xml:space="preserve">Noch bei den Farnpflanzen beſitzen eine große Zahl <lb/>Arten Trophosporophylle; </s> <s xml:id="echoid-s3125" xml:space="preserve">es iſt allbekannt, daß die ſchönen, <lb/>grünen Wedel derſelben bei den meiſten Arten auf ihrer Unter-<lb/>ſeite die Fortpflanzungsorgane tragen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3126" xml:space="preserve">8).</s> <s xml:id="echoid-s3127" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3128" xml:space="preserve">Bei den Farnen haben wir es jedoch nicht <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-260-01a" xlink:href="fig-260-01"/> mehr mit Urſtengeln zu thun, ſondern mit <lb/>Stengelorganen, die im Laufe der Generationen <lb/>entſtanden ſind durch Verwachſung eines Ur-<lb/>kauloms mit einer Strecke der anſitzenden Blatt-<lb/>ſtiele, ſodaß die Farnſtämme zwar in ihrem <lb/>innerſten Kern aus dem Urkaulom entſtanden <lb/>ſind, die geſamte Umgebung des Centrums <lb/>jedoch, das “Perikaulom”, aus den miteinander <lb/>verwachſenen unterſten Stücken der Urblätter <lb/>beſteht.</s> <s xml:id="echoid-s3129" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div135" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-260-01" xlink:href="fig-260-01a"> <caption xml:id="echoid-caption65" xml:space="preserve">Fig. 8. <lb/>Ein kleines <lb/>Stückchen des <lb/>Wedels vom <lb/>Wurmfarn von <lb/>der Unterſeite <lb/>mit den Fort-<lb/>pflanzungs-<lb/>orgauen.</caption> <variables xml:id="echoid-variables15" xml:space="preserve"><emph style="bf">B</emph></variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3130" xml:space="preserve">Die Figur 9 veranſchaulicht, wie ein Peri-<lb/>kaulom zu ſtande kommt. </s> <s xml:id="echoid-s3131" xml:space="preserve">Die Figur ſtellt den <lb/>Querſchliff durch einen Farnſtamm dar, der <lb/>zu einer Art aus dem geologiſchen Altertum <lb/>der Erde gehört. </s> <s xml:id="echoid-s3132" xml:space="preserve">Umgeben wird der Stamm <lb/>von den am Stengel ſtehen bleibenden anſitzen- <pb o="75" file="261" n="261"/> den Teilen der Blattſtiele, von den “<emph style="sp">Blattfüßen</emph>“, wie man <lb/>dieſe Teile nennt. </s> <s xml:id="echoid-s3133" xml:space="preserve">Es geſchieht dies, um dem Stengel größeren <lb/>Halt zu gewähren. </s> <s xml:id="echoid-s3134" xml:space="preserve">Was liegt nun näher als die Blattfüße <lb/>miteinander zur Verwachſung zu bringen, was den mechaniſchen <lb/>Halt natürlich noch um ein beträchtliches erhöhen muß. </s> <s xml:id="echoid-s3135" xml:space="preserve">Nach <lb/>thatſächlicher Verwachſung haben wir ein Perikaulom.</s> <s xml:id="echoid-s3136" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3137" xml:space="preserve">Wir hätten ſomit <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-261-01a" xlink:href="fig-261-01"/> ſchon Pflanzentypen ken-<lb/>nen gelernt, die von <lb/>dem einfacheren Typus <lb/>zu den komplizierteren <lb/>aufſteigend wären:</s> <s xml:id="echoid-s3138" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div136" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-261-01" xlink:href="fig-261-01a"> <caption xml:id="echoid-caption66" xml:space="preserve">Fig. 9. <lb/>Stamm-Querſchliff von Asterochlaena ra-<lb/>mosa aus dem Altertum der Erde in {1/2} der <lb/>natürlichen Größe. s - s‘ = Umriß des <lb/>Stammes, b = Blattſtiele (Blattſüße).</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3139" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3140" xml:space="preserve">Die echten Lager-<lb/>pflanzen,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3141" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3142" xml:space="preserve">die Pflanzen mit <lb/>Urkaulomen und Tro-<lb/>phoſporophyllen</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3143" xml:space="preserve">und</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3144" xml:space="preserve">C. </s> <s xml:id="echoid-s3145" xml:space="preserve">die Pflanzen mit <lb/>Perikaulom und Tro-<lb/>phoſporophyllen.</s> <s xml:id="echoid-s3146" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3147" xml:space="preserve">Es ſei ausdrücklich <lb/>bemerkt, daß ſich zwiſchen <lb/>dieſen Typen und über-<lb/>haupt zwiſchen allen <lb/>Pflanzengruppen ver-<lb/>mittelnde Übergänge finden, daß zu den Verhältniſſen, wie ſie <lb/>eine höhere Gruppe bietet, ſich in der vorausgehenden Gruppe <lb/>immer ſchon an einzelnen Arten Vorbereitungen finden, wie <lb/>denn der oben unter B aufgeführte Typus bei den Meeres-<lb/>Algen verbreitet iſt, wohin auch der Blaſentang gehört, den <lb/>wir ſeinem Baue nach zum Typus A ſtellen mußten. </s> <s xml:id="echoid-s3148" xml:space="preserve">Ebenſo <lb/>ſehen wir, daß die Farne ſchon inſofern vielfach in <emph style="sp">dem</emph> wichtigen <pb o="76" file="262" n="262"/> Punkte Anklänge an höhere Pflanzen bieten, als bei gewiſſen <lb/>Arten die Blätter ſchon entweder ausſchließlich der Ernährung <lb/>dienen, reine <emph style="sp">Ernährungsblätter</emph> (Trophophylle) ſind, oder <lb/>ausſchließlich der Fortpflanzung dienen, reine Fortpflanzungs-<lb/>blätter (Sporophylle) ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3149" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div138" type="section" level="1" n="94"> <head xml:id="echoid-head105" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXX. Die höchſt-entwickelten Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3150" xml:space="preserve">Bei den höchſten Pflanzen dienen die Blätter ſtets aus-<lb/>ſchließlich der Ernährung oder ausſchließlich der Fortpflanzung, <lb/>oder wenn ſie das nicht direkt thun, ſo ſind ſie doch dieſen <lb/>beiden Funktionen untergeordnet. </s> <s xml:id="echoid-s3151" xml:space="preserve">Wir ſehen nämlich, daß hier <lb/>die Arbeitsteilung ſich derartig ſteigert, daß wir nicht nur wie <lb/>bei den höchſten Farnen zweierlei Blattſorten, — oder, wie man <lb/>zu ſagen pflegt, Blattformationen — ſondern deren vielerlei <lb/>beobachten. </s> <s xml:id="echoid-s3152" xml:space="preserve">Ja hier geht es ſoweit, daß beſtimmte Regionen <lb/>des Stengels nur Ernährungsblätter, andere nur Fortpflanzungs-<lb/>blätter aufweiſen, und es iſt ja bekannt, daß man eine Fort-<lb/>pflanzungsblätter tragende Stengelſpitze, ſofern ſie ſich deutlicher <lb/>abhebt, als <emph style="sp">Blüte</emph> bezeichnet.</s> <s xml:id="echoid-s3153" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3154" xml:space="preserve">Wie wir bei den Algen aber ſahen, daß gewiſſe ihrer <lb/>Arten ſchon in beſtimmten Eigentümlichkeiten an die darauf <lb/>folgenden höher differenzierten Pflanzen erinnern, ihre Cha-<lb/>raktere vorbereiten, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3155" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3156" xml:space="preserve">die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3157" xml:space="preserve">7 abgebildete Alge, <lb/>die ſchon bei den Algen ſonſt nicht übliche Blätter beſitzt, <lb/>ſo geht es auch mit den Blüten, die ſchon bei den mit den <lb/>Farnen nahe verwandten Pflanzen wie den Schlangenmooſen <lb/>oder Bärlappen (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3158" xml:space="preserve">10) und den Schachtelhalmen auftreten.</s> <s xml:id="echoid-s3159" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3160" xml:space="preserve">Die Art und Weiſe, wie die Blüten die Fortpflanzung <lb/>beſorgen, haben wir ausführlich im Teil I S. </s> <s xml:id="echoid-s3161" xml:space="preserve">94 und folgende <pb o="77" file="263" n="263"/> kennen gelernt, auch daß die <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-263-01a" xlink:href="fig-263-01"/> Laubblätter Ernährungsorgane <lb/>ſind, hat der freundliche Leſer <lb/>ſchon früher eingehender er-<lb/>fahren. </s> <s xml:id="echoid-s3162" xml:space="preserve">Beſonders auffällig iſt <lb/>dem Laien die Ausbildung <lb/>dieſer Blätter bei den ſogenann-<lb/>ten Inſekten-freſſenden Pflanzen, <lb/>die nicht allein die Kohlen-<lb/>ſäure der Luft als Nährmaterial <lb/>benutzen, ſondern auch wie die <lb/>Tiere tieriſche Nahrung zu ſich <lb/>nehmen, wie die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3163" xml:space="preserve">11 abge-<lb/>bildete Nepenthes, bei der die <lb/>Spitzen der Blätter zu Kannen <lb/>umgebildet ſind, in denen ſich <lb/>Flüſſigkeit abſondert, welche <lb/>hineinfallende Tiere verdaut.</s> <s xml:id="echoid-s3164" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div138" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-263-01" xlink:href="fig-263-01a"> <caption xml:id="echoid-caption67" xml:space="preserve">Fig. 10. <lb/>Zweig-Ende einer Schlangen-Moos-<lb/>Art (Lycopodium clavatum).</caption> <description xml:id="echoid-description6" xml:space="preserve">a = Blüten, k s = ein Sporophyll.</description> <variables xml:id="echoid-variables16" xml:space="preserve">a s k</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3165" xml:space="preserve">Doch das hier nur nebenbei.</s> <s xml:id="echoid-s3166" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3167" xml:space="preserve">Bei den allerhöchſt organi-<lb/>ſierten Pflanzen ſind ſchließlich <lb/>zu unterſcheiden:</s> <s xml:id="echoid-s3168" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3169" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s3170" xml:space="preserve">Keimblätter, Nieder-<lb/>blätter, Laubblätter und Hoch-<lb/>blätter, unter denen die Laubblätter die eigentlichen Ernäh-<lb/>rungsblätter ſind, die andere untergeordneten Funktionen dienen.</s> <s xml:id="echoid-s3171" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3172" xml:space="preserve">2. </s> <s xml:id="echoid-s3173" xml:space="preserve">Blütenblätter und zwar Kelchblätter, Kronen- oder <lb/>Blumenblätter, Staubblätter, Fruchtblätter, Nektarblätter.</s> <s xml:id="echoid-s3174" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3175" xml:space="preserve">Setzen wir demnach die oben, S. </s> <s xml:id="echoid-s3176" xml:space="preserve">75, begonnene Typen-<lb/>Reihenfolge fort, ſo hätten wir</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3177" xml:space="preserve">D. </s> <s xml:id="echoid-s3178" xml:space="preserve">die Pflanzen mit Perikaulom und Trophophyllen ſowie <lb/>Sporophyllen, und</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3179" xml:space="preserve">E. </s> <s xml:id="echoid-s3180" xml:space="preserve">die Pflanzen wie vorher, aber die Blätter am Stengel <pb o="78" file="264" n="264"/> deutlich in Regionen geſchieden, nämlich Regionen mit Laub-<lb/>blättern und Regionen mit Fortpflanzungsblättern, alſo be-<lb/>ſoudere, deutliche Blüten vorhanden, wie wir das bei den <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-264-01a" xlink:href="fig-264-01"/> Schachtelhalmen und Bärlappen ſehen.</s> <s xml:id="echoid-s3181" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div139" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-264-01" xlink:href="fig-264-01a"> <caption xml:id="echoid-caption68" xml:space="preserve">Fig. 11. <lb/>Nepenthes, Kannenpflanze.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3182" xml:space="preserve">F. </s> <s xml:id="echoid-s3183" xml:space="preserve">Die Ernährungsblätter gehen eine weitere Arbeitsteilung <lb/>ein, indem ſie ſich ſcheiden in Keim-, Nieder-, Laub- und <pb o="79" file="265" n="265"/> Hochblätter, während die Blütenblätter untereinander noch <lb/>übereinſtimmen. </s> <s xml:id="echoid-s3184" xml:space="preserve">So bei den Nadelhölzern.</s> <s xml:id="echoid-s3185" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3186" xml:space="preserve">G. </s> <s xml:id="echoid-s3187" xml:space="preserve">Wie vorher, aber die Blütenblätter weiter geſondert in <lb/>Kelch-, Kronen-, Staubblätter, Fruchtblätter und Nektarblätter <lb/>(Monocotyledonen und Dicotyledonen).</s> <s xml:id="echoid-s3188" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3189" xml:space="preserve">So hätten wir denn die grundlegendſten Züge des Pflanzen-<lb/>ſyſtems, ſoweit wir ſie gerade für das Folgende nötig haben, <lb/>gewonnen.</s> <s xml:id="echoid-s3190" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div141" type="section" level="1" n="95"> <head xml:id="echoid-head106" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXI. Die Pflanzen in ihrem Auftreten in den</emph> <lb/><emph style="bf">geologiſchen Perioden.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3191" xml:space="preserve">In der geſchilderten Reihenfolge ſind auch die Pflanzen <lb/>in den geologiſchen Zeitperioden aufgetreten, d. </s> <s xml:id="echoid-s3192" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3193" xml:space="preserve">zuerſt ſehen <lb/>wir die einfacheren Pflanzen und nach und nach im Laufe der <lb/>geologiſchen Formationen kompliziertere und immer verwickelter <lb/>gebaute Pflanzen erſcheinen; </s> <s xml:id="echoid-s3194" xml:space="preserve">jedoch ſind es in den älteren For-<lb/>mationen andere Arten, aus denen die Gruppen beſtehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3195" xml:space="preserve">Die Gruppe der Farne z. </s> <s xml:id="echoid-s3196" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3197" xml:space="preserve">enthält heutzutage lebend auch <lb/>nicht eine einzige Art mehr etwa aus der Zeit der Stein-<lb/>kohlenformation: </s> <s xml:id="echoid-s3198" xml:space="preserve">die früheren ſind die Vorfahren der heutigen.</s> <s xml:id="echoid-s3199" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3200" xml:space="preserve">Als man anfing, ſich mit Pflanzen-Vorweſenkunde zu be-<lb/>ſchäftigen, glaubte man zunächſt, daß alle verſteinert erhaltenen <lb/>(foſſilen) Arten dieſelben wie die heute lebenden ſeien. </s> <s xml:id="echoid-s3201" xml:space="preserve">Welchen <lb/>Grund hätte man auch zunächſt für die gegenteilige Annahme <lb/>gehabt? </s> <s xml:id="echoid-s3202" xml:space="preserve">Als man dann merkte, daß ſich ſo viele Reſte nicht <lb/>auf heutige Arten zurückführen ließen, ſchlug man ins Gegen-<lb/>teil über und meinte: </s> <s xml:id="echoid-s3203" xml:space="preserve">alle foſſilen Arten ſeien von der heutigen <lb/>verſchieden. </s> <s xml:id="echoid-s3204" xml:space="preserve">Die Wahrheit liegt in dieſem Falle wieder einmal <lb/>in der Mitte: </s> <s xml:id="echoid-s3205" xml:space="preserve">Aus den älteſten geologiſchen Zeiten ſind <pb o="80" file="266" n="266"/> ſämtliche Arten ohne Ausnahme längſt ausgeſtorben, aus den <lb/>ſpäteren geologiſchen Formationen, etwa aus der “Kreidezeit”, <lb/>ſind Arten bekannt geworden, die heute noch leben, aber <lb/>damals zuſammen mit jetzt ausgeſtorbenen Formen die Erde <lb/>ſchmückten; </s> <s xml:id="echoid-s3206" xml:space="preserve">nach und nach nimmt die Zahl der noch lebenden <lb/>Arten zu, bis ſie endlich — allerdings erſt in der aller-<lb/>neueſten geologiſchen Zeit — nur noch ausſchließlich vor-<lb/>handen ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3207" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3208" xml:space="preserve">Wir haben viele Thatſachen, welche <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-266-01a" xlink:href="fig-266-01"/> die Abſtammungslehre begründen, bereits <lb/>in Teil 17 in dem Abſchnitt “Die Pflanzen-<lb/>welt unſerer Heimat ſonſt und jetzt” <lb/>(S. </s> <s xml:id="echoid-s3209" xml:space="preserve">57 und folgende) vorgebracht, ſodaß <lb/>wir, um Wiederholungen zu vermeiden, <lb/>auf dieſen Teil verweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s3210" xml:space="preserve">Es wurde <lb/>dort auch ſchon auf <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-266-02a" xlink:href="fig-266-02"/> die intereſſante That-<lb/>ſache aufmerkſam ge-<lb/>macht, daß die in <lb/>der Luft lebenden <lb/>Gewächſe der älte-<lb/>ſten Formationen im <lb/>Vergleich mit den <lb/>ſpäteren und heuti-<lb/>gen ganz auffallend <lb/>die Gabelverzweigung ihrer Stengel und Stämme, ſowie der <lb/>Blätter bevorzugen, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3211" xml:space="preserve">12, während heute bei den Luft-<lb/>pflanzen die riſpige Verzweigung (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3212" xml:space="preserve">13) der Stengel bezw. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3213" xml:space="preserve">die fiederige der Blätter, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3214" xml:space="preserve">14, gebräuchlich iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3215" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div141" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-266-01" xlink:href="fig-266-01a"> <caption xml:id="echoid-caption69" xml:space="preserve">Fig. 13. <lb/>Riſpige bezw. ſiederige <lb/>Verzweigung.</caption> <variables xml:id="echoid-variables17" xml:space="preserve">I II II II II I</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-266-02" xlink:href="fig-266-02a"> <caption xml:id="echoid-caption70" xml:space="preserve">Fig. 12. <lb/>Gabel-Verzweigung.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3216" xml:space="preserve">Da dieſe Erſcheinung beſonders geeignet iſt, einen Beweis <lb/>für die Richtigkeit der Abſtammungslehre zu erbringen, wollen <lb/>wir näher auf dieſelbe eingehen.</s> <s xml:id="echoid-s3217" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3218" xml:space="preserve">Zu einem Verſtändnis iſt es aber nötig, ſich zunächſt mit</s> </p> <pb o="81" file="267" n="267"/> <figure> <caption xml:id="echoid-caption71" xml:space="preserve">Fig. 14. <lb/>Die Weinſagopalme mit fiederigen Blättern.</caption> </figure> <p> <s xml:id="echoid-s3219" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3220" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3221" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s3222" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="82" file="268" n="268"/> <p> <s xml:id="echoid-s3223" xml:space="preserve">einigen einfachen Begriffen aus der Lehre von den Ver-<lb/>zweigungen vertraut zu machen.</s> <s xml:id="echoid-s3224" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div143" type="section" level="1" n="96"> <head xml:id="echoid-head107" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXII. Aus der Lehre von den Verzweigungen</emph> <lb/><emph style="bf">der Pflanzen-Organe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3225" xml:space="preserve">Die Verzweigungsarten laſſen ſich am beſten in die <lb/>folgenden beiden Gruppen bringen.</s> <s xml:id="echoid-s3226" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3227" xml:space="preserve">1. </s> <s xml:id="echoid-s3228" xml:space="preserve">Trägt eine Hauptaxe, I, ſeitliche Zweige, II, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3229" xml:space="preserve">13 ſo be-<lb/>kommen wir eine <emph style="sp">Einfuß-Verzweigung</emph> (ein <emph style="sp">Monopodium</emph>), <lb/>welche ſich dadurch auszeichnet, daß die Seitenzweige ſämtlich <lb/>dasſelbe gemeinſame “Fußſtück” I beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s3230" xml:space="preserve">Enthält die erſt-<lb/>entſtandeue Axe I einen Tochterzweig II, der über den Mutter-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-268-01a" xlink:href="fig-268-01"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-268-02a" xlink:href="fig-268-02"/> <pb o="83" file="269" n="269"/> zweig hinauswächſt, denſelben “übergipfelt” und die Spitze <lb/>desſelben oft beiſeite drängt, ſomit die Fortſetzung des unteren <lb/>Stücks des Mutterzweiges bildend, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3231" xml:space="preserve">15, ſo erhalten wir, <lb/>eine <emph style="sp">Vielfuß-Verzweigung</emph> (ein <emph style="sp">Sympodium</emph>) und zwar <lb/>ſpezieller eine einfüßig angelegte Vielfuß-Verzweigung, oder, <lb/>wie der Botaniker ſagt, ein monopodial angelegtes Sympodium <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3232" xml:space="preserve">16). </s> <s xml:id="echoid-s3233" xml:space="preserve">Ein Zweig von II kann, wie die Figur 16 veran-<lb/>ſchaulicht, dieſe Entwickelungsweiſe fortſetzen, ſodaß wir zwar <lb/>ein Zweigſyſtem erhalten können, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-269-01a" xlink:href="fig-269-01"/> welches einem einfüßigen erſt-<lb/>genannter Art, äußerlich be-<lb/>trachtet, durchaus gleicht, ſich <lb/>aber entwickelungsgeſchichtlich <pb o="84" file="270" n="270"/> dadurch von dieſem unterſcheidet, daß die ſcheinbare Hauptaxe <lb/>aus vielen Fußſtücken von Zweigen verſchiedener Ordnung ge-<lb/>bildet wird.</s> <s xml:id="echoid-s3234" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div143" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-268-01" xlink:href="fig-268-01a"> <caption xml:id="echoid-caption72" xml:space="preserve">Fig. 15. <lb/>Schemata zur Erläuterung der Eutſtehung <lb/>der vielfüßigen Verzweigung. In A die <lb/>Haupt- (Mutter-) Axe I mit einem Tochter-<lb/>zweig II; bei B beginnt der Tochterzweig II <lb/>das obere Stück des Mutterzweiges I zu <lb/>übergipfeln; in C iſt die übergipfelung voll-<lb/>zogen, d. h. II hat ſich in die direkte Fort-<lb/>ſetzung des unteren Stückes von I geſetzt <lb/>und das obere Stück von I ganz zur Seite <lb/>geworfen.</caption> <variables xml:id="echoid-variables18" xml:space="preserve">I II I A II I I B II I I C</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-268-02" xlink:href="fig-268-02a"> <caption xml:id="echoid-caption73" xml:space="preserve">Fig. 16. <lb/>Schema einer viel-<lb/>füßigen Verzweigung.</caption> <variables xml:id="echoid-variables19" xml:space="preserve">V IV III IV II III I II I</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-269-01" xlink:href="fig-269-01a"> <caption xml:id="echoid-caption74" xml:space="preserve">Fig. 17. <lb/>A = eine Gabel-Verzweigung; I gabelt ſich in die Tochterſproſſe II, der eine der-<lb/>ſelben in die Sproſſe III u. ſ. w. — B = eine im fer@igen Zuſtande vorliegende <lb/>riſpig reſp. fiederig erſcheinende Verzweigung, die durch Geradeſtreckung der Gabel-<lb/>fußſtücke II, III, IV u. V entſtanden iſt.</caption> <variables xml:id="echoid-variables20" xml:space="preserve">V V IV IV III III II II I B V V IV IV III III II II I A</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3235" xml:space="preserve">2. </s> <s xml:id="echoid-s3236" xml:space="preserve">Dasſelbe Reſultat kann auch die auf Gabelungen beruhende <lb/>Entwickelungsweiſe geben. </s> <s xml:id="echoid-s3237" xml:space="preserve">Eine Gabelung (<emph style="sp">Dichotomie</emph>) <lb/>kommt zu ſtande, wenn ſich ein Vegetationspunkt in 2 neue <lb/>Vegetationspunkte ſondert, welche beide zu je einem Zweige <lb/>auswachſen. </s> <s xml:id="echoid-s3238" xml:space="preserve">Erreichen dieſe beiden gleiche Länge und ver-<lb/>zweigen ſich in derſelben Weiſe weiter, ſo entſteht eine deutliche <lb/>wiederholt-gabelige Verzweigung (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3239" xml:space="preserve">12); </s> <s xml:id="echoid-s3240" xml:space="preserve">gabelt ſich jedoch <lb/>immer nur der eine der beiden Zweige, und zwar abwechſelnd, <lb/>immer einmal der rechte und dann der linke (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3241" xml:space="preserve">17 A), oder <lb/>immer nur der auf derſelben Seite gelegene Zweig, oder endlich <lb/>beliebig einmal derjenige der einen und dann wieder der der <lb/>anderen Seite, ſo wird wiederum, namentlich bei Gerade-<lb/>ſtreckung des ganzen Syſtemes (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3242" xml:space="preserve">17B), eine einheitliche <lb/>Hauptaxe vorgetäuſcht, während doch Verzweigungen vor-<lb/>liegen, die man am beſten als auf Gabelungen beruhende <lb/>Vielfuß-Verzweigungen (dichopodiale Sympodien) bezeichnen <lb/>wird.</s> <s xml:id="echoid-s3243" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div145" type="section" level="1" n="97"> <head xml:id="echoid-head108" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXIII. Die übliche Verzweigungs-Art der</emph> <lb/><emph style="bf">älteſten Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3244" xml:space="preserve">Überblicken wir nun die älteſten bekannten Floren im Ver-<lb/>gleich mit denjenigen der ſpäteren Perioden und der Jetztzeit, <lb/>ſo fällt leicht und eindringlich die Thatſache auf, daß die <lb/>Gabel-Verzweigung überhaupt, ſowohl der Stämme, Blätter, <lb/>als auch der Blatt-Aderung, früher bei weitem häufiger war <lb/>als heute. </s> <s xml:id="echoid-s3245" xml:space="preserve">Die nächſten heutigen Verwandten der ausge- <pb o="85" file="271" n="271"/> ſtorbenen Schuppen- und Siegel-Bäume (Lepidodendraceen <lb/>und Sigillariaceen), alſo die heutigen Bärlappe (Schlangen-<lb/>mooſe) haben die echte Stammgabelung zum Teil auch heute <lb/>noch beibehalten, aber es zeigen ſich hier Mittelfälle, bei denen <lb/>man eine ſichere Entſcheidung, ob echt-dichopodial oder -mono-<lb/>podial, nicht treffen kann.</s> <s xml:id="echoid-s3246" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3247" xml:space="preserve">Man muß beachten, daß die <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-271-01a" xlink:href="fig-271-01"/> Schuppen- und Siegelbäume weſentlich <lb/>der Flora, z. </s> <s xml:id="echoid-s3248" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3249" xml:space="preserve">der Steinkohlenzeit, <lb/>das Gepräge aufdrücken halfen, und <lb/>daß ihr Platz heute von höher ſtehen-<lb/>den Pflanzen, Laub- und Nadel-<lb/>hölzern, eingenommen wird, bei denen <lb/>die Gabelverzweigung keine oder nur <lb/>eine ganz untergeordnete Rolle ſpielt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3250" xml:space="preserve">Dieſe weiſen aber Eigentümlichkeiten <lb/>auf, die den Gedanken, daß dicho-<lb/>podiale Verzweigung wenigſtens früher, <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s3251" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3252" xml:space="preserve">bei ihren Vorfahren, bei ihuen <lb/>ebenfalls beliebt war, durchaus recht-<lb/>fertigen. </s> <s xml:id="echoid-s3253" xml:space="preserve">Denn nicht gerade ſelten <lb/>zeigen die Keimblätter (Cotyledonen), <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s3254" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3255" xml:space="preserve">die allererſten Blätter, welche <lb/>die Pflanzen bei ihrer Keimung er-<lb/>zeugen, gabelige Verzweigung, und <lb/>zwar in allen Übergängen, als ſchwache bis ſtärkere, durchaus <lb/>ſymmetriſche Zweilappung bis zu tiefer Spaltung und Teilung. </s> <s xml:id="echoid-s3256" xml:space="preserve"><lb/>Zwiſchen den auffallend gabeligen Keimblättern und den un-<lb/>geteilten giebt es Übergänge.</s> <s xml:id="echoid-s3257" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div145" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-271-01" xlink:href="fig-271-01a"> <caption xml:id="echoid-caption75" xml:space="preserve">Fig. 18. <lb/>Junge Pflanze von Adian-<lb/>tum Capillus Veneris. b = <lb/>erſtes Blatt, r = Wurzel, <lb/>f = Vorkeim mit Haar-<lb/>wurzeln h.</caption> <variables xml:id="echoid-variables21" xml:space="preserve">b f f h h r r</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3258" xml:space="preserve">An dem Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3259" xml:space="preserve">18 abgebildeten Farn, deſſen erſtes Blatt <lb/>gerade gebildet iſt, ſehen wir dasſelbe ganz typiſch gabelig auf-<lb/>gebaut, obwohl die ſpäteren Wedel fiederige Gliederung beſitzen.</s> <s xml:id="echoid-s3260" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="86" file="272" n="272"/> </div> <div xml:id="echoid-div147" type="section" level="1" n="98"> <head xml:id="echoid-head109" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXIV. Das biogenetiſche Grundgeſetz.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3261" xml:space="preserve">Die augeführte Thatſache iſt deshalb von ſo großer <lb/>Wichtigkeit für unſeren Gegenſtand, weil es ſich gezeigt hat, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-272-01a" xlink:href="fig-272-01"/> daß ganz allgemein <emph style="sp">jugendliche Entwickelungszuſtände <lb/>von Lebeweſen Eigentümlichkeiten ihrer Vorfahren <pb o="87" file="273" n="273"/> wiederholen</emph>, oder logiſcher ausgedrückt: </s> <s xml:id="echoid-s3262" xml:space="preserve">die Lebeweſen zeigen <lb/>im Verlauf ihrer individuellen Entwickelung, bevor ſie ihren <lb/>fertigen Zuſtand, ihren Dauerzuſtand erreichen, Eigentümlich-<lb/>keiten, die in auffallendſter Weiſe an charakteriſtiſche Eigenheiten <lb/>von Lebeweſen erinnern, die im natürlichen Syſtem tiefer ſtehen, <lb/>und dieſe auffallende Thatſache, die doch eine Erklärung ver-<lb/>langt, wird ſo gedeutet, daß man eine Blutsverwandtſchaft <lb/>zwiſchen allen Lebeweſen annimmt, die alſo <emph style="sp">im Verlaufe ihrer <lb/>individuellen Entwickelung die Bau-Verhältniſſe <lb/>auch ihrer entlegenſten Vorfahren und zwar in ſehr <lb/>ſchneller und abgekürzter Weiſe wiederholen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s3263" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div147" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-272-01" xlink:href="fig-272-01a"> <caption xml:id="echoid-caption76" xml:space="preserve">Fig. 10. Dr. Fritz Müller.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3264" xml:space="preserve">Dieſes ſehr wichtige Geſetz iſt von dem aus Deutſchland <lb/>nach Braſilien eingewanderten, hervorragenden, kürzlich ver-<lb/>ſtorbenen Botaniker und Freund Darwins Fritz Müller <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3265" xml:space="preserve">19) aufgeſtellt und beſonders von dem bekannten Jenenſer <lb/>Profeſſor der Zoologie Ernſt Haeckel in die Wiſſenſchaft <lb/>eingeführt worden; </s> <s xml:id="echoid-s3266" xml:space="preserve">der letztere hat es das <emph style="sp">biogenetiſche <lb/>Grundgeſetz</emph>, überſetzt das lebensentwickelungsgeſchichtliche <lb/>Grundgeſetz, genannt.</s> <s xml:id="echoid-s3267" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3268" xml:space="preserve">Die Gabelungen der Keimblätter von hoch ſtehenden <lb/>Pflanzen, auch ſolcher, deren ſpätere Blätter von Gabelungen <lb/>keine Spur mehr zeigen, weiſen danach auf Beſonderheiten <lb/>der Vorfahren, auf Gabel-Verzweigungen derſelben in ihrem <lb/>ganzen Lebenslaufe, alſo auch in ihrem entwickelten, fertigen <lb/>Zuſtande.</s> <s xml:id="echoid-s3269" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div149" type="section" level="1" n="99"> <head xml:id="echoid-head110" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXV. Die Verzweigungen bei höheren Pflauzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3270" xml:space="preserve">Bei den Farnen iſt es ſehr auffällig, wie ſehr die echte <lb/>Gabelteilung ihrer Wedel (Blätter) gegen früher abgenommen <lb/>hat. </s> <s xml:id="echoid-s3271" xml:space="preserve">Zwei weſentliche Gruppen, welche alſo im Altertum <pb o="88" file="274" n="274"/> (Paläozoicum) der Erde den Charakter der Flora bedingen <lb/>halfen, die Farne und die Schuppen- und Siegelbäume, zeigten <lb/>eine beſondere Neigung zur Dichotomie, während die heutigen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-274-01a" xlink:href="fig-274-01"/> Farne ſowohl als <lb/>auch die in phy-<lb/>ſiognomiſcher Hin-<lb/>ſicht als Vertreter <lb/>der Lepidophyten <lb/>anzuſehenden Laub-<lb/>und Nadelhölzer der <lb/>genannten Verzwei-<lb/>gungsart im Gan-<lb/>zen abhold ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3272" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div149" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-274-01" xlink:href="fig-274-01a"> <caption xml:id="echoid-caption77" xml:space="preserve">Fig. 20. <lb/>Asterocalamites scrobiculatus.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3273" xml:space="preserve">Betrachten wir <lb/>die Vorfahren un-<lb/>ſerer Schachtel-<lb/>halme, die Cala-<lb/>mariaceen, ſo iſt <lb/>wenigſtens die eine <lb/>Thatſache mit Rück-<lb/>ſicht auf das Ge-<lb/>ſagte bemerkens-<lb/>wert, daß die älteſte <lb/>Art dieſer Familie <lb/>aus dem frühen Al-<lb/>tertum unſerer Erde <lb/>(ſie heißt wiſſen-<lb/>ſchaftlich Astero-<lb/>calamites scrobi-<lb/>culatus [Calami-<lb/>tes transitionis]) mehrfach gegabelte Blätter beſaß (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3274" xml:space="preserve">20), <lb/>während doch echte Gabelungen ſonſt bei den Schachtelhalmen <lb/>nicht mehr vorkommen.</s> <s xml:id="echoid-s3275" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="89" file="275" n="275"/> <p> <s xml:id="echoid-s3276" xml:space="preserve">Nicht nur die gabelige Verzweigungsart von Stengeln <lb/>und Blättern hat auffallend im Verlaufe der Entwickelung der <lb/>Pflanzenwelt abgenommen, ſondern für die Blatt-Aderung iſt <lb/>das Gleiche zu beobachten.</s> <s xml:id="echoid-s3277" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3278" xml:space="preserve">Bleiben wir bei den Farnen, ſo muß hervorgehoben <lb/>werden, daß die älteſten derſelben in ihren ſpreitigen Teilen <lb/>einer Mittel-Ader entbehren und durch lauter gleichartige, <lb/>parallel-fächerig verlaufende, gegabelte Adern ausgezeichuet <lb/>ſind, während die Gattungen ſpäterer Zeiten inſofern höher <lb/>organiſiert ſind, als in der Aderung durch das Auftreten einer <lb/>Mittel-Ader mit Seiten-Adern, ſodaß fiederige Aderung zu <lb/>ſtande kommt, eine Arbeitsteilung in der Ausbildung der die <lb/>Nahrung leitenden Bahnen zu bemerken iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3279" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3280" xml:space="preserve">Iſt die — allerdings kaum zu umgehende — Anſchauung <lb/>richtig, daß das Leben im Waſſer geboren wurde, wie denn in <lb/>der That Algen die erſten Gewächſe geweſen ſein dürften, die <lb/>die Erde bewohnten, ſo können wir aus einer Betrachtung <lb/>derſelben Auhaltspunkte über die urſprünglichen Verzweigungs-<lb/>weiſen gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s3281" xml:space="preserve">Nun, daß bei dieſen die Gabelung eine <lb/>große Rolle ſpielt, iſt allbekannt. </s> <s xml:id="echoid-s3282" xml:space="preserve">Immer wieder — wo wir <lb/>hinblicken — zeigt ſich das Walten der Gabelung bei älteren <lb/>Formen; </s> <s xml:id="echoid-s3283" xml:space="preserve">auch die Mooſe ſind ein Beiſpiel, bei denen die an <lb/>den Anfang ihres Syſtems geſtellten Abteilungen, die damit <lb/>auch als die älteren angenommen werden, die niederen Leber-<lb/>mooſe nämlich (die Ricciaceen und die Marchantiaceen), ſich <lb/>durch Gabelungen ihres Körpers auszeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s3284" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3285" xml:space="preserve">Wie das Gros der Algen, ſo ſind auch die Ricciaceen <lb/>Waſſerpflanzen, und bei ſolchen ſind ebenfalls Gabelungen, <lb/>überhaupt auch dann, wenn es ſich um hoch organiſierte Formen <lb/>handelt, beliebt. </s> <s xml:id="echoid-s3286" xml:space="preserve">Die Waſſerblätter im Waſſer lebender höchſt-<lb/>entwickelter Pflanzen (Mono- und Dicotyledonen) ſind meiſt im <lb/>Intereſſe der Schaffung einer möglichſt großen Fläche, und um <lb/>die einzelnen Teile mit möglichſt verſchiedenen Teilen des Waſſers, <pb o="90" file="276" n="276"/> u. </s> <s xml:id="echoid-s3287" xml:space="preserve">a. </s> <s xml:id="echoid-s3288" xml:space="preserve">behufs Aufnahme des gelöſten Kohlendioxyds (der Kohlen-<lb/>ſäure) in Berührung zu bringen, fein zerteilt, und die einzelnen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-276-01a" xlink:href="fig-276-01"/> Stücke gruppieren ſich mit <lb/>beſonderer Vorliebe zu <lb/>Gabeln. </s> <s xml:id="echoid-s3289" xml:space="preserve">Sollte dieſe Er-<lb/>ſcheinung ſich nicht als <lb/>ein Rückſchlag zu Ver-<lb/>hältniſſen, wie ſie bei <lb/>fernen Vorfahren üblich <lb/>waren, deuten laſſen? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3290" xml:space="preserve">Aus weiter unten Geſag-<lb/>tem wird die Berechti-<lb/>gung dieſes Gedankens <lb/>hervorleuchten. </s> <s xml:id="echoid-s3291" xml:space="preserve">Er ſteht <lb/>im Einklang mit der <lb/>Äußerung K. </s> <s xml:id="echoid-s3292" xml:space="preserve"><emph style="sp">Goebels</emph>, <lb/>“daß das Leben im Waſſer <lb/>ganz allgemein eine Hem-<lb/>mung in der Gewebe-<lb/>ausbildung, eine Hintan-<lb/>haltung der höheren Dif-<lb/>ferenzierung bedingt.</s> <s xml:id="echoid-s3293" xml:space="preserve">”</s> </p> <div xml:id="echoid-div150" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-276-01" xlink:href="fig-276-01a"> <caption xml:id="echoid-caption78" xml:space="preserve">Fig. 21. <lb/>Wurmfarn (verkleinert).</caption> <variables xml:id="echoid-variables22" xml:space="preserve">A</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3294" xml:space="preserve">Unter den älteſten und <lb/>älteren Farn-Reſten be-<lb/>findet ſich eine ganze Au-<lb/>zahl, die in intereſſanter <lb/>Weiſe von den heutigen <lb/>Arten abweicht und mit <lb/>dieſen verglichen und in <lb/>eine Reihe geſtellt es ge-<lb/>ſtatten, bis zu einem gewiſſen Grade Schlußfolgerungen auf <lb/>die fehlenden Vorgänger zu ziehen.</s> <s xml:id="echoid-s3295" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3296" xml:space="preserve">Die Betrachtung dieſer Reihe beginnen wir mit dem Hin- <pb o="91" file="277" n="277"/> weiſe, daß die Wedel der heutigen Farnarten ganz überwiegend <lb/>durchweg fiederige Gliederung beſitzen und im ganzen eiförmige <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-277-01a" xlink:href="fig-277-01"/> Geſtalt zu haben pflegen <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3297" xml:space="preserve">21). </s> <s xml:id="echoid-s3298" xml:space="preserve">Auffallend häufig <lb/>zeigt ſich als eine Abweichung <lb/>von der Norm bei Arten <lb/>von dem in Rede ſtehenden <lb/>Typus des Wedel-Aufbaues <lb/>eine Gabelung des Wedels, <lb/>je nach den Exemplaren in <lb/>verſchiedener Höhe desſelben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3299" xml:space="preserve">Unterhalb der Gabel und an <lb/>den beiden Gabeläſten be-<lb/>finden ſich dann Fiedern <lb/>erſter Ordnung, ganz von der <lb/>Gliederung ſolcher Fiedern an <lb/>normalen Exemplaren, ſo daß <lb/>alſo nur die Gabelung eine <lb/>Abweichung bietet. </s> <s xml:id="echoid-s3300" xml:space="preserve">Bei der <lb/>Häufigkeit dieſer Thatſache iſt <lb/>man umſomehr berechtigt, <lb/>ſie als eine Rückſchlags-Er-<lb/>ſcheinung aufzufaſſen, als im <lb/>Altertum der Erde eine ganze <lb/>Anzahl Arten den geſchilder-<lb/>ten Aufbau normaler Weiſe <lb/>zeigen. </s> <s xml:id="echoid-s3301" xml:space="preserve">Nur dadurch ver-<lb/>ſchieden von dieſem Aufbau, <lb/>daß das unter der Gabel <lb/>befindliche Spindelſtück nackt <lb/>iſt, d. </s> <s xml:id="echoid-s3302" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3303" xml:space="preserve">keine Fiedern trägt, <lb/>zeigt ſich z. </s> <s xml:id="echoid-s3304" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3305" xml:space="preserve">die von der Wiſſenſchaft als Sphenopteridium <lb/>Dawsoni bezeichnete Art aus dem Altertum der Erde (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3306" xml:space="preserve">22)</s> </p> <div xml:id="echoid-div151" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-277-01" xlink:href="fig-277-01a"> <caption xml:id="echoid-caption79" xml:space="preserve">Fig. 22. <lb/>Sphenopteridium Dawsoni in {1/4} der <lb/>natürlichen Größe.</caption> </figure> </div> <pb o="92" file="278" n="278"/> <p> <s xml:id="echoid-s3307" xml:space="preserve">Die Gabelteile ſelbſt und die Fußſtücke ſind freilich in <lb/>dieſen Fällen ſo typiſch fiederig, daß ſie weiter keine Brücke <lb/>zu der Anſchauung bieten, daß auch die einzelnen Stücke dieſer <lb/>Teile im Verlaufe der Generationen aus echten Gabeln hervor-<lb/>gegangen ſind, ebenſowenig wie man aus bloßer Betrachtung <lb/>und Unterſuchung einer heutigen Art mit normal-fiederigen <lb/>Wedeln ohne Anſtellung von Vergleichungen in der Lage iſt, <lb/>zu dem Schluß zu kommen, daß der Wedel-Aufbau ihrer Vor-<lb/>fahren echt-gabelig war. </s> <s xml:id="echoid-s3308" xml:space="preserve">Die verlangten Brücken ſind aber, ſo <lb/>gut ſie verlangt werden können, vorhanden.</s> <s xml:id="echoid-s3309" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3310" xml:space="preserve">Zunächſt ſei diesbezüglich erwähnt, daß es als gelegentlich <lb/>auftretende Abweichung (Variation) des typiſchen Baues oft <lb/>genug vorkommt, daß auch die Fiedern höherer Ordnungen bei <lb/>heutigen Farnen wohl entwickelte Gabelungen zeigen, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3311" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3312" xml:space="preserve">bei allbekaunten Garten-Formen des weiblichen und männlichen <lb/>Wurmfarn (Asplenium filix femina und Aspidium filix <lb/>mas). </s> <s xml:id="echoid-s3313" xml:space="preserve">Gehen wir auf die foſſilen Farne über, ſo wären u. </s> <s xml:id="echoid-s3314" xml:space="preserve">a. </s> <s xml:id="echoid-s3315" xml:space="preserve"><lb/>die folgenden als “Brücke” von großem Wert.</s> <s xml:id="echoid-s3316" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3317" xml:space="preserve">So zeigt das Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3318" xml:space="preserve">23 abgebildete Callipteris-Wedelſtück <lb/>ohue weiteres die Berechtigung der Aunahme gabeligen Auf-<lb/>baues des ganzen Wedels. </s> <s xml:id="echoid-s3319" xml:space="preserve">Das Stück bildet hinſichtlich der <lb/>Verzweigung ſeiner Achſen genau ein Mittelding zwiſchen echt-<lb/>gabeliger und fiederiger Verzweigung, ſo wundervoll, wie es <lb/>gar nicht beſſer erdacht werden könnte. </s> <s xml:id="echoid-s3320" xml:space="preserve">Bezeichnen wir die <lb/>“geförderten”, ſich weiter verzweigenden Gabelzweige ſtets <lb/>mit a, die aus der erſtrebten Hauptachſe mehr oder minder bei <lb/>Seite geſchobenen (übergipfelten) Zweige mit b, ſo ſehen wir, <lb/>daß an dem Exemplar die erſte Gabel noch vollſtändig erkenn-<lb/>bar iſt, nur daß der Zweig a weiter verzweigt iſt; </s> <s xml:id="echoid-s3321" xml:space="preserve">der <lb/>Zweig b iſt bemerkenswert lang, vielleicht war er ſogar ſo <lb/>lang wie die Teile 1—6 zuſammengenommen. </s> <s xml:id="echoid-s3322" xml:space="preserve">Die zweite <lb/>Verzweigung würde, da 1a und 2a gleiche Stärke beſitzen und <lb/>eine Gerade bilden, für ſich allein, ohne Kenntnis des übrigen <pb o="93" file="279" n="279"/> Wedel-Aufbaues die Entſtehung aus einer Gabel nicht ergeben: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3323" xml:space="preserve"> <anchor type="figure" xlink:label="fig-279-01a" xlink:href="fig-279-01"/> hier iſt Zweig b ganz unterlegen, ſo daß man im vorliegenden <lb/>fertigen Zuſtande nur von einer Fieder-Verzweigung ſprechen <pb o="94" file="280" n="280"/> kann. </s> <s xml:id="echoid-s3324" xml:space="preserve">Die Gabeln 3 und 4 zeigen wieder das Verhältnis <lb/>wie 1, die Verzweigung 5 diejenige von 2, und 6 endlich iſt <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-280-01a" xlink:href="fig-280-01"/> eine vollkommene Gabel. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3325" xml:space="preserve">Es findet alſo ein La-<lb/>vieren ſtatt: </s> <s xml:id="echoid-s3326" xml:space="preserve">Der Wedel <lb/>baut ſich entwickelungs-<lb/>geſchichtlich gabelig auf, <lb/>ſtrebt aber als fertigen <lb/>Zuſtand Fiederung zu <lb/>erreichen. </s> <s xml:id="echoid-s3327" xml:space="preserve">Vorzüglich <lb/>ſchön iſt das auch an <lb/>dem Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3328" xml:space="preserve">24 ebenfalls <lb/>abgebildeten, großen <lb/>Wedelſtück von Callip-<lb/>teridium pteridium <lb/>zu ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s3329" xml:space="preserve">Die oberſte <lb/>Gabel kann nicht deut-<lb/>licher ſein; </s> <s xml:id="echoid-s3330" xml:space="preserve">allmählich <lb/>am Wedel herabſteigend, <lb/>löſchen ſich die Gabeln <lb/>immer mehr aus, ſodaß <lb/>wir unten reine Fiede-<lb/>rung haben. </s> <s xml:id="echoid-s3331" xml:space="preserve">Meiſt zeigt <lb/>auch Callipteris reine <lb/>Fiederung, aber die <lb/>Gipfel der Wedel deuten <lb/>— ſofern ſie vorhanden <lb/>ſind — ſtets auf die Ent-<lb/>ſtehung derſelben aus <lb/>urſprünglichen Gabel-<lb/>Verzweigungen hin.</s> <s xml:id="echoid-s3332" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div152" type="float" level="2" n="4"> <figure xlink:label="fig-279-01" xlink:href="fig-279-01a"> <caption xml:id="echoid-caption80" xml:space="preserve">Fig. 23. <lb/>Callipteris in {1/2} der natürlichen Größe.</caption> <variables xml:id="echoid-variables23" xml:space="preserve">6a 6b 5b 5a 4a 4b 3b 3a 2b 2a 1b 1a</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-280-01" xlink:href="fig-280-01a"> <caption xml:id="echoid-caption81" xml:space="preserve">Fig. 24. <lb/>Callipteridium pteridium in {1/10} der natürlichen <lb/>Größe (aus der Flora des Altertums der Erde).</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3333" xml:space="preserve">Bemerkenswert an <lb/>den im fertigen Zuſtande <pb o="95" file="281" n="281"/> im Ganzen fiederig aufgebauten Arten, die aber noch die Ent-<lb/>ſtehung der Fiederung aus urſprünglichen Gabel-Verzweigungen <lb/>erkennen laſſen, iſt bei zweifach-gefiederten Reſten das Vor-<lb/>handenſein von Spreitenteilen, an der aus den Gabelzweigen a <lb/>hervorgehenden Hauptaxe, wie das die Figur 23 deutlich macht, <lb/>reſp. </s> <s xml:id="echoid-s3334" xml:space="preserve">bei dreifach-gefiederten Reſten das Vorkommen ſowohl <lb/>von einmal- als auch zweimal-gefiederten Fiedern, erſtere <lb/>zwiſchen den letzteren, an der Hauptaxe (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3335" xml:space="preserve">24). </s> <s xml:id="echoid-s3336" xml:space="preserve">Dieſe Er-<lb/>ſcheinungen deuten ebenfalls klar auf ihre Entſtehung aus <lb/>Gabelzweigen (a) hin. </s> <s xml:id="echoid-s3337" xml:space="preserve">Bei der Arbeitsteilung, die durch all-<lb/>mähliche Ausbildung einer Hauptſpindel als Hauptträger und <lb/>Hauptleitbahn im Gegenſatz zu den zu Seitenträgern und Neben-<lb/>leitbahnen werdenden Gabelzweigen b eintritt, verſchwinden die <lb/>nicht mehr geteilten reſp. </s> <s xml:id="echoid-s3338" xml:space="preserve">weniger als die anderen geteilten <lb/>Hauptſpindel-Fiederchen bei Arten, die ſchon in der Entwicke-<lb/>lung ihrer Wedel rein fiederige Verzweigung erreicht haben; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3339" xml:space="preserve">nur ſehr ſelten kommt es heute als Erinnerung an die Ent-<lb/>ſtehung des fiederigen Aufbaues aus Gabelzweigen noch vor, daß <lb/>Fiederchen letzter Ordnung noch an der Hauptſpindel bemerkbar <lb/>werden (wie bei der heutigen Art Aspidium decursivepin-<lb/>natum). </s> <s xml:id="echoid-s3340" xml:space="preserve">Dieſes eigentümliche, ausnahmsweiſe Vorkommen <lb/>wäre ſomit durch das Vorausgehende hinreichend erklärt. </s> <s xml:id="echoid-s3341" xml:space="preserve">Die <lb/>Neuropteris gigantea (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3342" xml:space="preserve">25) bietet mit anderen Arten <lb/>einen Übergang zwiſchen der eben genannten heutigen Art und <lb/>dem Callipteris-Exemplar (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3343" xml:space="preserve">23), inſofern als die Neu-<lb/>ropteris gigantea nur noch an der äußerſten Spitze der <lb/>Hauptſpindel eine typiſche Gabelung beſitzt, ſonſt rein fiederig <lb/>erſcheint, dabei aber wie Callipteris Fiederchen letzter Ordnung <lb/>an der ganzen Hauptſpindel trägt. </s> <s xml:id="echoid-s3344" xml:space="preserve">Hier und da kommen bei <lb/>dieſer Neuropteris Verzweigungen vor, die zur Gabelung <lb/>neigen, auch inmitten des Wedels. </s> <s xml:id="echoid-s3345" xml:space="preserve">Unſymmetriſche Farnwedel <lb/>ſind im Altertum der Erde (im Paläozoicum) überhaupt merk-<lb/>würdig häufig, vor allem durch ungleiche Verteilung aller Über- <pb o="96" file="282" n="282"/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-282-01a" xlink:href="fig-282-01"/> gänge von zwei-<lb/>felloſen Gabeln <lb/>bis zu typiſch-<lb/>fiederiger Ver-<lb/>zweigung: </s> <s xml:id="echoid-s3346" xml:space="preserve">es <lb/>veranſchaulicht <lb/>dies deutlich den <lb/>Kampf zwiſchen <lb/>beiden Arten von <lb/>Verzweigungen.</s> <s xml:id="echoid-s3347" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div153" type="float" level="2" n="5"> <figure xlink:label="fig-282-01" xlink:href="fig-282-01a"> <caption xml:id="echoid-caption82" xml:space="preserve">Fig. 25. <lb/>Neuropteris gigantea aus dem Altertum der Erde. <lb/>Etwas verkleinert.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3348" xml:space="preserve">Nehmen wir <lb/>die Entſtehung <lb/>der fiederigen <lb/>Verzweigung <lb/>aus der echt-<lb/>gabeligen aus <lb/>den angegebenen <lb/>Gründen als <lb/>richtig an, ſo er-<lb/>klären ſich auch <lb/>noch andere Ei-<lb/>gentümlichkeiten <lb/>nunmehr in <lb/>leichteſter Weiſe, <lb/>die bisher nur <lb/>zuſammenhaug-<lb/>los hingenom-<lb/>men werden <lb/>mußten.</s> <s xml:id="echoid-s3349" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3350" xml:space="preserve">Nach alle-<lb/>dem ſcheinen al-<lb/>ſo die That-<lb/>ſachen die An- <pb o="97" file="283" n="283"/> nahme zu fordern, <emph style="sp">daß der fiederige oder riſpige Auf-<lb/>bau in allen ſeinen Teilen deſcendenz-theoretiſch</emph> <lb/>aus dem <emph style="sp">echt-gabeligen hervorgegangen iſt.</emph></s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div155" type="section" level="1" n="100"> <head xml:id="echoid-head111" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXVI. Wie erklärt ſich die Verdrängung der</emph> <lb/><emph style="bf">Gabel-Verzweigung bei Luftpflauzen durch die</emph> <lb/><emph style="bf">fiederige reſp. riſpige Verzweigung?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3351" xml:space="preserve">Es drängt ſich nun noch die Frage auf: </s> <s xml:id="echoid-s3352" xml:space="preserve">warum hat der <lb/>fiederige Aufbau der Blätter den gabeligen verdrängt, warum <lb/>beherrſcht auch die Baumvegetation unſerer Tage die riſpige <lb/>Verzweigung der Stamm- und Stengelteile im Vergleich zu <lb/>der vorwiegend gabeligen des Altertums der Erde? </s> <s xml:id="echoid-s3353" xml:space="preserve">Die Ant-<lb/>wort liegt auf der Hand.</s> <s xml:id="echoid-s3354" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3355" xml:space="preserve">Stellen wir der Praxis die Aufgabe, ein Gerüſt zu bauen, <lb/>ſo daß an demſelben möglichſt viele Flächen dem Licht aus-<lb/>geſetzt ſind — und die Blätter müſſen dem Lichte ausgeſetzt <lb/>ſein, wenn ſie ihre Thätigkeit im Dienſte der Ernährung ſollen <lb/>ausführen können — ſo wird ſie die Träger der Flächen, die <lb/>Auszweigungen des Gerüſtes, aus mechaniſchen Gründen, ab-<lb/>geſehen von Rückſichten der Materialerſparnis, nach Möglich-<lb/>keit ſo geſtalten müſſen, daß dieſelben nicht durch zu weites <lb/>Ausgreifen in die Luft hinein zu ſtark belaſten, denn je weiter <lb/>die Flächen von dieſer Axe hinweg gebracht werden, um ſo <lb/>ſtärker wird vermöge des Hebelgeſetzes die Inanſpruchnahme <lb/>der Hauptachſe und der Anſatzſtellen der Zweige. </s> <s xml:id="echoid-s3356" xml:space="preserve">Ein Ab-<lb/>brechen von Zweigen durch Eigenbelaſtung und Mitwirkung <lb/>von Wind und Waſſerbenetzung durch Regen, die nicht gering <lb/>anzuſchlagen iſt, wird hier um ſo leichter ſein. </s> <s xml:id="echoid-s3357" xml:space="preserve">Ein Aufbau</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3358" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3359" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3360" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s3361" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="98" file="284" n="284"/> <p> <s xml:id="echoid-s3362" xml:space="preserve">des Gewächſes aus Gabelverzweigungen wird zwar die <lb/>Flächen (Blätter) in günſtigſte Beziehung zum Lichte bringen, <lb/>aber die Entfernungen der einzelnen Punkte der Kugelfläche <lb/>von der Hauptaxe ſind hierbei ſo große, daß — wie leicht <lb/>zu berechnen — die mechaniſche Inanſpruchnahme des Ver-<lb/>zweigungsſyſtems außerordentlich bedeutender iſt als bei Bil-<lb/>dung einer ſich der Eiform nähernden Krone von derſelben <lb/>Oberflächengröße wie die Halbkugel, weil bei einer ſolchen <lb/>Krone die lichtbedürftigen Flächen nicht ſo weit von der Haupt-<lb/>axe angebracht zu werden brauchen wie im erſten Falle, und <lb/>dabei die Flächen doch ausgiebig dem Lichte ausgeſetzt ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3363" xml:space="preserve">Der Übergang der echt-gabeligen Verzweigung, welche die <lb/>Halbkugelform erzeugt, zur traubig-riſpigen, welche die Eiform <lb/>erreicht, iſt ſehr leicht, und es iſt daher begreiflich, wenn <lb/>im Kampfe ums Daſein aus der erſteren die letztere ent-<lb/>ſtanden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3364" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3365" xml:space="preserve">Was in mechaniſcher Beziehung von den Trägern, den <lb/>Stengelorganen gilt, gilt auch von den Flächen, von den <lb/>Blättern. </s> <s xml:id="echoid-s3366" xml:space="preserve">Ein gabelig verzweigtes Blatt nähert ſich in ſeiner <lb/>Geſtalt dem Kreiſe, ein fiederig verzweigtes dem auf einer <lb/>Fläche gezeichneten Ei. </s> <s xml:id="echoid-s3367" xml:space="preserve">Bei letzterem findet ſich <emph style="sp">die Haupt-<lb/>maſſe</emph> der der Ernährungs-Thätigkeit gewidmeten Fläche <lb/>weſentlich näher der Anſatzſtelle des Blattes als bei dem ſich <lb/>der Kreis- oder Halbkreisform nähernden Blatt. </s> <s xml:id="echoid-s3368" xml:space="preserve">Die Eiform <lb/>der Blätter, welche heute herrſcht, iſt alſo aus mechaniſchen <lb/>Gründen vorzuziehen, und der Kampf ums Daſein hat daher <lb/>dieſer Form zum Siege verholfen.</s> <s xml:id="echoid-s3369" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3370" xml:space="preserve">Kommt das Hebelgeſetz nicht in Frage, ſo handelt es ſich <lb/>für die Pflanze ausſchließlich darum, dem Lichte ausgeſetzte <lb/>Flächen zu erzeugen und die mannigfachſten Richtungen im <lb/>Ernährungsſubſtrat einzuſchlagen, wie das bei Waſſerpflanzen <lb/>der Fall iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3371" xml:space="preserve">Für dieſe, die ſpezifiſch etwas leichter als Waſſer <lb/>ſind, kommt die Hebelwirkung der Schwerkraft nicht in Be- <pb o="99" file="285" n="285"/> tracht. </s> <s xml:id="echoid-s3372" xml:space="preserve">Hier iſt die Kugel und Kreisform angebracht, und wir <lb/>ſehen in der That, daß die Waſſerblätter gern gabelig gebaut <lb/>ſind, und daß die auf der Oberfläche des Waſſers ſchwimmen-<lb/>den Blätter verhältnismäßig weit öfter ſich der Kreisform <lb/>nähernde Geſtalten zeigen als die Blätter der Landpflanzen.</s> <s xml:id="echoid-s3373" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3374" xml:space="preserve">Die auffällige gabelige Verzweigung großer Pflanzenarten <lb/>des Altertums der Erde (des Paläozoicums) wäre nach dem <lb/>Geſagten ſonach durch ihre Abſtammung von Waſſerpflanzen <lb/>zu erklären, reſp. </s> <s xml:id="echoid-s3375" xml:space="preserve">dieſe Thatſache könnte benutzt werden, um <lb/>die Eingangs ſchon erwähnte Anſicht der Herkunft der Laud-<lb/>pflanzen von Waſſerpflanzen ſtützen zu helfen.</s> <s xml:id="echoid-s3376" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div156" type="section" level="1" n="101"> <head xml:id="echoid-head112" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXVII. Vermutliche Vorfahren der höchſten</emph> <lb/><emph style="bf">Pflanzen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3377" xml:space="preserve">Deutlich weiſen alſo die Luftpflanzen der Vorwelt und <lb/>auch die heutigen Pflanzen noch auf ihre Herkunft aus dem <lb/>Waſſer hin, und zwar werden wir nicht fehlgehen, wenn wir <lb/>zu der älteſten Vorfahren-Reihe derſelben Algen von dem <lb/>Typus des ſchon vorn erwähuten Blaſen-Tang, jene bekannte <lb/>Meeres-Alge rechuen, die ſo häufig an den Strand der Oſtſee <lb/>und Nordſee ausgeworfen wird und durch ihre Gabel-Ver-<lb/>zweigung auffallend iſt, an die noch heute ſo vieles andere <lb/>höchſt-entwickelter Pflanzen erinnert.</s> <s xml:id="echoid-s3378" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3379" xml:space="preserve">Man unterſcheidet Braun- und Rot-Tauge, der Blaſen-<lb/>tang gehört zu den erſteren, und die erwähnte Anknüpfung an <lb/>die Brauntange iſt auch deshalb nächſtliegend, weil dieſe Algen <lb/>in der Strandregion wachſen, alſo dem trockenen Lande näher <lb/>ſind als die Rot-Algen, die in größeren Meeres-Tiefen zu <lb/>Hauſe ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3380" xml:space="preserve">Es möchte wohl ſcheinen, als ſei der Sprung <lb/>von brauntangähnlichen, im Meere lebenden Pflanzen zu echten <pb o="100" file="286" n="286"/> Landpflanzen faſt unüberbrückbar; </s> <s xml:id="echoid-s3381" xml:space="preserve">wer aber die Thatſache kennt, <lb/>daß einige Brauntang-Arten an gewiſſen Fundpunkten alle <lb/>Tage ſtundenlang, nämlich während der Ebbe an der Luft zu-<lb/>bringen können, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3382" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3383" xml:space="preserve">lebensſtrotzende Brauntang-Wieſen <lb/>auf den zur Ebbezeit aus dem Waſſer hervorragenden Riffen <lb/>vor Helgoland, dem muß dieſe Anpaſſung ſonſt echter Meeres-<lb/>gewächſe an ein zeitweiliges Luftleben als ein wichtiger Wink <lb/>erſcheinen, wie man ſich die Entſtehung der Landpflanzen aus <lb/>Waſſerpflanzen zu denken hat.</s> <s xml:id="echoid-s3384" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3385" xml:space="preserve">Die höhere Ausbildung unſerer Blumenpflanzen iſt vor <lb/>allem — ganz oberflächlich und äußerlich betrachtet — dadurch <lb/>auffallend, daß ſie den Gegenſatz zwiſchen Trägern (Stengeln <lb/>und Stämmen) und Anhangsorganen (Blättern) auffallend <lb/>hervorkehren, im Gegenſatz zu dem als Beiſpiel hervorgehobenen <lb/>Blaſentang, bei welchem die einzelnen Glieder, die Gabelſtücke, <lb/>gleichzeitig die Rolle der Träger und Anhangsorgane ſpielen.</s> <s xml:id="echoid-s3386" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3387" xml:space="preserve">Auch in dieſem Falle giebt es wieder vorbereitende, ver-<lb/>mittelnde Arten zwiſchen den beiden vorgeführten Fällen; </s> <s xml:id="echoid-s3388" xml:space="preserve">ſo <lb/>giebt es unter den Algen ſolche, die ſchon eine Sonderung in <lb/>Träger- und Anhangsorgane aufweiſen.</s> <s xml:id="echoid-s3389" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3390" xml:space="preserve">Der Sprung von den unbeblätterten zu den beblätterten <lb/>Pflanzen iſt alſo nur ſcheinbar. </s> <s xml:id="echoid-s3391" xml:space="preserve">Um ſich die Entſtehung von <lb/>Blättern im Laufe der Generationen aus unbeblätterten Pflanzen, <lb/>wie dem Blaſentang, verſtändlich zu machen, brauchen wir nur <lb/>anzunehmen, daß von zwei gleichwertigen Gabeläſten einer <lb/>Pflanze von dem Aufbau des Blaſentangs der eine von dem <lb/>andern zur Seite geworfen (übergipfelt) wird und die Verrich-<lb/>tung der Nahrungsaufnahme allein beibehält, während ſich der <lb/>andere Gabelaſt zu einem Träger entwickelt, indem er die <lb/>Funktion der Nahrungsorgane mehr und mehr einbüßt.</s> <s xml:id="echoid-s3392" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3393" xml:space="preserve">Die Arbeitsteilung greift alſo im Verlauf der ſtammes-<lb/>geſchichtlichen Entwickelung immer mehr und mehr um ſich.</s> <s xml:id="echoid-s3394" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="101" file="287" n="287"/> </div> <div xml:id="echoid-div157" type="section" level="1" n="102"> <head xml:id="echoid-head113" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXVIII. Ein Schlußwort über die Arbeits-</emph> <lb/><emph style="bf">teilung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3395" xml:space="preserve">Wir lernen aus allem, daß die <emph style="sp">Arbeitsteilung</emph> im Ver-<lb/>lauf der Zeiten immer mehr in die Erſcheinung tritt. </s> <s xml:id="echoid-s3396" xml:space="preserve">Nicht <lb/>nur am Individuum ſelbſt, ſondern auch unter verſchiedenen <lb/>Individuen, ſo bei geſellig lebenden Tieren wie z. </s> <s xml:id="echoid-s3397" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3398" xml:space="preserve">den <lb/>Ameiſen und Bienen, genau ſo wie beim Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s3399" xml:space="preserve">Überall <lb/>in der organiſchen Natur ſehen wir das mächtige Streben nach <lb/>Arbeitsteilung. </s> <s xml:id="echoid-s3400" xml:space="preserve">Aus den einfachſten, gleichmäßigſten Verhält-<lb/>hältniſſen ſehen wir compliciertere und immer compliciertere <lb/>entſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s3401" xml:space="preserve">Die einfachſten, ungegliederten Pflanzen, die mit <lb/>allen Teilen ihres Körpers auch alle Lebensverrichtungen voll-<lb/>ziehen, ſpalten im Verlaufe der Zeiten ihren Körper in Or-<lb/>gane, denen beſtimmte Arbeiten obliegen. </s> <s xml:id="echoid-s3402" xml:space="preserve">— Wie in der Natur, <lb/>ſo iſt es auch in der Kultur, die nur mit Anwendung der <lb/>naturwiſſenſchaftlichen Methode ganz zu verſtehen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3403" xml:space="preserve">Auch <lb/>hier ſehen wir die Arbeitsteilung im Verlaufe der Geſchichte <lb/>immer und immer weiter um ſich greifen — bis zur Ent-<lb/>wickelung eines wohlgegliederten Staates. </s> <s xml:id="echoid-s3404" xml:space="preserve">Wohl bringt dies <lb/>ſoziale Unterſchiede mit ſich, die edle Regungen des Mitge-<lb/>fühls oft auszugleichen wünſchen, die aber auch einſeitig <lb/>egoiſtiſche Triebe mit Gewalt beſeitigen möchten: </s> <s xml:id="echoid-s3405" xml:space="preserve">aber macht-<lb/>los ſind wir vor dem unerbittlichen, allumfaſſenden Geſetz der <lb/>Arbeitsteilung. </s> <s xml:id="echoid-s3406" xml:space="preserve">Die ruhige naturwiſſenſchaftliche Betrachtung <lb/>drängt hier zu einer ſich beſcheidenden Abfindung mit dem <lb/>Gegebenen: </s> <s xml:id="echoid-s3407" xml:space="preserve">nicht einen Widerſpruch mit der Kultur zeigt ſie <lb/>auf, ſondern ſie bietet eine Ausſöhnung.</s> <s xml:id="echoid-s3408" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="102" file="288" n="288"/> </div> <div xml:id="echoid-div158" type="section" level="1" n="103"> <head xml:id="echoid-head114" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXIX. Rückſchlags-Erſcheinungen der Lebeweſen</emph> <lb/><emph style="bf">auf Eigentümlichkeiten ihrer Vorfahren (Atavismus).</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3409" xml:space="preserve">Es iſt bemerkenswert, daß die Einzelweſen <emph style="sp">gelegentlich</emph> <lb/>in ihrem Äußern Erſcheinungen bieten, die an ſolche ihrer Vor-<lb/>fahren erinnern. </s> <s xml:id="echoid-s3410" xml:space="preserve">Sie erreichen alſo dann nicht in allen ihren <lb/>Teilen die Geſtaltung, wie ſie die Art, zu der ſie gehören, <lb/>üblicherweiſe zeigt, ſondern weichen im Ganzen oder in der <lb/>Geſtaltung eines beſtimmten Organes oder Organ-Teiles ab, <lb/>und zwar in der Richtung, daß die Abweichung an Verhält-<lb/>niſſe bei fernen, weit entlegenen Vorfahren erinnert.</s> <s xml:id="echoid-s3411" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3412" xml:space="preserve">Dieſe Erſcheinung bezeichnet man als <emph style="sp">Rückſchlag</emph> (<emph style="sp">Ata-<lb/>vismus</emph>).</s> <s xml:id="echoid-s3413" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3414" xml:space="preserve">Schon im Vorangehenden wurde darauf aufmerkſam ge-<lb/>macht, daß heutige Farne, die üblicherweiſe rein fiederige <lb/>Wedel tragen, gelegentlich Gabelungen aufweiſen, was auf <lb/>die üblichen Gabel-Verzweigungen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-288-01a" xlink:href="fig-288-01"/> ihrer Vorfahren deutet. </s> <s xml:id="echoid-s3415" xml:space="preserve">Dieſe ge-<lb/>legentliche Erſcheinung wird man <lb/>am beſten als Rückſchlag auf <lb/>Früheres deuten.</s> <s xml:id="echoid-s3416" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div158" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-288-01" xlink:href="fig-288-01a"> <caption xml:id="echoid-caption83" xml:space="preserve">Fig. 26. <lb/>Stückchen einer Calamariaceen-<lb/>Blüte, nach Wegnahme der vor-<lb/>deren Blütenblätter. Schema-<lb/>tiſch. Einigemale vergrößert.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3417" xml:space="preserve">Im Folgenden noch ein weite-<lb/>res Beiſpiel.</s> <s xml:id="echoid-s3418" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3419" xml:space="preserve">Die allbekannten Schachtel-<lb/>halme kommen ſchon im Beginn <lb/>des Mittelalters der Erde vor, <lb/>während ihnen im Altertum die <lb/>Calamarien, von denen ſchon im <lb/>Teil XVII die Rede war, ſich <lb/>faſt baumförmig in die Luft er-<lb/>hebend, vorausgehen.</s> <s xml:id="echoid-s3420" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3421" xml:space="preserve">Die Blüten der Calamariaceen <pb o="103" file="289" n="289"/> ſind verhältnismäßig einfach gebaut (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3422" xml:space="preserve">26). </s> <s xml:id="echoid-s3423" xml:space="preserve">Sie beſtehen <lb/>aus einer geſtreckten Axe, welcher in Quirlen Blätter anſitzen, <lb/>und zwar abwechſelnd <lb/>immer ein Quirl von</s> </p> <figure> <caption xml:id="echoid-caption84" xml:space="preserve">Fig. 27. <lb/>Phyllotheca Blüte. Rechts oben ein <lb/>Stückchen derſelben etwas vergrößert.</caption> </figure> <p> <s xml:id="echoid-s3424" xml:space="preserve">Fortpflanzungsblättern <lb/>(fertile Blätter) und ein <lb/>Quirl von Hochblättern <lb/>ohne Fortpflanzungsor-<lb/>gane (ſterile Blätter).</s> <s xml:id="echoid-s3425" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3426" xml:space="preserve">Von den Calamarien <lb/>ſtammen offenbar die <lb/>Schachtelhalme ab, deren <lb/>Blüten ausſchließlich fer-<lb/>tile Blätter beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s3427" xml:space="preserve">Nun <lb/>giebt es im Mittelalter <lb/>der Erde eine Schachtel-<lb/>halm-Gattung Namens <lb/>Phyllotheca (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3428" xml:space="preserve">27), <lb/>deren Blüten ebenfalls <lb/>wie die Calamarien unter-<lb/>brochen gebaut ſind, je-<lb/>doch ſo, daß auf einen <lb/>ſterilen Quirl immer meh-<lb/>rere fertile Quirle folgen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3429" xml:space="preserve">Als Ausnahmebildung <lb/>(<emph style="sp">Abnormität</emph>) wird das-<lb/>ſelbe bei den heute leben-<lb/>den Schachtelhalmen ge-<lb/>funden (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3430" xml:space="preserve">28), und <lb/>man iſt daher wohl be-<lb/>rechtigt in ſolchem Fall <lb/>von einem Rückſchlag zu ſprechen: </s> <s xml:id="echoid-s3431" xml:space="preserve">von einer durch irgend <lb/>welche Urſache bedingten, von der üblichen abweichenden Geſtalt- <pb o="104" file="290" n="290"/> Veränderung, die eine Wiederholung von Verhältniſſen, wie <lb/>ſie bei den Vorfahren beſtanden, bedeutet.</s> <s xml:id="echoid-s3432" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3433" xml:space="preserve">Zu Rückſchlägen ſind die Organismen beſonders dann <lb/>geneigt, wenn ſie in Verhältniſſe zurückverſetzt werden, unter <lb/>denen die Vorfahren gelebt haben. </s> <s xml:id="echoid-s3434" xml:space="preserve">Wir haben geſehen, daß <lb/>gewiſſe auffällige Eigentümlichkeiten zu der <lb/>Annahme zwingen, daß die Luftpflanzen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-290-01a" xlink:href="fig-290-01"/> oder insbeſondere die Blumenpflanzen ur-<lb/>ſprünglich von Waſſerpflanzen abſtammen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3435" xml:space="preserve">Unter den Blumenpflanzen ſind eine Anzahl, <lb/>die nachträglich zum Leben im Waſſer <lb/>wieder zurückgekehrt ſind, und da iſt es <lb/>bemerkenswert, daß ſolche Pflanzen in ihren <lb/>unter Waſſer befindlichen Blättern den <lb/>Gabeltypus der älteſten Vorfahren wieder-<lb/>holen.</s> <s xml:id="echoid-s3436" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div159" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-290-01" xlink:href="fig-290-01a"> <caption xml:id="echoid-caption85" xml:space="preserve">Fig. 28. <lb/>Schachtelhalmblüte; <lb/>die Abnormität be-<lb/>dingt durch einen <lb/>ſterilen Blattwirtel <lb/>in der Blüte.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3437" xml:space="preserve">Auch dann, wenn die Organismen in <lb/>ihrem Lebensgange durch Angriffe von <lb/>außen und Krankheiten geſtört werden, ſind <lb/>ſie zu Rückſchlagsbildungen geneigt.</s> <s xml:id="echoid-s3438" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3439" xml:space="preserve">Der Adlerfarn wird z. </s> <s xml:id="echoid-s3440" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3441" xml:space="preserve">zuweilen von <lb/>einer Gall-Milbe (Phytoptus Pteridis) an-<lb/>gefallen und gewinnt dann eine von der <lb/>üblichen abweichende Geſtalt, die durchaus <lb/>an Geſtalten erinnert, wie ſie bei Wedeln <lb/>von Farn aus dem Altertum der Erde <emph style="sp">ge-<lb/>bräuchlich</emph> ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3442" xml:space="preserve">Es äußert ſich die Krank-<lb/>heit beim Adlerfarn (Pteris aquilina) nämlich auffallend da-<lb/>durch, daß die Fiedern eine ganz ungleichmäßige Ausbildung <lb/>erlangen. </s> <s xml:id="echoid-s3443" xml:space="preserve">Gerade dieſe ungleichmäßige Ausbildung gleich-<lb/>wertiger Fiedern iſt für manche Arten aus der Steinkohlen-<lb/>formation und der darauf folgenden Formation, dem “Rot-<lb/>liegenden”, geradezu ein Charakteriſtikum. </s> <s xml:id="echoid-s3444" xml:space="preserve">Man vergleiche <pb o="105" file="291" n="291"/> diesbezüglich unſere Figuren 29 und 30. </s> <s xml:id="echoid-s3445" xml:space="preserve">Bei Callipteris <lb/>(Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3446" xml:space="preserve">29) ſind alle Teile mehr oder minder unregelmäßig, wie <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-291-01a" xlink:href="fig-291-01"/> z. </s> <s xml:id="echoid-s3447" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3448" xml:space="preserve">deutlich gemacht wird durch die kleineren Fiedern letzter <lb/>Ordnung der Figur an der linken unteren Fieder vorletzter <lb/>Ordnung, eingeſchaltet zwiſchen größeren und durch das Vor- <pb o="106" file="292" n="292"/> kommen von Fiedern vorletzter Ordnung über ſolchen letzter <lb/>Ordnung in derſelben Figur links oben.</s> <s xml:id="echoid-s3449" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div160" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-291-01" xlink:href="fig-291-01a"> <caption xml:id="echoid-caption86" xml:space="preserve">Fig. 29. <lb/>Callipteris conferta. Aus dem Rotliegenden.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3450" xml:space="preserve">Die Thatſache, daß die von Phytoptus befallenen Adler-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-292-01a" xlink:href="fig-292-01"/> farnwedel die äußere Form entlegener Vorfahren annehmen, <lb/>führt alſo in Zuſammenhang mit ähnlichen Thatſachen zu dem <lb/>Geſetz: </s> <s xml:id="echoid-s3451" xml:space="preserve"><emph style="sp">Durch Störungen veranlaßte krankhafte Form-<lb/>Änderungen (pathologiſche Deformitäten) haben die <pb o="107" file="293" n="293"/> Neigung, Form-Verhältniſſe der Vorfahren-Reihe <lb/>des betroffenen Lebeweſens zu wiederholen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s3452" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div161" type="float" level="2" n="4"> <figure xlink:label="fig-292-01" xlink:href="fig-292-01a"> <caption xml:id="echoid-caption87" xml:space="preserve">Fig. 30. <lb/>Ovopteris Lescuriana aus dem Notliegenden Nordamerikas, mit auffallend <lb/>großen Baſalfiedern der gezeichneten Spindel zweiter Ordnung.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3453" xml:space="preserve">Eine weitere, ebenfalls der Gattung Pteris entnommene <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-293-01a" xlink:href="fig-293-01"/> Thatſache, die dafür ſprechen dürfte, daß durch ſtörende Ein-<lb/>griffe entſtandene Mißbildungen zu Eigentümlichkeiten der <lb/>Vorfahren neigen, wird durch die Figur 31 veranſchaulicht.</s> <s xml:id="echoid-s3454" xml:space="preserve"> <pb o="108" file="294" n="294"/> Es handelt ſich in dieſer Figur um ein Wedelſtück von Pteris <lb/>quadriaurita, deſſen ſpreitiger Teil mit einem merkwürdigen <lb/>Sproß (Zuſatzſproß) beſetzt iſt, der infolge der Einwirkung <lb/>eines paraſitiſchen Pilzes, der Taphrina Laurencia, entſteht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3455" xml:space="preserve">Meiſt ſtiftförmige, oft <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-294-01a" xlink:href="fig-294-01"/> auch geweihartig ver-<lb/>äſtelte Auswüchſe an den <lb/>Fiedern einer anderen <lb/>Farn - Art (Aspidium <lb/>aristatum) werden ver-<lb/>urſacht durch Taphrina <lb/>Cornu cervi. </s> <s xml:id="echoid-s3456" xml:space="preserve">Die Wedel <lb/>ſolcher Zuſatzſproſſe ſind <lb/>— wie die Figur zeigt <lb/>— ganz abweichend ge-<lb/>ſtaltet von den nor-<lb/>malen, und es iſt doch <lb/>gewiß eine im Sinn der <lb/>naturwiſſenſchaftlichen <lb/>Forſchung berechtigte, <lb/>ſich aufdrängende Frage: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3457" xml:space="preserve">in welchem Zuſammen-<lb/>hang ſteht dieſe abwei-<lb/>chende Geſtaltung? </s> <s xml:id="echoid-s3458" xml:space="preserve">Be-<lb/>trachten wir uns die <lb/>Geſtaltungs-Verhältniſſe <lb/>der normalen Zuſatz-<lb/>Fiedern bei tropiſchen <lb/>Farren, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3459" xml:space="preserve">48 u. </s> <s xml:id="echoid-s3460" xml:space="preserve">49, Teil 17 (S. </s> <s xml:id="echoid-s3461" xml:space="preserve">90—91) und ſolchen, die <lb/>dem Altertum der Erde angehören, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3462" xml:space="preserve">47, Teil 17, ſo über-<lb/>raſcht der im Prinzip gleiche Bau wie an den Pilzgallen von <lb/>Pteris und Aspidium: </s> <s xml:id="echoid-s3463" xml:space="preserve">in beiden Fällen handelt es ſich um <lb/>ſchmallaciniirte Spreiten mit vorwiegend oder ganz linealen <pb o="109" file="295" n="295"/> Teilen. </s> <s xml:id="echoid-s3464" xml:space="preserve">Gerade dieſer Typus, der Typus der Gattung <lb/>Rhodea (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3465" xml:space="preserve">32) hierneben, ſowie auch 50 u. </s> <s xml:id="echoid-s3466" xml:space="preserve">51 in Teil 17, <lb/>S. </s> <s xml:id="echoid-s3467" xml:space="preserve">92—93, iſt nun aber derjenige, der zu den geologiſch aller-<lb/>älteſt-bekannten Farnen gehört, und von jenen eigentümlichen <lb/>lineal-laciniirten Zuſatz-Fiedern iſt denn auch ſchon in Teil 17 <lb/>betont worden, daß ſie wohl als Überreſte, Erinnerungen an <lb/>die urſprünglich ſpreitig beſetzt geweſenen Hauptſpindeln der <lb/>Wedel zu deuten ſind; </s> <s xml:id="echoid-s3468" xml:space="preserve">ihre feine Zerteilung mit gern mehr <lb/>oder minder lineal geſtalteten Teilen letzter Ordnung, ferner <lb/>ihre zuweilen hervortretende Neigung zu Gabelungen erinnern <lb/>durchaus an die von den älteſten und älteren Farnen, z. </s> <s xml:id="echoid-s3469" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3470" xml:space="preserve">von <lb/>der Gattung Rhodea, beliebten Eigentümlichkeiten. </s> <s xml:id="echoid-s3471" xml:space="preserve">Wie Keim-<lb/>blätter (Erſtlingsblätter) höherer Pflanzen Eigentümlichkeiten <lb/>der Hauptblätter der Vorfahren lange bewahren können, ſo <lb/>ſind vielleicht die “Zuſatz”-Bildungen, die doch Primärfiedern <lb/>ſind, ebenfalls auf den Ausſterbeetat geſetzte Reſte.</s> <s xml:id="echoid-s3472" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div162" type="float" level="2" n="5"> <figure xlink:label="fig-293-01" xlink:href="fig-293-01a"> <caption xml:id="echoid-caption88" xml:space="preserve">Fig. 31. <lb/>Ein Fiederſtück vorletzter Ordnung von Pteris quadriaurita mit einem <lb/>“Hexenbeſen”.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-294-01" xlink:href="fig-294-01a"> <caption xml:id="echoid-caption89" xml:space="preserve">Fig. 32. <lb/>Rhodea Stachei Stur. a in {1/1}, b = Spreiten-<lb/>teil vergrößert, c = Hauptſpindel vergrößert.</caption> <variables xml:id="echoid-variables24" xml:space="preserve">a b c</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3473" xml:space="preserve">In dieſelbe Erſcheinungsreihe gehört nun auch, wie es <lb/>ſcheint, die heißumſtrittene Microcephalen-Frage. </s> <s xml:id="echoid-s3474" xml:space="preserve">Karl Vogt <lb/>hatte die Microcephalen (kleinköpfige Menſchen mit zurück-<lb/>liegender Stirn) Rückſchlagsbildungen und zwar “Affenmenſchen” <lb/>genannt. </s> <s xml:id="echoid-s3475" xml:space="preserve">Rudolf Virchow hat dann durch die Erklärung, <lb/>daß ſich die Kleinköpfigkeit aus Erkrankungen des Gehirns <lb/>während des Lebens im Mutterkörper entwickele, einen Gegenſatz <lb/>aufzuſtellen vermeint zwiſchen der nunmehr als Krankheit <lb/>(pathologiſch) erklärten Erſcheinung und der Vogtſchen Auf-<lb/>faſſung der Microcephalie als Rückſchlag (Atavismus). </s> <s xml:id="echoid-s3476" xml:space="preserve">Die <lb/>Erkenntnis, daß es ſich in der Microcephalie um eine “patho-<lb/>logiſch” veranlaßte Bildung handelt, ſchließt jedoch auch nicht <lb/>im Entfernteſten aus, daß ſie ataviſtiſche Momente enthält: </s> <s xml:id="echoid-s3477" xml:space="preserve">die <lb/>Microcephalie iſt gerade durch die Behauptung ihrer patho-<lb/>logiſchen Natur ein weiteres treffliches Beiſpiel für die oben <lb/>S. </s> <s xml:id="echoid-s3478" xml:space="preserve">106—107 aufgeſtellte Regel.</s> <s xml:id="echoid-s3479" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3480" xml:space="preserve">Pathologiſch veranlaßte Bildungen kommen nun aber zur <pb o="110" file="296" n="296"/> Erzeugung ataviſtiſcher Momente nicht allein in Betracht; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3481" xml:space="preserve">vielmehr können wir auf Grund des vorliegenden Thatſachen-<lb/>Materiales ſchließen, daß auch andere Verhältniſſe hierbei in <lb/>Frage kommen können. </s> <s xml:id="echoid-s3482" xml:space="preserve">So haben wir ſchon erwähnt, daß <lb/>Pflanzen gern frühere Eigentümlichkeiten annehmen, wenn <lb/>ſie in Verhältniſſe zurückverſetzt werden, unter denen die Vor-<lb/>fahren gelebt haben.</s> <s xml:id="echoid-s3483" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3484" xml:space="preserve">Ferner erzeugt ſchnelles Wachstum gern Rückerinnerungen <lb/>an Verhältniſſe der Vorfahren. </s> <s xml:id="echoid-s3485" xml:space="preserve">Die Vorſtellung, daß hierbei <lb/>der Organismus nicht die Zeit findet, das gewohnte letzte <lb/>Stadium zu erreichen, liegt bei Berückſichtigung des weiter <lb/>oben ſchon angeführten und erläuterten Fritz Müller-Haeckelſchen <lb/>“biogenetiſchen Grundgeſetzes” ſehr nahe. </s> <s xml:id="echoid-s3486" xml:space="preserve">Wo z. </s> <s xml:id="echoid-s3487" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3488" xml:space="preserve">geköpfte <lb/>Exemplare der Berberitze zu ihrer Lebenserhaltung ſchnell <lb/>Stockausſchläge erzeugen, treten an Stelle der Dornen (die <lb/>im Verlauf der Generationen aus Laubblättern entſtanden <lb/>ſind) Laubblätter auf. </s> <s xml:id="echoid-s3489" xml:space="preserve">Die ſchnell und üppig wachſenden <lb/>Stockausſchläge der Silber-Pappel (Populus alba) ſind nicht <lb/>ſelten tieflappig, eine Thatſache, die an die vorwiegende Zer-<lb/>teilung der Blätter altvorweltlicher Pflanzen erinnert. </s> <s xml:id="echoid-s3490" xml:space="preserve">Schnell <lb/>aufwachſende Sproſſe von Spiraea opulifolia zeigen die Zu-<lb/>ſammenſetzung ihrer Stengel aus Pericaulom-Bildungen deut-<lb/>licher als langſamer gewachſene Sproſſe. </s> <s xml:id="echoid-s3491" xml:space="preserve">Endlich ſei auch <lb/>hier noch erwähnt, daß C. </s> <s xml:id="echoid-s3492" xml:space="preserve">v. </s> <s xml:id="echoid-s3493" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ettingshauſen</emph> und F. </s> <s xml:id="echoid-s3494" xml:space="preserve"><emph style="sp">Kraſan</emph> <lb/>nachgewieſen haben, daß Bäume, deren Laub mehrere Jahre <lb/>hindurch von Spätfröſten vernichtet wurde, in den Erſatz-<lb/>ſproſſen Blätter hervorbringen, die eine nähere Zuſammen-<lb/>gehörigkeit mit ihren foſſilen Vorfahren erkennen laſſen als <lb/>die Blätter der erſten Jahresſproſſe. </s> <s xml:id="echoid-s3495" xml:space="preserve">Es muß dabei aus-<lb/>drücklich berückſichtigt werden, daß ſich wegen der vorgerückten <lb/>Jahreszeit Erſatzprozeſſe ganz allgemein <emph style="sp">ſchneller</emph> entwickeln, <lb/>als die erſten, zu Grunde gegangenen Sproſſe.</s> <s xml:id="echoid-s3496" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="111" file="297" n="297"/> </div> <div xml:id="echoid-div164" type="section" level="1" n="104"> <head xml:id="echoid-head115" xml:space="preserve"><emph style="bf">XL. Verkümmerte Organe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3497" xml:space="preserve">Wir haben im Verlauf unſerer Unterhaltung über die <lb/>Deſcendenz-Lehre ſchon eine Anzahl Thatſachen kennen gelernt, <lb/>welche nur unter einen verbindenden Geſichtspunkt zu bringen <lb/>ſind, wenn die Blutsverwandtſchaft der Lebeweſen im Sinne <lb/>der genannten Lehre angenommen wird, welche ſich mit anderen <lb/>Worten nur durch die Annahme der Abſtammungs-Lehre er-<lb/>klären.</s> <s xml:id="echoid-s3498" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3499" xml:space="preserve">Das Vorkommen <emph style="sp">verkümmerter</emph> (<emph style="sp">rudimentärer</emph>) Or-<lb/>gane, mit denen wir uns jetzt beſchäftigen wollen, bietet weitere <lb/>wichtige Thatſachen-Reihen, welche die Lehre ſtützen oder beſſer, <lb/>zu ihr führen.</s> <s xml:id="echoid-s3500" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3501" xml:space="preserve">Verkümmerte Organe ſind ſolche, die früher einmal für <lb/>das Leben von Bedeutung waren, aber, allmählich nutzlos ge-<lb/>worden, im Verſchwinden begriffen ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3502" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3503" xml:space="preserve">So giebt es eine ganze Anzahl Tiere, die in dunklen <lb/>Höhlen oder unter der Erde oder paraſitiſch in anderen Tieren <lb/>leben und die nur verkümmerte Augen beſitzen. </s> <s xml:id="echoid-s3504" xml:space="preserve">Mit Recht muß <lb/>man ſich fragen, warum dieſe Tiere überhaupt Anſätze von <lb/>Augen, gewiſſe Teile derſelben beſitzen, wenn dieſe Organe <lb/>doch gar nicht gebrauchsfähig ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3505" xml:space="preserve">Solche Organe ſind jedoch <lb/>leicht erklärlich, wenn man eine Abſtammung ſolcher Tiere von <lb/>ſehenden und am Lichte lebenden Weſen annimmt: </s> <s xml:id="echoid-s3506" xml:space="preserve">allmählich <lb/>verlieren ſie durch das Leben im Dunklen die Organe, die bei der <lb/>veränderten Lebensweiſe doch nutzlos wären. </s> <s xml:id="echoid-s3507" xml:space="preserve">Die Organismen <lb/>paſſen ſich eben neuen Verhältniſſen an oder aber — wenn ſie <lb/>das nicht können — gehen ſie zu Grunde.</s> <s xml:id="echoid-s3508" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3509" xml:space="preserve">Bei den Laufvögeln ſind nur Flügelſtummel vorhanden, <lb/>die zum Fliegen untauglich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3510" xml:space="preserve">So konnte denn auch die <lb/>Droute oder der Dudu (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3511" xml:space="preserve">33), ein Vogel, der auf Madagascar <lb/>und Isle de France lebte, vom Menſchen vollſtändig ausgerottet <pb o="112" file="298" n="298"/> werden. </s> <s xml:id="echoid-s3512" xml:space="preserve">Unter den Laufvögeln beſaß die Dronte noch ver-<lb/>hältnismä<unsure/>ßig große Flügel. </s> <s xml:id="echoid-s3513" xml:space="preserve">Allbekannt ſind die verkümmerten, <lb/>jedenfalls zum Fluge für den ſchweren Vogel bei weitem viel <lb/>zu ſchwachen Flügel des Straußes (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3514" xml:space="preserve">34). </s> <s xml:id="echoid-s3515" xml:space="preserve">Beim Kaſuar, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-298-01a" xlink:href="fig-298-01"/> der ſich vollſtändig an das Landleben gewöhnt hat, ſind die <lb/>Flügel auf nutzloſe Rudimente beſchränkt, die unter den Federn <lb/>des Körpers verſteckt liegen. </s> <s xml:id="echoid-s3516" xml:space="preserve">Ebenſo iſt es beim Kiwi (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3517" xml:space="preserve">35), <lb/>der niemals ſeine Flügelſtummel irgendwie benutzt.</s> <s xml:id="echoid-s3518" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div164" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-298-01" xlink:href="fig-298-01a"> <caption xml:id="echoid-caption90" xml:space="preserve">Fig. 33. Dubu oder Droute.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3519" xml:space="preserve">Die Schlangen und die mit ihnen verwandten Saurier, <pb o="113" file="299" n="299"/> zu denen die Eidechſen und die Blindſchleiche gehören, bieten <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-299-01a" xlink:href="fig-299-01"/> ein allbekanntes, inſtruktives, hierhergehöriges Beiſpiel. </s> <s xml:id="echoid-s3520" xml:space="preserve">Die <lb/>Eidechſen haben Beine, die Schlangen nicht, auch nicht einmal</s> </p> <div xml:id="echoid-div165" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-299-01" xlink:href="fig-299-01a"> <caption xml:id="echoid-caption91" xml:space="preserve">Fig. 34. Der Strauß.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3521" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3522" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph> Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3523" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s3524" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="114" file="300" n="300"/> <p> <s xml:id="echoid-s3525" xml:space="preserve">Spuren oder Andeutungen derſelben in ihrem Körper. </s> <s xml:id="echoid-s3526" xml:space="preserve">Die allbe-<lb/>kannten Blindſchleichen und ihre nächſten Verwandten hingegen, <lb/>die äußerlich durch ihre Beinloſigkeit genau wie Schlangen aus-<lb/>ſehen, beſitzen in ihrem Skelettbau noch Schulter- und Becken-<lb/>gürtel, die hier nie vollſtändig verſchwinden; </s> <s xml:id="echoid-s3527" xml:space="preserve">bei anderen Ver-<lb/>wandten der Blindſchleiche ſind die Gliedmaßen als zwei nur <lb/>ſchwach entwickelte Paare vorhanden oder zeigen verſchiedene <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-300-01a" xlink:href="fig-300-01"/> Grade der Verkümmerung bis zum vollſtändigen Fehlen und <lb/>bilden ſo den Übergang zu den Schlangen, bei denen die <lb/>Gliedmaßen-Spuren auch im Innern des Körpers im Laufe <lb/>der Generationen ſpurlos <emph style="sp">fehlgeſchlagen</emph> (<emph style="sp">abortiert</emph>) ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3528" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div166" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-300-01" xlink:href="fig-300-01a"> <caption xml:id="echoid-caption92" xml:space="preserve">Fig. 35. Kiwi.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3529" xml:space="preserve">Wo, wie bei den Blindſchleichen, noch Rudimente der <lb/>Gliedmaßen im Innern des Körpers vorkommen, erklärt man <lb/>ſich dieſe Thatſache am beſten durch die Annahme, daß dieſe <lb/>Tiere von Vorfahren mit Beinen wie die Eidechſen abſtammen, <lb/>die dadurch allmählich verkümmerten, daß ſich die Tiere an <pb o="115" file="301" n="301"/> eine neue Lebensweiſe gewöhnten. </s> <s xml:id="echoid-s3530" xml:space="preserve">Bei den Schlangen ſind <lb/>denn auch die Rudimente, welche bei der Blindſchleiche noch <lb/>ihre Herkunft von vierfüßigen Tieren verraten, verſchwunden.</s> <s xml:id="echoid-s3531" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3532" xml:space="preserve">Tieren mit ſo langen Körpern, für die es überdies zweck-<lb/>mäßig iſt, in kleine Löcher und Schlupfwinkel kriechen zu <lb/>können, wird durch den Beſitz von 4 Beinen nicht mehr hin-<lb/>reichend gedient; </s> <s xml:id="echoid-s3533" xml:space="preserve">ſie benutzen ſie zuerſt nur noch untergeordnet, <lb/>ſchließlich durch intenſiveren Erwerb der Fähigkeit ſich zu <lb/>ſchlängeln überhaupt kaum noch, und die Beine müſſen daher <lb/>durch Nichtgebrauch immer mehr und mehr verkümmern und <lb/>ſchließlich ganz verſchwinden.</s> <s xml:id="echoid-s3534" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3535" xml:space="preserve">Zwiſchen den Schlangen und den Eidechſen mit deutlich <lb/>entwickelten vier Beinen, die ausgiebig benutzt werden, giebt es <lb/>alle denkbaren Übergänge der Ausbildung bis zur Verkümme-<lb/>rung der Beine, ſodaß dieſe Tiere hier ein treffliches Beiſpiel <lb/>bieten.</s> <s xml:id="echoid-s3536" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3537" xml:space="preserve"><emph style="sp">Geoffroy Saint-Hilaire</emph> hat auf die intereſſante <lb/>Thatſache hingewieſen, daß der Walfiſch, den man ſeiner Ab-<lb/>ſtammung (Deſcendenz) nach von in der Luft, auf dem Lande <lb/>lebenden Säugetieren ableitet, als Embryo, d. </s> <s xml:id="echoid-s3538" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s3539" xml:space="preserve">ſo lange er <lb/>ſich noch im Mutterleibe befindet, Zahn-Anlagen in den Kiefern <lb/>beſitzt, die ſich aber bekanntlich ja gar nicht weiter entwickeln, da <lb/>das ausgewachſene Tier keine Zähne, ſondern Barten beſitzt, <lb/>die der veränderten Lebensweiſe desſelben entſprechen. </s> <s xml:id="echoid-s3540" xml:space="preserve">Auch <lb/>bei Vögeln, z. </s> <s xml:id="echoid-s3541" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3542" xml:space="preserve">Papageien, hat der genannte treffliche fran-<lb/>zöſiſche Gelehrte Zahn-Anlagen wie beim Walfiſch nachgewieſen, <lb/>die ſich nicht weiter ausbilden, da es keine lebenden Vögel mit <lb/>Zähnen giebt; </s> <s xml:id="echoid-s3543" xml:space="preserve">jedoch iſt das ein ſchlagender Hinweis auf die <lb/>Abſtammung der Vögel und Saurier von gemeinſamen Vor-<lb/>fahren, worauf ſchon in Teil 1, Seite 36—39 ausführlich auf-<lb/>merkſam gemacht wurde.</s> <s xml:id="echoid-s3544" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3545" xml:space="preserve">Beim Menſchen ſind am Halſe noch ganz dünne, rudi-<lb/>mentäre Muskeln vorhanden, die beim Pferde z. </s> <s xml:id="echoid-s3546" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3547" xml:space="preserve">dazu <pb o="116" file="302" n="302"/> dienen, die Haut freiwillig zum Erzittern zu bringen, um etwa <lb/>Inſekten wegzujagen. </s> <s xml:id="echoid-s3548" xml:space="preserve">Hierzu iſt der Menſch nicht mehr fähig: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3549" xml:space="preserve">die in Rede ſtehenden Muskeln ſind durch die Bekleidung, <lb/>durch die Beſtreichung des Körpers mit beſonderen Ingredienzien, <lb/>wie es die Wilden thun, unnötig geworden und dadurch außer <lb/>Übung gekommen, ſodaß ſie verkümmerten, aber doch ein wich-<lb/>tiger Hinweis der Herkunft des Menſchengeſchlechtes, ſeines <lb/>leiblichen Zuſammenhanges mit der Tierwelt geblieben ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3550" xml:space="preserve"><lb/>Auch die Muskeln, die bei Säugetieren die Bewegung der <lb/>Ohren vermitteln, ſind rudimentär beim Menſchen vorhanden. </s> <s xml:id="echoid-s3551" xml:space="preserve"><lb/>Zuweilen vermag dieſer oder jener noch die Ohren mit dieſen <lb/>Muskeln etwas zu bewegen: </s> <s xml:id="echoid-s3552" xml:space="preserve">eine ataviſtiſche Erſcheinung, die <lb/>nicht grade ſelten iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3553" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3554" xml:space="preserve">Die Zahl der Beiſpiele könnte hier noch außerordentlich <lb/>vermehrt werden, doch müſſen wir uns mit den vorſtehenden <lb/>Andeutungen Genüge ſein laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s3555" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div168" type="section" level="1" n="105"> <head xml:id="echoid-head116" xml:space="preserve"><emph style="bf">XLI. Die Divergenz der Arten und Formen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3556" xml:space="preserve">Divergieren heißt auseinanderlaufen, Divergenz der Arten; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3557" xml:space="preserve">die Überſchrift dieſes Kapitels würde alſo die Thatſache aus-<lb/>drücken, daß die Arten ſo ſehr verſchieden von einander ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3558" xml:space="preserve"><lb/>Nun dieſe bloße Thatſache würde uns nicht veranlaſſen, deshalb <lb/>ein beſonderes Kapitel zu bieten, wenn nicht die Frage be-<lb/>rechtigt wäre: </s> <s xml:id="echoid-s3559" xml:space="preserve">aus welchem Grunde, aus welcher Urſache er-<lb/>klärt es ſich, daß ſo ſehr viele, recht von einander abweichende <lb/>Arten dieſelben Stellen der Erde bewohnen, wie mag ſich die <lb/>Verſchiedenheit der Arten erklären, warum giebt es überhaupt <lb/>verſchiedene Arten? </s> <s xml:id="echoid-s3560" xml:space="preserve">Dieſen Fragen wollen wir jetzt näher zu <lb/>treten ſuchen.</s> <s xml:id="echoid-s3561" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="117" file="303" n="303"/> <p> <s xml:id="echoid-s3562" xml:space="preserve">Darwin macht zur Erklärung dieſer Erſcheinung darauf <lb/>aufmerkſam, daß die größte Summe von Leben durch die <lb/>größte Verſchiedenheit des Baues der zuſammenlebenden Weſen <lb/>erreicht wird.</s> <s xml:id="echoid-s3563" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3564" xml:space="preserve">Wo ſchon eine Pappel ſteht, hat eine zweite keinen Platz; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3565" xml:space="preserve">jedoch können <emph style="sp">mit</emph> der Pappel noch eine ganze Anzahl <emph style="sp">an-<lb/>derer</emph> Arten leben. </s> <s xml:id="echoid-s3566" xml:space="preserve">Am Fuße derſelben und in ihrem Schatten <lb/>wachſen eine größere Anzahl, unter Umſtänden 20 und mehr <lb/>Pflanzenarten, abgeſehen von den Tierchen, die ſich dort <lb/>herumtreiben. </s> <s xml:id="echoid-s3567" xml:space="preserve">Die Blätter der Pappel können von para-<lb/>ſitiſchen Pilzen und Blattläuſen bewohnt ſein, und es nähren <lb/>ſich von dieſem Baume Käferlarven und Schmetterlingsraupen. </s> <s xml:id="echoid-s3568" xml:space="preserve"><lb/>Die Borke giebt den Boden für Flechten und Mooſe ab, und <lb/>es dürften ſomit 50 und mehr Arten auf demſelben Fleck ſich <lb/>des Lebens erfreuen können, wo eine einzige Pappel Platz hat.</s> <s xml:id="echoid-s3569" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3570" xml:space="preserve">Für zwei Organismen a und b, die zuſammenleben, iſt <lb/>jeder für den anderen, alſo a für b und b für a anzuſehen, <lb/>als zu den Außen-Verhältniſſen gehörig ebenſo wie die Luft, <lb/>der Boden, das Waſſer u. </s> <s xml:id="echoid-s3571" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3572" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s3573" xml:space="preserve">Nehmen wir an, daß dieſe <lb/>beiden Lebeweſen ſich gegenſeitig ſtark beeinfluſſen, etwa da-<lb/>durch, daß ſie ſich gegenſeitig das Licht oder Waſſer weg-<lb/>nehmen, ſo werden ſie ſich zu ihrer Lebens-Erhaltung bemühen <lb/>müſſen, ſich aneinander anzupaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s3574" xml:space="preserve">Am beſten würden ſie mit-<lb/>einander auskommen, wenn ſich die Bedürfniſſe des einen <lb/>Lebeweſens derartig ändern köunten, daß ſie beide nicht genau <lb/>dieſelben, nicht die gleichen Lebensbedürfniſſe haben.</s> <s xml:id="echoid-s3575" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3576" xml:space="preserve">In der That verändern ſich die Individuen im Laufe der <lb/>Generationen in der angedeuteten Bahn; </s> <s xml:id="echoid-s3577" xml:space="preserve">mit anderen Worten: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3578" xml:space="preserve">ſie paſſen ſich gegenſeitig einander an, indem ſie ſich ver-<lb/>ändern.</s> <s xml:id="echoid-s3579" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3580" xml:space="preserve">Eine lange Beſchäftigung mit den Lebeweſen muß zu der <lb/>Anſicht führen, daß die Urſachen der Veränderung derſelben <lb/>gegeben ſind durch ſolche Einwirkungen der Außenwelt. </s> <s xml:id="echoid-s3581" xml:space="preserve">Daß <pb o="118" file="304" n="304"/> dabei auch die inneren Verhältniſſe der Lebeweſen mit eine <lb/>weſentliche Rolle ſpielen, iſt ſelbſtverſtändlich.</s> <s xml:id="echoid-s3582" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3583" xml:space="preserve">Die Geſtaltungs-Verhältniſſe der Organismen wären alſo <lb/>von genau denſelben Urſachen abhängig, wie die Formen und <lb/>Eigentümlichkeiten, welche jeder beliebige tote Körper bietet.</s> <s xml:id="echoid-s3584" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3585" xml:space="preserve">Ein Stück Blei z. </s> <s xml:id="echoid-s3586" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3587" xml:space="preserve">wird in ſeiner augenblicklichen <lb/>Form, welche es beſitzt, beſtimmt, durch den Widerſtand, den <lb/>es den äußern Angriffen entgegengeſetzt hat, alſo von den dem <lb/>Blei zukommenden “inneren” Eigentümlichkeiten, und ferner <lb/>von der Stärke der äußeren Angriffe.</s> <s xml:id="echoid-s3588" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3589" xml:space="preserve">Das Stück Blei paßt ſich den Verhältniſſen ebenſo an, <lb/>wie die Lebeweſen; </s> <s xml:id="echoid-s3590" xml:space="preserve">das heißt weiter nichts, als daß auf das <lb/>Stück Blei die äußere Welt wirkt, ebenſo wie cs ſelbſt auf <lb/>letztere wirkt, ſodaß eine Veränderung zu ſtande kommt, die <lb/>den gegenwärtigen Druck- und ſonſtigen Verhältniſſen ent-<lb/>ſpricht.</s> <s xml:id="echoid-s3591" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3592" xml:space="preserve">Ein Waſſerlauf fließt vermöge der Schwerkraft den tiefer <lb/>liegenden Stellen zu; </s> <s xml:id="echoid-s3593" xml:space="preserve">wenn er ſtändig iſt, alſo am Leben <lb/>bleibt, entſteht ein vergleichsweiſer Gleichgewichtszuſtand; </s> <s xml:id="echoid-s3594" xml:space="preserve">es <lb/>reſultiert mit anderen Worten ein Bach oder Strom, der lange <lb/>Zeit hindurch für uns immer dasſelbe Bild gewährt: </s> <s xml:id="echoid-s3595" xml:space="preserve">uns ewig <lb/>erſcheint, ſich aber in Wirklichkeit im Laufe der Jahrhunderte <lb/>ganz gewaltig verändert.</s> <s xml:id="echoid-s3596" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3597" xml:space="preserve">So entſteht denn auch zwiſchen den Lebeweſen ein ver-<lb/>gleichsweiſer Gleichgewichtszuſtand, der erreichbar iſt bei einer <lb/>höchſt möglichen Summe von Leben.</s> <s xml:id="echoid-s3598" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div169" type="section" level="1" n="106"> <head xml:id="echoid-head117" xml:space="preserve"><emph style="bf">XLII. Morphologiſche Charaktere.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3599" xml:space="preserve">Wir haben ausführlich namentlich an den Pflanzen dar-<lb/>gelegt, daß ſich die einzeluen Organe im Laufe der Generationen <pb o="119" file="305" n="305"/> verändert haben. </s> <s xml:id="echoid-s3600" xml:space="preserve">Aus den Trophoſporoſomen (Gliedern, welche <lb/>gleichzeitig der Ernährung und Fortpflanzung dienen und aus <lb/>denen die Pflanzen, von welchen die höheren abſtammen, aus-<lb/>ſchließlich gebildet ſind) ſind allmählich Pflanzen geworden, bei <lb/>denen ein Teil der Trophoſporoſome ſich zu Urſtengeln (Trägern), <lb/>ein auderer Teil zu Urblättern (Trophoſporophyllen) umgebildet <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s3601" xml:space="preserve">Letztere dienen noch beiden genannten Verrichtungen, <lb/>die ſich dann aber trennen in beſondere Blätter, die nur der <lb/>Ernährung (Trophophylle) und andere, die nur der Fort-<lb/>pflanzung dienen (Sporophylle). </s> <s xml:id="echoid-s3602" xml:space="preserve">Aus den letzteren haben ſich <lb/>dann die verſchiedenartigen Blütenblätter, aus den erſteren die <lb/>verſchiedenartigen anderen den Stengel beſetzenden Blätter ent-<lb/>wickelt.</s> <s xml:id="echoid-s3603" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3604" xml:space="preserve">Wir hätten alſo das folgende Schema als kennzeichnend <lb/>für die Entſtehung der Blattarten.</s> <s xml:id="echoid-s3605" xml:space="preserve"/> </p> <figure> <caption xml:id="echoid-caption93" xml:space="preserve"><emph style="bf">Fig. 36.</emph></caption> <description xml:id="echoid-description7" xml:space="preserve">Trophoſporoſome</description> <description xml:id="echoid-description8" xml:space="preserve">Ur-Caulome (Ur-Stengel)</description> <description xml:id="echoid-description9" xml:space="preserve">Trophoſporophylle</description> <description xml:id="echoid-description10" xml:space="preserve">Stengel mit Pericaulom</description> <description xml:id="echoid-description11" xml:space="preserve">Trophophylle</description> <description xml:id="echoid-description12" xml:space="preserve">Sporophylle</description> <description xml:id="echoid-description13" xml:space="preserve">Keimblätter Laubblätter u. ſ. w.</description> <description xml:id="echoid-description14" xml:space="preserve">Staubblätter Fruchtblätter u. ſ. w.</description> </figure> <pb o="120" file="306" n="306"/> <p> <s xml:id="echoid-s3606" xml:space="preserve">Wir ſehen, daß im Laufe der Generationen aus einem <lb/>Trophoſporoſom z. </s> <s xml:id="echoid-s3607" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3608" xml:space="preserve">ein Staubblatt geworden iſt, oder ein <lb/>Laubblatt u. </s> <s xml:id="echoid-s3609" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3610" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s3611" xml:space="preserve">Jedoch ergiebt das Schema, daß z. </s> <s xml:id="echoid-s3612" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3613" xml:space="preserve">aus <lb/>einem Staubblatt kein Laub- und aus einem Laubblatt kein <lb/>Staubblatt geworden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3614" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3615" xml:space="preserve">Die Lehre, die ſich mit der Erkennung ſolcher Umwand-<lb/>lungen der Organe, ſolcher im Laufe der Generationen voll-<lb/>zogenen Veränderungen an denſelben (oder “<emph style="sp">Metamorphoſen</emph>“, <lb/>wie der Gelehrte ſagt) beſchäftigt, iſt die <emph style="sp">Morphologie</emph>, d. </s> <s xml:id="echoid-s3616" xml:space="preserve">h. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3617" xml:space="preserve">überſetzt: </s> <s xml:id="echoid-s3618" xml:space="preserve">die Lehre von den Geſtaltungen.</s> <s xml:id="echoid-s3619" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3620" xml:space="preserve">Nachdem die Trophoſporoſome, jene Glieder, welche die <lb/>taugartigen Vorfahren der höheren Pflanzen allein zuſammen-<lb/>ſetzten, ſich einmal in Träger und Anhangsorgane (Blätter) <lb/>mit ganz verſchiedenen Funktionen geſondert haben, nahmen <lb/>dieſelben dieſer Verſchiedenheit in ihrer Thätigkeit entſprechend <lb/>gewiſſe Eigentümlichkeiten in ihrem Baue an, z. </s> <s xml:id="echoid-s3621" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3622" xml:space="preserve">hinſichtlich <lb/>des Wachstums inſofern, als die Blätter ein begrenztes Wachs-<lb/>tum zeigten, während es für die Trägerbildungen von Vorteil <lb/>werden mußte, ein unbegrenzteres, jedenfalls länger dauerndes, <lb/>vielleicht ein die Zeit des Lebens hindurch andauerndes Wachs-<lb/>tum zu gewinnen.</s> <s xml:id="echoid-s3623" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3624" xml:space="preserve"><emph style="sp">Je länger nun ſolche den Funktionen entſprechende <lb/>Eigentümlichkeiten in einer Vorfahrenreihe vorhan-<lb/>den waren, um ſo ſchwieriger wird es bei etwaigen <lb/>ſpäteren Neuanpaſſungen — für die unter Umſtänden <lb/>die alten Eigentümlichkeiten nicht mehr nötig oder <lb/>vielleicht ſogar etwas hinderlich ſein können — ſie <lb/>wieder zu beſeitigen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s3625" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3626" xml:space="preserve">Solche dauernden Eigentümlichkeiten ſind es, die man als <lb/><emph style="sp">morphologiſche Charaktere</emph> bezeichnet, und es iſt klar, <lb/>daß ſie es ſind, deren Studium die echte Verwandtſchaft der <lb/>Lebeweſen untereinander zu erkennen ermöglicht, während die <lb/>Neuanpaſſungen höchſtens dadurch verwirren, als Lebeweſen <pb o="121" file="307" n="307"/> der abweichend-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-307-01a" xlink:href="fig-307-01"/> ſten Herkunft <lb/>unter Umſtänden <lb/>durch nachträg-<lb/>liche Anpaſſung <lb/>an gleiche Ver-<lb/>hältniſſe auch in <lb/>gewiſſen Punkten <lb/>genau dieſelben <lb/>Eigentümlich-<lb/>keiten gewinnen <lb/>können.</s> <s xml:id="echoid-s3627" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div169" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-307-01" xlink:href="fig-307-01a"> <caption xml:id="echoid-caption94" xml:space="preserve">Fig. 37. Die Arekapalme.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s3628" xml:space="preserve">So wird man <lb/>nicht ſchließen <lb/>dürfen, daß etwa <lb/>in dunklen Höh-<lb/>len lebende und <lb/>deshalb erblin-<lb/>dete Tiere wie <lb/>Spinnen und <lb/>Käfer nun we-<lb/>gen der Über-<lb/>einſtimmung in <lb/>dem Mangel ſol-<lb/>cher Augen, oder <lb/>der Walfiſch, <lb/>weil er Fiſch-<lb/>ähnliche Floſſen <lb/>beſitzt, nun auch <lb/>mit den Fiſchen <lb/>zunächſt bluts-<lb/>verwandt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3629" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3630" xml:space="preserve">Ebenſowenig</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3631" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3632" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3633" xml:space="preserve">Volksbücher XVIII.</s> <s xml:id="echoid-s3634" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="122" file="308" n="308"/> <p> <s xml:id="echoid-s3635" xml:space="preserve">wird man die Siegelbäume (Sigillarien), die zur Zeit des <lb/>Altertums auf der Erde lebten, wegen ihrer ſtammbürtigen <lb/>Blüten (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3636" xml:space="preserve">39 auf S. </s> <s xml:id="echoid-s3637" xml:space="preserve">81 von Teil 17) in direkte Verwandt-<lb/>ſchaft mit gewiſſen Pflanzen der Tropen bringen können, nur <lb/>weil dieſe ebenfalls ſtammbürtige Blüten beſitzen, oder ihre <lb/>Laubblätter doch äußerlich getrennt von den Blüten auf-<lb/>treten (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s3638" xml:space="preserve">37). </s> <s xml:id="echoid-s3639" xml:space="preserve">Dieſe Eigentümlichkeit iſt vielmehr, wie wir <lb/>Teil 17 ſahen, eine jeweilige Anpaſſung an die Tropen; </s> <s xml:id="echoid-s3640" xml:space="preserve">weil <lb/>die Sigillarien und die heutigen tropiſchen Bäume mit ſtamm-<lb/>bürtigen Blüten unter gleichen oder doch hinſichtlich der klima-<lb/>tiſchen Verhältniſſe in einer wichtigen Beziehung ähnlichen <lb/>Verhältniſſen lebten und leben, haben ſie beide ſtammbürtige <lb/>Blüten, nicht aber deshalb, weil ſie näher blutsverwandt ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3641" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3642" xml:space="preserve">Es iſt immer zu unterſcheiden zwiſchen alten, älteren, neuen <lb/>und neueſten Metamorphoſen beziehungsweiſe Anpaſſungen, um <lb/>bezüglich der Erkennung der Blutsverwandtſchaft zu richtigen <lb/>Reſultaten zu gelangen: </s> <s xml:id="echoid-s3643" xml:space="preserve">ſtets ſollte ſich der Gelehrte Rechen-<lb/>ſchaft über das Alter der Umbildung von Organen, über das <lb/>Alter ihm entgegentretender Anpaſſungserſcheiuungen geben.</s> <s xml:id="echoid-s3644" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3645" xml:space="preserve">Bei der Wichtigkeit des aufgeſtellten Geſetzes, welches die <lb/>vergleichsweiſe Beſtändigkeit der <emph style="sp">morphologiſchen Charak-<lb/>tere</emph>, (die zwar urſprünglich, wie wir ſahen, auch Anpaſſungs-<lb/>charaktere ſind, die aber als ſolche bei den höheren Pflanzen nicht <lb/>mehr ohne weiteres in die Erſcheinung treten, ſodaß man ihnen <lb/>ſchlechtweg die als ſolche noch deutlichen Anpaſſungscharaktere <lb/>gegenüberſtellt) gegenüber den Aupaſſungscharakteren erklärt, <lb/>wollen wir dasſelbe noch einmal mit anderen Worten wiederholen.</s> <s xml:id="echoid-s3646" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3647" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Umbildung eines Organes a in ein Organ b <lb/>begegnet um ſo mehr inneren, d. h. im Lebeweſen <lb/>liegenden Hinderniſſen, je weiter in den Genera-<lb/>tionsreihen (d. h. phylogenetiſch) die Zeit zurückliegt, <lb/>in der dieſe beiden Organe eine Arbeitsteilung ein-<lb/>gegangen ſind</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s3648" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="123" file="309" n="309"/> <p> <s xml:id="echoid-s3649" xml:space="preserve">Wenn alſo Pflanzen, deren geſamte Blätter noch beiden <lb/>Verrichtungen, der Ernährung und der Fortpflanzung, dienen, <lb/>alſo Trophoſporophylle ſind, eine Arbeitsteilung dadurch ein-<lb/>leiten, daß die Blätter ſich bei den Nachkommen in zwei <lb/>Sorten ſcheiden und dementſprechend nur noch der Ernährung <lb/>oder nur noch der Fortpflanzung dienen, wie das bei gewiſſen <lb/>Farnen vorkommt, die dieſe beiden Blattſorten (alſo Tropho-<lb/>phylle neben Sporophyllen) entwickeln, ſo iſt die Möglichkeit, <lb/>durch geſchickte Eingriffe aus Anlagen, die Sporophylle erzeugt <lb/>hätten, nun reine Trophophylle zu erhalten, größer, als etwa <lb/>ſolche Anlagen zu bewegen, Trophoſporoſome zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s3650" xml:space="preserve">In <lb/>der That kann man durch gewiſſe Eingriffe jene Blattſorten <lb/>ineinander verwandeln.</s> <s xml:id="echoid-s3651" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3652" xml:space="preserve">Ein wichtiger Beweis für unſer Geſetz ſind die That-<lb/>ſachen, die man bei Kreuzungen erzielt.</s> <s xml:id="echoid-s3653" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3654" xml:space="preserve">Verſchiedene Arten, Raſſen oder Varietäten, z. </s> <s xml:id="echoid-s3655" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3656" xml:space="preserve">Pferd <lb/>und Eſel oder aber die verſchiedenſten Hunderaſſen unter-<lb/>cinander können ſich miteinander geſchlechtlich vermiſchen (<emph style="sp">ſich <lb/>kreuzen, baſtardieren</emph>), und die entſtehenden Weſen werden <lb/>dann als <emph style="sp">Kreuzungen, Miſchlinge</emph> oder <emph style="sp">Baſtarde</emph> be-<lb/>zeichnet. </s> <s xml:id="echoid-s3657" xml:space="preserve">So iſt das Maultier ein Baſtard zwiſchen Pferd <lb/>und Eſel.</s> <s xml:id="echoid-s3658" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3659" xml:space="preserve">Dem Tierzüchter iſt bei ſeinen Raſſen vielfach bekannt, <lb/>wann ſie entſtanden ſind; </s> <s xml:id="echoid-s3660" xml:space="preserve">nehmen wir nun einmal eine Raſſe A <lb/>und eine andere B, und wiſſen wir, daß die Raſſe A ſehr <lb/>viel länger beſteht als die Raſſe B, ſo können wir voraus-<lb/>ſagen, daß die Miſchlinge aus beiden in ihrem Äußern und <lb/>Innern mehr nach A hin neigen werden als nach B. </s> <s xml:id="echoid-s3661" xml:space="preserve">Der <lb/>aufmerkſame Tierzüchter und <emph style="sp">Zoologe Kohlwey</emph> hat das <lb/>wiederholt konſtatiert, daß alſo bei Kreuzungen die älteren <lb/>Formen ſtärker wirken als die neueren; </s> <s xml:id="echoid-s3662" xml:space="preserve">nur dann entſteht eine <lb/>genaue Mittelform zwiſchen beiden Eltern, wenn die Formen, <lb/>von denen beide Eltern abſtammen, phylogenetiſch gleich alt ſind.</s> <s xml:id="echoid-s3663" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="124" file="310" n="310"/> <p> <s xml:id="echoid-s3664" xml:space="preserve">Bei dieſer Sachlage iſt es durchaus begreiflich und ſelbſt-<lb/>verſtändlich, wenn die morphologiſchen Merkmale — eben die <lb/>älteſten und älteren Merkmale — eine größere Vererbungs-<lb/>kraft beſitzen als die ſogenannten Anpaſſungscharaktere, die ſich <lb/>nur der Zeit ihrer Entſtehung nach, aber ſonſt in keiner prin-<lb/>zipiellen Weiſe von den morphologiſchen Merkmalen, die doch <lb/>urſprünglich auch Anpaſſungscharaktere ſind, unterſcheiden.</s> <s xml:id="echoid-s3665" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3666" xml:space="preserve">Die Organismen ſind den äußeren Einflüſſen gegenüber <lb/>bis zu einer beſtimmten Grenze plaſtiſch, und dieſe Grenze iſt <lb/>gegeben durch die Macht der Vererbungstendenzen. </s> <s xml:id="echoid-s3667" xml:space="preserve">Wir haben <lb/>dieſelbe Erſcheinung vor uns wie bei jedem nicht organiſierten <lb/>Körper, nur daß wir uns hier anderer Worte bedienen. </s> <s xml:id="echoid-s3668" xml:space="preserve">Jeder <lb/>beliebige in Bewegung befindliche Körper paßt ſich ebenfalls <lb/>den äußeren Verhältniſſen an: </s> <s xml:id="echoid-s3669" xml:space="preserve">die Bewegungen einer Billard-<lb/>kugel auf dem Billard ſind abhängig von dem ihr gegebenen <lb/>Stoß, den Reibungswiderſtänden, den Stößen gegen die Banden, <lb/>aber auch von den “inneren” Verhältniſſen der Kugel, nämlich <lb/>ihrer Bewegungsträgheit (Vererbungstendenzen), Elaſticität, <lb/>Feſtigkeit u. </s> <s xml:id="echoid-s3670" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3671" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s3672" xml:space="preserve">, welche letztere bedingt iſt durch das Alter <lb/>der Kugel und eventuelle, das Gefüge derſelben verändernde <lb/>Einflüſſe.</s> <s xml:id="echoid-s3673" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3674" xml:space="preserve">Druck von G. </s> <s xml:id="echoid-s3675" xml:space="preserve">Bernſtein in Berlin.</s> <s xml:id="echoid-s3676" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="311" n="311"/> </div> <div xml:id="echoid-div171" type="section" level="1" n="107"> <head xml:id="echoid-head118" xml:space="preserve"><emph style="bf">Naturwiſſenſchaftliche Volksbücher</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">A. Bernſtein.</emph></head> <head xml:id="echoid-head119" xml:space="preserve">Fünfte, reich illuſtrierte Auflage.</head> <head xml:id="echoid-head120" xml:space="preserve">Durchgeſehen und verbeſſert <lb/>von <lb/><emph style="bf">H. Potonié</emph> und <emph style="bf">R. Hennig.</emph></head> <head xml:id="echoid-head121" xml:space="preserve">Neunzehnter Teil.</head> <figure> <image file="311-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/311-01"/> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div172" type="section" level="1" n="108"> <head xml:id="echoid-head122" xml:space="preserve"><emph style="bf">Berlin.</emph></head> <head xml:id="echoid-head123" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung</emph>.</head> <pb file="312" n="312"/> </div> <div xml:id="echoid-div173" type="section" level="1" n="109"> <head xml:id="echoid-head124" xml:space="preserve">Das Necht der Überſetzung in fremde Sprachen iſt vorbehalten.</head> <pb file="313" n="313"/> </div> <div xml:id="echoid-div174" type="section" level="1" n="110"> <head xml:id="echoid-head125" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhaltsverzeichnis.</emph></head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>## <emph style="bf">Die Erhaltung der Kraft und der Weltuntergang.</emph> <lb/>I. # Die Sonne als Quelle des Lebens . . . . . . . # 1 <lb/>II. # Das Geſetz von der Erhaltung der Kraft . . . . . # 5 <lb/>III. # Das Perpetuum mobile und der Hebel . . . . . . # 9 <lb/>IV. # Von der Neibung . . . . . . . . . . . . . # 14 <lb/>V. # Die Neibung und die Wärme . . . . . . . . . # 18 <lb/>VI. # Wie Wärme nur verwandelte Kraſt iſt . . . . . . # 21 <lb/>VII. # Von dem ſogenannten Wärmeſtoff . . . . . . . . # 25 <lb/>VIII. # Das Weſen der Wärme . . . . . . . . . . . # 29 <lb/>IX. # Äußere Bewegung und innere Bewegung . . . . . # 32 <lb/>X. # Wie ſich im Weltraum Bewegung in Wärme verwandelt # 36 <lb/>XI. # Wir eſſen Sonnenwärme . . . . . . . . . . . # 38 <lb/>XII. # Die Erde eine große Dampfmaſchine . . . . . . . # 43 <lb/>XIII. # Wie die Meere mit Luft geſpeiſt werden . . . . . # 47 <lb/>XIV. # Die konſervative Arbeit der Wärme . . . . . . . # 51 <lb/>XV. # Das Kraft-Konto im Menſchen . . . . . . . . . # 56 <lb/>XVI. # Die Aufſpeicherung der Sonnenwärme . . . . . . # 61 <lb/>XVII. # Die Abkühlung der Sonne . . . . . . . . . . # 65 <lb/>XVIII. # Der Welt-Untergang . . . . . . . . . . . . # 68 <lb/>## <emph style="bf">Unſere Sinne, unſere Seele, unſere Sprache</emph> . . . . . . # 73 <lb/></note> <pb file="314" n="314"/> <pb o="1" file="315" n="315"/> </div> <div xml:id="echoid-div175" type="section" level="1" n="111"> <head xml:id="echoid-head126" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Erhaltung der Kraft und der Welt-</emph> <lb/><emph style="bf">untergang.</emph></head> <head xml:id="echoid-head127" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Die Sonne als Quelle des Lebens.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3677" xml:space="preserve">Die Völker des Altertums waren von einer tiefen Ahnung <lb/>erfüllt, wenn ſie die Sonne als die Quelle alles Daſeins be-<lb/>trachteten und als das leuchtende Abbild aller Schöpferkraft <lb/>verehrten; </s> <s xml:id="echoid-s3678" xml:space="preserve">auch die Völker der Jetztzeit drücken ein tiefes Ver-<lb/>ſtändnis hierfür aus, wenn ſie Licht und Leben als gleich-<lb/>bedeutend neben einander ſtellen; </s> <s xml:id="echoid-s3679" xml:space="preserve">wenn ſie Leben nennen, <lb/>“was da wandelt im Lichte”; </s> <s xml:id="echoid-s3680" xml:space="preserve">wenn ſie von Lebenstagen und <lb/>von der Nacht des Todes ſprechen, wenn ſie die Verſtorbenen <lb/>in lichten Gewändern zu Grabe bringen, um durch ein Symbol <lb/>der Lebensfrage den finſtern Ernſt des Todes zu verdecken, <lb/>und wenn der Überlebende ſeine Trauer durch ſchwarze Kleidung <lb/>ausdrückt, um Zeugnis abzulegen, daß er im Leben des Toten <lb/>eingedenkt bleibt.</s> <s xml:id="echoid-s3681" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3682" xml:space="preserve">Was aber im Völkerdaſein ſich als Ahnung kund giebt <lb/>und im dunkeln Drange oft als Abirrung zu Tage tritt, das <lb/>hat die Wiſſenſchaft durch die Leuchte der Wahrheit zu prüfen, <lb/>und nicht ſelten wird ihr das Los zu teil, die dunkel gefühlte <lb/>Wahrheit durch Thatſachen der Forſchung zu beſtätigen.</s> <s xml:id="echoid-s3683" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3684" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3685" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3686" xml:space="preserve">Volksbücher XIX.</s> <s xml:id="echoid-s3687" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="2" file="316" n="316"/> <p> <s xml:id="echoid-s3688" xml:space="preserve">Die Sonne iſt höchſt wahrſcheinlich die Quelle alles <lb/>Lebens, das wir auf Erden kennen! das ſpricht die Wiſſen-<lb/>ſchaft bereits mit ziemlicher Sicherheit und geſtützt auf Unter-<lb/>ſuchungen aus, die wir in den folgenden Artikeln unſern <lb/>Leſern vorführen wollen. </s> <s xml:id="echoid-s3689" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft meint dies nicht <lb/>im Sinne des Altertums, das um deshalb der Sonne ab-<lb/>göttiſche Verehrung zollte, ſondern im Sinne der thatſächlichſten <lb/>Forſchung, die ſtets das Gegenteil des Glaubens iſt; </s> <s xml:id="echoid-s3690" xml:space="preserve">denn die <lb/>Menſchen glauben immer nur, wo ſie nichts wiſſen, verehren <lb/>nur da, wo ſie das Unerklärte, das Wunder, ſehen; </s> <s xml:id="echoid-s3691" xml:space="preserve">und ſie <lb/>ſchwelgen und ſchweifen ab in dieſen Gefühlen, jemehr ſie ſich <lb/>von der Wiſſenſchaft und ihrer Wahrheit entfernen.</s> <s xml:id="echoid-s3692" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3693" xml:space="preserve">Die Sonne iſt ſchon dadurch die Quelle alles Lebens <lb/>auf Erden, indem ſie in den Vorbedingungen des Lebens <lb/>Arbeiten von ſo großem Umfange verrichtet, daß faſt jeder <lb/>Maßſtab, den wir hierfür anlegen, verſchwindend klein dagegen <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3694" xml:space="preserve">— Eine Wirkung ihrer Strahlen iſt es, daß rings um den <lb/>ganzen Äquator der Erde das Luftmeer erwärmt wird, ſo daß <lb/>es zur Höhe emporſteigt und den Luftmaſſen zu beiden Seiten <lb/>der Erdkugel Veranlaſſung und Raum darbietet, nach dem <lb/>Äquator hinzuſtrömen. </s> <s xml:id="echoid-s3695" xml:space="preserve">— Dieſe Arbeit allein iſt ſchon eine <lb/>enorme und, wie wir ſehen werden, die Vorbedingung alles <lb/>Lebens auf Erden. </s> <s xml:id="echoid-s3696" xml:space="preserve">— Die Wiſſenſchaft der neuern Zeit hat <lb/>nachgewieſen, daß, wenn man die Wärme als Kraft betrachtet, <lb/>man die Stärke dieſer Kraft genau meſſen kann, indem man <lb/>ſie gleichſtellt einer bekannten mechaniſchen Kraft, die nötig <lb/>wäre, eine gleiche Wirkung hervorzubringen. </s> <s xml:id="echoid-s3697" xml:space="preserve">— Thut man <lb/>dies im vorliegenden Falle, ſo ergiebt ſich, daß die Wirkung <lb/>der Sonnenwärme auf die regelmäßigen Luftſtrömungen und <lb/>den Austauſch zwiſchen den Luftſchichten des Äquators und <lb/>der Polgegenden der Erde ſo groß iſt, daß alle Pferdekräfte, <lb/>welche unſere Maſchinenwerkſtätten erzeugen, noch nicht den <lb/>hunderttauſendſten Teil dieſer Arbeit würden verrichten können.</s> <s xml:id="echoid-s3698" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="3" file="317" n="317"/> <p> <s xml:id="echoid-s3699" xml:space="preserve">Dieſe Arbeit der Wärme aber iſt eine wahre Vorarbeit <lb/>des Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s3700" xml:space="preserve">Die Wanderungen der Luftſtröme ſind es eben, <lb/>welche die Wanderungen der Gewäſſer auf Erden möglich <lb/>machen. </s> <s xml:id="echoid-s3701" xml:space="preserve">Die Luft, von der Wärme in Bewegung verſetzt, <lb/>nimmt auf ihrem ununterbrochenen Transport alle Waſſerdünſte <lb/>von den Meeren und Seen als blinde Paſſagiere mit und <lb/>lagert ſie als ſichtbaren Nebel, als Wolken, in Schnee, Regen <lb/>und Hagel an alle Stellen der Erde hin, die ohne die Luft-<lb/>wanderung einer ſteten Dürre und vollſtändigen Lebensloſigkeit <lb/>ausgeſetzt geweſen wären. </s> <s xml:id="echoid-s3702" xml:space="preserve">Welche Waſſermaſſen die Kraft der <lb/>Sonne und ihre Einwirkung auf die Bewegung des Luft-<lb/>meeres allſtündlich in Bewegung ſetzt, wie viel ſie emporhebt, <lb/>erkennt man ſchätzungsweiſe dadurch, daß man die Waſſer-<lb/>maſſen berechnet, welche die Ströme dem Meere zuführen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3703" xml:space="preserve">Der Nil ergießt bei mäßigem Waſſerſtande in jeder Stunde <lb/>fünfhundert Millionen Kubikfuß Waſſer in das mittel-<lb/>ländiſche Meer; </s> <s xml:id="echoid-s3704" xml:space="preserve">der Miſſiſſippi in Amerika nahe an zweitauſend <lb/>Millionen; </s> <s xml:id="echoid-s3705" xml:space="preserve">der Ganges in Indien faſt ebenſoviel; </s> <s xml:id="echoid-s3706" xml:space="preserve">die bei <lb/>Emmerich durchfließende Waſſermaſſe des Rheines beträgt <lb/>allſtündlich an 270 Millionen Kubikfuß. </s> <s xml:id="echoid-s3707" xml:space="preserve">— Aber was der <lb/>Strom ins Meer transportiert, das hat vorher im Luftmeer <lb/>exiſtiert und iſt aus demſelben niedergefallen über die weiten <lb/>Länderſtrecken, aus welchen die Quellen des Stromes hervor-<lb/>rieſeln. </s> <s xml:id="echoid-s3708" xml:space="preserve">Das Luftmeer wiederum hat ſeine Fähigkeit, Waſſer-<lb/>dünſte aufzunehmen, nur durch die Wirkung der Sonnenwärme <lb/>erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s3709" xml:space="preserve">Iſt es nun eine ganz unbeſtreitbare Thatſache, daß <lb/>Alles, was an Pflanzen und Tiergattungen auf dem großen <lb/>Rund der Erde das Gepräge eines Lebens an ſich trägt, in <lb/>ſeinen Beſtandteilen und in der Möglichkeit ſeiner Exiſtenz des <lb/>Waſſers bedarf, ſo iſt ganz zweifellos, daß die von der Sonne <lb/>erzeugte Wärme die erſte phyſikaliſche Vorbedingung des <lb/>Lebens iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3710" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3711" xml:space="preserve">Die Wahrheit dieſes Ausſpruches iſt ſeit langer Zeit <pb o="4" file="318" n="318"/> allgemein anerkannt; </s> <s xml:id="echoid-s3712" xml:space="preserve">aber erſt der Forſchung der neueren Zeit <lb/>war es vorbehalten, die Wärme als wirkliche und meßbar <lb/>wirkende Kraft zu erkennen, und nicht bloß die Summe dieſer <lb/>Kraft, wie ſie direkt auf die Erde wirkt, in Zahlen auszu-<lb/>drücken, ſondern auch zu berechnen, was die Sonnenwärme <lb/>im weiten Weltraum als Kraftquelle für eine Rolle ſpielt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3713" xml:space="preserve">Wir werden demnach im folgenden von der Wärme als Kraft <lb/>ſo manches Neue unſern Leſern vorzuführen haben.</s> <s xml:id="echoid-s3714" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3715" xml:space="preserve">Aber die neuere Naturwiſſenſchaft weiß uns auch noch <lb/>von andern Kräften zu erzählen, die in der Sonne verborgen <lb/>ſind, und die außer der bereits ſeit zweihundert Jahren be-<lb/>kannten Anziehungskraft als Grundquellen vieler Erſcheinungen <lb/>auf unſerer Erde mitwirken. </s> <s xml:id="echoid-s3716" xml:space="preserve">Das Licht, das neben der Wärme <lb/>von der Sonne ausgeht, ſchien wiſſenſchaftlich bis vor kurzer <lb/>Zeit nur eine für das Auge wirkſame Erſcheinung zu ſein. </s> <s xml:id="echoid-s3717" xml:space="preserve">— <lb/>Die neuere Zeit hat gelehrt, daß das Licht noch etwas ganz <lb/>Anderes iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3718" xml:space="preserve">Das Licht iſt eine unendlich große, wirkſame <lb/>Quelle chemiſcher Vorgänge, deren Kraft wiederum erſt in <lb/>allerneueſter Zeit meßbar und berechenbar geworden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3719" xml:space="preserve">— <lb/>Da aber gleichzeitig mit dieſen Forſchungen eine andere Unter-<lb/>ſuchung gelehrt hat, daß das Licht auch auf das Leben der <lb/>Tiere von nachweisbarem Einfluß iſt, und dies wahrſcheinlich <lb/>eine Wirkung der chemiſchen Kraft der Sonne iſt, ſo gehören <lb/>auch dieſe Betrachtungen mit hinein in unſer Thema.</s> <s xml:id="echoid-s3720" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3721" xml:space="preserve">Mit dieſen Forſchungen aber haben gegenwärtig neue <lb/>Entdeckungen durch das Sonnenlicht zu höchſt wunderbaren, <lb/>unglaublich hoch das ganze bisherige Gebiet unſerer Natur-<lb/>wiſſenſchaft überragenden Reſultaten geführt. </s> <s xml:id="echoid-s3722" xml:space="preserve">Es ſind, wie <lb/>wir ſchon hörten, durch Unterſuchungen des Sonnenlichtes ver-<lb/>mittelſt der Spektral-Analyſe bereits neue chemiſche Elemente <lb/>entdeckt worden, von welchen man bisher nimmermehr eine <lb/>Ahnung hatte, weil ſie nur in ſo geringen Mengen den andern <lb/>Stoffen beigemiſcht ſind, daß weder das ſchärfſte Vergrößerungs- <pb o="5" file="319" n="319"/> glas noch die bisherigen feinſten Mittel der Chemie ihre Exiſtenz <lb/>hätten verraten können.</s> <s xml:id="echoid-s3723" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3724" xml:space="preserve">Schließlich werden wir auch ein anderes freilich für jetzt <lb/>noch ſehr unſicheres Thema nicht unberührt laſſen dürfen; </s> <s xml:id="echoid-s3725" xml:space="preserve">es <lb/>betrifft dies die noch nicht klar zu beantwortenden Fragen, in <lb/>wie weit die Erſcheinung des Erdmagnetismus ihre Urſache <lb/>in der Sonne hat, oder ob der Magnetismus nur von elek-<lb/>triſchen Strömungen, welche die Erde umgeben, herrührt, <lb/>welche durch die Sonne verändert werden? </s> <s xml:id="echoid-s3726" xml:space="preserve">— Jedenfalls aber <lb/>iſt auch in dieſer Beziehung die Sonne von großer Einwirkung <lb/>auf die Erde, und in ſo fern es feſtſteht, daß elektriſche Ströme <lb/>in der Lebensthätigkeit eine große Rolle ſpielen, in ſo fern <lb/>gehört auch dieſes Spezialthema in unſere Betrachtung über <lb/>die Sonne und das Leben.</s> <s xml:id="echoid-s3727" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3728" xml:space="preserve">Es iſt eine Aufgabe von weitem Umfange, mit welcher <lb/>wir hier vor die Leſer treten. </s> <s xml:id="echoid-s3729" xml:space="preserve">Es iſt eine Aufgabe, in der <lb/>wir kein weiteres Verdienſt beanſpruchen, als das der gewiſſen-<lb/>haften Zuſammentragung aus den wichtigſten Spezialfächern <lb/>der Wiſſenſchaft, die eine gemeinſame Betrachtung zulaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s3730" xml:space="preserve">— <lb/>Wir werden uns der möglichſten Einfachheit in Darlegung <lb/>unſeres Themas befleißigen; </s> <s xml:id="echoid-s3731" xml:space="preserve">gleichwohl haben wir über ſo <lb/>außerordentlich viel Neues hierin zu berichten, daß wir neben <lb/>der Aufmerkſamkeit uns auch noch vom Leſer eine treue Teil-<lb/>nahme und die Hülfe des Selbſtdenkens erbitten, um ihm ſo <lb/>verſtändlich ſein zu können, wie wir es wünſchen.</s> <s xml:id="echoid-s3732" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div176" type="section" level="1" n="112"> <head xml:id="echoid-head128" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Das Geſetz von der Erhaltung der Kraft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3733" xml:space="preserve">Um die Wirkſamkeit der Sonnenwärme als Kraft näher <lb/>kennen zu lernen, müſſen wir erſt ein wichtiges Geſetz über <lb/>das Weſen der Kraft unſeren Leſern vorführen, welches die <pb o="6" file="320" n="320"/> Wiſſenſchaft der neueren Zeit nach mannigfachen Unterſuchungen <lb/>feſtgeſtellt hat, und durch welches erſt der Anfang des Weges <lb/>angebahnt worden iſt zu der ſehr weit gehenden, das ganze <lb/>Weltall umfaſſenden Frage: </s> <s xml:id="echoid-s3734" xml:space="preserve">ob es in der Natur viele ver-<lb/>ſchiedene Kräfte giebt? </s> <s xml:id="echoid-s3735" xml:space="preserve">oder ob all’ die Kräfte, die verſchieden-<lb/>artig erſcheinen, nur Abänderungen einer einzigen Kraft ſeien?</s> <s xml:id="echoid-s3736" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3737" xml:space="preserve">Das Geſetz, von welchem wir zunächſt zu ſprechen haben, <lb/>iſt in der neueren Wiſſenſchaft bekannt durch die Bezeichnung, <lb/>“das Geſetz von der Erhaltung der Kraft” und es drückt in <lb/>ſeinem allgemeinen Ausſpruch den folgenden merkwürdigen <lb/>Gedanken aus: </s> <s xml:id="echoid-s3738" xml:space="preserve">Ebenſo wie es uns nicht möglich iſt, irgend <lb/>einen Stoff aus Nichts zu machen, und ebenſo wie es uns <lb/>nicht möglich iſt, einen vorhandenen Stoff wirklich zu ver-<lb/>nichten oder ſo zu ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s3739" xml:space="preserve">in Nichts zu verwandeln, ſondern <lb/>all’ unſere Kunſt des Schaffens nur beſteht in einer Ver-<lb/>änderung und Verwendung einmal vorhandener Stoffe, ganz <lb/>eben ſo geht es mit der Wirkſamkeit deſſen, was man Kraft <lb/>nennt. </s> <s xml:id="echoid-s3740" xml:space="preserve">Wir können keine neue Kraft erſchaffen, und keine <lb/>vorhandene Kraft aus der Welt verſchwinden machen, unſer <lb/>ganzes Kunſtſtück in Herſtellung mechaniſcher und phyſikaliſcher <lb/>Kräfte beſteht einzig und allein in der Benutzung vorhandener <lb/>Kraft, und all’ unſere Arbeiten, bei welchen wir Kraft ver-<lb/>wenden und ſcheinbar abnutzen, beſteht doch in Wahrheit nur <lb/>in der Verwandlung einer Kraft in eine andere.</s> <s xml:id="echoid-s3741" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3742" xml:space="preserve">Mit ſchlichtern Worten ausgedrückt heißt das “Geſetz der <lb/>Erhaltung der Kraft” wie folgt: </s> <s xml:id="echoid-s3743" xml:space="preserve">Eben ſo wie wir Menſchen <lb/>keine Materie erſchaffen und keine vorhandene Materie ver-<lb/>tilgen können, eben ſo geht es mit der Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s3744" xml:space="preserve">Es giebt keine <lb/>neu erſchaffene Kraft und keine verloren gehende Kraft, ſondern <lb/>Kraft iſt vorhanden und bleibt unvertilgbar, wenn es auch oft <lb/>den Anſchein hat, als ob wir ſie bald ſchaffen, bald vernichten <lb/>können.</s> <s xml:id="echoid-s3745" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3746" xml:space="preserve">So ſimpel dieſer Gedanke in Worten ausgeſprochen er- <pb o="7" file="321" n="321"/> ſcheint, ſo ſchwierig iſt er dennoch in der wiſſenſchaftlichen <lb/>Darlegung mit allen hierzu nötigen Beweiſen; </s> <s xml:id="echoid-s3747" xml:space="preserve">und obwohl <lb/>auch dieſer Beweis für gewiſſe Kräfte, die man mechaniſche <lb/>nennt, ſchon ſeit langer Zeit geführt iſt, iſt es doch erſt in den <lb/>letzten Jahrzehnten nach vielfachen, ſcharfſinnigen Arbeiten ge-<lb/>lungen, ihn auch für wahr zu beweiſen auf dem Gebiet der <lb/>Kräfte, die man die phyſikaliſchen nennt. </s> <s xml:id="echoid-s3748" xml:space="preserve">— Mit dem Geſetz <lb/>aber, das nunmehr unbeſtreitbar feſt daſteht, iſt bei weitem <lb/>mehr als der bloße Gedanke gewonnen, in welchem wir ihn <lb/>ausgeſprochen haben. </s> <s xml:id="echoid-s3749" xml:space="preserve">— Mit dieſem Geſetz ſind ganze Reihen <lb/>von Naturerſcheinungen und Naturvorgängen erklärbarer als <lb/>bisher geworden, ja ein nicht unbeträchtlicher Teil der Phyſik <lb/>und unter dieſem hauptſächlich die Lehre von der Wärme hat <lb/>hierdurch eine ganz neue Unterlage der Forſchung erhalten; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3750" xml:space="preserve">wie denn endlich auch die angedeutete Frage über die Einheit <lb/>oder die Vielheit von Kraft erſt hierdurch eine Vorſtufe der <lb/>Löſung betreten hat.</s> <s xml:id="echoid-s3751" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3752" xml:space="preserve">Wir haben nun hiermit den Namen und den Gedanken <lb/>des neuen Geſetzes ausgeſprochen; </s> <s xml:id="echoid-s3753" xml:space="preserve">zur richtigen Erkenntnis <lb/>desſelben gehört aber hauptſächlich die praktiſche Anſchauung <lb/>deſſen, was dies Geſetz bedeutet, und darum bitten wir unſere <lb/>Leſer, uns Schritt um Schritt auf der Bahn folgender Dar-<lb/>ſtellungen mit Teilnahme zu begleiten. </s> <s xml:id="echoid-s3754" xml:space="preserve">Wir werden in dieſer <lb/>Darſtellung mit den einfachſten Erſcheinungen, mit den mechani-<lb/>ſchen beginnen, die das Geſetz bewahrheiten; </s> <s xml:id="echoid-s3755" xml:space="preserve">ſodann zu den <lb/>phyſikaliſchen Kräften übergehen, wo das Geſetz oft ganz <lb/>wunderbar verſteckt liegt, und ſogar mit vielen Erfahrungen <lb/>in Widerſpruch zu ſtehen ſcheint; </s> <s xml:id="echoid-s3756" xml:space="preserve">nunmehr werden wir auch <lb/>die Wärme, über welche man bisher ſehr dunkle Vorſtellungen <lb/>hatte, als Kraft, als eine wirkliche, nach Gewicht und Maß <lb/>genau beſtimmbare Kraft, kennen lernen, um endlich zur Sonne <lb/>zurückkehren zu können und ſie in ihrer einen Eigenſchaft als <lb/>Wärmequelle genauer in Betracht zu ziehen.</s> <s xml:id="echoid-s3757" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="8" file="322" n="322"/> <p> <s xml:id="echoid-s3758" xml:space="preserve">Und ſomit wollen wir unſeren wiſſenſchaftlichen Ausflug <lb/>beginnen, und um recht einfach zu ſein, mit dem kleinen <lb/>Kunſtwerk beginnen, an dem wohl alle unſere Leſer das <lb/>Geſetz von der Erhaltung der Kraft, ohne es zu wiſſen, am <lb/>häufigſten im Leben bewahrheitet haben.</s> <s xml:id="echoid-s3759" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3760" xml:space="preserve">Wenn wir unſere Taſchenuhr in Gang ſetzen, ſo könnte <lb/>es wohl Vielen ſo ſcheinen, als ob ſich in der Uhr eine nicht <lb/>vorhandene Kraft entdeckt habe. </s> <s xml:id="echoid-s3761" xml:space="preserve">Die Uhr war abgelaufen und <lb/>totenſtill, da ziehen wir ſie auf, und ſie tickt und geht, und <lb/>wir hören’s und ſehen’s ihr an, ſie hat eine Kraft bekommen, <lb/>die früher nicht in ihr lag. </s> <s xml:id="echoid-s3762" xml:space="preserve">— In der That iſt dem ſo. </s> <s xml:id="echoid-s3763" xml:space="preserve">Die <lb/>Uhr hatte keine Kraft; </s> <s xml:id="echoid-s3764" xml:space="preserve">denn die Spiralfeder, die ſie treibt, <lb/>mußte erſt durch unſer Aufziehen mittelſt des Schlüſſels ge-<lb/>ſpannt werden, und nun geht ſie mit der Spannkraft der auf-<lb/>gezogenen Feder und nach Maß und Takt der Einrichtung <lb/>des ganzen Werkes.</s> <s xml:id="echoid-s3765" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3766" xml:space="preserve">Aber neu iſt darum die Kraft der Uhr keineswegs; </s> <s xml:id="echoid-s3767" xml:space="preserve">wir <lb/>haben ihr vielmehr die Kraft aus einem bereits vorhandenen <lb/>Vorrat von Kraft gegeben. </s> <s xml:id="echoid-s3768" xml:space="preserve">Wir haben beim Aufziehen eine <lb/>Kraft unſerer Finger dazu verwendet, und ſo wenig merkbar <lb/>uns das Verſchenken von Kraft angreift, ſo iſt es doch nicht <lb/>anders: </s> <s xml:id="echoid-s3769" xml:space="preserve">die Uhr geht durch einen Teil der Kraft unſerer <lb/>Finger, die wir verloren haben. </s> <s xml:id="echoid-s3770" xml:space="preserve">— Wer hieran zweifelt, der <lb/>mag ſich’s nur vorſtellen, daß die Taſchenuhr ſo groß und ge-<lb/>waltig wie eine Turmuhr wäre, und er beim Aufziehen nicht <lb/>einen kleinen Schlüſſel, ſondern eine ganz gehörige Kurbel mit <lb/>gründlicher Anſtrengung der Arme zu drehen hätte, dann wird <lb/>er wahrhaftig merken, woher die Uhr ihr mechaniſches Leben <lb/>hat, und er wird ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s3771" xml:space="preserve">“ja du liebe Uhr, du kannſt jetzt gut <lb/>gehen, ich aber muß mich ein wenig ſetzen, denn ich habe dir <lb/>zu deinem Gang die Kraft aus meinem Körper gegeben!”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3772" xml:space="preserve">Und dem iſt wirklich ſo. </s> <s xml:id="echoid-s3773" xml:space="preserve">— Mit dem Aufziehen der Uhr <lb/>geſchieht etwas höchſt Merkwürdiges, und ſogar Etwas, was <pb o="9" file="323" n="323"/> wir jetzt eigentlich noch gar nicht zur Sprache bringen wollen <lb/>und erſt ſpäter berühren werden, nämlich: </s> <s xml:id="echoid-s3774" xml:space="preserve">die Verwandlung <lb/>von einem Stück Menſchenkraft in Uhrkraft; </s> <s xml:id="echoid-s3775" xml:space="preserve">was uns jetzt an-<lb/>geht, iſt die Thatſache, daß wirklich nur eine Übertragung <lb/>von einer Summe Kraft aus einem Ort in den anderen ſtatt-<lb/>gefunden hat, aus dem Menſchen in die Uhr. </s> <s xml:id="echoid-s3776" xml:space="preserve">Die Uhr geht <lb/>alſo nicht durch eine neue Kraft, ſondern durch eine alte Kraft, <lb/>die früher nur eine andere Wohnung hatte, aber doch vor-<lb/>handen war. </s> <s xml:id="echoid-s3777" xml:space="preserve">— Der Menſch hat dabei freilich Kraft verloren; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3778" xml:space="preserve">aber die Kraft ging darum doch nicht verloren, ſie wohnt bloß <lb/>jetzt anderswo und hat in der Uhr eine andere Arbeitsſtelle <lb/>gefunden. </s> <s xml:id="echoid-s3779" xml:space="preserve">Die Kraft alſo hat ſich erhalten, obwohl ſie das <lb/>Lokal gewechſelt und in ganz anderem Kleide erſcheint; </s> <s xml:id="echoid-s3780" xml:space="preserve">und <lb/>das eben, verehrter Leſer, iſt ſchon ein Stückchen von dem <lb/>“Geſetz von der Erhaltung der Kraft”.</s> <s xml:id="echoid-s3781" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3782" xml:space="preserve">Wo aber bleibt die Kraft nach vier und zwanzig Stunden, <lb/>wenn die Uhr wieder abgelaufen iſt? </s> <s xml:id="echoid-s3783" xml:space="preserve">— Iſt da nichts ver-<lb/>loren?</s> <s xml:id="echoid-s3784" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3785" xml:space="preserve">Nein! — Aber dieſe Frage iſt nicht ſo ſchnell abgemacht! <lb/>Darum Geduld, lieber Leſer, wir werden Schritt vor Schritt <lb/>auch zu der richtigen Antwort hierauf kommen!</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div177" type="section" level="1" n="113"> <head xml:id="echoid-head129" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Das Perpetuum mobile und der Hebel.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3786" xml:space="preserve">“Wo iſt die Kraft der Uhr hingekommen, wenn die Uhr <lb/>nach vierundzwanzig Stunden abgelaufen iſt?</s> <s xml:id="echoid-s3787" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3788" xml:space="preserve">Wenn viele unſerer Leſer keine Antwort auf dieſe Frage <lb/>wiſſen, ſo mögen ſie ſich mit der ſtolzen Wiſſenſchaft tröſten, <lb/>welche bis zum Jahre 1824 noch übler dran war, denn dieſe <lb/>beruhigte ſich mit einer Antwort, die ſchlimmer als keine iſt, <pb o="10" file="324" n="324"/> nämlich mit der falſchen Anſchauung: </s> <s xml:id="echoid-s3789" xml:space="preserve">“die Kraft habe ſich ab-<lb/>genutzt und exiſtiere nicht mehr.</s> <s xml:id="echoid-s3790" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3791" xml:space="preserve">Da hat denn der Franzoſe <emph style="sp">Carnot</emph> (1796—1832) den <lb/>Anfang mit einer richtigeren Anſchauung der Dinge gemacht, <lb/>welche die Forſchung auf richtige Lehren hinlenkte. </s> <s xml:id="echoid-s3792" xml:space="preserve">— Gleich-<lb/>wohl vergingen darauf noch an zwanzig Jahre, wo die Wiſſen-<lb/>ſchaft ihr Augenmerk nicht auf dieſes Thema richtete, bis ein <lb/>deutſcher Naturforſcher und Arzt, <emph style="sp">Jul. Rob. Mayer</emph> (1814 <lb/>bis 1878) in Heilbronn, dem Naturgeſetz von der Erhaltung <lb/>der Kraft ſeinen wichtigen Platz anwies, und faſt gleichzeitig <lb/>mit ihm und unabhängig von einander kamen <emph style="sp">Colding</emph> in <lb/>Dänemark, <emph style="sp">Joule</emph> in England und <emph style="sp">Helmholtz</emph>, damals in <lb/>Potsdam, zu demſelben Reſultat, das da heißt: </s> <s xml:id="echoid-s3793" xml:space="preserve">Kraft entſteht <lb/>nicht und vergeht nicht, ſondern kann nur von einem Zuſtande <lb/>der Wirkſamkeit in einen anderen übergehen, wo man ſie oft <lb/>in ganz veränderter Naturbeſchaffenheit wiederfindet.</s> <s xml:id="echoid-s3794" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3795" xml:space="preserve">Und weil es der Wiſſenſchaft lange Zeit alſo erging, <lb/>darum mögen auch unſere Leſer ſich ein wenig gedulden, wenn <lb/>wir für jetzt noch nicht dem Verbleiben der Kraft nachſpüren, <lb/>welche die Uhr verloren hat. </s> <s xml:id="echoid-s3796" xml:space="preserve">Wir dürfen keinen Sprung in <lb/>unſerer Auseinanderſetzung machen und wollen uns lieber mit <lb/>einer näher liegenden Frage an die abgelaufene Uhr wenden, <lb/>die uns auf einem Umweg ſicherer zum Ziele führen wird.</s> <s xml:id="echoid-s3797" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3798" xml:space="preserve">Muß man denn überhaupt eine abgelaufene Uhr wieder <lb/>aufziehen, und ſollte es denn nicht möglich ſein, eine Uhr zu <lb/>machen, die ſich von ſelber aufzieht?</s> <s xml:id="echoid-s3799" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3800" xml:space="preserve">Über dieſe Frage haben unzählige begabte Menſchen im <lb/>vorigen Jahrhundert ihren Geiſt angeſtrengt und oft auch ein-<lb/>gebüßt; </s> <s xml:id="echoid-s3801" xml:space="preserve">was ſie ſuchten, war eine Maſchine, die ſich durch <lb/>eine ihr einmal erteilte Kraft bewegt und ſich in dieſer Be-<lb/>wegung ſelbſt wiederum die Kraft zurück giebt, um ſich aufs <lb/>neue in Gang zu bringen.</s> <s xml:id="echoid-s3802" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3803" xml:space="preserve">Die Erfindung eines ſogenannten “Perpetuum mobile”, <pb o="11" file="325" n="325"/> eines ſich ewig bewegenden Dinges, gehört wohl noch heute <lb/>zu den träumeriſchen Wünſchen vieler jungen Menſchen, die <lb/>die Vorhallen der mechaniſchen Wiſſenſchaft betreten, obwohl <lb/>man in Vorausſicht ſolcher Träume einen Jeden davor warnt, <lb/>ſich mit bewieſenen Unmöglichkeiten zu befaſſen.</s> <s xml:id="echoid-s3804" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3805" xml:space="preserve">Und dennoch muß man nach dem Stande der neueren <lb/>Wiſſenſchaft ſagen, daß diejenigen, die das Perpetuum mo-<lb/>bile ſuchten, von einem dunklen Bewußtſein eines richtigen Ge-<lb/>dankens getrieben wurden, nämlich von dem Gedanken, daß <lb/>die einmal einer Maſchine verliehene Kraft nicht verloren gehe, <lb/>alſo möglicherweiſe immer aufs neue zur Bewegung der <lb/>Maſchine benutzt werden könne; </s> <s xml:id="echoid-s3806" xml:space="preserve">dahingegen beruhen die Be-<lb/>weiſe der Unmöglichkeit, ſo richtig ſie an ſich ſind, doch auf <lb/>der irrigen Vorausſetzung, daß ein gewiſſer Teil der Kraft <lb/>bei jeder Maſchine, wie ſie auch beſchaffen ſei, verloren gehen <lb/>müſſe.</s> <s xml:id="echoid-s3807" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3808" xml:space="preserve">Weil dem aber ſo iſt, darum iſt es für den jetzigen Stand <lb/>der Wiſſenſchaften geboten, die Akten noch einmal zu revidieren, <lb/>den Irrtum der Sucher des Perpetuum mobile richtiger nach-<lb/>zuweiſen, und den Irrtum in der Vorausſetzung des alten <lb/>Beweiſes auf ſein richtiges Maß zurückzuführen.</s> <s xml:id="echoid-s3809" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3810" xml:space="preserve">Die gewöhnlichen Irrtümer der Menſchen, die das Per-<lb/>petuum mobile ſuchten, ſind ſehr leicht zu verfolgen. </s> <s xml:id="echoid-s3811" xml:space="preserve">Sie be-<lb/>ruhen in der Regel auf dem Mißverſtän<unsure/>dnis, das der Anblick <lb/>jedes gewöhnlichen Hebels in demjenigen veranlaßt, der die <lb/>Geſetze desſelben nicht genau kennt. </s> <s xml:id="echoid-s3812" xml:space="preserve">— Wer da ſieht, wie ein <lb/>Menſch mit der gewöhnlichen Kraft ſeines Armes vermittelſt <lb/>eines angewandten Hebels im ſtande iſt, ungemein große Maſſen <lb/>zu heben und zu bewegen, der kommt natürlich auf den Ge-<lb/>danken, daß man durch den Hebel wirklich an Kraft gewinne, <lb/>und da die Räderwerke aller erdenklichen Maſchinen nur auf <lb/>dem Vorteil beruhen, den der Hebel gewährt, ſo ſtellt man ſich <lb/>ſehr leicht vor, daß man eine Maſchine machen könne, welche, <pb o="12" file="326" n="326"/> wenn man ſie in Gang ſetzt, eine beliebig große Laſt hebe, <lb/>und daß man dann wiederum dieſe gehobene Laſt benutzen <lb/>könne, um die Maſchine wie ein Uhrwerk durch ein Gewicht <lb/>wiederum in Gang zu bringen, um das treibende Gewicht noch <lb/>einmal zu heben.</s> <s xml:id="echoid-s3813" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3814" xml:space="preserve">All’ ſolche und ähnliche Projekte beruhen jedoch auf der <lb/>Unkenntnis des eigentlichen Weſens der Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s3815" xml:space="preserve">— Eine Kraft <lb/>kann nicht gemeſſen werden an der Laſt, die ſie zu heben im <lb/>ſtande iſt, denn wir ſehen an dem Hebel, daß eine geringe <lb/>Kraft am langen Ende eine ſehr große Laſt am kurzen Hebel-<lb/>Ende heben und bewegen kann. </s> <s xml:id="echoid-s3816" xml:space="preserve">Eine Kraft muß vielmehr zu-<lb/>gleich gemeſſen werden an dem <emph style="sp">Raum</emph>, durch den man eine <lb/>Laſt zu heben im ſtande iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3817" xml:space="preserve">Laſt und Raum, oder was das-<lb/>ſelbe iſt: </s> <s xml:id="echoid-s3818" xml:space="preserve"><emph style="sp">Maſſe und Geſchwindigkeit zuſammen</emph>, die <lb/>geben erſt den Maßſtab der Kraft ab, und da zeigt ſich’s denn <lb/>bei allen Hebel- und Räderwerken aller Maſchinen der Welt, <lb/>daß man durch ſie nur eines auf Koſten des andern gewinnen <lb/>kann, daß man durch eine Kraft entweder große Maſſen heben <lb/>kann, aber mit <emph style="sp">verminderter Geſchwindigkeit</emph>, oder eine <lb/>ſehr große Geſchwindigkeit der Bewegung erzielen kann, aber <lb/>nur mit um eben ſo viel <emph style="sp">verminderter Maſſe</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s3819" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3820" xml:space="preserve">Die Geſetze des Hebels ſind ſo einfach, daß man an dieſem <lb/>die gewöhnlichen Irrtümer der Perpetuummobile-Verfertiger <lb/>ſehr leicht deutlich machen kann.</s> <s xml:id="echoid-s3821" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3822" xml:space="preserve">Ein Hebel beſteht aus einer Stange, die, wie ein Wage-<lb/>balken, einen Stütz- oder Drehpunkt hat, in welchem man die <lb/>Stange auf und nieder bewegen kann. </s> <s xml:id="echoid-s3823" xml:space="preserve">Legt man dieſen Wage-<lb/>balken ſo, daß ſein eines Ende dem Drehpunkt nahe und ſein <lb/>anderes Ende dem Drehpunkt fern iſt, ſo hat man einen <lb/>Hebel mit einem kurzen und einem langen Ende, oder, wie <lb/>man es wiſſenſchaftlich nennt, mit einem kurzen und einem <lb/>langen Arm. </s> <s xml:id="echoid-s3824" xml:space="preserve">Nun kann man freilich an das kurze Ende eine <lb/>große Laſt anhängen, und man wird gewahren, daß eine geringe <pb o="13" file="327" n="327"/> Kraft am langen Ende hinreicht, die große Laſt zu heben; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3825" xml:space="preserve">aber wenn man ſeine Aufmerkſamkeit auf den <emph style="sp">Raum</emph> richtet, <lb/>den die Laſt auf dem einen und die Kraft auf dem andern <lb/>Hebelarm durchgemacht hat, ſo wird man finden, daß der Weg <lb/>der großen Laſt <emph style="sp">klein</emph> und der Weg der kleinen Kraft <emph style="sp">groß</emph> <lb/>war, oder bei noch genauerer Betrachtung, daß man bei dem <lb/>kurzen Hebelarm genau ſo viel an <emph style="sp">Geſchwindigkeit ein-<lb/>büßt</emph>, wie man an <emph style="sp">Laſt gewinnt</emph>, und umgekehrt am langen <lb/>Hebel genau ſo viel an Raum hat zulegen müſſen, als man an <lb/>Kraft erſpart hat.</s> <s xml:id="echoid-s3826" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3827" xml:space="preserve">Hieraus ergiebt ſich denn, daß alle gewöhnlichen Verſuche, <lb/>ein mechaniſches Perpetuum mobile zu machen, durch welches <lb/>Kraft gewonnen wird, vergeblich ſind, und in dieſer Beziehung <lb/>hat auch die Wiſſenſchaft ſchon ſeit lange alle ſolche Träume <lb/>als gegenſtandslos nachgewieſen. </s> <s xml:id="echoid-s3828" xml:space="preserve">Und eine Uhr, die ſich ſelber <lb/>aufzieht, iſt ein ſolcher Traum, der nicht zu verwirklichen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s3829" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3830" xml:space="preserve">Anders indeſſen verhält es ſich mit den Hinderniſſen ſolcher <lb/>Verſuche, welche nicht auf Gewinn an Kraft durch Maſchinen <lb/>ausgingen, ſondern auf Erhaltung der einmal erteilten Be-<lb/>wegungskraft abzielten.</s> <s xml:id="echoid-s3831" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3832" xml:space="preserve">Hierin iſt bisher der Nachweis der Unmöglichkeit auf einer <lb/>unrichtigen Anſchauung gegeben worden, und jetzt, wo wir den <lb/>Grundſatz kennen, daß Kraft ſtets Kraft bleibe und nie ver-<lb/>loren gehe, muß man die Unmöglichkeit einer ewig in Be-<lb/>wegung zu erhaltenden Vorrichtung auf die richtigeren Urſachen <lb/>zurückführen.</s> <s xml:id="echoid-s3833" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3834" xml:space="preserve">Indem wir dies nunmehr thun wollen, werden wir zu-<lb/>gleich auf die angeregte Frage, mit der wir dieſen Abſchnitt <lb/>begonnen haben, die richtige Antwort erteilen können.</s> <s xml:id="echoid-s3835" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="14" file="328" n="328"/> </div> <div xml:id="echoid-div178" type="section" level="1" n="114"> <head xml:id="echoid-head130" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Von der Reibung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3836" xml:space="preserve">Das einfachſte Inſtrument für ein Perpetuum mobile, das <lb/>man herſtellen könnte, wäre, wenn überhaupt ein ſolches mög-<lb/>lich, ein gewöhnlicher <emph style="sp">Kreiſel</emph>, der als intereſſantes Kinder-<lb/>ſpielzeug bekannt genug iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3837" xml:space="preserve">Setzt man einen ſolchen, ſei es <lb/>durch eine Schnur, ſei es mit den Fingern in Gang, ſo dreht <lb/>er ſich mit der ihm anfangs erteilten Geſchwindigkeit um ſeine <lb/>aufrechtſtehende Axe; </s> <s xml:id="echoid-s3838" xml:space="preserve">ja, er ſtellt ſich auch während ſeines <lb/>ſchnelleren Ganges aufrecht hin, ſelbſt wenn er anfangs ein <lb/>wenig ſchief aufgeſetzt worden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3839" xml:space="preserve">Erſt nach einiger Zeit be-<lb/>merkt man, daß ſeine Drehungsgeſchwindigkeit abnimmt, und <lb/>nach einigem Schwanken und Taumeln fällt er um, und die <lb/>Kraft, welche ihn getrieben hat, ſcheint verloren zu ſein.</s> <s xml:id="echoid-s3840" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3841" xml:space="preserve">So alltäglich ein ſolches Kinderſpielzeug iſt, ſo außer-<lb/>ordentlich lehrreich ſind einzelne Erſcheinungen, die es bei ſeiner <lb/>Bewegung zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s3842" xml:space="preserve">Namentlich iſt das ſelbſtändige Aufrichten <lb/>der Axe während der ſchnelleren Drehung des Kreiſels ein <lb/>Phänomen, welches die bedeutendſten Naturforſcher erſt mit <lb/>vielem Scharfſinn und nach Anwendung der höheren Mechanik <lb/>vollſtändig erklären konnten. </s> <s xml:id="echoid-s3843" xml:space="preserve">Schon der Gründer der höheren <lb/>Mathematik, <emph style="sp">Euler</emph>, hat ſich mit dieſer Erſcheinung beſchäf-<lb/>tigt, und <emph style="sp">Magnus</emph> und <emph style="sp">Feſſel</emph> haben es nicht der Mühe un-<lb/>wert erachtet, durch ein ſehr ſinu<unsure/>reiches Inſtrument, das im <lb/>Prinzip auch nur ein Kreiſel iſt, die Geſetze der ſelbſtändigen <lb/>Bewegungen einer Drehungsaxe recht anſchaulich zu machen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3844" xml:space="preserve">Ja, ein auf einem ähnlichen Prinzip beruhendes Inſtrument, <lb/>das eine in zwei Ringen ſich drehende Kugel darſtellt, hat be-<lb/>reits anfangs dieſes Jahrhunderts dem Aſtronomen <emph style="sp">Benzen-<lb/>berg</emph> die Möglichkeit gewährt, nachzuweiſen, wie auch unſere <lb/>an den Polen abgeplattete Erde ein ſolcher Kinderkreiſel iſt, <lb/>deſſen Axe alle neunzehn Jahre eine eben ſolche kleine Schwan- <pb o="15" file="329" n="329"/> kung durchmacht, und wie dadurch in dem ſcheinbaren Umlauf <lb/>des Mondes eine kleine Veränderung eintritt, die mit in die <lb/>Berechnungen des Mondlaufes aufgenommen werden muß.</s> <s xml:id="echoid-s3845" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3846" xml:space="preserve">Um uns indeſſen von unſerem Thema nicht zu entfernen, <lb/>wollen wir dieſe intereſſante Seite in der Bewegung eines <lb/>Kreiſels ganz außer acht laſſen, unter der Annahme, daß ſeine <lb/>Axe ſoſort kerzengerade aufrecht ſteht und uns nur mit der <lb/>Frage beſchäftigen, weshalb ſeine Drehung nach und nach <lb/>langſamer wird und endlich ganz aufhört?</s> <s xml:id="echoid-s3847" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3848" xml:space="preserve">Hierüber geben alle wiſſenſchaftlichen Werke den Aufſchluß, <lb/>daß in dem Kreiſel ſelber nicht der Grund liege. </s> <s xml:id="echoid-s3849" xml:space="preserve">Ein Kreiſel, <lb/>einmal in Drehung verſetzt, hat in der That den beſten Willen <lb/>für ewig ſeine Bewegung beizubehalten; </s> <s xml:id="echoid-s3850" xml:space="preserve">es iſt dies jedoch nur <lb/>deshalb nicht der Fall, weil ſich dieſer Bewegung <emph style="sp">Hinder-<lb/>niſſe</emph> entgegenſtellen, welche ſie fortdauernd ſtören und die <lb/>Kraft der Umdrehung vermindern und immer mehr vermindern, <lb/>bis der Kreiſel ganz kraftlos zuletzt umſinkt. </s> <s xml:id="echoid-s3851" xml:space="preserve">Dieſe unan-<lb/>genehmen Hinderniſſe bieten nun erſtens die Luft, in der der <lb/>Kreiſel ſich bewegt, und zweitens die Reibung, welche ſowohl <lb/>der Fuß des Kreiſels wie auch die Stelle des Bodens erleidet, <lb/>auf welcher er ſeinen Tanz ausführt, und dieſe Hinderniſſe <lb/>ſind gewiſſermaßen wie <emph style="sp">Gegenkräfte</emph> anzuſehen. </s> <s xml:id="echoid-s3852" xml:space="preserve">Zwar iſt es <lb/>richtig, daß dieſe Gegenkräfte an ſich viel ſchwächer ſind als <lb/>der urſprüngliche Antrieb des Kreiſels zur Bewegung; </s> <s xml:id="echoid-s3853" xml:space="preserve">allein <lb/>der Kreiſel hat nur <emph style="sp">einmal</emph> einen Antrieb von unſerer Hand <lb/>erhalten, während dieſe Hinderniſſe oder Gegenkräfte <emph style="sp">fort-<lb/>dauern</emph>, und es geht ihm da wie einem Faſſe, das mit einem <lb/>Male am Brunnen ganz voll gefüllt, ſich wenig aus einem <lb/>kleinen Loch im Boden machen mag, wo das Waſſer tropfen-<lb/>weis ausfließt; </s> <s xml:id="echoid-s3854" xml:space="preserve">aber da der Brunnen das Faß nicht immer <lb/>aufs neue füllt, dagegen das kleine Loch am Boden immer-<lb/>während exiſtiert, wird es endlich doch leer.</s> <s xml:id="echoid-s3855" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3856" xml:space="preserve">Die Sache an ſich hat auch ihre Richtigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s3857" xml:space="preserve">Es iſt wirk- <pb o="16" file="330" n="330"/> lich die Luft und die Reibung zwiſchen der Spitze und der <lb/>Stelle, wo ſie ſich dreht, welche die Bewegungskraft des <lb/>Kreiſels vermindern. </s> <s xml:id="echoid-s3858" xml:space="preserve">Ein Kreiſel erhält ſich viel länger in <lb/>Bewegung, wenn man ihn in luftleerem Raume tanzen läßt <lb/>und durch Glätten der Ebene, worauf er tanzt, die Reibung <lb/>vermindert. </s> <s xml:id="echoid-s3859" xml:space="preserve">Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß wenn man <lb/>dieſe Hinderniſſe vollſtändig beſeitigen könnte, ein in Bewegung <lb/>geſetzter Kreiſel garnicht aufhören würde, ſich um ſeine Axe <lb/>zu drehen; </s> <s xml:id="echoid-s3860" xml:space="preserve">und das wäre keine Kleinigkeit und keine leere <lb/>Spielerei; </s> <s xml:id="echoid-s3861" xml:space="preserve">denn ſolch ein Kreiſel würde, wenn man ihn ſamt <lb/>der Unterlage, worauf er tanzt, transportierte, ſeine Axenſtellung <lb/>auch beibehalten und es läßt ſich nachweiſen, daß er den <lb/>Längengrad wie den Breitengrad jedes Ortes, wo man ihn <lb/>hinbringt, ohne alle aſtronomiſche Beobachtung und ohne alle <lb/>Rechnung anzeigen würde.</s> <s xml:id="echoid-s3862" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3863" xml:space="preserve">Ganz dieſelben Feinde der ewigen Bewegung, die ſich dem <lb/>Kreiſel entgegenſtellen, haben ſich auch gegen ein zweites ſehr <lb/>einfaches Inſtrument, gegen das <emph style="sp">Pendel</emph>, verſchworen. </s> <s xml:id="echoid-s3864" xml:space="preserve">Ein <lb/>Pendel, das wir aus ſeiner Ruhelage verſchieben, um es dann <lb/>ſich ſelber oder richtiger der Anziehung der Erde zu überlaſſen, <lb/>ſchwingt zurück in ſeinen Ruhepunkt und vermöge der Ge-<lb/>ſchwindigkeit ſeines Laufes noch über dieſen hinaus. </s> <s xml:id="echoid-s3865" xml:space="preserve">Die <lb/>ſicherſte Berechnung zeigt nun, daß das Pendel im Aufſteigen <lb/>eigentlich genau auf der anderen Seite ſo hoch aufſchwingen <lb/>müßte, wie wir es auf der einen gehoben haben, und dann <lb/>müßte es zurück und immer und ewig denſelben Boden ohne <lb/>Ruhe und Raſt hin und her pendeln, wie es einem ordentlich <lb/>regelrechten Perpetuum mobile zukommt.</s> <s xml:id="echoid-s3866" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3867" xml:space="preserve">Wenn dies nicht der Fall iſt, ſo haben auch wiederum <lb/>die Luft und die Reibung Schuld, die am Aufhängepunkt <lb/>ſtattfindet. </s> <s xml:id="echoid-s3868" xml:space="preserve">Man kann die Wirkung dieſer Feinde vermindern, <lb/>und dann hält auch die Bewegung des Pendels ſehr lange an; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3869" xml:space="preserve">aber ganz beſeitigen laſſen ſie ſich nicht, und darum wird der <pb o="17" file="331" n="331"/> Schwingungsboden des Pendels immer kleiner und kleiner, <lb/>bis es endlich wieder in Ruhe kommt.</s> <s xml:id="echoid-s3870" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3871" xml:space="preserve">All dies iſt mathematiſch ſo ſicher erwieſen, das man <lb/>gegen dieſe Thatſache nichts mehr geltend machen kann. </s> <s xml:id="echoid-s3872" xml:space="preserve">Ein <lb/>Perpetuum mobile, durch welches man an Kraft gewinnen will, <lb/>iſt platterdings unmöglich; </s> <s xml:id="echoid-s3873" xml:space="preserve">aber auch ein ſolches, durch welches <lb/>man nur die einmal erteilte Kraft dauernd erhalten will, iſt <lb/>ebenfalls nicht herzuſtellen; </s> <s xml:id="echoid-s3874" xml:space="preserve">denn jede Bewegung findet in der <lb/>Luft und in dem Material, wo ſich bewegte und unbewegte <lb/>Maſſe berühren, ein Hindernis, einen ſtationären Feind vor, <lb/>der Reibung heißt und dieſe, wenn auch noch ſo gering, wird <lb/>doch, weil ſie immer am Platze iſt, endlich jeder einmal er-<lb/>teilten Bewegungskraft Herr.</s> <s xml:id="echoid-s3875" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3876" xml:space="preserve">Iſt dem aber einmal ſo, nun ſo lohnt es ſich gewiß, ein-<lb/>mal den Feind, dieſe Reibung, ernſtlich zu betrachten und zu <lb/>ſehen, ob er denn wirklich ſolch’ ein Kraftvertilger iſt, als <lb/>welcher er bisher in der Mechanik ſehr ſchwarz angeſchrieben <lb/>ſteht. </s> <s xml:id="echoid-s3877" xml:space="preserve">Es lohnt ſich danach zu forſchen, da dieſer Feind bis zu <lb/>den Forſchungen der neueren Zeit immer etwas rätſelhaft ge-<lb/>blieben iſt und ſich’s jetzt herausgeſtellt, daß er gar nicht ſo <lb/>böſe, ſondern <emph style="sp">grundehrlich</emph> iſt und in Wahrheit all’ die <lb/>Kräſte, die er ſchon verſchluckt haben ſoll, ſtets aufs redlichſte <lb/>und pünktlichſte bewahrt und weiter gegeben hat und noch <lb/>giebt. </s> <s xml:id="echoid-s3878" xml:space="preserve">Die ganze Vorausſetzung der Kraftverzehrung und <lb/>Kraftzerſtörung iſt falſch, ſo daß man der Reibung Abbitte <lb/>thun und ihre Erſcheinung auf das wahre Maß zurückführen <lb/>muß, nach welchem Kraft Kraft iſt und Kraft bleibt und nur <lb/>Formen annimmt, unter welchen man ſie bis jetzt nicht in <lb/>ihrer Exiſtenz erkannt hat.</s> <s xml:id="echoid-s3879" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3880" xml:space="preserve">Und mit dieſer Betrachtung werden wir nunmehr friſch in <lb/>unſer Thema hineinkommen.</s> <s xml:id="echoid-s3881" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3882" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s3883" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s3884" xml:space="preserve">Volksbücher XIX.</s> <s xml:id="echoid-s3885" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="18" file="332" n="332"/> </div> <div xml:id="echoid-div179" type="section" level="1" n="115"> <head xml:id="echoid-head131" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die Neibung und die Wärme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3886" xml:space="preserve">Indem man lange Zeiten die Reibung mit vollem Rechte <lb/>als abgeſagte Feindin jedes Perpetuum mobile betrachtete, <lb/>machte man ſie zugleich zur unerſättlichen Verzehrerin aller <lb/>Kräfte; </s> <s xml:id="echoid-s3887" xml:space="preserve">bis dann in neuerer Zeit die Wiſſenſchaft dahinter kam, <lb/>daß die Reibung in dieſer Beziehung ganz unſchuldig ver-<lb/>leumdet wird und ſo redlich wie was in der Welt jede an ſie <lb/>ſcheinbar verloren gehende Kraft getreulichſt bewahre und nur <lb/>in veränderter und unbeachteter Form wiederum anderweitig <lb/>in Wirklichkeit ſetze.</s> <s xml:id="echoid-s3888" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3889" xml:space="preserve">Reibung entſteht allenthalben, wo man eine Maſſe in Be-<lb/>wegung verſetzt, und zwar findet eine Reibung dort ſtatt, wo <lb/>die Maſſe, die ſich bewegt, in Berührung iſt mit unbewegten <lb/>Maſſen. </s> <s xml:id="echoid-s3890" xml:space="preserve">Der Grund dieſer Erſcheinung liegt darin, daß <lb/>allenthalben, wo zwei Maſſen ſich berühren, ſie ſich gegenſeitig <lb/>anziehen; </s> <s xml:id="echoid-s3891" xml:space="preserve">will man nun eine feſte Maſſe an der anderen fort-<lb/>bewegen, ſo hat man außer der Kraft, die die Bewegung er-<lb/>fordert, noch eine zweite Kraft nötig, um die Anziehung der <lb/>zwei Maſſen an einander zu überwinden. </s> <s xml:id="echoid-s3892" xml:space="preserve">Dies iſt ſchon der <lb/>Fall, wenn die Flächen, welche ſich berühren, ganz glatt ſind; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3893" xml:space="preserve">ſind die Berührungsflächen aber gar rauh und uneben, ſo wird <lb/>die Bewegung an einander nur noch ſchwieriger, und es kann <lb/>dieſelbe oft nur ſtattfinden unter einem ſehr gewaltſamen Ab-<lb/>reiben, einem Losreißen, einem Abſchleifen der rauhen Teilchen, <lb/>was freilich eine noch bedeutende Kraft erfordert. </s> <s xml:id="echoid-s3894" xml:space="preserve">— Des-<lb/>gleichen findet auch eine Reibung ſtatt, wenn ſich eine Maſſe <lb/>durch das Waſſer oder durch die Luft bewegt. </s> <s xml:id="echoid-s3895" xml:space="preserve">Zwar iſt ſie <lb/>in ſolchem Falle viel geringfügiger, als bei der Reibung <lb/>zwiſchen zwei feſten Maſſen, aber ſie iſt doch unter allen Um-<lb/>ſtänden vorhanden und nachweisbar. </s> <s xml:id="echoid-s3896" xml:space="preserve">Die Reibung, das iſt <lb/>alſo ganz richtig, ſetzt jeder Bewegung ein Hindernis in den <pb o="19" file="333" n="333"/> Weg, ja es ſteht feſt, daß, wenn der außerordentlich feine Äther <lb/>des Weltraumes eine Reibung in den Bewegungen der Himmels-<lb/>körper erzeugt, dereinſt einmal auch dieſes Hindernis dem Lauf <lb/>ſämtlicher Planeten, Monde, Kometen, Sonnen und Fixſterne <lb/>einen Stillſtaud gebieten wird.</s> <s xml:id="echoid-s3897" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3898" xml:space="preserve">All’ das, was wir hier von der Reibung ſagen, und noch <lb/>eine ganze Reihe von Geſetzen über die Zunahme derſelben <lb/>mit der Geſchwindigkeit und dem Druck und ihrem verſchiedenen <lb/>Verhältnis bei verſchiedenen Maſſen, all’ das hat man in der <lb/>Wiſſenſchaft ſchon ſeit recht langer Zeit richtig erklärt und er-<lb/>örtert; </s> <s xml:id="echoid-s3899" xml:space="preserve">aber über zwei Dinge, die bei jeder Reibung zur <lb/>Sprache gebracht werden müſſen, ſchlüpfte man doch etwas <lb/>leicht hinweg.</s> <s xml:id="echoid-s3900" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3901" xml:space="preserve">Auf die Frage: </s> <s xml:id="echoid-s3902" xml:space="preserve">wo bleibt die Kraft? </s> <s xml:id="echoid-s3903" xml:space="preserve">hat man ſich nie <lb/>gern eingelaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s3904" xml:space="preserve">Die Frage klingt <emph style="sp">philoſophiſch</emph>, und ſeit-<lb/>dem die ſogenannte Natur-Philoſophie in dem erſten Viertel <lb/>unſeres Jahrhunderts wahrhaft verwüſtend auf alles, was Geiſt <lb/>und Wiſſen heißt, eingewirkt hat, iſt eine Frage, die philo-<lb/>ſophiſch klingt, im ſtande, Dutzende von Naturforſchern in die <lb/>weite Flucht zu jagen. </s> <s xml:id="echoid-s3905" xml:space="preserve">— In dieſer Beziehung ließ man es <lb/>alſo bei der Vorſtellung, daß die Kraft von der Reibung <lb/><emph style="sp">verzehrt</emph> werde. </s> <s xml:id="echoid-s3906" xml:space="preserve">— Zudem aber zeigt ſich noch eine zweite <lb/>Erſcheinung bei der Reibung, welche nichts von Philoſophie <lb/>an ſich hat, aber doch ſtets ſehr nebenſächlich behandelt wurde, <lb/>und das iſt die bei jeder Reibung entſtehende Wärme.</s> <s xml:id="echoid-s3907" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3908" xml:space="preserve">Daß Alles, was man reibt, warm wird, das wiſſen ſchon <lb/>alle Kinder, die ſich’s in den Kopf ſetzen, auch einmal wie die <lb/>Wilden oder wie der heißgeliebte Robinſon durch Reiben zweier <lb/>Hölzer Feuer anzumachen. </s> <s xml:id="echoid-s3909" xml:space="preserve">Die Naturwiſſenſchaft hat denn <lb/>auch von je dieſer Erſcheinung ihre Aufmerkſamkeit geſchenkt; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3910" xml:space="preserve">aber es war eine <emph style="sp">geteilte</emph> Aufmerkſamkeit, die zur Hälfte in <lb/>der <emph style="sp">Mechanik</emph> ſteckt, wohin die Reibung gehört, und zur Hälfte <lb/>in der <emph style="sp">Phyſik</emph>, wo die Wärme ihren Platz findet; </s> <s xml:id="echoid-s3911" xml:space="preserve">und wie <pb o="20" file="334" n="334"/> es bei ſolcher Teilung oft zu gehen pflegt, kam man an beiden <lb/>Quellen zu kurz; </s> <s xml:id="echoid-s3912" xml:space="preserve">in der Mechanik hieß es “ſiehe Phyſik” und <lb/>in der Phyſik hieß es “ſiehe Mechanik”, und wenn man Beides <lb/>angeſehen hatte, blieb man in der Regel ſo klug wie zuvor.</s> <s xml:id="echoid-s3913" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3914" xml:space="preserve">Da kam denn der ſchon von uns erwähnte Arzt und Natur-<lb/>forſcher I. </s> <s xml:id="echoid-s3915" xml:space="preserve">R. </s> <s xml:id="echoid-s3916" xml:space="preserve"><emph style="sp">Mayer</emph> zu Heilbronn auf den guten Gedanken, <lb/>beide dunkel gebliebene Konto’s der Reibung einmal gegen <lb/>einander zu halten. </s> <s xml:id="echoid-s3917" xml:space="preserve">— Auf der einen Seite im Debet ſtand: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3918" xml:space="preserve">ſie verzehrt <emph style="sp">Kraft</emph>; </s> <s xml:id="echoid-s3919" xml:space="preserve">auf der anderen Seite mußte man ihr ins <lb/>Kredit ſchreiben: </s> <s xml:id="echoid-s3920" xml:space="preserve">ſie erzeugt Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s3921" xml:space="preserve">Da lag doch wahrhaftig <lb/>der Gedanke nahe, daß möglicherweiſe von beiden Rätſeln ein <lb/>jedes die Löſung des andern ſein könne und eben die ſo ge-<lb/>nannte Kraftverzehrung am Ende die beſte Wärme-Erzeugung <lb/>ſein möchte.</s> <s xml:id="echoid-s3922" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3923" xml:space="preserve">Und richtig: </s> <s xml:id="echoid-s3924" xml:space="preserve">ſo iſt es.</s> <s xml:id="echoid-s3925" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3926" xml:space="preserve">Der Gedanke, den Mayer — beiläufig geſagt, ein ver-<lb/>dienſtvoller Schüler Liebig’s — herausfand und den er wiſſen-<lb/>ſchaftlich näher entwickelte, blieb lange Zeit noch unbeachtet, <lb/>bis gleichzeitig mehrere Gelehrte denſelben wieder aufnahmen, <lb/>und zwar jetzt mit dem beſten und ſicherſten Erfolge, denn <lb/>jetzt, wo man dahinter kam, daß Kraft, die man ſonſt verloren <lb/>und als verlierbar annahm, doch in verſteckter Natur wo <lb/>exiſtiere, da ging man weiter und über die Wärme hinaus, <lb/>und die Unterſuchungen ergaben nun, daß eine ganze Reihe <lb/>anderer Erſcheinungen, die man verſchiedenen Kräften zuſchrieb, <lb/>wie elektriſche Kraft, magnetiſche Kraft, chemiſche Kraft <lb/>u. </s> <s xml:id="echoid-s3927" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3928" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s3929" xml:space="preserve">doch immer nur verſchiedene Formen ſeien, unter <lb/>welchen das Ding, das man Kraft nennt, ſich verſteckt, wäh-<lb/>rend Kraft ſelber eben ſo unverwüſtlich ſei wie ein Atom <lb/>Materie.</s> <s xml:id="echoid-s3930" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3931" xml:space="preserve"><emph style="sp">Wärme iſt Kraft</emph>! Sie ſieht zwar anders aus, aber das <lb/>thut nichts; </s> <s xml:id="echoid-s3932" xml:space="preserve">ſie verwandelt ſich und wird auch zuweilen wieder <lb/>ſo erkennbar, daß jedes Kind ſie wieder als Kraft annimmt, <pb o="21" file="335" n="335"/> — Was wir hier ſagen, iſt nicht eine bloß philoſophiſch <lb/>ſpekulative Redensart, ſondern, wie wir nunmehr zeigen werden, <lb/>eine ſehr praktiſch reale Thatſache, die man mit dem Zollſtock <lb/>in der Hand und mit dem Gewicht in der Schale jedem be-<lb/>weiſen kann. </s> <s xml:id="echoid-s3933" xml:space="preserve">— Um aber für heute einmal ein Stück Rundlauf <lb/>der Kraft unter verſchiedenen Bekleidungen vorzuführen und <lb/>zunächſt von dem Kreiſel und dem Perpetuum mobile Abſchied <lb/>zu nehmen, wollen wir nun Folgendes ſagen:</s> <s xml:id="echoid-s3934" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3935" xml:space="preserve">Ein Kind, das mit dem Kreiſel ſpielt, giebt ihm Be-<lb/>wegungskraft aus ſeinem lebendigen Arm. </s> <s xml:id="echoid-s3936" xml:space="preserve">Wo bleibt die Kraft, <lb/>wenn der Kreiſel umgefallen iſt? </s> <s xml:id="echoid-s3937" xml:space="preserve">— Sie iſt durch die Reibung <lb/>zur Wärme geworden, die nach und nach durch Strahlung auf <lb/>die Luft übergeht, die durch Wärme ausgedehut wird.</s> <s xml:id="echoid-s3938" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3939" xml:space="preserve">Ausgedehnte, warme Luft nimmt leicht Feuchtigkeit von <lb/>den Gewäſſern auf und geht mit ihnen über Land und Feld <lb/>dahin. </s> <s xml:id="echoid-s3940" xml:space="preserve">Durch irgend einen Umſtand verwandelt ſich die Feuchtig-<lb/>keit in warmen Regen und fällt befruchtend auf junges Korn <lb/>nieder. </s> <s xml:id="echoid-s3941" xml:space="preserve">Und das Korn wächſt und reift hierdurch, und eines <lb/>ſchönen Tages wird es vom Kinde wieder zum Frühſtück ver-<lb/>zehrt, wodurch ſein Arm wiederum Kraft bekommt, um den <lb/>Kreiſel in Bewegung zu ſetzen!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3942" xml:space="preserve">Das iſt freilich kein Perpetuum mobile, das all’ die <lb/>klügelnden Grübler geſucht haben, aber es iſt doch ein <lb/>Stückchen Bild des Rundlaufes von ewig wirkender Kraft, <lb/>welches wirklich, wenn auch nicht in ſo einfacher Weiſe, wie <lb/>wir es angegeben, exiſtiert.</s> <s xml:id="echoid-s3943" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div180" type="section" level="1" n="116"> <head xml:id="echoid-head132" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Wie Wärme nur verwandelte Kraft iſt.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3944" xml:space="preserve">Mit dem bloßen Gedanken, daß während der Reibung die <lb/>Kraft ſich nicht verliert, ſondern nur eine andere Erſcheinung <pb o="22" file="336" n="336"/> annimmt und ſich aus der Form der Bewegung in die der <lb/>Wärme verwandelt, mit dieſem bloßen Gedanken war nicht viel <lb/>gethan; </s> <s xml:id="echoid-s3945" xml:space="preserve">es mußten vielmehr noch zwei Hauptarbeiten geleiſtet <lb/>werden, ohne welche die ſehr ketzeriſche Geſellſchaft der Natur-<lb/>forſcher ſelbſt den ſchönſten Gedanken ungläubig von ſich weiſt.</s> <s xml:id="echoid-s3946" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3947" xml:space="preserve">Vorerſt mußte durch Verſuche feſtgeſtellt und durch <lb/>Meſſungen und Beobachtungen dargethan werden, daß wirklich <lb/>auch ſo viel an Wärme gewonnen wird, als an Bewegungskraft <lb/>verloren geht. </s> <s xml:id="echoid-s3948" xml:space="preserve">Und dieſe Aufgabe war eben nicht klein, weil man <lb/>bis dahin gar kein Mittel hatte, Kraft und Wärme auf einen <lb/>uu<unsure/>d denſelben Maßſtab zurückzuführen, um ihre Werte gegen-<lb/>einander zu vergleichen. </s> <s xml:id="echoid-s3949" xml:space="preserve">— Sodann aber mußte die Theorie <lb/>ausgebildet und die mathematiſche Berechnung als Probe der-<lb/>ſelben angewandt werden; </s> <s xml:id="echoid-s3950" xml:space="preserve">denn ſo iſt es einmal, daß erſt <lb/>durch dieſer zweier Zeugen Mund, durch <emph style="sp">Verſuch</emph> und durch <lb/>Rechnung, vor dem Tribunal der Naturwiſſenſchaft die Wahr-<lb/>heit kund wird.</s> <s xml:id="echoid-s3951" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3952" xml:space="preserve">Die Verſuche ſind nun in folgender Weiſe angeſtellt <lb/>worden.</s> <s xml:id="echoid-s3953" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3954" xml:space="preserve">Man wußte ſchon längſt, daß allenthalben bei Bewegungen <lb/>Reibung und infolgedeſſen auch Wärme entſteht. </s> <s xml:id="echoid-s3955" xml:space="preserve">Schon der <lb/>große <emph style="sp">Laplace</emph> hatte nachgerechnet, daß die Fortpflanzung <lb/>der Schallwellen in der Luft ſchneller iſt, als ſie eigentlich nach <lb/>der Beſchaffenheit der Luft ſein ſollte, und gab als Grund <lb/>hierfür an, daß die Schwingungen des Schalles eine Reibung <lb/>und Erwärmung der Luft hervorbringen, durch welche die <lb/>Fortpflanzung der Schallwellen verändert wird. </s> <s xml:id="echoid-s3956" xml:space="preserve">— Desgleichen <lb/>wußte man längſt, daß eben ſo gut wie ſich feſte Körper bei <lb/>Reibungen erwärmen, auch Flüſſigkeiten beim Schütteln ſich zu <lb/>einem höheren Grad der Temperatur erheben, wie denn auch <lb/>jede Bauerfrau ſagt, daß friſch geſchlagene Buttermilch ein <lb/>bißchen “erhitzt” iſt. </s> <s xml:id="echoid-s3957" xml:space="preserve">— Nun kamen die Naturforſcher und <lb/>machten es mit Waſſer eben ſo wie die Bauernfrauen beim <pb o="23" file="337" n="337"/> Buttern, das heißt, ſie ſetzten eine Maſſe Waſſer ſo lange <lb/>einer Bewegung und Reibung aus, bis es dadurch um einen Grad <lb/>wärmer wurde alsvorher; </s> <s xml:id="echoid-s3958" xml:space="preserve">natürlich mußten ſie auch dafür ſorgen, <lb/>daß von der Wärme ſo wenig wie möglich während der Ope-<lb/>ration verloren gehe und der Verſuch, ſoviel es nur angeht, <lb/>von keinen ſtörenden Nebenerſcheinungen einen Abbruch erleide, <lb/>und nachdem ſie zu dem Reſultat kamen, daß das Waſſer <lb/>wirklich einen Grad wärmer geworden iſt, wogen ſie genau <lb/>das Gewicht des Waſſers und berechneten auch nun ſehr ſorg-<lb/>fältig die Kraft, welche es gekoſtet, das Waſſer bis zu dieſer <lb/>Erwärmung zu bringen, und da ergab ſich ihnen denn das <lb/>Reſultat, das anfangs unſeren Leſern ſonderbar klingen wird, <lb/>das aber auf den mannigfachſten Wegen der Unterſuchungen <lb/>ſich ſo vollkommen beſtätigt hat, daß man es jetzt als ein ganz <lb/>gutes, ehrliches, gewiſſenhaftes Naturgeſetz betrachten darf.</s> <s xml:id="echoid-s3959" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3960" xml:space="preserve">Dieſes Naturgeſetz lautet wie folgt: </s> <s xml:id="echoid-s3961" xml:space="preserve">“Wenn ein Menſch <lb/>ein Pfund Waſſer durch Reibung um einen Grad wärmer <lb/>machen will, als es vorher war, ſo braucht er dazu ſo viel <lb/>Kraft, wie nötig iſt, um ein Gewicht von einem Centner drei-<lb/>zehn und einen halben Fuß hoch zu heben!” —</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3962" xml:space="preserve">Wer es weiß, was für ein mißtrauiſches Völkchen dieſe <lb/>Herren Naturforſcher ſind, und wie ſie alles, was man ihnen <lb/>darthut, mit Nummer Sicher aufs Haar belegt wiſſen wollen, <lb/>der wird uns glauben, daß dieſes Reſultat nicht früher feſtgeſtellt <lb/>worden iſt, als bis der ungläubigſte Thomas, durch augenſchein-<lb/>liche Beweiſe bekehrt, es zugeben mußte. </s> <s xml:id="echoid-s3963" xml:space="preserve">— Es wurde bei jedem <lb/>Verſuch jede erdenkbare Abänderung vorgenommen und dann <lb/>auch wieder die Gegenprobe gemacht. </s> <s xml:id="echoid-s3964" xml:space="preserve">Man nahm eine Ma-<lb/>ſchine, welche die Kraft hat, dreizehn und einen halben Zentner <lb/>einen Fuß hoch zu heben, und ließ ſie ſich abarbeiten am <lb/>Schütteln eines Pfundes Waſſer, und da ergab es ſich denn auch, <lb/>daß das Waſſer dadurch um einen Grad wärmer geworden <lb/>war. </s> <s xml:id="echoid-s3965" xml:space="preserve">— Nun machte man es umgekehrt: </s> <s xml:id="echoid-s3966" xml:space="preserve">man nahm eine <pb o="24" file="338" n="338"/> Spiritus-Flamme und erhitzte damit einen kleinen Dampfkeſſel <lb/>ſo lange, bis er arbeitsfähig wurde, dann ließ man damit eine <lb/>kleine Maſchine treiben und ſtellte ihr die Aufgabe, einen <lb/>Centner auf dreizehn und einen halben Fuß hoch zu heben oder, <lb/>was ganz gleich iſt, dreizehn und einen halben Centner einen <lb/>Fuß hoch zu heben. </s> <s xml:id="echoid-s3967" xml:space="preserve">Nunmehr unterſuchte man, wie viel <lb/>Spiritus während dieſes Hebens verbraucht worden iſt, und <lb/>dann nahm man genau dieſelbe Portion Spiritus und er-<lb/>wärmte damit ein Pfund Waſſer, und da ergab es ſich denn, <lb/>daß das Pfund Waſſer nur um einen Grad davon wärmer <lb/>geworden war.</s> <s xml:id="echoid-s3968" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3969" xml:space="preserve">Man hat den Verſuch auch in ganz anderer Weiſe an-<lb/>geſtellt. </s> <s xml:id="echoid-s3970" xml:space="preserve">Man hob — natürlich durch eine geeignete Vor-<lb/>richtung — einen Hammer, der ein Pfund Gewicht hatte, einen <lb/>Fuß hoch und ließ ihn dann 1350 Mal auf ein Stück Eiſen <lb/>fallen, das dadurch erhitzt wurde, dann brachte man das heiße <lb/>Eiſen ſofort in ein Pfund Waſſer und es ergab ſich, nach <lb/>genaueſter Berechnung aller ſtörenden Nebenumſtände — wie <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s3971" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3972" xml:space="preserve">der Abkühlung zwiſchen dem erſten und letzten Hammer-<lb/>ſchlag u. </s> <s xml:id="echoid-s3973" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s3974" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s3975" xml:space="preserve">— daß das Waſſer auch um einen Grad dadurch <lb/>wärmer wurde.</s> <s xml:id="echoid-s3976" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3977" xml:space="preserve">Da es nun ausgemacht iſt, daß ein Pfund 1350 Mal <lb/>einen Fuß hoch zu heben, ebenſoviel Kraft erfordert, wie nötig <lb/>iſt, um einen Centner auf dreizehn und einen halben Fuß hoch <lb/>zu heben, und es ebenſo längſt ausgemacht iſt, daß ein Hammer <lb/>oder Stein, oder ſonſt ein Körper ebenſoviel Kraft beim Fall <lb/>äußert, wie nötig iſt, um ihn zu heben, und wiederum alle <lb/>Abänderungen der Verſuche immer auf dasſelbe Reſultat <lb/>hinausliefen, das wir eben angegeben haben, ſo darf man es <lb/>als ausgemachte Thatſache annehmen, daß Wärme nichts <lb/>Anderes iſt als Kraft in einer anderen Manier, und daß in <lb/>Fällen, wo man ſonſt meinte, es ſei Kraft verloren gegangen, <lb/>ſie ſich in Wirklichkeit nur verkleidet hatte in Wärme, welche <pb o="25" file="339" n="339"/> man ſonſt bei dergleichen Verſuchen als eine Art ungehöriges <lb/>Nebenprodukt unbeachtet gelaſſen hatte.</s> <s xml:id="echoid-s3978" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3979" xml:space="preserve">Kraft iſt alſo nicht ein Ding, das einem wie ein Stein <lb/>vom Dach nötigenfalls ein Loch in den Kopf ſchlagen kann, <lb/>ſondern es iſt nach den neueren Ergebniſſen der Wiſſenſchaft <lb/>ein Ding, das als Wärme verkleidet auf dem Tiſch in <lb/>einer Taſſe Kaffee ſteckt, zuweilen beim Schmied in einem Stück <lb/>Eiſen verborgen liegt, zuweilen in der Luft ſchwebt, zuweilen <lb/>uns zu Kopfe ſteigt, zuweilen im Ofen wirkſam iſt, zuweilen <lb/>Dampfmaſchinen treibt und wieder als Kraft im gewöhnlichen <lb/>Sinne erkennbar wird — und zuweilen, oder richtiger geſagt, <lb/>immer und von ur-ur-alters her durch die gute, liebe Sonne <lb/>erzeugt wird auf unſerm Erdball, und hier als großer, unend-<lb/>licher Lebensquell wirkſam iſt, als welchen wir ſie in der <lb/>Folge und nach einigen weiteren Vorbereitungen, noch näher <lb/>kennen lernen wollen. </s> <s xml:id="echoid-s3980" xml:space="preserve">—</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div181" type="section" level="1" n="117"> <head xml:id="echoid-head133" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Von dem ſogenannten Wärmeſtoff.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s3981" xml:space="preserve">So befriedigend auch die Verſuche über die Überein-<lb/>ſtimmung von Kraft und Wärme ausfielen, ſo wenig würde <lb/>man zu ſicheren Schlüſſen in der Wiſſenſchaft gekommen ſein, <lb/>wenn nicht gleichzeitig mit den Verſuchen auch die Theorie <lb/>über die Wärme einen weſentlichen Fortſchritt gemacht hätte; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s3982" xml:space="preserve">und von dieſem Fortſchritt haben wir nunmehr unſern Leſern <lb/>Bericht zu erſtatten. </s> <s xml:id="echoid-s3983" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3984" xml:space="preserve">Nach den älteren Anſchauungen der Naturforſcher machte <lb/>man ſich von der Wärme folgende Vorſtellung: </s> <s xml:id="echoid-s3985" xml:space="preserve">Wärme — <lb/>ſagte man — ſei ein äußerſt feiner, unſichtbarer und unwäg-<lb/>barer Stoff, ein Fluidum, welches ſich im leeren Raume <pb o="26" file="340" n="340"/> ſtrahlenartig vom Orte ſeines Urſprunges her nach allen <lb/>Richtungen verbreitet, und wenn dieſer Stoff auf einen Körper <lb/>trifft, in denſelben hinein tritt, um ſich in ihm gleichmäßig zu <lb/>verteilen. </s> <s xml:id="echoid-s3986" xml:space="preserve">Manche Körper, z. </s> <s xml:id="echoid-s3987" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3988" xml:space="preserve">Metalle, nehmen den Wärme-<lb/>ſtoff ſchneller auf, als andere, z. </s> <s xml:id="echoid-s3989" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3990" xml:space="preserve">Waſſer, und geben ihn <lb/>ſchneller weiter an andere Körper, mit welchen ſie in Be-<lb/>rührung ſtehen, ſobald dieſe weniger von dem Wärmeſtoff be-<lb/>ſitzen, alſo kälter ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3991" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s3992" xml:space="preserve">Verſchiedene Körper — ſo dachte man ſich’s ehedem — <lb/>haben verſchiedene Fähigkeiten, von dem Wärmeſtoff gewiſſe <lb/>Summen aufzunehmen, daher enthält z. </s> <s xml:id="echoid-s3993" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s3994" xml:space="preserve">ein Pfund Eiſen <lb/>einen viel höheren Grad von Wärme, wenn man es eine <lb/>Minute lang einer Spiritus-Flamme ausſetzt, als ein Pfund <lb/>Waſſer, wenngleich das Eiſen und das Waſſer vor dem Ver-<lb/>ſuch gleich warm geweſen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s3995" xml:space="preserve">Je nach den verſchiedenen <lb/>Fähigkeiten, den Wärmeſtoff aufzunehmen, rangierte man die <lb/>Körper nach einer ihnen eignen “ſpezifiſchen Wärme.</s> <s xml:id="echoid-s3996" xml:space="preserve">” — <lb/>Außerdem aber hatte man noch alle Körper in verſchiedene <lb/>Klaſſen zu teilen, je nachdem eine gewiſſe Portion Wärme eine <lb/>Wirkung auf dieſelbe ausübt. </s> <s xml:id="echoid-s3997" xml:space="preserve">Ein Körper, der Wärmeſtoff in <lb/>ſich aufgenommen hatte, war zwar dem Anſchein nach dadurch <lb/>nicht verändert, auch bekam er dadurch kein anderes Gewicht, <lb/>der Wärmeſtoff an ſich ward alſo als unſichtbar und unwäg-<lb/>bar erkannt; </s> <s xml:id="echoid-s3998" xml:space="preserve">allein er dehnte den Körper etwas aus, und auch <lb/>hierin verhielten ſich verſchiedene Körper ſehr verſchieden; </s> <s xml:id="echoid-s3999" xml:space="preserve">denn <lb/>unter gleicher Erwärmung iſt dies bei dem einen etwas mehr, <lb/>bei dem andern weniger der Fall. </s> <s xml:id="echoid-s4000" xml:space="preserve">Geht man aber mit der <lb/>Erwärmung noch weiter, ſo ergiebt’s ſich, daß die Körper <lb/>ihren Feſtigkeits-Zuſtand veränderten. </s> <s xml:id="echoid-s4001" xml:space="preserve">Feſte Körper fangen an <lb/>zu ſchmelzen und verwandeln ſich in Flüſſigkeiten, und Flüſſig-<lb/>keiten werden in der Hitze zu Dampf und nehmen Luftform <lb/>an; </s> <s xml:id="echoid-s4002" xml:space="preserve">und auch hierin zeigt ſich eine große Verſchiedenheit in <lb/>den Körpern; </s> <s xml:id="echoid-s4003" xml:space="preserve">denn während Wachs ſchon bei 75 Celſius- <pb o="27" file="341" n="341"/> Grad ſchmilzt, geſchieht es bei Blei erſt mit 410, bei Eiſen mit <lb/>1250 Graden, und während Waſſer ſchon bei 100 Grad in Dampf <lb/>verwandelt wird, iſt es bei Oel erſt mit 375 Graden der Fall.</s> <s xml:id="echoid-s4004" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4005" xml:space="preserve">Verwickelter noch als in dieſen Erſcheinungen ward die <lb/>Lehre von dem Wärmeſtoff, wenn man auf die Entſtehung <lb/>desſelben zurück ging.</s> <s xml:id="echoid-s4006" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4007" xml:space="preserve">Von der Sonne machte man ſich die Vorſtellung, daß ſie <lb/>einen Vorrat von Wärmeſtoff beſitze, den ſie nach allen Räumen <lb/>der Unendlichkeit ausſtreue. </s> <s xml:id="echoid-s4008" xml:space="preserve">Schwieriger war es ſchon ſich zu <lb/>erklären, woher dieſer Stoff komme, wenn irgend ein Gegen-<lb/>ſtand in Brand verſetzt wird; </s> <s xml:id="echoid-s4009" xml:space="preserve">man nahm daher an, daß dieſer <lb/>Stoff auch in andern Körpern eingeſchloſſen ſei und frei werde, <lb/>ſobald chemiſche Vorgänge, — und die Verbrennung iſt ein <lb/>chemiſcher Vorgang — ſtattfinden. </s> <s xml:id="echoid-s4010" xml:space="preserve">Zu dieſer Vorſtellung von <lb/>dem eingeſchloſſenen und freiwerdenden Wärmeſtoff mußte man <lb/>auch ſeine Zuflucht nehmen, wenn man die Erſcheinungen beim <lb/>Feſtwerden oder Gefrieren von Flüſſigkeiten und ebenſo die <lb/>Vorgänge bei der Verwandlung von Dämpfen in Flüſſigkeiten <lb/>betrachtete. </s> <s xml:id="echoid-s4011" xml:space="preserve">Um die Entſtehung von Wärme durch Elektricität <lb/>zu erklären, war man zu ſehr geſuchten und künſtlichen An-<lb/>nahmen genötigt, nach welchen der Wärmeſtoff durch elektriſche <lb/>Ströme in Leitungsdrähten geweckt werde. </s> <s xml:id="echoid-s4012" xml:space="preserve">— Noch unbe-<lb/>friedigender waren die Erklärungen für das Entſtehen von <lb/>Wärme durch Bohren, durch Hämmern, durch Reibung, denn <lb/>in letzterer Beziehung haben Verſuche dargethan, daß auch zwei <lb/>Stücke Eis, die man unter der Luftpumpe und völligem Ab-<lb/>ſchluß jeder Möglichkeit einer Wärme-Quelle ſich au einander <lb/>reiben ließ, ſo viel Wärme hervorbrachten, daß das Eis zu <lb/>ſchmelzen begann. </s> <s xml:id="echoid-s4013" xml:space="preserve">— Wo da der Wärmeſtoff herkommen ſollte, <lb/>war um ſo rätſelhafter, als man nach derſelben Theorie ge-<lb/>nötigt war anzunehmen, daß bei der Bildung des Eiſes der <lb/>im Waſſer gebundene Wärmeſtoff entflohen und an die Um-<lb/>gebung übergegangen ſei. </s> <s xml:id="echoid-s4014" xml:space="preserve">—</s> </p> <pb o="28" file="342" n="342"/> <p> <s xml:id="echoid-s4015" xml:space="preserve">Aber nicht durch dieſe Schwierigkeiten der Erklärungen <lb/>allein, ſondern noch von zwei andern Seiten her wurde die <lb/>Lehre von der Exiſtenz eines Wärme-Stoffes angegriffen und <lb/>zum Teil auch umgeſtoßen.</s> <s xml:id="echoid-s4016" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4017" xml:space="preserve">Die Vorſtellung eines Wärmeſtoffes, eines ſogenannten <lb/>“Fluidums,” war nämlich in der Naturwiſſenſchaft keine ver-<lb/>einzelte. </s> <s xml:id="echoid-s4018" xml:space="preserve">Noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts war “Fluidum” <lb/>der große Topf, in den man alles hinein that, was rätſelhaft <lb/>erſchien. </s> <s xml:id="echoid-s4019" xml:space="preserve">Licht mußte auch als ein feiner Stoff, ein Fluidum <lb/>gelten. </s> <s xml:id="echoid-s4020" xml:space="preserve">Für die Elektricität nahm man gar zwei feine Fluida <lb/>an. </s> <s xml:id="echoid-s4021" xml:space="preserve">Beim Magnetismus griff man wiederum zum Fluidum, <lb/>das man wiederum in zwei Arten getrennt ſich vorſtellte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4022" xml:space="preserve">Außer dieſen rätſelhaften verſchiedenen Fluida mußte man aber <lb/>auch noch Kräfte annehmen, welche an ſich verſchiedenartig <lb/>bald dieſes bald jenes Fluidum in Thätigkeit verſetzen, und <lb/>zudem mußte man noch immer neue Hypotheſen anhäufen, <lb/>jemehr jene Verſuche neue Erſcheinungen ans Tageslicht <lb/>brachten.</s> <s xml:id="echoid-s4023" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4024" xml:space="preserve">Da kamen denn die großen Fortſchritte in der chemiſchen <lb/>Wiſſenſchaft, welche ſich glücklicherweiſe von der Fluidum-<lb/>Hypotheſe freigehalten hatte, und ſchlugen auch im Gebiete der <lb/>Phyſik der ganzen Lehre von den verſchiedenen Fluiden eine <lb/>unheilbare Wunde. </s> <s xml:id="echoid-s4025" xml:space="preserve">Es erwies ſich nämlich, daß viele chemiſche <lb/>Vorgänge Erſcheinungen hervorrufen, die bald als Wärme <lb/>bald als Licht, bald als Elektricität anerkannt werden mußten, <lb/>und eine Wechſelſeitigkeit zeigten, welche es unleugbar machte, <lb/>daß all die ſogenannten verſchiedenen Fluida aus einer Quelle <lb/>ſtammen müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4026" xml:space="preserve">— Hierzu kam noch der von dem Dänen <lb/><emph style="sp">Oerſted</emph> 1820 entdeckte Elektro-Magnetismus, der alles um-<lb/>warf, was man bis dahin von Verſchiedenartigkeit des Urſprungs <lb/>der magnetiſchen und elektriſchen Erſcheinungen behauptete. </s> <s xml:id="echoid-s4027" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4028" xml:space="preserve">Aber auch noch von einer andern Seite her wurde die <lb/>Lehre von dem Wärmeſtoff unhaltbar, und auch dieſe müſſen <pb o="29" file="343" n="343"/> wir hier vorführen, wenn wir den Gang, den die Wiſſenſchaft <lb/>gegenwärtig einſchlägt, näher kennen lernen wollen.</s> <s xml:id="echoid-s4029" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div182" type="section" level="1" n="118"> <head xml:id="echoid-head134" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Das Weſen der Wärme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4030" xml:space="preserve">Die Vorſtellung von einem exiſtierenden Wärmeſtoff erhielt <lb/>in der Wiſſenſchaft die tiefſte Erſchütterung durch die ſeit einem <lb/>Jahrhundert fortgeſchrittene und immer klarer werdende Lehre <lb/>von dem Lichte. </s> <s xml:id="echoid-s4031" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4032" xml:space="preserve">In früheren Zeiten konnte man ſich auch beim Lichte nicht <lb/>von dem Gedanken losmachen, daß es ein feiner Stoff ſei, <lb/>welcher ſich ſtrahlenförmig von den leuchtenden Körpern aus <lb/>nach allen Seiten verbreitet. </s> <s xml:id="echoid-s4033" xml:space="preserve">Es erhoben ſich wohl auch <lb/>Gegner, welche dieſe Anſchauung bekämpften und auf die <lb/>richtige Idee hinwieſen, daß das Licht nur aus Schwingungen <lb/>eines Äthers beſtehe, welcher den Raum erfülle, und daß dieſe <lb/>Schwingungen ſich ebenſo fortpflanzen, wie der Schall in den <lb/>Schwingungen der Luft; </s> <s xml:id="echoid-s4034" xml:space="preserve">allein die Lehre von dem materiellen <lb/>Lichtſtoff bot für die mathematiſche Betrachtung und Behand-<lb/>lung eine außerordentliche Bequemlichkeit dar, welche der <lb/>Schwingungslehre abgeht. </s> <s xml:id="echoid-s4035" xml:space="preserve">Es iſt in der That mathematiſch <lb/>ſehr leicht, ſich vorzuſtellen, wie ein materielles Lichtteilchen ſich <lb/>in gerader Linie von der Sonne herab bewege und an irgend <lb/>einen Körper anpralle und zurückgeſchleudert oder unter Um-<lb/>ſtänden vom gradlinigen Wege abgelenkt werde. </s> <s xml:id="echoid-s4036" xml:space="preserve">Es erfordert <lb/>einen viel geringeren Grad von mathematiſchen Kenntniſſen, <lb/>um ſich gewiſſe Naturvorgänge durch gerade Linien zu ver-<lb/>ſinnlichen, als durch Wellen-Bewegungen, welche hohlkugel-<lb/>artig ihre Schwingungen fortpflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s4037" xml:space="preserve">Darum hat denn auch <lb/>die materielle Licht-Theorie, obgleich ſie an phyſikaliſche Un- <pb o="30" file="344" n="344"/> möglichkeiten grenzte, lange Zeiten ihre Anhänger gefunden, <lb/>bis ſich große Mathematiker darüber hermachten und nicht bloß <lb/>die Wellentheorie gründlich durcharbeiteten und alle verſchiedenen <lb/>Lichterſcheinungen durch ſie erklärten, ſondern auch viele Ver-<lb/>ſuche zeigten, welche der materiellen Lichttheorie wider-<lb/>ſprechen. </s> <s xml:id="echoid-s4038" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4039" xml:space="preserve">Kaum war aber die Lehre von einem exiſtierenden Licht-<lb/>ſtoff beſeitigt, als auch die Lehre von einem vorhandenen <lb/>Wärme-Stoff aufing unhaltbar zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s4040" xml:space="preserve">Die nahe Ver-<lb/>wandtſchaft von Licht und Wärme lag augenſcheinlich vor. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4041" xml:space="preserve">Die Unterſuchungen des Naturforſchers <emph style="sp">Melloni</emph> wieſen über-<lb/>zeugend nach, daß eben dieſelben Erſcheinungen, welche das <lb/>Licht in verſchiedenen Experimenten zeigt, auch bei der Wärme <lb/>dargeſtellt werden können. </s> <s xml:id="echoid-s4042" xml:space="preserve">Wärme läßt ſich eben ſo gut wie <lb/>Licht durch Spiegel zurückwerfen; </s> <s xml:id="echoid-s4043" xml:space="preserve">Wärme wird durch ein <lb/>Prisma von Steinſalz eben ſo gut von ihrem geraden Wege <lb/>abgelenkt, wie Licht durch ein Prisma von Glas. </s> <s xml:id="echoid-s4044" xml:space="preserve">Eben ſo <lb/>gut, wie es Körper giebt, welche für Licht durchſichtig ſind, <lb/>eben ſo giebt es Körper, welche hauptſächlich Wärme durch <lb/>ſich hindurchlaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4045" xml:space="preserve">Alle Erſcheinungen der Beugung und der <lb/>Brechung des Lichts können auch unter geeigneten Vorrichtungen <lb/>von der Wärme nachgewieſen werden. </s> <s xml:id="echoid-s4046" xml:space="preserve">Und bei all dieſen Ver-<lb/>ſuchen hat Melloni ſtets nur ſolche Wärme angewandt, welche <lb/>nicht zugleich auch leuchtet, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s4047" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s4048" xml:space="preserve">erwärmte, aber nicht <lb/>glühende Metalle, Gefäße, in welche warmes Waſſer hinein-<lb/>gegoſſen wurde, ſo daß es bald zweifellos feſtſtand, daß Wärme <lb/>zwar etwas anderes ſei als Licht, aber doch ganz und gar in <lb/>ſeinen Erſcheinungen der Natur des Lichtes entſpreche.</s> <s xml:id="echoid-s4049" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4050" xml:space="preserve">Und dennoch konnte man ſich wiſſenſchaftlich immer noch <lb/>nicht entſchließen, den Wärme-Stoff aufzugeben, obwohl man <lb/>den Lichtſtoff längſt über Bord geworfen hatte. </s> <s xml:id="echoid-s4051" xml:space="preserve">Der Grund <lb/>hiervon lag darin, daß man zwei Arten von Wärme wahrnahm, <lb/>von welchen die eine, die ſtrahlende Wärme, ganz gut den <pb o="31" file="345" n="345"/> Vergleich mit dem Lichte aushielt, die zweite Art aber, die das <lb/>Kunſtſtück verſteht, ſich im Innern der Körper zu verbreiten, <lb/>wo das Licht nicht eindringt, anderer Natur zu ſein ſchien. </s> <s xml:id="echoid-s4052" xml:space="preserve">— <lb/>In der That findet man jetzt noch in manchen Lehrbüchern dieſe <lb/>zwei Arten von Wärme-Erſcheinungen wie zwei verſchiedene <lb/>Gegenſtände behandelt. </s> <s xml:id="echoid-s4053" xml:space="preserve">Die Wärme, welche ein warmer Körper <lb/>ausſtrahlt, wird ganz ſo wie unſichtbares Licht betrachtet, dem <lb/>man keine ſtoffartige Natur zuſchreibt; </s> <s xml:id="echoid-s4054" xml:space="preserve">gelangt indeſſen dieſe <lb/>ſelbige Wärme an einen Körper, welchen ſie erwärmt und be-<lb/>trachtet man die Erſcheinungen, unter welchen ſich dieſe Wärme <lb/>im Innern des Körpers fortpflanzt und durch unmittelbare <lb/>Verteilung auf andere Körper übergeht, ſo iſt es faſt, als ob <lb/>ein ſtoffloſes Weſen ſich plötzlich in ein ſtoffartiges verwandelt <lb/>hätte, und man ſpricht von Wärme wiederum als von einem <lb/>Fluidum, das für ſich ſelber eine Exiſtenz hätte.</s> <s xml:id="echoid-s4055" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4056" xml:space="preserve">Erſt in neueſter Zeit, wo man die Lehre von der “Er-<lb/>haltung der Kraft” als erwieſen annehmen muß und hierbei <lb/>wahrnimmt, wie allenthalben, wo Bewegungskräfte ſich zu ver-<lb/>lieren ſcheinen, Wärme auftritt, welche genau gemeſſen, ſtets <lb/>dem Verluſt an Kraft entſpricht, erſt jetzt ſieht man die Not-<lb/>wendigkeit ein, jede Art von Wärme nur als einen Zuſtand <lb/>der Körper zu betrachten und dieſen Zuſtand in Übereinſtim-<lb/>mung mit den Anſchauungen zu bringen, welche man längſt bei <lb/>der ſtrahlenden Wärme annahm.</s> <s xml:id="echoid-s4057" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4058" xml:space="preserve">Bis vor kurzem ſtand unſere Naturwiſſenſchaft auf dem <lb/>höchſt intereſſanten Punkte, ganze Abteilungen ihrer bisherigen <lb/>Anſchauungen plötzlich als veraltet betrachten zu müſſen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4059" xml:space="preserve">Große Partieen unſerer Lehrbücher waren in ihren Voraus-<lb/>ſetzungen nicht mehr haltbar. </s> <s xml:id="echoid-s4060" xml:space="preserve">Die Lehre von der Wärme ging <lb/>einer gänzlichen Umarbeitung entgegen, und bereits die in <lb/>großem Umfange angelegten Anfänge ließen aufs deutlichſte er-<lb/>kennen, wie alle bisherigen Anſchauungen über die Naturkräfte <lb/>ganz neu aufzubauen waren.</s> <s xml:id="echoid-s4061" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="32" file="346" n="346"/> <p> <s xml:id="echoid-s4062" xml:space="preserve">So erhebend und lehrreich es iſt, eine große Wiſſenſchaft <lb/>im Momente ihrer Umgeſtaltung zu beobachten, ſo wenig eignet <lb/>ſich dieſes fundamentale Wirken für eine allgemein faßliche <lb/>Darſtellung. </s> <s xml:id="echoid-s4063" xml:space="preserve">Für den Augenblick iſt noch nicht mit Sicherheit <lb/>vorauszuſagen, welchem von den großen Forſchern dieſes Ge-<lb/>bietes der große Wurf gelingen wird, eine neue Lehre auf-<lb/>zuſtellen, die das erfüllt, was erſt geſucht und geahnt wird, <lb/>eine Lehre von der Grundurſache der Kräfte, welche darthut, <lb/>wie Licht, Wärme, Elektricität, Magnetismus, Chemismus und <lb/>Anziehung in den verſchiedenen Erſcheinungen, die man jetzt <lb/>mit dem Namen Gravitation, Cohäſion, Adhäſion u. </s> <s xml:id="echoid-s4064" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s4065" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s4066" xml:space="preserve">be-<lb/>zeichnet, nur ein und dasſelbe iſt von Kraft, welche wir bis <lb/>jetzt hauptſächlich nur in der Fortbewegung der Maſſen zu <lb/>ſehen gewohnt ſind.</s> <s xml:id="echoid-s4067" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4068" xml:space="preserve">Wir müſſen uns für jetzt mit der Mitteilung begnügen, <lb/>daß einer der ausgezeichnetſten Forſcher, <emph style="sp">Redtenbacher</emph> in <lb/>Karlsruhe, und ſpäter der geniale, zu früh verſtorbene <emph style="sp">Heinrich <lb/>Hertz</emph> in Bonn einen kühnen Aufſchwung zur Höhe dieſer Auf-<lb/>gabe genommen und ſie zum Teil gelöſt haben. </s> <s xml:id="echoid-s4069" xml:space="preserve">Wann ſie <lb/>jedoch im vollen Umfange gelöſt werden wird, muß dahin <lb/>geſtellt bleiben. </s> <s xml:id="echoid-s4070" xml:space="preserve">— Wir aber müſſen nach dieſer Abſchweifung <lb/>zu unſerem ſpeziellen Thema zurückkehren, um die geiſtigen Er-<lb/>oberungen zu betrachten, die man bereits als gute und ſichere <lb/>Errungenſchaften freudig begrüßen darf.</s> <s xml:id="echoid-s4071" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div183" type="section" level="1" n="119"> <head xml:id="echoid-head135" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Äußere Bewegung und innere Bewegung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4072" xml:space="preserve">Die wiſſenſchaftliche Eroberung, welche wir als eine <lb/>ſichere Ausbeute der Forſchung neuerer Zeit aufführen können, <lb/>beſteht zunächſt erſt in der Thatſache, daß eine gewiſſe Summe <lb/>von Kraft ſtets in ganz genau beſtimmten Summen von Wärme <pb o="33" file="347" n="347"/> enthalten ſei, daß man Kraft eben ſo gut in der Form von <lb/>Wärme, wie in der bisher üblichen Form von Bewegung aus-<lb/>drücken könne. </s> <s xml:id="echoid-s4073" xml:space="preserve">Wenn man bis jetzt gewohnt war zu ſagen: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4074" xml:space="preserve">die Kraft irgend einer Dampfmaſchine ſei ſo groß, daß ſie in <lb/>der Minute dreizehn und einen halben Centner einen Fuß hoch <lb/>heben kann, ſo kann man jetzt ganz dieſelbe Kraft bezeichnen, <lb/>indem man ſagt: </s> <s xml:id="echoid-s4075" xml:space="preserve">die Maſchine ſei im ſtande, durch Druck oder <lb/>Reibung ſo viel Wärme zu erzengen wie nötig iſt, um ein <lb/>Pfund Waſſer um einen Grad wärmer als vorher zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s4076" xml:space="preserve"><lb/>— Wärme iſt jetzt eben ſo gut ein Maßſtab für Kraft, wie <lb/>ehedem das Heben von Gewichten es war. </s> <s xml:id="echoid-s4077" xml:space="preserve">Dieſelbe Summe <lb/>von Kraft, welche man früher mit den Worten bezeichnete <lb/>“dreizehn hundert und fünfzig Fuß-Pfund” kann man jetzt durch <lb/>das einfache Wort bezeichnen “eine einzige Wärme-Kraft” oder, <lb/>wie man ſich wiſſenſchaftlich ausdrückt: </s> <s xml:id="echoid-s4078" xml:space="preserve">“eine Wärme-Einheit.</s> <s xml:id="echoid-s4079" xml:space="preserve">” <lb/>— Ihr faktiſcher Wert iſt einander ſo gleich, wie etwa hun-<lb/>dert Pfennige und zehn Groſchen, was jedes eine Mark aus-<lb/>macht.</s> <s xml:id="echoid-s4080" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4081" xml:space="preserve">Für dieſes faktiſche Reſultat hat man aber auch theoretiſch <lb/>eine Auſchauung, eine Hypotheſe ausgebildet, welche höchſt <lb/>intereſſant iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4082" xml:space="preserve">denn dieſes eben iſt die neue Anſchauung, welche <lb/>man von der Wärme überhaupt hat.</s> <s xml:id="echoid-s4083" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4084" xml:space="preserve">Nach dieſer Anſchauung iſt Wärme, ſowohl die ſtrahlende <lb/>Wärme, wie die in den Maſſen ſich fortpflanzende, nicht ein <lb/>Stoff, ſondern ein <emph style="sp">Zuſtand</emph>, und zwar ein Zuſtand von <lb/>ſchwingenden Bewegungen eines Äthers, welcher den Weltraum <lb/>erfüllt und ebenſo zwiſchen den Atomen aller Körper ſteckt. </s> <s xml:id="echoid-s4085" xml:space="preserve">— <lb/>S@tzt man einen Körper der ſtrahlenden Wärme aus, ſo ge-<lb/>raten die kleinſten Teilchen in ſeinem Innern nach und nach <lb/>in Schwingung, und der Körper fängt dadurch an wärmer zu <lb/>werden, als er vorher war. </s> <s xml:id="echoid-s4086" xml:space="preserve">Man kann aber auch einen Körper <lb/>in einer andern Art mechaniſch erwärmen, ohne ihm von außen <lb/>her ſtrahlende Wärme zuzuführen, und zwar geſchieht dies da- <pb o="34" file="348" n="348"/> durch, wenn man ihm in irgend einer Weiſe eine Bewegung <lb/>erteilt, ſei es durch Stoß oder Druck oder Zug oder Fall, <lb/>wodurch die Körperteilchen genötigt ſind, ihren Ruheort zu <lb/>verlaſſen und ſich nach irgend einer Richtung im Raume fort-<lb/>zubewegen; </s> <s xml:id="echoid-s4087" xml:space="preserve">hält man nun in irgend einer Weiſe dieſe Be-<lb/>wegung auf, ſei es durch einen Gegendruck, einen Gegenſtoß <lb/>oder ein Hindernis anderer Art, ſo fangen die Körperteilchen, <lb/>welche nicht vorwärts im Raume ſich fortbewegen können, in <lb/>ſich ſelber an zu zittern oder zu ſchwingen. </s> <s xml:id="echoid-s4088" xml:space="preserve">Der Körper gerät <lb/>dadurch in eine innere Bewegung ſeiner Atome, und dieſe <lb/>Bewegung iſt um ſo ſtärker, je ſtärker die Kraft war, mit <lb/>welcher er ſich früher im Raume fortbewegte, und dieſes Zittern <lb/>oder Schwingen, dieſe Überſetzung der äußeren Fortbewegung <lb/>in eine innere oder Atom-Bewegung iſt eben die entſtehende <lb/>Wärme.</s> <s xml:id="echoid-s4089" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4090" xml:space="preserve">Über das, was im Innern eines ſolchen Körpers vorgeht, <lb/>ſind freilich noch die vorzüglichſten Theoretiker nicht einig. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4091" xml:space="preserve"><emph style="sp">Während Kröning</emph> und <emph style="sp">Clauſius</emph> annahmen, daß die Körper-<lb/>Atome ſelber zittern, ſchwingen oder wie man es wiſſenſchaft-<lb/>lich ausdrückt, um ihre Gleichgewichts-Lage oszillieren, nahm <lb/><emph style="sp">Redtenbacher</emph> in ſeinem “Dynamiden-Syſtem an, daß die <lb/>Äther-Atome, welche die Körper-Atome umhüllen, jene Schwin-<lb/>gungen vollziehen. </s> <s xml:id="echoid-s4092" xml:space="preserve">— Dieſer Streit muß nun entſchieden <lb/>werden durch die weitere Unterſuchung, welche der beiden An-<lb/>ſchauungen beſſer im ſtande iſt alle einzelnen Erſcheinungen <lb/>der Wärme zu erklären, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s4093" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s4094" xml:space="preserve">die Ausdehnung der Körper, <lb/>die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Wärme in verſchiedenen <lb/>Maſſen, das Verhalten der Gaſe, der Flüſſigkeiten und der <lb/>feſten Körper in dem Wärme-Zuſtand, wie das Schmelzen, das <lb/>Verdampfen, das Gefrieren, Erſtarren, Kryſtalliſieren u. </s> <s xml:id="echoid-s4095" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s4096" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s4097" xml:space="preserve"><lb/>— Für unſer Thema ſind indeſſen beide Anſchauungen darin <lb/>gleich, daß ſie auf der Lehre von der “Erhaltung der Kraft” <lb/>baſieren und darin übereinſtimmen, daß nach beiden die Wärme <pb o="35" file="349" n="349"/> eine innerliche Bewegung in den Körpern iſt, welche dadurch <lb/>entſtehen kann, daß man ihre äußerliche Fortbewegung ſ@ört.</s> <s xml:id="echoid-s4098" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4099" xml:space="preserve">Hierdurch werden in der That eine ganze Maſſe von <lb/>Erſcheinungen erklärlich, die man bis jetzt nur ſehr dunkel auf-<lb/>faſſen konnte.</s> <s xml:id="echoid-s4100" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4101" xml:space="preserve">Warum vermag der Schmied ein Stück Eiſen durch Häm-<lb/>mern glühend und heiß zu machen? </s> <s xml:id="echoid-s4102" xml:space="preserve">— Die Antwort hierauf <lb/>iſt, weil er dem Eiſen Stöße verſetzt, welche es eigentlich fort-<lb/>bewegen müßten; </s> <s xml:id="echoid-s4103" xml:space="preserve">da es aber auf einem Amboß liegt, und ſich <lb/>nicht fortbewegen kann, fangen die Atome des Eiſens an in <lb/>ſich ſelber zu ſchwingen, das heißt, ſich zu erwärmen. </s> <s xml:id="echoid-s4104" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>Wärme entſpricht freilich nicht der ganzen Kraft, mit welcher <lb/>der Schmied hämmert, das Eiſen bekommt nur einen Teil <lb/>davon, denn der Schmied ſelber wird warm, und ſein Amboß <lb/>bekommt eine Portion von der Wärme, und ein nicht unbe-<lb/>deutender Teil der Wärme wird ſofort bei der Entſtehung <lb/>durch Strahlung in alle Welt verbreitet; </s> <s xml:id="echoid-s4105" xml:space="preserve">aber wäre man nur <lb/>im ſtande, all dieſe Wärme ordentlich zuſammenzuhalten, ſo <lb/>würde man durch dieſelbe eine Maſchine in Bewegung ſetzen <lb/>können, die auch ſo hämmert wie der Schmied, und die uns <lb/>bewieſe, wie Kraft in Wärme und Wärme wieder in Kraft <lb/>überſetzt werden kann, oder richtiger, wie Bewegung nur ein <lb/>äußeres und Wärme ein inneres Merkmal einer und derſelben <lb/>nie verloren gehenden Kraft iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4106" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4107" xml:space="preserve">Ganz in demſelben Sinne erklärt ſich auch alles, was an <lb/>der <emph style="sp">Reibung</emph> ſonſt dunkel blieb. </s> <s xml:id="echoid-s4108" xml:space="preserve">— Reibung iſt nur ein lang-<lb/>ſam wirkendes Hindernis der <emph style="sp">äußerlichen</emph> Bewegung. </s> <s xml:id="echoid-s4109" xml:space="preserve">Eine <lb/>Uhr, die aufgezogen iſt, erleidet bei ihrem Gange eine Reibung <lb/>in allen Axen ihrer Näder und an der Luft, die in ihrem <lb/>Gehäuſe ſteckt; </s> <s xml:id="echoid-s4110" xml:space="preserve">und weil ſie behindert iſt, ſich äußerlich zu be-<lb/>wegen, fängt ſie in der That an, innerliche Bewegung zu be-<lb/>kommen, ſie wird wärmer. </s> <s xml:id="echoid-s4111" xml:space="preserve">Zum Teil tauſcht ſie die Wärme <lb/>unmittelbar mit ihrer Umgebung aus, zum Teil ſtrahlt ſie die- <pb o="36" file="350" n="350"/> ſelbe in den Weltraum hinein. </s> <s xml:id="echoid-s4112" xml:space="preserve">Daher verliert die Uhr die <lb/>Kraft; </s> <s xml:id="echoid-s4113" xml:space="preserve">aber die Kraft iſt nicht verloren. </s> <s xml:id="echoid-s4114" xml:space="preserve">— Auch ein Pendel <lb/>giebt die ihm durch Aufheben erteilte Kraft in der Form von <lb/>Wärme aus, das heißt, es verwandelt ſich die durch Reibung <lb/>zerſtörte äußerliche Bewegung in eine Inner-Bewegung im <lb/>Pendel, im Aufhängepunkt derſelben und in der umgebenden <lb/>Luft. </s> <s xml:id="echoid-s4115" xml:space="preserve">— Und was in dieſen Fällen im Kleinen und im Un-<lb/>ſcheinbaren geſchieht, das geht auch in gewaltigen Erſcheinungen <lb/>im großen, weiten Weltall vor ſich, und darum wollen wir uns <lb/>denn auch in dieſe weiteſten Fernen hineinwagen und dort <lb/>nachſpüren, was unſere Denker von der Kraft, von der Be-<lb/>wegung und von der Wärme und von dem Weltleben im <lb/>großen und ganzen Merkwürdiges und Lehrreiches ausgeſonnen <lb/>haben.</s> <s xml:id="echoid-s4116" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div184" type="section" level="1" n="120"> <head xml:id="echoid-head136" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Wie ſich im Weltraum Bewegung in Wärme</emph> <lb/><emph style="bf">verwandelt.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4117" xml:space="preserve">Aus dem Geſetze der Erhaltung der Kraft erklärt ſich <lb/>nicht nur ſo manche Erſcheinung, z. </s> <s xml:id="echoid-s4118" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s4119" xml:space="preserve">beim Fall der Meteor-<lb/>ſteine, ſondern es läßt ſich jetzt auch der Grad der Hitze ziem-<lb/>lich genau angeben, in welche jedes Lot einer ſolchen Maſſe <lb/>geraten muß, wenn es durch Eintritt in die Erdatmoſphäre <lb/>eine beſtimmte Summe von Geſchwindigkeit einbüßt.</s> <s xml:id="echoid-s4120" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4121" xml:space="preserve">Im allgemeinen kann man annehmen, daß einige der <lb/>kleinen Maſſen, welche unſere Sternſchnuppen, Leuchtkugeln <lb/>und Meteore bilden, urſprünglich eine Geſchwindigkeit in ihrem <lb/>Umlauf um die Sonne beſitzen, die der Geſchwindigkeit der <lb/>Erde ſehr nahe kommt. </s> <s xml:id="echoid-s4122" xml:space="preserve">Sie beträgt hiernach beinahe fünf <lb/>Meilen in der Sekunde.</s> <s xml:id="echoid-s4123" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="37" file="351" n="351"/> <p> <s xml:id="echoid-s4124" xml:space="preserve">Da gegenwärtig und hauptſächlich ſeit den Anregungen, <lb/>welche der unſterbliche Beſſel für dieſen Gegenſtand zu erwecken <lb/>wußte, an mehreren Orten zugleich Beobachtungen von Stern-<lb/>ſchnuppen gemacht, und in dazu bereit gehaltenen kleinen Stern-<lb/>karten ſofort durch einen Strich, der Anfang, Ende und Richtung <lb/>des Laufes angiebt, aufgezeichnet werden, ſo iſt man dahin <lb/>gekommen, von einer jeden Sternſchnuppe, die gleichzeitig an <lb/>zwei verſchiedenen Orten geſehen wird, ſofort zu beſtimmen, <lb/>wie hoch ſie über der Erde ihren Lauf genommen, und welches <lb/>Stück Weges ſie alſo durch den Luftkreis durchzumachen hatte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4125" xml:space="preserve">Da man aber durch anderweitige Geſetze die Dichtigkeit der <lb/>Luft in beſtimmten Höhen ſchätzen kann, ſo vermag man ſo <lb/>ziemlich den Grad der Störung anzugeben, welche die Luft <lb/>von ſolcher Dichtigkeit einem Körper von ſolcher Geſchwindig-<lb/>keit leiſtet; </s> <s xml:id="echoid-s4126" xml:space="preserve">man iſt alſo im ſtande, die Verzögerung der Fort-<lb/>bewegung zu ſchätzen — und nach dem Geſetze der Erhaltung <lb/>der Kraft — darauf zu ſchließen, wie ſtark der Grad der <lb/>innerlichen Bewegung, oder einfacher ausgedrückt, wie ſtark <lb/>die Wärme eines ſolchen Durchläufers in unſerer Atmoſphäre <lb/>werden muß.</s> <s xml:id="echoid-s4127" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4128" xml:space="preserve">Die Rechnung ergiebt nun, daß der Hitzegrad unter allen <lb/>Umſtänden ein ungeheuer großer ſein muß. </s> <s xml:id="echoid-s4129" xml:space="preserve">— Eine eiſerne <lb/>Kugel, welche auch nur 2000 Meter in der Sekunde liefe, würde <lb/>in der Luft zu ſchmelzen anfangen; </s> <s xml:id="echoid-s4130" xml:space="preserve">eine Meteormaſſe, welche <lb/>an zwanzigmal ſchneller dahinfliegt, muß alſo ſelbſt in be-<lb/>deutender Höhe, wo die Luft viel dünner iſt, ſehr bald einen <lb/>Schmelzpunkt erreichen. </s> <s xml:id="echoid-s4131" xml:space="preserve">— Allein dieſe ungeheure Erwärmung <lb/>findet zunächſt nur an der Oberfläche dieſes Himmelskörpers <lb/>ſtatt, und zwar mit ſolcher Heftigkeit, daß die Maſſe ſchon im <lb/>Abſchmelzen begriffen iſt, bevor ſie ſich noch gleichmäßig er-<lb/>wärmt. </s> <s xml:id="echoid-s4132" xml:space="preserve">Es gleicht demnach die Sternſchnuppe, auch wenn ſie <lb/>aus feſter Maſſe beſteht, einem Körper mit flüſſig gewordener <lb/>Oberfläche.</s> <s xml:id="echoid-s4133" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="38" file="352" n="352"/> <p> <s xml:id="echoid-s4134" xml:space="preserve">Daher rühren denn die vielen kleinen, geſchmolzenen und <lb/>verglasten Eiſenſteinmaſſen her, die man als Meteorſteine <lb/>erkennt; </s> <s xml:id="echoid-s4135" xml:space="preserve">daher rührt auch bei näheren Sternſchnuppen, die <lb/>unter dem Namen Leuchtkugeln bezeichnet werden, das vielfach <lb/>bemerkte Platzen oder Zerſpringen, oft von heftigen Luft-<lb/>erſchütterungen begleitet, und deshalb findet man auch große <lb/>Meteorſteine mit einer verhältnismäßig dünnen Schicht von <lb/>Verglaſung, weil ſie eben während ihres Laufes den Teil ihrer <lb/>geſchmolzenen Oberfläche ſchon im Fliehen verloren haben.</s> <s xml:id="echoid-s4136" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4137" xml:space="preserve">Wie man nun aber die mannigfachen Einzelheiten, welche <lb/>ſich bei ſolch kleinen und ehedem unerkannt gebliebenen Er-<lb/>ſcheinungen zeigen, in verſchiedener Weiſe erklären mag, in der <lb/>Hauptſache iſt jetzt die Wiſſenſchaft einig, daß unter Umſtänden <lb/>gewiſſe Kräfte im Weltraum ſich in ganz andere verwandeln <lb/>können; </s> <s xml:id="echoid-s4138" xml:space="preserve">daß Maſſen, welche in Fortbewegung gleich einem <lb/>Planeten begriffen ſind, in Verhältniſſe zu geraten vermögen, <lb/>wo ſie ihre Selbſtändigkeit in der Weltſtellung einbüßen und <lb/>wie Kleinmächte einer reſpektablern Großmacht einverleibt <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s4139" xml:space="preserve">Aber wenn auch dieſe Annexion ſehr häufig zu ſtande <lb/>kommt — der Naturforſcher <emph style="sp">Reichenbach</emph> rechnet die Zahl der <lb/>Meteorſteinfälle auf 4500 im Jahre — ſo geht dabei nichts <lb/>an Kraft in der Welt verloren, ſondern es heizen dieſe Himmels-<lb/>gäſte dafür den Weltraum bei ihrem Abſchied ſo ein, daß ſie <lb/>genau an Wärme das ausgeben, was ſie ehedem und von ur-<lb/>alters her von Kraft als Laufgeſchwindigkeit erhalten haben.</s> <s xml:id="echoid-s4140" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div185" type="section" level="1" n="121"> <head xml:id="echoid-head137" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Wir eſſen Sonnenwärme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4141" xml:space="preserve">Seit der Zeit, daß man das Geſetz von der Erhaltung <lb/>der Kraft kennen gelernt, haben die Naturforſcher Urſache er-<lb/>halten, auf die Wärme im Weltall ganz beſonders ihr Augen- <pb o="39" file="353" n="353"/> merk zu richten, denn wenn es wahr iſt, daß ſich Bewegungs-<lb/>kraft unter Umſtänden in Wärme verwandeln kann und Wärme <lb/>wiederum nur Kraft in veränderter Form iſt, ſo hängt von der <lb/>Frage über das Weſen der Bewegungen der Himmelskörper <lb/>und von der Entſtehung und dem Verbleiben der Wärme das <lb/>Schickſal oder ſo zu ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s4142" xml:space="preserve">Leben und Tod unſeres Weltalls ab.</s> <s xml:id="echoid-s4143" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4144" xml:space="preserve">Die Forſchungen auf dieſem Gebiete haben zu Reſultaten <lb/>geführt, die ſehr wunderbar erſcheinen und nach jeder Richtung <lb/>hin die Aufmerkſamkeit jedes denkenden Menſchen verdienen.</s> <s xml:id="echoid-s4145" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4146" xml:space="preserve">Nach der einen Seite hin verbreiten die Ergebniſſe der <lb/>Wiſſenſchaft ein ganz neues Licht über den noch im Weltall <lb/>vorhandenen Vorrat von Kraft, und dieſe Ergebniſſe ſind ſehr <lb/>tröſtlicher Natur für all diejenigen, welche ſich der unnötigen <lb/>Beſorgnis hingeben, daß die Welt ſich im Stadium der Alters-<lb/>ſchwäche befindet, wo ihr die Kraft des Lebens plötzlich aus-<lb/>gehen könnte. </s> <s xml:id="echoid-s4147" xml:space="preserve">Nach anderer Seite jedoch haben dieſe Ergebniſſe <lb/>auf das Reſultat hingeführt, daß das Weltall keineswegs ein <lb/>Perpetuum mobile ſei, ſondern ſoviel von Kraft in den leeren <lb/>Raum hinein verſchwende, daß dereinſt — wenn auch, wie wir <lb/>ſehen werden, erſt in ſehr langer Zeit — der Untergang un-<lb/>fehlbar hereinbrechen müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s4148" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4149" xml:space="preserve">Wir wollen uns zunächſt mit der lichten Seite dieſes <lb/>Themas beſchäftigen und die trübe Ausſicht vorerſt noch ein <lb/>wenig verſchieben; </s> <s xml:id="echoid-s4150" xml:space="preserve">vielleicht gelingt es uns dadurch, manchen <lb/>Lichtblick des Troſtes in das Bild der bevorſtehenden Welt-<lb/>zerſtörung hineinzutragen.</s> <s xml:id="echoid-s4151" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4152" xml:space="preserve">Wenn Wärme Kraft iſt, ſo iſt es gewiß ein recht tröſt-<lb/>licher Gedanke, daß die Sonne ſo gütig iſt, ſehr viel Wärme <lb/>zur Erde niederzuſenden. </s> <s xml:id="echoid-s4153" xml:space="preserve">— Zwar merken wir gerade nicht, <lb/>wenn wir hungrig und matt ſind, daß uns die Sonnenwärme <lb/>ſatt und kräftig macht; </s> <s xml:id="echoid-s4154" xml:space="preserve">aber mittelbar thut ſie es dennoch, <lb/>und zwar in ſehr hohem Grade, wenn wir nur erſt den Um-<lb/>weg verſtehen, den ſie verſteckter Weiſe dabei einſchlägt. </s> <s xml:id="echoid-s4155" xml:space="preserve">—</s> </p> <pb o="40" file="354" n="354"/> <p> <s xml:id="echoid-s4156" xml:space="preserve">Wo nehmen wir denn eigentlich die Kraft her, die uns <lb/>die teuerſte und liebſte iſt, die Kraft, die wir in unſeren Glie-<lb/>dern empfinden? </s> <s xml:id="echoid-s4157" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4158" xml:space="preserve">Wir beſitzen ſie in den Muskeln, welche eine Kraft der <lb/>Zuſammenziehung haben. </s> <s xml:id="echoid-s4159" xml:space="preserve">Dieſe willkürlich von uns in Thätig-<lb/>keit verſetzte Zuſammenziehungskraft der Muskeln iſt einzig <lb/>und allein das Mittel, wodurch wir uns und die Glieder <lb/>unſeres Körpers bewegen können. </s> <s xml:id="echoid-s4160" xml:space="preserve">Alles, was wir durch Heben, <lb/>Stoßen, Schieben, Drücken, Werfen in Bewegung zu ſetzen <lb/>vermögen, beruht nur auf dieſer unſerer Muskelkraft. </s> <s xml:id="echoid-s4161" xml:space="preserve">Die <lb/>Quelle der Muskelkraft iſt alſo die Quelle aller von uns er-<lb/>zeugten Bewegungen, und wenn wir nach dieſer Quelle forſchen, <lb/>forſchen wir nach einer großen Quelle aller von uns hervor-<lb/>gerufenen Krafterſcheinungen.</s> <s xml:id="echoid-s4162" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4163" xml:space="preserve">Nun iſt es ganz bekannt, daß unſere Muskeln nur aus <lb/>dem Blute unſeres Leibes ſich auferbauen; </s> <s xml:id="echoid-s4164" xml:space="preserve">das Blut aber iſt <lb/>eine Verwandlung der Speiſen, welche wir genoſſen; </s> <s xml:id="echoid-s4165" xml:space="preserve">die <lb/>Speiſen wiederum ſind entweder Pflanzenſtoffe oder das Fleiſch <lb/>ſolcher Tiere, welche von Pflanzenkoſt leben. </s> <s xml:id="echoid-s4166" xml:space="preserve">Die <emph style="sp">Pflanze</emph> <lb/>alſo iſt die Grundbedingung unſerer Kraft.</s> <s xml:id="echoid-s4167" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4168" xml:space="preserve">Daß die Pflanze nicht ohne Wärme wachſen kann, iſt all-<lb/>bekannt. </s> <s xml:id="echoid-s4169" xml:space="preserve">Wenn alſo Wärme eine Kraft iſt, ſo iſt die Pflanze <lb/>der Wohnſitz einer Kraft; </s> <s xml:id="echoid-s4170" xml:space="preserve">eſſen wir die Pflanze oder das <lb/>Fleiſch eines Tieres, das von Pflanzen lebt, ſo haben wir <lb/>auf einem Umweg eine Portion Kraft gegeſſen, und zwar eine <lb/>Portion Kraft, welche eigentlich von der Sonne herſtammt.</s> <s xml:id="echoid-s4171" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4172" xml:space="preserve">Zwar könnte hiergegen der Einwand erhoben werden, <lb/>daß man nötigenfalls ja auch von Pflanzen leben könnte, welche <lb/>ohne Sonnenwärme im Treibhauſe wachſen, und wenn es <lb/>darauf aukäme, wäre es auch möglich, ſich von einer Portion <lb/>Gänſebraten Kraftvorrat zu verſchaffen, nachdem man die Gans <lb/>bei einem Gärtner in Penſion gegeben, der ſie bloß mit Treib-<lb/>hausfutter ohne Sonnenwärme ernährt hat. </s> <s xml:id="echoid-s4173" xml:space="preserve">— Allein damit <pb o="41" file="355" n="355"/> hätte man nur den Umweg der Sonnenkraft zu uns vergrößert, <lb/>keineswegs die Kraft aus einer andern Quelle bezogen.</s> <s xml:id="echoid-s4174" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4175" xml:space="preserve">Der Gärtner, der die Gans in Penſion genommen, hat <lb/>nämlich ſein Treibhaus auch nicht anders warm machen können, <lb/>als durch Pflanzenprodukte, die von der Sonnenwärme ihre <lb/>Portion erhalten haben. </s> <s xml:id="echoid-s4176" xml:space="preserve">Holz, Torf, Kohle oder was er <lb/>ſonſt zur Heizung verbraucht, iſt eben ſolch ein Träger von <lb/>Sonnenkraft, welche in Bäumen oder in geſchlagenem Holze <lb/>oder im Torfſtich oder tief unter der Erde im Kohlenbergwerk <lb/>anfgeſpeichert liegt. </s> <s xml:id="echoid-s4177" xml:space="preserve">Jedenfalls war einmal dieſe Portion <lb/>Kraft, welche wir eſſen, in der Sonne ſelber, und ſie iſt in die <lb/>Pflanzen hineingewandert. </s> <s xml:id="echoid-s4178" xml:space="preserve">Es iſt nun ganz dasſelbe, ob wir <lb/>direkt einen Apfel vom Baum verzehren, der Sonnenwärme <lb/>aus erſter Hand erhalten hat, oder ob wir ihn im Treibhaus <lb/>pflücken, für welches die Wärme erſt aus einer Kohlengrube <lb/>heraufgeholt und in den Ofen gebracht und durch dieſen zum <lb/>Apfel gekommen iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4179" xml:space="preserve">wir ſind darum nicht beſſer, ſondern <lb/>ſchlimmer daran, denn wir haben uns viel Mühe gemacht und <lb/>müſſen doch Sonnenwärme eſſen.</s> <s xml:id="echoid-s4180" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4181" xml:space="preserve">Könnte man aber nicht in einem Treibhauſe zwei große <lb/>Eiſenplatten dauernd an einander reiben, bis ſie in Glut ge-<lb/>raten und eben ſo gut wie ein Ofen Wärme verbreiten? </s> <s xml:id="echoid-s4182" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4183" xml:space="preserve">Der Vorſchlag iſt ſchon ganz gut. </s> <s xml:id="echoid-s4184" xml:space="preserve">Die Heizung durch <lb/>ſolche Platten iſt ſogar ſchon praktiſch angewendet. </s> <s xml:id="echoid-s4185" xml:space="preserve">Allein für <lb/>unſeren Zweck wären wir darum noch nicht beſſer daran. </s> <s xml:id="echoid-s4186" xml:space="preserve">— <lb/>Wer ſoll nämlich die Platten reiben? </s> <s xml:id="echoid-s4187" xml:space="preserve">Der Gärtner mit ſeinen <lb/>Händen? </s> <s xml:id="echoid-s4188" xml:space="preserve">Da würde er eben nur die Kraft der Muskeln dazu <lb/>verwenden müſſen, welche er gleichfalls erſt durch Eſſen und <lb/>ſomit durch Sonnenkraft erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s4189" xml:space="preserve">Wendete man Dampfkraft <lb/>an, ſo iſt auch dieſe nur durch Brennmaterial herzuſtellen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4190" xml:space="preserve">Ließe man durch eine Windmühle die Platten treiben, ſo hat <lb/>man auch im Winde nichts als Luftbewegung, und Luft-<lb/>bewegung wird einzig und allein durch die Wirkung der <pb o="42" file="356" n="356"/> Sonnenwärme erzielt. </s> <s xml:id="echoid-s4191" xml:space="preserve">Verſuchte man es mit einem Waſſer-<lb/>rade, ſo wäre es ebenfalls nicht beſſer; </s> <s xml:id="echoid-s4192" xml:space="preserve">denn Bäche, Flüſſe, <lb/>Ströme, Teiche, ſie werden alle nur gebildet von dem Waſſer, <lb/>das die Sonnenwärme von den Meeren verdampfen und hoch <lb/>in die Höhe des Luftmeers ſteigen ließ, von wo es als Schnee, <lb/>Regen, Reif, Hagel herabkommt, um die Erde zu bewäſſern. </s> <s xml:id="echoid-s4193" xml:space="preserve">— <lb/>Wir ſehen: </s> <s xml:id="echoid-s4194" xml:space="preserve">Kraft ohne Sonnenwärme iſt ſo leicht nicht zu <lb/>haben!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4195" xml:space="preserve">Zwar könnte man doch der lieben Sonne ein Schnippchen <lb/>ſchlagen durch Anwendung von chemiſchen und elektriſchen <lb/>Kräften. </s> <s xml:id="echoid-s4196" xml:space="preserve">Man könnte z. </s> <s xml:id="echoid-s4197" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s4198" xml:space="preserve">durch Auflöſung von Zink in <lb/>ſtark verdünnter Schwefelſäure eine Waſſerzerſetzung hervor-<lb/>rufen, wodurch Waſſerſtoff frei wird. </s> <s xml:id="echoid-s4199" xml:space="preserve">Das Waſſerſtoffgas an-<lb/>gezündet brennt unter großer Wärmeentwickelung. </s> <s xml:id="echoid-s4200" xml:space="preserve">— Auch <lb/>durch den elektriſchen Strom kann man Wärme erzeugen, wie <lb/>dies beim elektriſchen Licht in ſehr hohem Grade der Fall iſt; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4201" xml:space="preserve">allein auch das iſt nicht ſo ganz geheuer. </s> <s xml:id="echoid-s4202" xml:space="preserve">Chemiſche und <lb/>elektriſche Kräfte ſind auch Kräfte, und die Beweiſe ſind voll-<lb/>ſtändig geführt, daß ſie ebenfalls dem Geſetz der Erhaltung <lb/>der Kraft unterworfen ſind; </s> <s xml:id="echoid-s4203" xml:space="preserve">und hierauf gründen ſich ſehr <lb/>ſichere Vermutungen, daß gerade die Sonne hierbei auch die <lb/>Hand im Spiele hat, — wie wir dies in der Folge unſerer <lb/>Betrachtung noch näher darthun werden. </s> <s xml:id="echoid-s4204" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4205" xml:space="preserve">Giebt es denn aber gar kein Mittel, Kraft zu erzeugen <lb/>ohne Sonne? </s> <s xml:id="echoid-s4206" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4207" xml:space="preserve">Freilich giebt es ein ſolches Mittel, wenn man nur etwas <lb/>weiter in den Weltraum hineingreift. </s> <s xml:id="echoid-s4208" xml:space="preserve">— Der Mond verurſacht <lb/>Ebbe und Flut und jagt an den Mündungen der Flüſſe ge-<lb/>waltige Wellen aufwärts, die dann abwärts fließen. </s> <s xml:id="echoid-s4209" xml:space="preserve">Solche <lb/>Waſſerſtrömungen könnte man freilich zur Herſtellung von <lb/>Kraft benutzen, woran die Sonne keinen Anteil hat; </s> <s xml:id="echoid-s4210" xml:space="preserve">allein bei <lb/>näherer Erwägung zeigt ſich’s, daß auch hierbei Dinge mit <lb/>ins Spiel kommen, welche wie die Anziehungskraft des Mondes, <pb o="43" file="357" n="357"/> der Erde, der Waſſerteilchen an einander und des Widerſtandes, <lb/>den ſie beim Strömen darbieten, in einem großen noch ge-<lb/>heimen Zuſammenhang ſtehen mit einer Generalkraft, die <lb/>wahrſchein@ch die Mutter all der Kräfte iſt, die unter ſehr <lb/>verſchiedener Geſtalt auftreten, und dieſe Generalkraft weiß <lb/>man auch wiederum nur in den Himmelskörpern zu ſuchen, <lb/>zu welchen die Sonne gehört. </s> <s xml:id="echoid-s4211" xml:space="preserve">— Wir werden weiterhin auch <lb/>hierauf noch zu ſprechen kommen, müſſen aber für jetzt wiederum <lb/>zurück, denn wir ſind mit der Wärme noch nicht fertig. </s> <s xml:id="echoid-s4212" xml:space="preserve">—</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div186" type="section" level="1" n="122"> <head xml:id="echoid-head138" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Die Erde eine große Dampfmaſchine.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4213" xml:space="preserve">Seitdem man weiß, daß die Wärme ſolch ein heimlicher <lb/>Schatz von Kraft iſt, ja daß alle Kraft, die wir, ſei es mit <lb/>unſeren Händen, ſei es durch Maſchinen, ſei es durch Wind <lb/>oder Waſſer oder Gewicht oder Dampf erzeugen, nicht von <lb/>uns wirklich erzeugt wird, ſondern bloß eine Ausgabe von <lb/>Kraft iſt, die uns die Sonne in ſehr verſchiedener Form als <lb/>Wärme herniedergeſendet hat, ſeit dieſer Zeit haben ſich die <lb/>Naturforſcher mit vermehrter Aufmerkſamkeit zu der Unter-<lb/>ſuchung dieſer lichten Quelle von Kraft gewendet und durch <lb/>Beobachtung und Rechnungen einigen Anhalt ausfindig ge-<lb/>macht über die Summe der Kraft, die wir von daher beziehen.</s> <s xml:id="echoid-s4214" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4215" xml:space="preserve">Die Wichtigkeit des Gegenſtandes hat die beſten Köpfe <lb/>der deutſchen wie der franzöſiſchen und engliſchen Denker in <lb/>Thätigkeit verſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s4216" xml:space="preserve">Die Reſultate der Forſchungen darf man <lb/>für jetzt noch keineswegs als abgeſchloſſen anſehen und in <lb/>manchen Vorfragen, die dabei eine Hauptrolle ſpielen, weichen <lb/>gewiſſe Vorausſetzungen nicht wenig von einander ab; </s> <s xml:id="echoid-s4217" xml:space="preserve">gleich-<lb/>wohl darf man die Zahlen als ungefähre Schätzungen für <pb o="44" file="358" n="358"/> richtig hiunehmen und ſie als erſte Fundamente weiterer Ar-<lb/>beiten betrachten. </s> <s xml:id="echoid-s4218" xml:space="preserve">— Die Ergebniſſe der bisherigen Forſchungen <lb/>ſind folgende:</s> <s xml:id="echoid-s4219" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4220" xml:space="preserve">Wenn man die geſamte Wärmemenge, welche die Erde im <lb/>Laufe eines Jahres von der Sonne empfängt, auf die ganze <lb/>Erdoberfläche gleichmäßig verteilt und ſie nur zum Schmelzen <lb/>von Eis verwendet, ſo würde man mit derſelben eine Eis-<lb/>ſchicht ſchmelzen können, welche die ganze Erde in einer Dicke <lb/>von 33 Meter umhüllt.</s> <s xml:id="echoid-s4221" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4222" xml:space="preserve">Außer dieſer Summe von Wärme, welche die Erde direkt <lb/>von der Sonne erhält, bekommt ſie keine Wärme weiter, nament-<lb/>lich nicht, wie man früher glaubte, aus dem von Fixſternen ge-<lb/>füllten Weltenraum. </s> <s xml:id="echoid-s4223" xml:space="preserve">Die Erde indeſſen empfängt die Wärme <lb/>in anderer Weiſe, wie wir es hier bloß der Überſichtlichkeit <lb/>wegen angegeben; </s> <s xml:id="echoid-s4224" xml:space="preserve">auch hält ſie die Wärme, die ſie empfängt, <lb/>nicht ein Jahr lang beiſammen, und eben ſo wenig verwendet <lb/>oder verſchwendet ſie dieſelbe, bloß um Eis zu ſchmelzen, <lb/>ſondern die Art des Empfangens, der Verteilung und der <lb/>Verwendung der Wärme geſtaltet ſich anders.</s> <s xml:id="echoid-s4225" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4226" xml:space="preserve">Die Kugelform der Erde bringt es mit ſich, daß in jedem <lb/>Augenblick ihrer Umdrehung die ſenkrechten Wärmeſtrahlen der <lb/>Sonne auf einen anderen Punkt der Erde fallen. </s> <s xml:id="echoid-s4227" xml:space="preserve">Die Strahlen, <lb/>welche die Erdoberfläche nicht ſenkrecht treffen, bewirken im <lb/>Verhältnis der Krümmung der Erdoberfläche eine immer <lb/>ſchwächer werdende Erwärmung, weshalb denn die Pole der <lb/>Erde, wo die Sonnenſtrahlen ſehr ſchräg auffallen, in ewigem <lb/>Eiſe vergraben ſind. </s> <s xml:id="echoid-s4228" xml:space="preserve">Aber auch jeder Punkt des Äquators <lb/>verbleibt nur einen Augenblick unter dem ſenkrechten Strahl <lb/>der Sonne, und die ganze von Wärmeſtrahlen betroffene Tages-<lb/>hälfte der Erde iſt nach zwölf Stunden die Nachtſeite geworden, <lb/>wo die Erde wieder Wärme ausſtrahlt.</s> <s xml:id="echoid-s4229" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4230" xml:space="preserve">Iſt in ſolcher Weiſe ſchon das Empfangen und das Aus-<lb/>geben der Wärme ſehr verſchieden auf jedem Teil der Erd- <pb o="45" file="359" n="359"/> oberfläche, ſo muß die Verwendung der empfangenen Wärme <lb/>als Kraft noch einer ganz anderen Betrachtung unterworfen <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s4231" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4232" xml:space="preserve">Einen Teil der empfangenen Wärme ſendet die Erde <lb/>wiederum in den Weltraum hinein. </s> <s xml:id="echoid-s4233" xml:space="preserve">Dieſen Teil wollen wir <lb/>einmal vorläufig als verloren anſehen und ſpäter die Folgen <lb/>dieſes Verluſtes erwägen. </s> <s xml:id="echoid-s4234" xml:space="preserve">Den Hauptteil aber verwendet die <lb/>Erde ſehr praktiſch. </s> <s xml:id="echoid-s4235" xml:space="preserve">Sie ſpielt nämlich Dampfmaſchine en gros <lb/>und läßt die Wärme recht gründlich arbeiten, und in dem Pro-<lb/>dukte der Arbeit, in dem Fabrikat, iſt ſie ſo geſcheit, ungeheuere <lb/>Portionen von Kraft aufzuſpeichern, und nebenbei geſtattet ſie <lb/>uns, ihren Kindern ſamt dem bischen Tierwelt, das auf ihrem <lb/>Rund ſich regt und bewegt, inzwiſchen ein wenig ſelbſtändige <lb/>Kraftmaſchine zu ſpielen, oder was man ſo nennt: </s> <s xml:id="echoid-s4236" xml:space="preserve">derweile ſo <lb/>lange zu leben, bis wir ſterben. </s> <s xml:id="echoid-s4237" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4238" xml:space="preserve">Eine Hauptarbeit, welche die Erde der Wärme anweiſt, <lb/>beſteht nämlich in der Waſſerverdampfung. </s> <s xml:id="echoid-s4239" xml:space="preserve">Die Wärme iſt <lb/>es, welche der Luft die Fähigkeit verleiht, Waſſerdampf in ſich <lb/>aufzuſaugen. </s> <s xml:id="echoid-s4240" xml:space="preserve">Dieſe Arbeit verrichtet die Luft an allen Stellen <lb/>der Erde, welche Feuchtigkeiten enthalten und hauptſächlich, <lb/>wenn ſie über Meere, Seen, Bäche, Teiche und Flüſſe dahin-<lb/>ſtreicht. </s> <s xml:id="echoid-s4241" xml:space="preserve">Die Wärme hat aber außerdem noch eine zweite Arbeit <lb/>zu ſtande zu bringen. </s> <s xml:id="echoid-s4242" xml:space="preserve">Sie dehnt die Luft am Äquator der <lb/>Erde aus, ſo daß ſie leichter wird und in die Höhe ſteigt und <lb/>nun einen Raum darbietet für die Luft an beiden Seiten, um <lb/>hinzuzuſtrömen und ſich erwärmen zu laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4243" xml:space="preserve">Hierdurch, und <lb/>unterſtützt von der Anziehungskraft der Erde, welche ſtets ein <lb/>Gleichgewicht im Luftmeer herzuſtellen beſtrebt iſt, wird eine <lb/>unausgeſetzte Cirkulation des ganzen Luftmeers erzeugt, von <lb/>welchem immer neue Maſſen erwärmt und fähig werden, Waſſer <lb/>in ſich aufzunehmen. </s> <s xml:id="echoid-s4244" xml:space="preserve">Da nun alles Waſſer als Regen, Schnee, <lb/>Hagel und Nebel auf die Erde niederfällt und ſich ſodann in <lb/>Quellen, Bächen, Flüſſen und Strömen ſammelt und wieder <pb o="46" file="360" n="360"/> ins Meer fließt, ſo hat man an der Summe dieſer Waſſer-<lb/>maſſen einen Maßſtab der Arbeit, welche die Wärme verrichtet, <lb/>und auf Grund der Beobachtung dieſer Waſſermaſſen ſchätzt <lb/>man die hierzu verwendeten Kräfte auf ein Drittel der Wärme, <lb/>welche die Erde von der Sonne erhält.</s> <s xml:id="echoid-s4245" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4246" xml:space="preserve">Mit unſeren gewöhnlichen Maſchinenkräften verglichen, <lb/>ſtellt ſich die Summe der Kraft, die in der Form von Wärme <lb/>hierauf verwendet wird, ungefähr in folgender Weiſe heraus:</s> <s xml:id="echoid-s4247" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4248" xml:space="preserve">Wenn man ein Jahr lang durch künſtliche Wärme dieſelbe <lb/>Maſſe Waſſer verdampfen laſſen wollte, welche die Sonnen-<lb/>wärme zur Verdampfung bringt, ſo würde man ſo viel Brenn-<lb/>material anwenden müſſen, daß man damit eine ganze Billion <lb/>Maſchinen, jede von 16 Pferdekräften, in Bewegung ſetzen <lb/>könnte. </s> <s xml:id="echoid-s4249" xml:space="preserve">— Denkt man ſich dieſe Kräfte gleichmäßig auf der <lb/>Erdoberfläche verteilt, ſo kommt auf jeden Morgen Landes <lb/>eine Kraft, die gleich iſt einer Maſchine von 79 Pferdekräften. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4250" xml:space="preserve">— Hierbei iſt denn freilich noch vorausgeſetzt, daß wirklich <lb/>bei unſeren Dampfmaſchinen alle Wärme in Arbeitskraft ver-<lb/>wandelt werden kann; </s> <s xml:id="echoid-s4251" xml:space="preserve">dies aber iſt keineswegs der Fall. </s> <s xml:id="echoid-s4252" xml:space="preserve">Wie <lb/>ſorgſam man auch eine Dampfmaſchine einrichtet, es iſt bisher <lb/>immer nur möglich geweſen, einen ſehr kleinen Teil, etwa ein <lb/>Funfzehntel der Wärme des Brennmaterials zur Bildung von <lb/>Dampf zu benutzen, der übrige Teil geht zur Erwärmung der <lb/>Feuerräume, des Keſſels, des Schornſteins, der ausſtrömenden <lb/>Luft und der ganzen Maſchine drauf und wird von all’ dem <lb/>nutzlos ausgeſtrahlt.</s> <s xml:id="echoid-s4253" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4254" xml:space="preserve">Wir haben aber noch auf eine weitere Arbeit der Sonnen-<lb/>wärme unſere Aufmerkſamkeit zu richten, für welche mau nicht <lb/>einmal ſchätzungsweiſe die Summe der Kraft angeben kann. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4255" xml:space="preserve">Dieſe Arbeit iſt gewiſſermaßen ein Gegenſtück der eben er-<lb/>wähnten; </s> <s xml:id="echoid-s4256" xml:space="preserve">denn wenn man die erwähnte Thätigkeit der Wärme <lb/>ein großes Deſtillations- und Waſſertransportgeſchäft durch das <lb/>Luftmeer nennen kann, ſo iſt das, was wir jetzt zur Sprache <pb o="47" file="361" n="361"/> bringen müſſen, ein Lufttransportgeſchäft durch alle Tiefen der <lb/>Gewäſſer, wobei die Wärme aufs gründlichſte alle Meere um-<lb/>rührt und darin eine Kraft entwickelt, welche man noch gar <lb/>nicht in die uns anſchaulichen, beliebten Pferdekräfte über-<lb/>ſetzen kann.</s> <s xml:id="echoid-s4257" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div187" type="section" level="1" n="123"> <head xml:id="echoid-head139" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Wie die Meere mit Luft geſpeiſt werden.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4258" xml:space="preserve">Zu den noch unberechenbaren Wirkungen oder richtiger <lb/>den Arbeiten der Sonnenwärme gehören die Umwälzungen, <lb/>die ſie in den Gewäſſern des Meeres verurſacht und die Strö-<lb/>mungen, die ſie mitten in den Meeren erzeugt und welche viel <lb/>gewaltigerer Natur ſind als die, welche das Feſtland durch-<lb/>ziehen.</s> <s xml:id="echoid-s4259" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4260" xml:space="preserve">Um uns die Art, wie die Wärme ihre Arbeit verrichtet, <lb/>in möglichſt bequemem Grade anſchaulich zu machen, wollen <lb/>wir uns eine beſondere Gunſt von der Natur ausbitten und <lb/>uns zu dieſem Zweck die Annahme erlauben, daß die Sonne <lb/>an einem Frühlings- oder Herbſttage, wo ſie ſenkrecht auf den <lb/>Äquator der Erde ſcheint, ganz beſonders von der Luft un-<lb/>geniert bleibe und von vollſtändig heiterem Himmel hernieder <lb/>das Erdenrund beſcheine. </s> <s xml:id="echoid-s4261" xml:space="preserve">In ſolchem Momente werden ihre <lb/>Strahlen auch beide Pole der Erde erreichen, und in gleicher <lb/>Weiſe wie das Licht, wird auch die Wärmeerzeugung auf der <lb/>zur Sonne gewandten Halbkugel der Erde ſtattfinden. </s> <s xml:id="echoid-s4262" xml:space="preserve">— Nehmen <lb/>wir für einen Augenblick an, daß das Luftmeer uns zu Ge-<lb/>fallen ſich zur Ruhe lege, daß Ebbe und Flut das Gleich-<lb/>gewicht der Waſſerkugel der Weltmeere auch nicht ſtören, ja <lb/>ſogar, daß die Erde zur Feier des Momentes unſerer Betrach-<lb/>tung ihre Drehung einſtelle, und auch den Flüſſen, die ſie ins <pb o="48" file="362" n="362"/> Meer ſendet, unſertwegen Stillſtand gebiete, ſo würden wir die <lb/>Wirkung der Wärme auf der Kugelfläche des Meeres von Pol <lb/>zu Pol und von Oſt nach Weſt ungehindert von Neben-<lb/>erſcheinungen überblicken und die Bewegungen und Miſchungen, <lb/>die ſie veranlaßt, betrachten können, ſobald wir nur dazu das <lb/>Eine nicht vergeſſen, daß die Anziehungskraft der Erde unter <lb/>allen Umſtänden ein ſtetes Gleichgewicht im Druck des Waſſers <lb/>herzuſtellen bemüht iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4263" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4264" xml:space="preserve">Angenommen, der feierliche Moment beginne jetzt eben, <lb/>und uns zu Gefallen mit ganz beſonderer Macht, ſo würden <lb/>wir wahrnehmen, wie an der Stelle, wo die Sonnenſtrahlen <lb/>ſenkrecht hernieder ſchießen, eine mächtige Waſſerverdampfung <lb/>ſtattindet; </s> <s xml:id="echoid-s4265" xml:space="preserve">dasſelbe findet auch in ſehr weitem Umkreiſe nach <lb/>Nord und Süd und Oſt und Weſt von dieſer Stelle ſtatt, <lb/>wenngleich die Verdampfung immer ſchwächer wird, je ent-<lb/>fernter der Ort von dieſer Hauptſtelle ſich befindet. </s> <s xml:id="echoid-s4266" xml:space="preserve">Jedenfalls <lb/>jedoch werden wir ſehen, wie hier die Waſſerkugel des Meeres <lb/>anfängt ſich abzuflachen, weil die verdampfenden Waſſermaſſen <lb/>aufſteigen in die Luft. </s> <s xml:id="echoid-s4267" xml:space="preserve">Da aber die Anziehungskraft der Erde <lb/>ſolch eine Störung des Gleichgewichts nicht zugeben kann, ſo <lb/>wird ſie dafür ſorgen, daß von allen Seiten friſches Waſſer <lb/>zuſtrömt, damit ihre Kugelfläche ſich immer hübſch gleichmäßig <lb/>rund erhalte.</s> <s xml:id="echoid-s4268" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4269" xml:space="preserve">Inzwiſchen aber wird an der Stelle, wo unſer Schauſpiel <lb/>begonnen hat, das übrig gebliebene, unverdunſtete Waſſer auch <lb/>noch ganz andere Kunſtſtücke machen. </s> <s xml:id="echoid-s4270" xml:space="preserve">Das Meereswaſſer iſt <lb/>nämlich ſehr ſalzig und bekanntlich nicht etwa von den <lb/>Häringen, die dort herumſchwimmen, ſondern von all den <lb/>Salzen, welche alle Gewäſſer aus der Erde auflöſen und ins <lb/>Meer bringen, während bei der Verdampfung nur das reine <lb/>Waſſer verdampft und das Salz im Meer zurückläßt. </s> <s xml:id="echoid-s4271" xml:space="preserve">Nun <lb/>aber iſt Salzwaſſer ſchwerer als ſüßes Waſſer, und je mehr <lb/>Salzgehalt es hat, deſto ſchwerer iſt es, und je ſchwerer <pb o="49" file="363" n="363"/> eine Miſchung iſt, deſto mehr ſinkt ſie in einer leichteren <lb/>Miſchung nach der Tiefe. </s> <s xml:id="echoid-s4272" xml:space="preserve">— Indem nun an unſerer berühmten <lb/>Stelle eine ſtarke Verdunſtung des reinen Waſſers ſtattfindet, <lb/>hinterläßt es in der zurückbleibenden Maſſe all ſein Salz, und <lb/>während das verdunſtende Waſſer ſich emporhebt in die <lb/>Luft, ſinkt das ſchwerer gewordene, zurückgebliebene Waſſer <lb/>langſam in die Tiefe. </s> <s xml:id="echoid-s4273" xml:space="preserve">— Da man aber anſtändigerweiſe nicht <lb/>verlangen kann, daß uns zu Gefallen ein Loch im Meere bleibe, <lb/>ſo müſſen wir ſchon zugeben, daß auch dieſerhalb von allen <lb/>Seiten her Waſſer zuſtröme, um das in die Tiefe unter-<lb/>getauchte Waſſer zu erſetzen, wofür denn natürlich ſich das <lb/>untergetauchte Waſſer ſchon nach allen Seiten hin Platz machen <lb/>wird, und da unten, wohin wir mit unſerm Blick nicht reichen, <lb/>eine kleine Verſchiebung und Wanderung machen wird, um <lb/>ſich ins richtige Gleichgewicht zu verſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s4274" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4275" xml:space="preserve">Wie groß wir uns nun auch die Stelle denken mögen, <lb/>wo unſer Schauſpiel ſtattfindet, es wird wohl nach allen <lb/>Seiten hin ſeine Grenze haben. </s> <s xml:id="echoid-s4276" xml:space="preserve">Ringsherum in Oſt und Weſt <lb/>und Nord und Süd wird es eine Stelle geben, wo die ſchräg <lb/>auffallenden Sonnenſtrahlen aus Gründen, die erſt in aller-<lb/>neueſter Zeit klar geworden, nicht mehr ſo wirkſam ſind, um <lb/>direkte Waſſerverdunſtung zu erzeugen; </s> <s xml:id="echoid-s4277" xml:space="preserve">aber wo wir auch nach <lb/>allen Ecken ausſchauen, würden wir dennoch das Waſſer in <lb/>beſonderer Beſchäftigung und Bewegung begriffen finden.</s> <s xml:id="echoid-s4278" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4279" xml:space="preserve">Wenn auch augenblicklich die Erde unſerer Betrachtung zu <lb/>Liebe in ihrer Umdrehung innehält, ſo dürfen wir doch nicht <lb/>vergeſſen, daß in Wirklichkeit dasſelbe Schauſpiel, welches jetzt <lb/>an unſerer berühmten Stelle ſtattfindet, vor 18 Stunden im <lb/>äußerſten Weſten und erſt vor 6 Stunden im äußerſten Oſten <lb/>geſpielt hat. </s> <s xml:id="echoid-s4280" xml:space="preserve">Am erſteren Punkte iſt es gegenwärtig Morgen <lb/>und Sounenaufgang, wo während der Nacht eine ſehr kühle <lb/>Luft im Vergleich zur Tageshitze geherrſcht. </s> <s xml:id="echoid-s4281" xml:space="preserve">Dieſe kühle Luft <lb/>hat nun auch das Waſſer an der Oberfläche abgekühlt, während <pb o="50" file="364" n="364"/> es in der Tiefe noch warm iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4282" xml:space="preserve">da aber kaltes Waſſer ſchwerer <lb/>iſt als warmes, ſo findet im Weſtpunkt auch ein Untertauchen <lb/>des oberen Waſſers nach der Tiefe und ein Steigen von unten <lb/>nach oben, oder richtiger jenes Suchen des Gleichgewichtes im <lb/>Waſſer ſtatt, das bekanntlich alle Flüſſigkeiten ſehr ſchnell <lb/>ſuchen, aber ſehr ſchwer und erſt nach vielen Schwankungen <lb/>finden, wenn glücklicherweiſe keine neue Störung eintritt. </s> <s xml:id="echoid-s4283" xml:space="preserve">— Im <lb/>fernen Oſten von unſerer berühmten Stelle aber, da iſt es <lb/>Abend und geht augenblicklich die Sonne unter. </s> <s xml:id="echoid-s4284" xml:space="preserve">Da iſt es <lb/>noch ſehr heiß und die durchglühte Luft ſaugt noch immer <lb/>Waſſer auf. </s> <s xml:id="echoid-s4285" xml:space="preserve">Dort alſo ſpielt die Scene noch ganz gemütlich <lb/>fort, die vor ſechs Stunden daſelbſt ebenſo ſtattgefunden hat, <lb/>wie an unſerer Stelle; </s> <s xml:id="echoid-s4286" xml:space="preserve">es fährt alſo auch dort noch deſtilliertes <lb/>Waſſer in die Luft und dickes Salzwaſſer in die Tiefe, und <lb/>das Reſultat iſt alſo gleichfalls ein tüchtiges Durcheinander-<lb/>bewegen der Flüſſigkeit, ein Umrühren, das in ſeiner Gewalt <lb/>ein ganz gründliches Stück Arbeit iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4287" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4288" xml:space="preserve">Richten wir aber gar den Blick ſeitwärts nach Nord und <lb/>Süd, dorthin, wo die Eiſesgrenze herrſcht und die Sonnen-<lb/>wärme, die herniederkommt, ein großes Schmelzgeſchäft zu ver-<lb/>richten hat, ſo ſtoßen wir auf Erſcheinungen, die noch viel <lb/>intereſſanter ſind.</s> <s xml:id="echoid-s4289" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4290" xml:space="preserve">Das Waſſer, das vom Eiſe abſchmilzt, iſt ungeſalzen, <lb/>alſo leichter als Meerwaſſer; </s> <s xml:id="echoid-s4291" xml:space="preserve">und im Moment des Schmelzens <lb/>iſt es auch weniger dicht als dann, wo es vier Grad Wärme <lb/>hat. </s> <s xml:id="echoid-s4292" xml:space="preserve">Das geſchmolzene Waſſer ſchwimmt alſo oben auf und <lb/>drückt auf die Tiefe, und da das Gleichgewicht des Waſſers auch <lb/>nicht geſtattet, daß ſich dauernd Waſſerberge im Meere bilden, <lb/>muß das unten liegende Waſſer ihm Platz machen und zum <lb/>Äquator hinſtrömen. </s> <s xml:id="echoid-s4293" xml:space="preserve">Nun aber ſchwimmt eiskaltes Waſſer nur <lb/>ſo lange oben auf, wie es eiskalt bleibt; </s> <s xml:id="echoid-s4294" xml:space="preserve">ſo wie es vier Grad <lb/>Wärme annimmt und an Salzgehalt ſeine Portion weg hat, <lb/>wird es wieder ſchwerer als jedes Waſſer der Tiefe, das wärmer <pb o="51" file="365" n="365"/> iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4295" xml:space="preserve">da tritt denn ſehr natürlich wieder eine Umwälzung ein, <lb/>wo ſich oberſt zu unterſt umkehrt und ein Umrühren veran-<lb/>laßt, für deſſen Mächtigkeit uns der Maßſtab fehlt.</s> <s xml:id="echoid-s4296" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4297" xml:space="preserve">Wenn wir nun beſcheiden genug ſind, die Natur nicht <lb/>weiter genieren zu wollen, die Erde alſo ihre Umdrehung, <lb/>Ebbe und Flut ihr Spiel beginnen, die Winde dazu ihren <lb/>Marſch blaſen und die Ströme ihre Fluten als Tänzer ins <lb/>Meer wälzen, ſo bekommen, wie man ſich denken kann, all die <lb/>Bewegungen ihren eru<unsure/>ſten Charakter, und die Wärme, die bis <lb/>auf Ebbe und Flut an all’ dem Schuld hat, ergiebt ſich ſofort <lb/>als ein ſauberer Erz-Urwühler, der ganz unſcheinbar vom <lb/>heiteren Himmel herab eine tüchtige Rebellion bis in die <lb/>Tiefen der Meere hineinträgt.</s> <s xml:id="echoid-s4298" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4299" xml:space="preserve">Bei dieſer Gelegenheit aber kommen die Waſſer der Tiefen <lb/>in Berührung mit der Luft, und wie warme Luft durſtig Waſſer <lb/>einſaugt, ſaugt kühles Waſſer Luft ein, und ſo gelingt denn <lb/>der Wärme auch ein reſpektables Nebengeſchäft, nämlich das <lb/>Umrühren der Gewäſſer und das <emph style="sp">Träuken derſelben mit</emph> <lb/>Luft zum Vergnügen aller Waſſertiere und Pflanzen, die eben <lb/>ſo luftdurſtig wie wir waſſerdurſtig ſind.</s> <s xml:id="echoid-s4300" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4301" xml:space="preserve">Wie viel Kraft dazu nötig iſt, das weiß man nicht, aber <lb/>das Eine iſt ſicher, daß die Wärme eine Arbeitskraft iſt, die <lb/>man mit den allmächtigen, beliebten Pferdekräften nicht gut er-<lb/>ſetzen könnte.</s> <s xml:id="echoid-s4302" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div188" type="section" level="1" n="124"> <head xml:id="echoid-head140" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Die konſervative Arbeit der Wärme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4303" xml:space="preserve">Wenngleich die Wärme im Luftmeer und in den Gewäſſern <lb/>der Erde wie ein Rebell gegen alle Ordnung und ein Erz-<lb/>wühler gegen alle Ruhe wirtſchaftet, ſo dürfen wir ihr doch <lb/>das Zeugnis nicht verſagen, daß ſie auch ſehr konſervative <pb o="52" file="366" n="366"/> Tugenden beſitzt und ſchließlich Arbeiten leiſtet, welche allem, <lb/>was da lebt unter der Sonne, zu gute kommen.</s> <s xml:id="echoid-s4304" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4305" xml:space="preserve">Schon die Bewegungen, die ſie in Luft und Waſſer ver-<lb/>anlaßt, ſind, wie bereits erwähnt, <emph style="sp">Vorbedingungen</emph> des <lb/>Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s4306" xml:space="preserve">— Ohne die Erhebung des Waſſerdunſtes in die Luft <lb/>würde auf dem Feſtlande der Erde die vollendete Trocknis <lb/>herrſchen, und ohne Rebellierung des Waſſers würde es in den <lb/>Tiefen der Gewäſſer an Luft fehlen; </s> <s xml:id="echoid-s4307" xml:space="preserve">es würde auf dem Feſt-<lb/>lande und in den Gewäſſern weder eine Tier- noch Pflanzen-<lb/>welt exiſtieren können, welche die Repräſentanten des organiſchen <lb/>Lebens der Erde ſind.</s> <s xml:id="echoid-s4308" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4309" xml:space="preserve">Allein die konſervativſte Arbeit der Wärme beſteht eben <lb/>darin, daß ſie nicht bloß die Vorbedingungen ſchafft, ſondern <lb/>die Prozeſſe des Lebens unterſtützt und durch Verwandlung <lb/>in andere Kräfte, die wir noch kennen lernen werden, vielleicht <lb/>gar die wirkliche, vielgeſuchte Kraft des Lebens bildet. </s> <s xml:id="echoid-s4310" xml:space="preserve">Min-<lb/>deſtens läßt ſich auf dem jetzigen Standpunkt der Naturwiſſen-<lb/>ſchaft ſchon ſo viel nachweiſen, daß die Wärme einen Maßſtab <lb/>für jede mechaniſche Kraft darbietet, welche lebende Weſen aus-<lb/>zuüben vermögen; </s> <s xml:id="echoid-s4311" xml:space="preserve">denn ganz ſo wie man aus der Summe der <lb/>Kohlen, welche eine Dampfmaſchine verbraucht, die möglichſte <lb/>Grenze der mechaniſchen Kraft der Maſchine zu berechnen ver-<lb/>mag, ganz ſo iſt man imſtande, aus der Summe des Stoffes, <lb/>welche ein lebendes Weſen als Speiſe verzehrt, und die in ihm, <lb/>wie ein Heizmaterial, Wärme erzeugt, die möglichſte Summe <lb/>von mechaniſcher Kraft zu bezeichnen, welche in ihm vorhanden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4312" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4313" xml:space="preserve">Die Ergebu<unsure/>iſſe der Wiſſenſchaft in dieſer Beziehung <lb/>klingen in der That wunderbar und faſt unglaublich; </s> <s xml:id="echoid-s4314" xml:space="preserve">wir <lb/>haben indeſſen nur nötig, an allbekannte, wunderbare Erſchei-<lb/>nungen zu erinnern, und jedem, der ſich ſträubt, neue Wahr-<lb/>heiten der Wiſſenſchaft aufzunehmen, wenn ſie der zeitherigen <lb/>Vorſtellungsweiſe widerſprechen, die wirklich lebensſchöpferiſche <lb/>Kraft der Wärme ins Gedächtnis zu rufen.</s> <s xml:id="echoid-s4315" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="53" file="367" n="367"/> <p> <s xml:id="echoid-s4316" xml:space="preserve">Daß ein Hühner-Ei nichts weiter als einer Wärme von <lb/>37 Grad Celſius bedarf, um ſich in 21 Tagen in ein lebendes <lb/>Hühnchen zu verwandeln, das haben wir oben (Teil 9) ein-<lb/>gehend auseinandergeſetzt, und das überzeugt wohl ausreichend, <lb/>welch’ einer wunderbaren Rolle die Wärme fähig iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4317" xml:space="preserve">Es iſt zwar <lb/>richtig, daß es nicht die Wärme iſt, welche aus dem Ei ein <lb/>Hühnchen gemacht hat, ſondern die Wärme hat nur bewirkt, <lb/>daß eine Kraft, welche im befruchteten Keime des Eies ſchon <lb/>vorhanden war, gewiſſermaßen aus einem gebundenen Zuſtand <lb/>in einen thätigen überging und unter dem Fortwirken der <lb/>Wärme durch die ganze Brütezeit nach einem bereits vorhan-<lb/>denen, naturgeſetzlichen Plan die Thätigkeit ſo lange fortſetzen <lb/>konnte, bis die Verwandlung vollſtändig und das Hühnchen <lb/>fertig war. </s> <s xml:id="echoid-s4318" xml:space="preserve">Aber wenn man annimmt, daß die Wärme nur, <lb/>ſo zu ſagen, ein Wecker ſchlafender Kräfte und nichts weiter <lb/>iſt, ſo iſt dies doch ein Irrtum. </s> <s xml:id="echoid-s4319" xml:space="preserve">Die Wärme pocht nicht etwa <lb/>den Keim wach und geht davon, ſondern ſie muß immerfort <lb/>bei ihm bleiben, damit er ja nicht wieder einſchläft und ſein <lb/>ganzes Geſchäft ruhen läßt. </s> <s xml:id="echoid-s4320" xml:space="preserve">Es erſcheint alſo, ſchon von dieſer <lb/>Seite aus betrachtet, die Wärme eine Art ewig anregender <lb/>Gehilfe zu ſein, der den Meiſter Keim unausgeſetzt zur Arbeit <lb/>antreiben muß.</s> <s xml:id="echoid-s4321" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4322" xml:space="preserve">Aber auch dieſe ſchon reſpektablere Rolle der Wärme <lb/>drückt doch noch keineswegs den vollen Charakter ihrer Thätig-<lb/>keit aus. </s> <s xml:id="echoid-s4323" xml:space="preserve">Sie iſt nicht bloß ein anregender Gehilfe, ſondern <lb/>ſie ſpielt die Rolle einer wirklichen Triebkraft. </s> <s xml:id="echoid-s4324" xml:space="preserve">Sie iſt buch-<lb/>ſtäblich mit dem Dampf im Dampfkeſſel zu vergleichen, der <lb/>eine Maſchine in Bewegung ſetzt, gleichviel ob die Maſchine <lb/>zum Spinnen oder zum Weben oder zum Stricken oder zum <lb/>Hämmern eingerichtet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4325" xml:space="preserve">Dieſelbe Wärme des Brütofens, die <lb/>aus dem einen Ei ein Hühnchen entſtehen läßt, bewirkt in <lb/>einem anderen eine kleine Ente oder einen jugendlichen Put-<lb/>hahn. </s> <s xml:id="echoid-s4326" xml:space="preserve">Die Eier ſind alſo in der That wie die Maſchine zu <pb o="54" file="368" n="368"/> beſtimmten Werken eingerichtet, und die Wärme iſt wie die <lb/><emph style="sp">Kraft</emph>, welche ſie in Bewegung ſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s4327" xml:space="preserve">Aber das Wunderbare <lb/>hierbei iſt die Wahrnehmung, daß nicht bloß der Keim der <lb/>Kraft der Wärme bedurft hat, um in Betrieb zu geraten, ſon-<lb/>dern daß das ganze Ei vom Beginn ſeines Entſtehens im <lb/>Leibe des Mutterhuhnes ab bis zu ſeinem glücklichen Geburts-<lb/>tag in der Welt gleichfalls dieſe Portion der Wärme zu ſeiner <lb/>Entſtehung gebraucht. </s> <s xml:id="echoid-s4328" xml:space="preserve">Findet es nun in der weiten Welt <lb/>keine Gelegenheit, <emph style="sp">wieder zu dieſer ſelben Portion <lb/>Wärme zu gelangen</emph>, ſo hat es ſein Schickſal als Ei zwar <lb/>vollendet, aber es wird, ſei es als Nahrung, ſei es als <lb/>Dünger, die Kraft, die es in ſich hat, ſchon wieder abgeben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4329" xml:space="preserve">Findet es aber die Portion Wärme in der Welt vor und <lb/>dauert die auch drei Wochen an, ſo entwickelt ſich das Ei zum <lb/>Hühnchen; </s> <s xml:id="echoid-s4330" xml:space="preserve">und wenn das Hühnchen da iſt, beſitzt es dieſelbe <lb/>Portion Wärme als <emph style="sp">Lebens-</emph> oder <emph style="sp">Leibes</emph>-Wärme und <lb/>weiß ſich durch Nahrung dieſelbe Wärme immerfort zu er-<lb/>halten, bis es ſelber Eier legt oder befruchtet, um in Erb-<lb/>weisheit ſondergleichen dasſelbige Wärme-Betriebsgeſchäft fort-<lb/>zuſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s4331" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4332" xml:space="preserve">Wärme erſcheint alſo ſchon hierin als eine ſehr allgemeine <lb/>Betriebskraft, von welcher eine kleine Portion von dreißig <lb/>Grad irgendwann einmal in ein Huhn hineingeraten iſt und <lb/>ſich in ſtetiger Thätigkeit bis auf den heutigen Tag zu er-<lb/>halten gewußt hat, wo es vor uns liegt, um unter derſelben <lb/>Portion Wärme ſein Geſchäft mit ungeſchwächten Mitteln fort-<lb/>zuſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s4333" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4334" xml:space="preserve">Wie aber, wenn wir uns einen Eierkuchen daraus machen? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4335" xml:space="preserve">Wo bleibt die Portion Wärme, oder Kraft? </s> <s xml:id="echoid-s4336" xml:space="preserve">Nun, das gerade <lb/>iſt es, was wir zur Sprache bringen wollten. </s> <s xml:id="echoid-s4337" xml:space="preserve">Sie geht als <lb/>Speiſe zu uns über und ſetzt in Menſchen-Körper verwandelt <lb/>ihr Geſchäft trotzdem fort; </s> <s xml:id="echoid-s4338" xml:space="preserve">denn alle unſere Speiſen dienen <lb/>nur zu zwei Zwecken: </s> <s xml:id="echoid-s4339" xml:space="preserve">ein Teil von ihnen iſt beſtimmt Leibes- <pb o="55" file="369" n="369"/> teil zu werden, und ein anderer Teil dient dazu, jene Portion <lb/>Wärme zu erzeugen, die zum Fortleben und zur Kraftäußerung <lb/>des Leibes ſo unumgänglich nötig iſt, wie das Heizen zum <lb/>Fortwirken der Maſchinen.</s> <s xml:id="echoid-s4340" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4341" xml:space="preserve">Weil dem aber ſo iſt, ſo hat die Wiſſenſchaft nicht früher <lb/>geruht, bis ſie nachweiſen konnte, daß es mit der ſogenannten <lb/>Lebenswärme und ihrem Verhältnis zur Leibeskraft eben ſo <lb/>ſteht, wie mit dem Verhältnis zwiſchen Kohle und Arbeits-<lb/>kraft einer Maſchine. </s> <s xml:id="echoid-s4342" xml:space="preserve">Ganz ſo wie das Geſetz von der Er-<lb/>haltung der Kraft ſich bewährt gezeigt hat in der mechaniſchen <lb/>Welt, ganz ſo ſuchte man es auf äußerſt ſchwierigen Wegen <lb/>der Forſchung als gültig nachzuweiſen in der lebendigen Welt, <lb/>und dieſer Verſuch iſt in ſo weit gelungen, daß man gegen-<lb/>wärtig nicht mehr an der Wahrheit des Lehrſatzes zweifelt, <lb/>ſondern nur daran arbeitet, die Schwierigkeiten fortzuräumen, <lb/>welche ſich einer genaueren Berechnung noch immer entgegen-<lb/>ſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s4343" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4344" xml:space="preserve">Die jetzigen Reſultate, die noch einer ſpäteren Verbeſſerung <lb/>anheim gegeben ſind, lauten wie folgt.</s> <s xml:id="echoid-s4345" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4346" xml:space="preserve">Wenn man alles, was ein Menſch in geſundem Zuſtand <lb/>und von ſo und ſo viel Kilo Gewicht durchſchnittlich in <lb/>24 Stunden aufißt, einer Unterſuchung unterwirft und danach <lb/>berechnet, wie viel Wärme man daraus bei einer Verbrennung <lb/>hätte erzeugen können, ſo wird man anzugeben im ſtande ſein, <lb/>wie viel Centner Waſſer man damit hätte um einen Grad <lb/>wärmer machen, oder auch wie viel Centner man mit der <lb/>Kraft, die dieſer Wärme entſpricht, hätte hochheben können, <lb/>oder wiſſenſchaftlich ausgedrückt: </s> <s xml:id="echoid-s4347" xml:space="preserve">wie viel Wärme-Einheiten <lb/>der Menſch aufgegeſſen.</s> <s xml:id="echoid-s4348" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4349" xml:space="preserve">Dies iſt denn auch das Einnahme-Konto des Menſchen <lb/>an Kraft.</s> <s xml:id="echoid-s4350" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4351" xml:space="preserve">Nun aber muß man auch das Ausgabe-Konto kennen, <lb/>um zu wiſſen, was er an Kraft übrig behält. </s> <s xml:id="echoid-s4352" xml:space="preserve">Dieſe Aus- <pb o="56" file="370" n="370"/> gaben ebenfalls in Wärme-Einheiten berechnet, beſtehen nun <lb/>in dem Wärme-Verluſt durch Schweiß, durch Erwärmung der <lb/>Luft beim Atmen, durch die Erwärmung der kalt genoſſenen <lb/>Speiſen, durch die Wärme der ausgeſchiedenen Stoffe, durch <lb/>Ausſtrahlung von Wärme am ganzen Körper und durch <lb/>Leitung von Wärme in alle kälteren Dinge, die wir berühren. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4353" xml:space="preserve">Rechnet man all’ dieſe Verluſte zuſammen und zieht man ſie <lb/>von dem Einnahme-Konto ab, ſo verbleibt ein Reſt von ziem-<lb/>lich beſtimmter Größe, und dieſer Reſt iſt gleich der geſamten <lb/>Kraft des Menſchen! —</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4354" xml:space="preserve">Wir wollen im nächſten Artikel dieſes Wärme- oder <lb/>Kraft-Konto des Menſchen durch nähere Angaben der Zahlen <lb/>deutlich zu machen ſuchen.</s> <s xml:id="echoid-s4355" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div189" type="section" level="1" n="125"> <head xml:id="echoid-head141" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Das Kraft-Konto im Menſchen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4356" xml:space="preserve">Der Verſuch, das Kraft-Konto oder, was jetzt für uns <lb/>dasſelbe iſt, das Wärme-Konto eines Menſchen zu berechnen, <lb/>konnte nicht eher angeſtellt werden, als bis man der Zahlen <lb/>ſicher war über das Kraft- und Wärme-Konto der Brennſtoffe, <lb/>welche in der Nahrung vorhanden ſind, und bis man den <lb/>Verbrauch von Sauerſtoff in der Atmung genau in Vergleich <lb/>ſtellen konnte mit derjenigen Portion Sauerſtoff, die man <lb/>verbraucht, wenn man dieſelben Stoffe auf gewöhnlichem <lb/>Wege zur Verbrennung bringt.</s> <s xml:id="echoid-s4357" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4358" xml:space="preserve">Wir haben bereits erwähnt, daß bei dieſem Prozeß im <lb/>Innern des menſchlichen Körpers noch manche Nebenumſtände <lb/>mitſpielen, welche auf das Reſultat von Einfluß ſind, welche <lb/>jedoch noch keineswegs die volle erwünſchte Sicherheit für die <lb/>Rechnung darbieten. </s> <s xml:id="echoid-s4359" xml:space="preserve">Wir wollen nur einige dieſer Umſtände <pb o="57" file="371" n="371"/> hier kurz erwähnen, welche man in der Folge wird mit in <lb/>Anrechnung bringen müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4360" xml:space="preserve">Der wichtige Umſtand iſt, daß <lb/>in der Speiſe der Kohlenſtoff und der Waſſerſtoff nicht als <lb/>freie Stoffe genoſſen werden, ſondern daß dieſe in einer Ver-<lb/>bindung mit einander und mit andern Beſtandteilen ſich be-<lb/>finden. </s> <s xml:id="echoid-s4361" xml:space="preserve">Beim Verbrennen, das bekau<unsure/>n<unsure/>tlich eine chemiſche <lb/>Verbindung des brennenden Körpers mit Sauerſtoff iſt, wird <lb/>nun die Wärme gemeſſen, welche entſteht, wenn freier Kohlen-<lb/>ſtoff oder freier Waſſerſtoff ſich mit Sauerſtoff verbindet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4362" xml:space="preserve">Waren aber dieſe Stoffe früher, wie in der Speiſe, ſchon in <lb/>einer chemiſchen Verbindung, ſo iſt die beim Verbrennen ent-<lb/>ſtehende Wärme geringer um eine Größe, die man bisher <lb/>noch nicht hat beſtimmen können. </s> <s xml:id="echoid-s4363" xml:space="preserve">— Ein zweiter Umſtand iſt, <lb/>daß alle Wärme, welche durch ein feines Gewebe geht, in <lb/>dieſem Gewebe ſelber in hohem Grade zurückgehalten wird, <lb/>wie dies bei den Caloriſchen Maſchinen der Fall iſt, wo das <lb/>Zurückbleiben der Wärme in feinen Drahtnetzen zu einer Er-<lb/>ſparung von Brennmaterial vorteilhaft verwendet wird. </s> <s xml:id="echoid-s4364" xml:space="preserve">Der <lb/>menſchliche Körper iſt nun ein ſolch feines Gewebe, durch <lb/>welches teils direkt das Blut ſtrömt, teils der Säfte-Austauſch <lb/>durch ſeine Wandungen hindurch ſtattfindet, und dieſe Beſchaffen-<lb/>heit der Maſchinerie darf nicht ohne Erwägung bleiben, wenn <lb/>man Einnahme und Ausgabe der Wärme ganz in Betracht <lb/>ziehen will. </s> <s xml:id="echoid-s4365" xml:space="preserve">— Ein weiterer Umſtand iſt die Entdeckung, welche <lb/>Quincke in Heidelberg gemacht hat, daß nämlich beim Durch-<lb/>treten von Flüſſigkeiten durch feine Häute ein elektriſcher Strom <lb/>entſteht. </s> <s xml:id="echoid-s4366" xml:space="preserve">Dies geſchieht nun im menſchlichen Körper allent-<lb/>halben und ganz unzweifelhaft auf Koſten der Wärme, kann <lb/>alſo unmöglich ohne Einfluß auf das geſamte Wärme- und <lb/>Kraft-Konto im Menſchen bleiben.</s> <s xml:id="echoid-s4367" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4368" xml:space="preserve">Abgeſehen indeſſen von dieſen und noch andern Umſtänden, <lb/>welche einer weitern Forſchung unterworfen ſind, ſtellt ſich die <pb o="58" file="372" n="372"/> Berechnung dieſes Kraft- oder Wärme-Kontos in folgender <lb/>Weiſe heraus.</s> <s xml:id="echoid-s4369" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4370" xml:space="preserve">In einem Pfund reiner Kohle ſteckt eine ganz unglaubliche <lb/>Wärme-Menge oder Arbeitskraft. </s> <s xml:id="echoid-s4371" xml:space="preserve">Wenn man ein Pfund <lb/>Kohle ſo verbrennt, daß alle daraus entſtehende Wärme ohne <lb/>Verluſt zur Erwärmung von Waſſer verwendet wird, ſo iſt <lb/>man damit im ſtande, 80 Eentner Waſſer um einen Grad <lb/>wärmer zu machen als es vorher geweſen; </s> <s xml:id="echoid-s4372" xml:space="preserve">oder was dasſelbe <lb/>iſt, man kann 80 Pfund eiskaltes Waſſer damit zum Kochen <lb/>bringen. </s> <s xml:id="echoid-s4373" xml:space="preserve">— Nun aber wiſſen wir bereits, daß jede Portion <lb/>Wärme, welche ein Pfund Waſſer um einen Grad wärmer <lb/>macht, im ſtande iſt, eine Kraft zu äußern, mit welcher man <lb/>einen Centner 13 {1/2} Fuß hoch heben kann. </s> <s xml:id="echoid-s4374" xml:space="preserve">Da aber in einem <lb/>Pfund Kohle 8000 mal ſo viel Wärme ſteckt, ſo iſt die Kraft <lb/>des Pfundes Kohle ſo enorm groß, daß man damit einen <lb/>Centner auf 4 {1/2} M@ile Höhe zu heben im ſtande wäre.</s> <s xml:id="echoid-s4375" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4376" xml:space="preserve">Dasſelbe, was von der Verbrennung gilt, gilt aber auch <lb/>von dem Verzehren der Speiſen. </s> <s xml:id="echoid-s4377" xml:space="preserve">Die Portion Kohlenſtoff, <lb/>die wir durch Speiſen im Blute aufnehmen, erleidet in unſerm <lb/>Körper auch eine Verbrennung, das heißt eine Verbindung <lb/>mit dem Sauerſtoff der Luft, welche wir einatmen. </s> <s xml:id="echoid-s4378" xml:space="preserve">Bei dieſer <lb/>Verbindung entſteht in unſerm Körper genau dieſelbe Portion <lb/>Wärme wie bei der Verbrennung, und das iſt die Leibeswärme, <lb/>die nach Abzug all der Portionen Wärme, welche wir wieder <lb/>in verſchiedenen Poſten ausgeben, uns als Kraft verbleibt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4379" xml:space="preserve">Ganz dasſelbe gilt auch vom Waſſerſtoff-Gehalt unſerer <lb/>Speiſen, der mit dem Sauerſtoff der eingeatmeten Luft in <lb/>unſerm Körper in Waſſer verwandelt wird, wobei ebenfalls <lb/>ein hoher Grad von Erwärmung ſtattfindet. </s> <s xml:id="echoid-s4380" xml:space="preserve">Die genaue <lb/>Unterſuchung der Speiſe-Stoffe und des Atmungs-Prozeſſes <lb/>führt demnach zu einer Überſicht der Wärme und der Kraft, <lb/>welche hierdurch unſerm Körper zu teil wird und ſetzt uns in <lb/>den Stand, dieſe Summen in berechenbaren Zahlen auszudrücken.</s> <s xml:id="echoid-s4381" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="59" file="373" n="373"/> <p> <s xml:id="echoid-s4382" xml:space="preserve">Das Ergebnis der bisherigen Forſchung iſt alſo folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s4383" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4384" xml:space="preserve">Die Speiſen, die ein Mann von 164 Pfund Gewicht in <lb/>24 Stunden genießt, enthalten an Kohlenſtoff und an Waſſer-<lb/>ſtoff ſo viel Brennmaterial, daß man damit im ſtande wäre, <lb/>54 Centner Waſſer um einen Grad wärmer zu machen, als es <lb/>vorher war. </s> <s xml:id="echoid-s4385" xml:space="preserve">Beſtände dieſer Menſch aus eiskaltem Waſſer, <lb/>und würde er in den ganzen 24 Stunden keinen Wärmeverluſt <lb/>haben, ſo würde er nach der Aufnahme und der wirklichen <lb/>Verzehrung der Speiſen einige dreißig Grad warm werden, <lb/>alſo ungefähr die gewöhnliche Leibeswärme erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s4386" xml:space="preserve">— Die <lb/>Wärme-Menge dieſer Speiſen in 24 Stunden in Kraft aus-<lb/>gedrückt iſt ſehr bedeutend, ſie beträgt 24 000 Meter-Centner, <lb/>das heißt, mit ſolcher Wärme wäre man im ſtande eine Kraft <lb/>zu erzeugen, mit welcher man 24 000 Centner Gewicht einen <lb/>Meter hoch heben kann. </s> <s xml:id="echoid-s4387" xml:space="preserve">— Erlitte alſo der Menſch keinen <lb/>Wärmeverluſt und rechnete man ſeine ganze Kraft von 24 <lb/>Stunden zuſammen, ſo würde ſie dieſe eben erwähnte, außer-<lb/>ordentliche Größe erreichen. </s> <s xml:id="echoid-s4388" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4389" xml:space="preserve">Allein der Einnahme von Kraft oder Wärme in den <lb/>Speiſen geſellt ſich die unausgeſetzte Ausgabe derſelben zu. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4390" xml:space="preserve">Der ganze Lebensprozeß beſteht eben in der Einnahme und <lb/>der Ausgabe zugleich, und die Kraft, die wir haben, liegt nur <lb/>in dem Überſchuß der erſtern über die letztere; </s> <s xml:id="echoid-s4391" xml:space="preserve">dies in Zahlen <lb/>ausgedrückt, ergiebt nun folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s4392" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4393" xml:space="preserve">Der Menſch verdunſtet beim Ausatmen und in der Aus-<lb/>dünſtung der Haut in 24 Stunden an 48 Lot Waſſer; </s> <s xml:id="echoid-s4394" xml:space="preserve">dies <lb/>allein nimmt ſchon den vierten Teil, allſo 25 Prozent der <lb/>Wärme in Anſpruch. </s> <s xml:id="echoid-s4395" xml:space="preserve">Die eingeatmete Luft iſt kalt und muß <lb/>erwärmt werden, dies koſtet dem Menſchen 3 {1/4} Prozent der <lb/>Einnahme. </s> <s xml:id="echoid-s4396" xml:space="preserve">Um die genoſſenen Speiſen bis auf die Körper-<lb/>wärme zu bringen, verliert der Menſch an 2 Prozent ſeines <lb/>Einnahme-Kapitals. </s> <s xml:id="echoid-s4397" xml:space="preserve">Alle ausgeſchiedenen Stoffe verlaſſen <lb/>ebenfalls den Körper mit einer Wärme, die als Verluſt zu <pb o="60" file="374" n="374"/> betrachten iſt, und dieſer beträgt 1 {1/4} Prozent. </s> <s xml:id="echoid-s4398" xml:space="preserve">— Rechnet man <lb/>zu all dem den Verluſt der Wärme, die der Menſch ausſtrahlt <lb/>und die er bei jeder Berührung eines kälteren Gegenſtandes <lb/>verliert, ſo verbleibt ein Reſt von ungefähr 50 Prozent, <lb/>und dieſer iſt das im ganzen Körper des Menſchen ſteckende <lb/>Kraft-Kapital, durch welches er Kraft hat zum Gehen, zum <lb/>Stehen, zum Laufen, zum Arbeiten und zu all den Thätig-<lb/>keiten des Leibes, die man teils gezwungen, teils freiwillig <lb/>ausübt.</s> <s xml:id="echoid-s4399" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4400" xml:space="preserve">Dieſe Summe iſt noch immer ſehr groß. </s> <s xml:id="echoid-s4401" xml:space="preserve">Sie beträgt für <lb/>24 Stunden an 12 000 Meter-Centner; </s> <s xml:id="echoid-s4402" xml:space="preserve">d. </s> <s xml:id="echoid-s4403" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s4404" xml:space="preserve">ſie iſt ſo groß wie <lb/>die Kraft, mit welcher man 12 000 Centner einen Meter hoch <lb/>heben kann. </s> <s xml:id="echoid-s4405" xml:space="preserve">— Wollte man alſo einen Menſchen, der an ſich <lb/>ſchon 164 Pfund zu tragen hat, dazu zwingen, daß er in einem <lb/>Tage 24 mal einen Berg von etwa 300 Meter hinaufſteige, <lb/>ſo würde er — wenn er nicht früher ſtürbe — beim letztenmal <lb/>alle ſeine Kraft ausgegeben haben, ſo daß er nur noch <lb/>als Leiche oben ankäme. </s> <s xml:id="echoid-s4406" xml:space="preserve">— Will man Gebrauch von ſeiner <lb/>Menſchenkraft machen, ſo darf man ſie in 24 Stunden niemals <lb/>mehr als um ein Drittel der Geſamtkraft in Anſpruch nehmen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4407" xml:space="preserve">Das heißt alſo, um bei unſerm Beiſpiel zu bleiben: </s> <s xml:id="echoid-s4408" xml:space="preserve">in <lb/>8 Stunden kann ein Menſch wohl 8 mal 300 Meter ſteigen, <lb/>und er wird, unter Vorausſetzung von Pauſen, wo er wieder <lb/>Kraft in Speiſen einnimmt und die Atmung wieder in regel-<lb/>rechten Gang bringt, am Ende ſeiner Wanderung nichts an <lb/>Körperkraft eingebüßt haben. </s> <s xml:id="echoid-s4409" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4410" xml:space="preserve">Aus all dem ergiebt ſich nun, daß Wärme und Kraft auch <lb/>im lebenden Körper gleichbedeutend ſind, und iſt die Sonne <lb/>die Wärme-Quelle, welche für uns den Wärmeſtoff, die <lb/>Speiſen fabriziert, ſo iſt ſie auch die Quelle der Kraft unſeres <lb/>lebendigen Körpers.</s> <s xml:id="echoid-s4411" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4412" xml:space="preserve">Und darum müſſen wir jetzt auf die Fabrikations-Produkte <lb/>der Sonne, auf die Speiſen, einen Blick richten, um uns <pb o="61" file="375" n="375"/> ſodann in unſerer Betrachtung zu der Quelle, zur Sonne <lb/>ſelber zu erheben.</s> <s xml:id="echoid-s4413" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div190" type="section" level="1" n="126"> <head xml:id="echoid-head142" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Tie Aufſpeicherung der Sonnenwärme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4414" xml:space="preserve">Wenn man die Speiſen als den Wärmeſtoff unſeres Körpers <lb/>und ſomit auch als die Kraftquelle desſelben betrachtet, ſo leitet, <lb/>wie bereits öfter erwähnt, ein einfacher Schluß darauf hin, <lb/>daß unſere Kraft ſehr hohen Urſprunges iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4415" xml:space="preserve">denn ſie iſt hier-<lb/>nach <emph style="sp">ein Teil der Kraft der Sonne</emph>, die als Wärme her-<lb/>niederkommt und als ſolche in die Pflanzenwelt eintritt und in <lb/>der Speiſe eingeſchloſſen daliegt, bis dieſe in den Körper eines <lb/>Tieres oder des Menſchen übergeht, wo ſie durch die Atmung <lb/>wiederum zur Wärme-Quelle für den Körper wird und end-<lb/>lich in den einzelnen Körperteilen und namentlich in unſern <lb/>Muskeln in Form von <emph style="sp">Kraft</emph> hervortritt.</s> <s xml:id="echoid-s4416" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4417" xml:space="preserve">Die mechaniſche Kraft unſeres Armes, wie die Kraft jedes <lb/>andern Gliedes unſeres Körpers hat alſo eine merkwürdige <lb/>Reiſe gemacht. </s> <s xml:id="echoid-s4418" xml:space="preserve">Sie ſtammt von der Sonne her, ſie hat dann <lb/>eine Zeitlang ihre Wohnung in der Pflanze aufgeſchlagen und <lb/>iſt endlich als Nahrung in unſern Körper übergegangen. </s> <s xml:id="echoid-s4419" xml:space="preserve">— Sie <lb/>hat auch auf dieſer Wanderung verſchiedene Formen ange-<lb/>nommen. </s> <s xml:id="echoid-s4420" xml:space="preserve">Sie war erſt <emph style="sp">ſtrahlende</emph> Wärme; </s> <s xml:id="echoid-s4421" xml:space="preserve">in der Pflanze <lb/>wurde ſie Kraft des <emph style="sp">Wachstums</emph>; </s> <s xml:id="echoid-s4422" xml:space="preserve">in unſerm Körper iſt ſie <lb/>mechaniſche Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s4423" xml:space="preserve">Setzen wir mit der Kraft unſeres Armes <lb/>irgend einen Gegenſtand in Bewegung, werfen wir einen Stein <lb/>durch die Luft, bringen wir ein Rad in Umſchwung, rollen <lb/>wir eine Kugel auf einer Bahn fort, ſo verleihen wir all den <lb/>Gegenſtänden ein Stück der Sonnenkraft und verlieren dafür <lb/>genau einen eben ſo großen Teil von der Kraft unſeres <pb o="62" file="376" n="376"/> Armes, bis wir durch Speiſe und Atmung denſelben wieder <lb/>erſetzen, das heißt, uns neue Sonnenkraft verſchaffen. </s> <s xml:id="echoid-s4424" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4425" xml:space="preserve">Bei Betrachtung dieſes Vorganges drängt ſich jedem <lb/>denkenden Menſchen die natürliche Frage auf, ob es wohl <lb/>möglich iſt, die wunderbaren Verwandlungen der Kraft auf <lb/>der Reiſe von der Sonne bis zu unſerem Körper etwas näher <lb/>kennen zu lernen, und ferncr: </s> <s xml:id="echoid-s4426" xml:space="preserve">ob ſie während der Reiſe nicht <lb/>etwa noch andere Formen annimmt, die ſich unſerer Aufmerk-<lb/>ſamkeit entziehen? </s> <s xml:id="echoid-s4427" xml:space="preserve">— Ja, wenn man noch weiter hier-<lb/>über nachdenkt, ſo kommen noch ganz andere Fragen zum Vor-<lb/>ſchein und zeigen, daß es uns in dieſem Zweige der Natur-<lb/>wiſſenſchaft ganz ebenſo ergeht, wie in allen andern Zweigen <lb/>derſelben: </s> <s xml:id="echoid-s4428" xml:space="preserve">man kommt nämlich jedesmal, wenn man gewiſſe <lb/>rätſelhafte Erſcheinungen erklärt hat, an eine Grenze, wo man <lb/>merkt, daß hinter der Löſung ſich wieder neue Rätſel auf-<lb/>türmen. </s> <s xml:id="echoid-s4429" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4430" xml:space="preserve">Überzeugt, daß unſere Leſer in dieſer Eigentümlichkeit der <lb/>Naturwiſſenſchaft nur das Merkmal des wahren Fortſchrittes <lb/>derſelben erkennen, weil ſie ſich eben fern hält von der ein-<lb/>gebildeten Allwiſſenheit, mit der ſich häufig die Philoſophie ge-<lb/>ſchmeichelt, wo wir dieſen Fragen weiter nachforſchen; </s> <s xml:id="echoid-s4431" xml:space="preserve">wir <lb/>werden hierbei auf eine Reihe von Thatſachen und Betrach-<lb/>tungen kommen, die uns die Mühe in vollem Maße belohnen <lb/>wird, auch wenn wir keineswegs alle Schleier vom verhüllten <lb/>Geheimnis des Naturwaltens zu lüften vermögen. </s> <s xml:id="echoid-s4432" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4433" xml:space="preserve">Gehen wir alſo auf die nächſte Frage ein, ſo müſſen wir <lb/>unſern Leſern bekennen, daß wir des leichtern Verſtändniſſes <lb/>halber in unſerer bisherigen Darſtellung uns manche Sprünge <lb/>erlaubt haben. </s> <s xml:id="echoid-s4434" xml:space="preserve">Die Reiſe der Sonnenkraft iſt ſo ganz einfach <lb/>nicht, wie wir ſie bezeichnet. </s> <s xml:id="echoid-s4435" xml:space="preserve">Es liegt zwiſchen der Wärme, <lb/>die als Wirkung einer Kraft der Sonne herniederkommt, und <lb/>der Form von mechaniſcher Kraft, die ſie in unſerem Körper <lb/>annimmt, noch eine ganz gewaltige Mittelſtufe, wo ſie als <pb o="63" file="377" n="377"/> <emph style="sp">chemiſche</emph> Kraft auftritt. </s> <s xml:id="echoid-s4436" xml:space="preserve">Das heißt: </s> <s xml:id="echoid-s4437" xml:space="preserve">Die Kraft der Soune, <lb/>welche die Wärme-Erſcheinungen hervorruft, bewirkt noch etwas <lb/>anderes, als die bloße <emph style="sp">Erwärmung</emph> der Stoffe, die ſie trifft, <lb/>ſie bewirkt auch, daß viele Stoffe ſich nach ganz beſtimmten <lb/>Geſetzen mit einander verbinden und in dieſer Verbindung zu <lb/>ganz <emph style="sp">neuen</emph> Körpern werden. </s> <s xml:id="echoid-s4438" xml:space="preserve">— Die Wärme, welche die <lb/>Pflanze trifft, wird in ihr zu einer neuen Kraft, der <emph style="sp">Kraft</emph> <lb/>des <emph style="sp">Wachstums</emph>, und dieſe Kraft iſt hauptſächlich chemiſcher <lb/>Natur, denn durch ſie verwandelt ſich Waſſer, Ammoniak und <lb/>Kohlenſäure, die jedes für ſich nicht die geringſte Ähnlichkeit <lb/>mit einer Pflanze haben, in pflanzlichen Körper. </s> <s xml:id="echoid-s4439" xml:space="preserve">Eine Pflanze <lb/>wächſt, indem ſie die Stoffe in ſich aufnimmt, welche die <lb/>Speiſe der Pflanze ſind. </s> <s xml:id="echoid-s4440" xml:space="preserve">— Wenn wir alſo geſagt haben, die <lb/>Pflanze wächſt durch die Kraft der Wärme, ſo haben wir <lb/>eigentlich einen gewaltigen Prozeß unberückſichtigt gelaſſen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4441" xml:space="preserve">denn ſie wächſt in Wahrheit durch eine chemiſche Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s4442" xml:space="preserve">Wir <lb/>haben indeſſen zwei Entſchuldigungsgründe für unſer Still-<lb/>ſchweigen über dieſe Kraft; </s> <s xml:id="echoid-s4443" xml:space="preserve">der eine iſt der, daß die chemiſche <lb/>Kraft eigentlich ſelbſt nichts anderes iſt als die Wärme, das <lb/>heißt, daß beide Kräfte nur der Form und der Wirkung nach <lb/>verſchieden, ihrer innerſten Natur nach aber eines und dasſelbe <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s4444" xml:space="preserve">— Der zweite Grund, und der hauptſächlichſte, iſt aber der, <lb/>daß wir noch in der Folge die mächtige Entdeckung unſres Jahr-<lb/>hunderts vorführen werden, daß die Sonne außer Wärme und <lb/>Licht auch noch beſondere chemiſche Strahlen herniederſendet, <lb/>die man jetzt zu meſſen im ſtande iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4445" xml:space="preserve">Wir werden alſo von <lb/>den chemiſchen Vorgängen, welche die Sonne anregt, noch be-<lb/>ſonders ſprechen, und dann Gelegenheit haben, ſie mit denen <lb/>der Wärme noch einmal vergleichend zu überblicken. </s> <s xml:id="echoid-s4446" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4447" xml:space="preserve">Für jetzt wollen wir zur Ausfüllung unſerer Lücke nur <lb/>bemerken, daß im Wachstum der Pflanze eine chemiſche Kraft <lb/>thätig iſt, und ebenſo in der Ernährung des Menſchen <lb/>durch Speiſen und nicht minder in der Atmung die Chemie <pb o="64" file="378" n="378"/> eine großc Rolle ſpiclt. </s> <s xml:id="echoid-s4448" xml:space="preserve">Außerdem ſind hierbei auch elektriſche <lb/>Kräfte thätig, wir übergehen all dies nur, weil teils der Weg <lb/>durch die verwickelten Erſcheinungen noch nicht geebnet genug <lb/>iſt, teils weil die Hauptſache hierbei doch richtig iſt, daß näm-<lb/>lich die Kraft, die wir Wärme nennen, trotz all ihrer Ver-<lb/>wandlungen, die ſie annimmt und erzeugt, immer doch dieſelbe <lb/>iſt, gleichviel ob ſie als Strahl der Sonne, als Wachstum der <lb/>Pflanze oder als Kraft unſeres Armes auftritt.</s> <s xml:id="echoid-s4449" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4450" xml:space="preserve">Bevor wir nun zu einer andern Frage übergehen, haben <lb/>wir nun noch von dem gewaltigen Vorrat zu ſprechen, in <lb/>welchem eine ungeheure Summe von Sonnenwärme aufge-<lb/>ſpeichert liegt. </s> <s xml:id="echoid-s4451" xml:space="preserve">All unſere Torf-, Braunkohlen- und Stein-<lb/>kohlen-Lager ſind nichts als die Aufſpeicherung von einſtmaliger <lb/>Sonnenwärme, welche als Strahl zur Erde herniederkam. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4452" xml:space="preserve">Dieſer Teil der Wärme iſt nicht verloren, und er mehrt ſich <lb/>fort und fort als eine wachſende Kraft-Quelle. </s> <s xml:id="echoid-s4453" xml:space="preserve">— Wir haben <lb/>bereits im vorhergehenden Abſchnitt dargethan, welche enorme <lb/>Kraft in einem einzigen Pfund reiner Kohle ſteckt; </s> <s xml:id="echoid-s4454" xml:space="preserve">wenn man <lb/>danach die Kraft berechnet, welche in allen Kohlenlagern ent-<lb/>halten iſt und dieſe Summe in Vergleichung bringt mit der <lb/>Kraft, die die Sonnenwärme in einem Jahre erzeugt, ſo er-<lb/>hält man einen Maßſtab von der Zeit, die die Sonne nötig <lb/>hatte, um ſolch Wärmeſpeicher anzulegen. </s> <s xml:id="echoid-s4455" xml:space="preserve">Dieſe Zeit geht <lb/>jedenfalls weit hinaus in die Jahrmillionen und iſt vorerſt <lb/>nur ein Gebiet dunkler Vermutungen. </s> <s xml:id="echoid-s4456" xml:space="preserve">— Für jetzt genügt es <lb/>uns, zu wiſſen, daß die Sonne eine ſolche Sparbüchſe auf <lb/>Erden hat, und dies muß uns zur Beruhigung gereichen, denn <lb/>wir werden nunmehr zu der ſehr bedenklichen Frage kommen, <lb/>was aus der Welt werden ſoll, wenn wir wirklich bloß von <lb/>Sonnenkraft leben und die Sonne fort und fort Kraft in alle <lb/>fernen Weltenräume hinausſtreut?</s> <s xml:id="echoid-s4457" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="65" file="379" n="379"/> </div> <div xml:id="echoid-div191" type="section" level="1" n="127"> <head xml:id="echoid-head143" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Die Abkühlung der Sonne.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4458" xml:space="preserve">Seit der Zeit, da die Naturforſcher den Gedanken faßten, <lb/>es ſei die Sonnenwärme die Urquelle der organiſchen Kraft <lb/>des Wachstums der Pflanzenwelt, und dadurch auch der <lb/>mechaniſchen Kraft, welche wir mittelbar oder unmittelbar er-<lb/>zeugen, haben ſie auch ſofort auf die Frage ihr Augenmerk ge-<lb/>richtet, ob denn dieſe Quelle eine unerſchöpfliche ſei, und falls <lb/>ſie es nicht iſt, nach welchem Maßſtab ſich wohl eine Zeit an-<lb/>geben ließe, wo die Wirkſamkeit der Sonne ihr naturgemäßes <lb/>Ende erreicht?</s> <s xml:id="echoid-s4459" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4460" xml:space="preserve">Zwar ſind Fragen dieſer Art, nach dem Ende aller Dinge, <lb/>ſehr alt. </s> <s xml:id="echoid-s4461" xml:space="preserve">Von welcher Vorſtellung des Glaubens oder der <lb/>Spekulation die Menſchen ausgingen, um ſich ein Bild über <lb/>den Urſprung des Weltalls zu machen: </s> <s xml:id="echoid-s4462" xml:space="preserve">ſie haben auch ſofort <lb/>ihre Phantaſie angeſpornt, um ſich das Ende und den Unter-<lb/>gang irgendwie zu denken, und zugleich haben ſie auch die <lb/>Zeit des Eintretens derſelben in Mythen, Prophezeiungen und <lb/>Sagen zu bezeichnen verſucht. </s> <s xml:id="echoid-s4463" xml:space="preserve">Allein die Frage der Wiſſen-<lb/>ſchaft hiernach iſt anderer Natur; </s> <s xml:id="echoid-s4464" xml:space="preserve">denn ſie ſtellt ſolche Fragen <lb/>erſt dann, wenn ſie gewiſſen Naturgeſetzen auf die Spur ge-<lb/>kommen iſt, die einer unabweisbaren Berechnung unterliegen, <lb/>und ſie giebt ihre Antworten auch dann nicht als unabänder-<lb/>lich, ſondern nur unter der Vorausſetzung, daß nicht andere <lb/>Geſetze mitwirken, welche andere Folgerungen notwendig oder <lb/>möglich machen.</s> <s xml:id="echoid-s4465" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4466" xml:space="preserve">So alt alſo die Frage nach dem Ende der Wirkſamkeit <lb/>der Sonne oder des Weltalls auf dem Gebiete des Glaubens <lb/>und der ſpekulativen Philoſophie iſt, ſo konnte doch die Frage <lb/>von wiſſenſchaftlicher Seite erſt geſtellt und unter gewiſſen Vor-<lb/>ausſetzungen beantwortet werden, als man ſah, daß das Geſetz <lb/>von der Erhaltung der Kraft ein wirkliches Naturgeſetz ſei, <pb o="66" file="380" n="380"/> daß folglich eine gewiſſe Summe von Kraft in ſehr ver-<lb/>ſchiedenen Formen wirkſam ſei, und daß endlich das Ver-<lb/>bleiben der Kraft auf eine berechenbare Weiſe erforſcht werden <lb/>kann.</s> <s xml:id="echoid-s4467" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4468" xml:space="preserve">In dieſem Sinne nimmt die Frage nach dem Verbleiben <lb/>der Sonnenkraft folgenden Charakter an.</s> <s xml:id="echoid-s4469" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4470" xml:space="preserve">Es iſt ein unumſtößliches Naturgeſetz, daß Wärme, von <lb/>irgend einem Körper ausgehend, auf einen anderen nur dann <lb/>wirkſam iſt, wenn dieſer andere kälter iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4471" xml:space="preserve">Ferner iſt es ein <lb/>Naturgeſetz, daß Wärme ſich durch Strahlung und Leitung <lb/>verbreitet und ſomit unausgeſetzt verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s4472" xml:space="preserve">Endlich iſt es eine <lb/>Thatſache, daß dieſe Strahlung und Verteilung auch in dem <lb/>leeren Raume ſtattfindet, und ſchließlich, daß der Weltraum <lb/>einen außerordentlich niedrigen Grad von Wärme beſitzt.</s> <s xml:id="echoid-s4473" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4474" xml:space="preserve">Iſt dem aber ſo, ſo folgt daraus, daß die Kraft, welche <lb/>die Sonne beſitzt, um Wärme zu erzeugen, ſich mit der Fort-<lb/>dauer ihrer Wirkſamkeit vermindern muß; </s> <s xml:id="echoid-s4475" xml:space="preserve">daß ferner dieſe <lb/>Wirkſamkeit dann aufhört, wenn die Wärme auf Körper trifft, <lb/>die bereits den Wärmegrad, den ſie ihnen zu erteilen vermag, <lb/>beſitzen, und daß endlich alle Thätigkeit der Wärme ein Ende <lb/>hat, wenn einmal eine gleiche Temperatur im Weltraume herrſcht.</s> <s xml:id="echoid-s4476" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4477" xml:space="preserve">Freilich gilt dieſe Frage und die zu erteilende Antwort <lb/>nur für den Fall, wenn man annimmt, es entſtehe in der <lb/>Sonne oder auf ihrer Oberfläche keine neue Kraft; </s> <s xml:id="echoid-s4478" xml:space="preserve">denn wenn <lb/>in oder auf der Sonne irgend eine uns unbekannte, ſtets ſich <lb/>erneuernde Kraft thätig iſt, die Wärmeerſcheinungen hervor-<lb/>ruft, ſo hört wiederum unſere Rechnung auf bis zur Zeit, wo <lb/>wir dieſe unbekannte Kraftquelle näher kennen lernen werden.</s> <s xml:id="echoid-s4479" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4480" xml:space="preserve">Unter all dieſen Vorausſetzungen ergeben die Reſultate <lb/>der Forſchungen Folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s4481" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4482" xml:space="preserve">Wenn man mit dem großen Denker und Mathematiker <lb/>Laplace — deſſen Werk über die Mechanik des Himmels der <lb/>Leitfaden unſerer ganzen aſtronomiſchen Wiſſenſchaft iſt — <pb o="67" file="381" n="381"/> wenn man mit ihm annimmt, daß die Sonne ihre Wärme <lb/>nur dadurch erhalten habe, daß ſie, dereinſt eine ungeheure, <lb/>ſehr loſe, nebelartige Maſſe, ſich durch die Anziehungskraft all <lb/>ihrer Teile zu einem immer kleiner und immer dichter werdenden <lb/>Körper gebildet hat, ſo läßt ſich die Summe der mechaniſchen <lb/>Kraft, die ſie zu dieſer Arbeit der Verdichtung verbrauchte, be-<lb/>rechnen.</s> <s xml:id="echoid-s4483" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4484" xml:space="preserve">Dieſe Rechnung ergiebt, daß nur der vierhundert und fünf-<lb/>zigſte Teil der urſprünglichen Kraft jetzt noch als mechaniſche <lb/>Kraft in der Umdrehung der Sonne um ihre Axe und die <lb/>Anziehung der Planeten thätig iſt; </s> <s xml:id="echoid-s4485" xml:space="preserve">es muß alſo der übrige <lb/>Teil von Kraft ſich in der Form von Wärme geäußert haben, <lb/>und die jetzige Wärme der Sonne kann nur ein Reſt derjenigen <lb/>ſein, welche ſie während der Zeit ihrer Verdichtung annahm, <lb/>und von welcher in der That der bedeutendſte Teil bereits <lb/>durch Strahlung in dem Weltraum verloren gegangen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4486" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4487" xml:space="preserve">Hiernach ſtellt ſich denn die Wärme, welche die Sonne <lb/>bei ihrer Verdichtung entwickelte, als ſo gewaltig heraus, daß <lb/>ſie im ſtande geweſen wäre, eine Waſſermaſſe, die 280 000 mal <lb/>größer iſt als die Maſſe der Sonne ſamt allen Maſſen des <lb/>ganzen Sonnenſyſtems, zum Kochen zu bringen, oder, was <lb/>dasſelbe iſt, daß ſie die Sonne und die Planeten, wenn dieſe <lb/>aus Waſſer wären, bis auf 28 Millionen Grad erhitzt hätte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4488" xml:space="preserve">Da nun in ſolcher Hitze alle Maſſen ſich in Gas verwandeln <lb/>und ins Unendliche ausdehnen, ſo folgt hieraus, daß die Zu-<lb/>ſammenziehung des Sonnenkörpers bis auf die jetzige Größe <lb/>nur nach und nach hat ſtattfinden können, und zwar in dem-<lb/>ſelben Maße, als ſich die Wärme durch Strahlung im Welt-<lb/>raume verteilte.</s> <s xml:id="echoid-s4489" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4490" xml:space="preserve">Wüßte man nun genau, oder auch nur ungefähr, wie <lb/>weit zerſtreut die Sonnenmaſſe urſprünglich geweſen iſt, ſo <lb/>ließe ſich auch die Zeit, welche die Sonne gebrauchte, um bis <lb/>auf ihren jetzigen Durchmeſſer zu kommen, ebenfalls angeben;</s> <s xml:id="echoid-s4491" xml:space="preserve"> <pb o="68" file="382" n="382"/> allein das weiß man eben nicht. </s> <s xml:id="echoid-s4492" xml:space="preserve">Nimmt man aber auch nur <lb/>an, daß die Sonne in der Zeit, wo ſie nur als Nebel im <lb/>Weltenraum exiſtierte, ſo groß geweſen ſei, daß ſie über die <lb/>Bahn ihres entſernteſten Planeten Neptun hinausreichte — und <lb/>dieſe Annahme hat ſehr viel für ſich — ſo reicht die Zeit, <lb/>welche die Sonne zu ihrer Zuſammenziehung bis auf die <lb/>jetzige Größe brauchte, weit in die Milliarden Jahre hinaus.</s> <s xml:id="echoid-s4493" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4494" xml:space="preserve">Wenden wir uns nun von der Vergangenheit ungemeſſener <lb/>Zeiträume zurück zur Gegenwart, ſo müſſen wir aus all’ dem <lb/>folgern, daß auch jetzt in der That noch Wärme in den Welt-<lb/>raum hinein zerſtreut wird und ſomit für das Sonnenſyſtem <lb/>verloren geht.</s> <s xml:id="echoid-s4495" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4496" xml:space="preserve">Iſt aber Wärme Kraft, und diejenige Kraft, welche das <lb/>Leben hier auf der Erde nicht bloß erſt möglich macht, ſondern <lb/>das Grundkapital bildet, woraus wir die Kraft zum Exiſtieren <lb/>haben, ſo iſt die Ausſicht auf einen einſtmaligen Untergang <lb/>mit großer Beſtimmtheit anzugeben.</s> <s xml:id="echoid-s4497" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4498" xml:space="preserve">Wir wollen nunmehr über die Zeit des Untergangs ſprechen, <lb/>jedoch zur Beruhigung unſerer Leſer hier nur noch die Ver-<lb/>ſicherung geben, daß diejenigen, welche etwa Vorbereitungen <lb/>treffen möchten, um von dem Ungemach des Weltunterganges <lb/>nicht überraſcht zu werden, ganz getroſt und ohne jede Ge-<lb/>fahr damit warten können, bis ſie unſeren nächſten Abſchnitt <lb/>geleſen haben.</s> <s xml:id="echoid-s4499" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div192" type="section" level="1" n="128"> <head xml:id="echoid-head144" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVIII. Der Welt-Untergang.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4500" xml:space="preserve">All’ diejenigen, welche der Gedanke beunruhigt, daß die <lb/>Sonne in jedem Augenblick eine Summe ihrer Kraft unter <lb/>der Form von Wärmeſchwingungen in den Weltraum verteilt <pb o="69" file="383" n="383"/> und demnach cinmal der Tag kommen muß, wo ſie für uns <lb/>Erdenſöhne nichts übrig behält, all’ diejenigen werden gewiß <lb/>in der Verſicherung eine Beſchwichtigung finden, daß weder <lb/>wir noch unſere Kinder, noch unſere Enkel und Ur-Ur-Enkel <lb/>bis in weite Geſchlechter hinaus von der Verarmung der <lb/>Sonne an Kraft etwas verſpüren werden. </s> <s xml:id="echoid-s4501" xml:space="preserve">— An den Zeiten <lb/>gemeſſen, welche unſere Naturforſcher über das Entſtehen, über <lb/>die Exiſtenz und über den Untergang von Weltkörpern heraus-<lb/>rechnen, iſt die Epoche des ganzen Menſchengeſchlechts und <lb/>aller Tiergeſchlechter, die mit uns auf dem Erdenrund leben, <lb/>ſo unendlich klein, daß ſie als ganz bedeutungslos verſchwinden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4502" xml:space="preserve">Das ganze Menſchengeſchlecht auf Erden iſt in der That nur, <lb/>nach den Zeiten des Weltdaſeins geſchätzt, einem “Gaſt in der <lb/>Nachtherberge” gleich. </s> <s xml:id="echoid-s4503" xml:space="preserve">Dies Erdenrund hat Zeiten gehabt, <lb/>die nach Millionen von Jahren zählen, wo weder eine Pflanze <lb/>noch ein Menſch, noch ein Tier von den gegenwärtigen Gat-<lb/>tungen exiſtiert hat. </s> <s xml:id="echoid-s4504" xml:space="preserve">— Was nun auch für Veränderungen <lb/>der Oberfläche der Erde noch bevorſtehen, ſo iſt doch ſo viel <lb/>gewiß, daß ihnen die Veränderungen in den Weſen, die ihre <lb/>Oberfläche bewohnen, vorangehen werden und irgend ein das <lb/>Leben zerſtörender Vorgang keine der lebenden Gattungen, <lb/>die wir kennen, noch antreffen wird. </s> <s xml:id="echoid-s4505" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4506" xml:space="preserve">Blicken wir in dieſer Beziehung auf unſere ſpezielle Frage, <lb/>auf die Verminderung der Sonnenwärme, ſo ergiebt dieſelbe <lb/>Rechnung, welche ſo beſorgniserregende Reſultate erzeugt, <lb/>wiederum den beruhigenden Schluß, daß es mit dem ge-<lb/>fürchteten Zuſtand noch gute Weile hat. </s> <s xml:id="echoid-s4507" xml:space="preserve">— Geſetzt, die Sonne <lb/>habe ihre Wärme nur durch ihre Zuſammenziehung erhalten <lb/>und ſei in der That fortwährend beſchäftigt, ihr Kapital an <lb/>Kraft auszuſtrahlen, ſo iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ſie jetzt <lb/>ihr Geſchäft der Zuſammenziehung aufgegeben hat; </s> <s xml:id="echoid-s4508" xml:space="preserve">denn die <lb/>Gründe, welche ehemals dieſe bewirkt haben, exiſtieren auch <lb/>noch immer fort. </s> <s xml:id="echoid-s4509" xml:space="preserve">Zieht ſich aber die Sonne immer mehr zu- <pb o="70" file="384" n="384"/> ſammen und vekleinert ſich demnach die Sounenkugel, ſo er-<lb/>giebt die Rechnung Folgendes:</s> <s xml:id="echoid-s4510" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4511" xml:space="preserve">Der Sonnendurchmeſſer beträgt 192,600 Meilen, wenn <lb/>dieſer ſich durch Zuſammenziehung um etwa 20 Meilen ver-<lb/>kleinert, ſo würde ſelbſt das ſchärfſte Inſtrument nicht aus-<lb/>reichen, dieſe Verkleinerung für unſere Meſſungen merkbar zu <lb/>machen. </s> <s xml:id="echoid-s4512" xml:space="preserve">Die Verkleinerung oder richtiger dieſe Zuſammen-<lb/>ziehung aber würde der Sonne ſchon wieder eine neue Wärme <lb/>erteilen, durch welche ſie für alle ihre Ausgaben auf volle <lb/>2290 Jahre gedeckt iſt! —</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4513" xml:space="preserve">Wenn alſo die Sonne ſich weiter in demſelben Maße ver-<lb/>dichtet, als ſie Wärme ausſtreut, ſo würden die Aſtronomen <lb/>nach 4000 Jahren erſt anfangen zu bemerken, daß der Sonnen-<lb/>durchmeſſer um 40 Meilen abgenommen hat, und wenn ſie <lb/>unſeren jetzigen Meſſungen Vertrauen ſchenken, ſo werden ſie <lb/>zu dem Schluß gelangen, daß die Sonne in jedem Jahr-<lb/>hundert eine Meile am Durchmeſſer einbüßt und dadurch ihre <lb/>Wärmeausgabe in ſolcher Weiſe erſetzt, daß ſie nicht ſo ſchnell <lb/>bankerott wird. </s> <s xml:id="echoid-s4514" xml:space="preserve">— Was aber die Aſtronomen etwa in 4000 <lb/>Jahren, unterſtützt von ihren feinen Meßinſtrumenten, merken <lb/>würden, das wird dem gewöhnlichen Auge erſt dann merkbar <lb/>werden, wenn der Durchmeſſer der Sonnenkugel um {1/30} kleiner <lb/>geworden iſt, als jetzt, und das hat noch ſehr lange, etwa <lb/>633 000 Jahre Zeit; </s> <s xml:id="echoid-s4515" xml:space="preserve">das heißt, wenn ſich jetzt ein Menſch <lb/>ſchlafen legte, und ſich vorher die Größe der Sonne gut gemerkt <lb/>hätte und nach 600 000 Jahren aufwachte, ſo würde er beim <lb/>Anblick der Sonne wohl ſagen können: </s> <s xml:id="echoid-s4516" xml:space="preserve">“Mir ſcheint es, als ob <lb/>die Sonne derweile etwas kleiner geworden iſt!” aber wenn er <lb/>ſich auch ihre Wärmekraft gemerkt hat, ſo wird er mit Vergnügen <lb/>hinzufügen, daß ſie in dieſer Beziehung nichts verloren habe.</s> <s xml:id="echoid-s4517" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4518" xml:space="preserve">Wie lange aber könnten wir wohl anſtändigerweiſe der <lb/>Sonne zumuten, daß ſie zu Gunſten unſeres Wärmebedürfniſſes <lb/>fortdauernd ſich verdichte oder verkleinere? </s> <s xml:id="echoid-s4519" xml:space="preserve">—</s> </p> <pb o="71" file="385" n="385"/> <p> <s xml:id="echoid-s4520" xml:space="preserve">Wir glauben, daß wir nicht unbeſcheiden ſind, wenn wir <lb/>behaupten, daß einmal die Sonne die Dichtigkeit der Erde an-<lb/>nehmen könnte, ohne ihrer Würde etwas zu vergeben. </s> <s xml:id="echoid-s4521" xml:space="preserve">Gegen-<lb/>wärtig beſteht die Sonne noch immer aus ſehr loſer, lockerer <lb/>Maſſe, denn ſie iſt an viermal ſo locker als die Erdmaſſe, <lb/>oder was dasſelbe iſt: </s> <s xml:id="echoid-s4522" xml:space="preserve">ihre Dichtigkeit iſt viermal kleiner. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4523" xml:space="preserve">Betreibt ſie nun ihr Verdichtungsgeſchäft, das ſie bereits ſeit <lb/>unendlichen Zeiten ſo gut verſteht, immer weiter, und verfährt <lb/>ſie hierin ſo haushälteriſch, daß ſie ſich ſtets in gleichem Maße <lb/>verdichtet, wie ſie Wärme ausgiebt, um ihren Verluſt regel-<lb/>recht zu decken, ſo wird ſie das Geſchäft noch lange fortſetzen <lb/>können, ehe ſie auf die Dichtigkeit der Erde kommt; </s> <s xml:id="echoid-s4524" xml:space="preserve">denn ſie <lb/>wird hierzu eine Reihe von 13 Millionen und zwei mal hundert <lb/>und dreißigtauſend Jahren brauchen!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4525" xml:space="preserve">Während dieſer ſchönen Reihe von Jahren würde ſie an <lb/>Wärmekraft nichts einbüßen, und nur ihr Anſehen würde ſehr <lb/>geſchmälert; </s> <s xml:id="echoid-s4526" xml:space="preserve">denn ihr Durchmeſſer wird bis auf 56 200 Meilen <lb/>geſchwunden ſein. </s> <s xml:id="echoid-s4527" xml:space="preserve">Die Sonnenkugel würde alſo an fünfzehn <lb/>mal kleiner ausſehen als der Mond, und unſere Nachkommen <lb/>werden es vielleicht gar nicht glauben, daß ihre Vorväter vor <lb/>13 Millionen Jahren beide Himmelskörper von gleicher Größe <lb/>geſehen haben. </s> <s xml:id="echoid-s4528" xml:space="preserve">— —</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4529" xml:space="preserve">Unter dieſen Umſtänden haben ſich alſo unſere Leſer durch-<lb/>aus nicht mit Maßregeln für einen nahen Welt-Untergang zu <lb/>beeilen. </s> <s xml:id="echoid-s4530" xml:space="preserve">Wir können jedenfalls vorerſt mit Seelenruhe der <lb/>Zukunft entgegen ſehen und wollen uns auch dieſe nicht rauben <lb/>laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4531" xml:space="preserve">— Wir haben aber unſeren Leſern noch etwas ganz <lb/>anderes mitzuteilen, was allem Anſchein nach uns Jeder Art <lb/>von Beſorgnis überheben kann.</s> <s xml:id="echoid-s4532" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4533" xml:space="preserve">Es ſind nämlich in neueſter Zeit ſowohl chemiſche wie <lb/>aſtronomiſche Entdeckungen über das, was auf der Oberfläche <lb/>der Sonne vorgeht, gemacht worden, welche ſehr dafür ſprechen, <lb/>daß die Sonne gar nicht ſo liederlich iſt, von einem einmaligen <pb o="72" file="386" n="386"/> Kapitalvorrat von Kraft ohne allen Erſatz ganze Maſſen in <lb/>den Weltraum zu ſenden. </s> <s xml:id="echoid-s4534" xml:space="preserve">Es iſt vielmehr höchſt wahrſcheinlich, <lb/>daß ſie bei ihrem Spaziergang durch den Weltraum Meteor-<lb/>maſſen an ſich zieht und in ihrer Lichthülle verbrennt, die viel <lb/>Wärme erzeugen, daß ſie alſo nicht ihre alte Kraft nach und <lb/>nach ausgiebt, ſondern neue Kraft auf mechaniſchem und <lb/>chemiſchem Wege produziert.</s> <s xml:id="echoid-s4535" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="387" n="387"/> </div> <div xml:id="echoid-div193" type="section" level="1" n="129"> <head xml:id="echoid-head145" xml:space="preserve"><emph style="bf">Unſere Sinne, unſere Seele, unſere Sprache.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4536" xml:space="preserve">Zwei Freunde eilen auf der Straße an einander vorüber, <lb/>ohne ſich gegenſeitig zu erkennen. </s> <s xml:id="echoid-s4537" xml:space="preserve">Kaum ſind ſie zehn Schritte <lb/>gegangen, da bleiben beide ſtehen, kehren um, eilen auf ein-<lb/>ander zu, ſchütteln ſich die Hände, und wundern ſich darüber, <lb/>wie das einem ſo komiſch geht. </s> <s xml:id="echoid-s4538" xml:space="preserve">“Ja”, ſagt der eine, “man <lb/>iſt oft ſo in Gedanken vertieft, daß man nicht weiß, was man <lb/>ſicht!” “Jawohl”, verſetzt der andere, “es geht mir öfter ſo, <lb/>wenn ich zerſtreut bin!”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4539" xml:space="preserve">Vorgänge dieſer Art paſſieren ſo häufig im Leben, daß es <lb/>ſich wohl verlohnt, denſelben einige Aufmerkſamkeit zu ſchenken.</s> <s xml:id="echoid-s4540" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4541" xml:space="preserve">Waren die Sinne verſchloſſen? </s> <s xml:id="echoid-s4542" xml:space="preserve">Sahen die Freunde bei <lb/>offenen Augen einander nicht?</s> <s xml:id="echoid-s4543" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4544" xml:space="preserve">Das wäre eine irrige Annahme!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4545" xml:space="preserve">Hätten ſie ſich vor dem Vorübergehen nicht gegenſeitig <lb/>geſehen, ſo würden ſie auch nachher keine Ahnung gehabt haben <lb/>von ihrem Begegnen. </s> <s xml:id="echoid-s4546" xml:space="preserve">Sie haben ſich geſehen, ja es muß wohl <lb/>das Bild eines jeden im Auge des andern einen recht leb-<lb/>haften Eindruck gemacht haben, wenn beide nach einigen Se-<lb/>kunden ſich dieſes Bildes bewußt wurden, obwohl inzwiſchen <lb/>ganz andere Gegenſtände ſich ihrem Auge dargeboten. </s> <s xml:id="echoid-s4547" xml:space="preserve">— Aber <lb/>das richtige Verſtändnis für das Geſehene fehlte im erſten <lb/>Augenblick. </s> <s xml:id="echoid-s4548" xml:space="preserve">Sie ſahen ſich wohl, aber erkannten einander <lb/>nicht. </s> <s xml:id="echoid-s4549" xml:space="preserve">Die erkennende Seele — ſo möchte man wohl ſagen — <lb/>wußte erſt nicht, wohin das Bild des Freundes im Bereiche <lb/>der Erinnerungen zu bringen ſei. </s> <s xml:id="echoid-s4550" xml:space="preserve">Sie empfand zwar ſofort <lb/>die Thatſache, daß hier etwas im Auge vorgegangen, was ſie, <pb o="74" file="388" n="388"/> die Seele, angeht; </s> <s xml:id="echoid-s4551" xml:space="preserve">ſie wurde auch angeregt, ſchnell das Buch <lb/>der Erinnerungen nachzuſchlagen und das ſonſt bekannte Bild <lb/>des Ereundes mit dem oben empfangenen Eindruck im Auge <lb/>zu vergleichen; </s> <s xml:id="echoid-s4552" xml:space="preserve">aber es dauerte doch eine kleine Weile, bevor <lb/>ſie die Identität der Bilder feſtſtellte. </s> <s xml:id="echoid-s4553" xml:space="preserve">— Und weshalb erforderte <lb/>es ſo viel Zeit, daß ſich inzwiſchen die Freunde ſchon ein <lb/>ganzes Stück von einander entfernt hatten? </s> <s xml:id="echoid-s4554" xml:space="preserve">Die Freunde ver-<lb/>ſuchen es gar harmlos nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch <lb/>auszudrücken. </s> <s xml:id="echoid-s4555" xml:space="preserve">Der eine klagt ſich an, daß er in Gedanken <lb/>“vertieft” geweſen ſei. </s> <s xml:id="echoid-s4556" xml:space="preserve">Seine erkennende Seele war ſo zu <lb/>ſagen in die Tiefe eines beſtimmten Gedankenganges hinein-<lb/>geraten und konnte nicht ſo ſchnell wieder heraufkommen, um <lb/>zu ermitteln, was das Auge geſehen. </s> <s xml:id="echoid-s4557" xml:space="preserve">Der andere Freund <lb/>klagt ſich der “Zerſtreuung” an. </s> <s xml:id="echoid-s4558" xml:space="preserve">Seine Seele ging ſo zu ſagen <lb/>in die Weite unbeſtimmter Gedankenfelder ſpazieren, und da <lb/>müſſe man ſie wohl entſchuldigen, wenn ſie nicht augenblicklich <lb/>zur Hand war, um auszurufen: </s> <s xml:id="echoid-s4559" xml:space="preserve">“Siehe da, dein lieber Freund!”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4560" xml:space="preserve">Unſere Sinne, welche Eindrücke der Außenwelt empfangen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4561" xml:space="preserve">unſere Seele, die dieſe Eindrücke erkennen und ſie in die <lb/>richtige Beziehung bringen ſoll mit den Wahrnehmungen früherer <lb/>Zeiten, und unſere Sprache, die danach ringt, die rätſelhaften <lb/>Vorgänge durch Worte zu verdeutlichen: </s> <s xml:id="echoid-s4562" xml:space="preserve">ſie ſind oft der Gegen-<lb/>ſtand des Nachdenkens ernſter Forſcher geweſen, welche auf <lb/>dem Wege der abſtrakten Gedanken die Löſung ſuchten. </s> <s xml:id="echoid-s4563" xml:space="preserve">Auch <lb/>heutigen Tages, wo man den Weg der abſtrakten Gedanken, <lb/>die leider nur zu vielen Illuſionen geführt haben, verlaſſen <lb/>hat, ſind ſie würdige Aufgaben unſeres Forſchens. </s> <s xml:id="echoid-s4564" xml:space="preserve">Zum Glück <lb/>ſür unſeren Erkenntnisdurſt hat die Naturwiſſenſchaft, die <lb/>ketzeriſchſte aller Erkenntnisbeſtrebungen der Menſchen, ſich <lb/>dieſes Themas zu bemächtigen verſucht, und ſo mögen wir es <lb/>denn auch wagen, den wohlbedachten Schritten dieſer Wiſſen-<lb/>ſchaft ſorgſam zu folgen. </s> <s xml:id="echoid-s4565" xml:space="preserve">Führen ſie uns auch nicht bis zu <lb/>dem letzten Ziele hin, ſo werden wir doch hoffentlich darthun <pb o="75" file="389" n="389"/> können, wie ſie, an der Hand gewiſſenhafter Verſuche, die <lb/>Irrungen des abſtrakten Denkens vermeidet und auf dem weiten <lb/>Umweg realer, unleugbarer Thatſachen der richtigen Erkenntnis <lb/>ſich zu nähern beginnt.</s> <s xml:id="echoid-s4566" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4567" xml:space="preserve">Die Naturwiſſenſchaft iſt darum eine ſo große Ketzerin, <lb/>weil ſie allem blinden “Glauben” den Gehorſam aufſagt.</s> <s xml:id="echoid-s4568" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4569" xml:space="preserve">Ein Beiſpiel hierfür, das in unſer Thema hinein gehört, <lb/>bietet uns ein Zweig der Unterſuchungen auf dem Gebiete der <lb/>Aſtronomie, der den Namen “die Perſönliche Gleichung” führt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4570" xml:space="preserve">Auch die Phyſiologie hat bereits begonnen, ſich dieſer Unter-<lb/>ſuchung zu bemächtigen und hat damit neue, ungeahnte Ge-<lb/>biete der Forſchungen angebahnt. </s> <s xml:id="echoid-s4571" xml:space="preserve">Sie gelten der kühnen <lb/>Aufgabe, die Brücke näher zu erforſchen, welche zwiſchen <lb/>dem Eindruck der Erſcheinungen auf unſere Sinne und dem <lb/>Bewußtwerden dieſer Erſcheinungen in unſerer erkennenden <lb/>Seele beſteht, oder exakter ausgedrückt: </s> <s xml:id="echoid-s4572" xml:space="preserve"><emph style="sp">die Zeitdauer zu <lb/>ermitteln, welche verfließt, bevor unſere Seele ein <lb/>Verſtändnis von dem erhält, was von der Außen-<lb/>welt her auf unſere Sinne einwirkt.</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4573" xml:space="preserve">Wir wollen es verſuchen, den Weg, welchen dieſe neueſte <lb/>Forſchung inne hielt, hiſtoriſch darzuſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s4574" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4575" xml:space="preserve">Die beobachtende Aſtronomie beſchäftigt ſich mit Meſſung <lb/>der Bewegungen der Himmelskörper. </s> <s xml:id="echoid-s4576" xml:space="preserve">Da es nun zur Kenntnis <lb/>der Bewegungen notwendig iſt, den Raum, den ein Himmels-<lb/>körper zurücklegt, im Verhältnis zur Zeit, in welcher dies ge-<lb/>ſchieht, genau zu ermitteln, ſo beſteht das Werkzeug des beob-<lb/>achtenden Aſtronomen hauptſächlich aus dem mit Meßapparaten <lb/>wohl verſehenen Fernrohr und der die Zeit genau angebenden, <lb/>exakten Uhr.</s> <s xml:id="echoid-s4577" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4578" xml:space="preserve">Nun aber dürfen wir nicht vergeſſen, daß die Uhr doch <lb/>nur indirekt die Zeit angiebt. </s> <s xml:id="echoid-s4579" xml:space="preserve">Wenn eine Uhr richtig geht, <pb o="76" file="390" n="390"/> das heißt, wenn ihre Zeiger in gleichen Zeiten ſtets einen <lb/>gleich großen Raum auf dem Zifferblatt zurücklegen, dann ent-<lb/>nehmen wir aus dem zurückgelegten Raum die Dauer der in-<lb/>zwiſchen verfloſſenen Zeit. </s> <s xml:id="echoid-s4580" xml:space="preserve">Ein direktes Mittel, die Zeit zu <lb/>meſſen, beſitzen wir nicht, weil wir für die Zeit kein ſo exaktes <lb/>Sinneswerkzeug haben, wie es das Auge für den Raum iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4581" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4582" xml:space="preserve">Weil dem aber ſo iſt, verläßt ſich die beobachtende <lb/>Aſtronomie niemals auf die Uhr. </s> <s xml:id="echoid-s4583" xml:space="preserve">So fein auch dies Werkzeug <lb/>iſt und mit ſo vieler Fürſorge auch die aſtronomiſche Uhr, das <lb/>Chronometer, gearbeitet iſt, um einen ſtets gleichmäßigen Gang <lb/>beizubehalten, es bedarf doch unausgeſetzt der Korrektur, weil <lb/>Wärme und Kälte, Federſpannung und Pendellänge, Feuchtig-<lb/>keit und Trockenheit der Luft bald beſchleunigend, bald ver-<lb/>zögernd auf den Gang desſelben wirken. </s> <s xml:id="echoid-s4584" xml:space="preserve">Der Aſtronom ver-<lb/>langt eine ganz andere Sicherheit für das Zeitmaß, wie ſie <lb/>die Kunſt der Uhrmacher ihm bieten kann. </s> <s xml:id="echoid-s4585" xml:space="preserve">Er muß zur Be-<lb/>wegung eines Himmelskörpers ſelber ſeine Zuflucht nehmen, <lb/>um unter der Vorausſetzung, daß ſie ewig gleichmäßig ſei, die <lb/>Uhr danach zu korrigieren.</s> <s xml:id="echoid-s4586" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4587" xml:space="preserve">Glücklicherweiſe iſt dieſer Himmelskörper uns nicht fern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4588" xml:space="preserve">Es iſt die Mutter Erde ſelber, auf der wir leben, welche die <lb/>wichtige Rolle einer Mutter-Uhr ſpielt. </s> <s xml:id="echoid-s4589" xml:space="preserve">Die Erde dreht ſich <lb/>in einer Zeitdauer, welche wir in 24 Stunden einteilen, um <lb/>ihre Achſe, und dieſe Umdrehung — ſo ſetzte man bis vor <lb/>kurzem voraus — geht gleichmäßig vor ſich und habe ſich ſeit <lb/>Jahrtauſenden nicht verlangſamt oder beſchleunigt. </s> <s xml:id="echoid-s4590" xml:space="preserve">Wenn man <lb/>nun ein Fernrohr ſo feſt und unverrückbar wie nur möglich <lb/>zwiſchen zwei feſten Säulen aufſtellt, ſo daß man es weder <lb/>nach rechts oder links verſchieben und höchſtens nur um die <lb/>Achſe auf- und abwärts drehen kann, ſo vermag man es des <lb/>Nachts auf einen Fixſtern zu richten. </s> <s xml:id="echoid-s4591" xml:space="preserve">Im Felde des Fern-<lb/>rohrs iſt ein feiner Faden ausgeſpannt, der genau den Zeit-<lb/>punkt erkennen läßt, wann der Stern in der Mitte vorüber <pb o="77" file="391" n="391"/> wandert. </s> <s xml:id="echoid-s4592" xml:space="preserve">Läßt man das Fernrohr ſo ſtehen und wartet man in <lb/>der nächſten Nacht den Zeitpunkt ab, wo derſelbe Stern wiederum <lb/>am Kreuzfaden vorüber zieht, ſo kann man ſicher ſein, daß die <lb/>Erde eine volle Umdrehung gemacht hat und der Zeitraum von <lb/>geſtern zu heute auf einer genau richtig gehenden Sternen-Uhr <lb/>gerade volle vierundzwanzig Stunden betragen müſſe.</s> <s xml:id="echoid-s4593" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4594" xml:space="preserve">Ein Fernrohr, ſo aufgeſtellt und mit allen Mitteln der <lb/>exakteſten Fürſorge verſehen, um es vor jeder menſchlichen <lb/>Beſchädigung und elementaren Einwirkung zu bewahren, nennt <lb/>man ein Meridian-Inſtrument, oder genauer geſagt: </s> <s xml:id="echoid-s4595" xml:space="preserve">den <lb/>aſtronomiſchen Zeitmeſſer, der es möglich macht, daß man aus <lb/>genauen Beobachtungen der Länge eines Sternentages, aus der <lb/>wirklichen Umdrehungszeit der Erde ſämtliche aſtronomiſche <lb/>Uhren kontrollieren und korrigieren kann, um für Zeitabſchnitte <lb/>einen exakten Maßſtab zu beſitzen.</s> <s xml:id="echoid-s4596" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4597" xml:space="preserve">Wir haben es bereits erwähnt, daß ſolch ein Meridian-<lb/>Inſtrument nur unter der einen Vorausſetzung als ein richtiges <lb/>Inſtrument zum Meſſen der Zeit gelten kann, wenn die Erde <lb/>ihre Umdrehungskunſt immer mit einer ſich gleich bleibenden <lb/>Geſchwindigkeit betreibt. </s> <s xml:id="echoid-s4598" xml:space="preserve">Dieſe Vorausſetzung wurde auch bis <lb/>vor einigen Jahrzehnten als ganz ſicher angenommen. </s> <s xml:id="echoid-s4599" xml:space="preserve">Wir <lb/>dürfen es aber jetzt nicht unerwähut laſſen, daß ſchon unſer <lb/>großer Meiſter der Naturwiſſenſchaft <emph style="sp">Hermann von Helm-<lb/>holtz</emph> die Behauptung aufſtellte, daß Ebbe und Flut ſtörend <lb/>auf die Umdrehungszeit der Erde einwirken und dieſe nach <lb/>und nach verlangſamen müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4600" xml:space="preserve">Im Jahre 1866 nahm der <lb/>Mathematiker <emph style="sp">Delaunay</emph> in Paris dieſen Gedanken auf und <lb/>führte durch aſtronomiſche Beobachtungen und namentlich durch <lb/>die im Jahre 585 vor unſerer Zeitrechnung eingetretene, von <lb/>Thales beobachtete Sonnenfinſternis den Beweis, daß die Erd-<lb/>umdrehung ſich wirklich ein wenig verſpätet und dieſe Ver-<lb/>ſpätungen ſich bis auf den heutigen Tag ſchon bis zu ein und <lb/>drei viertel Stunden angeſammelt haben.</s> <s xml:id="echoid-s4601" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="78" file="392" n="392"/> <p> <s xml:id="echoid-s4602" xml:space="preserve">Hiernach gelangte man denn in neuerer Zeit zu der über-<lb/>raſchenden Erkenntnis, daß auch die Mutter Erde in ihrer <lb/>Umdrehung keineswegs eine genaugehende und ſich ſtets gleich-<lb/>bleibende Uhr ſei. </s> <s xml:id="echoid-s4603" xml:space="preserve">Indeſſen iſt die Verzögerung dieſer Um-<lb/>drehungszeit von einem Tage zum anderen eine ſo unendlich <lb/>kleine, daß wir ſie ganz außer Betracht laſſen können. </s> <s xml:id="echoid-s4604" xml:space="preserve">Wie <lb/>lebhaft auch dieſe Entdeckung die theoretiſche Aſtronomie inter-<lb/>eſſiert, die praktiſche Aſtronomie darf mit Recht dieſen Umſtand <lb/>unbeachtet laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4605" xml:space="preserve">Sie erfüllt ihre ſchwierigen Aufgaben ſchon <lb/>in ſehr genügendem Grade, wenn ſie in ihrer ganz außer-<lb/>ordentlichen Sorgfalt anderweitige und viel größere Störungen <lb/>und Irrtümer zu meiden verſteht.</s> <s xml:id="echoid-s4606" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4607" xml:space="preserve">In dieſer Beziehung hat man nun vor wenigen Jahrzehnten <lb/>eine ganz eigentümliche Quelle der Irrtümer ausfindig gemacht, <lb/>von welcher man in früheren Zeiten nicht die geringſte Ahnung hatte.</s> <s xml:id="echoid-s4608" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4609" xml:space="preserve">Man hatte bis zu dieſer Entdeckung wohl wahrgenommen, <lb/>daß zwei Beobachter an zwei ſehr gleichmäßig gearbeiteten <lb/>Fernrohren durchaus nicht übereinſtimmende Angaben über den <lb/>Moment machen, wo ein Stern durch die Mitte des Geſichts-<lb/>feldes an dem dort ausgeſpannten Kreuzfaden vorübergewandert <lb/>ſein ſoll. </s> <s xml:id="echoid-s4610" xml:space="preserve">Man nahm indeſſen an, daß die Verſchiedenheit der <lb/>Angaben auf einer feinen Verſchiedenheit der Inſtrumente, auf <lb/>einer Inkorrektheit in der Ausſpannung des Kreuzfadens, auf <lb/>einer Verſchiedenheit in der Bewegung der Luftſchichten beruhe, <lb/>durch welche das Licht ging. </s> <s xml:id="echoid-s4611" xml:space="preserve">Man bemühte ſich, dieſe Unter-<lb/>ſchiede durch vielfache Wiederholungen der Beobachtungen aus-<lb/>zugleichen, um korrektere Mittelwerte zu erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s4612" xml:space="preserve">Man erfand <lb/>eine ſinnreiche Rechnungsmethode, um dieſe Fehlerquellen auf <lb/>das allergeringſte Maß zu reduzieren und beruhigte ſich über <lb/>die noch immer merkbaren Differenzen mit dem allgemeinen <lb/>Troſt, daß jedes Werk der Menſchenhand und jede Wahr-<lb/>nehmung von Erſcheinungen der Natur den unvertilgbaren <lb/>Stempel der Unvollkommenheiten an ſich trage.</s> <s xml:id="echoid-s4613" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="79" file="393" n="393"/> <p> <s xml:id="echoid-s4614" xml:space="preserve">Da machte denn <emph style="sp">Hirſch</emph> in Neuchatel die intereſſante Ent-<lb/>deckung, daß außer dieſen Fehlerquellen noch eine andere bis <lb/>dahin unbeachtete exiſtiere, deren Einfluß einen weſentlichen <lb/>Anteil an der Ungleichheit der Angaben habe.</s> <s xml:id="echoid-s4615" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4616" xml:space="preserve">Es iſt wiſſenſchaftlich unzweifelhaft, daß — abgeſehen von <lb/>den bereits erwähnten Fehlerquellen — im Auge zweier Beob-<lb/>achter der Moment, wo der Stern den Kreuzfaden des Geſichts-<lb/>feldes berührt, derſelbe iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4617" xml:space="preserve">Aber die Beobachter haben ja die <lb/>Aufgabe, hierüber ihre Wahrnehmungen anzugeben. </s> <s xml:id="echoid-s4618" xml:space="preserve">Zu dieſer <lb/>Wahrnehmung bedarf es eines Aktes ihrer erkennenden Seele. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4619" xml:space="preserve">Wie nun, wenn die Seelenkräfte hierin bei zwei Beobachtern <lb/>verſchieden wären? </s> <s xml:id="echoid-s4620" xml:space="preserve">Iſt es denn ausgemacht, daß zwei Men-<lb/>ſchen, welche einen Piſtolenſchuß hören, auch wirklich ganz <lb/>gleichzeitig in einem und demſelben Moment zu der Erkenntnis <lb/>deſſen kommen, was ſie gehört haben? </s> <s xml:id="echoid-s4621" xml:space="preserve">Kann nicht der eine <lb/>ein ſchnelles, der andere ein langſamer wirkendes Erkenntnis-<lb/>vermögen beſitzen? </s> <s xml:id="echoid-s4622" xml:space="preserve">Dieſe Vorfrage mußte zunächſt entſchieden <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s4623" xml:space="preserve">Es mußte die Frage gelöſt werden, ob zwei Menſchen, <lb/>in deren Auge gleichzeitig ein und dieſelbe Erſcheinung ihr <lb/>Bild abmalt, auch wirklich in ihren Gehirnen gleichzeitig das <lb/>Bewußtſein deſſen erhalten, was auf der Nerventapete der <lb/>Netzhaut ihres Auges dieſen Eindruck hervorgebracht hat. </s> <s xml:id="echoid-s4624" xml:space="preserve">Ver-<lb/>zögert ſich nun dies Bewußtwerden bei dem einen mehr als <lb/>bei dem anderen, ſo wird er auch ſehr natürlich die Zeit der <lb/>Erſcheinung ſpäter als der andere angeben.</s> <s xml:id="echoid-s4625" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4626" xml:space="preserve">Dieſe Frage über die Zeit, welche vergeht zwiſchen einer <lb/>Erſcheinung, welche auf unſer Auge einen Eindruck hervor-<lb/>bringt, und dem Moment, wo wir uns dieſes Eindruckes und <lb/>ſeiner Urſache bewußt werden, die Frage: </s> <s xml:id="echoid-s4627" xml:space="preserve">wie groß iſt wohl <lb/>die Zeitdauer, die da liegt zwiſchen unſerem phyſikaliſchen <lb/>Sehen und unſerem pſychologiſchen Erkennen, dieſe Frage über <lb/>die Brücke zwiſchen Sinn und Seele erforderte eine exakte <lb/>Löſung, und eine ſolche Löſung konnte nicht auf philoſophiſch- <pb o="80" file="394" n="394"/> ſpekulativem Wege gefunden werden, ſondern erforderte ein <lb/>faktiſches Experiment, deſſen Reſultat zweifelloſer iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4628" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4629" xml:space="preserve">Glücklicherweiſe boten die neueſten Erfindungen der Tele-<lb/>graphie ein Mittel dar, dieſe Frage zu löſen.</s> <s xml:id="echoid-s4630" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4631" xml:space="preserve">Man hat mehrfach geiſtvolle Apparate konſtruiert, welche <lb/>die Möglichkeit darbieten, die zur Wahrnehmung eines Ein-<lb/>drucks nötige Zeit zu meſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4632" xml:space="preserve">Einer der erſten derſelben iſt <lb/>von <emph style="sp">Hirſch</emph> ſelbſt erfunden und für den Aſtronomen beſonders <lb/>wichtig: </s> <s xml:id="echoid-s4633" xml:space="preserve">Auf einem Tiſch iſt ein kleines Uhrwerk aufgeſtellt, <lb/>welches in Gang geſetzt, einen kleinen Stift langſam von einer <lb/>Seite des Tiſches zur anderen, von links nach rechts vorüber-<lb/>wandern läßt. </s> <s xml:id="echoid-s4634" xml:space="preserve">Auf dem Stift wird ein Lämpchen befeſtigt, <lb/>das angezündet einen Lichtpunkt gleich einem Stern bildet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4635" xml:space="preserve">Unweit von dieſem künſtlichen, kleinen Stern befindet ſich ein <lb/>kleines Fernrohr, durch deſſen Geſichtsfeld man den künſt-<lb/>lichen Stern in ſeiner langſamen Wanderung beobachten kann. </s> <s xml:id="echoid-s4636" xml:space="preserve"><lb/>Zwiſchen dem künſtlichen Stern und dem Fernrohr aber be-<lb/>findet ſich eine Glastafel, worauf ein ſchwarzer, feiner, ſenk-<lb/>rechter Strich gemalt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4637" xml:space="preserve">Blickt man durch das Fernrohr, <lb/>ſo ſieht man den ſchwarzen Strich ſenkrecht in der Mitte <lb/>des Geſichtsfeldes. </s> <s xml:id="echoid-s4638" xml:space="preserve">Setzt man das Uhrwerk in Bewegung, ſo <lb/>bietet dies ein Schauſpiel gleich dem, das der Aſtronom im <lb/>wirklichen, auf den Himmel gerichteten Fernrohr genießt. </s> <s xml:id="echoid-s4639" xml:space="preserve">Man <lb/>ſieht den künſtlichen Stern durch das Geſichtsfeld von links <lb/>nach rechts wandern. </s> <s xml:id="echoid-s4640" xml:space="preserve">Er erreicht den ſchwarzen Strich, der <lb/>dem Faden im Fernrohr gleicht. </s> <s xml:id="echoid-s4641" xml:space="preserve">Wenn ſich der künſtliche <lb/>Stern genau hinter dem ſchwarzen Strich befindet, ſo wird er <lb/>für einen Moment unſichtbar, bald aber erſcheint er wieder <lb/>rechts vom Strich, um ſeine Wanderung fortzuſetzen.</s> <s xml:id="echoid-s4642" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4643" xml:space="preserve">Dieſes kleine Kunſtwerk iſt aber zugleich mit einem tele-<lb/>graphiſchen Apparat in folgender Weiſe in Verbindung geſetzt.</s> <s xml:id="echoid-s4644" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4645" xml:space="preserve">Fern von dem Kunſtwerk, das eine aſtronomiſche Er-<lb/>ſcheinung ſo treu nachahmt, befindet ſich ein telegraphiſcher <pb o="81" file="395" n="395"/> Druckapparat, welcher auf einem ſich abrollenden Papierſtreifen <lb/>einen kleinen Punkt macht, ſobald man einen elektriſchen Strom <lb/>durch die zugehörige Leitung ſchickt.</s> <s xml:id="echoid-s4646" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4647" xml:space="preserve">Die Verbindung zwiſchen den zwei Apparaten iſt nun <lb/>folgende.</s> <s xml:id="echoid-s4648" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4649" xml:space="preserve">Der Wanderſtift, der den künſtlichen Stern trägt, berührt <lb/>genau in demſelben Moment, wo ſich der künſtliche Stern <lb/>hinter dem ſchwarzen Strich befindet, einen zweiten Stift und <lb/>ſchließt dadurch eine elektriſche Kette, welche einen Strom <lb/>durch den Telegraphenapparat ſchickt. </s> <s xml:id="echoid-s4650" xml:space="preserve">Der Apparat macht nun-<lb/>mehr ſofort einen ſichtbaren Punkt auf dem ſich abrollenden <lb/>Papierſtreifen, und da kann man denn genau auf dem Papier-<lb/>ſtreifen den Moment ſehen, wann in Wirklichkeit der künſtliche <lb/>Stern hinter dem ſchwarzen Strich geſtanden hat.</s> <s xml:id="echoid-s4651" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4652" xml:space="preserve">Nunmehr ſtellt man einen Aſtronomen vor das kleine <lb/>Fernrohr und ſagt ihm: </s> <s xml:id="echoid-s4653" xml:space="preserve">gieb wohl acht auf die Wanderung <lb/>des künſtlichen Sternes. </s> <s xml:id="echoid-s4654" xml:space="preserve">Hier jedoch halte deinen Finger auf <lb/>dies kleine Knöpfchen, und ſobald du wahrnimmſt, daß der <lb/>Stern ſich hinter dem feinen, ſchwarzen Strich befindet, drücke <lb/>ſofort auf das Knöpfchen, als Merkzeichen, daß dies der Mo-<lb/>ment der Wahrnehmung dieſer Erſcheinung iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4655" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4656" xml:space="preserve">Das Knöpfchen aber ſteht ebenfalls mit der elektriſchen <lb/>Batterie und dem telegraphiſchen Apparat in Verbindung. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4657" xml:space="preserve">Sowie der Finger auf das Knöpfchen tippt, ſchließt dies die <lb/>elektriſche Kette noch einmal, und der Apparat macht wiederum <lb/>einen Punkt auf dem abrollenden Papierſtreifen. </s> <s xml:id="echoid-s4658" xml:space="preserve">Und dieſer <lb/>Punkt zeigt uns den Moment, wo der Aſtronom die bemerkte <lb/>Erſcheinung wahrnimmt.</s> <s xml:id="echoid-s4659" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4660" xml:space="preserve">Auf dem Papierſtreifen des telegraphiſchen Apparates er-<lb/>halten wir ſomit zwei Punkte. </s> <s xml:id="echoid-s4661" xml:space="preserve">Den einen Punkt, welchen der <lb/>Wanderſtift ſelber macht, und den zweiten, welchen der Finger-<lb/>druck des Aſtronomen hervorbringt. </s> <s xml:id="echoid-s4662" xml:space="preserve">Den erſteren Punkt wollen <lb/>wir den “phyſikaliſchen” nennen, weil er nur durch die phyſi- <pb o="82" file="396" n="396"/> kaliſche Einrichtung des Stifts hervorgebracht wird; </s> <s xml:id="echoid-s4663" xml:space="preserve">den zweiten <lb/>Punkt wollen wir den pſychologiſchen nennen, weil zu deſſen <lb/>Entſtehung die ſeeliſche Wahrnehmung des Aſtronomen und <lb/>deſſen Thätigkeit nötig iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4664" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4665" xml:space="preserve">Macht man dies nun ſo und beſieht ſich den Papierſtreifen <lb/>mit beiden Punkten, ſo überzeugt man ſich, daß die zwei <lb/>Punkte durchaus nicht an einer und derſelben Stelle ſtehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4666" xml:space="preserve">Der Papierſtreifen hat ſich, nachdem er den phyſikaliſchen <lb/>Punkt erhalten hat, ein ganzes Stück weiter abgerollt, bevor <lb/>er den pſychologiſchen empfing. </s> <s xml:id="echoid-s4667" xml:space="preserve">Es verging alſo eine Zeit <lb/>zwiſchen der Entſtehung des einen und der Entſtehung des <lb/>zweiten Punktes. </s> <s xml:id="echoid-s4668" xml:space="preserve">Da man nun die Geſchwindigkeit kennt, mit <lb/>welcher der Papierſtreifen ſich abrollt, ſo kann man auch durch <lb/>die Entfernung der zwei Punkte von einander die Zeit meſſen, <lb/>welche zwiſchen ihrer Entfernung liegt, und da lehrt denn <lb/>dieſe Meſſung, daß es in der Welt keinen Aſtronomen giebt, <lb/>deſſen Seele ſofort das wahrnimmt, was in ſeinem Auge vor-<lb/>geht. </s> <s xml:id="echoid-s4669" xml:space="preserve">Die Lücke zwiſchen Sinn und Seele iſt bei allen ohne <lb/>Ausnahme von einer ſehr merkbaren Länge.</s> <s xml:id="echoid-s4670" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4671" xml:space="preserve">Wie man ſich leicht denken kann, beruhigt ſich die aſtro-<lb/>nomiſche Wiſſenſchaft mit den Ergebniſſen der Erfahrung, <lb/>welche den Wert der ſogenannten perſönlichen Gleichung für <lb/>jeden einzelnen Beobachter feſtſtellt. </s> <s xml:id="echoid-s4672" xml:space="preserve">Die Aſtronomie, welche <lb/>ſich nur mit den Vorgängen der Weltkörper außer uns be-<lb/>faßt, läßt die Frage über das, was in uns vorgeht, als eine <lb/>ihr fernliegende auf ſich beruhen. </s> <s xml:id="echoid-s4673" xml:space="preserve">Dafür hat denn eine andere <lb/>Wiſſenſchaft, die Phyſiologie, welche ſich mit der mechaniſchen <lb/>Einrichtung unſeres Körpers und den Funktionen und Fähig-<lb/>keiten unſerer Organe beſchäftigt, die lehrreichen Thatſachen in <lb/>den Bereich ihrer Forſchungen gezogen. </s> <s xml:id="echoid-s4674" xml:space="preserve">Die Verſuche, welche <lb/>denkende Forſcher hierüber angeſtellt haben, ſind um ſo über-<lb/>raſchender, als ſie das Gebiet einer anderen Wiſſenſchaft be-<lb/>rühren, welche bisher dem menſchlichen Wiſſensdrang das ge- <pb o="83" file="397" n="397"/> heimnisvollſte Schweigen entgegenſtellte. </s> <s xml:id="echoid-s4675" xml:space="preserve">Die Phyſiologie gerät <lb/>in dieſen ihren Experimenten bis an die Grenzen der bis jetzt <lb/>noch ſehr wenig erſchloſſenen wiſſenſchaftlichen Pſychologie, <lb/>welche ſich ſo eigentlich mit den Kräften unſerer Seele beſchäftigt.</s> <s xml:id="echoid-s4676" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4677" xml:space="preserve">In dem kleinen Zwiſchenraum auf dem Papierſtreifen des <lb/>telegraphiſchen Apparates, der uns die zwei Punkte im aſtro-<lb/>nomiſchen Verſuch zeigt, liegen unzweifelhaft ganze Berge <lb/>wiſſenſchaftlicher Rätſel aufgehäuft. </s> <s xml:id="echoid-s4678" xml:space="preserve">Der eine Punkt, den der <lb/>optiſche Apparat ſelber rechtzeitig macht, zeigt uns den Moment, <lb/>wo ein Ereignis in der Außenwelt in unſer Auge eintritt; </s> <s xml:id="echoid-s4679" xml:space="preserve">der <lb/>zweite Punkt, den der ſpätere Fingerdruck hervorgebracht hat, <lb/>zeigt uns den Moment, wo der Befehl unſerer Seele bis in <lb/>die gehorſame Fingerſpitze hinein gedrungen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4680" xml:space="preserve">Der eine <lb/>bezeichnet den Eintritt in unſere Innenwelt, der andere ge-<lb/>wiſſermaßen den Austritt aus derſelben. </s> <s xml:id="echoid-s4681" xml:space="preserve">Was aber liegt <lb/>zwiſchen dieſen zwei Punkten? </s> <s xml:id="echoid-s4682" xml:space="preserve">Iſt der Weg vom Auge zur <lb/>Fingerſpitze ein ſo geebneter, daß wir die zwiſchen ihnen <lb/>liegenden Stationen unbeachtet laſſen können? </s> <s xml:id="echoid-s4683" xml:space="preserve">Wo iſt die <lb/>Station, in welcher die Nachricht von außen empfangen und <lb/>die Kunde bis in die Fingerſpitze abgeſendet wird? </s> <s xml:id="echoid-s4684" xml:space="preserve">Welche <lb/>Bahnen führen vom Auge zu dem geheimnisvollen Bureau des <lb/>Bewußtſeins, und welche Leitung geht von dieſem bis in den <lb/>Finger hinunter? </s> <s xml:id="echoid-s4685" xml:space="preserve">Wie iſt dies geheime Bureau beſchaffen, <lb/>welches Nachrichten empfängt und wieder ausſendet? </s> <s xml:id="echoid-s4686" xml:space="preserve">Findet <lb/>der Aufenthalt, der ſich erkennbar in den zwei feinen Punkten <lb/>des Papierſtreifens abzeichnet, auf dem Wege des Eintritts <lb/>oder des Austritts ſtatt, oder iſt der Zeitraum, der zwiſchen <lb/>der Entſtehung der zwei Punkte liegt, ein Maßſtab dafür, daß <lb/>der geheime Depeſchenwechſel nach innen und nach außen nur <lb/>unter einem Zeitverluſt vor ſich geht?</s> <s xml:id="echoid-s4687" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4688" xml:space="preserve">All’ dieſe Fragen gehören zu der Aufgabe der Phyſiologie. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4689" xml:space="preserve">In der Mitte derſelben aber liegt die noch wiſſenſchaftlich ganz <lb/>verhüllte Pſychologie; </s> <s xml:id="echoid-s4690" xml:space="preserve">denn zwiſchen Auge und Fingerſpitze <pb o="84" file="398" n="398"/> mußte die erkennende und thätige Seele ihr Werk verrichten, ohne <lb/>welche Auge und Finger nur tote und ſtumme Werkzeuge ſind.</s> <s xml:id="echoid-s4691" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4692" xml:space="preserve">Die Bahn der Forſchung, welche die Wiſſenſchaft hier ein-<lb/>zuſchlagen hat, iſt, wie leicht erſichtlich, eine ſehr ſchwierige. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4693" xml:space="preserve">Glücklicherweiſe jedoch hat die Phyſiologie ſchon vor längerer <lb/>Zeit die vorbereitenden Schritte gethan, um die Bahn ihrer <lb/>Forſchung mit günſtigerem Erfolge betreten zu können.</s> <s xml:id="echoid-s4694" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4695" xml:space="preserve">Wir wiſſen es längſt, daß unſer Bewußtſein, unſer Er-<lb/>kenntnis-Vermögen, die Kraft unſerer Willensäußerung im Gehirn <lb/>den Thron aufgeſchlagen. </s> <s xml:id="echoid-s4696" xml:space="preserve">Nicht wer “Herz und Nieren prüft”, <lb/>ſondern wer unſere Gehirnthätigkeit erkennt, weiß unſer Empfinden <lb/>und Denken. </s> <s xml:id="echoid-s4697" xml:space="preserve">Dieſes ſtille, geheimnisvolle Organ iſt das Zentral-<lb/>Bureau, das gleich einer Telegraphenſtation von der Außenwelt <lb/>Nachrichten aufnimmt, aus der Innenwelt Kunde nach außen <lb/>ſendet. </s> <s xml:id="echoid-s4698" xml:space="preserve">Und ähnlich einem Telegraphen-Bureau iſt es auch mit <lb/>Leitungsdrähten, mit Nervenfäden verſehen, um Depeſchen-<lb/>Nachrichten zu empfangen und Depeſchen-Befehle auszuſenden.</s> <s xml:id="echoid-s4699" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4700" xml:space="preserve">Das Dichterwort: </s> <s xml:id="echoid-s4701" xml:space="preserve">“ins Innere der Natur dringt kein er-<lb/>ſchaffener Geiſt” hat dem Forſcherdrang der Wiſſenſchaft bereits <lb/>in weſentlichen Punkten weichen müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4702" xml:space="preserve">Wir wiſſen, daß unſer <lb/>Auge ein optiſcher Apparat iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4703" xml:space="preserve">Wir wiſſen, daß auf der <lb/>Hinterwand unſeres Auges eine Tapete aus Nervenfäden aus-<lb/>gebreitet iſt, worauf das Bild der Außenwelt ſich lichtvoll ab-<lb/>malt. </s> <s xml:id="echoid-s4704" xml:space="preserve">Wir wiſſen, daß all’ die Nervenfäden der höchſt zart <lb/>und kunſtvoll gebildeten Tapete zuſammenlaufen in einen ziemlich <lb/>ſtarken Nervenſtrang, der bis zum Gehirn führt. </s> <s xml:id="echoid-s4705" xml:space="preserve">Wir wiſſen, <lb/>daß nur auf dieſem Nervenſtrang die zu Bildern ſich geſtaltenden <lb/>Lichteindrücke des Auges bis zum Gehirn gelangen. </s> <s xml:id="echoid-s4706" xml:space="preserve">Wir wiſſen, <lb/>daß der Nervenſtrang, der Sehnerv, die Leitung iſt, welche von <lb/>der Außenwelt zur Zentral-Station des Gehirns geht und ihm <lb/>die Nachricht bringt von dem, was außer uns in Nähe und <lb/>Ferne Lichtſtrahlen als Zeugniſſe ſeiner Exiſtenz ausſendet.</s> <s xml:id="echoid-s4707" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4708" xml:space="preserve">Wir wiſſen aber auch ferner durch untrügliche Forſchungen <pb o="85" file="399" n="399"/> und Experimente, daß vom Gehirn wieder Nervenfäden aus-<lb/>gehen, welche gleich elektriſchen Leitungen nach allen Teilen <lb/>unſeres Körpers ſich verbreiten. </s> <s xml:id="echoid-s4709" xml:space="preserve">Wir wiſſen, daß dieſe Nerven, <lb/>wenn ſie gereizt oder vom Gehirn aus angeregt werden, die <lb/>Muskeln unſeres Körpers zur Zuſammenziehung zwingen und <lb/>ſomit Bewegungen unſerer Glieder hervorbringen. </s> <s xml:id="echoid-s4710" xml:space="preserve">Auch bis <lb/>zu unſeren Fingermuskeln läuft ſolche eine Nervenleitung. </s> <s xml:id="echoid-s4711" xml:space="preserve">Der <lb/>Befehl, den der Aſtronom ausführt, wenn er mit der Fingerſpitze <lb/>auf das Knöpfchen des aſtronomiſchen Apparates drückt, hat vom <lb/>Gehirn bis zum gehorſamen Organ den Weg des Nervenfadens <lb/>durchlaufen müſſen, deſſen Lage und Länge wir genau kennen.</s> <s xml:id="echoid-s4712" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4713" xml:space="preserve">Wir wiſſen aber noch mehr.</s> <s xml:id="echoid-s4714" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4715" xml:space="preserve">Durch ſinnreiche Verſuche hat man die Geſchwindigkeit <lb/>gemeſſen, mit welcher der elektriſche Strom durch die meilen-<lb/>langen Drähte unſerer Telegraphen dahinfliegt. </s> <s xml:id="echoid-s4716" xml:space="preserve">Dieſe Ge-<lb/>ſchwindigkeit iſt ſo groß, daß ſie unſere Vorſtellungsgabe bei <lb/>Weitem überſteigt. </s> <s xml:id="echoid-s4717" xml:space="preserve">Der elektriſche Strom bewegt ſich durch <lb/>eine Telegraphenleitung in einer Sekunde an 40 000 Meilen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4718" xml:space="preserve">Längere Zeit vermutete man nun, daß auch die Geſchwindigkeit <lb/>bei der Fortpflanzung eines Nervenreizes eine eben ſo große <lb/>wäre; </s> <s xml:id="echoid-s4719" xml:space="preserve">allein ſinnreiche Verſuche haben gelehrt, daß dem nicht <lb/>ſo ſei. </s> <s xml:id="echoid-s4720" xml:space="preserve">Während ein elektriſcher Strom in einer metalliſchen <lb/>Leitung in einer Sekunde an 40 000 Meilen dahinfliegt, wird <lb/>in einem Nerv durch einen Reiz ein Strom erzeugt, der ſich in <lb/>einer Sekunde nur circa 100 Fuß weit fortpflanzt.</s> <s xml:id="echoid-s4721" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4722" xml:space="preserve">Auf der Baſis dieſer bereits vor mehreren Jahren feſt-<lb/>geſtellten Reſultate dürfen wir es nun wagen, uns den neueſten <lb/>Problemen zu nähern und von den bekannten Gebieten der <lb/>Nerventhätigkeit aus einen Blick über die verſchloſſene Mauer <lb/>zu werfen, die das geheimſte Geheimnis, unſere Seelenthätigkeit, <lb/>verbirgt.</s> <s xml:id="echoid-s4723" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4724" xml:space="preserve">Wenden wir uns wieder zurück zu unſerem Aſtronomen, <lb/>ſo haben wir die zwei Punkte des Papierſtreifens vor uns, <pb o="86" file="400" n="400"/> welche den Zeitraum angeben, der zwiſchen dem Eintritt der <lb/>Erſcheinung und dem ſtattgehabten Seelenproceß verfloſſen iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4725" xml:space="preserve">Nehmen wir an, wir hätten einen Aſtronomen vor uns, bei <lb/>dem dieſe Zeit gerade eine Sekunde beträgt — wobei wir be-<lb/>merken wollen, daß dieſe Annahme bedeutend zu hoch gegriffen <lb/>iſt, da ein einfacher Proceß, wie der geſchilderte, ſich ſchon in <lb/>{1/4} oder {1/5} Sekunde abſpielt. </s> <s xml:id="echoid-s4726" xml:space="preserve">Nun wollen wir einmal die <lb/>Rechnung machen, wie viel Teilchen dieſer Sekunde verbraucht <lb/>worden ſind auf dem kurzen Weg vom Auge zum Gehirn und <lb/>auf dem längern Weg vom Gehirn bis zum Fingermuskel. </s> <s xml:id="echoid-s4727" xml:space="preserve"><lb/>Da wir die Länge des Nerven, der vom Auge zum Gehirn, <lb/>und ebenſo den kennen, welcher vom Gehirn zum Fingermuskel <lb/>führt, und auch die Geſchwindigkeit wiſſen, mit welcher ſie ihren <lb/>Dienſt verrichten, ſo wiſſen wir mit hinreichender Beſtimmtheit <lb/>anzugeben, welche Zeit auf der Paſſage durch dieſe Nerven ver-<lb/>loren gegangen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4728" xml:space="preserve">Der Optikus, der Nerv, der Auge und Hirn <lb/>verbindet, iſt ungefähr 6 cm lang, der Bewegungsnerv vom <lb/>Gehirn zu den Muskeln der Finger iſt etwa {2/3} Meter lang. </s> <s xml:id="echoid-s4729" xml:space="preserve"><lb/>Dieſe Strecken durchfliegt die Nervenerregung in etwa {2/100} Se-<lb/>kunden. </s> <s xml:id="echoid-s4730" xml:space="preserve">Dazu kommt nun noch die Zeit von {1/100} Sekunde, welche <lb/>vergeht, bis der Muskel zu wirken anfängt. </s> <s xml:id="echoid-s4731" xml:space="preserve">Warum aber liegt <lb/>zwiſchen den zwei Punkten unſeres Papierſtreifens ein Zeitraum <lb/>von einer ganzen Sekunde? </s> <s xml:id="echoid-s4732" xml:space="preserve">Wo fand auf dem Wege durch das <lb/>Innere unſeres Aſtronomen der Aufenthalt von {97/100} Sekunden <lb/>ſtatt? </s> <s xml:id="echoid-s4733" xml:space="preserve">Wir wiſſen hierauf keine beſſere Antwort, als daß dies <lb/>die Seelenzeit ſei, oder einfacher ausgedrückt: </s> <s xml:id="echoid-s4734" xml:space="preserve">die Empfangs-<lb/>nahme der Nervendepeſche und die Expedierung derſelben im <lb/>Gehirn hat einen Zeitaufwand von {97/100} Sekunden gekoſtet.</s> <s xml:id="echoid-s4735" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4736" xml:space="preserve">Wir haben es bereits erwähnt, daß die Unterſchiede <lb/>zwiſchen zwei Aſtronomen hierin recht beträchtlich ſind. </s> <s xml:id="echoid-s4737" xml:space="preserve">Bei <lb/>dem Einen liegt zwiſchen den zwei Punkten ein Zeitraum einer <lb/>ganzen Sekunde, bei dem Andern ein Zeitraum von nur {20/100} <lb/>Sekunden. </s> <s xml:id="echoid-s4738" xml:space="preserve">Nun wiſſen wir — glücklicherweiſe, auch ohne ſie zu <pb o="87" file="401" n="401"/> ſecieren — daß die Länge der Nervenfäden bei ihnen durchaus <lb/>nicht weſentlich verſchieden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4739" xml:space="preserve">Wenn gleichwohl die Zeitdauer <lb/>ſo weſentlich bei beiden Aſtronomen abweicht, ſo kann das nur <lb/>in einem Unterſchied der Seelenthätigkeit ihren Grund haben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4740" xml:space="preserve">Die Seele des Einen iſt flinker als die des Andern. </s> <s xml:id="echoid-s4741" xml:space="preserve">Sie ver-<lb/>richtet dasſelbe Werk in kaum {1/5} ſo viel Zeit.</s> <s xml:id="echoid-s4742" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4743" xml:space="preserve">Es wäre ein großer Irrtum, wollte man hieraus auf <lb/>eine Verſchiedenheit der geiſtigen Kapazität der zwei Beob-<lb/>achter ſchließen. </s> <s xml:id="echoid-s4744" xml:space="preserve">Es zeigt die Erfahrung, daß oft die feinſten <lb/>und ſchärfſten Denker hierin weniger flink ſind als Beobachter, <lb/>die ſich ihnen an Geiſt nicht gleichſtellen dürfen. </s> <s xml:id="echoid-s4745" xml:space="preserve">Die Geiſtes-<lb/>gegenwart, ſo möchten wir ſagen, iſt keineswegs eine Gabe, <lb/>welche mit der Geiſteskraft identiſch iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4746" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4747" xml:space="preserve">Verdenken dürfen wir es aber der Seele nicht, wenn ſie <lb/>ſich überhaupt etwas Zeit nimmt bei dieſer Arbeit, denn ver-<lb/>ſuchen wir es einmal, in ihre geheimnisvolle Werkſtatt hinein <lb/>zu gucken, ſo finden wir, daß ſie bei dieſer ſo ſchlichten Ver-<lb/>richtung ganz außerordentlich viel zu thun hat.</s> <s xml:id="echoid-s4748" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4749" xml:space="preserve">Zunächſt muß ſie den Sinnes-Eindruck von Nerven in <lb/>Empfang nehmen. </s> <s xml:id="echoid-s4750" xml:space="preserve">Schon dieſe Empfangnahme iſt ſo einfach <lb/>nicht, wie man bisher geglaubt hat. </s> <s xml:id="echoid-s4751" xml:space="preserve">Der Mathematiker <emph style="sp">Fechner</emph> <lb/>(1801—1887) hat durch das Experiment nachgewieſen, daß die <lb/>Seele ſozuſagen von einer gewiſſen “Schwelle” der Unempfind-<lb/>lichkeit umſchloſſen iſt, an welcher ſehr ſchwache Sinneseindrücke <lb/>wirkungslos liegen bleiben. </s> <s xml:id="echoid-s4752" xml:space="preserve">Dieſe Schwelle iſt gewiſſermaßen <lb/>eine wohlthätige Schutzmauer um unſere Seele, welche uns vor <lb/>der entſetzlichen Lage bewahrt, immerfort Sinnes-Eindrücke auf-<lb/>nehmen zu müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4753" xml:space="preserve">Unſer offenes Ohr, unſer offenes Auge, <lb/>unſer ſtets freier Geruchsſinn empfangen unausgeſetzt Sinnes-<lb/>eindrücke von der Außenwelt. </s> <s xml:id="echoid-s4754" xml:space="preserve">Die Luft iſt unausgeſetzt von <lb/>Schallwellen bewegt, der Äther des Weltraumes unausgeſetzt <lb/>von Lichtſchwingungen erregt, die Atome aller riechbaren Sub-<lb/>ſtanzen fliegen unausgeſetzt auf uns zu, und wenn die Schwelle <pb o="88" file="402" n="402"/> nicht wäre, welche ſie umſchließt, ſo würde unſere arme Seele <lb/>unausgeſetzt mit Hören und Sehen und Riechen ſo beſchäftigt <lb/>ſein, daß ſie nichts weiter zu verrichten imſtande wäre. </s> <s xml:id="echoid-s4755" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>Schwelle hält in ſehr wohlthätiger Weiſe alle ſchwachen Sinnes-<lb/>Eindrücke zurück und läßt nur Eindrücke von einer gewiſſen <lb/>Stärke ins Seelenheiligtum hinein.</s> <s xml:id="echoid-s4756" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4757" xml:space="preserve">Wenn die “Schwelle der Empfindung” überſchritten iſt, dann <lb/>erſt nimmt die Seele einen Sinnes-Eindruck in Empfang; </s> <s xml:id="echoid-s4758" xml:space="preserve">aber <lb/>dieſe Empfangnahme iſt noch weit entfernt davon, eine wirk-<lb/>liche Kenntnisnahme unſerer Seele zu ſein. </s> <s xml:id="echoid-s4759" xml:space="preserve">Die Seele befindet <lb/>ſich da ungefähr in derſelben Lage wie wir, wenn uns der <lb/>Poſtbote einen Brief übergiebt. </s> <s xml:id="echoid-s4760" xml:space="preserve">Wir wiſſen wohl, daß jemand <lb/>von der Außenwelt etwas an uns geſchrieben; </s> <s xml:id="echoid-s4761" xml:space="preserve">aber wir müſſen <lb/>erſt das Kuvert öffnen und Inhalt und Unterſchrift des Briefes <lb/>leſen, um zu wiſſen, wer unſer Korreſpondent iſt und was er <lb/>uns mitteilt. </s> <s xml:id="echoid-s4762" xml:space="preserve">Unſerer Seele geht es nun ganz ebenſo. </s> <s xml:id="echoid-s4763" xml:space="preserve">Wir <lb/>empfangen nicht ſelten Sinnes-Eindrücke, deren Sinn und Urſache <lb/>wir im erſten Moment gar nicht begreifen. </s> <s xml:id="echoid-s4764" xml:space="preserve">Es dauert be-<lb/>kanntlich nicht ſelten bei unvorbereiteten, überraſchenden Er-<lb/>ſcheinungen eine ganze Weile, bevor wir uns bewußt werden, <lb/>was uns die Sinne, dieſe Poſtboten der Außenwelt, überbracht <lb/>haben; </s> <s xml:id="echoid-s4765" xml:space="preserve">aber auch bei wohl vorbereiteten und erwarteten Er-<lb/>ſcheinungen findet ein Zeitverluſt zwiſchen Empfangnahme und <lb/>Kenntnisnahme ſtatt, denn zwiſchen beiden liegt ein gewaltiges <lb/>Arſenal unſeres Gehirnes, das wir die Gedankenkammer nennen, <lb/>woraus wir uns erſt die koſtbaren Schätze des Bewußtſeins, des <lb/>Nachdenkens und des Urteils nacheinander herausholen müſſen, <lb/>um zu wiſſen, was da in der Außenwelt vorgegangen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4766" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4767" xml:space="preserve">Aber die Seele des beobachtenden Aſtronomen hat hiermit <lb/>noch keineswegs ihre Arbeit vollendet. </s> <s xml:id="echoid-s4768" xml:space="preserve">Sie iſt jetzt zwar wohl <lb/>unterrichtet, daß Stern und Kreuzfaden ſich berührt haben; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4769" xml:space="preserve">allein mit dieſer Weisheit iſt es nicht gethan. </s> <s xml:id="echoid-s4770" xml:space="preserve">Sie muß ſich <lb/>jetzt eines ganz anderen Gedankens erinnern, der ſie an ihre <pb o="89" file="403" n="403"/> Schuldigkeit mahnt und eine Pflichterfüllung von ihr heiſcht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4771" xml:space="preserve">“Halt,” ſagt ſie ſich, “ich muß ja jetzt dem Finger den Befehl <lb/>erteilen, daß er auf das Knöpfchen tippt.</s> <s xml:id="echoid-s4772" xml:space="preserve">” — Auch die Ent-<lb/>wickelung dieſes Gedankens erfordert Zeit. </s> <s xml:id="echoid-s4773" xml:space="preserve">Nunmehr muß die <lb/>Seele an eine geheimnisvolle Pforte klopfen, wo unſer Wille <lb/>ſchlummert und muß ihm ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s4774" xml:space="preserve">ſei ſo gut und führe einmal <lb/>folgende Kabinettsordre aus. </s> <s xml:id="echoid-s4775" xml:space="preserve">Zuerſt ſuche dir einmal das <lb/>Ende des Nervenfadens aus, der vom Gehirn durchs Rücken-<lb/>mark bis zu dem Muskel desjenigen Fingers geht, der auf <lb/>dem Knöpfchen ruht. </s> <s xml:id="echoid-s4776" xml:space="preserve">Aber irre dich ja nicht; </s> <s xml:id="echoid-s4777" xml:space="preserve">denn hier ſind <lb/>Tauſende von Nervenfäden, die nach ganz anderen Teilen des <lb/>Körpers laufen. </s> <s xml:id="echoid-s4778" xml:space="preserve">Außerdem hat der Menſch da draußen zehn <lb/>Finger, unter welchen du dir den richtigen merken mußt; </s> <s xml:id="echoid-s4779" xml:space="preserve">und <lb/>endlich ſind an dem richtigen Finger eben ſo Muskeln, welche <lb/>ihn ſtrecken wie biegen können. </s> <s xml:id="echoid-s4780" xml:space="preserve">Ich aber will, daß du den <lb/>Streckmuskel ja in Ruhe läßt und ſo ſchnell es dir möglich iſt, <lb/>den Beugemuskel zum Zuſammenziehen zwingſt.</s> <s xml:id="echoid-s4781" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4782" xml:space="preserve">Der Wille gehorcht. </s> <s xml:id="echoid-s4783" xml:space="preserve">Aus dem Gewirre der zahlloſen <lb/>Klaviatur von Nervenfäden findet er den richtigen heraus. </s> <s xml:id="echoid-s4784" xml:space="preserve">In <lb/>geheimnisvoller Weiſe erhält dieſer richtige Nervenfaden einen <lb/>Anſtoß, einen Reiz. </s> <s xml:id="echoid-s4785" xml:space="preserve">Und jetzt erſt hat die Seele ihre Arbeit <lb/>gethan. </s> <s xml:id="echoid-s4786" xml:space="preserve">Der Reiz pflanzt ſich durch den Nerv in gemeſſener <lb/>Zeit fort, und der Muskel muß gehorchen, den Befehl voll-<lb/>ſtrecken und durch einen Fingerdruck den Punkt auf dem Papier-<lb/>ſtreifen hervorrufen.</s> <s xml:id="echoid-s4787" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4788" xml:space="preserve">Hiernach werden wir zugeben müſſen, daß die Seele nicht <lb/>wenig zu thun hat, um die Kunde von dem Auge bis zur Finger-<lb/>ſpitze zu befördern. </s> <s xml:id="echoid-s4789" xml:space="preserve">Wenn ſich die Seele dabei an {1/5} bis eine Se-<lb/>kunde Zeit nimmt, ſo werden wir ihr gewiß nicht gram ſein dürfen.</s> <s xml:id="echoid-s4790" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4791" xml:space="preserve">Es iſt nicht die Aufgabe der Aſtronomie, ſich mit den <lb/>Seelengeheimniſſen ſelber zu befaſſen; </s> <s xml:id="echoid-s4792" xml:space="preserve">aber eine Erfahrung, <lb/>die ſie dabei macht, iſt doch ſo wichtig, daß wir ſie nicht un-<lb/>berührt laſſen dürfen.</s> <s xml:id="echoid-s4793" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="90" file="404" n="404"/> <p> <s xml:id="echoid-s4794" xml:space="preserve">Wenn ein Aſtronom abends vor Antritt der Beobachtungs-<lb/>zeit ſeine perſönliche Gleichung auf dem Papierſtreifen getreulich <lb/>abgemeſſen hat und ſodann morgens nach gethaner Arbeit <lb/>nochmals die Meſſung vornimmt, ſo gewahrt er, daß jetzt die <lb/>zwei Punkte etwas weiter auseinander liegen. </s> <s xml:id="echoid-s4795" xml:space="preserve">Nun iſt es <lb/>zweifellos, daß die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Reize <lb/>durch die Nerven ſich durchaus nicht verändert haben kann. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4796" xml:space="preserve">Verſuche an Froſchnerven zeigen, daß dieſe Geſchwindigkeit ſich <lb/>gleich bleibt, wenn man auch noch ſo lange und anhaltend <lb/>den Nerv reizt. </s> <s xml:id="echoid-s4797" xml:space="preserve">Der Muskel leidet wohl an Ermüdung; </s> <s xml:id="echoid-s4798" xml:space="preserve">aber <lb/>die Fortpflanzung im Nervenfaden iſt immer dieſelbe, ſo lange <lb/>überhaupt der Nerv ſeine Leiſtungsfähigkeit beſitzt. </s> <s xml:id="echoid-s4799" xml:space="preserve">Die Nerven <lb/>der Aſtronomen machen ſicherlich hiervon keine Ausnahme. </s> <s xml:id="echoid-s4800" xml:space="preserve">Die <lb/>Fortpflanzungsgeſchwindigkeit in ihnen iſt am Morgen noch <lb/>immer ſo groß wie am Abend. </s> <s xml:id="echoid-s4801" xml:space="preserve">Warum aber verzögert ſich <lb/>der Punkt auf dem Papierſtreifen am Morgen nach durch-<lb/>wachter Nacht? </s> <s xml:id="echoid-s4802" xml:space="preserve">Offenbar iſt hier die Seele nicht mehr ſo fix <lb/>in der regelrechten Leiſtung aller ihrer Arbeiten. </s> <s xml:id="echoid-s4803" xml:space="preserve">Es geht ihr <lb/>nicht mehr ſo ſchnell von der Hand wie am Abend. </s> <s xml:id="echoid-s4804" xml:space="preserve">Sie hat <lb/>während der Nacht ſo viel gearbeitet, daß man ihr wohl eine <lb/>kleine Verlangſamung ihrer Thätigkeit gönnen muß.</s> <s xml:id="echoid-s4805" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4806" xml:space="preserve">Was die Aſtronomie indeſſen bloß als Thatſache vor-<lb/>führt, iſt von der Phyſiologie zum Gegenſtand einer ſehr ſpe-<lb/>zialiſierten Unterſuchung gemacht worden und glücklicherweiſe <lb/>hat ein Meiſter dieſer Wiſſenſchaft, <emph style="sp">Donders</emph> in Utrecht, auf <lb/>dem Wege ſtrenger Experimente Reſultate gewonnen, welche <lb/>es geſtatten, vom Gebiet der Phyſiologie aus einen Blick in die <lb/>noch ſehr verhüllte Region der Seelenthätigkeit hinein zu thun.</s> <s xml:id="echoid-s4807" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4808" xml:space="preserve">Wir wollen es verſuchen, dieſe ſtreng wiſſenſchaftlichen Re-<lb/>ſultate unſerem allgemeinen Verſtändnis etwas näher zu bringen.</s> <s xml:id="echoid-s4809" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4810" xml:space="preserve">Bei den bisher erwähnten Experimenten blieb ſtets ein <lb/>mächtiges Anregungsmittel unſerer Seele, “die Überraſchung”, <lb/>ausgeſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4811" xml:space="preserve">Der beobachtende Aſtronom ſieht den Stern <pb o="91" file="405" n="405"/> langſam durch das Feld des Fernrohrs anwandern und kann <lb/>ſchon im voraus den ungefähren Zeitpunkt ermeſſen, wo er <lb/>hinter dem Kreuzfaden verſchwinden wird. </s> <s xml:id="echoid-s4812" xml:space="preserve">Vollkommen vor-<lb/>bereitet auf dieſen Moment ſtehen ſo zu ſagen alle Seelen-<lb/>kräfte des Beobachters auf der Lauer, um ſofort nach einander <lb/>ihren Dienſt anzutreten, bis der Nerv, der zum Finger führt, <lb/>den betreffenden Anreiz erhält. </s> <s xml:id="echoid-s4813" xml:space="preserve">Die Verſuche, welche die Phyſio-<lb/>logie anſtellte, ſind ſchon in dieſer Hinſicht komplizierter.</s> <s xml:id="echoid-s4814" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4815" xml:space="preserve">In einem finſteren Zimmer ſind zwei Drähte ſo nahe an <lb/>einander gebracht, daß ein elektriſcher Induktionsſtrom im <lb/>Moment des Schluſſes der Leitung einen hellen Funken zwiſchen <lb/>den Drähten erſcheinen läßt. </s> <s xml:id="echoid-s4816" xml:space="preserve">Dieſe Vorrichtung ſteht mit einem <lb/>telegraphiſchen Apparat in Verbindung, der, gleich dem bereits <lb/>erwähnten, den Moment des Stromſchluſſes durch einen Punkt <lb/>auf dem ſich abrollenden Papierſtreifen verewigt. </s> <s xml:id="echoid-s4817" xml:space="preserve">Da ſetzt man <lb/>denn einen Phyſiologen hin in das finſtere Zimmer und ſtellt <lb/>auch ihm die Aufgabe, durch einen Fingerdruck einen zweiten <lb/>Punkt auf dem Papierſtreifen zu veranlaſſen, ſobald er den <lb/>Induktionsfunken ſieht.</s> <s xml:id="echoid-s4818" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4819" xml:space="preserve">Wann der Funken erſcheinen wird, ob gleich oder erſt <lb/>nach mehreren Minuten, darüber läßt man den Phyſiologen <lb/>im Ungewiſſen, und da iſt er offenbar ſchon ein ganzes Stück <lb/>ſchlimmer daran als unſer Aſtronom. </s> <s xml:id="echoid-s4820" xml:space="preserve">Die Seele des Phyſio-<lb/>logen iſt zwar gefaßt auf das Erſcheinen des Funkens, und es <lb/>iſt in ihr Alles vorbereitet zum Empfang der Lichtbotſchaft; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4821" xml:space="preserve">allein ſie kommt doch viel plötzlicher, als der wandernde Stern <lb/>an den Kreuzfaden, und erregt in der Seele jenen intereſſanten <lb/>Zuſtand, welchen man Überraſchung nennt.</s> <s xml:id="echoid-s4822" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4823" xml:space="preserve">Die Meſſung lehrt denn auch, daß dieſer Zuſtand, die <lb/>Überraſchung, in der Seelenthätigkeit einen kleinen Aufenthalt <lb/>veranlaßt. </s> <s xml:id="echoid-s4824" xml:space="preserve">Eine überraſchte Seele wird ſelbſt durch das Ein-<lb/>treten einer mit Gewißheit erwarteten Erſcheinung ein wenig <lb/>ſtutzig. </s> <s xml:id="echoid-s4825" xml:space="preserve">Es ſcheint ihr im erſten Schreck der Verſtand ſtill zu <pb o="92" file="406" n="406"/> ſtehen, bevor ſie ſich ermannt und ihre vorbezeichneten Arbeiten <lb/>beginnt. </s> <s xml:id="echoid-s4826" xml:space="preserve">Eine ſolche wohl erwartete, aber im Zeiteintritt nicht <lb/>vorausgeſehene Überraſchung koſtet der Seele einen Zeitverluſt <lb/>von etwa {1/5} Sekunde.</s> <s xml:id="echoid-s4827" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4828" xml:space="preserve">Das phyſiologiſche Experiment ging aber noch einen Schritt <lb/>weiter in der Unterſuchung.</s> <s xml:id="echoid-s4829" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4830" xml:space="preserve">Unſer Auge iſt ein Inſtrument, welches für Raum-<lb/>unterſchiede äußerſt fein empfindlich, für das Merken von <lb/>Zeitunterſchieden jedoch gar nicht eingerichtet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4831" xml:space="preserve">Ein Licht-<lb/>funke, wenn er ſtark leuchtend iſt, erregt unſer Auge für ſo <lb/>lange Zeit, daß wir ihn noch zu ſehen glauben, wenn er <lb/>längſt verſchwunden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s4832" xml:space="preserve">Mit unſerem Ohr ſind wir in dieſer <lb/>Beziehung beſſer beſtellt. </s> <s xml:id="echoid-s4833" xml:space="preserve">Der Muſiker zählt die Intervalle der <lb/>Töne, das heißt die Zeitdauer der Pauſen zwiſchen einem Ton <lb/>und dem anderen, mit außerordentlicher Schärfe, und daraus <lb/>konnte man ſchon ſchließen, daß unſere Seele in Bezug auf die <lb/>Zeit vom Ohr beſſer bedient ſein werde als vom Auge; </s> <s xml:id="echoid-s4834" xml:space="preserve">und <lb/>dieſer Schluß wurde auch durch Verſuche vollkommen beſtätigt.</s> <s xml:id="echoid-s4835" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4836" xml:space="preserve">Wenn man einem Beobachter die Aufgabe ſtellt, den Finger-<lb/>druck zu vollziehen, ſobald er den Schall eines Glöckchens ver-<lb/>nimmt, das bei dem Anſchlagen des Klöpfels einen Punkt auf <lb/>dem telegraphiſchen Papierſtreifen macht, ſo erweiſt ſich der zweite <lb/>vom Fingerdruck erzeugte Punkt weniger vom erſten entfernt, als <lb/>beim Experiment mit dem Auge. </s> <s xml:id="echoid-s4837" xml:space="preserve">Nun iſt zwar der Gchörsnerv <lb/>ein wenig kürzer als unſer Sehnerv, und ſomit langt eine ge-<lb/>hörte Botſchaft ein klein wenig ſchneller in unſer Gehirn; </s> <s xml:id="echoid-s4838" xml:space="preserve">aber <lb/>der Unterſchied zwiſchen einem ſichtbaren und hörbaren Signal <lb/>iſt doch größer als der Unterſchied in der Länge der beiden <lb/>Nerven. </s> <s xml:id="echoid-s4839" xml:space="preserve">Unſere Seele iſt offenbar in Wahrnehmung des Ge-<lb/>hörten ſchneller zur Hand als in Empfangnahme des Geſehenen.</s> <s xml:id="echoid-s4840" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4841" xml:space="preserve">Viel intereſſanter noch ſind die Ergebniſſe der Verſuche, <lb/>wenn man unſerer Seele eine neue, bisher noch nicht erwähnte <lb/>Arbeit aufbürdet.</s> <s xml:id="echoid-s4842" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="93" file="407" n="407"/> <p> <s xml:id="echoid-s4843" xml:space="preserve">Ein altes Sprüchwort ſagt es, und die Erfüllung unſerer <lb/>ſtaatsbürgerlichen Pflichten beſtätigt es ſehr oft: </s> <s xml:id="echoid-s4844" xml:space="preserve">wer die Wahl <lb/>hat, hat die Qual. </s> <s xml:id="echoid-s4845" xml:space="preserve">Wie ſteht es denn aber mit unſerer Seele <lb/>in dieſer Beziehung? </s> <s xml:id="echoid-s4846" xml:space="preserve">Der folgende Verſuch giebt hierüber <lb/>einen recht lehrreichen Aufſchluß.</s> <s xml:id="echoid-s4847" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4848" xml:space="preserve">In einem finſteren Zimmer iſt eine Tafel an die Wand <lb/>gehängt, worin feine Drahtſtiftchen mit ihren Spitzen die Buch-<lb/>ſtaben A und U bilden. </s> <s xml:id="echoid-s4849" xml:space="preserve">Hierzu iſt eine Vorrichtung angebracht, <lb/>durch welche man einen elektriſchen Funken ſo durch die Spitzen <lb/>der Drahtſtifte laufen laſſen kann, daß man beliebig dem Beob-<lb/>achter bald den Buchſtaben A bald den Buchſtaben U blitzartig <lb/>kann ſehen laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4850" xml:space="preserve">Nun ſetzt man einen Phyſiologen in das <lb/>Zimmer und ſagt ihm: </s> <s xml:id="echoid-s4851" xml:space="preserve">Gieb acht, wenn Du das A aufleuchten <lb/>ſiehſt, ſo laß den Finger in Ruhe, ſobald Du jedoch das U <lb/>aufleuchten ſiehſt, ſo übe den Fingerdruck aus.</s> <s xml:id="echoid-s4852" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4853" xml:space="preserve">Hierdurch iſt denn die Arbeit der Seele weſentlich ver-<lb/>mehrt. </s> <s xml:id="echoid-s4854" xml:space="preserve">Der Lichteindruck allein entſcheidet nichts. </s> <s xml:id="echoid-s4855" xml:space="preserve">Es tritt <lb/>vielmehr die neue Aufgabe ein, zu unterſcheiden zwiſchen zwei <lb/>Möglichkeiten, die ſich darbieten werden. </s> <s xml:id="echoid-s4856" xml:space="preserve">In dem einen Falle <lb/>ſoll ſich die Seele vollkommene Ruhe auferlegen, im zweiten <lb/>Falle ſo ſchnell wie möglich in Thätigkeit geraten. </s> <s xml:id="echoid-s4857" xml:space="preserve">Unterſcheiden <lb/>aber und wählen iſt eine Arbeit, die unſerer Seele Zeit koſtet, <lb/>und zwar nicht wenig Zeit. </s> <s xml:id="echoid-s4858" xml:space="preserve">Während beim einfachen Licht-<lb/>zeichen die Seelenverſäumnis kaum {20/100} Sekunden beträgt, <lb/>nimmt ſie in unſerem Falle, wo Unterſcheidung und Wahl er-<lb/>forderlich iſt, den Zeitraum von {25/100} Sekunden in Anſpruch.</s> <s xml:id="echoid-s4859" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4860" xml:space="preserve">Wie aber, wenn man den Spielraum des Unterſcheidens <lb/>noch erweitert? </s> <s xml:id="echoid-s4861" xml:space="preserve">Wie, wenn man auf der Tafel alle fünf Vokale <lb/>beliebig aufleuchten laſſen kann und den Beobachter dahin in-<lb/>ſtruiert, daß er vier davon unbeachtet laſſe und nur bei einem <lb/>beſtimmten Vokal ſeinen Finger in Bewegung ſetzen möge? </s> <s xml:id="echoid-s4862" xml:space="preserve">— <lb/>Die Verſuche ergeben, daß mit der Vermehrung der Möglich-<lb/>keiten auch die Zeitverluſte ſich mehren. </s> <s xml:id="echoid-s4863" xml:space="preserve">Bei vergrößerter Auf- <pb o="94" file="408" n="408"/> gabe der Unterſcheidung iſt die Seelenarbeit vergrößert worden, <lb/>und das Opfer der Arbeit muß durch Zeit aufgewogen werden.</s> <s xml:id="echoid-s4864" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4865" xml:space="preserve">Noch lehrreicher aber iſt folgender Verſuch, der unſerer <lb/>Seele eine andere Barrière auf ihrer Thätigkeitsbahn aufrichtet.</s> <s xml:id="echoid-s4866" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4867" xml:space="preserve">Wiederum bringen wir unſeren Phyſiologen in ein ver-<lb/>finſtertes Zimmer. </s> <s xml:id="echoid-s4868" xml:space="preserve">Vor ihm iſt eine Tafel angebracht, wo man <lb/>die zwei Buchſtaben A und U beliebig kann aufleuchten laſſen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4869" xml:space="preserve">Nun aber bietet man dem Beobachter zwei Knöpfchen zum <lb/>Drücken dar, eines dem Finger der rechten und eins dem Finger <lb/>der linken Hand, und ſchärft ihm ein: </s> <s xml:id="echoid-s4870" xml:space="preserve">ſiehſt du A aufleuchten, <lb/>ſo drücke das rechte, ſiehſt du U aufleuchten, ſo drücke das <lb/>linke Knöpfchen. </s> <s xml:id="echoid-s4871" xml:space="preserve">Wie wird ſich die Seelenarbeit da erweiſen?</s> <s xml:id="echoid-s4872" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4873" xml:space="preserve">Außer der Aufgabe, die verſchiedenen Sinneseindrücke des <lb/>Auges von einander zu unterſcheiden, hat die Seele noch die <lb/>gar nicht kleine Arbeit, aus der Klaviatur der unzähligen <lb/>Nervenfäden, welche die Fingermuskeln reizen, ſich denjenigen <lb/>Faden aufzuſuchen, der die rechte oder die linke Seite dirigiert. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4874" xml:space="preserve">Auch dieſes Aufſuchen koſtet ein beſonderes Zeitopfer. </s> <s xml:id="echoid-s4875" xml:space="preserve">Es ver-<lb/>zögern ſich die entſprechenden Punkte um {15/100} Sekunden.</s> <s xml:id="echoid-s4876" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4877" xml:space="preserve">Am intereſſanteſten aber ſind die Verſuche, welche unter <lb/>ſolchen Umſtänden die ſehr ſcharf erkennbaren Unterſchiede im <lb/>Hören und im Sehen der verſchiedenen Signale an den Tag <lb/>treten laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s4878" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4879" xml:space="preserve">Läßt man die Buchſtaben A und U vor dem Auge auf-<lb/>leuchten, ſo iſt die Zeitdauer des Erkennens und Unterſcheidens <lb/>viel größer, als wenn man die beiden Buchſtaben dem Ohr <lb/>durch die Sprache darbietet. </s> <s xml:id="echoid-s4880" xml:space="preserve">Dieſer Unterſchied wird aber nicht <lb/>bloß dadurch bewirkt, daß das Ohr ſchnellere Eindrücke auf <lb/>unſere Seele macht, ſondern durch einen anderen Umſtand, der <lb/>da zeigt, wie anders unſere Seele für die Aufnahme künſt-<lb/>licher und für die Aufnahme natürlicher Signale eingerichtet iſt.</s> <s xml:id="echoid-s4881" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4882" xml:space="preserve">Ein geſchriebenes oder ein aufleuchtendes A und U ſind <lb/>nur konventionelle, künſtliche Vertreter dieſer Vokale. </s> <s xml:id="echoid-s4883" xml:space="preserve">Man <pb o="95" file="409" n="409"/> muß ja erſt leſen können, um zu wiſſen, welches A, und <lb/>welches U bedeutet. </s> <s xml:id="echoid-s4884" xml:space="preserve">Ein gehörtes A und gehörtes U ſind aber <lb/>die Laute ſelber. </s> <s xml:id="echoid-s4885" xml:space="preserve">Es erkennt und nimmt auch Derjenige die <lb/>Unterſchiede und ihre Bedeutung wahr, der die Buchſtaben-<lb/>ſchrift nicht leſen kann. </s> <s xml:id="echoid-s4886" xml:space="preserve">So unmerklich es aber für unſere <lb/>lebende Welt iſt, daß Leſen eine Arbeit iſt, die Zeit koſtet, <lb/>oder richtiger ausgedrückt: </s> <s xml:id="echoid-s4887" xml:space="preserve">ſo unmerklich es uns im gewöhn-<lb/>lichen Leben iſt, daß es eine zeitraubende Thätigkeit der Seele <lb/>iſt, einen geſchriebenen Vokal zu überſetzen in den Laut, den <lb/>er vorſtellt, ſo merkbar wird all’ das im Experiment des <lb/>Phyſiologen. </s> <s xml:id="echoid-s4888" xml:space="preserve">Die Zeit, welche dieſe Überſetzungsarbeit er-<lb/>fordert, legt ſich im Unterſchied zwiſchen dem geſchriebenen <lb/>und geſprochenen Vokal ſehr deutlich dar.</s> <s xml:id="echoid-s4889" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4890" xml:space="preserve">Es bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung, daß die <lb/>Apparate, mit welchen die phyſiologiſchen Experimente an-<lb/>geſtellt worden ſind, mannigfach von denjenigen abweichen, <lb/>welche ſpeziell der Aſtronomie dienen. </s> <s xml:id="echoid-s4891" xml:space="preserve">Auch die Variationen <lb/>der Verſuche ſelber ſind außerordentlich reich, und es würde <lb/>die Grenze unſerer Betrachtung weit überſchreiten, wenn wir <lb/>ſie auch nur in flüchtigen Umriſſen andeuten wollten. </s> <s xml:id="echoid-s4892" xml:space="preserve">Für <lb/>unſer Thema genügt es, als Thatſache anzuführen, daß alle <lb/>Eindrücke der Außenwelt auf unſere Sinne mit der wohl-<lb/>gemeſſenen Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Nerven bis zu <lb/>dem geheimnisvollen Gebiet unſerer Seelenthätigkeit vordringen, <lb/>daß ſodann erſt all’ die Arbeiten der Seele beginnen, von <lb/>welchen eine jede eine recht beträchtliche Zeit in Anſpruch <lb/>nimmt. </s> <s xml:id="echoid-s4893" xml:space="preserve">Erſt nach Vollendung dieſer Arbeiten der Seele ver-<lb/>mag eine Äußerung derſelben wiederum auf dem Wege der <lb/>Nerventhätigkeit in die Außenwelt zu treten und zu bekunden, <lb/>welche Eindrücke unſere Sinneswahrnehmungen auf unſere <lb/>Seelenkräfte hervorgebracht haben.</s> <s xml:id="echoid-s4894" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4895" xml:space="preserve">Als nächſtes Ergebnis all’ dieſer Forſchungen dürfen wir <lb/>nun Folgendes hinſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s4896" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="96" file="410" n="410"/> <p> <s xml:id="echoid-s4897" xml:space="preserve">Es iſt noch nicht lange her, daß man den kühnen Schritt <lb/>unternommen hat, der Seele einen feſten Wohnſitz in ganz be-<lb/>ſtimmten Teilen unſeres Gehirns anzuweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s4898" xml:space="preserve">Wenn man ſie <lb/>bis dahin als ein Agens betrachtete, das der Ausfluß einer <lb/>Kraft ſei, die über dem Raume erhaben iſt, ſo war es ein <lb/>gewaltiger Schritt auf der Bahn der realen Erkenntnis, als <lb/>man den Raum und das Organ nachwies, innerhalb deren das <lb/>Seelendaſein in wohl abgeſchloſſenem Gebiete exiſtiert.</s> <s xml:id="echoid-s4899" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4900" xml:space="preserve">Es iſt aber erſt wenige Jahrzehnte her, daß man den <lb/>kühnen Schritt gethan, die Seele aus dem ſchrankenloſen Be-<lb/>reich der unfaßbaren Ewigkeit in die Schranken der meßbaren <lb/>Zeit einzureihen. </s> <s xml:id="echoid-s4901" xml:space="preserve">Was unſere erkennende Seele iſt, das bleibt <lb/>zwar heute noch ein Geheimnis, an welchem die geiſtige Speku-<lb/>lation ihre Kraft vergeblich verſucht; </s> <s xml:id="echoid-s4902" xml:space="preserve">aber das eine ſteht nun-<lb/>mehr feſt: </s> <s xml:id="echoid-s4903" xml:space="preserve">die Werkſtatt iſt ihr räumlich nachgewieſen und ihr <lb/>Wirken iſt dem Zeitmaß unterworfen. </s> <s xml:id="echoid-s4904" xml:space="preserve">Die ſpekulative Forſcher-<lb/>methode, die ſie über Raum und Zeit erheben zu müſſen <lb/>meinte, hat ſich, wie in vielen Problemen, auch hierin als irrig <lb/>erwieſen. </s> <s xml:id="echoid-s4905" xml:space="preserve">Die reale Forſchermethode, von der Sinnenwahr-<lb/>nehmung ausgehend, iſt ſoweit in der Erkenntnis vorgedrungen, <lb/>daß ſie mit Beſtimmtheit die unerforſchte Seele in die Schranke <lb/>des Raumes und der Zeit hinein verweiſt. </s> <s xml:id="echoid-s4906" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4907" xml:space="preserve">Wohl empfinden wir den leiſen Schauer, der unſern <lb/>Idealismus erfaßt, wenn er den Experimenten der realen <lb/>Forſchung gegenüber geſtellt wird. </s> <s xml:id="echoid-s4908" xml:space="preserve">Wir flüchten ſo gerne aus <lb/>dem Bande der Zeit und des Raumes hinaus in eine ſchranken-<lb/>loſe Ewigkeit und Unendlichkeit. </s> <s xml:id="echoid-s4909" xml:space="preserve">Aber unſerm Fühlen und <lb/>unſeren Wünſchen folgt unſer reales Forſchen und unſer exaktes <lb/>Wiſſen nicht. </s> <s xml:id="echoid-s4910" xml:space="preserve">Dem undisziplinierten Empfinden ſtellt ſich die <lb/>ſtrenge Disziplin der realen Wiſſenſchaft entgegen. </s> <s xml:id="echoid-s4911" xml:space="preserve">Die Wahr-<lb/>heit, das Bild zu Sais, zeigt ſich dem kühnen Jünger, der <lb/>ihren Schleier zu heben den Mut hat, unbekümmert um die <lb/>erſte Wirkung, welche ihr unverhüllter Anblick wachruft.</s> <s xml:id="echoid-s4912" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="97" file="411" n="411"/> <p> <s xml:id="echoid-s4913" xml:space="preserve">Wenden wir uns darum nicht ab von dem Schritt der <lb/>Enthüllung des Wahrheitsbildes. </s> <s xml:id="echoid-s4914" xml:space="preserve">Verſuchen wir es vielmehr, <lb/>uns mit dem Aublick der Wahrheit zu befreunden. </s> <s xml:id="echoid-s4915" xml:space="preserve">Ja, gehen <lb/>wir nur unbefangen einen Schritt weiter in die Forſchung <lb/>hinein, und wir werden finden, daß der Realismus auch dort <lb/>längſt ſeine Stätte aufgeſchlagen, wo wir das alleridealſte <lb/>Produkt unſerer Seele vor uns zu haben vermeinen.</s> <s xml:id="echoid-s4916" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4917" xml:space="preserve">Wenn die denkende Seele des Menſchen das höchſte Er-<lb/>gebnis aller in der Natur wirkenden Kräfte iſt, ſo iſt unzweifel-<lb/>haft unſere Sprache unſerer denkenden Seele höchſtes Produkt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4918" xml:space="preserve">Wie aber verhält ſich unſere Sprache zur realen Anſchauung? </s> <s xml:id="echoid-s4919" xml:space="preserve"><lb/>Eine unbefangene Unterſuchung zeigt uns, daß ſich dieſes edelſte <lb/>Erzeugnis unſerer Seele mit ſtaunenswerter Konſequenz ganz <lb/>und gar der Schranke des Realismus, ja ſogar der allerrealſten <lb/>mechaniſchen Formulierung hingegeben hat.</s> <s xml:id="echoid-s4920" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4921" xml:space="preserve">Die zwei Freunde, die wir eingangs unſerer Betrachtung <lb/>vorgeführt, verſuchen es, den Seelenzuſtand, in welchem ſie <lb/>unerkannt vorübergeeilt ſind, durch die Sprache auszudrücken. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4922" xml:space="preserve">Der eine meinte, er wäre in Gedanken zu vertieft, der andere, <lb/>er wäre zu zerſtreut geweſen, um der erkennenden Seele ſofort <lb/>zu ſagen, was das Auge wahrgenommen.</s> <s xml:id="echoid-s4923" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4924" xml:space="preserve">Der Vertiefte ſtellt ſich offenbar den Gedanken-Schatz wie <lb/>einen tief gegrabenen Schacht vor, aus welchem die Seele ſich <lb/>mühſam herausarbeiten muß, um zu erkennen, was die Sinne <lb/>zeigen. </s> <s xml:id="echoid-s4925" xml:space="preserve">Der Zerſtreute entlehnt in ſeiner Sprache ein Bild <lb/>aus der Anſchauung einer weiten Fläche, wo der Wind feine <lb/>Sandkörnchen zerſtreut hat, welche kein faßbares Gebilde ab-<lb/>geben. </s> <s xml:id="echoid-s4926" xml:space="preserve">Der Vertiefte mußte auftauchen, der Zerſtreute mußte <lb/>ſich ſammeln, um die Seele zur richtigen Erkenntnis kommen <lb/>zu laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s4927" xml:space="preserve">Sie ahnen nicht, daß ſie in ihrer Sprache einem <lb/>Realismus huldigen, gegen den ſie ſich vielleicht ſehr energiſch <lb/>ſträuben würden, wenn man ihnen das Vorbild ihrer Be-<lb/>zeichnung zeigen wollte.</s> <s xml:id="echoid-s4928" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4929" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s4930" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s4931" xml:space="preserve">Volksbücher XIX.</s> <s xml:id="echoid-s4932" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="98" file="412" n="412"/> <p> <s xml:id="echoid-s4933" xml:space="preserve">Und geht es uns denn überhaupt anders? </s> <s xml:id="echoid-s4934" xml:space="preserve">Iſt unſere <lb/>Sprechweiſe weniger realiſtiſch?</s> <s xml:id="echoid-s4935" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4936" xml:space="preserve">Wenn wir uns in einer denkthätigen Arbeit befinden, ſo <lb/>fühlen wir uns — angeſpannt. </s> <s xml:id="echoid-s4937" xml:space="preserve">Wir bedienen uns hier der <lb/>äußerſt realiſtiſchen Vorſtellungsweiſe, als ob unſer Geiſt wie <lb/>ein Zugtier vor einer Laſt mit Strang und Zügel angeſchirrt <lb/>wäre. </s> <s xml:id="echoid-s4938" xml:space="preserve">Legen wir ermüdet die Feder nieder, ſo ſind wir — <lb/>“abgeſpannt”. </s> <s xml:id="echoid-s4939" xml:space="preserve">Ja ſo ganz fuhrmannsmäßig ſind wir in der <lb/>Bezeichnung unſerer Seelenthätigkeit, daß wir es ſehr natürlich <lb/>finden, wenn wir wegen Abgeſpanntheit in der Arbeit nicht <lb/>“fortfahren” können.</s> <s xml:id="echoid-s4940" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4941" xml:space="preserve">Wie freudig teilen wir doch die Ergebniſſe unſeres Denk-<lb/>vermögens einem Freunde mit, der uns ſchnell verſteht. </s> <s xml:id="echoid-s4942" xml:space="preserve">Er <lb/>hat einen “offenen Kopf”! Wie unwillig wenden wir uns von <lb/>einem andern ab, der ſich der richtigen Erkenntnis “verſchließt”. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4943" xml:space="preserve">Ja, wir finden ihn gar “vernagelt”.</s> <s xml:id="echoid-s4944" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4945" xml:space="preserve">Wer aus unſeren richtigen Gedanken falſche Schlüſſe zieht, <lb/>iſt nach unſerer Sprechweiſe — “verdreht”, als ob ſeine Denker-<lb/>gabe verkehrt auf einer Drehbank eingeſperrt wäre. </s> <s xml:id="echoid-s4946" xml:space="preserve">Beharrt <lb/>er eigenſinnig in ſeinem Irrtum, ſo iſt er “verſchroben”. </s> <s xml:id="echoid-s4947" xml:space="preserve">Die <lb/>Schraube ſeiner Gedanken hat ſich ganz falſch feſtgeklemmt in <lb/>dem Schraubenlauf unſerer Vorausſetzungen. </s> <s xml:id="echoid-s4948" xml:space="preserve">Kommt er gar <lb/>in ganz falſcher Richtung zu dem Ausgang ſeiner Schlüſſe, ſo <lb/>erſcheint er uns “verbohrt”. </s> <s xml:id="echoid-s4949" xml:space="preserve">Sein Verſtand geht durch ein <lb/>ganz anderes Loch als der unſrige.</s> <s xml:id="echoid-s4950" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4951" xml:space="preserve">Wenn wir ſomit in unſerer gewöhnlichen Sprechweiſe die <lb/>Zuſtände unſerer denkenden Seele mit ganz außerordentlich <lb/>kraſſen Bildern des Realismus und der Mechanik bezeichnen, <lb/>ſo ſollte man meinen, es müßte die Sprache der Dichtung, <lb/>der Religion und gar die der Philoſophie für unſer Empfinden, <lb/>für unſere Anſchauung und für unſere Denkoperationen eine <lb/>idealere Ausdrucksweiſe darthun. </s> <s xml:id="echoid-s4952" xml:space="preserve">Eine ernſtliche Unterſuchung <lb/>aber zeigt, daß dem nicht ſo ſei, daß vielmehr der Realismus <pb o="99" file="413" n="413"/> auch hier ſeinen Thron zur faſt ausſchließlichen Herrſchaft auf-<lb/>geſchlagen.</s> <s xml:id="echoid-s4953" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4954" xml:space="preserve">Die Sprache unſerer Dichter ſtrebt gerade im Gegenteil <lb/>dahin, jeden Seelenzuſtand durch Bilder der ſinnlichen Wahr-<lb/>nehmung und Empfindung zu verdeutlichen. </s> <s xml:id="echoid-s4955" xml:space="preserve">Ein reines Herz, <lb/>ein ſtrahlendes Auge, ein heißer Blick, ein warmer Händedruck, <lb/>ein zartes Sehnen, ein ſüßes Hoffen, eine ewig grünend bleibende <lb/>Jugendliebe. </s> <s xml:id="echoid-s4956" xml:space="preserve">Alle dieſe den realen Sinnes-Eindrücken ent-<lb/>nommenen Bilder müſſen zur Bezeichnung unſerer Seelen-<lb/>zuſtände dienen.</s> <s xml:id="echoid-s4957" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4958" xml:space="preserve">Die Sprache der Religionen, die am meiſten dem Trans-<lb/>cendentalen, dem Überſinnlichen, dem Überweltlichen, Zeit und <lb/>Raum nicht Unterworfenen nachſtrebt, ſie drückt ihr Empfinden <lb/>am allerſtärkſten in Bildern aus die der realſten, räumlichen <lb/>Anſchauung entnommen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s4959" xml:space="preserve">Gott iſt groß — erhaben — <lb/>der allerhöchſte. </s> <s xml:id="echoid-s4960" xml:space="preserve">Ja, ſo ganz baumeiſterlich realiſtiſch iſt ihre <lb/>Ausdrucksweiſe, daß ſie die höchſte Befriedigung des religiöſen <lb/>Empfindens eine “Erbauung” nennt.</s> <s xml:id="echoid-s4961" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4962" xml:space="preserve">Die Philoſophie, ſo ſollte man meinen, mußte am aller-<lb/>eheſten beſtrebt ſein, den Denkprozeß der Seele von jeder <lb/>Schranke der materiellen Anſchauung abzulöſen. </s> <s xml:id="echoid-s4963" xml:space="preserve">Sie hat ſich <lb/>auch — namentlich in unſerm deutſchen Vaterlande — mit <lb/>mehr Kühnheit als Glück eine eigene Sprechweiſe mit Auf-<lb/>opferung jedes populären Verſtändniſſes, geſchaffen. </s> <s xml:id="echoid-s4964" xml:space="preserve">Wie weit <lb/>aber iſt ſie hierin glücklich geweſen?</s> <s xml:id="echoid-s4965" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4966" xml:space="preserve">Sicherlich giebt es nichts Realiſtiſcheres, als ein Ding, <lb/>welches man ſo zu ſagen vor ſich auf den Tiſch hinſtellen kann, <lb/>und doch feiert die Philoſophie einen Triumph, wenn ſie die <lb/>Gedanken-Operation bis zu “Vorſtellungen” entwickelt. </s> <s xml:id="echoid-s4967" xml:space="preserve">Schwer-<lb/>lich giebt es etwas Materielleres, als ein Ding, das man mit <lb/>Händen greifen kann, und doch iſt Abſtraktion der Vorſtellung <lb/>philoſophiſch der “Begriff”.</s> <s xml:id="echoid-s4968" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4969" xml:space="preserve">Solche Thatſachen fordern uns denn auf zur vorſichtigen <pb o="100" file="414" n="414"/> Unterſcheidung ſolcher Gebiete, wo der Idealismus zur höchſten <lb/>Wohlthat wird, und ſolcher Richtung, wo er der geiſtigen <lb/>Forſchung eher ſtörend als fördernd entgegen tritt! Geben wir <lb/>uns in ſittlicher Beziehung, im Verhältnis des Menſchen zum <lb/>Menſchen, jenem edlen Idealismus hin, der unſerer Seele die <lb/>Tugend, die Nächſtenliebe, den Opfermut für das Gemeinwohl, <lb/>das Streben nach Gleichheit, nach Freiheit und Brüderlichkeit <lb/>einprägt. </s> <s xml:id="echoid-s4970" xml:space="preserve">Seien wir vollen Herzens Idealiſten, wo es den <lb/>Kampf für das Gute gilt, das das göttliche Ideal unſerer <lb/>Seele iſt und bleibt für immer!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4971" xml:space="preserve">Wo es aber wie in der Naturwiſſenſchaft unſerm Forſchen, <lb/>unſerm Wiſſen, der Pflege unſeres Geiſtes und unſerer fort-<lb/>ſchreitenden Erkenntnis gilt, da dürfen wir der ſtrengen Unter-<lb/>ſuchung nicht gram ſein, wenn ſie, fern von abſtrakter Speku-<lb/>lation, ihre Forſcherarbeit von der Sinneswahrnehmung aus <lb/>beginnt, wenn ſie der Seele ihren Raum und deren Thätigkeit <lb/>ihr Zeitmaß zuweiſt; </s> <s xml:id="echoid-s4972" xml:space="preserve">und wenn ſie ihre Sprache von einem <lb/>Idealismus fern hält, der unſere Erkenntnis bisher oft mehr <lb/>verwirrt, als gefördert hat. </s> <s xml:id="echoid-s4973" xml:space="preserve">Folgen wir auf dieſem Gebiete <lb/>getroſt ihren Bahnen, die ſich auf dem beſchrittenen Boden <lb/>der Beobachtungen und der Meſſungen bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s4974" xml:space="preserve">Die reale <lb/>Forſchung erweitert den Kreis unſerer Sinne, ſie führt zu <lb/>einer klaren Erkenntnis der Thätigkeit unſerer Seele, und ſie <lb/>verleiht unſerer Sprache die Überzeugungskraft eines geſicherten <lb/>Wiſſens. </s> <s xml:id="echoid-s4975" xml:space="preserve">Sie iſt die Methode, die ſich nicht der Erkenntnis <lb/>des Urgrundes und des Endes aller Dinge, ſondern des Fort-<lb/>ſchrittes rühmen darf, in welchem der Geiſt der Menſchheit <lb/>ſeiner lichten Entwickelung zuſtrebt.</s> <s xml:id="echoid-s4976" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div194" type="section" level="1" n="130"> <head xml:id="echoid-head146" xml:space="preserve">Druck von G. Bernſtein in Berlin.</head> <pb file="415" n="415"/> </div> <div xml:id="echoid-div195" type="section" level="1" n="131"> <head xml:id="echoid-head147" xml:space="preserve"><emph style="bf">Naturwiſſenſchaftliche Volksbücher</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">A. Bernſtein.</emph></head> <head xml:id="echoid-head148" xml:space="preserve">Fünfte, reich iſſuſtrierte Aufſage.</head> <head xml:id="echoid-head149" xml:space="preserve">Durchgeſehen und verbeſſert <lb/>von <lb/><emph style="bf">H. Potonié</emph> und <emph style="bf">R. Hennig.</emph></head> <head xml:id="echoid-head150" xml:space="preserve">Zwanzigſter Ceil.</head> <figure> <image file="415-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/415-01"/> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div196" type="section" level="1" n="132"> <head xml:id="echoid-head151" xml:space="preserve"><emph style="bf">Berſin.</emph></head> <head xml:id="echoid-head152" xml:space="preserve">Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.</head> <pb file="416" n="416"/> </div> <div xml:id="echoid-div197" type="section" level="1" n="133"> <head xml:id="echoid-head153" xml:space="preserve">Das Necht der Überſetzung in ſremde Sprachen iſt vorbehalten.</head> <pb file="417" n="417"/> </div> <div xml:id="echoid-div198" type="section" level="1" n="134"> <head xml:id="echoid-head154" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhaltsverzeichnis.</emph></head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>## <emph style="bf">Die Entwickelung der Beleuchtungstechnik.</emph> <lb/>I. # Die Natur und die Beſtimmung des Menſchen . . . # 1 <lb/>II. # Die Kohle als Leuchtmaterial . . . . . . . . . # 4 <lb/>III. # Die erſten Lampen . . . . . . . . . . . . # 5 <lb/>IV. # Verbeſſerte Lampen . . . . . . . . . . . . # 8 <lb/>V. # Die Argandſche Lampe . . . . . . . . . . . # 10 <lb/>VI. # Die Regelung des Ölſtandes . . . . . . . . . # 14 <lb/>VII. # Vom Druck der Luft . . . . . . . . . . . . # 17 <lb/>VIII. # Von der Wirkung und Meſſung des Luftdruckes . . . # 21 <lb/>IX. # Einige hauptſächliche Erſcheinungen des Luftdruckes . # 24 <lb/>X. # Wir kehren zur Lampe zurück . . . . . . . . . # 27 <lb/>XI. # Das Brennrohr . . . . . . . . . . . . . # 30 <lb/>XII. # Der Luftſtrom und die Verbrennung . . . . . . # 33 <lb/>XIII. # Die Regelung des Luftzuges . . . . . . . . . # 35 <lb/>XIV. # Hydroſtatiſche Lampen . . . . . . . . . . # 38 <lb/>XV. # Dampflampen . . . . . . . . . . . . . . # 43 <lb/>XVI. # Die Beleuchtung ſehr großer Strecken durch eine Lichtquelle # 49 <lb/>XVII. # Leuchttürme . . . . . . . . . . . . . . . # 49 <lb/>XVIII. # Der “Pharus” . . . . . . . . . . . . . . # 52 <lb/>XIX. # Der Leuchtturm von Cordouan . . . . . . . . # 55 <lb/>XX. # Der Leuchtturm von Eddyſtone . . . . . . . . # 57 <lb/>XXI. # Der Leuchtturm von Bellrock . . . . . . . . . # 62 <lb/>XXII. # Beleuchtung der neueren Leuchttürme . . . . . . # 72 <lb/>XXIII. # Parallelismus der Strahlen durch Brechung . . . . # 77 <lb/>XXIV. # Signale der Leuchttürme . . . . . . . . . . # 82 <lb/>XXV. # Drummond’ſches Licht . . . . . . . . . . . # 89 <lb/>XXVI. # Gasbeleuchtung . . . . . . . . . . . . . # 94 <lb/>XXVII. # Die Grubenlampe . . . . . . . . . . . . . # 99 <lb/>XXVIII. # Die Fortſchritte der Veleuchtungstechnik in den letzten <lb/># Jahrzehnten . . . . . . . . . . . . . # 102 <lb/></note> <pb o="IV" file="418" n="418"/> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>XXIX. # Das Gasglühlicht . . . . . . . . . . . . . # 103 <lb/>XXX. # Das Acetylen . . . . . . . . . . . . . . # 110 <lb/>XXXI. # Schlußbetrachtungen . . . . . . . . . . . . # 114 <lb/>## <emph style="bf">Einiges aus der Klimatologie.</emph> <lb/>I. # Was iſt Meteorologie? . . . . . . . . . . . # 116 <lb/>II. # Was iſt Klimatologie? . . . . . . . . . . . . . # 118 <lb/>III. # Die Wärmeverteilung auf der Erde . . . . . . . # 119 <lb/>IV. # Die Rolle der Luftbewegung . . . . . . . . . # 122 <lb/>V. # Die Paſſatwinde . . . . . . . . . . . . . # 125 <lb/>VI. # Verteilung des Luftdruckes auf der Erdkugel . . . . # 126 <lb/>VII. # Die Verteilung der Wärme auf der Erdkugel . . . # 131 <lb/>VIII. # Der Golfſtrom und ſeine klimatiſche Bedeutung . . . # 131 <lb/>IX. # Die höchſten und niedrigſten Temperaturgrade in Deutſch-<lb/># land und Europa . . . . . . . . . . . # 133 <lb/>X. # Die wärmſten Gegenden auf der ganzen Erde . . . # 137 <lb/>XI. # Die kälteſten Gegenden auf der ganzen Erde . . . . # 139 <lb/>XII. # Die höchſten und tiefſten Barometerſtände . . . . . # 142 <lb/>XIII. # Die niederſchlagärmſten und -reichſten Gegenden der Erde # 147 <lb/>XIV. # Sollen wir mit unſerem Klima zufrieden ſein? . . . # 150 <lb/>XV. # Klimaſchwankungen . . . . . . . . . . . . . # 151 <lb/>XVI. # Klima und Kultur . . . . . . . . . . . . . # 154 <lb/>XVII. # Ein Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . # 156 <lb/></note> <pb file="419" n="419"/> </div> <div xml:id="echoid-div199" type="section" level="1" n="135"> <head xml:id="echoid-head155" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Gntwickelung der Beleuchtungstechnik.</emph></head> <head xml:id="echoid-head156" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Die Natur und die Beſtimmung des Menſchen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s4977" xml:space="preserve">Es giebt viele Menſchen, die da meinen, daß die Kenntnis <lb/>der Natur viel verbreiteter ſein und im Volke weit mehr An-<lb/>klang finden würde, wenn unſer ganzes Zeitalter ſich nicht von <lb/>der Natur entfernt und einem Daſein zugewendet hätte, worin <lb/>die Kultur, die Kunſt ſo ſehr überhand genommen hat.</s> <s xml:id="echoid-s4978" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4979" xml:space="preserve">“Wo findet man noch Natur?</s> <s xml:id="echoid-s4980" xml:space="preserve">” rufen ſie aus. </s> <s xml:id="echoid-s4981" xml:space="preserve">“Wo findet <lb/>man noch einen reinen Naturgenuß, den die Menſchen nicht <lb/>verkünſtelt haben?</s> <s xml:id="echoid-s4982" xml:space="preserve">” “Wo iſt noch ein Naturmenſch zu finden <lb/>der nicht von der Kultur überfirnißt iſt?</s> <s xml:id="echoid-s4983" xml:space="preserve">” “Wo kann man <lb/>noch ein Feld, einen Wald, einen Bach, einen Strom erblicken, <lb/>der ſo iſt, wie er aus der Hand Gottes hervorgegangen?</s> <s xml:id="echoid-s4984" xml:space="preserve">” <lb/>“Die Natur,” ſo rufen ſie, “iſt untergegangen in der Künſtelei <lb/>des Menſchen, der in ihr Bereich hineingepfuſcht hat und ſeinen <lb/>Nutzen oder Geſchmack ihr aufzwingt. </s> <s xml:id="echoid-s4985" xml:space="preserve">Wir ſehen nichts mehr <lb/>in der Welt in Natürlichkeit prangen als höchſtens die Wolken <lb/>oder den Sternenhimmel, wohin wir nicht gelangen köunen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s4986" xml:space="preserve">Wir haben uns von der Natur, wie ſie iſt, entfernt; </s> <s xml:id="echoid-s4987" xml:space="preserve">wir leben <lb/>in einem großen Meer einer künſtlich erzeugten Umgebung, und <lb/>deshalb wird auch, trvtz aller Mühe, die Kenntnis der Natur <lb/>im Volke nicht recht Wurzel ſchlagen köunen!”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4988" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s4989" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s4990" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s4991" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="2" file="420" n="420"/> <p> <s xml:id="echoid-s4992" xml:space="preserve">Die ſo ſprechen, ſind, unſerer Anſicht nach, in einem <lb/>ſchweren Irrtum befangen.</s> <s xml:id="echoid-s4993" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s4994" xml:space="preserve">Die Natur, wie ſie, nach dem Ausſpruch dieſer ihrer Für-<lb/>ſprecher, “aus der Hand Gottes hervorgegangen”, wird mit <lb/>Recht eine “Wildnis” genannt. </s> <s xml:id="echoid-s4995" xml:space="preserve">Ein Leben in dieſer Wildnis <lb/>kann für wenige Stunden ergötzlich ſein; </s> <s xml:id="echoid-s4996" xml:space="preserve">ein ganzes Daſein in <lb/>derſelben aber würde den Menſchen zu einem Sohn der Wildnis <lb/>machen, der wenig das wilde Tier überragt. </s> <s xml:id="echoid-s4997" xml:space="preserve">Der Menſch, <lb/>der ſo der unziviliſierten Natur am nächſten ſteht, wird ein <lb/>Knecht der Natur und kann als ſolcher ſeine wahre Beſtimmung <lb/>nicht erfüllen. </s> <s xml:id="echoid-s4998" xml:space="preserve">Der Menſch aber, der die Natur in ſeiner <lb/>ganzen Umgebung umbildet und umgeſtaltet, iſt nicht “unnatür-<lb/>lich”, ſondern im Gegenteil: </s> <s xml:id="echoid-s4999" xml:space="preserve">der Trieb, der ihn zwingt, der <lb/>Natur außerhalb entgegenzutreten, iſt ein ihm natürlicher Trieb, <lb/>der ihm erſt die wahre Menſchenwürde verleiht.</s> <s xml:id="echoid-s5000" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5001" xml:space="preserve">Schon die älteſten Dichter der Schöpfungsgeſchichte, ſchon <lb/>die Dichter der Bibel haben mit richtigem Blick dieſe Wahr-<lb/>heit erkannt, und wenn ſie erzählen, daß Gott den Menſchen <lb/>bei deſſen Entſtehung geſegnet und ihm geboten: </s> <s xml:id="echoid-s5002" xml:space="preserve">“Erfüllet die <lb/>Erde und bezwinget ſie,” ſo haben ſie dadurch nur den richtigen <lb/>Gedanken ausgeſprochen, daß der Menſch ein Herr der Erde, <lb/>der Natur und ihrer Erzeugniſſe ſein und auf ihre Umbildung <lb/>und Umwandlung all’ ſeine geiſtige Kraft verwenden ſoll!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5003" xml:space="preserve">Der Menſch ſoll die Natur nicht laſſen, wie ſie für ſich <lb/>ſelber waltet; </s> <s xml:id="echoid-s5004" xml:space="preserve">es iſt vielmehr ſeine Beſtimmung, der Natur <lb/>allenthalben den Stempel des menſchlichen Schaffens aufzu-<lb/>drücken. </s> <s xml:id="echoid-s5005" xml:space="preserve">Es liegt in ſeiner, in des Menſchen Natur, daß er <lb/>es als Zweck ſeines Daſeins betrachte, die Welt um ſich her <lb/>zu beherrſchen. </s> <s xml:id="echoid-s5006" xml:space="preserve">Er ſoll der Herr der Erde ſein und es immer <lb/>mehr werden. </s> <s xml:id="echoid-s5007" xml:space="preserve">Er ſoll die Tiere des Waldes bewältigen und <lb/>ſie ſich dienſtbar machen. </s> <s xml:id="echoid-s5008" xml:space="preserve">Er ſoll Berge ebnen, Ströme leiten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5009" xml:space="preserve">Er ſoll ſich den Wind dienſtbar machen, daß er ihm Mühlen <lb/>treibe und Schiffe führe. </s> <s xml:id="echoid-s5010" xml:space="preserve">Er ſoll den verheerenden Blitz <pb o="3" file="421" n="421"/> zwingen, an ſeinem Hauſe vorüber zu ziehen. </s> <s xml:id="echoid-s5011" xml:space="preserve">Er ſoll der <lb/>Kälte eine künſtlich erzeugte Wärme entgegenſetzen. </s> <s xml:id="echoid-s5012" xml:space="preserve">Er ſoll <lb/>den Brand der Sonne durch künſtliche Schatten mildern. </s> <s xml:id="echoid-s5013" xml:space="preserve">Er <lb/>ſoll der Überſchwemmung der Gewäſſer künſtliche Dämme ent-<lb/>gegenſtellen. </s> <s xml:id="echoid-s5014" xml:space="preserve">Er ſoll die Kraft des Dampfes brauchen, um <lb/>übermenſchliche Kräfte zu entfalten. </s> <s xml:id="echoid-s5015" xml:space="preserve">Er ſoll die Entfernungen <lb/>durch Maſchinen überwinden. </s> <s xml:id="echoid-s5016" xml:space="preserve">Er ſoll den Flug elektriſcher <lb/>Ströme von Land zu Land zu ſeinen Boten machen. </s> <s xml:id="echoid-s5017" xml:space="preserve">Er ſoll <lb/>gebieten über die Natur außer ihm, er ſoll ſie ſich dienſtbar <lb/>unterwerfen und ſich zum Herrn aufwerfen, zu welchem die <lb/>Natur eben ihm das Recht und die geiſtige Kraft gegeben.</s> <s xml:id="echoid-s5018" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5019" xml:space="preserve">Nicht derjenige iſt ein Naturmenſch, der in die Natur <lb/>nicht eingreift und ſie über ſich walten läßt, ſondern der iſt <lb/>ein Naturmenſch, ein wahrer Menſch, ein Menſch, wie ihn die <lb/>Natur ſelber verlangt, der die Natur durch ſeinen Geiſt durch-<lb/>geiſtigt, der ihr ſein Gepräge aufdrückt und ſie und ihre Kräfte <lb/>zwingt, die Umwandlungen durchzumachen, welche man Kunſt <lb/>und Kultur nennt.</s> <s xml:id="echoid-s5020" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5021" xml:space="preserve">Mit einem Worte: </s> <s xml:id="echoid-s5022" xml:space="preserve">die Kultur iſt die Natur der Menſchen.</s> <s xml:id="echoid-s5023" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5024" xml:space="preserve">Iſt es demnach ſchon ein Irrtum, wenn man die Natur, <lb/>wie ſie aus der “Hand des Schöpfers” hervorgegangen iſt, <lb/>wenn man die “Wildnis” höher ſtellt als die Welt des Men-<lb/>ſchen, als die Kultur, ſo iſt es ein noch größerer Irrtum, <lb/>wenn man glaubt, daß die Menſchen in der Kenntnis der <lb/>Natur fortſchreiten würden, wenn ſie der unkultivierten Natur <lb/>näher ſtänden.</s> <s xml:id="echoid-s5025" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5026" xml:space="preserve">Die Erfahrung lehrt das Gegenteil. </s> <s xml:id="echoid-s5027" xml:space="preserve">Der Menſch, der die <lb/>Natur nicht ſo laſſen will, wie ſie ohne ihn iſt, hat erſt recht <lb/>die Anregung, die Geſetze der Natur kennen zu lernen. </s> <s xml:id="echoid-s5028" xml:space="preserve">Denn <lb/>der Menſch bewältigt die Natur nur durch die Geſetze der <lb/>Natur. </s> <s xml:id="echoid-s5029" xml:space="preserve">Will er ihr Herr ſein, ſo muß er bei ihr ſelber in <lb/>die Lehre gehen.</s> <s xml:id="echoid-s5030" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5031" xml:space="preserve">Wir glauben daher, daß die Kenntnis der Natur und <pb o="4" file="422" n="422"/> ihrer Geſetze ſich immer mehr ausbreiten wird, je mehr der <lb/>Menſch in der Kultur vorſchreitet, und daß auch im Volke <lb/>dieſe Erkenntnis immer weiter vorſchreiten wird, wenn man <lb/>nur dahin wirkt, daß es die Gaben der Kultur ſchätzen und <lb/>die Geſetze der Natur in derſelben erkennen lernt.</s> <s xml:id="echoid-s5032" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5033" xml:space="preserve">Und dieſe große, weltumgeſtaltende, bildende Wahrheit <lb/>wollen wir einmal an einem der intereſſanteſten Beiſpiele nach-<lb/>weiſen: </s> <s xml:id="echoid-s5034" xml:space="preserve">an der Entwickelung der Beleuchtungstechnik, die grade <lb/>in den letzten Jahren die allererſtaunlichſten, großartigſten Fort-<lb/>ſchritte gemacht hat.</s> <s xml:id="echoid-s5035" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div200" type="section" level="1" n="136"> <head xml:id="echoid-head157" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Die Kohle als Leuchtmaterial.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5036" xml:space="preserve">Die Lampe, das Talglicht, die Wachskerze, die Gasflamme <lb/>leuchtet uns nur durch den größeren oder geringeren Anteil <lb/>von Kohlenſtoff, der in Gasgeſtalt mit dem Waſſerſtoff und <lb/>mit dem Sauerſtoff vereinigt, in der Flamme zum Hellrot oder <lb/>zum Weißglühen kommt. </s> <s xml:id="echoid-s5037" xml:space="preserve">Der Waſſerſtoff als Gas brennt <lb/>gleichfalls, und zwar mit einer Flamme, welche die größte <lb/>Energie hat hinſichts der Erwärmung; </s> <s xml:id="echoid-s5038" xml:space="preserve">kein Material, ſelbſt <lb/>den Schwefel nicht ausgenommen, giebt ſo viel Hitze als das <lb/>Waſſerſtoffgas. </s> <s xml:id="echoid-s5039" xml:space="preserve">Allein das Leuchten betreffend, ſo ſteht dieſe <lb/>energiſch heizende Flamme hinter allen anderen zurück; </s> <s xml:id="echoid-s5040" xml:space="preserve">man <lb/>darf ſich nur an die Spiritusflamme erinnern, in welcher der <lb/>Waſſerſtoff das Vorwaltende iſt, um die Richtigkeit der An-<lb/>gabe einzuſehen. </s> <s xml:id="echoid-s5041" xml:space="preserve">Wenn die Spiritusflamme einen Fuß im <lb/>Durchmeſſer und drei Fuß Höhe hat, d. </s> <s xml:id="echoid-s5042" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s5043" xml:space="preserve">wenn man auf eine <lb/>große Porzellanſchüſſel Spiritus gießt und dieſen anzündet, ſo <lb/>wird ein mäßiges Zimmer noch nicht ſo erleuchtet ſein, als <lb/>wenn eine Stearinkerze, von einem Groſchen oder drei Kreuzern <lb/>Wert, darin brennte.</s> <s xml:id="echoid-s5044" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="5" file="423" n="423"/> <p> <s xml:id="echoid-s5045" xml:space="preserve">Es kommt alſo bei allen unſeren Erleuchtungsverſuchen <lb/>immer darauf an, möglichſt viel Kohle zum Glühen, zum <lb/>Verbrennen zu bringen, und, ohne es zu wiſſen, hat gerade <lb/>dieſes der Menſch gethan, von da an, wo er einen Feuerbrand <lb/>von ſeinem Herde nahm, um ſich zu leuchten, oder wie noch <lb/>jetzt der unziviliſierte Menſch faſt überall thut, indem er ſein <lb/>Gemach lediglich durch die Flamme ſeines Feuerherdes erleuchten <lb/>läßt, bis zu dem Eskimo, welcher Fiſchthran, und bis zu dem <lb/>Prinzen, der Wachs- und Walratkerzen, oder zu ſeinem Stall-<lb/>diener, der ein Talglicht brennt, oder zu denen, welche alle <lb/>an Eleganz und Bequemlichkeit in der Erleuchtung übertreffen, <lb/>bis zu dem Hotelbeſitzer, der ſeine Geſellſchafts- und Ballſäle, <lb/>oder dem Kaufmann, der ſein prächtiges Lager mit Gasglühlicht <lb/>oder elektriſchem Licht erleuchtet — alle verbrennen zu dieſem <lb/>Behuf Kohle. </s> <s xml:id="echoid-s5046" xml:space="preserve">Der Bauer in den Gebirgen verbrennt die Kohle <lb/>ſeines Leuchtſpans, der Schuhmacher die Kohle des Rüböles, <lb/>der Samojede und der Stallbediente die Kohle des flüſſigen <lb/>oder harten tieriſchen Fettes, der Fürſt die Kohle des Wachſes, <lb/>der Gaſtwirt die Kohle der Kohle, d. </s> <s xml:id="echoid-s5047" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s5048" xml:space="preserve">der Steinkohle, oder <lb/>im anderen Falle, wenn die Gasbeleuchtung auf Harz oder <lb/>auf Öl geſtützt iſt, gleich dem Bauer oder dem Nordländer, <lb/>die Kohle des Harzes, des Öles.</s> <s xml:id="echoid-s5049" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div201" type="section" level="1" n="137"> <head xml:id="echoid-head158" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Die erſten Lampen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5050" xml:space="preserve">In alten Zeiten war man ſehr einfach in dieſer Hinſicht, <lb/>die Mittel zur Gewinnung des Öles, wie zur leuchtenden Ver-<lb/>brennung desſelben waren ganz ungekünſtelt; </s> <s xml:id="echoid-s5051" xml:space="preserve">die erſte beſte <lb/>Metallſchale oder eine thönerne Schale mit einem Docht von <lb/>Pflanzenfaſern oder von Wolle, worin das Öl emporſtieg, um <pb o="6" file="424" n="424"/> an der Spitze des Dochtes zu verbrennen — dies war der <lb/>ganze Apparat und die in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5052" xml:space="preserve">1 gezeichnete Lampe iſt ſchon <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-424-01a" xlink:href="fig-424-01"/> etwas höchſt Elegantes — ein aus <lb/>Bronze gegoſſenes Kunſtwerk, was <lb/>vielleicht einmal einem römiſchen <lb/>Kaiſer zu ſeinen Orgien geleuchtet <lb/>hat. </s> <s xml:id="echoid-s5053" xml:space="preserve">Zu dem noch einfacheren <lb/>Apparat, in welchem man das Öl <lb/>ohne Docht brennt, wie Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5054" xml:space="preserve">2 zeigt, <lb/>iſt man erſt viele Jahrtauſende <lb/>nach dem Beginn der Anwendung <lb/>des Öles zum Leuchten gekommen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5055" xml:space="preserve">bei den anderen Lampen benutzt <lb/>der Menſch die Zwiſchenräume einer faſerigen Subſtanz, die <lb/>Capillarität, zum Aufſteigen des Öles über ſein Niveau; </s> <s xml:id="echoid-s5056" xml:space="preserve">bei <lb/>der hier gezeichneten Lampe wendet er ſich an das Haarröhrchen <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-424-02a" xlink:href="fig-424-02"/> ſelbſt; </s> <s xml:id="echoid-s5057" xml:space="preserve">es iſt ein ganz kurzes <lb/>Stückchen Glasrohr, Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5058" xml:space="preserve">2 in <lb/>ſeiner natürlichen Größe gegeben, <lb/>in einem kleinen Schälchen, gleich-<lb/>falls in natürlicher Größe, mittelſt <lb/>eines Kittes oder Harzes befeſtigt <lb/>und mit demſelben auf dem Öl <lb/>ſchwimmend, welches das kleine <lb/>Gefäß füllt, das zur Nachtlampe <lb/>dient. </s> <s xml:id="echoid-s5059" xml:space="preserve">Das Öl ſteigt hier in den <lb/>einzelnen regelmäßigen Haarröhr-<lb/>chen gerade ſo auf wie bei dem <lb/>Docht in den vielen, unregel-<lb/>mäßigen Haarröhrchen, die ſein Gewebe bietet.</s> <s xml:id="echoid-s5060" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div201" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-424-01" xlink:href="fig-424-01a"> <caption xml:id="echoid-caption95" xml:space="preserve">Fig. 1.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-424-02" xlink:href="fig-424-02a"> <caption xml:id="echoid-caption96" xml:space="preserve">Fig. 2.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5061" xml:space="preserve">Das Material, welches zu dieſen Lampen genommen wird, <lb/>das Öl, kann tieriſches, kann Pflanzenöl ſein; </s> <s xml:id="echoid-s5062" xml:space="preserve">der Nordländer <lb/>wendet den Thran des Seehundes, des Walfiſches an, der Be- <pb o="7" file="425" n="425"/> wohner mittäglicher Gegenden nimmt das Öl der Olive, der <lb/>Indier das Seſamöl und wir das Oel aus den kleinen Körnern <lb/>der Rübs- oder Rapspflanze, und die Preſſung iſt noch jetzt ſo, <lb/>wie ſie vor Jahrtauſenden war, man wendet den Keil an. </s> <s xml:id="echoid-s5063" xml:space="preserve">Der <lb/>Unterſchied dürfte höchſtens darin zu ſuchen ſein, daß man jetzt <lb/>die Keile etwas kunſtgemäßer konſtruiert.</s> <s xml:id="echoid-s5064" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5065" xml:space="preserve"><emph style="sp">aca</emph> in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5066" xml:space="preserve">3 iſt ein großer, ſehr ſtarker, eiſerner Kaſten, <lb/>deſſen Querſchnitt nebenbei in <emph style="sp">ada</emph> zu ſehen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5067" xml:space="preserve">Auf beiden <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-425-01a" xlink:href="fig-425-01"/> Seiten, an den ſchmalen Enden bei ii werden wollene oder Hanf-<lb/>garn-Säcke von flacher Form mit der zermahlenen Ölfrucht ge-<lb/>füllt; </s> <s xml:id="echoid-s5068" xml:space="preserve">das Zermahlen geſchieht genau auf eben ſolche Weiſe wie <lb/>das Mahlen des Pulverteiges und mit denſelben Inſtrumenten, <lb/>nur iſt die Platte erwärmt, und die gequetſchten Samen werden <lb/>von hier ſofort in die Säcke gebracht, um dann zwiſchen eiſernen <lb/>Widerlagen, die gleichfalls erwärmt ſind, gepreßt zu werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5069" xml:space="preserve">Dieſe Widerlagen ſieht man rechts und links von i, der ganze <lb/>Zwiſchenraum iſt mit fünf Holzkeilen d, c, e, b und f gefüllt, <lb/>von denen vier die in der Figur angegebene Lage von Hauſe <lb/>aus haben und behalten, nur der Keil c wird durch mächtige <pb o="8" file="426" n="426"/> Hammerſchläge zwiſchen e und d getrieben und drückt dadurch <lb/>die eiſernen Widerlagen gegen die Säcke, welche nun das ent-<lb/>haltene Öl entlaſſen, das auf die in der Nebenfigur angedeutete <lb/>Weiſe ausfließt. </s> <s xml:id="echoid-s5070" xml:space="preserve">Bei o iſt ein Roſt, und von o nach p geht <lb/>ein Kanal, p ſelbſt zeigt einen Pfropfen oder Hahn, mittelſt <lb/>deſſen man das Öl abläßt. </s> <s xml:id="echoid-s5071" xml:space="preserve">Iſt die Preſſung weit genug ge-<lb/>trieben, ſo wird der Keil b aus ſeiner Lage geſchlagen; </s> <s xml:id="echoid-s5072" xml:space="preserve">wäh-<lb/>rend c, mit dem dünneren Ende voran, die einzelnen Teile <lb/>zuſammendrückt, hebt der Keil b, durch einen Schlag auf ſeinen <lb/>Kopf b abwärts gehend mit dem dicken Ende voran, den Druck <lb/>Plötzlich auf. </s> <s xml:id="echoid-s5073" xml:space="preserve">Allerdings wendet man jetzt auch die hydrauliſche <lb/>Preſſe an, doch ſehr viele ſogenannte Ölmühlen ſind noch immer <lb/>ganz in derſelben Weiſe eingerichtet, und es iſt auch ziemlich <lb/>gleichgiltig, denn es wird das nämliche Reſultat erzielt, höch-<lb/>ſtens ſchafft die hydrauliſche Preſſe etwas mehr Pflanzenſchleim <lb/>heraus.</s> <s xml:id="echoid-s5074" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div202" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-425-01" xlink:href="fig-425-01a"> <caption xml:id="echoid-caption97" xml:space="preserve">Fig. 3.<lb/>Bereitung des Lampenöls.</caption> <variables xml:id="echoid-variables25" xml:space="preserve">b i c i f e d a a a a o p d.</variables> </figure> </div> </div> <div xml:id="echoid-div204" type="section" level="1" n="138"> <head xml:id="echoid-head159" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Verbeſſerte Lampen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5075" xml:space="preserve">Dies Material nun iſt zum allergrößten Teile reiner <lb/>Kohlenſtoff, es iſt mit Waſſerſtoff und etwas Sauerſtoff ver-<lb/>eint, und es hat in dieſem Zuſtande, lediglich ſoweit gereinigt, <lb/>als es ſich von ſelbſt durch Ruhe klärt, ſeit den älteſten Zeiten <lb/>bis zum Anfange dieſes Jahrhunderts gedient, die Küche und <lb/>das Studierzimmer des Gelehrten, oder die Werkſtatt des Ar-<lb/>beiters zu erleuchten und war auch, da man keine weitern An-<lb/>forderungen daran machte, zu denjenigen Zwecken, zu denen <lb/>man es benutzte, ausreichend. </s> <s xml:id="echoid-s5076" xml:space="preserve">Eine Lampe, wie die nebenſtehend <lb/>gezeichnete (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5077" xml:space="preserve">4) mit rundem Docht aus lockeren Baumwollen-<lb/>fäden, wie ſie jeder Tiſchler auf ſeiner Hobelbank ſtehen hat, <pb o="9" file="427" n="427"/> wird von ſolchem Öle ganz gut geſpeiſt, aber ſchon die nächſt-<lb/>folgende (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5078" xml:space="preserve">5) mit flachem Dochte d, die erſte Verbeſſerung, <lb/>welche man an den Brennern anbrachte, iſt mit dieſem ſo ober-<lb/>flächlich gereinigten Öl nicht zufrieden; </s> <s xml:id="echoid-s5079" xml:space="preserve">dieſer bandförmige <lb/>Docht der ſogenannten Studierlampe befindet ſich in einem <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-427-01a" xlink:href="fig-427-01"/> ſchmalen, blechernen Be-<lb/>hälter c, innerhalb deſſen <lb/>er durch eine Schraube b <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-427-02a" xlink:href="fig-427-02"/> und die Zahn<unsure/>ſtange, die über b ſichtbar iſt, in der flachen <lb/>Röhre <emph style="sp">bh</emph> auf und ab geführt werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s5080" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div204" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-427-01" xlink:href="fig-427-01a"> <caption xml:id="echoid-caption98" xml:space="preserve">Fig. 4.</caption> </figure> <figure xlink:label="fig-427-02" xlink:href="fig-427-02a"> <caption xml:id="echoid-caption99" xml:space="preserve">Fig. 5.</caption> <variables xml:id="echoid-variables26" xml:space="preserve">m d l n a b i h</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5081" xml:space="preserve">Das in dem Kaſten aln enthaltene Öl, welches durch die <lb/>Röhre b nach dem Dochtbehälter ſtrömt, macht dieſen bald ſo <lb/>unrein, daß die Flamme nicht genügende Nahrung hat, blakt, <lb/>ſchlecht leuchtet, und daß der Schirm <emph style="sp">km</emph>, der den Zweck hat, <lb/>das zerſtreute Licht auf dem Tiſch zu konzentrieren, nicht aus-<lb/>reicht.</s> <s xml:id="echoid-s5082" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="10" file="428" n="428"/> </div> <div xml:id="echoid-div206" type="section" level="1" n="139"> <head xml:id="echoid-head160" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die Argandſche Lampe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5083" xml:space="preserve">Schon gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts kam der <lb/>Genfer Phyſiker Argand auf den glücklichen Einfall, den band-<lb/>förmigen Docht in einen hohlen Cylinder zu verwandeln, jeden-<lb/>falls die wichtigſte Verbeſſerung, welche die Lampen ſeit Jahr-<lb/>tauſenden erhalten haben, allein auch eine Verbeſſerung, welche <lb/>die Läuterung des Öles unumgänglich nötig machte, die jetzt <lb/>große Fabriken ausſchließlich beſchäftigt — ſo ruft ein In-<lb/>duſtriezweig den anderen hervor.</s> <s xml:id="echoid-s5084" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5085" xml:space="preserve">Das Prinzip, welchem die Argandſche Lampe ihr ſchönes <lb/>Licht verdankt, iſt die Zuführung von atmoſphäriſcher Luft, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-428-01a" xlink:href="fig-428-01"/> nicht allein von außen <lb/>zu dem Docht, ſondern <lb/>auch von innen in die <lb/>Mitte der Flamme. </s> <s xml:id="echoid-s5086" xml:space="preserve">Dies <lb/>wird eben dadurch be-<lb/>werkſtelligt, daß der <lb/>Docht cylindriſch und <lb/>hohl iſt (vgl. </s> <s xml:id="echoid-s5087" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5088" xml:space="preserve">6). <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5089" xml:space="preserve">Er läuft innerhalb der <lb/>Lampe in einem Doppel-<lb/>cylinder von Blech dd, <lb/>zu welchem ſowohl von außen, bei cc, Luft zutreten kann, als <lb/>durch den weiß gelaſſenen Raum zwiſchen den beiden d. </s> <s xml:id="echoid-s5090" xml:space="preserve">Das <lb/>Gefäß a, welches das Öl enthält und durch den Gang t@ zu <lb/>den Dochtbehältern führt, iſt gewöhnlich kreisförmig, wie der <lb/>Rand eines Tellers, aus welchem die Mitte herausgeſchnitten, <lb/>geſtaltet. </s> <s xml:id="echoid-s5091" xml:space="preserve">Da die Fläche des Ölvorrats ſehr groß iſt, ſo be-<lb/>darf es keiner beſonderen Veranſtaltung, um den Zufluß zu <lb/>regeln; </s> <s xml:id="echoid-s5092" xml:space="preserve">die Höhe des Öles in dem Ölbehälter überſteigt nie-<lb/>mals die Punkte dd, das heißt, das Ende des offenen Doppel- <pb o="11" file="429" n="429"/> cylinders, innerhalb deſſen der Docht läuft und geſpeiſt wird, <lb/>und ſinkt auch niemals mehr als um {3/4} Zoll unter dieſes <lb/>Niveau, denn der Kaſten für das Öl iſt nicht höher, und <lb/>ſolchen Unterſchied überwindet die Capillarität des Zeuges, des <lb/>Gewebes, welches den Docht bildet, ganz leicht. </s> <s xml:id="echoid-s5093" xml:space="preserve">Ein Anſatz <lb/>macht ſich bei dem Dochthalter von beiden Seiten des um-<lb/>gebenden Luftraumes bemerklich, das iſt der Glascylinder, <lb/>welcher den aufſteigenden, erhitzten Luftſtrom regelt, die heiße, <lb/>ausgebrauchte Luft entführt (der Sauerſtoff iſt ihr durch die <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-429-01a" xlink:href="fig-429-01"/> Verbrennung entzogen) und geſtattet, daß friſche Luft von unten <lb/>nachſtröme.</s> <s xml:id="echoid-s5094" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div206" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-428-01" xlink:href="fig-428-01a"> <caption xml:id="echoid-caption100" xml:space="preserve">Fig. 6.</caption> <variables xml:id="echoid-variables27" xml:space="preserve">b d d a a t c c t</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-429-01" xlink:href="fig-429-01a"> <caption xml:id="echoid-caption101" xml:space="preserve">Fig. 7.</caption> <variables xml:id="echoid-variables28" xml:space="preserve">@ n x b a c @</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5095" xml:space="preserve">Die Lampen dieſer Art waren lange Zeit das Vortreff-<lb/>lichſte, was man kannte, nur an der Geſtalt des Ölgefäßes und <lb/>an der Verſchiebung des Dochtes brachte man Veränderungen <lb/>an, welche die Zeichnung in Figur 7 giebt.</s> <s xml:id="echoid-s5096" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5097" xml:space="preserve">Der Ölbehälter nn hat einen dreieckigen Durchſchnitt, ver-<lb/>möge deſſen ſein Schatten, wie die punktierten Linien zeigen, <lb/>nicht irgendwo auf die Wand fällt, ſondern mitten in die um-<lb/>gebende Luft und zwar, weil die Flamme viel höher iſt als <pb o="12" file="430" n="430"/> das Olgefäß, ſchon nahe außerhalb desſelben, wenige Zoll von <lb/>ihm entfernt. </s> <s xml:id="echoid-s5098" xml:space="preserve">Beſſer als die hier gegebene, von Philipps er-<lb/>fundene Form, iſt noch die, wo der Querſchnitt ſich genau um-<lb/>gekehrt zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s5099" xml:space="preserve">Hier iſt der Kaſten auswendig am breiteſten, und <lb/>die Schrägung geht nach der Flamme zu; </s> <s xml:id="echoid-s5100" xml:space="preserve">die offenbar dem <lb/>Zweck (keinen Schatten zu geben) am beſten entſprechende Form <lb/>iſt die entgegengeſetzte, da der Kaſten inwendig gerade, mit <lb/>ſenkrechter Wand, nach auswendig aber ſchräge und ſpitz ver-<lb/>läuft. </s> <s xml:id="echoid-s5101" xml:space="preserve">Iſt dann der Kaſten inwendig etwas über einen halben <lb/>Zoll, auch allenfalls dreiviertel Zoll hoch, was ſchon für die <lb/>größeren Lampen zu einem Öl@orrat auf 10 Stunden genügt, <lb/>und iſt die Flamme 1 {1/2} Zoll hoch, ſo werden beide Flächen <lb/>des Kaſtens, ſowohl die untere als die obere, beſchienen und <lb/>dann giebt es eine wahre Sinumbra-Lampe (sine umbra <lb/>ohne Schatten), dann wird man, die Hand oder ein Blatt <lb/>Papier dicht an den äußeren Rand des Blechgefäßes haltend, <lb/>auf demſelben wohl zwei hellere Striche wahrnehmen, von dem <lb/>reflectierenden Lichte herrührend, welches die Flamme über die <lb/>glatt gefirnißte Fläche des Ölgefäßes entſendet, aber keine Spur <lb/>von Schatten. </s> <s xml:id="echoid-s5102" xml:space="preserve">Dieſe Anordnung iſt höchſt zweckmäßig, den<unsure/>n <lb/>durch ſolche Lampe wird der ganze Raum, in dem ſie ſich be-<lb/>findet, vollſtändig gleichmäßig erhellt, nirgends gewahrt man <lb/>einen ſtörenden Schatten.</s> <s xml:id="echoid-s5103" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5104" xml:space="preserve">Während man nun mittelſt desjenigen Teiles, der gitter-<lb/>förmig die Lampe umgiebt und dazu dient, den Glascylinder, <lb/>welcher die Flamme regeln ſoll, aufzunehmen, den Dochthalter <lb/>dreht, ſteigt derſelbe durch die Stifte, die ſich nur innerhalb <lb/>der Gänge der Schraube bewegen können, empor oder herab, <lb/>je nachdem man ihn wendet.</s> <s xml:id="echoid-s5105" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5106" xml:space="preserve">Zu dem Docht ſtrömt nun durch das haltende Gitter <lb/>längs der Wände des Glascylinders immerfort atmoſphäriſche <lb/>Luft zur Flamme; </s> <s xml:id="echoid-s5107" xml:space="preserve">dasſelbe geſchieht auch von inwendig durch <lb/>den innerſten Blechcylinder, welcher innerhalb des Dochtes <pb o="13" file="431" n="431"/> ſteckt, und ſo wird der Flamme unaufhörlich die erforderliche <lb/>Luft zugeführt, daher ſie auch keineswegs ſpitz ausläuft wie <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-431-01a" xlink:href="fig-431-01"/> die Flamme eines <lb/>Lichtes, oder die <lb/>gleichgeſtaltete einer <lb/>gewöhnlichen <lb/>Lampe, ſondern, <lb/>wie die Zeichnung <lb/>angiebt, oben ge-<lb/>rade abgeſchnitten <lb/>erſcheint.</s> <s xml:id="echoid-s5108" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div207" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-431-01" xlink:href="fig-431-01a"> <caption xml:id="echoid-caption102" xml:space="preserve">Fig. 8. Die Schiebelampe (Durchſchnitt).</caption> <variables xml:id="echoid-variables29" xml:space="preserve">e A b b c B @</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5109" xml:space="preserve">Eine Verände-<lb/>rung, welche die <lb/>äußere Form und <lb/>einen damit ver-<lb/>bundenen beſonde-<lb/>ren Zweck betrifft, <lb/>wird in der Schiebe-<lb/>lampe vertreten, <lb/>welche geſtattet, daß <lb/>man das Licht ſo <lb/>nahe an den zu be-<lb/>leuchtenden Gegen-<lb/>ſtand bringe, als <lb/>man irgend will. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5110" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5111" xml:space="preserve">8 zeigt eine <lb/>ſolche und iſt hier-<lb/>bei zugleich das Ge-<lb/>fäß aus dem Um-<lb/>kreiſe der Lampe <lb/>entfernt und auf <lb/>eine Seite geſtellt, <lb/>worin ſie Ähnlich- <pb o="14" file="432" n="432"/> keit mit der auf Seite 10 beſchriebenen und gezeichneten hat. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5112" xml:space="preserve">Der Hohldocht, der doppelte Luftſtrom, der Glascylinder, <lb/>alles iſt wie in der vorhin angegebenen: </s> <s xml:id="echoid-s5113" xml:space="preserve">an dem Vorderteil <lb/>befindet ſich eine Schraube, welche die Regulierung des <lb/>Dochtes geſtattet. </s> <s xml:id="echoid-s5114" xml:space="preserve">Dies alles iſt uns bereits bekannt, aber <lb/>der Ölzufluß iſt ein anderer. </s> <s xml:id="echoid-s5115" xml:space="preserve">Ein Gefäß <emph style="sp">Be</emph>, von ganz be-<lb/>liebiger Form, ſcheint die Beſtimmung zu haben, das Öl auf-<lb/>zunehmen; </s> <s xml:id="echoid-s5116" xml:space="preserve">dies iſt jedoch nicht der Fall, es ſoll nur das <lb/>Niveau halten zwiſchen dem Ölgefäß und dem Cylinder, der <lb/>den Docht einſchließt. </s> <s xml:id="echoid-s5117" xml:space="preserve">Innerhalb dieſes Gefäßes ſteckt ein <lb/>anderes <emph style="sp">Abb</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s5118" xml:space="preserve">Da hinein wird, nachdem man dasſelbe, wie <lb/>es mit dem Deckel zuſammenhängt, herausgenommen und um-<lb/>gekehrt hat, das Öl gefüllt. </s> <s xml:id="echoid-s5119" xml:space="preserve"><emph style="sp">bb</emph> iſt der Kanal, durch den <lb/>dieſes geſchieht, und er hält auch zugleich das Ventil o, <lb/>das mit einem Stift verſehen, offen bleibt, wenn es in dem <lb/>Gefäße B ſteckt, wozu der Stift dient, der auf dem Boden des <lb/>Gefäßes aufſteht, der aber, wenn man ihn herauszieht, bis an <lb/>das Ende o herabſinkt und dadurch A verſchließt.</s> <s xml:id="echoid-s5120" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div209" type="section" level="1" n="140"> <head xml:id="echoid-head161" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Die Regelung des Ölſtandes.<anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/></emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5121" xml:space="preserve">Aber wir wollen einmal zu der Erklärung all der ein-<lb/>zelnen Teile der Schiebelampe ſchreiten, um zu zeigen, welch <lb/>ein großer Aufwand von Geiſt und Kenntniſſen dazu gehört, <lb/>ſolch ein Gerät zu erfinden.</s> <s xml:id="echoid-s5122" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5123" xml:space="preserve">Wir haben geſehen, daß ein zwiefacher Ölbehälter an-<lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-432-01a" xlink:href="note-432-01"/> <pb o="15" file="433" n="433"/> gebracht iſt; </s> <s xml:id="echoid-s5124" xml:space="preserve">einer, der aufrecht wie ein Gefäß ſteht, und ein <lb/>zweiter, in den man eigentlich das Öl hineingießt, den man <lb/>aber umgekippt in den erſten Behälter hineinſteckt. </s> <s xml:id="echoid-s5125" xml:space="preserve">Wozu iſt das <lb/>nötig? </s> <s xml:id="echoid-s5126" xml:space="preserve">Weshalb gießt man das Öl nicht einfach in den erſteren <lb/>Behälter?</s> <s xml:id="echoid-s5127" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div209" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-432-01" xlink:href="note-432-01a" xml:space="preserve">Die folgenden Kapitel (bis 10), ſowie auch das erſte ſind aus <lb/>den erſten Volks-Büchern Bernſteins entnommen (Abſchnitt: “Nur eine <lb/>Schiebelampe”).</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5128" xml:space="preserve">Zur Beantwortung dieſer Frage muß man Folgendes wiſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5129" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5130" xml:space="preserve">Eine Lampe brennt nur dann gleichmäßig und ſchön, <lb/>wenn das Öl in derſelben immer in der Nähe der Flamme <lb/>ſteht. </s> <s xml:id="echoid-s5131" xml:space="preserve">Zwar beſitzt der Docht eine eigene Anziehungskraft, <lb/>durch welche ſeine Fäden Flüſſigkeiten aufſaugen und in die <lb/>Höhe ſteigen laſſen, wenn man auch nur das untere Ende des <lb/>Dochtes damit befeuchtet. </s> <s xml:id="echoid-s5132" xml:space="preserve">Dieſe Kraft findet man nicht nur <lb/>an Dochten, ſondern an allen Dingen thätig, welche aus Fäden, <lb/>aus feinen Stäbchen, aus engen Röhrchen oder aus einzelnen <lb/>Krümelchen zuſammengefügt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s5133" xml:space="preserve">Wenn man ein recht dünnes <lb/>Glasrohr in ein Glas Waſſer hineinſtellt, ſo ſieht man, daß <lb/>das Waſſer im Rohr bald höher ſteht als im Glaſe, und ſich <lb/>bis zu einer gewiſſen Stelle erhebt, die oft recht bedeutend iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5134" xml:space="preserve">Es rührt dieſe Erſcheinung her von der “Adhäſion”, d. </s> <s xml:id="echoid-s5135" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s5136" xml:space="preserve">der <lb/>Anziehungskraft, die die Glaswände des Rohrs auf das Waſſer <lb/>ausüben, vereint mit der Anziehung, mit welcher jedes Tröpfchen <lb/>Waſſer das Nachbar-Tröpfchen feſthält. </s> <s xml:id="echoid-s5137" xml:space="preserve">Dieſe Erſcheinung ſieht <lb/>man auch, wenn man ein Stück Zucker mit einer Ecke in eine <lb/>Taſſe Kaffee taucht. </s> <s xml:id="echoid-s5138" xml:space="preserve">Es wird wohl ſchon jeder bemerkt haben, <lb/>wie ſchnell der Kaffee hinaufläuft und das ganze Stück Zucker <lb/>durchzieht. </s> <s xml:id="echoid-s5139" xml:space="preserve">Allein bei ſolchem Verſuch wird man auch ſchon <lb/>Gelegenheit gehabt haben zu bemerken, daß das Stück Zucker, <lb/>wenn es nur etwas groß iſt, oben weniger durchgefeuchtet <lb/>wird als unten. </s> <s xml:id="echoid-s5140" xml:space="preserve">Der Grund hiervon läßt ſich auch leicht ein-<lb/>ſehen, denn je höher die Kryſtall-Krümelchen des Zuckers die <lb/>Flüſſigkeit heben müſſen, deſto mehr wirken ſie der Schwere, <lb/>der Anziehungskraft der Erde entgegen, und deſto ſchwächer <lb/>wird ihre Wirkung.</s> <s xml:id="echoid-s5141" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="16" file="434" n="434"/> <p> <s xml:id="echoid-s5142" xml:space="preserve">Mit dem Docht und dem Öl geht es ebenſo.</s> <s xml:id="echoid-s5143" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5144" xml:space="preserve">Wird eine Lampe ſo gefüllt, daß das Öl oben am Docht <lb/>ſteht, wo die Flamme brennen ſoll, ſo findet die Flamme reich-<lb/>lich Öl vor, und die Leuchtkraft iſt gut. </s> <s xml:id="echoid-s5145" xml:space="preserve">Nach und nach aber <lb/>wird immer weniger Öl da ſein; </s> <s xml:id="echoid-s5146" xml:space="preserve">der Docht wird das Öl <lb/>heben müſſen und thut es auch, allein je länger es ſo fort <lb/>geht, deſto ſchwächer wird die Hebe-Kraft des Dochtes. </s> <s xml:id="echoid-s5147" xml:space="preserve">Hier-<lb/>durch wird die Flamme immer ärmlicher mit Öl geſpeiſt und <lb/>brennt deshalb immer trüber.</s> <s xml:id="echoid-s5148" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5149" xml:space="preserve">Man hat gar nicht wenige Verſuche gemacht, die dieſem <lb/>Übelſtande abhelfen ſollen; </s> <s xml:id="echoid-s5150" xml:space="preserve">nichts aber iſt ſo vorteilhaft und <lb/>einfach, wie die Einrichtung, die die Schiebelampe mit ihrem <lb/>zweifachen Ölbehälter hat.</s> <s xml:id="echoid-s5151" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5152" xml:space="preserve">Heben wir den einen Öl-Kaſten heraus und beſehen wir <lb/>uns einmal ſeine Einrichtung. </s> <s xml:id="echoid-s5153" xml:space="preserve">— Der Kaſten aus gewöhnlichem <lb/>Blech hat nur die eine offene Stelle, wo man das Öl hinein-<lb/>gießt; </s> <s xml:id="echoid-s5154" xml:space="preserve">aber an dieſer Stelle ragt ein Draht hervor, der an einer <lb/>kleinen Platte befeſtigt iſt, und hebt man Draht und Platte in <lb/>die Höhe, ſo bemerkt man, daß die Platte von innen die Öff-<lb/>nung des Kaſtens verſchließt. </s> <s xml:id="echoid-s5155" xml:space="preserve">So loſe dieſer Verſchluß iſt, ſo <lb/>reicht er doch aus, um kein Öl ausfließen zu laſſen, wenn man <lb/>den Kaſten mit Öl gefüllt umkehrt, ſobald man nur während <lb/>des Umkehrens die Platte an die Öffnung gebracht hat. </s> <s xml:id="echoid-s5156" xml:space="preserve">Es <lb/>rührt dies daher, daß das Gewicht des Öles auf die Platte <lb/>drückt und ſie an die Öffnung preßt, ſo daß gewiſſermaßen das <lb/>Öl ſich ſelber den Ausgang verſperrt.</s> <s xml:id="echoid-s5157" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5158" xml:space="preserve">Steckt man nun den Ölkaſten in den Behälter, der an der <lb/>Lampe feſt anſitzt, ſo würde eigentlich kein Öl ausfließen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5159" xml:space="preserve">allein der Draht des Ölkaſtens ſtößt beim Hineinſtülpen an <lb/>den Boden des äußeren Behälters an, dadurch hebt ſich die <lb/>Platte auf, und es fließt nun Öl in den mit dem Brennrohr <lb/>in Verbindung ſtehenden äußeren Behälter.</s> <s xml:id="echoid-s5160" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5161" xml:space="preserve">Aber man kann ſich, wenn man nach einer Weile wieder <pb o="17" file="435" n="435"/> den Ölkaſten heraushebt, leicht davon überzeugen, daß nur <lb/>wenig Öl hinabfließt; </s> <s xml:id="echoid-s5162" xml:space="preserve">und ſo muß es auch ſein. </s> <s xml:id="echoid-s5163" xml:space="preserve">Es darf <lb/>immer nur ſo viel Öl hinabfließen, daß der Docht ungefähr <lb/>einen halben Zoll aus dem Öl hervorragt, und die Einrichtung <lb/>muß ſo ſein, daß, wenn etwas Öl abgebrannt iſt, wieder gerade <lb/>ſo viel von ſelber nachfließt und dadurch das Öl immer in <lb/>gleicher Höhe in dem Brennrohr erhalten wird.</s> <s xml:id="echoid-s5164" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5165" xml:space="preserve">Wodurch aber wird dies hier bewirkt?</s> <s xml:id="echoid-s5166" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5167" xml:space="preserve">Um dies vollkommen einzuſehen, muß man ein wichtiges <lb/>Naturgeſetz kennen lernen, das wir eben unſern Leſern hier <lb/>vorführen wollen. </s> <s xml:id="echoid-s5168" xml:space="preserve">Es iſt dies das Geſetz des Luft-Druckes, <lb/>deſſen Wirkung von außerordentlicher Bedeutung in der ganzen <lb/>Natur iſt, und worauf viele der wichtigſten Erſcheinungen ge-<lb/>gründet ſind.</s> <s xml:id="echoid-s5169" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5170" xml:space="preserve">Wir beanſpruchen daher von unſeren Leſern ein klein wenig <lb/>Geduld, denn wir werden in der nächſten Betrachtung unſere <lb/>Lampe Lampe ſein laſſen und uns zu ſcheinbar ganz anderen <lb/>Dingen wenden; </s> <s xml:id="echoid-s5171" xml:space="preserve">aber wir verſprechen dafür, daß jeder unſerer <lb/>aufmerkſamen Leſer bereichert durch eine wichtige Einſicht mit <lb/>uns zur Lampe zurückkehren, und uns hoffentlich Dank wiſſen <lb/>wird, daß wir ihn ein Ding ſchätzen und achten gelehrt haben, <lb/>worin unbeachtet viel Geiſt und Naturkenntnis ſteckt.</s> <s xml:id="echoid-s5172" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div211" type="section" level="1" n="141"> <head xml:id="echoid-head162" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Vom Druck der Luft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5173" xml:space="preserve">Es iſt nicht gerade leicht, ſich einen richtigen Begriff von <lb/>dem zu machen, was man den Luftdruck nennt, und von all <lb/>den Natur-Erſcheinungen, die infolge des Luftdruckes entſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s5174" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5175" xml:space="preserve">Um ſich die Sache möglichſt klar zu machen, muß man <lb/>Folgendes erwägen.</s> <s xml:id="echoid-s5176" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5177" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s5178" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s5179" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s5180" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="18" file="436" n="436"/> <p> <s xml:id="echoid-s5181" xml:space="preserve">Ein hohler Meſſing-Ballon, den man ganz genau gewogen <lb/>hat, wiegt um etwas leichter, ſobald man aus demſelben die <lb/>Luft ausgepumpt hat. </s> <s xml:id="echoid-s5182" xml:space="preserve">Es iſt klar, daß er deshalb an Gewicht <lb/>verloren, weil früher die Luft in demſelben mitgewogen wurde, <lb/>und man muß hieraus ſchließen, daß Luft ebenſo gut ein Gewicht <lb/>hat, wie jedes andere Ding in der Welt. </s> <s xml:id="echoid-s5183" xml:space="preserve">Genaue Verſuche <lb/>haben gezeigt, daß ein Cubikcentimeter Luft etwa {1/770} Gramm <lb/>wiegt, daß alſo 770 Cubikcentimeter Luft erſt ein Gramm wiegen.</s> <s xml:id="echoid-s5184" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5185" xml:space="preserve">Iſt dem aber ſo, ſo fragt es ſich, wie iſt es möglich, daß <lb/>wir in der Luft leben können? </s> <s xml:id="echoid-s5186" xml:space="preserve">Wir wandeln auf der Erde <lb/>umher, und über uns ruht ein Luftmeer, das viele Meilen hoch <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5187" xml:space="preserve">Wenn nun auch ein Quart Luft ſehr wenig wiegt, ſo iſt <lb/>es doch klar, daß die ungeheuere Säule von Luft, die über <lb/>uns ſchwebt, viele hundert Zentner ſchwer iſt; </s> <s xml:id="echoid-s5188" xml:space="preserve">woher kommt <lb/>es, daß uns dieſe Maſſe nicht platt zu Boden drückt und tot <lb/>preßt?</s> <s xml:id="echoid-s5189" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5190" xml:space="preserve">Die Antwort auf dieſe Frage iſt, daß es mit dem Druck <lb/>der Luft anders beſchaffen iſt, als mit dem Druck anderer <lb/>Dinge.</s> <s xml:id="echoid-s5191" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5192" xml:space="preserve">Luft drückt anders als Flüſſigkeiten, und Flüſſigkeiten <lb/>drücken ganz anders als feſte Körper.</s> <s xml:id="echoid-s5193" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5194" xml:space="preserve">Ein Beiſpiel wird das deutlich machen, was wir meinen.</s> <s xml:id="echoid-s5195" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5196" xml:space="preserve">Geſetzt, man will in ein viereckiges Gefäß einen paſſenden <lb/>großen Stein hineinthun. </s> <s xml:id="echoid-s5197" xml:space="preserve">Soll nun das Gefäß nicht platzen, <lb/>ſo muß der Boden desſelben ſtark genug ſein, den Stein zu <lb/>tragen. </s> <s xml:id="echoid-s5198" xml:space="preserve">Aber der Stein drückt eben nur auf den Boden, <lb/>während die Seitenwände und der Deckel des Gefäßes keinen <lb/>Druck auszuhalten haben und aus dem feinſten und ſchwächſten <lb/>Papier gebaut ſein könnten.</s> <s xml:id="echoid-s5199" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5200" xml:space="preserve">Wie aber, wenn man in ein ſolches Gefäß Waſſer oder <lb/>ſonſt eine Flüſſigkeit hineinbringen wollte? </s> <s xml:id="echoid-s5201" xml:space="preserve">— Gewiß ſieht es <lb/>jeder ein, daß es hier nicht bloß auf den feſten Boden an-<lb/>kommt, ſondern man muß auch die Wände feſt genug machen, <pb o="19" file="437" n="437"/> daß ſie einen Druck des Waſſers ertragen. </s> <s xml:id="echoid-s5202" xml:space="preserve">Das Waſſer, wie <lb/>überhaupt jede Flüſſigkeit, drückt nicht nur auf den Boden des <lb/>Gefäßes, ſondern auch auf die Wände desſelben. </s> <s xml:id="echoid-s5203" xml:space="preserve">Das heißt: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5204" xml:space="preserve">die Flüſſigkeiten drücken nicht nur abwärts, ſondern auch <lb/>ſeitwärts.</s> <s xml:id="echoid-s5205" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5206" xml:space="preserve">Noch anders iſt es mit der Luft. </s> <s xml:id="echoid-s5207" xml:space="preserve">Wenn ein Waſſergefäß <lb/>nur einen feſten Boden und feſte Wände hat, ſo kommt es gar <lb/>nicht darauf an, wie ſtark man den Deckel dazu macht. </s> <s xml:id="echoid-s5208" xml:space="preserve">Ein <lb/>Gefäß aber, worin man Luft hineinthun und abſperren will, muß <lb/>einen ebenſo feſten Deckel haben, wie Boden und Wände ſind; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5209" xml:space="preserve">denn bei der leiſeſten Veranlaſſung durch Ausdehnung oder <lb/>Druck oder Preſſung wird die Luft eben ſo gut den Deckel, <lb/>wie den Boden oder die Wände ſprengen. </s> <s xml:id="echoid-s5210" xml:space="preserve">Das heißt, wenn <lb/>Luft drückt, drückt ſie nicht nur nach unten und ſeitwärts, ſon-<lb/>dern auch aufwärts.</s> <s xml:id="echoid-s5211" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5212" xml:space="preserve">Mit kurzen Worten heißt all dies wie folgt: </s> <s xml:id="echoid-s5213" xml:space="preserve">Feſte Körper, <lb/>die nicht nach den Seiten ausweichen können, drücken nur ab-<lb/>wärts. </s> <s xml:id="echoid-s5214" xml:space="preserve">Flüſſige Körper, die ſtets ſtreben, nach allen Seiten <lb/>hinzufließen, drücken abwärts und ſeitwärts; </s> <s xml:id="echoid-s5215" xml:space="preserve">luftförmige Körper, <lb/>die das Beſtreben haben, ſich nach allen Richtungen hin aus-<lb/>zudehnen, drücken abwärts, ſeitwärts und aufwärts.</s> <s xml:id="echoid-s5216" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5217" xml:space="preserve">Hieraus aber folgt, daß das Gewicht der Luft auf unſeren <lb/>Körper keineswegs etwa abwärts drückt, ſodern der Druck iſt <lb/>von allen Seiten her gleichmäßig, ebenſo aufwärts wie ab-<lb/>wärts, ebenſo von vorne wie von hinten, ebenſo von rechts <lb/>wie von links her. </s> <s xml:id="echoid-s5218" xml:space="preserve">Die Luft, in der wir uns bewegen, iſt <lb/>freilich durch das Gewicht der über ihr lagernden, ungeheuren <lb/>Luftſchicht gepreßt und preßt auch auf uns; </s> <s xml:id="echoid-s5219" xml:space="preserve">aber weil eben <lb/>dieſer Druck nach allen Seiten gleichmäßig iſt, gleicht er ſich <lb/>aus und vermag uns nicht nach irgend einer Seite hinzu-<lb/>preſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5220" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5221" xml:space="preserve">Freilich wird man ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s5222" xml:space="preserve">das iſt ein ſchlechter Troſt, <lb/>wenn wir nur darum exiſtieren können, weil wir gleichmäßig <pb o="20" file="438" n="438"/> von allen Seiten gepreßt werden! — Woher aber kommt es, <lb/>daß unſer von allen Seiten gepreßter Körper nicht durch dieſe <lb/>Preſſung in ſich ſelbſt zuſammenkracht?</s> <s xml:id="echoid-s5223" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5224" xml:space="preserve">Es rührt dies daher, weil ſich in unſerem ganzen Körper <lb/>auch nicht ein Fleckchen leerer Raum befindet. </s> <s xml:id="echoid-s5225" xml:space="preserve">Allenthalben in <lb/>unſerem Körper befinden ſich entweder Luft oder Flüſſigkeit <lb/>oder feſte Beſtandteile. </s> <s xml:id="echoid-s5226" xml:space="preserve">All dieſe Teile ſind ebenſo ſtark in <lb/>ihrer Preſſung nach außen wie die Luft, die uns umgiebt, und <lb/>dadurch herrſcht zwiſchen den inneren Teilen des Körpers und <lb/>der äußeren Umgebung der Luft ein Gleichgewicht, das den <lb/>Druck der Luft unmerklich macht, ja ſogar unentbehrlich, da <lb/>unſer Körper dieſem Luftdruck vollſtändig “angepaßt” iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5227" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5228" xml:space="preserve">Daher kommt es auch, daß Reiſende, welche die höchſten <lb/>Berge der Erde erſteigen, mit großen körperlichen Beſchwerden <lb/>zu kämpfen haben. </s> <s xml:id="echoid-s5229" xml:space="preserve">Auf dieſen Bergen nämlich iſt, wie ſich’s <lb/>von ſelbſt verſteht, der Druck der Luft viel geringer wie auf <lb/>flacher Erde, weil über dieſen Bergen die Luftſchicht nicht ſo <lb/>dick iſt wie am Fuß derſelben. </s> <s xml:id="echoid-s5230" xml:space="preserve">Der verminderte Druck der <lb/>Luft von außen ſtört aber das Gleichgewicht des Druckes, den <lb/>der Körper ausübt, und die Reiſenden bekommen Naſenbluten, <lb/>es tritt ſelbſt Blut aus den Augen heraus, und ſie werden von <lb/>einer Schwere in den Gliedern geplagt, die nicht vom Steigen <lb/>herrührt, ſondern von dem verminderten Druck der Luft (Berg-<lb/>krankheit). </s> <s xml:id="echoid-s5231" xml:space="preserve">Sobald die Betreffenden aber wieder ins Thal <lb/>unter gewöhnlichen Luftdruck kommen, hören alle jene — durch-<lb/>aus harmloſen — Krankheitserſcheinungen wieder auf.</s> <s xml:id="echoid-s5232" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5233" xml:space="preserve">Der Luftdruck iſt daher nicht nur unſchädlich und unmerk-<lb/>lich für unſeren Körper, ſondern die mächtige “Anpaſſung” <lb/>bewirkt, daß wir uns unter dieſem Druck erſt recht wohl fühlen <lb/>und ohne ihn garnicht exiſtieren könnten.</s> <s xml:id="echoid-s5234" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="21" file="439" n="439"/> </div> <div xml:id="echoid-div212" type="section" level="1" n="142"> <head xml:id="echoid-head163" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Von der Wirkung und Meſſung des Luft-</emph> <lb/><emph style="bf">druckes.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5235" xml:space="preserve">Da die Luft alle Dinge auf der Erde von allen Seiten <lb/>umgiebt und der Druck der Luft, wie wir geſehen haben, <lb/>ebenſo von allen Seiten her gleichmäßig wirkt, ſo giebt ſich <lb/>derſelbe nirgends zu erkennen, und deshalb hatten auch die <lb/>Menſchen in früheren Zeiten keine Ahnung von dieſem Drucke <lb/>und ſeiner Wirkung.</s> <s xml:id="echoid-s5236" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5237" xml:space="preserve">Sobald man jedoch in irgend einer Weiſe einen Raum <lb/>luftleer macht, erweiſt ſich die Wirkung des Luftdruckes in <lb/>außerordentlich ſtarkem Maße.</s> <s xml:id="echoid-s5238" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5239" xml:space="preserve">Wenn man aus einem Medizinfläſchchen ein wenig Luft <lb/>ſaugt und, ohne es vom Munde zu entfernen, mit der Lippe die <lb/>Öffnung verſchließt, ſo bleibt das Fläſchchen an der Lippe <lb/>hängen, während die Lippe in das Fläſchchen ſich hineinpreßt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5240" xml:space="preserve">Es rührt dies nicht her von einer Saugekraft des leeren Raumes, <lb/>wie man ſich’s in alten Zeiten dachte, ſondern von dem Druck <lb/>der Luft, der ſofort zum Vorſchein kommt, wenn keine Luft <lb/>im Fläſchchen einen Gegendruck ausübt. </s> <s xml:id="echoid-s5241" xml:space="preserve">Die äußere Luft <lb/>preßt das Fläſchchen an die Lippe, und derſelbe Luftdruck <lb/>wirkt durch den Körper des Menſchen und preßt die Lippe an <lb/>der Stelle, wo ſie mit dem luftverdünnten Raum in Berührung <lb/>ſteht, in das Fläſchchen hinein, ſo daß ſie an einander haften <lb/>bleiben. </s> <s xml:id="echoid-s5242" xml:space="preserve">Die Kraft, die Fläſchchen und Lippe zuſammenhält, <lb/>iſt nicht etwa in dem Fläſchchen, ſondern wirkt von außen <lb/>drückend auf dasſelbe.</s> <s xml:id="echoid-s5243" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5244" xml:space="preserve">Man kann durch eine gut eingerichtete Luftpumpe auch <lb/>größere Gefäße luftleer machen. </s> <s xml:id="echoid-s5245" xml:space="preserve">Hierdurch hat man nicht <lb/>etwa den Druck der Luft auf die Außenſeite des Gefäßes erſt <lb/>hervorgerufen, ſondern dieſer war auch ſchon früher da; </s> <s xml:id="echoid-s5246" xml:space="preserve">allein, <lb/>er war unwirkſam, weil, ſo lange Luft im Gefäß war, der <pb o="22" file="440" n="440"/> Druck von innen dem Druck von außen gleich kam. </s> <s xml:id="echoid-s5247" xml:space="preserve">Jetzt, wo <lb/>das Gefäß luftleer iſt, fehlt der Gegendruck von innen, und <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-440-01a" xlink:href="fig-440-01"/> wenn die Wände des Gefäßes nicht ſtark <lb/>genug ſind, ſo kracht es zuſammen, als <lb/>ob es von außen von allen Seiten her <lb/>einen bisher nicht beſtandenen Druck aus-<lb/>zuhalten hätte.</s> <s xml:id="echoid-s5248" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div212" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-440-01" xlink:href="fig-440-01a"> <caption xml:id="echoid-caption103" xml:space="preserve">Fig. 9.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5249" xml:space="preserve">Am leichteſten läßt ſich die Wirkung <lb/>des Luftdrucks erkennen, wenn man ein <lb/>Rohr luftleer macht, deſſen eines Ende <lb/>in eine Flüſſigkeit getaucht iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5250" xml:space="preserve">Nimmt <lb/>man z. </s> <s xml:id="echoid-s5251" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s5252" xml:space="preserve">ein hohles Rohr und taucht <lb/>deſſen unteres Ende in Waſſer, während <lb/>man am oberen Ende mit dem Munde <lb/>die Luft ausſaugt, ſo ſteigt das Waſſer <lb/>im Rohr in die Höhe. </s> <s xml:id="echoid-s5253" xml:space="preserve">Es rührt dies <lb/>nicht davon her, daß wir etwa wirklich <lb/>Waſſer aufſaugen, ſondern es wirkt hier-<lb/>bei der Druck der Luft und der Umſtand, <lb/>daß wir die Luft aus dem Rohr ent-<lb/>fernen und alſo an dieſer Stelle den <lb/>Luftdruck aufheben. </s> <s xml:id="echoid-s5254" xml:space="preserve">Die Luft nämlich <lb/>drückt auf die ganze Oberfläche des Waſſers <lb/>ſo, als ob eine Laſt darauf läge. </s> <s xml:id="echoid-s5255" xml:space="preserve">Gäbe <lb/>es irgend eine Stelle, wo das Waſſer <lb/>dem Druck nachgebend ausweichen könnte, <lb/>ſo würde es dahin ſtrömen; </s> <s xml:id="echoid-s5256" xml:space="preserve">da es aber <lb/>allenthalben gleichen Druck zu tragen hat, <lb/>ſo bleibt die Oberfläche glatt. </s> <s xml:id="echoid-s5257" xml:space="preserve">So wie <lb/>wir aber ein Rohr hineinſtecken und von <lb/>dieſer Stelle die Luft durch Saugen ent-<lb/>fernen, findet der Druck hier nicht ſtatt, <lb/>und die Luft, die das Waſſer an allen <pb o="23" file="441" n="441"/> Stellen rings um das Rohr zu tragen hat, preßt dasſelbe in <lb/>das Rohr hinein, woſelbſt kein Luftdruck exiſtiert. </s> <s xml:id="echoid-s5258" xml:space="preserve">Nicht unſer <lb/>Saugen hebt das Waſſer in die Höhe, ſondern der Luftdruck <lb/>auf der ganzen Oberfläche des Waſſers iſt es, der dieſes <lb/>Steigen des Waſſers im Rohr zu Wege bringt.</s> <s xml:id="echoid-s5259" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5260" xml:space="preserve">Wie hoch aber vermag der Luftdruck das Waſſer in einem <lb/>luftleeren Rohr ſteigen zu laſſen?</s> <s xml:id="echoid-s5261" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5262" xml:space="preserve">Die Antwort hierauf wiſſen unſere Brunnenmacher ganz <lb/>vortrefflich. </s> <s xml:id="echoid-s5263" xml:space="preserve">Unſere Brunnen, die gewöhnlichen Pumpen, thun <lb/>eigentlich auch nichts anderes, als daß ſie die Luft eines Rohrs, <lb/>das unten ins Brunnenwaſſer eintaucht, auspumpen. </s> <s xml:id="echoid-s5264" xml:space="preserve">Nicht <lb/>die Pumpen heben das Waſſer in dem Brunnen in die Höhe, <lb/>ſondern der Luftdruck iſt es, der das Waſſer in das von der <lb/>Pumpe luftleer gemachte Rohr ſteigen läßt. </s> <s xml:id="echoid-s5265" xml:space="preserve">Weil dem aber ſo <lb/>iſt, ſo weiß es auch jeder Brunnenmacher, daß der Brunnen-<lb/>keſſel nicht 9,8 Meter tief unter der Erde liegen darf, wenn <lb/>die Pumpe wirkſam ſein ſoll.</s> <s xml:id="echoid-s5266" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5267" xml:space="preserve">Der Luftdruck vermag das Waſſer nur 9,8 Meter hoch <lb/>zu heben; </s> <s xml:id="echoid-s5268" xml:space="preserve">iſt das Rohr länger, ſo bleibt das Waſſer in der <lb/>angegebenen Höhe ſtehen und kümmert ſich um den ſonſtigen <lb/>leeren Raum der Röhre nicht.</s> <s xml:id="echoid-s5269" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5270" xml:space="preserve">Der Grund hiervon läßt ſich leicht einſehen. </s> <s xml:id="echoid-s5271" xml:space="preserve">Da das <lb/>Steigen des Waſſers in einem leeren Rohr nur herrührt von <lb/>dem Druck der Luft, die jede Stelle des Waſſers zu tragen hat, <lb/>von welcher jedoch die, wo das Rohr eintaucht, befreit iſt, ſo <lb/>wird das Steigen aufhören, ſobald die Waſſerſäule im Rohr <lb/>ſo hoch iſt, daß ſie ebenfalls eine ſolche Laſt bildet, wie der <lb/>Luftdruck. </s> <s xml:id="echoid-s5272" xml:space="preserve">Und dies iſt der Fall, wenn die Waſſerſäule <lb/>9,8 Meter hoch iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5273" xml:space="preserve">Das heißt mit anderen Worten: </s> <s xml:id="echoid-s5274" xml:space="preserve">die Luft <lb/>drückt auf jede Stelle der Erde und aller Gegenſtände, mit <lb/>denen ſie in Berührung kommt, gerade ſo ſtark wie eine ebenſo <lb/>große Säule von 9,8 Meter Waſſer!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5275" xml:space="preserve">Die Luft iſt zwar ſehr hoch und auf einem Quadrat- <pb o="24" file="442" n="442"/> Centimeter Fläche ruht eine Luftſäule, die ganz unzweifelhaft <lb/>viele Meilen hoch iſt; </s> <s xml:id="echoid-s5276" xml:space="preserve">allein Luft iſt leicht, und ſie wird in <lb/>der Höhe immer dünner, ſo daß die ganze Säule doch nur ſo <lb/>viel Gewicht hat, wie eine Säule Waſſer, die einen Centimeter <lb/>breit und dick und 9,8 Meter hoch iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5277" xml:space="preserve">Eine ſolche Säule wiegt <lb/>aber circa 980 Gramm, folglich weiß man, daß eine Säule <lb/>Luft von einem Quadrat-Centimeter Durchmeſſer von der Erde <lb/>ab bis zur Höhe, wo die Luft aufhört, doch nur 980 Gramm <lb/>wiegt.</s> <s xml:id="echoid-s5278" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div214" type="section" level="1" n="143"> <head xml:id="echoid-head164" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Einige hauptſächliche Erſcheinungen des</emph> <lb/><emph style="bf">Luftdruckes.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5279" xml:space="preserve">Da man nun weiß, wie ſtark die Luft auf jeden Quadrat-<lb/>Zoll drückt, ſo kann man ſehr leicht den Luftdruck und alle <lb/>Erſcheinungen, die er hervorruft, mit größter Genauigkeit be-<lb/>rechnen.</s> <s xml:id="echoid-s5280" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5281" xml:space="preserve">Durch den Luftdruck ſteigt nicht nur Waſſer in einem <lb/>luftleeren Rohr in die Höhe, ſondern auch jede andere Flüſſig-<lb/>keit. </s> <s xml:id="echoid-s5282" xml:space="preserve">Iſt die Flüſſigkeit leichter als Waſſer; </s> <s xml:id="echoid-s5283" xml:space="preserve">ſo ſteigt ſie auch <lb/>höher als Waſſer; </s> <s xml:id="echoid-s5284" xml:space="preserve">gäbe es z. </s> <s xml:id="echoid-s5285" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s5286" xml:space="preserve">eine Flüſſigkeit, die nur halb <lb/>ſo ſchwer iſt wie Waſſer, ſo würde ſie 19,6 Meter hoch in einem <lb/>luftleer gemachten Rohr ſteigen. </s> <s xml:id="echoid-s5287" xml:space="preserve">Iſt die Flüſſigkeit ſchwerer <lb/>als Waſſer, ſo wird ſie im luftleer gemachten Raum in dem-<lb/>ſelben Maße weniger hoch ſteigen wie das Waſſer.</s> <s xml:id="echoid-s5288" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5289" xml:space="preserve">Hierauf gründet ſich eines der intereſſanteſten und wich-<lb/>tigſten naturwiſſenſchaftlichen Inſtrumente, das Gelehrte und <lb/>Ungelehrte zu ſchätzen wiſſen; </s> <s xml:id="echoid-s5290" xml:space="preserve">wir meinen das Barometer (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5291" xml:space="preserve">9).</s> <s xml:id="echoid-s5292" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5293" xml:space="preserve">Queckſilber iſt bekanntlich ein flüſſiges Metall, und dieſes <lb/>Metall iſt 13 {1/2} mal ſchwerer als Waſſer. </s> <s xml:id="echoid-s5294" xml:space="preserve">Es iſt klar, daß <pb o="25" file="443" n="443"/> der Luftdruck nur im ſtande iſt, eine 13 {1/2} mal kleinere Maſſe <lb/>von Queckſilber in die Höhe zu treiben als Waſſer; </s> <s xml:id="echoid-s5295" xml:space="preserve">und da <lb/>Waſſer 9,8 Meter hoch ſteigt, ſo folgt daraus, daß das Queck-<lb/>ſilber in einem luftleeren Rohr nur etwa 76 Centimeter hoch <lb/>ſteigen wird.</s> <s xml:id="echoid-s5296" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5297" xml:space="preserve">In der That kann man den Verſuch leicht ausführen, um <lb/>ſich von der Wahrheit des Luftdruckes zu überzeugen. </s> <s xml:id="echoid-s5298" xml:space="preserve">Steckt <lb/>man ein langes Glasrohr mit dem unteren Ende in ein Gefäß <lb/>mit Queckſilber, und ſaugt man am anderen Ende, ſo ſteigt <lb/>das Queckſilber in die Höhe; </s> <s xml:id="echoid-s5299" xml:space="preserve">aber was man auch anwenden <lb/>mag, es wird niemals höher als 76 Centimeter ſteigen. </s> <s xml:id="echoid-s5300" xml:space="preserve">— <lb/>Nimmt man ein Glasrohr von etwa einem Meter Länge, das <lb/>nur von einer Seite offen iſt, füllt dies mit Queckſilber, hält <lb/>die Öffnung mit dem Finger zu, kehrt das Rohr um und <lb/>ſtellt es mit dem offenen Ende in eine Schale mit Queckſilber, <lb/>ſo kann man den Finger, der die Öffnung verſchließt, weg-<lb/>nehmen, und man wird beobachten, daß freilich das Rohr <lb/>nicht voll bleibt, ſondern ein Teil des Queckſilbers ausfließt; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5301" xml:space="preserve">aber nur gerade ſo viel, daß immer noch im Rohr eine Queck-<lb/>ſilber-Säule von 76 Centimetern bleibt. </s> <s xml:id="echoid-s5302" xml:space="preserve">Da das Rohr aber <lb/>länger iſt, ſo wird über dem Queckſilber im Rohr ein leerer <lb/>Raum bleiben, und man wird den Stand des Queckſilbers im <lb/>Rohr mit Leichtigkeit beobachten können.</s> <s xml:id="echoid-s5303" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5304" xml:space="preserve">Denken wir uns nun ein ſolches Rohr und hinter dem-<lb/>ſelben ein Brettchen, woran man mit einem Strich den Ort <lb/>bezeichnet, wo das Queckſilber ſteht, ſo wird dies die Stelle <lb/>ſein, bis wohin der Luftdruck die Queckſilber-Säule treibt.</s> <s xml:id="echoid-s5305" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5306" xml:space="preserve">Nun iſt aber die Luft nicht immer gleich ſchwer, und je <lb/>nach der Witterung und der Tageszeit nimmt der Druck der <lb/>Luft zu oder ab, desgleichen iſt, wie ſich denken läßt, in den <lb/>Thälern der Luftdruck ſtärker als auf hohen Bergen. </s> <s xml:id="echoid-s5307" xml:space="preserve">Da es <lb/>jedoch der Druck der Luft iſt, der dem Queckſilber im Rohr <lb/>ſeinen Stand anweiſt, ſo iſt es klar, daß, wenn die Luft ſchwerer <pb o="26" file="444" n="444"/> iſt, auch das Queckſilber höher hinaufgedrückt wird; </s> <s xml:id="echoid-s5308" xml:space="preserve">wird die <lb/>Luft leichter, ſo ſinkt die Queckſilber-Säule im Rohr. </s> <s xml:id="echoid-s5309" xml:space="preserve">Man <lb/>hat alſo eigentlich an ſolchem Rohr einen guten Maßſtab, um <lb/>zu ſehen, ob und welche Veränderungen in der Luft vorgehen, <lb/>und das eben iſt ein Barometer, oder ein Inſtrument, um den <lb/>jedesmaligen Druck der Luft zu meſſen. </s> <s xml:id="echoid-s5310" xml:space="preserve">Eine Meſſung, die <lb/>für den Geſundheitszuſtand vieler Menſchen, für die Kenntnis <lb/>der Witterungs-Verhältniſſe und für die Meſſung von Höhen <lb/>und viele anderweitige naturwiſſenſchaftliche Zwecke von der <lb/>größten Wichtigkeit iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5311" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5312" xml:space="preserve">Man kann ſich aber in noch viel leichterer Weiſe von der <lb/>Wirkung des Luftdruckes überzeugen.</s> <s xml:id="echoid-s5313" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5314" xml:space="preserve">Man fülle ein Glas mit Waſſer und decke es mit einem <lb/>Blättchen ſtarken Papiers zu, das nicht leicht Feuchtigkeit in <lb/>ſich aufſaugt. </s> <s xml:id="echoid-s5315" xml:space="preserve">Legt man dann die Hand auf das Papier, ſo <lb/>kann man das Glas umkehren und mit der Öffnung nach unten <lb/>auf der Hand ſtehen laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s5316" xml:space="preserve">Wenn man es dann vorſichtig auf-<lb/>hebt, bleibt das Papier an dem Glaſe haften, und das Waſſer <lb/>fließt nicht aus.</s> <s xml:id="echoid-s5317" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5318" xml:space="preserve">Würde man dies mit einem leeren Glaſe machen, ſo würde <lb/>das Papier ſofort beim Umkehren des Glaſes abfallen; </s> <s xml:id="echoid-s5319" xml:space="preserve">obwohl <lb/>nun beim gefüllten Glaſe ſowohl die Schwere des Papiers, <lb/>wie die des Waſſers dies zur Erde hinabzieht, geſchieht es <lb/>dennoch nicht, weil im Glaſe Luft fehlt und der Luftdruck von <lb/>außen das Papier an das Glas derart preßt, daß es das Fallen <lb/>desſelben und das Ausfließen des Waſſers verhindert.</s> <s xml:id="echoid-s5320" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5321" xml:space="preserve">Überhaupt fließt keine Flüſſigkeit aus einem Gefäß aus, <lb/>ſobald man nicht Raum läßt, daß ſtatt der Flüſſigkeit Luft in <lb/>das Gefäß eindringt.</s> <s xml:id="echoid-s5322" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5323" xml:space="preserve">Will man aus einem gefüllten Faß Flüſſigkeit aus dem <lb/>Krahn ablaſſen, ſo muß man oben den Spund des Faſſes <lb/>öffnen, damit Luft eintreten kann. </s> <s xml:id="echoid-s5324" xml:space="preserve">— Kehrt man eine gefüllte <lb/>Flaſche um und läßt das Waſſer auslaufen, ſo “kluckert” es, <pb o="27" file="445" n="445"/> das heißt: </s> <s xml:id="echoid-s5325" xml:space="preserve">es ſtrömt abwechſelnd Luft in die Flaſche ein und <lb/>Flüſſigkeit aus. </s> <s xml:id="echoid-s5326" xml:space="preserve">— Trinkt man aus einer vollen Flaſche und <lb/>drückt ſie dabei an den Mund, ſo hört der Inhalt auf zu <lb/>fließen; </s> <s xml:id="echoid-s5327" xml:space="preserve">man muß abſetzen, um Luft einzulaſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5328" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5329" xml:space="preserve">Mit einem Worte: </s> <s xml:id="echoid-s5330" xml:space="preserve">ein Gefäß giebt keine Flüſſigkeit von <lb/>ſich, ſobald man verhindert, daß Luft in dasſelbe einſtrömt.</s> <s xml:id="echoid-s5331" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div215" type="section" level="1" n="144"> <head xml:id="echoid-head165" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Wir kehren zur Lampe zurück.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5332" xml:space="preserve">Nachdem wir nun ſo weit gekommen ſind nachzuweiſen, <lb/>daß durch die Wirkung des Luftdrucks keine Flüſſigkeit aus <lb/>einem Gefäß ausfließt, ſobald nicht ſtatt derſelben Luft ein-<lb/>dringen kann, ſind wir im ſtande, zur Lampe zurückzukehren <lb/>und die Vorrichtung derſelben zu betrachten, welche es verhindert, <lb/>daß das Öl in dem Brennrohr zu hoch oder zu niedrig ſtehe.</s> <s xml:id="echoid-s5333" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5334" xml:space="preserve">Wie wir wiſſen, ſtülpt man den Ölkaſten, mit Öl gefüllt, <lb/>umgekehrt in den äußeren Behälter hinein. </s> <s xml:id="echoid-s5335" xml:space="preserve">Da der Draht <lb/>unten auf dem Boden des äußeren Behälters aufſtößt, öffnet <lb/>er dem Öl einen Abfluß, und es fließt dasſelbe heraus und <lb/>in den äußeren Behälter. </s> <s xml:id="echoid-s5336" xml:space="preserve">Dieſes Ausfließen geſchieht nicht <lb/>ruhig und gleichmäßig, ſondern es erfolgt unter Pauſen, wo <lb/>bald Luft in den Ölkaſten hinaufdringt und bald Öl abfließt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5337" xml:space="preserve">Deshalb hört man auch ein Kluckern des Öls, ganz ähnlich, <lb/>wie wenn man eine volle Bierflaſche umkehrt und auslaufen <lb/>läßt.</s> <s xml:id="echoid-s5338" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5339" xml:space="preserve">Allein trotzdem die Öffnung des Ölkaſtens nunmehr unver-<lb/>deckt iſt, hört doch bald das Ausfließen des Öls auf; </s> <s xml:id="echoid-s5340" xml:space="preserve">und zwar <lb/>geſchieht dies dann, wenn das Öl im äußeren Behälter bis an <lb/>die Öffnung des Ölkaſtens geſtiegen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5341" xml:space="preserve">Sowie dies der Fall <lb/>iſt, kann keine Luft in den Ölkaſten ſteigen, und das Öl bleibt <pb o="28" file="446" n="446"/> deshalb, trotzdem das Gefäß umgekehrt und die Öffnung unten <lb/>offen iſt, im Ölkaſten ſtehen.</s> <s xml:id="echoid-s5342" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5343" xml:space="preserve">Man kann ſich durch folgenden, ſehr überzeugenden Verſuch <lb/>über die Richtigkeit dieſes Zuſtandes belehren.</s> <s xml:id="echoid-s5344" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5345" xml:space="preserve">Man nehme eine größere Medizinflaſche, fülle ſie mit <lb/>Waſſer, lege ein Stückchen Schreibpapier auf die Öffnung und <lb/>kehre, während man das Blättchen feſthält, die Flaſche um. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5346" xml:space="preserve">Das Blättchen wird die Öffnung verſchließen und kein Waſſer <lb/>ausfließen laſſen, ſelbſt wenn man es losläßt. </s> <s xml:id="echoid-s5347" xml:space="preserve">Nun halte man <lb/>die Flaſche umgekehrt in eine Untertaſſe, und zwar nahe an <lb/>den Boden derſelben, und ziehe das Papierblättchen fort; </s> <s xml:id="echoid-s5348" xml:space="preserve">ſogleich <lb/>werden Luftblaſen in die Flaſche aufſteigen und Waſſer wird <lb/>ausfließen. </s> <s xml:id="echoid-s5349" xml:space="preserve">Sobald jedoch das Waſſer in der Untertaſſe ſo <lb/>weit gekommen iſt, daß die Öffnung der Flaſche unter Waſſer <lb/>ſteht, vermag keine Luft einzuſtrömen, und das Waſſer wird <lb/>in der Flaſche bleiben.</s> <s xml:id="echoid-s5350" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5351" xml:space="preserve">Die Flaſche kann tagelang ſo gehalten werden, und es <lb/>wird nicht ein Tropfen Waſſer mehr in die Untertaſſe fließen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5352" xml:space="preserve">Sobald man jedoch das Waſſer in der Untertaſſe mit einem <lb/>Theelöffelchen ausſchöpft und dadurch dasſelbe ſo vermindert, <lb/>daß die Öffnung der Flaſche wieder außer Waſſer kommt, in <lb/>demſelben Augenblick wird die Luft in die Flaſche dringen und <lb/>wieder ſo viel Waſſer in die Untertaſſe fließen laſſen, bis wieder <lb/>die Öffnung der Flaſche durch das Waſſer verſchloſſen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5353" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5354" xml:space="preserve">Wer dieſen leichten Verſuch macht, wird einſehen können, <lb/>wie es ganz natürlich iſt, daß gerade immer ſo viel Waſſer <lb/>aus der Flaſche ausfließt, wie man mit dem Theelöffelchen aus <lb/>der Untertaſſe entfernt hat, und er wird ſofort von ſelbſt ein-<lb/>ſehen, welche Rolle der umgekehrte Ölkaſten und deſſen äußerer <lb/>Behälter bei unſerer Lampe ſpielt.</s> <s xml:id="echoid-s5355" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5356" xml:space="preserve">Der Ölkaſten verhält ſich mit dem Öl ganz ſo, wie die <lb/>Medizinflaſche mit Waſſer. </s> <s xml:id="echoid-s5357" xml:space="preserve">Der äußere Behälter verſieht die <lb/>Rolle der Untertaſſe. </s> <s xml:id="echoid-s5358" xml:space="preserve">Zwar wird bei der Lampe kein Öl <pb o="29" file="447" n="447"/> mit einem Theelöffel ausgeſchöpft; </s> <s xml:id="echoid-s5359" xml:space="preserve">aber dafür iſt der Docht <lb/>da, der das Öl zur Flamme führt. </s> <s xml:id="echoid-s5360" xml:space="preserve">Durch das Brennen der <lb/>Flamme wird immerfort ein wenig Öl aus dem äußeren Be-<lb/>hälter entfernt, und dies macht, daß nach einer Weile das Öl im <lb/>äußeren Behälter ſinkt und dadurch die Öffnung des Ölkaſtens <lb/>nicht mehr vom Eintritt der Luft abgeſchloſſen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5361" xml:space="preserve">So wie <lb/>dies geſchieht, ſteigt eine Luftblaſe in den Ölkaſten hinauf, und <lb/>es fließt ein wenig Öl wieder aus. </s> <s xml:id="echoid-s5362" xml:space="preserve">Das Öl im äußeren Be-<lb/>hälter ſteigt dadurch und verſchließt wieder die Öffnung des <lb/>Ölkaſtens und ſetzt dem weiteren Ausfließen des Öls eine Grenze.</s> <s xml:id="echoid-s5363" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5364" xml:space="preserve">Nunmehr wird auch jedermann einſehen, daß das kleine <lb/>Loch im äußeren Behälter nicht überflüſſig iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5365" xml:space="preserve">Wäre dies <lb/>nicht da, ſo würde die Luft nicht in den äußeren Behälter <lb/>eintreten können, da die obere, weite Öffnung durch den Rand <lb/>des Ölkaſtens oft ganz feſt verſchloſſen iſt, zumal wenn ſich ein <lb/>wenig Öl auf dem Rande feſtſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s5366" xml:space="preserve">Das Loch alſo ſpielt eine <lb/>wichtige Rolle, es iſt der Kanal, durch welchen der ſo bedeutend <lb/>wirkſame Luftdruck ſeinen weſentlichen Einfluß ausübt.</s> <s xml:id="echoid-s5367" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5368" xml:space="preserve">Das Sinnreiche der ganzen Vorrichtung wird erſt recht <lb/>klar, wenn man bedenkt, was man eigentlich hier vor ſich hat.</s> <s xml:id="echoid-s5369" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5370" xml:space="preserve">Die Aufgabe iſt, daß man eine Lampe mache, wo das Öl <lb/>immer gleich hoch ſteht, es mag davon viel oder wenig durch <lb/>die Flamme verzehrt ſein. </s> <s xml:id="echoid-s5371" xml:space="preserve">Wollte man dies durch Zugießen <lb/>erreichen, ſo müßte man alle Minuten ſo viel Öl zuſchütten, <lb/>als abgebrannt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5372" xml:space="preserve">Durch dieſe Vorrichtung aber macht ſich <lb/>das Alles von ſelbſt. </s> <s xml:id="echoid-s5373" xml:space="preserve">Die Flamme verzehrt Öl und öffnet da-<lb/>durch der Luft den Eintritt in den Ölkaſten. </s> <s xml:id="echoid-s5374" xml:space="preserve">Hierdurch fällt <lb/>Öl heraus und verſchließt wieder die Öffnung des Ölkaſtens, <lb/>und es findet eine ſo ſchöne, regelmäßige Regulierung des Öl-<lb/>ſtandes ſtatt, wie man ſie durch das ſorgfältigſte Nachgießen <lb/>nicht erreicht haben würde.</s> <s xml:id="echoid-s5375" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="30" file="448" n="448"/> </div> <div xml:id="echoid-div216" type="section" level="1" n="145"> <head xml:id="echoid-head166" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Das Brennrohr.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5376" xml:space="preserve">Nachdem wir die intereſſante Einrichtung kennen gelernt <lb/>haben, durch welche ſich die Lampe ſelbſt den Ölſtand reguliert, <lb/>wollen wir uns zu dem Brennrohr wenden, um deſſen mecha-<lb/>niſche Beſchaffenheit gleichfalls kennen zu lernen.</s> <s xml:id="echoid-s5377" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5378" xml:space="preserve">Zu dieſem Zwecke wollen wir die Glasglocke und den <lb/>Cylinder abnehmen, am Cylinder-Halter ſo lange drehen, bis <lb/>der Docht ganz aus der Lampe ſteht, und dieſen ſamt dem <lb/>Ring, worauf er befeſtigt iſt, herausheben. </s> <s xml:id="echoid-s5379" xml:space="preserve">Sodann wollen <lb/>wir den Cylinder-Halter gleichfalls abnehmen und endlich auch <lb/>das hohle Rohr, das in dem Brennrohr ſteht, aus demſelben <lb/>herausheben.</s> <s xml:id="echoid-s5380" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5381" xml:space="preserve">Nachdem wir das gethan haben, ſind wir im ſtande, in <lb/>das Brennrohr beſſer hineinzublicken, und da ſehen wir denn, <lb/>daß das Öl zwiſchen den Wänden zweier Röhren ſteht, von <lb/>denen die äußere mit dem Ölbehälter in Verbindung ſteht, <lb/>während das innere Rohr eigentlich nur ein oben und unten <lb/>offener Cylinder iſt, der durch den Mittelraum des äußeren <lb/>Rohres geſteckt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5382" xml:space="preserve">Beſehen wir uns nun die Wände, zwiſchen <lb/>welchen ſich das Öl befindet, genauer, ſo finden wir, daß die <lb/>eine Wand, die weitere, glatt iſt, während in der engeren Wand <lb/>ein Schraubengang ausgeſchnitten iſt, der wie das Gewinde <lb/>eines Pfropfenziehers aufwärts läuft. </s> <s xml:id="echoid-s5383" xml:space="preserve">Um den Zweck dieſes <lb/>Gewindes kennen zu lernen, muß man den Dochtring genauer <lb/>beſehen, und da wird man entdecken, daß dieſer keineswegs <lb/>glatt iſt, ſondern daß ſich zwei kleine Zapfen an ihm befinden, <lb/>der eine iſt auf der Außenſeite, der andere auf der Innenſeite <lb/>angebracht. </s> <s xml:id="echoid-s5384" xml:space="preserve">— Die Bedeutung des äußeren Zapfens werden wir <lb/>ſofort kennen lernen: </s> <s xml:id="echoid-s5385" xml:space="preserve">als die Beſtimmung des inneren Zapfens <lb/>ergiebt ſich leicht, daß er eigentlich in dem Schraubengang zu <lb/>laufen beſtimmt iſt, der im inneren Rohre ausgeſchnitten iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5386" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="31" file="449" n="449"/> <p> <s xml:id="echoid-s5387" xml:space="preserve">Um ſich hiervon zu überzeugen, braucht man nur verſuchs-<lb/>weiſe den Dochtring ſamt dem Docht auf das innere Rohr <lb/>aufzuſetzen; </s> <s xml:id="echoid-s5388" xml:space="preserve">ſo wird man finden, daß der Dochtring, obgleich <lb/>er weiter iſt, als das innere Rohr, doch nicht glatt hinunter-<lb/>rutſcht, daß ſich vielmehr nach einigem Hin- und Herdrehen der <lb/>innere Zapfen des Dochtringes in den Schraubengang des <lb/>Rohrs legt, und daß ſich nun bei einer kleinen Nachhilfe der <lb/>Dochtring drehend hinunter begiebt, ähnlich wie eine Schraube <lb/>abwärts ſteigt, wenn ſie richtig gedreht wird. </s> <s xml:id="echoid-s5389" xml:space="preserve">Iſt er ein <lb/>wenig hinuntergegangen, ſo kann man denſelben nicht wieder <lb/>glatt herausziehen, ſondern man muß rückwärts drehen, wie <lb/>wenn man eine Schraube ausziehen will, und man wird be-<lb/>merken, daß auch richtig der Docht wieder aufſteigt, und zwar <lb/>deshalb, weil ſich der innere Zapfen am Dochtring nur im <lb/>ausgeſchnittenen Schraubenring aufwärts bewegen kann.</s> <s xml:id="echoid-s5390" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5391" xml:space="preserve">Man kann jetzt bei einiger Wiederholung recht deutlich <lb/>ſehen, wie man den Docht beliebig aufwärts und abwärts zu <lb/>ſchrauben vermag, oder richtiger, wie man den Zapfen des <lb/>Ringes aufwärts und abwärts in dem Schraubenlauf ſchiebt, <lb/>wenn man nur den Docht, oder richtiger deſſen Ring, in ge-<lb/>höriger Richtung dreht.</s> <s xml:id="echoid-s5392" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5393" xml:space="preserve">Wie aber ſoll man das bewerkſtelligen, wenn der Ring <lb/>im Öl ſteht und die Lampe im Brennen iſt?</s> <s xml:id="echoid-s5394" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5395" xml:space="preserve">Zu dieſem Behuf dient das hohle Rohr, das im Brenn-<lb/>rohr geſtanden hat, und das von oben bis unten einen Schnitt <lb/>hat. </s> <s xml:id="echoid-s5396" xml:space="preserve">In dieſen Schnitt nämlich paßt der äußere Zapfen des <lb/>Dochtringes hinein. </s> <s xml:id="echoid-s5397" xml:space="preserve">Dreht man nun das hohle Rohr rechts <lb/>oder links, ſo nimmt dies den Zapfen mit, und der Dochtring <lb/>muß ſich gleichfalls nach der beliebigen Richtung drehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5398" xml:space="preserve">Der Dochtring iſt alſo mit ſeinen zwei Zapfen eingezwängt; </s> <s xml:id="echoid-s5399" xml:space="preserve"><lb/>mit dem inneren muß er im Schraubengang laufen, mit <lb/>dem äußeren in dem geraden Ausſchnitt des hohlen Rohrs; </s> <s xml:id="echoid-s5400" xml:space="preserve"><lb/>und wenn man nun dieſes Rohr bequem drehen kann, iſt <pb o="32" file="450" n="450"/> die Auf- und Abwärtsbewegung des Dochtes leicht zu bewerk-<lb/>ſtelligen.</s> <s xml:id="echoid-s5401" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5402" xml:space="preserve">Wer mit einer Schiebe-Lampe umgeht, der muß wohl acht <lb/>geben, daß die beiden Zapfen des Dochtringes beim Au<unsure/>machen <lb/>eines neuen Dochtes an ihre Stelle kommen, das heißt, daß <lb/>der innere Zapfen in den Schraubenlauf des inneren Rohres <lb/>und der äußere Zapfen in den Ausſchnitt des hohlen Rohres <lb/>eingeſetzt wird. </s> <s xml:id="echoid-s5403" xml:space="preserve">Thut man das, ſo kann man ſicher ſein, jahre-<lb/>lang an ſolcher Lampe keiner Reparatur zu bedürfen, wenn ſie <lb/>nur ſonſt feſt gebaut iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5404" xml:space="preserve">Durch Drücken, Preſſen und gewalt-<lb/>ſames Drehen kommen zwar die Zapfen meiſt an ihre richtige <lb/>Stelle, aber ſie werden loſe, ſchleifen ſich ab und verurſachen <lb/>mancherlei Unannehmlichkeiten und Koſten.</s> <s xml:id="echoid-s5405" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5406" xml:space="preserve">Hat man nun das hohle Rohr an Ort und Slelle gebracht, <lb/>ſo bemerkt man, daß es oben, wo die Flamme iſt, mit zwei <lb/>gegenüberſtehenden Zapfen auf dem Brennrohr aufliegt; </s> <s xml:id="echoid-s5407" xml:space="preserve">in <lb/>dieſe zwei Zapfen paſſen zwei Ausſchnitte des Cylinder-Halters, <lb/>und ſetzt man dieſen auf und dreht ihn, ſo dreht er das hohle <lb/>Rohr, das hohle Rohr dreht den Dochtring, der Dochtring <lb/>muß dadurch im Schraubengang laufen und ſo den Docht nach <lb/>Belieben ſteigen und ſinken laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5408" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5409" xml:space="preserve">Wenn man von dem Regulieren des Ölſtandes ſagen <lb/>muß, daß man hier eine ſinnreiche Einrichtung vor ſich hat, <lb/>ſo muß man von der Einrichtung des Brennrohrs und ſeiner <lb/>Teile ſagen, daß man an ihm ein kleines mechaniſches Kunſt-<lb/>werk beſitzt, das viel Nachdenken gekoſtet hat, bevor man es <lb/>ſo herzuſtellen im ſtande geweſen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5410" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="33" file="451" n="451"/> </div> <div xml:id="echoid-div217" type="section" level="1" n="146"> <head xml:id="echoid-head167" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Der Luftſtrom und die Verbrennung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5411" xml:space="preserve">Nachdem wir die mechaniſche Einrichtung des Brennrohrs <lb/>kennen gelernt haben, wollen wir uns zu der Einrichtung des <lb/>Luftzuges wenden, um zu zeigen, wie auch hier Alles auf <lb/>naturwiſſenſchaftlichen Prinzipien beruht und ein Werk derart <lb/>nur möglich wurde, nachdem die Wiſſenſchaft die Geſetze des <lb/>Verbrennens näher erforſcht hatte.</s> <s xml:id="echoid-s5412" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5413" xml:space="preserve">Daß Feuer nur unterhalten werden kann beim freien Zu-<lb/>tritt der Luft, weiß jetzt ſchon jede Köchin; </s> <s xml:id="echoid-s5414" xml:space="preserve">welche Rolle aber <lb/>die Luft hierbei ſpielt, haben zwar Viele ſchon einmal gehört, <lb/>aber doch noch viel zu Wenige begriffen.</s> <s xml:id="echoid-s5415" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5416" xml:space="preserve">Man kann jetzt unumſtößlich den Beweis führen, daß es <lb/>der eine Beſtandteil der Luft, der Sauerſtoff iſt, der eigentlich <lb/>die Verbrennung möglich macht, denn jeder Gegenſtand, der <lb/>verbrennt, thut dies eben nur, indem er ſich mit dem Sauer-<lb/>ſtoff der Luft chemiſch verbindet. </s> <s xml:id="echoid-s5417" xml:space="preserve">Alle Arten von Verbrennung <lb/>ſind nichts als chemiſche Vorgänge, und der Hauptbeſtandteil <lb/>zu dieſem chemiſchen Vorgange iſt der Sauerſtoff der Luft.</s> <s xml:id="echoid-s5418" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5419" xml:space="preserve">Nun aber iſt unſere Luft ein Gemiſch, in welchem nur <lb/>der fünfte Teil aus Sauerſtoff beſteht. </s> <s xml:id="echoid-s5420" xml:space="preserve">Dieſes Fünftel unter-<lb/>hält zwar die Verbrennung unſerer gewöhnlichen Brennmate-<lb/>rialien; </s> <s xml:id="echoid-s5421" xml:space="preserve">aber dieſe Verbrennung iſt durchaus eine ſehr unvoll-<lb/>kommene. </s> <s xml:id="echoid-s5422" xml:space="preserve">Bei allen unſren gewöhnlichen Feuern auf dem <lb/>Herde wie im Ofen geht ein koſtbarer Teil des Brennmate-<lb/>terials als Rauch verloren, denn der Rauch beſteht aus feiner <lb/>Kohle, welche ein vorzügliches und ſehr heißes Feuer liefert, <lb/>wenn man es nur verſteht, deſſen Verbrennung zu befördern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5423" xml:space="preserve">Die Köchinnen wiſſen zwar, daß das Feuer, wenn es nicht <lb/>recht brennen will, dicken Rauch verbreitet, und ſie haben es <lb/>durch Erfahrung gelernt, daß ein Anblaſen des Feuers mit <lb/>dem Munde oder dem Blaſebalg den Rauch vertilgt und die</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5424" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s5425" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s5426" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s5427" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="34" file="452" n="452"/> <p> <s xml:id="echoid-s5428" xml:space="preserve">helle Flamme aufſchlagen läßt, weil ſie ihr eben dadurch einen <lb/>ſtarken Strom von Luft und Sauerſtoff zuführen. </s> <s xml:id="echoid-s5429" xml:space="preserve">Trotzdem <lb/>iſt im allgemeinen die Feuerung bei uns noch ſehr im Argen, <lb/>und ſo lange man noch aus den Schornſteinen der Privat-<lb/>häuſer und Fabriken den Rauch aufſteigen ſieht, ſo lange <lb/>herrſcht noch eine furchtbare Verſchwendung im Haushalt und <lb/>obendrein eine ſchädliche Beläſtigung der Geſundheit.</s> <s xml:id="echoid-s5430" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5431" xml:space="preserve">Es bedarf nur einer richtigen Behandlung der Feuerung, <lb/>und zwar einer tüchtigen Zuführung eines Luftſtromes ins <lb/>Feuer, um den Rauch ganz zu vertilgen und eine große Er-<lb/>ſparnis wie eine Wohlthat für die Menſchen zu erzeugen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5432" xml:space="preserve">Bisher hat man in Berlin nur wenige Fabriken, die eine voll-<lb/>ſtändige Verbrennung des Rauches erzielen, und deren Schorn-<lb/>ſteine der Nachbarſchaft keine Beſchwerde verurſachen. </s> <s xml:id="echoid-s5433" xml:space="preserve">In <lb/>London iſt man in dieſer Beziehung weiter vorgeſchritten, und <lb/>darf die Hoffnung hegen, bald über den Häuſern dieſer Stadt <lb/>nichts mehr von jenem Beweis der Unkenntnis und der Ver-<lb/>ſchwendung zu entdecken.</s> <s xml:id="echoid-s5434" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5435" xml:space="preserve">Auch Öl verbrennt in gewöhnlichen Fällen unter Ver-<lb/>breitung von Rauch oder Lampenruß. </s> <s xml:id="echoid-s5436" xml:space="preserve">Zieht man den Docht <lb/>einer gewöhnlichen Küchenlampe nur ein wenig in die Höhe, <lb/>ſo qualmt oder blakt ſie, und dies rührt nur daher, daß <lb/>der Sauerſtoff der umgebenden Luft nicht ausreicht, ſich mit <lb/>allen Teilen des Brennmaterials zu verbinden, weshalb ein <lb/>wertvoller Teil des Brennmaterials als Ruß unverbrannt <lb/>fortgeht.</s> <s xml:id="echoid-s5437" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5438" xml:space="preserve">Dem Übel könnte man freilich dadurch abhelfen, daß man <lb/>ſtets Luft zubläſt; </s> <s xml:id="echoid-s5439" xml:space="preserve">aber dieſe Abhilfe iſt unpraktiſch und kann <lb/>nur mit Erfolg geſchaffen werden, wenn man die Einrichtung <lb/>trifft, daß die Flamme ſelbſt dies Geſchäft übernimmt, und <lb/>dies iſt in der Schiebelampe wie in den meiſten andern Lampen <lb/>ſchon in ſehr vorzüglichem Maße der Fall.</s> <s xml:id="echoid-s5440" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5441" xml:space="preserve">Um dies einzuſehen, muß man eine ganze Reihe natur- <pb o="35" file="453" n="453"/> wiſſenſchaftlicher Geſetze kennen lernen, von denen die haupt-<lb/>ſächlichſten folgende ſind:</s> <s xml:id="echoid-s5442" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5443" xml:space="preserve">Erſtens: </s> <s xml:id="echoid-s5444" xml:space="preserve">die Wärme dehnt alle Dinge aus, und am meiſten <lb/>iſt dies bei Luft der Fall. </s> <s xml:id="echoid-s5445" xml:space="preserve">Warme Luft iſt weit ausgedehnter <lb/>als kalte.</s> <s xml:id="echoid-s5446" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5447" xml:space="preserve">Zweitens: </s> <s xml:id="echoid-s5448" xml:space="preserve">die ausgedehnte Luft iſt leichter als die nicht <lb/>ausgedehnte. </s> <s xml:id="echoid-s5449" xml:space="preserve">Drittens iſt Luft ein ſchlechter Leiter der Wärme, <lb/>das heißt, ſie giebt die Wärme, die ſie aufgenommen hat, nicht <lb/>ſo ſchnell ab; </s> <s xml:id="echoid-s5450" xml:space="preserve">endlich viertens iſt es eine Folge des Luftdrucks, <lb/>daß leichte Luft immer nach oben ſteigt, ſobald ſie ſich im <lb/>Bereich ſchwererer Luft befindet.</s> <s xml:id="echoid-s5451" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5452" xml:space="preserve">Was wir hier in wenigen Worten als Naturgeſetze an-<lb/>gegeben haben, läßt ſich vollſtändig beweiſen. </s> <s xml:id="echoid-s5453" xml:space="preserve">Freilich kann <lb/>der gründliche Beweis für all das nur in ausführlichen Er-<lb/>örterungen gegeben werden; </s> <s xml:id="echoid-s5454" xml:space="preserve">allein es haben ſo unendlich viele <lb/>Beiſpiele im Leben dieſe Naturgeſetze ſchon zu ſo bekannten <lb/>Dingen in der Welt gemacht, daß die Leſer uns ſicherlich die <lb/>Beweiſe hierfür erlaſſen und ſich mit den Reſultaten begnügen <lb/>werden, welche dieſe Naturgeſetze bei der Regulierung des Luft-<lb/>zuges an der Lampe im nächſten Abſchnitt zeigen werden.</s> <s xml:id="echoid-s5455" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div218" type="section" level="1" n="147"> <head xml:id="echoid-head168" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Die Regelung des Luftzuges.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5456" xml:space="preserve">Um eine vollſtändige Verbrennung des Öls in der Lampe <lb/>hervorzubringen, iſt an derſelben ſowohl der Cylinder, wie der <lb/>Cylinderhalter und ebenſo das enge Luftrohr, das mitten im <lb/>Brennrohr befeſtigt, wie endlich das Abgußgefäß, das an das-<lb/>ſelbe angeſchraubt iſt, in vollkommen ſinnreicher Weiſe ein-<lb/>gerichtet.</s> <s xml:id="echoid-s5457" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5458" xml:space="preserve">Durch das Zuſammenwirken all dieſer einzelnen Teile iſt <pb o="36" file="454" n="454"/> die Zuführung friſcher Luft zur Flamme dieſer ſelbſt und der <lb/>Luft übertragen worden.</s> <s xml:id="echoid-s5459" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5460" xml:space="preserve">Das Hauptſächlichſte in dieſer Vorrichtung läßt ſich leicht <lb/>überſehen. </s> <s xml:id="echoid-s5461" xml:space="preserve">Die Flamme iſt eingeſchloſſen in einen Cylinder, <lb/>der unten und oben offen iſt, und in welchem ſich alſo ſtets <lb/>Luft befindet. </s> <s xml:id="echoid-s5462" xml:space="preserve">Durch die Hitze der Flamme wird die im <lb/>Cylinder befindliche Luft heiß, und da ſie dadurch ausgedehut <lb/>und alſo leichter wird als kalte Lnft, ſteigt ſie zur Höhe und <lb/>ſtrömt oben aus dem Cylinder hinaus. </s> <s xml:id="echoid-s5463" xml:space="preserve">Durch die Wirkung <lb/>des Luftdruckes aber tritt von unten friſche, kalte Luft in den <lb/>Cylinder hinein, deren friſcher Sauerſtoff wieder zur Ver-<lb/>brennung dient. </s> <s xml:id="echoid-s5464" xml:space="preserve">Dieſe Luft jedoch wird ſofort wieder durch <lb/>die Hitze verdünnt und muß daher wieder oben ausſtrömen, <lb/>wodurch ſie wiederum einem neuen Luftſtrom Platz macht, ſo <lb/>daß, ſo lange die Flamme brennt, ein fortdauerndes Einſtrömen <lb/>friſcher Luft von unten und ein Ausſtrömen verbrauchter Luft <lb/>von oben hervorgerufen und ſomit die Verbrennung im hohen <lb/>Grade befördert und eine ſtets reine, helle Flamme unter-<lb/>halten wird.</s> <s xml:id="echoid-s5465" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5466" xml:space="preserve">Man braucht nur den Cylinder während des Brennens <lb/>der Lampe abzunehmen, um zu ſehen, was eigentlich der Vor-<lb/>teil dieſer Einrichtung iſt, und wie der Cylinder im vollen <lb/>Sinne des Wortes ein Sparmittel des Brennmaterials iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5467" xml:space="preserve">Ohne Cylinder brennt die Flamme flackrig und rußig, ſie blakt, <lb/>das heißt, ſie ſetzt eine Maſſe unverbrannten Kohlenſtoffs ab. </s> <s xml:id="echoid-s5468" xml:space="preserve"><lb/>Es findet alſo eine unvollſtändige Verbrennung ſtatt, bei der <lb/>ein weſentlicher Teil des Brennmaterials verloren geht. </s> <s xml:id="echoid-s5469" xml:space="preserve">Zu-<lb/>dem iſt die Flamme rötlich und leuchtet ſehr wenig. </s> <s xml:id="echoid-s5470" xml:space="preserve">— Es <lb/>tritt hierbei zwar Sauerſtoff an die Flamme, aber nicht genug, <lb/>um die ſchwer verbrennliche Kohle zur Weißglühhitze zu bringen. </s> <s xml:id="echoid-s5471" xml:space="preserve"><lb/>Setzt man jedoch den Cylinder auf, ſo hört ſofort das Flackern <lb/>und Blaken auf, die Kohle, der Ruß verbrennt in dem reichlich <lb/>zuſtrömenden Sauerſtoff und bringt eine weiße, helle Flamme <pb o="37" file="455" n="455"/> hervor, die für den gewöhnlichen Bedarf nichts zu wünſchen <lb/>übrig läßt.</s> <s xml:id="echoid-s5472" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5473" xml:space="preserve">Dieſer hauptſächliche Vorzug der Einrichtung iſt aber von <lb/>ſo vielen vorzüglichen Einzelheiten unterſtützt, daß wir ſie nicht <lb/>überſehen dürfen.</s> <s xml:id="echoid-s5474" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5475" xml:space="preserve">Vor allem findet ein doppelter Luftſtrom ſtatt. </s> <s xml:id="echoid-s5476" xml:space="preserve">Der Cylinder-<lb/>halter iſt nämlich dort, wo der Rand des Cylinders ſteht, <lb/>ebenfalls offen, ſo daß von hier ein Luftſtrom der äußeren <lb/>Seite der kreisrunden Flamme zugeführt wird. </s> <s xml:id="echoid-s5477" xml:space="preserve">Zu dieſem <lb/>einen Strom kommt aber noch ein zweiter, ein Hauptſtrom, der <lb/>durch die Löcher des angeſchraubten Abgußgefäßes ſtrömt, von <lb/>hier in das enge Luftrohr zieht, deſſen Ende mitten in die <lb/>Flamme führt, ſo daß die Luft mitten durch den Lichtkreis <lb/>geht. </s> <s xml:id="echoid-s5478" xml:space="preserve">Die Flamme, in ſolcher Weiſe von innen und außen mit <lb/>Luft geſpeiſt, brennt daher in einem ſchönen, hellen Lichte.</s> <s xml:id="echoid-s5479" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5480" xml:space="preserve">Von der Wirkung beider Luftſtröme kann man ſich leicht <lb/>durch einen Verſuch überzeugen. </s> <s xml:id="echoid-s5481" xml:space="preserve">Deckt man die unteren Öff-<lb/>nungen des Cylinderhalters zu, ſo beginnt die Flamme zu <lb/>flackern, und zwar erweitert ſich hierbei die Spitze der Flamme <lb/>und ſetzt Ruß an den Cylinder ab; </s> <s xml:id="echoid-s5482" xml:space="preserve">hält man die Löcher des <lb/>angeſchraubten Abgußgefäßes zu, ſo ſpitzt ſich die Flamme, und <lb/>der Ruß ſteigt in gerader Linie auf.</s> <s xml:id="echoid-s5483" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5484" xml:space="preserve">Wie ſich denken läßt, hat die Höhe und die Weite des <lb/>Cylinders weſentlichen Einfluß auf das Leuchten der Lampe. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5485" xml:space="preserve">Iſt der Cylinder zu hoch, ſo ſtrömt die Luft nicht ſchnell genug <lb/>aus und läßt nicht ſchnell genug friſche Luft ein, wodurch die <lb/>Flamme leidet; </s> <s xml:id="echoid-s5486" xml:space="preserve">iſt er zu kurz, ſo ſtrömt die Luft ſo ſchnell <lb/>aus, daß die Wirkung derſelben geſtört iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5487" xml:space="preserve">Das Maß, das <lb/>jetzt der Cylinder der Schiebelampe hat, iſt ſo ziemlich das <lb/>richtige, und darf ohne Nachteil nicht überſchritten werden.</s> <s xml:id="echoid-s5488" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5489" xml:space="preserve">Daß auch die Weite des Cylinders von Einfluß iſt, läßt <lb/>ſich leicht denken. </s> <s xml:id="echoid-s5490" xml:space="preserve">Die Luft muß durch die Flamme ſtreichen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5491" xml:space="preserve">die nebenherziehende Luft ſtört durch Abkühlung mehr, als ſie <pb o="38" file="456" n="456"/> fördert; </s> <s xml:id="echoid-s5492" xml:space="preserve">und deshalb muß der Cylinder auch dort, wo die <lb/>Spitze der Flamme, wo ſie am heißeſten iſt, plötzlich enger <lb/>werden, damit die breit einſtrömende Luft recht gedrängt und <lb/>kräftig an die Flamme gelangt und ihr Werk daſelbſt verrichtet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5493" xml:space="preserve">— In dieſer Beziehung ſind nicht alle Cylinder, die jetzt <lb/>käuflich ſind, gleich, ſondern man muß wohl acht geben, daß <lb/>gerade die Verengung des Cylinders nicht zu hoch über der <lb/>Flamme ſtattfindet, was öfter das Platzen der Cylinder ver-<lb/>anlaßt, ohne daß der Zweck der Verengung erreicht wird.</s> <s xml:id="echoid-s5494" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5495" xml:space="preserve">Endlich müſſen wir noch die Form des Abgußgefäßes, die <lb/>Art, wie die Löcher daran angebracht ſind, als ſehr zweck-<lb/>entſprechend bezeichnen. </s> <s xml:id="echoid-s5496" xml:space="preserve">Das Gefäß iſt ſo eingerichtet, daß, <lb/>wenn es vom überfließenden Öl voll iſt, die Lampe ſelbſt das <lb/>Zeichen giebt, daß man dem Übel abhelfen ſoll. </s> <s xml:id="echoid-s5497" xml:space="preserve">Die Form <lb/>des Gefäßes und deſſen Löcher ſind nämlich ſo, daß das Öl <lb/>im Abguß die Löcher verſtopft, ohne überzufließen. </s> <s xml:id="echoid-s5498" xml:space="preserve">Hierdurch <lb/>verſtopft ſich der Luftzug, und die Lampe fängt an zu blaken <lb/>und mahut von ſelbſt, daß man das Öl vom Abguß entfernen <lb/>müſſe.</s> <s xml:id="echoid-s5499" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div219" type="section" level="1" n="148"> <head xml:id="echoid-head169" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Hydroſtatiſche Lampen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5500" xml:space="preserve">Die Induſtrie, welche immerfort bemüht iſt, die Geſetze <lb/>der Natur zu ihrem Vorteil auszubeuten (und daran ſehr wohl <lb/>thut, denn nur auf dieſe Weiſe kann etwas wirklich Voll-<lb/>ſtändiges und Tüchtiges erzielt werden), hat auch das Prinzip <lb/>des Heronsbrunnens angewendet, um teils das Niveau des <lb/>Öles bei der Lampe auf einer gewiſſen Höhe zu erhalten, teils <lb/>um das Gefäß ſowohl, ſo wie es die Sinumbralampe und die <lb/>Aſtrallampe, oder wie es die Schiebelampe hat, ganz zu be- <pb o="39" file="457" n="457"/> ſeitigen. </s> <s xml:id="echoid-s5501" xml:space="preserve">Das Prinzip dieſer Anordnung iſt der erwähnte <lb/>Heronsbruunen, vermöge deſſen eine Flüſſigkeit ſcheinbar weit <lb/>über das Niveau derſelben in dem Druckapparat gehoben werden <lb/>kann.</s> <s xml:id="echoid-s5502" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5503" xml:space="preserve">Wir ſehen in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5504" xml:space="preserve">10 drei ziemlich gleich große Gefäße <lb/>in verſchiedener Höhe über einander und durch Röhren mit <lb/>einander verbunden. </s> <s xml:id="echoid-s5505" xml:space="preserve">Das oberſte, trichterförmige Gefäß iſt <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-457-01a" xlink:href="fig-457-01"/> durch die Röhre a mit dem unterſten, dieſes <lb/>mit dem dritten verbunden durch die Röhre b. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5506" xml:space="preserve">Man füllt in die letzte eine beliebige Quan-<lb/>tität irgend einer Flüſſigkeit, wir wollen <lb/>ſagen Waſſer. </s> <s xml:id="echoid-s5507" xml:space="preserve">Wenn man nun nach dem <lb/>Gefäße, welches als Trichter dient, gleich-<lb/>falls dieſelbe Flüſſigkeit bringt, bis dieſe in <lb/>das unterſte Gefäß dringt, ſo ergiebt ſich <lb/>von ſelbſt durch die bloße Anſchauung, daß <lb/>die Röhre b und die damit verbundenen <lb/>beiden Gefäße mit Luft erfüllt ſein werden, <lb/>das unterſte Gefäß ganz, das oberſte zum <lb/>Teil. </s> <s xml:id="echoid-s5508" xml:space="preserve">Sowie aber durch die Röhre a Waſſer <lb/>nach dem unteren Gefäße getrieben wird, ſo <lb/>drückt es die Luft, welche in den beiden <lb/>anderen Gefäßen und der dieſelben verbin-<lb/>denden Röhre enthalten iſt, zuſammen. </s> <s xml:id="echoid-s5509" xml:space="preserve"><lb/>Dieſer Druck pflanzt ſich auf die Oberfläche des dritten <lb/>Gefäßes fort und vertreibt die Flüſſigkeit aus demſelben, und <lb/>dieſe kann dabei aus der Röhre d als Waſſerſtrahl ſpringen <lb/>und eine Fontäne bilden, welche unter dem Namen “herons-<lb/>brunnen” bekannt und in allen phyſikaliſchen Kabinetten zu <lb/>finden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5510" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div219" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-457-01" xlink:href="fig-457-01a"> <caption xml:id="echoid-caption104" xml:space="preserve">Fig. 10.</caption> <variables xml:id="echoid-variables30" xml:space="preserve">d a b</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5511" xml:space="preserve">Begreiflich kommt es auf die Form der Gefäße ſo wenig <lb/>an, als auf ihre Lage gegen einander, nur die Röhrenlängen <lb/>(die Höhe von a vorzugsweiſe) ſind von Belang. </s> <s xml:id="echoid-s5512" xml:space="preserve">Iſt die <pb o="40" file="458" n="458"/> Röhre a länger als die Röhre d bis zum Waſſerſpiegel in <lb/>der dritten Kugel, ſo wird das Waſſer immer oben ausfließen.</s> <s xml:id="echoid-s5513" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5514" xml:space="preserve">Man benutzt dieſe Möglichkeit, eine Flüſſigkeit durch Luft-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-458-01a" xlink:href="fig-458-01"/> druck ſteigen zu machen, dazu, um Lampen <lb/>zu konſtruieren, welche ſcheinbar gar keines <lb/>Gefäßes bedürfen, wo das Öl weder wie <lb/>bei der Aſtral- und Sinumbralampe in einem <lb/>die Flamme rings umgebenden, noch wie bei <lb/>der Schiebelampe in einem ſeitwärts ſtehen-<lb/>den Behälter, ſondern wo es in dem Fuß <lb/>der Lampe, man möchte ſagen, verſteckt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5515" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div220" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-458-01" xlink:href="fig-458-01a"> <caption xml:id="echoid-caption105" xml:space="preserve">Fig. 11.</caption> <variables xml:id="echoid-variables31" xml:space="preserve">o h F C d A A s s B</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5516" xml:space="preserve">Die innere Einrichtung einer ſolchen <lb/>Lampe zeigt die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5517" xml:space="preserve">11, wo A, B und C <lb/>die drei verſchiedenen Gefäße ſind. </s> <s xml:id="echoid-s5518" xml:space="preserve">A iſt <lb/>mit C in dem oberen Teil des Fußes der <lb/>Lampe. </s> <s xml:id="echoid-s5519" xml:space="preserve">Das Ganze ſtellt eine ziemlich <lb/>ſtarke Säule vor, zwei obere, durch einen <lb/>Blechboden getrennte Abſchnitte dieſer Säule <lb/>dienen der oberſten C C′, um das Brennöl <lb/>durch die Röhre d zu dem Brenner h und <lb/>der Flamme o zu führen. </s> <s xml:id="echoid-s5520" xml:space="preserve">B iſt das Luft-<lb/>gefäß, aus dem die Luft vertrieben werden <lb/>ſoll, um durch das Rohr rd′d in das oberſte <lb/>Gefäß C C′ zu gelangen und dort durch den <lb/>Druck, den ſie vermöge der Zuſammen-<lb/>preſſung erleidet, das Öl nach h zu treiben, <lb/>was ſo lange möglich iſt, als die Länge <lb/>der Röhre h bis zum Niveau von C′ nicht <lb/>größer iſt als die Länge von A nach B <lb/>(d. </s> <s xml:id="echoid-s5521" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s5522" xml:space="preserve">von dem Niveau des mittleren Gefäßes zum Niveau des <lb/>unteren), und daß dieſes Verhältnis eingehalten werde, liegt in <lb/>der Hand des Fabrikanten, er braucht die Gefäße A und B <lb/>nur weit genug auseinander zu ſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s5523" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="41" file="459" n="459"/> <p> <s xml:id="echoid-s5524" xml:space="preserve">A wird mit Öl gefüllt durch die Röhre p p, C iſt leer; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5525" xml:space="preserve">aus dem Luftgefäß B wird infolge dieſer Einfüllung die Luft <lb/>vertrieben, und ſie gelangt durch die oben heberförmig gebogene <lb/>Röhre cd′d nach dem ledigen Gefäße C.</s> <s xml:id="echoid-s5526" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5527" xml:space="preserve">Nach dem ganz einfachen Geſetze des Gleichgewichts der <lb/>Flüſſigkeiten hindert nichts, daß durch das Rohr p nicht wie <lb/>man beabſichtigte A, ſondern zuerſt B gefüllt wird, welches <lb/>eigentlich Luft enthalten ſoll, und dann erſt ſich auch A damit, <lb/>nämlich mit Öl anfüllt.</s> <s xml:id="echoid-s5528" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5529" xml:space="preserve">Nun iſt aber noch C mit Öl zu verſorgen, damit dem <lb/>Brenner h dieſes zur Speiſung des Dochtes zugeführt werden <lb/>könne, ferner iſt auch das Öl aus dem Gefäße B zu entfernen, <lb/>denn dort kann es uns vorläufig gar nichts nützen.</s> <s xml:id="echoid-s5530" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5531" xml:space="preserve">Man verſchließt die Öffnung p und kehrt die ganze Lampe <lb/>um. </s> <s xml:id="echoid-s5532" xml:space="preserve">Jetzt füllt ſich die Röhre cd′, welche höchſtens bis A <lb/>mit Öl gefüllt ſein konnte, ganz damit, und aus dem um-<lb/>gebogenen Teil dieſer Röhre d′d quillt das Öl, welches in <lb/>B befindlich war, nach dem Gefäß C und füllt dieſes an.</s> <s xml:id="echoid-s5533" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5534" xml:space="preserve">Jetzt iſt das Gefäß B wieder leer, das Gefäß A hat ſeine <lb/>Ladung erhalten und ſendet einen Teil derſelben durch den <lb/>Kanal a b nach B, innerhalb deſſen ein kleineres Gefäß ge-<lb/>wiſſermaßen zur unmittelbaren Unterlage von a b dient, wo <lb/>dann, wie s s zeigt, das Öl hinüber quillt. </s> <s xml:id="echoid-s5535" xml:space="preserve">Die Abſicht dieſer <lb/>kleinen Kappe iſt, bei der Umkehrung der Lampe zu verhindern, <lb/>daß Öl zurückfließt nach A, was zwar bei dem erſten Male <lb/>nicht zu befürchten iſt, da A ſelbſt ganz damit gefüllt iſt, wohl <lb/>aber bei jedem folgenden, wo A ſehr wohl leer ſein kann, in-<lb/>deſſen B gefüllt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5536" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5537" xml:space="preserve">Ein Jeder ſieht nun den Lauf des Öles leicht ein. </s> <s xml:id="echoid-s5538" xml:space="preserve">Aus <lb/>A ſinkt dasſelbe durch a b nach B, dort vertreibt es die Luft, <lb/>welche, wie oben bei h das Öl durch den Docht verzehrt wird, <lb/>ein Bläschen komprimierter Luft nach dem anderen durch die <lb/>Ölmaſſen in C nach dem Luftraum C′ ſendet. </s> <s xml:id="echoid-s5539" xml:space="preserve">Dieſe kom- <pb o="42" file="460" n="460"/> primierte Luft übt einen Druck auf die Oberfläche des Öles <lb/>aus und treibt es in ſolcher Menge nach h, daß der Zufluß <lb/>durch einen Hahn geregelt werden muß. </s> <s xml:id="echoid-s5540" xml:space="preserve">Dies wird geſchehen, <lb/>ſo lange bis B ganz voll von dem Öle iſt, welches vorher in <lb/>A war und gleichzeitig C ganz voll von derjenigen Luft, welche <lb/>vorher in B war.</s> <s xml:id="echoid-s5541" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5542" xml:space="preserve">Jetzt muß man C wieder mit Öl füllen; </s> <s xml:id="echoid-s5543" xml:space="preserve">man kehrt alſo <lb/>die Lampe um, das Öl aus B fließt nach C, die Luft aus A <lb/>gelangt nach B, dann ſtellt man die Lampe wieder aufrecht, <lb/>füllt durch die Röhre p p das Gefäß A wieder mit Öl, und <lb/>der ganze Vorgang des Austauſches zwiſchen A und B, ſowie <lb/>zwiſchen B und C findet von neuem ſtatt.</s> <s xml:id="echoid-s5544" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5545" xml:space="preserve">Man ſieht wohl, daß in A und B nicht Öl zu ſein braucht, <lb/>Waſſer thäte dieſelben Dienſte, ja noch beſſere, da es ſchwerer <lb/>iſt; </s> <s xml:id="echoid-s5546" xml:space="preserve">man würde alſo die Röhren um ſo viel kürzer machen <lb/>dürfen. </s> <s xml:id="echoid-s5547" xml:space="preserve">Aus B müßte dann ein Hahn das Waſſer abzulaſſen <lb/>geſtatten, welches man oben bei p wieder einfüllte, und das <lb/>Gefäß C müßte durch eine beſondere Öffnung mit dem Brennöl <lb/>geſpeiſt werden. </s> <s xml:id="echoid-s5548" xml:space="preserve">Dies würde aber zwei neue Öffnungen fordern, <lb/>welche man ſo viel als möglich vermeiden muß, da ſich’s ſtets <lb/>um einen ganz luftdichten Verſchluß handelt, auch würde Waſſer <lb/>die Blechgefäße angreifen, man bleibt alſo bei dem Öl um ſo <lb/>lieber, als ja nichts davon verloren iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5549" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5550" xml:space="preserve">Die Lampen haben einen großen Fehler, den zu beſeitigen <lb/>die Erfinder und die Fabrikanten (in Dresden war eine Lampen-<lb/>fabrik, welche ſich eine Zeitlang ganz ausſchließlich mit dieſen <lb/>hydroſtatiſchen Lampen beſchäftigte) ſich vergeblich bemüht haben, <lb/>indem über denſelben angebrachte Schirme nur einen geringen <lb/>Effekt haben. </s> <s xml:id="echoid-s5551" xml:space="preserve">Verfolgt man die Linien o y und o x, welche <lb/>von den Flammen nach den Kanten des Geſtelles gezogen ſind, <lb/>ſo ſieht man, daß da, wo ſie auf den Tiſch, auf welchem die <lb/>Lampe ſteht, treffen, ein großer, dunkler Kreis beſchrieben wird, <lb/>der Schatten, den die Lampe ſich ſelbſt macht. </s> <s xml:id="echoid-s5552" xml:space="preserve">Da man nun <pb o="43" file="461" n="461"/> in der Regel eine Lampe dorthin ſtellt, wo man Erleuchtung <lb/>haben will, ſo iſt offenbar ein greller Echatten an dieſer Stelle <lb/>das Entgegengeſetzte von dem, was bezweckt wird, und der <lb/>Blendſchirm (der überdies nicht eine Zierde ſolcher Lampe iſt) <lb/>hilft dieſem Übelſtande nur in einem ſehr geringen Grade ab, <lb/>daher haben auch dieſe Inſtrumente, nachdem ſie einen tüchtigen <lb/>Anſatz genommen, doch den Wettkampf eingeſtellt, und man <lb/>findet ſie nirgends mehr.</s> <s xml:id="echoid-s5553" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div222" type="section" level="1" n="149"> <head xml:id="echoid-head170" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Dampflampen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5554" xml:space="preserve">Es wäre wohl begreiflich geweſen, wenn die Erfindung <lb/>den hier eingeſchlagenen Weg gegangen wäre; </s> <s xml:id="echoid-s5555" xml:space="preserve">von der Öllampe, <lb/>in welcher das Material zum Docht tritt und darin verbrannt <lb/>wird, zur Erzeugung von Dampf aus kohlenſtoffhaltigen Sub-<lb/>ſtanzen und dann erſt zur Erzeugung von Gas, um dieſes <lb/>ohne Docht verbrennen zu laſſen; </s> <s xml:id="echoid-s5556" xml:space="preserve">ſolchen Weg, wie natürlich <lb/>er auch ſei, iſt man nicht gegangen. </s> <s xml:id="echoid-s5557" xml:space="preserve">Man hat zuerſt das Öl, <lb/>dann das feſte Fett, Talg, Wachs u. </s> <s xml:id="echoid-s5558" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5559" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s5560" xml:space="preserve">verbrannt, dann <lb/>hat man Gaslampen konſtruiert und dann hat man Dampf-<lb/>lampen erfunden, welche lange Zeit unter dem Namen “por-<lb/>tative Gaslampen” gingen, bis man ihnen den Namen des Er-<lb/>finders, <emph style="sp">Lüdersdorf</emph>, beilegte.</s> <s xml:id="echoid-s5561" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5562" xml:space="preserve">Vom Öl zum Talglicht iſt eigentlich ein Rückſchritt; </s> <s xml:id="echoid-s5563" xml:space="preserve">bei <lb/>der Öllampe iſt das Brennmaterial bereits flüſſig, bei der <lb/>Kerze muß es während des Gebrauchs erſt flüſſig gemacht <lb/>werden.</s> <s xml:id="echoid-s5564" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5565" xml:space="preserve">Stellt Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5566" xml:space="preserve">12 den oberen Teil einer Kerze dar, gleich-<lb/>viel ob das Material Talg, Wachs, Walrat, Stearinſäure <lb/>over Paraffin ſei, ſo muß der, zuvörda<unsure/>rſt allein, ohne Nah- <pb o="44" file="462" n="462"/> rung als durch ſeinen eigenen Stoff, die Baumwolle, brennende <lb/>Docht unter ſich eine kleine Portion des harten (nicht flüſſigen) <lb/>Materials ſchmelzen, b d, welches ſich in dem dadurch ent-<lb/>ſtehenden Schüſſelchen ſammelt, und welches, wenn die Kon-<lb/>ſumtion nicht raſch genug vor ſich geht, ſelbſt verzehrt wird, <lb/>nicht mehr genügenden Widerſtand gegen die geſchmolzene <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-462-01a" xlink:href="fig-462-01"/> Maſſe leiſtet, daher die Lichte dann auswendig <lb/>ablaufen. </s> <s xml:id="echoid-s5567" xml:space="preserve">Anfangs kann dies leicht geſchehen, <lb/>wenn es aber bei ruhigem Brennen fortdauert, <lb/>“daß die Lichte laufen”, ſo iſt es ein Fehler, <lb/>der in dem unrichtigen Verhältnis zwiſchen Docht <lb/>und Fettmaſſe ſeinen Grund hat.</s> <s xml:id="echoid-s5568" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div222" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-462-01" xlink:href="fig-462-01a"> <caption xml:id="echoid-caption106" xml:space="preserve">Fig. 12.</caption> <variables xml:id="echoid-variables32" xml:space="preserve">e g c b a</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5569" xml:space="preserve">Die geſchmolzene Subſtanz ſteigt in den <lb/>Haarröhrchen des Dochtes auf, wird in dieſem <lb/>durch die Hitze zerſetzt zum Teile, zum anderen <lb/>Teile aber in Dämpfe aufgelöſt; </s> <s xml:id="echoid-s5570" xml:space="preserve">beide brennen <lb/>in der Flamme f mit leuchtender, in e aber mit <lb/>ſtark erhitzender, wenig leuchtender Kraft, weil <lb/>dort der Zutritt der Lnft g am ſtärkſten iſt; </s> <s xml:id="echoid-s5571" xml:space="preserve">der <lb/>geflochtene Docht ſoll ſich krümmen und in dieſem <lb/>heißeſten Teil der Flamme c verzehrt werden, <lb/>in Aſche aufgehen.</s> <s xml:id="echoid-s5572" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5573" xml:space="preserve">Sowie dieſes eine Gasbereitung aus feſtem, <lb/>ſo giebt jede Öllampe eine Gasbereitung aus <lb/>flüſſigem Brennſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s5574" xml:space="preserve">Der nächſte Schritt wäre <lb/>nun der geweſen, den Brennſtoff verdunſten zu <lb/>laſſen; </s> <s xml:id="echoid-s5575" xml:space="preserve">man hatte auch in den chemiſchen Laboratorien be-<lb/>reits einen Anfang mit der Aeolipila gemacht, einer Kugel <lb/>von Metall, zum vierten Teile etwa mit gutem Spiritus <lb/>gefüllt und mit einer Röhre verſehen, welche ſo gebogen iſt, <lb/>daß ſie, wie die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5576" xml:space="preserve">13 zeigt, ſchließlich ſenkrecht auf eine <lb/>Spiritusflamme ſtößt, welche dazu dient, den Weingeiſt in <lb/>der Kugel zum Kochen zu bringen. </s> <s xml:id="echoid-s5577" xml:space="preserve">Sobald es ſoweit iſt, ſo <pb o="45" file="463" n="463"/> ſtrömt der Dampf des kochenden Weingeiſtes aus dem Rohre <lb/>in die Flamme; </s> <s xml:id="echoid-s5578" xml:space="preserve">indeſſen die eigentliche Lampe wie vorher <lb/>gerade auf brennt und die Spiritusmaſſe im Kochen hält, <lb/>ſtreicht der Dampf mit deſto größerer Gewalt durch dieſelbe, <lb/>je ſtärker die Dampfentwickelung und alſo die Spannung im <lb/>Innern der Kugel iſt, bläſt gewiſſermaßen ein Loch in dieſe <lb/>Flamme, entzündet ſich aber ſelbſt daran und brennt mit um <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-463-01a" xlink:href="fig-463-01"/> ſo weiter geſtreckter Stichflamme, als eben die Spannung der <lb/>Dämpfe mächtiger iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5579" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div223" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-463-01" xlink:href="fig-463-01a"> <caption xml:id="echoid-caption107" xml:space="preserve">Fig. 13.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5580" xml:space="preserve">Dieſer Vorgänger der Dampflampen war zu Glasbläſereien <lb/>im Kleinen und zu manchen anderen Operationen ſehr zweck-<lb/>mäßig im Gange, allein die Lüdersdorfſche Lampe ließ auf <lb/>ſich warten, bis die Gasbeleuchtung ſich ziemlich eingebürgert <lb/>hatte, dann erſchien ſie in der nachſtehend zu beſchreibenden <lb/>Form.</s> <s xml:id="echoid-s5581" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="46" file="464" n="464"/> <p> <s xml:id="echoid-s5582" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5583" xml:space="preserve">14 zeigt ein kugelförmiges Glasgefäß B, welches <lb/>man, wie die Figur zeigt, gewöhnlich durch geſchliffene Stellen <lb/>verziert, die jedoch begreiflich für den Gegenſtand nicht im <lb/>geringſten von Wichtigkeit ſind. </s> <s xml:id="echoid-s5584" xml:space="preserve">Das Gefäß enthält einen <lb/>meſſingenen Cylinder u, durch welchen die Brennflüſſigkeit ein-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-464-01a" xlink:href="fig-464-01"/> gefüllt wird. </s> <s xml:id="echoid-s5585" xml:space="preserve">In dieſem <lb/>ſteckt auch der Dochthalter, <lb/>ein zweites Rohr a, welches <lb/>der lockere Docht o ganz <lb/>ausfüllt. </s> <s xml:id="echoid-s5586" xml:space="preserve">Dieſes zweite <lb/>Rohr wird nun durch eine <lb/>Schraube in dem erſten <lb/>befeſtigt, ſo daß es nicht <lb/>wanken kann; </s> <s xml:id="echoid-s5587" xml:space="preserve">ein ſehr klei-<lb/>nes Loch wird aber in der <lb/>Faſſung angebracht, ſo daß <lb/>die atmoſphäriſche Luft mit <lb/>dem Innern des Gefäßes <lb/>in Verbindung bleibt und <lb/>alſo der Druck ſich dort <lb/>nicht vermindert. </s> <s xml:id="echoid-s5588" xml:space="preserve">Dies <lb/>würde bei jeder Lampe zur <lb/>Folge haben, daß ſie keine <lb/>Nahrung mehr zum Docht <lb/>empor ſendet, es iſt daher <lb/>auch bei einer jeden dafür <lb/>geſorgt.</s> <s xml:id="echoid-s5589" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div224" type="float" level="2" n="3"> <figure xlink:label="fig-464-01" xlink:href="fig-464-01a"> <caption xml:id="echoid-caption108" xml:space="preserve">Fig. 14.</caption> <variables xml:id="echoid-variables33" xml:space="preserve">f f f n. n. B B i i</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5590" xml:space="preserve">Die Lampe iſt ſo eingerichtet, daß der Dochthalter ein <lb/>paar Zoll weit aus dem Gefäße herausſteht. </s> <s xml:id="echoid-s5591" xml:space="preserve">Hier hat man <lb/>ein kleines Schälchen, welches einen Fingerhut voll Weingeiſt <lb/>faßt, wo hinein man aber nur die Hälfte dieſes Maßes gießt, <lb/>wenn die Lampe angezündet werden ſoll.</s> <s xml:id="echoid-s5592" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5593" xml:space="preserve">Der Dochthalter iſt mit einem hohlen Meſſingknopf c ge- <pb o="47" file="465" n="465"/> ſchloſſen, der an ſeinem unterſten Rande eine Menge ganz <lb/>kleiner Löcher b im Kreiſe umher ſtehen hat. </s> <s xml:id="echoid-s5594" xml:space="preserve">Der Docht o <lb/>füllt den Dochthalter, ſoweit er innerhalb des Gefäßes befind-<lb/>lich, ganz an, außerhalb desſelben aber nicht, denn zwiſchen <lb/>dem Knopf und dem gerade abgeſchnittenen Docht bleibt ein <lb/>Zoll Zwiſchenraum leer.</s> <s xml:id="echoid-s5595" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5596" xml:space="preserve">Wenn man die Lampe anzünden will, ſo wird der Spiritus <lb/>in dem Schälchen in Brand geſetzt; </s> <s xml:id="echoid-s5597" xml:space="preserve">dieſer erhitzt den Docht-<lb/>halter und den darin enthaltenen, mit dem Brennmaterial ge-<lb/>tränkten Docht; </s> <s xml:id="echoid-s5598" xml:space="preserve">das Brennmaterial verdampft, und dieſe Dämpfe <lb/>drängen ſich aus den kleinen Löchern unter dem Knopf, wo <lb/>ſie dann ſogleich von der Spiritusflamme angezündet werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5599" xml:space="preserve">Unterdeſſen geht der Spiritus aus, deſſen war ja überhaupt <lb/>nur ſehr wenig, allein die Flämmchen, welche der Dampf des <lb/>Materials erzeugt und die ſich in Form kleiner Blättchen, im <lb/>ganzen eine Blume bildend, um den Kuopf herlegen, erhitzen <lb/>denſelben ſo ſtark, daß er nun die fernere Verdampfung ver-<lb/>anlaßt und es daher der Flamme nicht an Nahrung mangelt.</s> <s xml:id="echoid-s5600" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5601" xml:space="preserve">Das Zündſchälchen erſetzt man gewöhnlich durch einen <lb/>Draht, der wie eine Sichel geſtaltet, mit Baumwolle umwickelt <lb/>und dann in Spiritus getränkt, bei jedem Halſe einer Lampe <lb/>ſo angewendet wird, wie hier die Spiritusflamme. </s> <s xml:id="echoid-s5602" xml:space="preserve">Dies iſt <lb/>zweckmäßiger, denn ein einmaliges Benetzen ſolcher Drahtſichel <lb/>reicht aus zu ſechs bis acht Armen eines Kronleuchters und <lb/>kann das Anzünden durch eine Stange ganz leicht ausgeführt <lb/>werden, indes bei dem vorhin beſchriebenen Schälchen eine <lb/>Leiter und das Hinaufſteigen, Anfüllen u. </s> <s xml:id="echoid-s5603" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5604" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s5605" xml:space="preserve">unerläßlich iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5606" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5607" xml:space="preserve">Nun wiſſen wir, wie die Lampe eingerichtet iſt, wir wiſſen <lb/>aber noch nicht, was die Dämpfe dazu hergiebt.</s> <s xml:id="echoid-s5608" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5609" xml:space="preserve">Die ungeheure Flamme, welche ätheriſche Öle liefern, hat <lb/>ſchon lange auf den Gedanken geleitet, ſie zum Beleuchten <lb/>weitläufiger Räume zu benutzen, allein ſie haben eine ſo große <lb/>Menge Kohlenſtoff, daß dieſer nicht als Flamme verwertet <pb o="48" file="466" n="466"/> wird, ſondern beim Verbrennen als Rauch, als Nuß qualmend <lb/>entweicht, weshalb alle Verſuche, das wohlfeile Terpentinöl auf <lb/>ſolche Art zu benutzen, mißlangen, ja nicht ſelten die Verſuche <lb/>teuer genug bezahlt wurden, mit Verunglücken der Lampen, <lb/>der Experimentatoren, mit Anbrennen des Fußbodens, auf den <lb/>das ätheriſche Öl brennend herniederfloß u. </s> <s xml:id="echoid-s5610" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5611" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s5612" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5613" xml:space="preserve">Waſſerſtoff brennt mit ſchwach leuchtender Flamme, ent-<lb/>wickelt aber ſehr viel Hitze. </s> <s xml:id="echoid-s5614" xml:space="preserve">Lüdersdorf kam auf den glücklichen <lb/>Gedanken, das zu kohlenſtoffreiche Terpentinöl durch einen <lb/>waſſerſtoffreichen Körper ſtark zu verdünnen, und er wählte dazu <lb/>ſehr zweckmäßig den Weingeiſt. </s> <s xml:id="echoid-s5615" xml:space="preserve">Hält dieſer 92 Prozent, ſo <lb/>löſt er Terpentinöl vollſtändig in beliebiger Menge auf; </s> <s xml:id="echoid-s5616" xml:space="preserve">man <lb/>wollte aber den Terpentin verdünnen, deshalb gab man auf vier <lb/>Teile Weingeiſt nur einen Teil Terpentin, und hierdurch hatte <lb/>man eine Miſchung, welche mit Brennſtoff den Leuchtſtoff in <lb/>ſolcher Menge verband, daß die Flamme ſowohl ſtark heizend, <lb/>als zugleich lebhaft und weit leuchtend war. </s> <s xml:id="echoid-s5617" xml:space="preserve">Im Jahre 1844 <lb/>und einige Jahre ſpäter verbreiteten ſich die Lüdersdorfſchen <lb/>Lampen ſo ſehr, daß ſie alle anderen zu verdrängen drohten <lb/>(ſo lange hatten ſie gebraucht, um ſich einzubürgern, die Erfin-<lb/>dung datiert aus den zwanziger Jahren), dann aber ſtiegen die <lb/>Getreide- und mit ihnen die Kartoffelpreiſe ſo ſehr, daß der <lb/>ſogenannte Gasäther oder das flüſſige Leuchtgas (eben die ge-<lb/>dachte Miſchung aus Terpentin und Weingeiſt) zu teuer wurde.</s> <s xml:id="echoid-s5618" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5619" xml:space="preserve">Noch andere, Kohlenſtoff in reichlicher Menge enthaltende, <lb/>und zugleich flüchtige Öle, ſo das aus bituminöſem Schiefer <lb/>oder aus Steinkohlentheer deſtillierte Öl, werden in Lampen <lb/>gebrannt, welche den Lüdersdorfſchen in einiger Art ähnlich <lb/>ſind, doch nicht verdünntes Brennmaterial führen, ſondern das <lb/>Verbrennen des in zahlreichem Maße darin enthaltenen Kohlen-<lb/>ſtoffes dadurch bewerkſtelligen, daß atmoſphäriſche Luft in <lb/>ſolcher Menge zugeführt wird, daß dadurch eine vollſtändige <lb/>Verbrennung des Kohlenſtoffes eintritt.</s> <s xml:id="echoid-s5620" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="49" file="467" n="467"/> </div> <div xml:id="echoid-div226" type="section" level="1" n="150"> <head xml:id="echoid-head171" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Die Beleuchtung ſehr großer Strecken durch</emph> <lb/><emph style="bf">eine Lichtquelle.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5621" xml:space="preserve">Wir haben in Teil 1 dieſer Volksbücher gehört, daß es <lb/>praktiſch keineswegs vorteilhaft iſt, große Strecken durch eine <lb/>einzige gewaltige Lichtquelle zu erleuchten, und daß eine Ver-<lb/>teilung vieler kleiner Lichtquellen über die ganze Strecke eine <lb/>viel rationellere Beleuchtung ermöglicht.</s> <s xml:id="echoid-s5622" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5623" xml:space="preserve">Nichtsdeſtoweniger kommen Fälle vor, in denen man eine <lb/>einzige Lichtquelle zur Beleuchtung für große, meilenweite <lb/>Strecken anzuwenden gezwungen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5624" xml:space="preserve">Vor allem iſt dies auf <lb/>größeren Waſſerſtraßen der Fall, da man ja nicht im ſtande <lb/>iſt, auf dieſen viele Laternen anzuzünden, wie auf Straßen des <lb/>feſten Landes. </s> <s xml:id="echoid-s5625" xml:space="preserve">So wird z. </s> <s xml:id="echoid-s5626" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s5627" xml:space="preserve">der ganze Hafen von New-York <lb/>erleuchtet durch eine gewaltige Lichtquelle, welche ſich in der <lb/>Hand der berühmten, rieſigen Statue der Freiheit befindet.</s> <s xml:id="echoid-s5628" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5629" xml:space="preserve">Der Leſer wird ſchon gemerkt haben, daß wir in erſter <lb/>Linie auf die <emph style="sp">Leuchttürme</emph> hinweiſen wollen, welche ja das <lb/>Prinzip der Beleuchtung <emph style="sp">einer</emph> großen Strecke durch <emph style="sp">eine</emph> <lb/>große Lichtquelle in charakteriſtiſcher Weiſe verwirklichen. </s> <s xml:id="echoid-s5630" xml:space="preserve">— <lb/>Sehen wir uns alſo einmal dieſe hochbedeutſame und ſo un-<lb/>gemein ſegensreiche Einrichtung der Leuchttürme etwas näher <lb/>an, da wir in den Lampen der Leuchttürme die intenſivſten <lb/>und gewaltigſten Lichtquellen vorfinden, welche unſre moderne <lb/>Beleuchtungstechnik überhaupt zu liefern vermag.</s> <s xml:id="echoid-s5631" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div227" type="section" level="1" n="151"> <head xml:id="echoid-head172" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Leuchttürme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5632" xml:space="preserve">Die Ehre, es verſucht zu haben, die “Elemente”, die rohen <lb/>Naturgewalten, auch nach dieſer Richtung zu beſiegen, gebührt,</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5633" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s5634" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s5635" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s5636" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="50" file="468" n="468"/> <p> <s xml:id="echoid-s5637" xml:space="preserve">ſo viel wir wiſſen, den Griechen, wenn nicht die Chineſen deren <lb/>noch früher gehabt haben, worüber der Verf. </s> <s xml:id="echoid-s5638" xml:space="preserve">jedoch nichts er-<lb/>fahren konnte. </s> <s xml:id="echoid-s5639" xml:space="preserve">In der 30. </s> <s xml:id="echoid-s5640" xml:space="preserve">Olympiade (alſo etwa 655 Jahre <lb/>vor Chriſti Geburt, da das Jahr der Olympiade nicht ange-<lb/>geben iſt) baute Leſchas einen Leuchtturm auf dem Vorgebirge <lb/>Sigeion, ſpäter baute man ähnliche ganz einfach konſtruierte <lb/>Türme auch auf dem Pyräos, dem Hafen von Athen, und in <lb/>der Nähe vieler anderer Häfen Griechenlands, zündete auf den <lb/>Plattformen der mäßig hohen, immer ganz frei liegenden und <lb/>weit ſichtbaren Gebäude hoch flammende Holzfeuer an und er-<lb/>neuerte dieſelben allabendlich, um die Dunkelheit zu beſiegen und <lb/>um dem Schiffer in die Nacht fern hinein zu leuchten und ihn <lb/>in Stand zu ſetzen, dem Hafen, dem vielleicht vor Sturm, vor <lb/>Räubern ſchützenden Port, zuzueilen.</s> <s xml:id="echoid-s5641" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5642" xml:space="preserve">Vor Räubern! Ja, leider! Damals war nicht bloß Griechen-<lb/>land, wie noch jetzt, ein Hauptſitz der Räuberei in jeder mög-<lb/>lichen Form, ſondern das Recht des Stärkeren war ein ſo all-<lb/>gemein gültiges, daß es gar keine Schande war, ein Räuber <lb/>zu ſein, wie es ja noch jetzt unter dem Volke in Italien, <lb/>Spanien, Portugal und Griechenland ſo wenig eine Schande <lb/>iſt, wie unter den Kabylen und den Mauren in ganz Afrika <lb/>und Arabien. </s> <s xml:id="echoid-s5643" xml:space="preserve">Der glücklichſte, keckſte Räuber iſt der gefeierte <lb/>Held der Volkspoeſie; </s> <s xml:id="echoid-s5644" xml:space="preserve">beneidet iſt die ſchöne Jungfrau, der er <lb/>ſeine Liebe ſchenkt — kein Landmann verrät den Räuber, der <lb/>in ſeinem Hauſe eine ſichere Zufluchtsſtätte vor dem Verfolger <lb/>findet.</s> <s xml:id="echoid-s5645" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5646" xml:space="preserve">Damals war nicht bloß Griechenland, das Mittelmeer und <lb/>die daran grenzenden Länder der Sitz der Land- und der See-<lb/>räuberei, damals herrſchte dieſe ſchöne Sitte überall, wo Men-<lb/>ſchen wohnten, und die Seeräuberei wurde in den nordiſchen <lb/>Meeren von den Normannen, von den Norwegern und Schwe-<lb/>den, von den Dänen auf das Schonungsloſeſte geübt. </s> <s xml:id="echoid-s5647" xml:space="preserve">Die <lb/>Reichen bauten Schiffe, bemannten und bewaffneten ſie und <pb o="51" file="469" n="469"/> zogen auf Raub aus, die Ärmeren blieben am Laude und <lb/>warteten auf den Raub, den ihnen das Meer zuführen mochte.</s> <s xml:id="echoid-s5648" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5649" xml:space="preserve">Unter den erſteren bildete ſich eine Art Seerecht, Seeraub-<lb/>recht aus, welches ſie um die Küſten von ganz Europa, bis <lb/>nach Sizilien und Byzanz trugen, woſelbſt ſie Fürſten ver-<lb/>jagten, Länder eroberten und fremde Dynaſtieen gründeten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5650" xml:space="preserve">Unter den letzteren, im Bunde übrigens mit den Machthabern, <lb/>bildete ſich das noch viel greulichere Strandrecht aus, das ſchänd-<lb/>liche Recht, dasjenige, was aus einem geſcheiterten Schiffe an <lb/>das Land treibt, als Eigentum des Finders, natürlich des <lb/>Strandbewohners, zu betrachten, welches in manchen Ländern <lb/>noch dadurch zum völlig ruchloſen und abſcheulichen wurde, <lb/>daß dabei vorgeſchrieben war — “wenn ſich keiner der Schiff-<lb/>brüchigen als Eigentümer melde”. </s> <s xml:id="echoid-s5651" xml:space="preserve">Dieſe ſcheinbar ſehr menſch-<lb/>liche Klauſel hatte die allerabſcheulichſten Unmenſchlichkeiten <lb/>zur Folge; </s> <s xml:id="echoid-s5652" xml:space="preserve">damit ſich nämlich kein Beſitzer melden ſollte, wurde <lb/>jeder Unglückliche, der den Strand lebend erreichte, ſofort mit <lb/>Knütteln oder Ruderſtangen erſchlagen.</s> <s xml:id="echoid-s5653" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5654" xml:space="preserve">Damals gab es nur “unwirtbare Küſten”; </s> <s xml:id="echoid-s5655" xml:space="preserve">an <emph style="sp">jedem</emph> <lb/>Strande harrte ein Polyphem auf den Unglücklichen, den das <lb/>“Glück” ihm zuführte, und ſo lange dauerten dieſe Greuel, <lb/>daß, nachdem die chriſtliche Religion ſchon jahrtauſendelang <lb/>eingeführt und Landesreligion geworden war, die Prediger <lb/>auf den Kanzeln zu Gott um einen geſegneten Strand beteten, <lb/>und ſo wenig war die Sache ſchändlich, daß man ſich einen <lb/>geſegneten Strand zu verſchaffen wußte, dadurch, daß man <lb/>die Seefahrer durch nächtliche Leuchtfeuer irre führte, ſie <lb/>glauben machte, daß ſie ſich in der Nähe eines Leuchtturmes <lb/>befänden und ſie ſo veranlaßte, vom richtigen Wege ab und <lb/>auf den Strand zu laufen, da dann das Plünderungs- und <lb/>Mordgeſchäft in größter Ruhe vorgenommen werden konnte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5656" xml:space="preserve">Dies ſind nicht Fabeln! Die ſchrecklichſten Verbrechen aller Art <lb/>häuften ſich ſo ſehr, daß nach und nach alle Mächte das <pb o="52" file="470" n="470"/> Strandrecht abſchafften, womit Preußen ſchon vor drei Jahr-<lb/>hunderten voran ging, dann Schweden, viel ſpäter England <lb/>und Frankreich nachfolgten. </s> <s xml:id="echoid-s5657" xml:space="preserve">Allein, wie ſehr dieſes Übel ein-<lb/>gewurzelt war, geht daraus hervor, daß noch im Jahre 1797 <lb/>ein reicher livländiſcher Edelmann hingerichtet werden mußte, <lb/>um ſeine Genoſſen zu ſchrecken; </s> <s xml:id="echoid-s5658" xml:space="preserve">er hatte nämlich auf der <lb/>Inſel Öſel ein falſches Leuchtfeuer lange Zeit unterhalten, <lb/>die Schifffahrer glauben gemacht, es ſei ein von der Regierung <lb/>eingerichtetes Leuchtfeuer im Rigaer Meerbuſen (vor welchem <lb/>die Inſel liegt) und hatte mit ſeinen Leibeigenen die geſcheiterten <lb/>Schiffe geplündert, die geſtrandeten Menſchen ermordet.</s> <s xml:id="echoid-s5659" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5660" xml:space="preserve">Dieſer greuliche Mißbrauch exiſtiert nun freilich nicht mehr, <lb/>hauptſächlich weil die wirklichen Leuchtfeuer ſo künſtlich ſind, <lb/>daß ſie nicht leicht nachgeahmt werden können; </s> <s xml:id="echoid-s5661" xml:space="preserve">in alten Zeiten <lb/>und bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war das aber <lb/>leicht und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ein ſolches <lb/>Leuchtturmfeuer nichts anderes war, als ein gewöhnliches Holz-<lb/>oder Steinkohlenfeuer.</s> <s xml:id="echoid-s5662" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div228" type="section" level="1" n="152"> <head xml:id="echoid-head173" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVIII. Der “Pharus”.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5663" xml:space="preserve">Unter allen Leuchttürmen der berühmteſte war der <emph style="sp">Pharus</emph>, <lb/>welcher auf der kleinen Inſel vor dem Hafen von Alexandria, <lb/>an dem Ausfluſſe des einen Nilarmes gelegen, 300 Jahre vor <lb/>Chriſti Geburt erbaut wurde und den Namen von dieſer Inſel, <lb/>welche Pharus hieß, erhielt und ihn übertragen hat auf alle <lb/>ſpäteren Leuchttürme. </s> <s xml:id="echoid-s5664" xml:space="preserve">Noch jetzt nennen die Franzoſen einen <lb/>Leuchtturm nicht anders als “le Phare“.</s> <s xml:id="echoid-s5665" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5666" xml:space="preserve">Der mächtige und prächtige Bau, groß genug, um eines <lb/>der ſieben Weltwunder zu heißen, hatte eine Höhe von 500 Fuß <pb o="53" file="471" n="471"/> und an der Baſis eine gleiche Länge und Breite; </s> <s xml:id="echoid-s5667" xml:space="preserve">er ward auf <lb/>Befehl des Ptolemäus Philadelphus erbaut und ſtand auf dem <lb/>meerumſpülten, felſigen Vorgebirge der Inſel, welches die Ein-<lb/>fahrt in den Hafen von Alexandria ſo ſchwierig machte, daß <lb/>niemand es wagte, demſelben zur Nachtzeit zu nahen.</s> <s xml:id="echoid-s5668" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5669" xml:space="preserve">Der Erbauer dieſes Turmes war Soſtratos von Knidos <lb/>— ſo lautet wenigſtens die Inſchrift, deren Strabo aus eigener <lb/>Anſicht erwähnt: </s> <s xml:id="echoid-s5670" xml:space="preserve">“Soſtratos, der Knidier, des Dexiphon Sohn, <lb/>weihet dieſes Gebäude den Schutzgöttern der Seefahrenden.</s> <s xml:id="echoid-s5671" xml:space="preserve">” <lb/>Der alte Geograph nennt dieſen Soſtratos einen Günſtling der <lb/>Pharaonen und läßt es zweifelhaft, ob der König von Ägypten <lb/>oder vielleicht der reiche Kaufmann, deſſen Schiffe am meiſten <lb/>gefährdet wurden durch die üble Einfahrt in den Hafen ſeines <lb/>Wohnortes, derjenige geweſen, deſſen Schätze zu dem Bau ver-<lb/>wendet worden, in welchem Falle man den Baumeiſter ſelbſt <lb/>alſo gar nicht kennen würde, wie dieſes wohl mit den meiſten <lb/>großen Bauten des Altertums ſo iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5672" xml:space="preserve">Die Wahrſcheinlichkeit <lb/>neigt ſich auf Seite des Soſtratos, denn falls der König der <lb/>Bauherr geweſen, würde deſſen Name in erſter Reihe auf der <lb/>Inſchrift zu leſen ſein und der des Baumeiſters nur nebenbei <lb/>genannt werden.</s> <s xml:id="echoid-s5673" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5674" xml:space="preserve">Wie dem auch geweſen, wir müſſen es dahin geſtellt ſein <lb/>laſſen, da wir nicht hiſtoriſche Forſchungen anſtellen wollen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5675" xml:space="preserve">Die alten Griechen und Römer ſind des Lobes dieſes gewal-<lb/>tigen Bauwerks voll und rühmen ſeine Ausführung, den Ge-<lb/>ſchmack, die Pracht, welche daran verſchwendet wurde, wie mit <lb/>einem Munde. </s> <s xml:id="echoid-s5676" xml:space="preserve">Da er pyramidenartig von unten nach oben <lb/>abnahm, ganz mit weißem Marmor bekleidet war und aus <lb/>fünf Stockwerken, je von 100 Fuß Höhe beſtand, welche von <lb/>ſchönen, großen Säulen getragen wurden, ſo mag er wohl <lb/>gerade an dieſem unwirtbaren Ort, gewiſſermaßen aus dem <lb/>Meere gewachſen, einen mächtigen Eindruck gemacht haben, <lb/>wenn ſchon manches, was man davon erzählt, ſelbſtverſtändlich <pb o="54" file="472" n="472"/> nicht wahr iſt, ſo z. </s> <s xml:id="echoid-s5677" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s5678" xml:space="preserve">daß man das auf dem oberſten, ganz <lb/>ebenen und mit einer breiten Galerie umgebenen, flachen Raum <lb/>brennende Feuer auf die Entfernung von 100 Seemeilen habe <lb/>ſehen können. </s> <s xml:id="echoid-s5679" xml:space="preserve">Dazu nämlich hätte er über 2000 Fuß hoch <lb/>ſein müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5680" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5681" xml:space="preserve">Auf dieſem Turme brannten nun allnächtlich breite Holz-<lb/>feuer, eine unglaubliche Verſchwendung in jenem holzarmen <lb/>Lande Ägypten und darum auch aus dieſem gar nicht zu be-<lb/>ſchaffen; </s> <s xml:id="echoid-s5682" xml:space="preserve">man bezog es aus Kleinaſien von den Weſtküſten <lb/>desſelben, deren Gebirge waldreich waren und dazu befand <lb/>ſich eine ganze Flotte kleiner Transportſchiffe bei der Inſel, <lb/>und auf derſelben wohnte eine zahlreiche Bevölkerung, welche <lb/>die Bedienung des Turmes, das Hinaufſchaffen des Holzes, das <lb/>Unterhalten des Feuers, das Hinwegſchaffen der Aſche u. </s> <s xml:id="echoid-s5683" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5684" xml:space="preserve">w. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5685" xml:space="preserve">zu beſorgen hatte; </s> <s xml:id="echoid-s5686" xml:space="preserve">darum war auch eine große Waſſerleitung <lb/>vorhanden, welche, nebſt einer Brücke, die Inſel mit der Land-<lb/>zunge von Alexandria verband, die damals eine deutſche Meile <lb/>von der Canopusmündung des Niles lag, welche jetzt aller-<lb/>dings weit davon, nämlich bei Raſchid oder Roſette in das <lb/>Meer fällt. </s> <s xml:id="echoid-s5687" xml:space="preserve">Die Koſtbarkeit und Umſtändlichkeit der Beſchickung <lb/>ſcheint dieſem Wunderwerke der Welt nicht günſtig geweſen zu <lb/>ſein, denn es hat nicht lange beſtanden. </s> <s xml:id="echoid-s5688" xml:space="preserve">Cäſar, als er Ägypten <lb/>eroberte, verjagte die Bewohner der Inſel, oder, da dies ſchwer-<lb/>lich von ihm geſchehen iſt, weil darin nicht viel Verſtand ge-<lb/>legen hätte, ſeine Truppen thaten dies ohne Befehl und gegen <lb/>die Zwecke Cäſars, welchem wohl eher die Erhaltung des Leucht-<lb/>feuers als ſein Erlöſchen am Herzen liegen mußte. </s> <s xml:id="echoid-s5689" xml:space="preserve">Nur einige <lb/>Piloten blieben auf der Inſel, der Turm wurde nicht mehr <lb/>benutzt und verfiel. </s> <s xml:id="echoid-s5690" xml:space="preserve">Erſt 1300 Jahre nach Chriſti Geburt <lb/>wurde er durch die Araber wirklich zerſtört, deren barbariſcher <lb/>Bilderſtürmerei eine Menge der großartigſten Kunſtwerke erlag, <lb/>wie einſt den chriſtlichen Bilderſtürmern die Kunſtwerke des <lb/>klaſſiſchen Altertums.</s> <s xml:id="echoid-s5691" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="55" file="473" n="473"/> </div> <div xml:id="echoid-div229" type="section" level="1" n="153"> <head xml:id="echoid-head174" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIX. Der Leuchtturm von Cordouan.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5692" xml:space="preserve">Von dem prächtigen Bauwerke des Pharus, welches <lb/>1600 Jahre geſtanden hat, ſind jetzt nur noch wenig Trümmer <lb/>des Unterbaus vorhanden; </s> <s xml:id="echoid-s5693" xml:space="preserve">von vielen anderen, welche die <lb/>Römer vor ihren Häfen hatten, ſo zu Ravenna, Puzzuoli, <lb/>Caprea und, nachdem Gallien von den Römern erobert worden, <lb/>auch zu Maſſilia (Marſeille), an der atlantiſchen Küſte und an <lb/>der des Kanals, ferner von den Leuchttürmen bei Gades (Cadix) <lb/>und anderen Hauptplätzen der iberiſchen Halbinſel, ſowie von den <lb/>vielen griechiſchen und auf der Küſte von Kleinaſien gelegenen, <lb/>iſt keine Spur mehr vorhanden. </s> <s xml:id="echoid-s5694" xml:space="preserve">Von allen aber weiß man, <lb/>daß ſie ganz auf dieſelbe Weiſe mit Leuchtfeuer verſehen wurden, <lb/>wie jener Pharus, ja noch der Leuchtturm von Cordouan, <lb/>auf einer Felſeninſel in der Mündung der Garonne durch <lb/>Louis de Foix, einen berühmten franzöſiſchen Baumeiſter, zur <lb/>Zeit Heinrichs II. </s> <s xml:id="echoid-s5695" xml:space="preserve">erbaut und in 26 Jahren vollendet, war <lb/>durchaus nicht anders bedient, weil man keine andere Be-<lb/>leuchtungsart kannte.</s> <s xml:id="echoid-s5696" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5697" xml:space="preserve">Dieſer prächtige Turm gab zuerſt ein Beiſpiel von den <lb/>Erfolgen, welche Kühnheit und Ausdauer einem Baumeiſter <lb/>ſichern können. </s> <s xml:id="echoid-s5698" xml:space="preserve">Der Felſen in der Garonne liegt beträchtlich <lb/>unter der Flutmarke, kann alſo nur zur Zeit der Ebbe beſucht <lb/>werden, ſeine Oberfläche aber iſt ſo rauh und zackig, daß man <lb/>nirgends darauf feſten Fuß faſſen, nicht zehn Schritte ohne <lb/>Lebensgefahr gehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s5699" xml:space="preserve">Ein gewaltiger, noch jetzt die Be-<lb/>wunderung aller Sachverſtändigen erregender Bau ſollte dort <lb/>erſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s5700" xml:space="preserve">De Foix ließ die Felſen während der Ebbezeit ſo <lb/>weit im Umkreiſe ebenen und austiefen, als nötig, um eine <lb/>Subſtruktion von 150 Fuß Durchmeſſer aufzunehmen, aus den <lb/>ſchwerſten Marmorquadern gebildet, von welchen ſich, einige <lb/>Fuß über der Fluthöhe, der Turm ſelbſt erhob mit einem <pb o="56" file="474" n="474"/> Durchmeſſer von 120 Fuß und von einer 15 Fuß breiten Platt-<lb/>form umgeben.</s> <s xml:id="echoid-s5701" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5702" xml:space="preserve">Dieſer Turm wurde in einer ſchön geſchweiften Verjüngung <lb/>150 Fuß hoch aufgeführt, ganz rund gehalten, um den Wogen, <lb/>welche ſich in fürchterlicher Gewalt an dem Felſen brechen, <lb/>wenn ſie von Weſtſtürmen herbeigeführt werden, beſſer Wider-<lb/>ſtand leiſten zu können, und wurde dann mit einer Plattform <lb/>verſehen, auf welcher die Leuchtfeuer brannten.</s> <s xml:id="echoid-s5703" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5704" xml:space="preserve">Dort, wo die Wogen nicht mehr hinaufreichen, 50 Fuß <lb/>über der Flutmarke, zeigt der Turm ſelbſt im Äußeren eine <lb/>große Pracht und eine Verſchwendung der Mittel, die bei <lb/>einem Zweck wie dem vorliegenden, billig in Verwunderung <lb/>ſetzt, denn es ſind dort reiche Bildhauerarbeiten an den <lb/>Säulengängen, welche die einzelnen Stockwerke umgeben, an-<lb/>gebracht, die Capitäle und Geſimſe ſind auf das mannigfaltigſte <lb/>geſchmückt und im Innern herrſcht ein Glanz, welcher haar-<lb/>ſcharf an das Geſchmackloſe grenzt, was damals ſehr ſchön ſein <lb/>mochte, jetzt aber nur noch zur Verwunderung, nicht mehr zur <lb/>Bewunderung auffordert. </s> <s xml:id="echoid-s5705" xml:space="preserve">Es ſind dort nämlich mehrere Reihen <lb/>von Zimmern und Sälen dem 400 Fuß im Umfange haltenden <lb/>Kreiſe angepaßt, ſo eingerichtet, als ſollten ſie jeden Augenblick <lb/>von dem Könige ſelbſt bewohnt werden; </s> <s xml:id="echoid-s5706" xml:space="preserve">die Gemächer, einige <lb/>vierzig an der Zahl, liegen in fünf Geſchoſſen über- und neben <lb/>einander, und entfalten alles, was die damalige Zeit Schönes, <lb/>Bequemes und Prachtvolles aufzuweiſen hatte; </s> <s xml:id="echoid-s5707" xml:space="preserve">ſo z. </s> <s xml:id="echoid-s5708" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s5709" xml:space="preserve">die <lb/>Marmorſtatuen Heinrichs des Zweiten und Heinrichs des Vierten <lb/>(unter welchen der Turm vollendet wurde) ganz vergoldet! Den <lb/>oberſten Raum unter der Plattform nimmt eine reich und koſt-<lb/>bar verzierte Kapelle ein, an welcher vergoldetes Schnitzwerk, <lb/>allegoriſche Gemälde, Trophäen, Wappen u. </s> <s xml:id="echoid-s5710" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5711" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s5712" xml:space="preserve">verſchwendet <lb/>ſind, wie in allen übrigen Räumen des großen Baues, während <lb/>für die Turmwärter nur wenig ungenügende und finſtere Räume <lb/>in dem unterſten, feuchten Teile des Turmes übrig geblieben ſind.</s> <s xml:id="echoid-s5713" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="57" file="475" n="475"/> <p> <s xml:id="echoid-s5714" xml:space="preserve">Die Erleuchtung des Turmes geſchah bis zum Anfange <lb/>dieſes Jahrhunderts, bis die Argandſchen Lampen ſich Bahn <lb/>gebrochen hatten, durch große Steinkohlenfeuer, welche in frei <lb/>ſchwebenden Pfannen, ohne Zug, lediglich von der umgebenden <lb/>Luft genährt, mehr ſchwelten und rauchten, als brannten. </s> <s xml:id="echoid-s5715" xml:space="preserve">Was <lb/>war zu machen, ſo lange man noch keine Lampen von gehöriger <lb/>Wirkung, ſo lange man noch kein anderes Erleuchtungsmittel, <lb/>als das Feuer der Fackel kannte!</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div230" type="section" level="1" n="154"> <head xml:id="echoid-head175" xml:space="preserve"><emph style="bf">XX. Der Leuchtturm von Eddyſtone.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5716" xml:space="preserve">Höchſt merkwürdig, und durch die Schwierigkeiten, mit <lb/>denen man bei der Erbauung zu kämpfen hatte, in der Ge-<lb/>ſchichte der Baukunſt Epoche machend, iſt der Leuchtturm, <lb/>welcher auf der Felſenklippe Eddyſtone (Eddyſtein) 3 {1/2} Seemeile <lb/>vom Hafen von Plymouth gelegen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5717" xml:space="preserve">Jene Gegend des Meeres <lb/>iſt beſäet mit gefährlichen Klippen und viele, reich beladene <lb/>Schiffe, glücklich den Stürmen und den Seeräubern (welche <lb/>vor einem Jahrhundert noch alle Meere unſicher machten) ent-<lb/>ronnen, ſcheiterten dort im Angeſicht des Hafens von Plymouth, <lb/>obwohl er einer der beſten an der ſüdlichen Küſte von England <lb/>iſt — wenn man einmal darin iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5718" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5719" xml:space="preserve">Vorzüglich war der Eddyſtein ſelbſt gefährlich, da er nur <lb/>zur Zeit der Ebbe aus dem Waſſer herausſchaut, ſonſt aber, <lb/>von den Wellen bedeckt, in dieſem unruhigen Meere ſeine Nähe <lb/>durch nichts Auffallendes verrät.</s> <s xml:id="echoid-s5720" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5721" xml:space="preserve">Die Engländer, deren Hauptaugenmerk der Handel iſt, für <lb/>deſſen Begünſtigung ſie tauſend Menſchenleben ſo niedrig an-<lb/>ſchlagen, wie 100 Pfund, hatten ſchon viel daran gewendet, <lb/>die Schiffahrt in jener Gegend, vor einem der Hauptplätze des <pb o="58" file="476" n="476"/> britiſchen Handels, minder gefahrvoll zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s5722" xml:space="preserve">Allein erſt <lb/>im Jahre 1696 wagte es ein kühner Mann aus Littleborough, <lb/>in der Grafſchaft Eſſex, ſeine Kenntniſſe in der Baukunſt dem <lb/>Vaterlande auzubieten und den Entwurf zu einem Gebäude <lb/>auf jenem Felſen der Regierung vorzulegen. </s> <s xml:id="echoid-s5723" xml:space="preserve">Sein Name war <lb/><emph style="sp">Winſtanley</emph>, und es fehlte ihm weder an Geſchicklichkeit noch <lb/>an Mut, dieſe Geſchicklichkeit an einer ſo gefährlichen Stelle <lb/>geltend zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s5724" xml:space="preserve">Ihm wurde der Auftrag gegeben, ſeinen <lb/>Plan auszuführen, und mit allen möglichen Hinderniſſen <lb/>kämpfend und ſie glücklich beſiegend, errichtete er in einem <lb/>Zeitraum von vier Jahren ein Gebäude, einen Leuchtturm, <lb/>halb aus Eiſen, halb aus Holz, das den ſtärkſten Stürmen zu <lb/>trotzen ſchien.</s> <s xml:id="echoid-s5725" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5726" xml:space="preserve">Schwere Eiſenſtangen wurden in den Felſen tief ein-<lb/>gelaſſen und dienten ihm zum Fundament, und die Feſtigkeit <lb/>der Verbindung ſchien ſo groß, daß der Baumeiſter ſelbſt <lb/>wünſchte, einmal während eines Sturmes dort zu ſein, nicht, <lb/>um ſich ſelbſt von der Dauerhaftigkeit ſeines Baues zu über-<lb/>zeugen, von welchem er längſt überzeugt war, ſondern um auch <lb/>Anderen zu zeigen, mit welcher Gewißheit er der Feſtigkeit <lb/>ſeines Baues vertraue. </s> <s xml:id="echoid-s5727" xml:space="preserve">Oft auch hatte er ſchon ſtarken <lb/>Stürmen getrotzt und war ſiegreich aus mancher Prüfung <lb/>hervorgegangen, da bot ſich dem Baumeiſter, ohne daß er es <lb/>ahnte, eine Gelegenheit, den Turm während eines Sturmes <lb/>zu bewohnen.</s> <s xml:id="echoid-s5728" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5729" xml:space="preserve">Eine kleine Beſchädigung hatte Winſtanley bewogen, am <lb/>26. </s> <s xml:id="echoid-s5730" xml:space="preserve">Nov. </s> <s xml:id="echoid-s5731" xml:space="preserve">(7. </s> <s xml:id="echoid-s5732" xml:space="preserve">Dez. </s> <s xml:id="echoid-s5733" xml:space="preserve">neuen Stils) 1703 mit mehreren Arbeitern <lb/>nach dem Leuchtturm zu fahren, um einige Verbeſſerungen an <lb/>dem Leuchtapparat vorzunehmen. </s> <s xml:id="echoid-s5734" xml:space="preserve">Da erhob ſich während ſeiner <lb/>Anweſenheit ein heftiger Sturm, der die Abfahrt verhinderte und <lb/>den Baumeiſter nötigte, auf dem Turme zu übernachten. </s> <s xml:id="echoid-s5735" xml:space="preserve">Das <lb/>Unwetter wurde ſo furchtbar, daß es ſchien, als habe die ganze <lb/>Natur ſich empört, der wütendſte Orkan raſte mit ſo unerhörter <pb o="59" file="477" n="477"/> Heftigkeit, daß die älteſten Leute verſicherten, ſich ſolch eines <lb/>Sturmes nicht entſinnen zu können.</s> <s xml:id="echoid-s5736" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5737" xml:space="preserve">Mit banger Sorge erwartete man das Nahen des Tages, <lb/>um zu wiſſen, ob der Leuchtturm noch ſtünde. </s> <s xml:id="echoid-s5738" xml:space="preserve">— — Ver-<lb/>ſchwunden war das ganze Gebäude, verſunken im Meer und <lb/>mit ihm alle Diejenigen, welche dort geweſen, die Wächter des <lb/>Turmes, die Arbeiter des Baumeiſters und dieſer ſelbſt, dem <lb/>niemand die Schuld an dem Unglück beimaß, weil leicht ein-<lb/>zuſehen war, daß ſolchen Ausbrüchen der Wut aller Elemente <lb/>ein ſchwaches Werk von Menſchenhand nicht Widerſtand zu <lb/>leiſten vermöge. </s> <s xml:id="echoid-s5739" xml:space="preserve">Hatten die Wellen doch die vierzölligen, tief <lb/>in den Felſen eingelaſſenen Eiſenſtangen dicht über dem Boden <lb/>abgebrochen.</s> <s xml:id="echoid-s5740" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5741" xml:space="preserve">Man führt als eine große Merkwürdigkeit an, daß ein <lb/>hölzernes Modell des Turmes, welches in Winſtanleys Hauſe <lb/>zu Littleborough, fünfzig Meilen weit von dem im großen aus-<lb/>geführten Werke ſtand, in derſelben Nacht, da der große Bau <lb/>zertrümmert wurde, in Stücken fiel ohne äußere Veranlaſſung.</s> <s xml:id="echoid-s5742" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5743" xml:space="preserve">Der Schade des verlorenen Turmes war groß, noch viel <lb/>mehr aber wurde der Verluſt des Baumeiſters ſelbſt bedauert, <lb/>denn man fragte ſich vergeblich, wer ihn, den kühuen, vor <lb/>keiner Gefahr und keiner Schwierigkeit zurückſchreckenden Mann <lb/>erſetzen ſollte, da eine neue Warte an jener Stelle unerläßlich <lb/>war, indem während der drei Jahre, während welcher ſie ge-<lb/>ſtanden, kein Schiff an dieſer gefährlichen Stelle geſcheitert <lb/>war, dies Unglück ſich aber mit dem Untergange des Turmes <lb/>ſogleich wiederholte.</s> <s xml:id="echoid-s5744" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5745" xml:space="preserve">Endlich glaubte man den rechten Mann gefunden zu haben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5746" xml:space="preserve">Die Königin Anna übertrug die Ausführung eines neuen <lb/>Turmes im Jahre 1706 dem Mr. </s> <s xml:id="echoid-s5747" xml:space="preserve"><emph style="sp">John Rudyerd</emph>, der einen <lb/>ſolchen zwar ſchmucklos, aber ſtark genug und zwar wieder <lb/>aus Holz binnen zwei Jahren ausführte, ſo daß am 28. </s> <s xml:id="echoid-s5748" xml:space="preserve">Juli <lb/>1708 zum erſtenmale Licht auf demſelben brannte. </s> <s xml:id="echoid-s5749" xml:space="preserve">Ehre und <pb o="60" file="478" n="478"/> Auszeichnung aller Art genoß der Baumeiſter, und er hatte <lb/>die Freude, ſein Werk allen Stürmen und der ganzen Wut <lb/>des empörten Meeres trotzen zu ſehen bis an ſein Ende. </s> <s xml:id="echoid-s5750" xml:space="preserve">Der <lb/>Turm ſtand 48 Jahre lang unerſchüttert und ward dann nicht <lb/>durch das zornige Meer, ſondern durch die Nachläſſigkeit der <lb/>Wärter zerſtört.</s> <s xml:id="echoid-s5751" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5752" xml:space="preserve">Der Turm war mit Lampen innerhalb einer Laterne er-<lb/>leuchtet, das Holz mochte durch die fortwährende Hitze ſehr <lb/>ausgedörrt, durch das vergoſſene Öl bis zur höchſten Feuer-<lb/>gefährlichkeit getränkt worden ſein, man weiß dies nicht recht, <lb/>ſo wenig, wie die eigentliche Veranlaſſung zu dem Feuer, kurz, <lb/>in der Nacht vom 2. </s> <s xml:id="echoid-s5753" xml:space="preserve">auf den 3. </s> <s xml:id="echoid-s5754" xml:space="preserve">Dezember 1755 brannte das <lb/>ganze Gebäude ab. </s> <s xml:id="echoid-s5755" xml:space="preserve">Das Feuer war in der Laterne aus-<lb/>gebrochen, und von oben herab verzehrte ſich der Turm, ſo <lb/>daß nichts davon übrig blieb, als die gewaltigen Eiſenſtangen, <lb/>mit denen er auf dem Felſen befeſtigt geweſen war. </s> <s xml:id="echoid-s5756" xml:space="preserve">Auch die <lb/>unglücklichen Wärter waren ein Opfer ihrer Nachläſſigkeit ge-<lb/>worden.</s> <s xml:id="echoid-s5757" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5758" xml:space="preserve">Solange des trefflichen Erfolges gewohnt, den der Leucht-<lb/>turm gehabt, konnte man den Eddyſtein jetzt nicht mehr ohne <lb/>einen ſolchen Schmuck ſtehen laſſen, und ſchon im folgenden <lb/>Jahre ward der Baumeiſter <emph style="sp">Smeaton</emph> mit der Ausführung eines <lb/>neuen, ſteinernen Turmes beauftragt. </s> <s xml:id="echoid-s5759" xml:space="preserve">Der kühne und umſichtige <lb/>Mann ließ die mächtigſten Steine, die aufzutreiben waren, <lb/>vorher auf dem Lande behauen, durch Zapfen zur Einſenkung <lb/>in den Felſen, durch ſchwalbenſchwanzförmige Verbindungen <lb/>aber unter ſich verankern, dann den Felſen ſelbſt ebenen und <lb/>nun die erſte Lage der Quadern halb in, halb auf ihn ſetzen, <lb/>unterdeſſen aber die zweite Geſteinlage meißeln und dann dieſe <lb/>auf die erſte Reihe bringen, mit derſelben durch verſenkte Stücke <lb/>verbinden u. </s> <s xml:id="echoid-s5760" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5761" xml:space="preserve">w. </s> <s xml:id="echoid-s5762" xml:space="preserve">Eine langweilige, wohl aber eine ſehr <lb/>nötige Arbeit, die bis zur Vollendung des Turmes fortgeführt <lb/>wurde, ſo daß jeder Stein nicht bloß auf dem andern lag, <pb o="61" file="479" n="479"/> ſondern in denſelben eingriff und durch Zapfen mit ihm, ſo <lb/>wie durch ein Zapfloch mit dem oberen verbunden war.</s> <s xml:id="echoid-s5763" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5764" xml:space="preserve">Der Turm iſt rund wie der von Cordouan, und es ſcheint <lb/>bei dem ganzen Bau dem Architekten jener merkwürdige Pharus <lb/>vorgeſchwebt, er ſcheint an dem vorhandenen Muſter die Mög-<lb/>lichkeit der Erbauung ſtudiert und erlernt zu haben, denn nicht <lb/>allein die Form des Durchſchnittes iſt jenem gleich, auch die <lb/>Verjüngung in geſchweifter Linie (nicht in gerader Linie, wie <lb/>ein Kegel ſich verjüngt) und die Befeſtigungsart und Ver-<lb/>ankerung der Steine iſt dieſelbe, nur iſt der Turm auf dem <lb/>Eddyſtone bei weitem ſchlanker und auch nur 80 Fuß hoch. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5765" xml:space="preserve">Er iſt ganz ohne irgend eine Verzierung; </s> <s xml:id="echoid-s5766" xml:space="preserve">wo die Laterne ſich <lb/>erhebt, iſt nicht einmal ein einfaches Geſims angebracht, wohl <lb/>aber beugt ſich der oberſte Teil der Steinmaſſe etwas nach <lb/>außen und es entſteht dadurch ein um ungefähr zwei Fuß im <lb/>Durchmeſſer größerer Raum, als derſelbe ohne dieſe langſame <lb/>Schweifung, welche ſchon zehn Fuß tiefer beginnt, für die <lb/>Galerie vorhanden wäre, welche rund um die Laterne läuft.</s> <s xml:id="echoid-s5767" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5768" xml:space="preserve">Dieſe Ausbiegung hat noch einen anderen Zweck, und daß er <lb/>hieran gedacht hat, zeigt recht das große Genie Smeatons an. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5769" xml:space="preserve">Die Wellen brechen bei heftigen Stürmen gegen den Felſen <lb/>und den Turm auf eine furchtbare Weiſe, ſie ſteigen nicht nur <lb/>züngelnd an demſelben empor, ſie ſchlagen über ihm zuſammen. </s> <s xml:id="echoid-s5770" xml:space="preserve"><lb/>An der Krümmung der oberſten Steinreihen brechen ſich nun <lb/>die Wellen rückwärts, ſo daß ſie an dem Turm ringsumher <lb/>abgewieſen werden und eine prächtige, breite Garbe von Waſſer-<lb/>ſtrahlen bilden.</s> <s xml:id="echoid-s5771" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5772" xml:space="preserve">Es giebt aber kein großartigeres Schauſpiel als dasjenige, <lb/>welches bei ſehr ſtürmiſchem Wetter die Bewohner des Turmes <lb/>furchtlos anſehen, daß nämlich 180 Fuß hohe Wogen brandend <lb/>zu ihnen aufſchlagen, von den ſtarken Mauern abgewieſen, ſich <lb/>in eine Kuppel wölben und nicht nur den ganzen Turm, ſondern <lb/>auch die dreißig Fuß hohe Laterne mit ihrem ſtarken Kupfer- <pb o="62" file="480" n="480"/> dach überragen, — überwölben muß man wohl ſagen, da ſie <lb/>in gewaltigen Bogen darüber hinſchießen, ſie in eine mächtige, <lb/>rieſig große Glocke von Waſſer hüllend.</s> <s xml:id="echoid-s5773" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5774" xml:space="preserve">Auf der Galerie, welche die Laterne breit umgiebt, wagt <lb/>in ſolchem Augenblick kein Menſch zu ſtehen, doch in der <lb/>Laterne, nur durch die dicken Spiegelglasſcheiben von dem <lb/>Alles verſchlingenden Waſſerfall getrennt, verrichten auch bei <lb/>dem wildeſten Toben des Meeres die Leute ruhig und furcht-<lb/>los ihren Dienſt, putzen die Gläſer, wiſchen die Lampenſchirme <lb/>ab, um ſie ſtets in gleichem Glanze zu erhalten, und glauben, <lb/>ſie ſeien vollkommen ſicher, weil der Bau des ganzen Turmes <lb/>und des Geſimſes den Waſſerſtrahlen eine ſolche Richtung giebt, <lb/>daß nichts die Fenſterſcheiben treffen kann. </s> <s xml:id="echoid-s5775" xml:space="preserve">Der Turm ſtand <lb/>über 100 Jahre, bis er ſchließlich doch durch den unaufhörlichen <lb/>Kampf mit Wellen und Stürmen baufällig wurde. </s> <s xml:id="echoid-s5776" xml:space="preserve">Man zog <lb/>es daher vor, um ihm das tragiſche Schickſal des Winſtanley-<lb/>ſchen Turmes zu erſparen, ihn Ende der 70er Jahre abzu-<lb/>reißen und ließ durch den Baumeiſter I. </s> <s xml:id="echoid-s5777" xml:space="preserve">N. </s> <s xml:id="echoid-s5778" xml:space="preserve"><emph style="sp">Douglas</emph> einen <lb/>noch ſtattlicheren Neubau von 42 m Höhe aufführen, deſſen <lb/>Licht 27 km weit ſichtbar iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5779" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div231" type="section" level="1" n="155"> <head xml:id="echoid-head176" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXI. Der Leuchtturm von Bellrock.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5780" xml:space="preserve">Dieſer iſt einer der neueren Leuchttürme und wurde im <lb/>Jahre 1807 begonnen, liegt an der ſchottiſchen Küſte zwei <lb/>Meilen ſüdlich von Rhedhead in Forfaxſhire, dem Eingang <lb/>zum Firth of Forth gegenüber, auf dem ſogenannten Bellrock <lb/>(Glockenfelſen), welcher von jeher der Schiffahrt höchſt gefähr-<lb/>lich geweſen, wesbalb ſchon in den älteſten Zeiten ein Abt <pb o="63" file="481" n="481"/> von Aberbrothik einen ſchwimmenden Apparat daſelbſt verankern <lb/>ließ, welcher eine große, weit tönende Glocke trug, die zu läuten <lb/>begann, ſobald der Sturm die See erregte, wodurch die nahenden <lb/>Schiffe gewarnt wurden. </s> <s xml:id="echoid-s5781" xml:space="preserve">Von dieſer Glocke (Bell) ſoll der <lb/>Felſen ſeinen Namen haben.</s> <s xml:id="echoid-s5782" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5783" xml:space="preserve">Die größte Länge des gefährlichen Felſens iſt 1427 Fuß, <lb/>die größte Breite 300 Fuß; </s> <s xml:id="echoid-s5784" xml:space="preserve">die Oberfläche iſt ſehr ungleich <lb/>und voller Löcher. </s> <s xml:id="echoid-s5785" xml:space="preserve">Der nordöſtlichſte Teil, welcher der höchſte <lb/>iſt und auf welchem alſo auch der Leuchtturm ſteht, hat eine <lb/>Länge von 420 und eine Breite von 230 Fuß. </s> <s xml:id="echoid-s5786" xml:space="preserve">Der Felſen <lb/>beſteht aus rötlichem Sandſtein von ungewöhnlicher Härte, <lb/>der deshalb ſehr ſchwer zu bearbeiten iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5787" xml:space="preserve">Bei voller See <lb/>ſteht dieſer Teil zwölf Fuß, der übrige Felſen 16 Fuß unter <lb/>Waſſer.</s> <s xml:id="echoid-s5788" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5789" xml:space="preserve">Am 10. </s> <s xml:id="echoid-s5790" xml:space="preserve">Auguſt 1807 begann die Arbeit an dem zu bauenden <lb/>Leuchtturm damit, daß man die Stelle, welche er einnehmen <lb/>ſollte, mit Piken und anderen Meißelinſtrumenten von See-<lb/>gewächſen reinigte und die Unebenheiten und Hervorragungen <lb/>einigermaßen ebnete. </s> <s xml:id="echoid-s5791" xml:space="preserve">Die Arbeit dauerte ſehr kurze Zeit: </s> <s xml:id="echoid-s5792" xml:space="preserve">kaum <lb/>zwei Stunden geſtattete die Ebbe; </s> <s xml:id="echoid-s5793" xml:space="preserve">man mußte mit Beginn der-<lb/>ſelben vom Lande abfahren, brachte die Zeit des niedrigſten <lb/>Standes auf dem Felſen zu und wenn ſich das Meer wieder <lb/>erhob, verließen die Leute in ihren Booten den Felſen.</s> <s xml:id="echoid-s5794" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5795" xml:space="preserve">In ihrer kurzen Arbeitszeit waren die Leute ſehr rüſtig <lb/>und arbeiteten mit großer Anſtrengung, auch gefiel ihnen die <lb/>lange Feierzeit ganz wohl, ſie brachten dieſelbe am Ufer oder <lb/>in ihren Booten zu, beſchäftigten ſich mit Fiſchangeln, mit <lb/>Spielen, Singen, Tanzen und, da ſie ſehr gut bezahlt wurden, <lb/>auch mit Trinken, Karten- und Würfelſpiel. </s> <s xml:id="echoid-s5796" xml:space="preserve">Allein dieſe wüſte <lb/>Lebensweiſe und dieſe geringe Arbeit konnte dem Baumeiſter <lb/><emph style="sp">Stevenſon</emph> nicht genügen, deshalb dachte er auf Mittel, die <lb/>Arbeitszeit zu verlängern und das ewige Herüber- und Hin-<lb/>überfahren zum und vom Lande unnötig zu machen.</s> <s xml:id="echoid-s5797" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="64" file="482" n="482"/> <p> <s xml:id="echoid-s5798" xml:space="preserve">Es ſchien hierzu ein geeignetes Mittel, ein mäßig großes <lb/>Schiff zu mieten und für einige Zeit ſo nahe als möglich an <lb/>den Felſen vor Anker zu legen, allein dies Mittel lag viel-<lb/>leicht zu nahe, um von dem großen Baumeiſter aufgefaßt zu <lb/>werden, darum wählte er ein anderes. </s> <s xml:id="echoid-s5799" xml:space="preserve">Durch ſehr ſtarke Eiſen-<lb/>ſtangen, welche in den Felſen eingeſenkt wurden, verband er <lb/>ſechs Balken, von etwa 50 Fuß Länge, zu einer Art von Zelt-<lb/>gerüſt, ſo daß ſie unten weit auseinander ſtanden, oben aber <lb/>in einer Spitze zuſammen liefen. </s> <s xml:id="echoid-s5800" xml:space="preserve">Zwei Fuß über dem höchſten <lb/>Waſſerſtande wurde nun eine horizontale Fläche aus Balken <lb/>und Bohlen gebildet, welche den Leuten während der Ruhe-<lb/>zeit zum Aufenthaltsort diente. </s> <s xml:id="echoid-s5801" xml:space="preserve">Die ſechsſeitige Pyramide aus <lb/>Balken, welche ſich darüber erhob, ward mit Schindeln gedeckt <lb/>und gab ſo eine ſichere Bedachung.</s> <s xml:id="echoid-s5802" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5803" xml:space="preserve">Auf dieſem Gerüſte ward nun neben einem Kochherd und <lb/>allem, was zu den notwendigſten Bedürfniſſen erforderlich, auch <lb/>noch eine Schmiede eingerichtet, um die auf dem harten Geſtein <lb/>ſehr ſchnell ſtumpf werdenden Werkzeuge zu ſchärfen, und nachdem <lb/>dieſes geſchehen, ward zur eigentlichen Arbeit an den Turm ge-<lb/>ſchritten.</s> <s xml:id="echoid-s5804" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5805" xml:space="preserve">Ein Unfall, welcher leicht der Hälfte der Mannſchaft hätte <lb/>das Leben koſten können, mochte wohl am meiſten Veranlaſſung <lb/>zur Errichtung dieſes Nothauſes gegeben haben. </s> <s xml:id="echoid-s5806" xml:space="preserve">Bei der Arbeit <lb/>beſchäftigt, hatten die Leute vergeſſen, auf ihre Fahrzeuge die <lb/>nötige Aufmerkſamkeit zu richten, und ſo war die Schaluppe <lb/>von den Wellen losgeriſſen und fortgetrieben worden. </s> <s xml:id="echoid-s5807" xml:space="preserve">Als <lb/>nun die Zeit der Flut herannahte, fand man nur zwei kleine <lb/>Boote am Felſen, welche höchſtens die Hälfte der Mannſchaft <lb/>zu faſſen imſtande waren. </s> <s xml:id="echoid-s5808" xml:space="preserve">Niemand wußte zu raten, zu helfen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5809" xml:space="preserve">ſelbſt wenn man ſchwimmend, nur mit einer Hand das Boot <lb/>anfaſſend, um ſich über Waſſer zu halten, hätte verſuchen <lb/>wollen, das Land zu erreichen, wäre dies vergeblich geweſen, <lb/>indem die Entfernung zu groß und das Meer zu ſtürmiſch <pb o="65" file="483" n="483"/> war, um auf ſolche Weiſe Rettung zu gewähren. </s> <s xml:id="echoid-s5810" xml:space="preserve">— So ſahen <lb/>denn alle einem gewiſſen Tode entgegen, als ein merkwürdiges <lb/>Glück, gerade da die Gefahr ihren Gipfel erreicht zu haben <lb/>ſchien und das Flutwaſſer ſchon die Füße der verzweifelten <lb/>Mannſchaft beſpülte, einen Lotſen mit einer Schaluppe herbei-<lb/>führte, welcher dem Baumeiſter Briefe brachte.</s> <s xml:id="echoid-s5811" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5812" xml:space="preserve">Der Menſch ſieht gerne jeden ihm günſtigen Zufall als <lb/>ein für ihn eigens von der Vorſehung angeſtelltes Wunder an, <lb/>ſo betrachteten auch die Arbeiter dieſe Rettung als ein Zeichen <lb/>der beſonderen Gu<unsure/>ade Gottes, der ſo wackere Leute, wie ſie, <lb/>ſich und ſeinem Dienſte habe erhalten wollen. </s> <s xml:id="echoid-s5813" xml:space="preserve">In dieſem <lb/>Glauben arbeiteten ſie von da an mit verdoppeltem Eifer, bis <lb/>der Spätherbſt ſie zwang, ihren Poſten für ein Halbjahr zu <lb/>verlaſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5814" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5815" xml:space="preserve">Bis zum Mai des Jahres 1808 blieb nun die Arbeit <lb/>ruhen; </s> <s xml:id="echoid-s5816" xml:space="preserve">dann wurde eine Eiſenbahn zum Transport der Steine <lb/>nach dem Ufer angelegt und nunmehr das maſſenhafte Geſtein <lb/>viel leichter herbeigeſchafft, ſo daß man in der Mitte des Juli <lb/>bereits die ganze Grundfläche gelegt ſah und der Rand ſich <lb/>verjüngt erhob, auf welchen man nunmehr täglich 15 bis 20 <lb/>der ſchwerſten Blöcke ſetzte, alle ſo behauen, daß ſie ſowohl <lb/>unter ſich durch Schwalbenſchwänze verbunden, als auch durch <lb/>ſtarke Zapfen, die in Vertiefungen der unteren Steine paßten, <lb/>mit dieſen unverrückbar vereinigt wurden.</s> <s xml:id="echoid-s5817" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5818" xml:space="preserve">Trotz der beſten Anſtalten hatte man immer doch noch <lb/>mit großen Gefahren zu kämpfen, denn nicht ſelten wälzte der <lb/>ſich erhebende Wind während der Arbeit ſo ſtarke und ſo heftig <lb/>brandende Wellen über den Felſen, daß die Leute alle zu-<lb/>ſammen fürchteten, hinweg geſpült zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s5819" xml:space="preserve">Ein andermal, <lb/>als man, wie dieſes oft geſchah, zur Ebbezeit auch während <lb/>der Nacht arbeitete, löſchte ein heftiger Windſtoß plötzlich alle <lb/>Fackeln aus, und die Arbeiter befanden ſich in der dichteſten <lb/>Finſternis und, bei dem Sturme auch nicht im ſtande, von</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5820" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s5821" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s5822" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s5823" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="66" file="484" n="484"/> <p> <s xml:id="echoid-s5824" xml:space="preserve">neuem Licht zu machen, waren ſie anfangs allein angewieſen <lb/>auf das Leuchten des Meeres und den Phosphorſchein der an <lb/>dem Felſen brandenden Wogen, welcher durch eine unzählige <lb/>Maſſe kleiner, gallertartiger Tiere hervorgebracht wird, die im <lb/>Meere leben und ihren wunderbaren Schein bei jeder Be-<lb/>rührung mit irgend einem feſten Körper, jedoch auch ohne <lb/>dieſen, freiwillig abgeben oder zurückhalten, wie die Johannis-<lb/>würmchen und andere leuchtende Käfer.</s> <s xml:id="echoid-s5825" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5826" xml:space="preserve">Nach kurzer Zeit aber fanden ſie, daß ſie beinahe eben ſo <lb/>gut ohne Fackeln arbeiten konnten, indem die längſten Tage <lb/>unter dem 55. </s> <s xml:id="echoid-s5827" xml:space="preserve">Grad der Breite beinahe achtzehn Stunden <lb/>meſſen und die Nacht zur bloßen Dämmerung wird, wie wir <lb/>in Norddeutſchland ja ſelbſt unter dem 51. </s> <s xml:id="echoid-s5828" xml:space="preserve">bis 53. </s> <s xml:id="echoid-s5829" xml:space="preserve">Grad ſchon <lb/>wiſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5830" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5831" xml:space="preserve">Als die ungewöhnlich früh ſehr rauh werdende Witterung <lb/>den Baumeiſter nötigte, ſeine Arbeit ſchon im September ein-<lb/>zuſtellen, hatte man den Unterbau fünf Fuß hoch über die <lb/>Grund- und Felſenfläche erhoben; </s> <s xml:id="echoid-s5832" xml:space="preserve">derſelbe beſtand aus vier-<lb/>hundert Blöcken, jeder von circa 20 Kubikfuß Raumesinhalt <lb/>und einem Gewicht von mehr als 2000 Pfund. </s> <s xml:id="echoid-s5833" xml:space="preserve">Man hatte, <lb/>um die Steine an einander zu treiben, 738 ſtarke, eiſerne <lb/>Klammern und 1260 eiſerne Keile verbraucht, und die Arbeit <lb/>an dem Turme war in 80 Stunden vollbracht worden. </s> <s xml:id="echoid-s5834" xml:space="preserve">Man <lb/>hatte zwar der Arbeitsſtunden in dem Sommer 265 gehabt, <lb/>allein drei Vierteile der Zeit war auf das Landen und Hinauf-<lb/>ſchaffen der Steine verwendet, nur 80 Stunden lang konnte <lb/>an dem Turme ſelbſt gebaut werden.</s> <s xml:id="echoid-s5835" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5836" xml:space="preserve">Im April des Jahres 1809 begann die Arbeit von neuem, <lb/>und zur großen Freude der Arbeiter war an dem hölzernen <lb/>Werke während des ganzen Winters nichts beſchädigt worden, <lb/>daher die wackeren Leute mit unbeſiegbarem Vertrauen auf die <lb/>Sicherheit ihres Wohnortes die Arbeit fortſetzten und ſich nur <lb/>bei ſehr ſtürmiſchem Wetter, und dann auch nur bei Nacht, <pb o="67" file="485" n="485"/> auf die noch mehr Sicherheit bietende Schaluppe begaben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5837" xml:space="preserve">Auch des Architekten Freude war nicht gering, als er bemerkte, <lb/>daß Wind und Wellen nicht einen Stein verrückt hatten, daß <lb/>nichts an dem ganzen Unterbau beſchädigt worden ſei.</s> <s xml:id="echoid-s5838" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5839" xml:space="preserve">Die Arbeiten gingen jetzt ſchon darum ſchneller von ſtatten, <lb/>weil mit jedem Fuß, um den ſich der Bau erhob, die Arbeits-<lb/>zeit verlängert wurde, da die Flut den höher gelegenen Teil <lb/>ſpäter erreichte und früher verließ, als den niedrigeren. </s> <s xml:id="echoid-s5840" xml:space="preserve">Darum <lb/>und weil ſonſt auch noch der Baumeiſter manche ſehr zweck-<lb/>mäßige Anordnungen traf, die Warte mit dem Bau durch <lb/>Leitern verband, die Steine vorher am Lande ſehr genau be-<lb/>hauen und in einander paſſen ließ u. </s> <s xml:id="echoid-s5841" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s5842" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s5843" xml:space="preserve">, kam man binnen <lb/>drei Monaten um 24 Fuß höher, ſo daß der Turm jetzt ſchon <lb/>eine Höhe von 29 Fuß hatte. </s> <s xml:id="echoid-s5844" xml:space="preserve">Leider mußte die Arbeit ſchon <lb/>Ende Auguſt aufgegeben werden.</s> <s xml:id="echoid-s5845" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5846" xml:space="preserve">Die Arbeiten des Mai 1810 begannen damit, daß man <lb/>von der Warte nach dem Turm eine breite Brücke ſchlug, <lb/>dann aber rüſtig fortrückte, bis der Turm 50 Fuß hoch war. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5847" xml:space="preserve">Hier legte der Baumeiſter die Thür an, zu welcher außer-<lb/>halb vom Turm herab in gewundener Linie um den Turm <lb/>als Kern eine Wendeltreppe, ganz aus Kanonenmetall ge-<lb/>goſſen, lief, die gitterartig durchſichtig, ſelbſt große Zähigkeit <lb/>und Kraft hatte und doch den Wellen möglichſt wenig Wider-<lb/>ſtand bot.</s> <s xml:id="echoid-s5848" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5849" xml:space="preserve">Wo die Thür ſich befand, hatte die Mauer des Turmes <lb/>noch eine Dicke von ſieben Fuß, und abgeſehen von der Stütze, <lb/>die bei der runden Form des Turmes jeder Stein ſchon am <lb/>audern fand, war doch die Widerſtandsfähigkeit des Ganzen <lb/>noch dadurch um ein bedeutendes vermehrt worden, daß der <lb/>innere, hohle Raum durch vier Stockwerke übereinander <lb/>ſtehender Gewölbe ausgefüllt war, welche mit ihren zwei Fuß <lb/>dicken Gewölbdecken, durch einen Mittelpfeiler von zehn Fuß <lb/>Dicke getragen, eine vollkommene Sicherheit gegen jedes Natur- <pb o="68" file="486" n="486"/> ereignis, außer gegen ein Erdbeben, gewähren mußten. </s> <s xml:id="echoid-s5850" xml:space="preserve">Die <lb/>Gewölbe waren die Vorratskammern für die Turmwärter.</s> <s xml:id="echoid-s5851" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5852" xml:space="preserve">Noch wurde der Turm um 65 Fuß erhöht, ſo daß er im <lb/>ganzen 115 Fuß maß, dabei wurden natürlich die Mauern <lb/>immer ſchwächer, wie ſich der Turm verjüngte, ſo daß ſie oben <lb/>nur noch 1 {1/2} Fuß Dicke hatten.</s> <s xml:id="echoid-s5853" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5854" xml:space="preserve">Dieſe Höhe wurde am 30. </s> <s xml:id="echoid-s5855" xml:space="preserve">Juli des Jahres 1810 erreicht <lb/>und der letzte Stein mit großer Feierlichkeit gelegt, dann aber <lb/>zur Anfertigung der Laterne und den übrigen Einrichtungen <lb/>geſchritten; </s> <s xml:id="echoid-s5856" xml:space="preserve">dieſe nahmen noch beinahe ein halbes Jahr in <lb/>Anſpruch, denn erſt gegen das Ende des Dezember konnten <lb/>die Wärter ihre neue, in dem oberen Teile des Turmes ſehr <lb/>bequem eingerichtete, geräumige Wohnung beziehen, was unter <lb/>Sturm und Wogengeheul geſchah. </s> <s xml:id="echoid-s5857" xml:space="preserve">Die Feſtigkeit des Turmes <lb/>iſt ſehr groß, und da er beinahe 90 Jahre ſteht und in dieſer <lb/>Zeit die furchtbarſten Stürme über ihn ergangen ſind, ohne <lb/>daß er das Geringſte gelitten, ſo hält man ihn für vollkommen <lb/>ſicher. </s> <s xml:id="echoid-s5858" xml:space="preserve">Die Fenſter ſind natürlich doppelt und von dem ſtärkſten <lb/>Spiegelglaſe; </s> <s xml:id="echoid-s5859" xml:space="preserve">vor einem jeden derſelben befindet ſich eine Luken-<lb/>klappe, welche ſich wie die Decke der Kanonen-Luken auf <lb/>Kriegsſchiffen bewegt, wenn ſie bei ſchlechtem Wetter aber ge-<lb/>ſchloſſen iſt, mit dem Turm ſo in gleicher Linie fortläuft, daß <lb/>die Wellen, wenn ſie bis dahin reichen ſollten, daſelbſt keinen <lb/>Angriffspunkt finden.</s> <s xml:id="echoid-s5860" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5861" xml:space="preserve">Die Wärter, deren immer drei dort wohnen, verſichern, <lb/>daß wenn die Doppelfenſter und die Läden geſchloſſen ſeien, <lb/>man auch bei dem heftigſten Sturm kaum ein Geräuſch höre, <lb/>wiewohl ein Zittern des ganzen Gebäudes ſehr deutlich wahr-<lb/>nehmbar ſei. </s> <s xml:id="echoid-s5862" xml:space="preserve">Damit übrigens durch die Wölbungen kein Druck <lb/>nach Außen ſtattfinde, hat der Baumeiſter von der Eingangs-<lb/>thür aufwärts keine mehr angebracht, ſondern auf dem Mantel <lb/>der ſteinernen Wendeltreppe, welche in der Mitte auf dem ge-<lb/>waltigen Pfeiler ſteht, der die unterſten Gewölbe trägt, lange, <pb o="69" file="487" n="487"/> ſteinerne Balken gelegt, die wie vier Radien von der Mitte <lb/>nach dem Umfange des Kreiſes gehen, und auf denen dann der <lb/>Fußboden liegt, gleichfalls von Stein, damit im ganzen Ban <lb/>kein Holz verwendet werde. </s> <s xml:id="echoid-s5863" xml:space="preserve">Selbſt die Thüren, welche nach <lb/>außen führen, und die Luken ſind von Kanonenmetall; </s> <s xml:id="echoid-s5864" xml:space="preserve">dasſelbe <lb/>gilt von den Rahmen für das Glas der Laterne.</s> <s xml:id="echoid-s5865" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5866" xml:space="preserve">Natürlich fehlen auf dem ſteinernen Fußboden Schilfmatten <lb/>und auf dieſen dann wollene Teppiche nicht, ſo daß dem <lb/>engliſchen Komfort auch in dieſer Hinſicht Rechnung getragen <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s5867" xml:space="preserve">Ein deutſcher Turmwärter würde nicht ſo viele <lb/>Prätenſionen machen; </s> <s xml:id="echoid-s5868" xml:space="preserve">der engliſche aber wird gepflegt wie <lb/>ein Prinz, ja der engliſche Fabrikarbeiter muß am Sonntage <lb/>ſein Stück Rinderbraten von 25 Pfund auf dem Tiſche ſehen <lb/>(wovon er allerdings mit ſeiner Familie die ganze Woche <lb/>zehrt) und muß täglich ſeinen Thee, Zucker und Rum, Ale <lb/>oder Porter, muß täglich Weizenbrot, friſche Butter, weich ge-<lb/>ſottene Eier, rohen Schinken und geröſtete Semmeln zum Früh-<lb/>ſtück und Abendbrot haben, und hat er dieſes durch Mangel <lb/>an Arbeit eine kurze Zeit nicht, ſo hängt er ſich aus Not und <lb/>aus Verzweiflung über die ſchreckliche Not auf. </s> <s xml:id="echoid-s5869" xml:space="preserve">Man kann alſo <lb/>denken, daß für die Verpflegung und für die Bequemlichkeit <lb/>ſo notwendiger Leute nach beſten Kräften geſorgt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5870" xml:space="preserve">Auch <lb/>dafür, daß ſie mit dem Lande durch Signalflaggen und durch <lb/>Brieftauben in Verbindung bleiben, hat man das Nötige ge-<lb/>than, und den Familien der Wärter hat man am Meeresufer, <lb/>11 engliſche Meilen von dem Leuchtturm, ein Wohnhaus ge-<lb/>baut, von wo aus ſie wöchentlich mit friſchen Lebensmitteln <lb/>verſehen werden. </s> <s xml:id="echoid-s5871" xml:space="preserve">Für die Winterszeit geſchieht das immer auf <lb/>mehrere Monate voraus.</s> <s xml:id="echoid-s5872" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5873" xml:space="preserve">Begreiflich iſt, daß nicht alle Leuchttürme ſo ſchwierig zu <lb/>erbauen und ſo koſtbar ſind; </s> <s xml:id="echoid-s5874" xml:space="preserve">der letztgedachte hat 500 000 Thlr. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5875" xml:space="preserve">gekoſtet, das Gewicht der Steine beträgt, ihrem Kubikinhalt <lb/>nach berechnet, 10 Millionen Pfund; </s> <s xml:id="echoid-s5876" xml:space="preserve">allein es iſt hier gerade <pb o="70" file="488" n="488"/> der großen Schwierigkeiten wegen darauf eingegangen, um zu <lb/>zeigen, bis zu welchem Grade der ſchwache, nackt geborene <lb/>Menſch, dem nicht die Kräfte eines Elephanten oder eines <lb/>Walfiſches zu Gebote ſtehen, im ſtande iſt, den Naturgewalten <lb/>zu trotzen, ſie zu beſiegen. </s> <s xml:id="echoid-s5877" xml:space="preserve">Der Schlüſſel zu dieſem großen <lb/>Rätſel heißt “Verſtand”. </s> <s xml:id="echoid-s5878" xml:space="preserve">Die geiſtige Kraft verſtärkt ſeine <lb/>phyſiſche um das Tauſendfache, um das Millionenfache, — <lb/>was ſind die Zahlen! ſie geben keinen Begriff von der Größe <lb/>der Macht des Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s5879" xml:space="preserve">Wohl hat Archimedes recht, wenn <lb/>er ſagt: </s> <s xml:id="echoid-s5880" xml:space="preserve">“gieb mir einen Stützpunkt außer der Erde, ſo will <lb/>ich dieſe ſelbſt aus ihren Angeln heben.</s> <s xml:id="echoid-s5881" xml:space="preserve">” Es giebt keine <lb/>Größe, welche der Menſch für zu groß, für unerreichbar zu <lb/>achten nötig hätte, und wollte er den Oſſa auf den Pelion <lb/>und beide auf den Olymp ſetzen, wie die Titanen wollten in <lb/>der Fabelzeit, ſo würde er es können, denn eines Menſchen <lb/>Kraft wird durch eine Dampfmaſchine und ein paar Centner <lb/>Kohlen ſo vermehrt, daß er gar nicht nötig hätte, ſich ſo enge <lb/>Grenzen zu ſtecken; </s> <s xml:id="echoid-s5882" xml:space="preserve">falls es ihm nicht an atembarer Luft fehlte, <lb/>würde er den Chimborazo auf den Himalaya ſetzen können — <lb/>was nun erſt, wenn viele Menſchen und viele Dampfmaſchinen <lb/>zuſammen wirken.</s> <s xml:id="echoid-s5883" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5884" xml:space="preserve">Iſt denn aber der Verſtand wirklich allein dem Menſchen <lb/>eigen, haben Tiere nicht auch Verſtand? </s> <s xml:id="echoid-s5885" xml:space="preserve">Man erzählt ein <lb/>Märchen von jemandem, der einen Affen zum Schachſpiele <lb/>abgerichtet habe, welcher dann beſſer geſpielt haben ſoll, als <lb/>Philidor — das iſt unzweifelhaft ein Märchen, allein, daß die <lb/>Ameiſen ſich Chauſſeen bauen, das iſt doch Thatſache. </s> <s xml:id="echoid-s5886" xml:space="preserve">Der <lb/>Affe trägt kein Stück Holz zu dem erlöſchenden Feuer, aber <lb/>die Ameiſe verbindet ſich mit vielen anderen zu einer gemein-<lb/>ſchaftlichen, nützlichen Arbeit und führt dieſe, je nach den Um-<lb/>ſtänden anders, aber immer zweckmäßig aus, und die amerika-<lb/>niſche Ameiſe, die Termite, baut ſich gar bedeckte, feſt gewölbte <lb/>Wege, bereitet ſich einen trefflichen Mörtel, den ſie aus ver- <pb o="71" file="489" n="489"/> ſchiedenen Subſtanzen miſcht, knetet, und dann erſt verwendet; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5887" xml:space="preserve">ſie geht auf Krieg aus und raubt ſich Sklaven, andere größere <lb/>Ameiſen, oder große, käferartige Wanzen, welche ſie trotz ihrer <lb/>zehnfach bedeutenderen Maſſe doch bezwingt, zum Tragen ihrer <lb/>Laſten braucht, in Ordnung, in Zügel hält, ſie ſoldatiſch in <lb/>Reihen marſchieren läßt, die Säumigen antreibt, beſtraft, die <lb/>Ermüdeten wohl gar tötet, nach gethaner Arbeit ſie in große <lb/>Behälter treibt, einſperrt und bewacht, ja jeden Fluchtverſuch <lb/>mit dem Tode ſtraft. </s> <s xml:id="echoid-s5888" xml:space="preserve">Alles dieſes fordert oder beweiſt Über-<lb/>legung, und daß eine die andere herbeiruft, um eine Gefahr <lb/>gemeinſchaftlich abzuwenden, zeigt, daß ſie ſogar eine Sprache <lb/>haben müſſen — und doch — was iſt das nun wieder — wenn <lb/>man einen ihrer Minenwege entdeckt, ihn durchſchneidet und <lb/>davor eine Grube macht, welche Feuer enthält, ſo ſtürzen ſich <lb/>alle Termiten, die es erreichen können, hinein und würden es <lb/>mit ihren Körpern auslöſchen, wenn man nicht dafür ſorgte, <lb/>daß die halb verbrannten weggeſchafft und den nacheilenden <lb/>Platz gemacht würde, bis der Termitenbau leer iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5889" xml:space="preserve">Da iſt <lb/>nun wieder kein Verſtand. </s> <s xml:id="echoid-s5890" xml:space="preserve">So iſt er ſchließlich doch wohl nur <lb/>dem Menſchen eigen? </s> <s xml:id="echoid-s5891" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s5892" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s5893" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s5894" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s5895" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5896" xml:space="preserve">Der Leuchtturm von Bellrock eröffnet für die Beleuchtungs-<lb/>art eine neue Ära. </s> <s xml:id="echoid-s5897" xml:space="preserve">Man hatte bis dahin nur Flammenfeuer <lb/>gehabt, war, wie bei dem Leuchtturm auf dem Eddyſtone, zu <lb/>Lampen übergegangen und hatte den zweiten der oben bezeich-<lb/>neten Wege eingeſchlagen, man hatte die Strahlung parallel <lb/>zu machen verſucht; </s> <s xml:id="echoid-s5898" xml:space="preserve">jetzt hatte man beſſere, jetzt hatte man <lb/>Argand’ſche Lampen, jetzt war ſchon eher etwas Tüchtiges zu <lb/>erreichen.</s> <s xml:id="echoid-s5899" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="72" file="490" n="490"/> </div> <div xml:id="echoid-div232" type="section" level="1" n="156"> <head xml:id="echoid-head177" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXII. Beleuchtung der neueren Leuchttürme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5900" xml:space="preserve">Um die von einem leuchtenden Punkte ausgehenden <lb/>Strahlen parallel zu machen, kann man ſich der Spiegelung, <lb/>kann man ſich der Brechung bedienen. </s> <s xml:id="echoid-s5901" xml:space="preserve">Wir können hier nicht <lb/>auf die Grundſätze der Phyſik zurückgehen, ſondern müſſen dieſe <lb/>als bekannt vorausſetzen, allein das Techniſche an der Sache <lb/>dürfen wir nicht unberührt laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5902" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5903" xml:space="preserve">Wenn in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5904" xml:space="preserve">15 MN einen Hohlſpiegel vorſtellt, der <lb/>ein Stück einer Kugel bildet von einem Radius MC, ſo daß <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-490-01a" xlink:href="fig-490-01"/> die innere, nach dem Mittelpunkt gerichtete Fläche die polierte <lb/>iſt, ſo werden alle Strahlen, welche von dieſem Mittelpunkte C <lb/>auf den Spiegel fallen, in ſich ſelbſt zurückkehren, denn alle <lb/>Strahlen ſtehen ſenkrecht auf der Fläche des Spiegels, und <lb/>jeder Strahl geht unter demſelben Winkel von dem Spiegel <lb/>fort, unter welchem er darauf gefallen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s5905" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div232" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-490-01" xlink:href="fig-490-01a"> <caption xml:id="echoid-caption109" xml:space="preserve">Fig. 15.</caption> <variables xml:id="echoid-variables34" xml:space="preserve">M H A C E N G</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5906" xml:space="preserve">Wenn aber auf dem halben Wege zwiſchen C und dem <lb/>Spiegel, alſo in E, ein leuchtender Punkt befindlich iſt, ſo <lb/>muß dem eben ausgeſprochenen Geſetz zufolge der Strahl EM, <lb/>auf den Spiegel fallend, von demſelben unter dem Winkel re-<lb/>flektiert werden, welcher dem Winkel EMC gleich iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5907" xml:space="preserve">Dies <pb o="73" file="491" n="491"/> iſt der Winkel CMH. </s> <s xml:id="echoid-s5908" xml:space="preserve">Der Strahl EM geht alſo nach H fort <lb/>und macht bei M mit der Linie CM, welche die ſenkrechte iſt, <lb/>auf dem Spiegel im Berührungspunkte des Strahles EM er-<lb/>richtet, zwei ganz gleiche Winkel.</s> <s xml:id="echoid-s5909" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5910" xml:space="preserve">Dasſelbe findet auf der anderen Seite mit dem Strahl EN <lb/>ſtatt; </s> <s xml:id="echoid-s5911" xml:space="preserve">auch dieſer macht im Weitergehen, d. </s> <s xml:id="echoid-s5912" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s5913" xml:space="preserve">indem er re-<lb/>flektiert wird, nach G zwei ganz gleiche Winkel mit der ſenk-<lb/>rechten Linie CN, und dasſelbe findet ferner ſtatt mit einem <lb/>jeden anderen Punkt des Spiegels, durch welchen ein Strahl <lb/>aus dem Punkt E fällt. </s> <s xml:id="echoid-s5914" xml:space="preserve">Es gehen nun aber alle die zurück-<lb/>geworfenen Linien MH und NG A<unsure/>. </s> <s xml:id="echoid-s5915" xml:space="preserve">unter einander parallel <lb/>von dem Spiegel fort; </s> <s xml:id="echoid-s5916" xml:space="preserve">ſtellt man, auf dieſe Eigenſchaft ge-<lb/>krümmter Flächen ſich ſtützend, in E eine Lampe auf, ſo gehen <lb/>alle Strahlen, die auf den Spiegel fallen, parallel zurück, <lb/>nach irgend einem beliebigen Orte.</s> <s xml:id="echoid-s5917" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5918" xml:space="preserve">Es giebt ein Geſetz der Reziprozität, welches durch die <lb/>ganze Natur waltet, eine Gegenſeitigkeit der Wirkungen, welche <lb/>ſich nie verleugnet, und ſo iſt es auch hier. </s> <s xml:id="echoid-s5919" xml:space="preserve">Da die Strahlen, <lb/>welche aus E auf den Spiegel fallen, von demſelben parallel <lb/>zurückgeworfen werden, ſo müſſen Strahlen, welche parallel <lb/>auf den Spiegel fallen, nach dem Punkt E zurückgeworfen <lb/>werden, und wenn eine kleine Flamme für den fernen Be-<lb/>ſchauer dadurch, daß ſie im Punkte E ſteht, die Ausdehnung <lb/>des Spiegels erhielt, ſo muß nach dem Geſetze der Rezipro-<lb/>zität eine parallele Strahlenmaſſe von der Ausdehnung des <lb/>Spiegels, wenn ſie auf denſelben fällt und reflektiert wird, <lb/>in dem Punkt E zur kleinen Flamme werden. </s> <s xml:id="echoid-s5920" xml:space="preserve">Weil dies nun <lb/>alles wirklich ſo iſt, ſo nennt man E den Brennpunkt, denn <lb/>in ihm konzentrieren ſich die Strahlen, wenn ſie nur leuchtend <lb/>ſind, zu einem ſehr lebhaften Licht, und wenn ſie auch wär-<lb/>mend ſind, zu einer ſehr großen Hitze, eine Eigenſchaft, welche <lb/>mannigfaltig techniſch benutzt wird, von welcher wir hier aber <lb/>keinen Gebrauch machen, da es uns nicht auf das Konzen- <pb o="74" file="492" n="492"/> trieren, ſondern auf das parallele Fortſchicken des Lichtes <lb/>ankommt.</s> <s xml:id="echoid-s5921" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5922" xml:space="preserve">Die Eigenſchaft, die Strahlen parallel zu machen, haben <lb/>aber nicht bloß die Kugelflächen (dieſe haben ſie ſogar <lb/>nur ſehr unvollkommen), ſondern mehrere andere, unter denen <lb/>vorzugsweiſe die paraboliſche Fläche als die beſte genannt <lb/>werden muß. </s> <s xml:id="echoid-s5923" xml:space="preserve">Wenn man diejenige krumme Linie, welche der <lb/>Mathematiker “Parabel” nennt, um ihre Axe dreht, ſo entſteht <lb/>eine ſolche hohle Fläche, welche, wenn ſie inwendig poliert iſt, <lb/>einen paraboliſchen Spiegel giebt. </s> <s xml:id="echoid-s5924" xml:space="preserve">Auch hier iſt ein Brenn-<lb/>punkt, in welchem die parallelen Strahlen zuſammen kommen, <lb/>oder von welchem, nach dem Geſetz der Reziprozität, die <lb/>Strahlen parallel zurückgeworfen werden, nur viel genauer, als <lb/>wenn der Spiegel ein Stück einer Kugelfläche wäre.</s> <s xml:id="echoid-s5925" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5926" xml:space="preserve">Man bedient ſich dieſer Spiegel ſchon ſeit langer Zeit <lb/>mit großem Vorteil zur Straßenbeleuchtung und zwar nicht <lb/>allein, weil die Strahlen ſehr gut auf große Entfernungen <lb/>zurück geworfen werden, ſondern weil man ſehr viel mehr <lb/>Strahlen auffängt, als bei einem kreisförmigen Spiegel. </s> <s xml:id="echoid-s5927" xml:space="preserve">Bei <lb/>dieſem wird nur ein kleiner Teil der rückwärts von dem zu <lb/>beleuchtenden Gegenſtande gehenden Lichtſtrahlen aufgefangen, <lb/>bei einem paraboliſchen Spiegel ſteht das Licht aber nicht vor <lb/>demſelben, ſondern in demſelben und alle Strahlen, welche auf <lb/>der ganzen, nach dem Gegenſtande der Beleuchtung gerichteten <lb/>Fläche auffallen, werden dorthin reflektiert, acht bis zehnmal <lb/>mehr, als von einem Kugelſpiegel zurückgeworfen werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5928" xml:space="preserve">Dazu hat die Parabel die Eigenſchaft, ſich zuſammenſetzen zu <lb/>laſſen und ſo zu geſtatten, daß die Strahlen einer Flamme <lb/>nach ſehr verſchiedenen Richtungen geworfen werden, indem <lb/>man nur die vorderen großen Abteilungen derſelben benutzt <lb/>und das Zentrum herausſchneidet. </s> <s xml:id="echoid-s5929" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5930" xml:space="preserve">16 zeigt den Durch-<lb/>ſchnitt eines ſolchen Straßenſpiegels. </s> <s xml:id="echoid-s5931" xml:space="preserve">Die eine wie die andere <lb/>Seite iſt ein ringförmiger Teil der Parabel, ein Keſſel ohne <pb o="75" file="493" n="493"/> Boden. </s> <s xml:id="echoid-s5932" xml:space="preserve">Beide Teile ſind ſo aneinander gefügt, daß die Lampe <lb/>in demjenigen Punkte ſteht, der beiden Teilen zum gemein-<lb/>ſchaftlichen Brennpunkte dient, die Laterne leuchtet alſo nach <lb/>zwei verſchiedenen Seiten. </s> <s xml:id="echoid-s5933" xml:space="preserve">Was nun an dieſer Beleuchtungs-<lb/>art unzweckmäßig für die Straße iſt, das iſt ſehr zweckmäßig <lb/>für den Leuchtturm. </s> <s xml:id="echoid-s5934" xml:space="preserve">Dieſer ſoll ja nicht die See beleuchten, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-493-01a" xlink:href="fig-493-01"/> ſo daß man ſeinen Pfad darauf <lb/>finden kann, — da giebt es keine <lb/>betretenen Fußſteige, keine befahrenen <lb/>Chauſſeen, die man in dem Lichte <lb/>des Leuchtturmes ſucht, der Kompaß <lb/>iſt die Laterne, und die Seekarte <lb/>zeigt den Weg, den der geſchickte <lb/>Kapitän in dunkelſter Nacht findet, <lb/>— der nahende Schiffer ſoll den <lb/>Turm nur ſehen, er ſoll ihm Kunde <lb/>geben, daß dort Land, vielleicht auch, <lb/>daß dort Gefahr oder umgekehrt, <lb/>daß dort Sicherheit ſei, ein Hafen, <lb/>in welchen er einlaufen könne, und <lb/>er ſoll ihm auch womöglich zeigen, <lb/>in welcher Gegend, an was für einer <lb/>Küſte er ſei, aber den Weg beleuchten <lb/>ſoll er nicht.</s> <s xml:id="echoid-s5935" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div233" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-493-01" xlink:href="fig-493-01a"> <caption xml:id="echoid-caption110" xml:space="preserve">Fig. 16.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5936" xml:space="preserve">Dieſe Dinge alle werden erreicht, indem man eine oder <lb/>mehrere Lampen von größtmöglicher Wirkung in den Brenn-<lb/>punkt eines oder mehrerer paraboliſcher Brennſpiegel ſetzt und <lb/>dieſe ſo ſtellt, daß ſie die Strahlen ſo weit wie irgend möglich <lb/>ſenden.</s> <s xml:id="echoid-s5937" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5938" xml:space="preserve">Bei Leuchttürmen bedient man ſich gewöhnlich mehrerer <lb/>Lampen (eine kommt nicht häufig vor), und die Lampen ſind <lb/>von beſonderer Art. </s> <s xml:id="echoid-s5939" xml:space="preserve">Bekanntlich verdankt die Argand’ſche <lb/>Lampe ihre außerordentliche Wirkung dem Umſtande, daß der <pb o="76" file="494" n="494"/> kreisförmige Docht von einem doppelten Luftſtrom umſpült <lb/>wird; </s> <s xml:id="echoid-s5940" xml:space="preserve">auf die Leuchtturm-Lampen wendet man dies Prinzip <lb/>in einem noch ausgedehnteren Maße an; </s> <s xml:id="echoid-s5941" xml:space="preserve">zuvörderſt hat der <lb/>Docht nicht einen halben oder drei Viertel Zoll Durchmeſſer, <lb/>ſondern das Doppelte, es iſt mithin im Innern desſelben eine <lb/>große Öffnung, zu welcher viel Luft ſtrömen kann, ferner wird <lb/>der Docht ſehr reichlich durch Öl genährt, man hat ſogenannte <lb/>Uhrwerklampen, wie wir dieſelben bereits beſchrieben haben; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5942" xml:space="preserve">vor allem aber begnügt man ſich nicht mit einem Docht, ſondern <lb/>man ſchaltet zwei in einander, ſo daß nun ein dreifacher Luft-<lb/>ſtrom entſteht, der eine in der Mitte, der andere zwiſchen den <lb/>beiden Dochten und der dritte von außen. </s> <s xml:id="echoid-s5943" xml:space="preserve">Alle zuſammen <lb/>werden geregelt durch einen ſehr hohen Schornſtein, welcher <lb/>nur da, wo das Licht es fordert, von Glas, im Übrigen aber <lb/>von Blech iſt. </s> <s xml:id="echoid-s5944" xml:space="preserve">Die Gefahr des Zerſpringens iſt nicht da, und <lb/>man kann den Zug ſo ſtark machen als man will.</s> <s xml:id="echoid-s5945" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5946" xml:space="preserve">Dieſe Flamme ſteht im Brennraum eines paraboliſchen <lb/>Spiegels, welcher vorn eine Öffnung von ein bis anderthalb <lb/>Fuß hat. </s> <s xml:id="echoid-s5947" xml:space="preserve">Die Wirkung einer ſolchen Vorrichtung iſt ſchon ſehr <lb/>groß; </s> <s xml:id="echoid-s5948" xml:space="preserve">man hat aber gewöhnlich ein ſtarkes eiſernes Gerüſt von <lb/>15 bis 20 Fuß Höhe, auf welchem in einem Halb- oder Viertels-<lb/>kreis ſechs Lampen über einander, fünf neben einander, natür-<lb/>lich auch mehr, auch weniger in jeder Richtung ſtehen, welche <lb/>nun den Vorteil bieten, daß ſie vereint wirkend ein Viertel <lb/>oder eine Hälfte des Horizonts beſcheinen, mithin in einem <lb/>weiten Umkreiſe geſehen werden können. </s> <s xml:id="echoid-s5949" xml:space="preserve">Dafür, daß die <lb/>Strahlen ſich nicht zu ſehr nach oben und nach unten ver-<lb/>lieren, ſorgen die paraboliſchen Spiegel.</s> <s xml:id="echoid-s5950" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="77" file="495" n="495"/> </div> <div xml:id="echoid-div235" type="section" level="1" n="157"> <head xml:id="echoid-head178" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIII. Parallelismus der Strahlen durch</emph> <lb/><emph style="bf">Brechung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s5951" xml:space="preserve">Es giebt aber noch eine andere Art, die Strahlen von <lb/>einem leuchtenden Punkte an dem Fortgange nach allen Rich-<lb/>tungen zu hindern, das iſt die Brechung.</s> <s xml:id="echoid-s5952" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5953" xml:space="preserve">Wenn auf ein Brennglas MN (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5954" xml:space="preserve">17) die Strahlen <lb/>der Sonne fallen, welche man unter einander parallel anſehen <lb/>kann, ſo kommen dieſelben hinter dem Brennglaſe in dem <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-495-01a" xlink:href="fig-495-01"/> Punkte F zu einem kleinen Sonnenbilde zuſammen, in welchem <lb/>die Geſamtſchnelligkeit und Geſamtwärme, welche von der <lb/>Sonne auf dieſes Stückchen Glas fällt, vereinigt iſt (natürlich <lb/>nach Abzug eines Teiles für das Abprallen der Strahlen an <lb/>der Glasfläche und für einen anderen Teil, der von dem Glaſe <lb/>ſelbſt aufgenommen, abſorbiert wird, — Gegenſtände auf welche <lb/>wir hier nicht weiter eingehen können). </s> <s xml:id="echoid-s5955" xml:space="preserve">Man nennt darum <lb/>dieſen Punkt F den Focus oder Brennpunkt.</s> <s xml:id="echoid-s5956" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div235" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-495-01" xlink:href="fig-495-01a"> <caption xml:id="echoid-caption111" xml:space="preserve">Fig. 17.</caption> <variables xml:id="echoid-variables35" xml:space="preserve">M F N</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s5957" xml:space="preserve">Nach dem Geſetze der Reziprozität muß alſo, wenn eine <lb/>Flamme in dem Brennpunkt ſteht, diejenige Helligkeit, welche <lb/>auf das Glas MN fällt, in parallelen Strahlen durch dasſelbe <lb/>gehen. </s> <s xml:id="echoid-s5958" xml:space="preserve">Dieſes findet genau, ſo wie es vorausgeſetzt iſt, ſtatt.</s> <s xml:id="echoid-s5959" xml:space="preserve"> <pb o="78" file="496" n="496"/> Es liegt alſo hier ein Mittel, nicht nur die Lichtſtrahlen, <lb/>welche von irgend einem Punkte geradeaus gehen, in das Auge <lb/>gelangen zu laſſen, ſondern auch alle diejenigen, welche von <lb/>dieſem Punkte aus auf die ganze Fläche des Glaſes gehen, <lb/>und da man dieſes Glas ſehr groß machen kann, ſo kann man <lb/>ſehr viele Strahlen von dem leuchtenden Punkt auffangen und <lb/>parallel fortgehen laſſen.</s> <s xml:id="echoid-s5960" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5961" xml:space="preserve">Allein was wird es helfen? </s> <s xml:id="echoid-s5962" xml:space="preserve">Geſetzt, das Glas MN habe <lb/>einen Durchmeſſer von 6 Zoll und der Punkt F ſei 6 Zoll <lb/>weit davon entfernt, ſo geht eine größere Menge Strahlen <lb/>nach MN. </s> <s xml:id="echoid-s5963" xml:space="preserve">Geſetzt aber, MN ſei drei Fuß im Durchmeſſer, ſo <lb/>iſt natürlich die Entfernung des Punktes F von dem Glaſe <lb/>auch drei Fuß, und es wird auf das drei Fuß große Glas <lb/>nicht mehr Licht fallen, als auf das 6 Zoll große; </s> <s xml:id="echoid-s5964" xml:space="preserve">zugleich <lb/>nimmt aber mit der Größe die Dicke zu, und das Glas wird, <lb/>um dieſelbe Wirkung zu haben wie das kleine, fußdick, alſo <lb/>zentnerſchwer, alſo nicht gut zu regieren, zu bewegen ſein. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5965" xml:space="preserve">Wollte man mehr Strahlen auf die große Fläche bringen, ſo <lb/>müßte das Licht viel näher am Glaſe ſtehen, dann würde man <lb/>es aber nicht im Focus haben; </s> <s xml:id="echoid-s5966" xml:space="preserve">ſollte der Focus dem Glaſe ſo <lb/>viel näher liegen, ſo müßte wieder das Glas ſo viel dicker <lb/>ſein; </s> <s xml:id="echoid-s5967" xml:space="preserve">dies ſind Unbequemlichkeiten, welche von lange her ſchon <lb/>die Vergrößerung der Brenngläſer gehindert haben, abgeſehen <lb/>von der Schwierigkeit, große Glasmaſſen rein, blaſenfrei, frei <lb/>von Streifen und Fäden zu erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s5968" xml:space="preserve">Man hat jetzt aller-<lb/>dings ſehr reine Gläſer von mehreren Fuß im Durchmeſſer, ſie <lb/>werden zu den großen Fernröhren ſogar achromatiſch gemacht, <lb/>allein ſolche Gläſer koſten gleich mehrere tauſend Thaler, das <lb/>wendet man nicht gern an ein Lampenglas und zwar um ſo <lb/>weniger, als es mit einem gar nicht abgemacht wäre, ſondern <lb/>man für jeden Leuchtturm zwanzig bis dreißig haben müßte.</s> <s xml:id="echoid-s5969" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5970" xml:space="preserve">So wie wir jetzt eine Taſchen-Phyſik und Chemie haben, <lb/>mit Fingerhüten und Haarröhrchen operieren, ſtatt mit Ballons, <pb o="79" file="497" n="497"/> Retorten, Schlangenröhren 2c.</s> <s xml:id="echoid-s5971" xml:space="preserve">, ſo wie das Laboratorium eines <lb/>Profeſſors der Chemie in ſeinem Studierzimmer, auf einem <lb/>Tiſch von Mahagoniholz befindlich, und der Ofen durch <lb/>Spiritus- oder Gaslampen vertreten wird, ſo gab es im <lb/>Gegenſatz hierzu eine Zeit, wo man nichts groß genug be-<lb/>kommen konnte, da machte man Elektriſiermaſchinen mit <lb/>Scheiben von 6 Fuß Durchmeſſer und Magnete von 600 Pfund <lb/>Gewicht. </s> <s xml:id="echoid-s5972" xml:space="preserve">Da machte man auch Brennſpiegel und Brenngläſer <lb/>von drei und mehr Fuß Durchmeſſer, worin beſonders Graf <lb/>Tſchirnhauſen (1651—1708, berühmt durch ſeine mechaniſchen <lb/>und optiſchen Leiſtungen, errichtete die erſten drei Glashütten <lb/>in Sachſen) glücklich war, allein, wenn ſchon ein Brennſpiegel <lb/>mehrere hundert Pfund wog, der doch nur eine geringe Dicke <lb/>hatte, ſo mußte ein Brennglas von dieſer Größe, da es fußdick <lb/>war, gewaltig ſchwer ſein, und man ſaun auf Mittel, dem <lb/>Übel abzuhelfen.</s> <s xml:id="echoid-s5973" xml:space="preserve"/> </p> <figure> <caption xml:id="echoid-caption112" xml:space="preserve">Fig. 18.</caption> <variables xml:id="echoid-variables36" xml:space="preserve">m f’ e’ d’ c’ b’ e f a P n<lb/>a b c d e f</variables> </figure> <p> <s xml:id="echoid-s5974" xml:space="preserve">Geſetzt, man wollte ein Brennglas haben, welches bei <lb/>einem Durchmeſſer von drei Fuß eine Focalweite von ein und <lb/>ein halb Fuß hätte, ſo würde man mit der doppelten Weite, <pb o="80" file="498" n="498"/> alſo mit der Entfernung cm (Fig. </s> <s xml:id="echoid-s5975" xml:space="preserve">18), aus dem Punkte c einen <lb/>Kreisabſchnitt mpn beſchreiben und nach dieſer Leere ein Brenn-<lb/>glas gießen und ſchleifen laſſen müſſen; </s> <s xml:id="echoid-s5976" xml:space="preserve">die eine Seite vorn <lb/>gerade, die andere erhaben, und die Strahlen, welche von der <lb/>erhabenen Seite her auf das Glas parallel laufend auffielen, <lb/>würden nach den bekaunten Geſetzen der Brechung in der <lb/>Mitte zwiſchen c und a, alſo in f zu einem Focus zuſammen <lb/>kommen. </s> <s xml:id="echoid-s5977" xml:space="preserve">Dabei würde, wie die Figur zeigt, das Glas in der <lb/>Mitte eine ſehr bedeutende Dicke bekommen; </s> <s xml:id="echoid-s5978" xml:space="preserve">aber auf die Dicke <lb/>kommt es gar nicht an, ſondern auf die Krümmung. </s> <s xml:id="echoid-s5979" xml:space="preserve">Ein <lb/>Stückchen des Glaſes, ſo groß wie das Stück a, wenn es nur <lb/>dieſelbe Krümmung wie die Linie mpn hätte, würde ganz das-<lb/>ſelbe leiſten, allein freilich könnte eine ſolche Linſe bei gleicher <lb/>Focalweite wie die größere und bei einem Sechsteil der Dicke <lb/>derſelben, doch nur ein Drittel ſo groß im Durchmeſſer ſein; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5980" xml:space="preserve">man will aber die ganze Größe.</s> <s xml:id="echoid-s5981" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5982" xml:space="preserve">Nun ſo legt man um den Kreis a einen Ring b und um <lb/>dieſen einen zweiten Ring c, einen dritten d und ſo fort, <lb/>welche Ringe der Stelle des Brennglaſes entſprechen, die von <lb/>der Mitte immer weiter nach dem Rande zu liegen. </s> <s xml:id="echoid-s5983" xml:space="preserve">Die <lb/>beiden gegebenen Figuren gehören zuſammen, die eine zeigt den <lb/>Durchſchnitt der ganzen und der geteilten Linſe, die andere <lb/>Figur zeigt die Hälfte der zuſammengeſetzten Linſe von vorn. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5984" xml:space="preserve">In der erſten Zeichnung mn ſind nur die hellen Abſchnitte <lb/>a, b, c 2c. </s> <s xml:id="echoid-s5985" xml:space="preserve">zu berückſichtigen, die ſchraffierten geben nur die <lb/>Grenzen an.</s> <s xml:id="echoid-s5986" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5987" xml:space="preserve">Es leuchtet ein, daß hier ein großer Gewinn vorliegt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s5988" xml:space="preserve">Man braucht nicht die ungeheure Maſſe Glas, man kann die <lb/>kleinen Stücke reiner erhalten, man kann ſie viel leichter be-<lb/>handeln, man darf nicht einmal ganze Ringe haben, denn ſo <lb/>wie in den Ecken des viereckigen Raumes kleinere Abſchnitte zu <lb/>ſehen ſind, ſo können die ganzen Ringe aus ſechs, acht oder <lb/>beliebig viel Stücken zuſammengeſetzt ſein, was die Arbeit des <pb o="81" file="499" n="499"/> Schleifens ſehr erleichtert, hauptſächlich aber kann man auf <lb/>dieſem Wege dem Übelſtande ausweichen, den alte Gläſer <lb/>haben, dem nämlich, daß ſie die Strahlen keineswegs in einem <lb/>Punkte verſammeln, ſondern daß die durch die Mitte gehenden <lb/>am weiteſten von der Linſe fallen, die mehr und mehr nach <lb/>dem Rande zu auffallenden aber immer näher nach dem Glaſe <lb/>zu rücken. </s> <s xml:id="echoid-s5989" xml:space="preserve">Man kann daher die Krümmung ſo weit verändern, <lb/>daß die Brennpunkte aller Ringe mit dem Brennpunkt des <lb/>mittelſten Glaſes zuſammenfallen, wodurch eine ſehr bedeutende <lb/>Verbeſſerung erzielt wird.</s> <s xml:id="echoid-s5990" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5991" xml:space="preserve">Solcher Brenngläſer ſind mehrere in bedeutender Größe <lb/>gemacht worden und ihre Wirkung war erſtaunlich. </s> <s xml:id="echoid-s5992" xml:space="preserve">Gold <lb/>wurde dadurch nicht nur geſchmolzen, ſondern dergeſtalt ins <lb/>Kochen gebracht, daß es verdampfte, als ob es Waſſer wäre, <lb/>und eine ſilberne Münze, in dieſen Dampf gehalten, darin auf <lb/>das ſchönſte vergoldet wurde. </s> <s xml:id="echoid-s5993" xml:space="preserve">Allein man hatte nur den einen <lb/>Gebrauch davon gemacht, die parallelen Strahlen zu konzen-<lb/>trieren, nicht den, eine Lichtmaſſe aus dem Focus ausgehen <lb/>und die Strahlen dadurch parallel fortführen zu laſſen; </s> <s xml:id="echoid-s5994" xml:space="preserve">dieſen <lb/>glücklichen Gedanken hatte <emph style="sp">Fresnel</emph> (1788—1827), ein be-<lb/>rühmter franzöſiſcher Phyſiker, dem die Seefahrer deswegen <lb/>allein eine eherne Statue ſetzen ſollten, denn er hat die Ein-<lb/>richtung der Leuchttürme auf das glänzendſte verbeſſert, indem <lb/>er auf denſelben eine große und hell leuchtende Lampe an-<lb/>zündete, und deren Strahlen durch eine ſolche Linſe parallel <lb/>machen ließ. </s> <s xml:id="echoid-s5995" xml:space="preserve">Außerdem brachte er noch weſentliche Verände-<lb/>rungen und Verbeſſerungen an, welche wir hier in Kürze <lb/>durchgehen wollen.</s> <s xml:id="echoid-s5996" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s5997" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s5998" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s5999" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s6000" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="82" file="500" n="500"/> </div> <div xml:id="echoid-div237" type="section" level="1" n="158"> <head xml:id="echoid-head179" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIV. Siguale der Leuchttürme.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6001" xml:space="preserve">Wenn man nun aber auf das Licht eines Leuchtturms zu <lb/>fährt, wie unterſcheidet man dieſen von einem andern, wie <lb/>weiß man zu ſagen, welcher dieſer, welcher jener iſt?</s> <s xml:id="echoid-s6002" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6003" xml:space="preserve">Fresnel kam auf den glücklichen Gedanken, das Licht auf-<lb/>tauchen und verſchwinden zu laſſen. </s> <s xml:id="echoid-s6004" xml:space="preserve">Stellen wir uns vor, daß <lb/>im Mittelpunkt der Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6005" xml:space="preserve">19 eine hellſtrahlende Lampe brenne, <lb/>und daß ſie ihr Licht nach allen Richtungen ausſende, wie die <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-500-01a" xlink:href="fig-500-01"/> punktierten Strahlen zeigen, ſo <lb/>wird dieſes Licht durch die Ent-<lb/>fernung ſo ſehr geſchwächt, daß <lb/>man es bald nicht mehr ſehen <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s6006" xml:space="preserve">Bringt man aber bei m <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-500-02a" xlink:href="fig-500-02"/> ſolche vielteilige Linſe an (in einen kreisförmigen Rahmen y <lb/>gefaßt), ſo werden die Strahlen, welche von dem Mittelpunkte <lb/>auf ſolche Linſe fallen, parallel hindurch gehen, wie die Figur <lb/>zeigt.</s> <s xml:id="echoid-s6007" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div237" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-500-01" xlink:href="fig-500-01a"> <caption xml:id="echoid-caption113" xml:space="preserve">Fig. 20.</caption> <variables xml:id="echoid-variables37" xml:space="preserve">n n n n n n n n n n n</variables> </figure> <figure xlink:label="fig-500-02" xlink:href="fig-500-02a"> <caption xml:id="echoid-caption114" xml:space="preserve">Fig. 19.</caption> <variables xml:id="echoid-variables38" xml:space="preserve">E n y m m</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6008" xml:space="preserve">Hier ſtehen zwei Linſen einander gegenüber, die parallelen <lb/>Strahlen gehen alſo in zwei Richtungen; </s> <s xml:id="echoid-s6009" xml:space="preserve">in allen anderen <lb/>nach n zu oder nach ſonſt einer Gegend des Horizontes, ſieht <lb/>man nur wenig. </s> <s xml:id="echoid-s6010" xml:space="preserve">Wenn man aber dieſe Linſen an ein Geſtell <pb o="83" file="501" n="501"/> befeſtigt und dieſes ſich drehen läßt, ſo wandern die Linſen <lb/>rund um die Lampe und ſenden alſo nach und nach rundum <lb/>nach allen Seiten Licht; </s> <s xml:id="echoid-s6011" xml:space="preserve">der Seefahrer ſieht einen Licht-<lb/>ſchimmer, ſieht ihn ſich heben, immer ſtärker werden, einen <lb/>gewiſſen Glanzpunkt erreichen, dann ſchwächer werden, herab-<lb/>ſinken bis zum völligen Erlöſchen, dann bleibt es eine Zeit <lb/>lang finſter, und nun erhebt ſich wieder ein wachſender Licht-<lb/>ſchimmer, der ſteigt bis zu dem vorigen Glanze, auch wieder <lb/>abnimmt bis zum Verlöſchen und ſo fort.</s> <s xml:id="echoid-s6012" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6013" xml:space="preserve">Umgekehrt läßt ſich dieſes auch ausführen, wenn man die <lb/>Linſen ſtehen läßt, dagegen einen Schirm um dieſelben führt, <lb/>welcher ſie zeitweiſe bedeckt, zeitweiſe freiläßt.</s> <s xml:id="echoid-s6014" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6015" xml:space="preserve">Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6016" xml:space="preserve">20 zeigt auch einen Fresnelſchen Apparat in ſeiner <lb/>Zuſammenſetzung. </s> <s xml:id="echoid-s6017" xml:space="preserve">Im Mittelpunkt ſteht die Lampe; </s> <s xml:id="echoid-s6018" xml:space="preserve">auf der <lb/>einen Seite, nach dem Lande zu, wo man die Erleuchtung <lb/>nicht braucht, iſt der Ölkaſten, drei Vierteile des Horizonts ſind <lb/>mit Fresnelſchen Linſen erleuchtet, deren Durchſchnitt die <lb/>Figur in nnn zeigt. </s> <s xml:id="echoid-s6019" xml:space="preserve">Eine bedeutende Vermehrung der Wirkung <lb/>hat der genannte Phyſiker noch erzielt, indem er auch die nach <lb/>oben und nach unten fallenden Lichtſtrahlen eben ſo parallel <lb/>macht wie die horizontal verlaufenden. </s> <s xml:id="echoid-s6020" xml:space="preserve">Es ſind die Prismen ppp <lb/>ſo geſtellt, daß die von der Lampe aufwärts oder abwärts <lb/>gehenden Strahlen ſenkrecht auf die nach Innen gekehrte Fläche <lb/>der Prismen fallen, folglich ohne Reflex durch dieſe hindurch-<lb/>gehen, nun aber auf die oberſte (oder unterſte) Fläche der <lb/>Prismen gelangend, von dieſen in einer mit der Wirkung der <lb/>Fresnelſchen Linſen parallelen Richtung zurückgeworfen werden <lb/>und ſo durch Spiegelung des ſonſt verloren gehenden Lichtes <lb/>die Hauptwirkung verſtärken.</s> <s xml:id="echoid-s6021" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6022" xml:space="preserve">An einem ſolchen Apparat ſind dann gewöhnlich Schirme <lb/>angebracht. </s> <s xml:id="echoid-s6023" xml:space="preserve">Sie ſtehen auf einem Geſtell, welches den Fuß <lb/>des Linſenapparates umgiebt, ſind mit dieſem Geſtelle be-<lb/>weglich, und werden durch ein Uhrwerk in einer beſtimmten <pb o="84" file="502" n="502"/> Zeit umgedreht, dergeſtalt, daß bald der eine, bald der andere <lb/>Schirm vor die Lampen tritt und den Horizont verfinſtert.</s> <s xml:id="echoid-s6024" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6025" xml:space="preserve">Es iſt begreiflich, daß die Zeit, in welcher dieſes geſchieht, <lb/>ſehr verſchieden ſein kann, allein wie verſchieden auch, ſo iſt <lb/>ſie immer genau feſtgeſetzt, und darin liegt die Möglichkeit zu <lb/>ſignaliſieren, d. </s> <s xml:id="echoid-s6026" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6027" xml:space="preserve">nur inſofern, als jeder Turm ein beſtimmtes <lb/>Signal giebt, nämlich den Namen des Hafens nennt, an dem <lb/>er ſich befindet. </s> <s xml:id="echoid-s6028" xml:space="preserve">Der Staat macht bekannt: </s> <s xml:id="echoid-s6029" xml:space="preserve">“Vor dem Hafen <lb/>von Hyères iſt ein Leuchtturm errichtet, deſſen Feuer auf <lb/>30 franzöſiſche Meilen ſichtbar, 40 Sekunden leuchtet und <lb/>25 Sekunden verſchwindet.</s> <s xml:id="echoid-s6030" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6031" xml:space="preserve">Es fährt im Mittelmeer ein Kauffahrer zwiſchen Corſika <lb/>und Spanien nordwärts, er weiß, daß er nicht mehr fern von <lb/>der Küſte ſein kann, allein wo er ſich befindet, weiß er nicht, <lb/>weil eine Strömung, ein Sturm ſeine Rechnung verwirrt hat. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6032" xml:space="preserve">Da ſieht er das Licht eines Leuchtturmes, nun beobachtet er <lb/>die Dauer desſelben, er ſieht das Licht 25 Sekunden lang, <lb/>eben ſo lange verſchwindet es, das iſt nicht Hyères, das iſt <lb/>Marſeille, denn dieſes hat ein ſolches Licht; </s> <s xml:id="echoid-s6033" xml:space="preserve">er muß alſo weiter <lb/>oſtwärts, wenn er nach Hyères will. </s> <s xml:id="echoid-s6034" xml:space="preserve">Da ſieht er nach einigen <lb/>Stunden wieder einen Leuchtturm, allein das Licht wechſelt <lb/>zwiſchen grün und rot, 40 Sekunden ſcheint es grün, 40 Se-<lb/>kunden lang rot, das iſt auch nicht der Leuchtturm, den er <lb/>ſucht, ſondern der von Toulon; </s> <s xml:id="echoid-s6035" xml:space="preserve">er muß noch weiter oſtwärts, <lb/>endlich ſieht er ein Licht leuchten, weiß, wie ſie mehrenteils <lb/>ſind, er kommt näher, ſo daß er es beobachten kann, er findet, <lb/>es leuchtet 40 Sekunden lang und verſchwindet dann für 25 <lb/>andere Sekunden, nun befindet er ſich vor dem gefährlichen, <lb/>durch mehrere vorliegende Inſeln verſperrten Hafen von <lb/>Hyères, wohin er will, er ſegelt behutſam weiter, bis er hofft <lb/>am Morgen ſogleich erkannt zu werden, dann legt er ſich vor <lb/>Anker, um den Lootſen zu erwarten.</s> <s xml:id="echoid-s6036" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6037" xml:space="preserve">So ſignaliſiert der Leuchtturm, ſo ſagt er dem Schiffer, <pb o="85" file="503" n="503"/> wo er ſich befinde, und dieſes iſt der Zweck der nächtlichen Be-<lb/>leuchtung; </s> <s xml:id="echoid-s6038" xml:space="preserve">nicht der, eine Strecke die See zu erhellen (wie be-<lb/>reits bemerkt), denn dieſes Unternehmen wäre unſinnig, das <lb/>andere aber, die Küſte zu zeigen und dem Seefahrer zu ſagen, <lb/>an welchem Punkte der Küſte er ſich befinde, iſt von der größten <lb/>Wichtigkeit und macht allein die nächtliche Schifffahrt in der <lb/>Nähe des Landes möglich.</s> <s xml:id="echoid-s6039" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6040" xml:space="preserve">Eine ſolche Leuchtturm-Einrichtung iſt ein wahres Kunſt-<lb/>werk und zeigt, was der menſchliche Verſtand aus einer an <lb/>ſich ſo geringfügigen Sache, wie eine Lichtflamme iſt, machen <lb/>kann, wenn er die Naturgeſetze, nach denen das Licht ſich <lb/>verbreitet, zu Hülfe nimmt; </s> <s xml:id="echoid-s6041" xml:space="preserve">denn eine 100 Fuß hoch auf-<lb/>lodernde Flamme von einem Holzſtoß, tauſendmal koſtbarer <lb/>als dieſe eine Lampe, leiſtet doch nicht den zehnten Teil, iſt <lb/>auch nicht auf den zehnten Teil der Entfernung ſichtbar.</s> <s xml:id="echoid-s6042" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6043" xml:space="preserve">In der Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6044" xml:space="preserve">21 ſehen wir nun den ganzen Apparat in <lb/>ſeiner größten Vollendung; </s> <s xml:id="echoid-s6045" xml:space="preserve">a, a, a ſind die Brenngläſer, aus <lb/>Ringen zuſammengeſetzt, ſo ausgefüllt, daß ſie viereckige Felder <lb/>bilden, welche das in der Mitte ſtehende Licht einſchließen, ſo <lb/>weit man es für nötig hält. </s> <s xml:id="echoid-s6046" xml:space="preserve">Auf einer Landzunge wie die von Hela <lb/>oder Pillau, wo rundum See iſt, oder auf einer Inſel wie Helgo-<lb/>land geht auch die Beſetzung mit Brenngläſern rundum, wenn <lb/>das Leuchtfeuer überhaupt dieſe Einrichtung hat, wie es z. </s> <s xml:id="echoid-s6047" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6048" xml:space="preserve">auf dem Leuchtfeuer bei Neufahrwaſſer (Danzig) der Fall iſt.</s> <s xml:id="echoid-s6049" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6050" xml:space="preserve">m und m ſind die ſpiegelnden Prismen, welche die ſchräg <lb/>von der Lampe aus zu ihnen aufſteigenden oder niederfallenden <lb/>Strahlen gleichfalls parallel fortſenden. </s> <s xml:id="echoid-s6051" xml:space="preserve">y z iſt das Räderwerk, <lb/>welches den unten bei z befeſtigten Schirm, nämlich b c d und <lb/>f g h, trägt und bewegt. </s> <s xml:id="echoid-s6052" xml:space="preserve">Die bewegende Kraft giebt das Ge-<lb/>wicht i her.</s> <s xml:id="echoid-s6053" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6054" xml:space="preserve">Die Schirme ſind entweder von Blech und völlig un-<lb/>durchſichtig, oder ſie ſind von ſehr ſchön gefärbten Gläſern, und <lb/>man nimmt gewöhnlich zwei einauder entſprechende Farben, <pb o="86" file="504" n="504"/> ſolche, die in einem lebhaften Gegenſatz zu einander treten und <lb/>deshalb um ſo beſſer unterſchieden werden können, wie Blau <lb/>und Orange, oder Gelb und Violet, oder Rot und Grün. </s> <s xml:id="echoid-s6055" xml:space="preserve">Es <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-504-01a" xlink:href="fig-504-01"/> wird durch dieſe Schirme nicht die ganze Vorrichtung verdeckt, <lb/>damit man den Turm nie ganz aus den Augen verliere, allein <lb/>dies iſt nicht ganz zweckmäßig. </s> <s xml:id="echoid-s6056" xml:space="preserve">Das weiße Licht hat nämlich <pb o="87" file="505" n="505"/> eine ſo überwiegende Stärke, daß es das gefärbte ganz ver-<lb/>dunkelt, auch wenn es nur den vierten Teil der Geſamtmaſſe <lb/>und noch weniger bildet. </s> <s xml:id="echoid-s6057" xml:space="preserve">Man kann ſich hiervon leicht über-<lb/>zeugen, wenn man bei Nacht eine der aus rotem oder grünem <lb/>Glaſe verkleideten Laternen der Wirtshäuſer betrachtet, falls <lb/>etwa die Firma des Hauſes darauf angebracht, indem der <lb/>leichte, farbige Überhang des Glaſes weggeſchliffen iſt:</s> <s xml:id="echoid-s6058" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div238" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-504-01" xlink:href="fig-504-01a"> <caption xml:id="echoid-caption115" xml:space="preserve">Fig. 21.</caption> <variables xml:id="echoid-variables39" xml:space="preserve">n n m b f a a a a c g m o o b h r z y q o</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6059" xml:space="preserve">Aus der Entfernung von 50 Schritten ſieht man ganz <lb/>deutlich die rote Laterne mit dem leſerlichen, farblos hell-<lb/>leuchtenden Namen. </s> <s xml:id="echoid-s6060" xml:space="preserve">Je mehr man ſich entfernt, deſto un-<lb/>deutlicher wird die Schrift, welche bei 200 Schritt in einen <lb/>hellen Schein mit roter, ſchwach leuchtender Einfaſſung über-<lb/>geht, bei 400 Schritt aber iſt die rote Farbe, auch bei der <lb/>größten Aufmerkſamkeit, auch wenn man weiß, daß ſie vor-<lb/>handen iſt und man ſich nicht täuſchen laſſen will, nicht mehr <lb/>zu erkennen, man ſieht eine Laterne wie jede andere.</s> <s xml:id="echoid-s6061" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6062" xml:space="preserve">So nun auch bei den Fresnelſchen Laternen; </s> <s xml:id="echoid-s6063" xml:space="preserve">ſind durch <lb/>die farbigen Gläſer auch zwei Dritteile der Prismen bedeckt und <lb/>das obere Dritteil iſt frei, ſo wird dieſes ſo viel Licht aus-<lb/>ſenden, daß man die verſchiedene Färbung nicht erkennt, ſondern <lb/>höchſtens ein Zunehmen oder Abnehmen des Lichtes wahrnimmt.</s> <s xml:id="echoid-s6064" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6065" xml:space="preserve">Der Apparat ſteht in einem großen Glashauſe o n n o mit <lb/>gemauerter Grundlage o o, welche den Umfang des Turmes <lb/>ſelbſt hat. </s> <s xml:id="echoid-s6066" xml:space="preserve">Das vorſpringende Geſims desſelben trägt eine <lb/>Galerie r q, welche nicht ſo hoch iſt wie der Leuchtapparat, <lb/>damit, wenn etwa jemand bei Nacht dieſelben betreten ſollte, <lb/>er das Licht nicht durch ſeinen Körper verdeckt, ſondern unter <lb/>allen Umſtänden unterhalb desſelben bleibt. </s> <s xml:id="echoid-s6067" xml:space="preserve">Die Wärter des <lb/>ewigen Feuers können inwendig in der Höhe des Lichtes auf <lb/>einer eiſernen Galerie und um die Vorrichtung gehen, um ſie <lb/>zu reinigen, in Ordnung zu halten, Fehler zu verbeſſern; </s> <s xml:id="echoid-s6068" xml:space="preserve">bei <lb/>Nacht geſchieht dies aber nicht, ebenfalls aus dem angeführten <lb/>Grunde.</s> <s xml:id="echoid-s6069" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="88" file="506" n="506"/> <p> <s xml:id="echoid-s6070" xml:space="preserve">Das Dach des Leuchtfeuers iſt gewöhnlich von Kupfer und <lb/>iſt mit einem Blitzableiter verſehen; </s> <s xml:id="echoid-s6071" xml:space="preserve">die Scheiben, von dem <lb/>reinſten Spiegelglaſe, ſo trefflich wie möglich poliert und ſo <lb/>groß man ſie bekommen kann, ſind halbzoll dick, und wäre es <lb/>nicht um des Lichtverluſtes willen, ſo würde man ſie noch <lb/>dicker machen, denn — der Leſer dürfte wohl kaum raten: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6072" xml:space="preserve">warum — die Vögel, welche bei nächtlicher Weile fliegen, die <lb/>Zugvögel, ſchlagen ſie nicht ſelten in Stücken, auch wenn ſie <lb/>einen halben Zoll dick ſind! Die Leuchttürme ſind vortreffliche <lb/>Poſten zum Anſtande auf Vogelwild, der Turmwärter bekommt <lb/>Tauſende, ohne einen Schuß zu thun. </s> <s xml:id="echoid-s6073" xml:space="preserve">Die armen Droſſeln, <lb/>Schnepfen, Wachteln ſind am Tage von Schweden oder Eng-<lb/>land oder umgekehrt während der Frühjahrszeit vom Feſtlande <lb/>nach den Inſeln abgeſegelt; </s> <s xml:id="echoid-s6074" xml:space="preserve">der Abend, die Nacht überfällt ſie, <lb/>bevor ſie ihr nächſtes Ziel erreicht haben; </s> <s xml:id="echoid-s6075" xml:space="preserve">da ſehen ſie ein Licht, <lb/>darauf wird losgeſteuert, als wenn ſie wüßten, daß dort Land <lb/>ſein müßte. </s> <s xml:id="echoid-s6076" xml:space="preserve">Der hochgehende Zug ſenkt ſich unwillkürlich <lb/>immer mehr, je näher ſie kommen, und toll und blind fahren <lb/>ſie auf das Licht zu und rennen ſich an den Spiegelſcheiben <lb/>den Kopf ein, der vorgeſtreckte Schnabel wird in das Gehirn <lb/>gedrückt, und das Tier ſinkt zu Boden. </s> <s xml:id="echoid-s6077" xml:space="preserve">Am Morgen findet <lb/>der Turmwärter viele Hunderte am Fuß des Turmes zerſtreut, <lb/>falls derſelbe nicht, wie der von Bellrock und Eddyſtone, auf <lb/>einem von dem Meer überfluteten Felſen ſteht.</s> <s xml:id="echoid-s6078" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6079" xml:space="preserve">Allerdings werden Wachteln und Droſſeln die Spiegel-<lb/>ſcheiben des Turmes von Swinemünde ſo wenig zertrümmern, <lb/>als die Schwalben den von Cette oder von Genua, wenn ſie <lb/>aus dem warmen Afrika zurückkehren in unſer glückliches Vater-<lb/>land, in das mittlere Europa; </s> <s xml:id="echoid-s6080" xml:space="preserve">allein, Enten, Gänſe, Kraniche, <lb/>Störche ſind auch Zugvögel, und wenn ſolch’ ein Burſche gegen <lb/>eine neun Quadratfuß haltende Spiegelſcheibe prallt, ſo muß <lb/>ſie ſchon eine recht bedeutende Stärke haben, wenn ſie nicht zer-<lb/>brechen ſoll.</s> <s xml:id="echoid-s6081" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="89" file="507" n="507"/> <p> <s xml:id="echoid-s6082" xml:space="preserve">Was der Verfaſſer hier angedeutet, iſt nicht Mutmaßung, <lb/>Meinung, iſt nicht eine von den Geſchichten, welche müßige <lb/>Leute, wie Turmwärter und Nachtwächter, erfinden, um Ver-<lb/>wunderung zu erregen — es iſt Thatſache, daß z. </s> <s xml:id="echoid-s6083" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6084" xml:space="preserve">Danzig <lb/>ausſchließlich durch ſeine drei Leuchttürme, zwei bei Neufahr-<lb/>waſſer, einer auf Hela, mit den Leckerbiſſen des Vogelwildes, <lb/>Wachteln, Droſſeln und Schnepfen, verſehen wird, indem die <lb/>Turmwärter die Beute der Nacht an jedem Morgen auf den <lb/>Markt oder in die Hotels bringen.</s> <s xml:id="echoid-s6085" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div240" type="section" level="1" n="159"> <head xml:id="echoid-head180" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXV. Drummond’ſches Licht.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6086" xml:space="preserve">Wenn ſchon eine Lampe, gut beſchickt, durch die Fresuel’ſchen <lb/>Linſen eine außerordentliche Wirkung macht, ſo läßt ſich denken, <lb/>daß noch hellere Lichterſcheinungen noch größere Lichteffekte <lb/>erzielen, und ehe man die Fresnel’ſchen Linſen hatte, ſo lange <lb/>man alſo auf Spiegel allein angewieſen wur, ſuchte man durch <lb/>Verſtärkung des Lichtes das Nötige zu erzielen.</s> <s xml:id="echoid-s6087" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6088" xml:space="preserve">Auch hier hat die Wiſſenſchaft den richtigen Weg gewieſen, <lb/>indem ſie lehrte, die größtmögliche Hitze zu erzeugen und darin <lb/>einen feſten, womöglich feuerbeſtändigen, d. </s> <s xml:id="echoid-s6089" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6090" xml:space="preserve">nicht verbrennen-<lb/>den Körper zum Glühen zu bringen.</s> <s xml:id="echoid-s6091" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6092" xml:space="preserve">Das Verbrennen der Körper im Sauerſtoffgaſe giebt ſchon <lb/>ein Bild deſſen, was ungefähr zu erwarten iſt; </s> <s xml:id="echoid-s6093" xml:space="preserve">eine gerade <lb/>geſtreckte, feine Uhrfeder verbrennt mit ſo wunderſchöner Er-<lb/>ſcheinung, daß dieſes eines der prachtvollſten Experimente der <lb/>Chemie und Phyſik iſt; </s> <s xml:id="echoid-s6094" xml:space="preserve">ein noch viel blendenderes und zugleich <lb/>ganz ruhiges Licht giebt Phosphor, wenn er im Sauerſtoff <lb/>verbrennt. </s> <s xml:id="echoid-s6095" xml:space="preserve">Dieſes Licht, von dem die meiſten, welche das <lb/>Experiment geſehen zu behaupten pflegen, es ſei viel heller <pb o="90" file="508" n="508"/> und energiſcher als das Sonnenlicht (welches beiläufig geſagt, <lb/>keineswegs der Fall iſt), wurde ſogar vorgeſchlagen zur Er-<lb/>hellung der Leuchttürme, allein es iſt, um praktiſch brauchbar <lb/>zu ſein, viel zu unbequem. </s> <s xml:id="echoid-s6096" xml:space="preserve">Ein Stückchen Phosphor, in einem <lb/>Porzellanſchälchen auf Waſſer ſchwimmend, unter einer mit <lb/>Sauerſtoffgas gefüllten Glocke anzünden, iſt zwar nichts, was <lb/>man ſehr umſtändlich nennen könnte, allein das Experiment <lb/>dauert kaum eine halbe Minute — und während einer zwölf <lb/>Stunden langen Herbſt- oder Frühjahrsnacht, während einer <lb/>ſechzehn bis achtzehn Stunden langen Winternacht müßte es <lb/>1440- bis 2000 mal wiederholt werden, und dies iſt das Um-<lb/>ſtändliche; </s> <s xml:id="echoid-s6097" xml:space="preserve">wie ließe ſich das ausführen, welche Menge Menſchen <lb/>würde es fordern, was würde es koſten!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6098" xml:space="preserve">Dennoch war der Weg, auf dem man zu dieſem Vorſchlag <lb/>gelangte, der richtige, und es iſt dem Engländer <emph style="sp">Drummond</emph> <lb/>gelungen, ein wunderbares, hell leuchtendes Licht auf die ge-<lb/>dachte Weiſe zu erzeugen.</s> <s xml:id="echoid-s6099" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6100" xml:space="preserve">Waſſerſtoffgas giebt eine ſchwach leuchtende Flamme, aber <lb/>viel Hitze; </s> <s xml:id="echoid-s6101" xml:space="preserve">läßt man in einen Waſſerſtoffgasſtrom Sauerſtoff-<lb/>gas eintreten, ſo wird eine Hitze erzeugt, wie man ſie bis <lb/>dahin nicht kannte, alleiu die Leuchtkraft der Flamme hört <lb/>beinahe ganz auf, während die Temperatur derſelben ſo ge-<lb/>waltig iſt, daß ſie, auf ein Stück Kreide, Marmor, Kalk, <lb/>gewöhulichſter Art gerichtet, an der Stelle, wo ſie ihn trifft, <lb/>einen Fleck weißglühend macht, ihrer Größe entſprechend, <lb/>und dieſer weißglühende Punkt iſt es, der hundert Argandſche <lb/>Lampen erſetzt.</s> <s xml:id="echoid-s6102" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6103" xml:space="preserve">Die Sache wurde ſonſt ziemlich ungeſchickt angeſtellt, und <lb/>der Experimentator war ſtets in Lebensgefahr; </s> <s xml:id="echoid-s6104" xml:space="preserve">man brachte in <lb/>einen Kolben von ſtarkem und zähem Metall durch eine gute <lb/>Compreſſionspumpe Knallgas, ein Gemiſch aus zwei Raum-<lb/>teilen Waſſerſtoffgas und einem Raumteile Sauerſtoffgas. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6105" xml:space="preserve">Dieſe Arbeit allein hat manchem Arbeiter das Leben oder die <pb o="91" file="509" n="509"/> geſunden Gliedmaßen gekoſtet, denn Knallgas explodirt mit-<lb/>unter lediglich durch die Compreſſion.</s> <s xml:id="echoid-s6106" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6107" xml:space="preserve">Nun aber ließ man dieſes hölliſche Gemiſch aus einer <lb/>durch einen Hahn verſchließbaren Öffnung ſtrömen. </s> <s xml:id="echoid-s6108" xml:space="preserve">War dieſe <lb/>Öffnung nicht ſehr enge, ſo ſchlug die Flamme zurück in den <lb/>Gasbehälter, und dieſer explodierte, tötete alles, was lebend <lb/>war, und brachte wohl das Haus in Gefahr. </s> <s xml:id="echoid-s6109" xml:space="preserve">Jetzt handelt <lb/>man praktiſcher und weniger gefährlich: </s> <s xml:id="echoid-s6110" xml:space="preserve">weil nämlich die <lb/>Röhre ſehr eng ſein mußte, konnte die Flamme nur ſehr klein <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-509-01a" xlink:href="fig-509-01"/> ſein, wie die Stichflamme eines Lötrohres, <lb/>jetzt läßt man aus zehn fingerdicken Röhren <lb/>zugleich Leuchtgas ausſtrömen und führt dazu <lb/>durch eben ſo viele Röhren Sauerſtoffgas (oder <lb/>durch ein Gebläſe atmoſphäriſche Luft), und hat <lb/>nunmehr nicht ein kleines Flämmchen, ſondern <lb/>einen mächtigen Schmelzofen auf ſeinem Tiſche, <lb/>in deſſen Focus man Platina pfundweiſe ſchmelzen <lb/>kann.</s> <s xml:id="echoid-s6111" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div240" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-509-01" xlink:href="fig-509-01a"> <caption xml:id="echoid-caption116" xml:space="preserve">Fig. 22.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6112" xml:space="preserve">Der hierzu anwendbare Apparat ſieht aus <lb/>wie Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6113" xml:space="preserve">22, wo jedoch der Deutlichkeit wegen <lb/>nur fünf Röhren gezeichnet ſind, welche Waſſer-<lb/>ſtoffgas geben, indes man aus einem anderen Rohr Sauerſtoff-<lb/>gas zuführt. </s> <s xml:id="echoid-s6114" xml:space="preserve">Man macht es auch noch ſo, daß man durch <lb/>die Kugel, welche vermöge eines Schlauches mit Waſſerſtoffgas <lb/>gefüllt wird, das nun oben ausſtrömt, noch geſonderte Röhren <lb/>führt, welche in derſelben Höhe wie die Waſſerſtoffgasröhren <lb/>münden, zu denen man nunmehr das Sauerſtoffgas aus einem <lb/>Gaſometer gelangen läßt. </s> <s xml:id="echoid-s6115" xml:space="preserve">In die Kugel dürfen ſie nicht <lb/>münden, ſonſt würde in dieſer ſich Knallgas bilden und dasſelbe <lb/>unter Zerſtörung des Apparates explodieren.</s> <s xml:id="echoid-s6116" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6117" xml:space="preserve">Die einfachſte und bequemſte Art der Anwendung zeigt <lb/>Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6118" xml:space="preserve">23; </s> <s xml:id="echoid-s6119" xml:space="preserve">man ſieht ein Meſſingrohr von der Stärke, welche <lb/>man zu dem verlangten Effekt für nötig hält; </s> <s xml:id="echoid-s6120" xml:space="preserve">durch dieſes Rohr <pb o="92" file="510" n="510"/> geht das Waſſerſtoffgas, welches ohne alle Gefahr angezündet <lb/>werden kann, wie groß auch die Öffnung ſei, wenn nur der <lb/>Trieb vorhanden, wenn das Gas nur ununterbrochen aus-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-510-01a" xlink:href="fig-510-01"/> ſtrömt. </s> <s xml:id="echoid-s6121" xml:space="preserve">Mitten in dem Rohr befindet ſich noch ein zweites, <lb/>ſchwächeres Rohr, welches bis nahe an die Mündung des <lb/>größeren reicht, aber ſo befeſtigt iſt im äußeren Rohr, daß es <lb/>nicht wankt, daß es immerfort genau die Mitte hält. </s> <s xml:id="echoid-s6122" xml:space="preserve">In <lb/>dieſes Rohr ſtrömt Sauerſtoffgas aus einem Behälter oder <lb/>einer Blaſe. </s> <s xml:id="echoid-s6123" xml:space="preserve">Hier kann man recht ſchön und deutlich die Ein-<lb/>wirkung des Sauerſtoffgaſes auf die Flamme wahrnehmen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6124" xml:space="preserve">Leuchtgas kann bei genügendem Triebe eine hellleuchtende, <lb/>fußlange Flamme geben, läßt man nun Sauerſtoff zutreten, ſo <lb/>verkürzt ſich die Flamme immer mehr, wie wir im erſten <lb/>Bande bereits gezeigt haben, und verliert immer mehr an <lb/>Helligkeit, ihre Hitze wird aber mit jedem Augenblick intenſiver. </s> <s xml:id="echoid-s6125" xml:space="preserve"><lb/>Noch ſtärker wird dieſelbe, wenn man ſtatt des gekohlten, ſtatt <lb/>des Leuchtgaſes, reines Waſſerſtoffgas anwendet, und dies ge-<lb/>ſchieht natürlich bei Leuchttürmen, wo man viel leichter aus <lb/>Zink und Salzſäure ziemlich reines Waſſerſtoffgas erhalten <lb/>als aus Steinkohlen Leuchtgas deſtillieren kann.</s> <s xml:id="echoid-s6126" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div241" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-510-01" xlink:href="fig-510-01a"> <caption xml:id="echoid-caption117" xml:space="preserve">Fig. 23.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6127" xml:space="preserve">Vor ſolch’ ein Rohr, wenn die Flamme die höchſte In-<lb/>tenſität erreicht hat, bringt man nun den Kalk. </s> <s xml:id="echoid-s6128" xml:space="preserve">Man wandte <lb/>früher eine kleine Kugel (wie einen Rehpoſten) an und ſtellte <lb/>dieſe auf ein paar Spitzen von Thon gedreht, dabei konnte <lb/>die ganze Kugel glühend werden, aber ſie konnte auch von <pb o="93" file="511" n="511"/> ihrem Geſtell, auf welchem ſie ohne alle Befeſtigung lag, <lb/>herabgeworfen werden; </s> <s xml:id="echoid-s6129" xml:space="preserve">jetzt bringt man ein unregelmäßiges Stück <lb/>Marmor oder einen abgedrehten Cylinder von derſelben Sub-<lb/>ſtanz in den Brennpunkt der Knallgasflamme, und alsbald wird <lb/>eine Stelle von dem Durchmeſſer einer Erbſe weißglühend; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6130" xml:space="preserve">dieſer Lichtpunkt iſt ohne alle Hülfe von Spiegeln und Gläſern <lb/>eine Meile weit zu ſehen, wie Venus in ihrem ſchönſten Glanze; </s> <s xml:id="echoid-s6131" xml:space="preserve"><lb/>im Focus eines paraboliſchen Spiegels aber ſieht man den-<lb/>ſelben, falls die Höhe des Turmes groß genug iſt, 20 deutſche <lb/>Meilen weit. </s> <s xml:id="echoid-s6132" xml:space="preserve">Dies wird freilich in der Praxis nicht vor-<lb/>kommen, denn es fordert, wenn der Beobachter in der Ebene <lb/>ſteht, daß der leuchtende Punkt 7000 Fuß hoch ſei, oder daß, <lb/>wenn Beobachter und leuchtender Pnnkt gleich hoch ſind, jeder <lb/>höher ſtehe, als 1000 Fuß und zwiſchen beiden nichts anderes <lb/>Hinderndes, kein Hügel, kein Berg befindlich ſei, denn die <lb/>Krümmung der Erde macht ſelbſt ſchon ſolch’ einen Berg; </s> <s xml:id="echoid-s6133" xml:space="preserve"><lb/>allein zu Signalen, bei Vermeſſungen hat man dergleichen <lb/>Verſuche gemacht, bei großen Triangulationen z. </s> <s xml:id="echoid-s6134" xml:space="preserve">B.</s> <s xml:id="echoid-s6135" xml:space="preserve">, und bei <lb/>dieſen iſt die Leuchtkraft, von welcher oben die Rede, feſtgeſtellt <lb/>worden.</s> <s xml:id="echoid-s6136" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6137" xml:space="preserve">Auf ſolche Fernen würde die gedachte Leuchte für die See <lb/>nicht anwendbar ſein, denn ſelten iſt der Turm mit ſamt ſeiner <lb/>Unterlage, d. </s> <s xml:id="echoid-s6138" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6139" xml:space="preserve">dem Vorgebirge, dem Hafendamm, von welchem <lb/>er ſich erhebt, höher als 200 Fuß, allein beobachtet man ihn <lb/>von dem Mars des Schiffes (gewöhnlich Maſtkorb genannt), <lb/>welcher auch hundert Fuß und mehr über den Meeresſpiegel <lb/>reicht, ſo ſieht man deutlich das Licht eines Leuchtturmes <lb/>7 Meilen weit.</s> <s xml:id="echoid-s6140" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="94" file="512" n="512"/> </div> <div xml:id="echoid-div243" type="section" level="1" n="160"> <head xml:id="echoid-head181" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVI. Gasbeleuchtung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6141" xml:space="preserve">Es giebt eine in der Cyemie häufig wiederkehrende Arbeit, <lb/>welche man “trockene Deſtillation” nennt. </s> <s xml:id="echoid-s6142" xml:space="preserve">Wenn man irgend <lb/>einen entweder zerſetzbaren, zerlegbaren oder ſublimierbaren <lb/>Gegenſtand derjenigen Operation unterwirft, welche man im <lb/>gewöhnlichen Leben “Deſtillation” nennt, nur mit dem Unter-<lb/>ſchiede, daß der zu deſtillierende Gegenſtand nicht flüſſig, <lb/>ſondern feſt iſt, und auch keine Flüſſigkeit zur Beförderung der <lb/>Deſtillation zu ihm gethan wird, ſo entweichen einzelne Teile <lb/>desſelben, oder er entweicht ganz (Sublimation), und die ent-<lb/>weichenden Subſtanzen können aufgefangen werden, ſind ent-<lb/>weder gasförmig oder feſt, wie es nun der Gegenſtand mit <lb/>ſich bringt.</s> <s xml:id="echoid-s6143" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6144" xml:space="preserve">Dieſe trockene Deſtillation kann in jeder beliebigen Aus-<lb/>dehnung vorgenommen werden. </s> <s xml:id="echoid-s6145" xml:space="preserve">Man bringt z. </s> <s xml:id="echoid-s6146" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6147" xml:space="preserve">Harz oder <lb/>Wachs in lebhaftes Kochen, indem man dasſelbe in einen <lb/>Kolben A bringt, dann durch Kohlen, die in gut ziehenden <lb/>Ofen C liegen, nach und nach immer heftiger erhitzt, bis die <lb/>Retorte glühend wird, und endlich die ſich entwickelnden Gaſe <lb/>durch das Gasentwickelungsrohr B nach dem Gasbehälter D <lb/>führt.</s> <s xml:id="echoid-s6148" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6149" xml:space="preserve">Man wird in dieſem Falle ein Gemiſch aller derjenigen <lb/>Gaſe erhalten, welche ſich aus Wachs oder Talg oder irgend <lb/>einer feſten Fett- oder Harzmaſſe durch die Glühhitze entwickeln; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6150" xml:space="preserve">diejenigen Gaſe, welche im Waſſer löslich ſind, oder ſolche, <lb/>die, wenn nicht löslich, doch durch Abkühlung niedergeſchlagen <lb/>werden können, wird man teils mit dem Waſſer verbunden, <lb/>teils wird man ſie als ſchwerere Subſtanzen unterhalb des-<lb/>ſelben niedergeſchlagen am Boden liegend, oder man wird ſie, <lb/>als die leichteren, auf dem Waſſer ſchwimmend finden.</s> <s xml:id="echoid-s6151" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6152" xml:space="preserve">Wenn nun hier ſich Gaſe finden, welche mit einer Flamme <pb o="95" file="513" n="513"/> brennen, ſo wird uns dies vielleicht ein Fingerzeig ſein, die <lb/>Operation weniger ſummariſch, weniger alles durch einander <lb/>werfend, darzuſtellen; </s> <s xml:id="echoid-s6153" xml:space="preserve">man wird vielleicht darauf eingehen, die <lb/>durch die Deſtillation erhaltenen Produkte zu trennen, und hat <lb/>man erſt einmal die Subſtanzen kennen gelernt, welche man <lb/>durch die trockene Deſtillation aus Holz, Talg, Steinkohle, <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-513-01a" xlink:href="fig-513-01"/> Wachs, Torf, Harz oder ſonſtigen kohlenſtoff- oder waſſerſtoff-<lb/>reichen Körpern erhält, ſo wird es wahrſcheinlich ſehr leicht <lb/>ſein, dieſe Trennung zu bewerkſtelligen.</s> <s xml:id="echoid-s6154" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div243" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-513-01" xlink:href="fig-513-01a"> <caption xml:id="echoid-caption118" xml:space="preserve">Fig. 24.</caption> <variables xml:id="echoid-variables40" xml:space="preserve">A B D</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6155" xml:space="preserve">Der aufmerkſame Chemiker wird z. </s> <s xml:id="echoid-s6156" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6157" xml:space="preserve">finden, daß im <lb/>Waſſer des Gasbehälters D eine nicht unbeträchtliche Menge <lb/>Ammoniak enthalten iſt, und er wird wahrnehmen, daß in <lb/>dieſem Gasbehälter, nicht mit dem vertriebenen Waſſer aus- <pb o="96" file="514" n="514"/> fließend, indem das Gas den Raum einnimmt, welchen das <lb/>Waſſer vorher inne hatte, ſich eine ſchwere, ölige Flüſſigkeit <lb/>findet, Teer, und er wird vielleicht darauf kommen, dieſe <lb/>Subſtanzen abzuſcheiden, welches leicht genug gehen dürfte, <lb/>da ſich durch das Auffinden derſelben ſchon ergiebt, wie ſie <lb/>abzuſcheiden ſind. </s> <s xml:id="echoid-s6158" xml:space="preserve">Es zeigt ſich nämlich, daß zwar ein großer <lb/>Teil der in der Retorte oder dem Kolben A befindlich ge-<lb/>weſenen Subſtanzen gasförmig entweicht, bei weitem aber nicht <lb/>alles Entwichene gasförmig bleibt, ſondern im Waſſer durch <lb/>die niedere Temperatur desſelben niedergeſchlagen wird.</s> <s xml:id="echoid-s6159" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6160" xml:space="preserve">Der Chemiker denkt, das Waſſer wird hierzu wohl nicht <lb/>gerade nötig ſein, wenn nur die niedrige Temperatur gegeben <lb/>wird; </s> <s xml:id="echoid-s6161" xml:space="preserve">er ſucht auch wohl nach Mitteln, einige Gaſe, deren <lb/>Vorhandenſein er bei den erſten Verſuchen mit dem gewonnenen <lb/>Gasgemiſch kennen gelernt hat, zu entfernen, ſie zu verhindern <lb/>am Eintritt in den Gasbehälter, und ſo bildet ſich eine Leucht-<lb/>gasfabrik im Kleinen aus, wie uns die Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6162" xml:space="preserve">25 dieſelbe zeigt.</s> <s xml:id="echoid-s6163" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6164" xml:space="preserve">Wir ſehen einen Ofen, aus welchem bei A das Gas-<lb/>entwickelungsrohr einer Retorte ragt, welches nach einer zwei-<lb/>fach tubulirten Vorlage geführt iſt; </s> <s xml:id="echoid-s6165" xml:space="preserve">die Retorte im Ofen ent-<lb/>hält Steinkohlen. </s> <s xml:id="echoid-s6166" xml:space="preserve">Die Erhitzung bringt ſehr bald eine ſtarke <lb/>Gasentwickelung hervor, die Röhren und die Vorlage füllen <lb/>ſich mit einem ſchwarzbraunen Dampf. </s> <s xml:id="echoid-s6167" xml:space="preserve">Wird die Vorlage B <lb/>gut abgekühlt erhalten, oder iſt der Raum, in welchem experi-<lb/>mentiert wird, kalt genug, ſo beſchlägt in wenig Minuten die <lb/>Glaskugel inwendig mit einem ſchwarzen Überzuge, Dampf des <lb/>Steinkohlenteers ſchlägt ſich an den Wänden nieder, nach <lb/>einiger Zeit iſt der untere Teil ſogar mit einer kohlſchwarzen, <lb/>ſehr ſtark riechenden Flüſſigkeit gefüllt. </s> <s xml:id="echoid-s6168" xml:space="preserve">Das Gas, welches von <lb/>B nach C gelangt iſt, war ſchon bei weitem weniger ſchwarz, <lb/>es iſt bräunlich und weniger durchſichtig. </s> <s xml:id="echoid-s6169" xml:space="preserve">In der Gasglocke C, <lb/>welche in verſchiedenen Schichten ausgeglühten Kalk enthält, <lb/>reinigt das Gas ſich von der Kohlenſäure, einer dem Brennen <pb o="97" file="515" n="515"/> ſehr nachteiligen Gasart, auch von anderen Subſtanzen, von <lb/>Waſſer z. </s> <s xml:id="echoid-s6170" xml:space="preserve">B.</s> <s xml:id="echoid-s6171" xml:space="preserve">, und nachdem es dieſe Glocke durchſtrichen hat <lb/>und infolgedeſſen einige Zeit mit dem Kalke in Berührung <lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-515-01a" xlink:href="fig-515-01"/> war, ihm auch noch einen hübſchen Anteil mitgeführten Teers <lb/>abgegeben hat, tritt es durch eine aufwärts gekrümmte Röhre F <lb/>unter eine Glocke, welche wir hier als Gasbehälter im Kleinen <lb/>eingerichtet haben.</s> <s xml:id="echoid-s6172" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div244" type="float" level="2" n="2"> <figure xlink:label="fig-515-01" xlink:href="fig-515-01a"> <caption xml:id="echoid-caption119" xml:space="preserve">Fig. 25.</caption> <variables xml:id="echoid-variables41" xml:space="preserve">A B C D E F</variables> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6173" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s6174" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s6175" xml:space="preserve">Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s6176" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s6177" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="98" file="516" n="516"/> <p> <s xml:id="echoid-s6178" xml:space="preserve">Das Geſtell erklärt ſich von ſelbſt. </s> <s xml:id="echoid-s6179" xml:space="preserve">Auf dem viereckigen <lb/>Klotz, in einer dazu gemachten Vertiefung, ſteht eine Gasglocke, <lb/>umgekehrt, mit der Öffnung nach oben gerichtet. </s> <s xml:id="echoid-s6180" xml:space="preserve">Durch die <lb/>Kuppel dieſer Glocke iſt eine Öffnung gebohrt und durch die-<lb/>ſelbe das Metallrohr F geführt, welches mit dem aus der <lb/>Glocke C kommenden ſowohl, als mit dem auf der anderen <lb/>Seite in Verbindung ſtehen muß. </s> <s xml:id="echoid-s6181" xml:space="preserve">Natürlich werden an jeder <lb/>der beiden Seiten Hähne angebracht werden, damit man ſo-<lb/>wohl die eine als die andere Röhre nach Belieben ſchließen kann.</s> <s xml:id="echoid-s6182" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6183" xml:space="preserve">Die Glocke iſt ziemlich voll Waſſer; </s> <s xml:id="echoid-s6184" xml:space="preserve">in dem Waſſer hängt <lb/>eine kleine Glocke E, vermittelſt einer Schnur und zweier Rollen <lb/>an dem Geſtelle aufgehängt und durch ein Gegengewicht, <lb/>welches längs des vorderen Ständers herabläuft, im Gleich-<lb/>gewicht gehalten, ſo daß ſie nicht umfällt, wenn ſie ſo hoch <lb/>ſchwebt, wie die Figur zeigt.</s> <s xml:id="echoid-s6185" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6186" xml:space="preserve">Der Hergang der trockenen Deſtillation wird nun dieſer <lb/>ſein: </s> <s xml:id="echoid-s6187" xml:space="preserve">Aus der Retorte im Ofen A entwickelt ſich ein ſehr un-<lb/>reines Gemiſch von Gaſen und Dämpfen, es ſondert in der <lb/>Vorlage B durch bloße Abkühlung einen Teil des Teers, des <lb/>Waſſers und der Ammoniakdämpfe aus; </s> <s xml:id="echoid-s6188" xml:space="preserve">das hiervon erleichterte <lb/>Gasgemiſch kommt nach C, woſelbſt Ätzkalk vorhanden. </s> <s xml:id="echoid-s6189" xml:space="preserve">Dieſer <lb/>nimmt die Kohlenſäure, den Reſt von Waſſerdampf und, ver-<lb/>möge der niedrigen Temperatur, auch den Reſt Teer auf, <lb/>und das Gas ſteigt nun gereinigt durch die Röhre F unter die <lb/>Glocke, welche ganz im Waſſer ſteht. </s> <s xml:id="echoid-s6190" xml:space="preserve">Durch das eintretende <lb/>Gas wird die Glocke E gehoben, und ſie kann, wenn die Gas-<lb/>entwickelung ſtark genug iſt, ſo weit ſteigen, daß ihr unterer <lb/>Rand unmittelbar auf der Oberfläche des Waſſers zu ſtehen <lb/>kommt und ſie dann den Überflnß an Gas blaſenweiſe aus-<lb/>treten läßt.</s> <s xml:id="echoid-s6191" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6192" xml:space="preserve">Schließt man nun die Verbindung zwiſchen C und dem <lb/>Rohr F und verringert man die Schwere des Gewichtes, <lb/>welches die Glocke trägt, ſo weit, daß dieſelbe mit einem An- <pb o="99" file="517" n="517"/> teil ihres Gewichtes auf das Waſſer drückt und auf das in <lb/>ihr eingeſchloſſene Gas, ſo wird dieſes Gas etwas komprimiert, <lb/>und öffnet man ihm einen Weg, ſo wird es zu demſelben <lb/>hinausgetrieben. </s> <s xml:id="echoid-s6193" xml:space="preserve">Dies iſt der Zeitpunkt, welcher in unſerer <lb/>Figur dargeſtellt iſt; </s> <s xml:id="echoid-s6194" xml:space="preserve">die Glocke E ſteht hoch erhoben, die Gas-<lb/>bereitung iſt mithin beendet, rechts von der Glocke D ſieht man <lb/>eine Lichtflamme. </s> <s xml:id="echoid-s6195" xml:space="preserve">Das iſt das aus der Röhre durch den Druck <lb/>der Glocke vertriebene Gas, welches angezündet worden iſt und <lb/>nun eine ganz ſchöne Flamme liefert.</s> <s xml:id="echoid-s6196" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6197" xml:space="preserve">Was hier brennt, iſt hauptſächlich Kohlenſtoff und Waſſer-<lb/>ſtoff, aus dieſen beiden Beſtandteilen iſt das Leuchtgas größten-<lb/>teils zuſammengeſetzt.</s> <s xml:id="echoid-s6198" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div246" type="section" level="1" n="161"> <head xml:id="echoid-head182" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVII. Die Grubenlampe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6199" xml:space="preserve">Die urſprüngliche Davy’ſche Sicherheits- oder Gruben-<lb/>lampe beſtand aus einem runden, blechernen Behälter für das <lb/>Öl und den Docht. </s> <s xml:id="echoid-s6200" xml:space="preserve">Von dem oberen Teile dieſes Behälters <lb/>erhob ſich ein ſechs bis ſieben Zoll hoher Cylinder von ſehr <lb/>feinem Meſſing- oder Kupferdraytgewebe. </s> <s xml:id="echoid-s6201" xml:space="preserve">Innerhalb desſelben <lb/>brannte die Lampe, die atmoſphäriſche Luft oder das Gemiſch <lb/>von dieſer, und Kohlenwaſſerſtoffgas drang durch die Maſchen <lb/>und nährte die Flamme, ja der ganze innere Raum des Draht-<lb/>cylinders konnte mit der nicht nur durch ihren Sauerſtoffgehalt <lb/>die Flamme nährenden, ſondern mit der ſelbſt brennenden <lb/>Subſtanz leuchtend und flammend erfüllt ſein; </s> <s xml:id="echoid-s6202" xml:space="preserve">die feinen <lb/>Maſchen ließen die inwendige Flamme nicht mit der aus-<lb/>wendigen Luft in Verbindung treten, es entſtand keine Gefahr, <lb/>außer wenn durch längeren Gebrauch das Drahtgewebe, ver-<lb/>glüht und dünner geworden, ſeine Schuldigkeit nicht mehr that.</s> <s xml:id="echoid-s6203" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="100" file="518" n="518"/> <p> <s xml:id="echoid-s6204" xml:space="preserve">Nicht ſo wollten die Arbeiter es haben; </s> <s xml:id="echoid-s6205" xml:space="preserve">denen lag weniger <lb/>an ihrer Sicherheit als an dem beſſeren Sehen, und trotz aller <lb/>Befehle und trotz aller ſinnreichen Vorrichtungen, das Öffuen der <lb/>Lampe zu hindern, waren die Leute doch noch ſinnreicher darin, <lb/>ihre Unſicherheit und die Lebensgefährlichkeit ihrer Arbeit zu <lb/>vermehren, als der Erfinder geweſen war, in dem Beſtreben <lb/>ſie zu ſchützen. </s> <s xml:id="echoid-s6206" xml:space="preserve">Endlich hat man dieſer Lampe eine Einrich-<lb/> <anchor type="figure" xlink:label="fig-518-01a" xlink:href="fig-518-01"/> tung gegeben, welche ſoviel Licht ge-<lb/>währt, daß derjenige Bergmann, der <lb/>nun noch die Tyorheit begeht, dieſelbe <lb/>innerhalb des Bergwerks zu öffnen, <lb/>ins Irrenhaus geſchickt werden müßte, <lb/>und die Bergwerksbeſitzer begehen wirk-<lb/>lich einen Akt der Gnade, wenn ſie ihn <lb/>nur entlaſſen, allerdings mit Nennung <lb/>des Grundes, ſo daß er nirgends wieder <lb/>zur Knappenarbeit zugelaſſen wird.</s> <s xml:id="echoid-s6207" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div246" type="float" level="2" n="1"> <figure xlink:label="fig-518-01" xlink:href="fig-518-01a"> <caption xml:id="echoid-caption120" xml:space="preserve">Fig. 26.</caption> </figure> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6208" xml:space="preserve">Die verbeſſerte Sicherheitslampe iſt <lb/>in Fig. </s> <s xml:id="echoid-s6209" xml:space="preserve">26 gezeichnet, der untere Teil <lb/>gleicht jeder gewöhnlichen Lampe; </s> <s xml:id="echoid-s6210" xml:space="preserve">dieſer <lb/>Teil trägt ein Geſtell von ſechs ſtarken <lb/>Drähten, über welchem erſt das Draht-<lb/>gewebe anfängt, welches bis nahe unter <lb/>den maſſiven Deckel reicht. </s> <s xml:id="echoid-s6211" xml:space="preserve">Zwiſchen <lb/>dieſem Drahtnetz und der Lampe unten <lb/>iſt innerhalb des Geſtelles ein ſtarker Cylinder von überaus ſorg-<lb/>fältig, d. </s> <s xml:id="echoid-s6212" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6213" xml:space="preserve">langſam gekühltem Glaſe angebracht, welcher dem <lb/>Licht der Lampe bequemen Austritt geſtattet; </s> <s xml:id="echoid-s6214" xml:space="preserve">damit aber das-<lb/>jenige Licht, welches verloren geht dadurch, daß die Lampe an <lb/>der Wand des Bergwerks ſteht, oder an dem Körper des Berg-<lb/>manns hängt, benutzt werde, ſo iſt durch einen kleinen Hohl-<lb/>ſpiegel, der auf einer Seite ein Drittel des Cylinders umgiebt, <lb/>dafür geſorgt, daß eben dieſes Licht durch Reflex benutzbar werde</s> </p> <pb o="101" file="519" n="519"/> <p> <s xml:id="echoid-s6215" xml:space="preserve">Die Lampe muß Zug haben, deshalb ſteht innerhalb des <lb/>Drahtgewebes ein Blechcylinder, welcher die Abführung der <lb/>erhitzten Luft regelt, unten aber, im Boden der Lampe, deren <lb/>Gefäß ein hohler Cylinder iſt, befindet ſich gleichfalls ein Draht-<lb/>netz, durch welches genügend Luft zur Ernährung der Flamme <lb/>eintreten kann, und ſo iſt auf jede Weiſe dafür geſorgt, daß die <lb/>Leuchtkraft der Lampe vollſtändig nach außen verwendet, ja, <lb/>daß ſie gegen die frei brennende noch erhöht wird. </s> <s xml:id="echoid-s6216" xml:space="preserve">Damit <lb/>aber auch das Zerſpringen des Cylinders und damit ein mög-<lb/>licher Unglücksfall verhindert werde, iſt dieſer Glaskörper nicht <lb/>geſchloſſen, ſondern er beſteht nur aus drei Vierteilen eines <lb/>Cylinders und dieſe können ſich nun durch die Erhitzung be-<lb/>liebig verſchieben, ausdehnen, vergrößern; </s> <s xml:id="echoid-s6217" xml:space="preserve">umgekehrt kann auch <lb/>ſo ein Stück Glas durch Zugluft ſchnell abgekühlt werden, <lb/>ohne daß daraus ein Zerbrechen hervorgeht. </s> <s xml:id="echoid-s6218" xml:space="preserve">Somit wäre <lb/>dieſe Lampe zu einer großen Wohlthat für den Bergbau ge-<lb/>worden, wenn nicht der thörichte Menſch es verſtünde, jeden <lb/>Segen in einen Fluch zu verkehren. </s> <s xml:id="echoid-s6219" xml:space="preserve">Es hat ſich nämlich <lb/>herausgeſtellt, daß ſeit Einführung der Grubenlampe in den <lb/>Bergwerken die Zahl der Unglücksfälle ſich gegen früher nicht <lb/>vermindert, ſondern bedeutend vermehrt hat. </s> <s xml:id="echoid-s6220" xml:space="preserve">Nicht etwa weil <lb/>die Grubenlampen keine Sicherheit gewähren, ſondern weil die <lb/>rohen Menſchen, ſich nunmehr völlig ſicher glaubend, jeden Ge-<lb/>danken an Vorſicht von ſich weiſen und ſo unſinnig mit dieſen <lb/>Lampen umgehen, als ſei es jetzt abſolut unmöglich, daß ihnen <lb/>irgend ein Unheil begegne, ſie lehnen jede Mahnung und War-<lb/>nung ſo verächtlich ab, als ſeien ſie die einzig vernünftigen <lb/>Weſen auf der Erde, der Warner aber ein großer Narr und <lb/>ein Feigling.</s> <s xml:id="echoid-s6221" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="102" file="520" n="520"/> </div> <div xml:id="echoid-div248" type="section" level="1" n="162"> <head xml:id="echoid-head183" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXVIII. Die Fortſchritte der Beleuchtungstechnik</emph> <lb/><emph style="bf">in den letzten Jahrzehnten.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6222" xml:space="preserve">In den 20 Jahren, welche ſeit Niederſchrift der obigen <lb/>Kapitel verfloſſen ſind, hat die Beleuchtungstechnik ganz bei-<lb/>ſpielloſe, ungeahnte Fortſchritte gemacht. </s> <s xml:id="echoid-s6223" xml:space="preserve">Da kam in den <lb/>achtziger Jahren zunächſt das elektriſche Licht in zweierlei <lb/>Geſtalt (Bogenlampe und Glühlampe) auf. </s> <s xml:id="echoid-s6224" xml:space="preserve">Über dieſe Art der <lb/>Beleuchtung haben wir ſchon oben (Teil 4) eingehend ge-<lb/>ſprochen, und wir müſſen uns an dieſer Stelle mit einem <lb/>Hinweis auf jene Abſchnitte begnügen, da wir in unſerem <lb/>jetzigen Thema im weſentlichen gerade die nicht elektriſche Be-<lb/>leuchtung behandeln wollen. </s> <s xml:id="echoid-s6225" xml:space="preserve">Doch kann noch erwähnt werden, <lb/>daß das elektriſche Licht, welches bekanntlich eine weit inten-<lb/>ſivere Leuchtkraft beſitzt als das Lampen- und Gaslicht, heut-<lb/>zutage auch auf den Leuchttürmen mit Vorliebe benutzt wird.</s> <s xml:id="echoid-s6226" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6227" xml:space="preserve">Elektriſche Beleuchtung und Gasbeleuchtung liegen zur <lb/>Zeit in hitzigem Wettſtreit miteinander; </s> <s xml:id="echoid-s6228" xml:space="preserve">die eine ſucht die <lb/>andere immer wieder zu übertrumpfen und ihr vorauszueilen — <lb/>und es iſt klar, daß die Menſchheit dabei nicht ſchlecht fährt, <lb/>ſondern infolge jenes harten Kampfes faſt von Jahr zu Jahr <lb/>beſſere Beleuchtung erhält, ſo daß wir wahrhaftig nicht mehr <lb/>fern von dem Punkte ſind, wo die verwegenſten Anſprüche <lb/>an die Beleuchtung als vollſtändig befriedigt bezeichnet werden <lb/>müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s6229" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6230" xml:space="preserve">Wie ſtolz waren unſere Väter, als in den großen Städten <lb/>die Gasbeleuchtung eingeführt wurde! Die Gasbereitung, <lb/>von der oben eine kurze Schilderung gegeben iſt, wurde im <lb/>Großen betrieben, und rieſige Gasanſtalten verſorgten ganze <lb/>Stadtteile mit Gaslieferung, ebenſo wie es die Waſſerwerke <lb/>mit dem nötigen Waſſerbedarf thaten. </s> <s xml:id="echoid-s6231" xml:space="preserve">Die Petroleumlampen <lb/>verſchwanden von den Straßen wie im Haushalt immer mehr:</s> <s xml:id="echoid-s6232" xml:space="preserve"> <pb o="103" file="521" n="521"/> man brauchte in ſeinen Wohnräumen nur noch einen Hahn <lb/>aufzudrehen, ſo erhielt man ein prächtiges Leuchtmaterial, und <lb/>durch die Entzündung eines Streichhölzchens konnte man ſich <lb/>nun eine Beleuchtung ſchaffen, um die einen die früheren Jahr-<lb/>hunderte im innerſten Herzen beneidet und glücklich geprieſen <lb/>hätten . </s> <s xml:id="echoid-s6233" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s6234" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s6235" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6236" xml:space="preserve">Und heute? </s> <s xml:id="echoid-s6237" xml:space="preserve">— Wenn der Großſtädter heute in eine <lb/>größere Stadt oder in eine vornehme Wohnung kommt, welche <lb/>die ſoeben beſchriebene, “ideale” Gasbeleuchtung in der ur-<lb/>ſprünglichen Form noch ihr Eigen nennt, ſo iſt er verwundert <lb/>und erſtaunt über den zurückgebliebenen Standpunkt der Be-<lb/>wohner und reißt womöglich über ihre Anſpruchsloſigkeit <lb/>ſchlechte Witze, welche ſich mit einer ſo unvollkommenen, <lb/>dunklen, “thranigen” Beleuchtung begnügt.</s> <s xml:id="echoid-s6238" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6239" xml:space="preserve">So raſch ſchreitet die Zeit vorwärts! Was heute als <lb/>ideal und vollkommen gilt, betrachtet man morgen als veraltet <lb/>und primitiv! Was uns heute einen Ausruf der Bewunderung <lb/>entlockt, betrachten wir morgen mit mitleidigem Lächeln! . </s> <s xml:id="echoid-s6240" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s6241" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s6242" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6243" xml:space="preserve">Und welch Wunder war es, das ſo urplötzlich, im Verlauf <lb/>von knappen 3 Jahren, die Anſprüche des Großſtädters an die <lb/>Gasbeleuchtung ſo ungeheuer geſteigert hat?</s> <s xml:id="echoid-s6244" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div249" type="section" level="1" n="163"> <head xml:id="echoid-head184" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXIX. Das Gasglühlicht.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6245" xml:space="preserve">Leicht und einfach in ſeiner Anwendung, indem es ſich an <lb/>Stelle eines Gasſchnittbrenners anbringen läßt, ſich alſo den <lb/>vorhandenen Leuchtgasleitungen anbequemt und keine beſondere <lb/>Leitung erfordert, giebt <emph style="sp">das Auerſche Gasglühlicht</emph> das <lb/>bekannte intenſive, weiße, ſtark ſtrahlende Licht. </s> <s xml:id="echoid-s6246" xml:space="preserve">Es giebt eine <lb/>gleichmäßigere, ruhigere Flamme als die gewöhnliche Gas- <pb o="104" file="522" n="522"/> flamme, die bedeutend weniger ſtrahlende Wärme ausſendet. </s> <s xml:id="echoid-s6247" xml:space="preserve">Nach <lb/><emph style="sp">Renks</emph> und Anderer Unterſuchungen produziert das Gasglühlicht <lb/>viermal mehr Licht als ein Schnittbrenner bei ca. </s> <s xml:id="echoid-s6248" xml:space="preserve">50 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6249" xml:space="preserve">Er-<lb/>ſparnis an Leuchtgas. </s> <s xml:id="echoid-s6250" xml:space="preserve">Wir ſehen aus jenen Gründen das Licht <lb/>jetzt in großem Umfange angewendet. </s> <s xml:id="echoid-s6251" xml:space="preserve">In ungezählten Läden, <lb/>Kontors, Reſtaurants, Bureaus und Privatwohnungen brennt <lb/>Auer-Licht, und eine große Anzahl von Städten iſt damit er-<lb/>leuchtet; </s> <s xml:id="echoid-s6252" xml:space="preserve">es iſt für Schulen, Fabrikſäle, Univerſitätsauditorien, <lb/>Kliniken a, wiederholt behördlicherſeits angelegentlichſt empfohlen <lb/>worden. </s> <s xml:id="echoid-s6253" xml:space="preserve">Und dies nicht nur bei uns, ſondern auch in anderen <lb/>Ländern, denn das Auerſche Gasglühlicht iſt in allen Kultur-<lb/>ſtaaten patentiert und eingeführt, ſo daß man von einem <lb/>ſtrahlenden Siegeszug desſelben um die Erde hat ſprechen <lb/>können. </s> <s xml:id="echoid-s6254" xml:space="preserve">Im Zuſammenhange mit dieſer ausgedehnten Be-<lb/>nutzung ſteht denn auch der ſchließliche finanzielle Erfolg der <lb/>Verwertung, ein Erfolg, der geradezu Staunen erregt hat. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6255" xml:space="preserve">Die 1893 gegründete Deutſche Gasglühlichtgeſellſchaft in <lb/>Berlin, die Inhaberin der Auer-Patente, hat 1895 130 pCt.</s> <s xml:id="echoid-s6256" xml:space="preserve">, 1896 <lb/>100 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6257" xml:space="preserve">Dividende verteilt. </s> <s xml:id="echoid-s6258" xml:space="preserve">Der Wert einer Aktie derſelben im <lb/>Betrage von 1000 Mark war Ende 1896 auf 10500 Mark geſtiegen.</s> <s xml:id="echoid-s6259" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6260" xml:space="preserve">Das Auerſche Gasglühlicht beruht in der Wirkung von <lb/>ſogenannten Inkandeszenzſtoffen oder Glühkörpern. </s> <s xml:id="echoid-s6261" xml:space="preserve">Dieſelben <lb/>werden in der Form des bekannten Glühſtrumpfes oberhalb <lb/>eines beſonders konſtruierten Rundbrenners, in dem das Gas <lb/>ſich mit Luft miſcht, innerhalb eines Glascylinders aufge-<lb/>hangen und erglühen, wenn ſie von der entleuchteten, ring-<lb/>förmigen Gasflamme umſpült werden.</s> <s xml:id="echoid-s6262" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6263" xml:space="preserve">Die Erklärung, daß feſte Teilchen, in einer Flamme zum <lb/>Erglühen gelangt, dieſelben zum Leuchten bringen, iſt wohl <lb/>unbeſtimmbar alt. </s> <s xml:id="echoid-s6264" xml:space="preserve">Unſere Öl-, Gasflammen a. </s> <s xml:id="echoid-s6265" xml:space="preserve">leuchten eben <lb/>deshalb, weil ausgeſchiedene Kohlenſtoffpartikeln darin zum <lb/>Glühen kommen, und das ſchöne Drummondſche Kalklicht beruht <lb/>ja, wie wir wiſſen, auch ſchon auf dieſem Prinzip.</s> <s xml:id="echoid-s6266" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="105" file="523" n="523"/> <p> <s xml:id="echoid-s6267" xml:space="preserve">Dem zuletzt genannten Lichte bezw. </s> <s xml:id="echoid-s6268" xml:space="preserve">ſeiner chemiſchen <lb/>Grundlage würde das Auer-Licht wohl am nächſten zu ſtehen <lb/>kommen. </s> <s xml:id="echoid-s6269" xml:space="preserve">Drummonds Kalklicht iſt nichts als ein glühendes <lb/>Metalloxyd (gebrannter Kalk).</s> <s xml:id="echoid-s6270" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6271" xml:space="preserve">Nun beſchäftigte ſich <emph style="sp">Carl Auer von Welsbach</emph> in <lb/>Wien in der Mitte der achtziger Jahre mit der planmäßigen <lb/>Herſtellung von Glühkörpern aus verſchiedenartigen, anderen <lb/>Metalloxyden. </s> <s xml:id="echoid-s6272" xml:space="preserve">Er ſtellte ſeine Verſuche hauptſächlich mit den <lb/>Metallen der ſogenannten “ſeltenen Erden”<anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> an. </s> <s xml:id="echoid-s6273" xml:space="preserve">Dieſe Metalle waren zunächſt die folgenden, die ſelbſt dem Chemiker <lb/>meiſt nur dem Namen nach bekannt waren: </s> <s xml:id="echoid-s6274" xml:space="preserve">Lanthan, Yttrium, <lb/>Neodym, Erbium und Cer, außerdem die in der Beleuchtungs-<lb/>technik ſchon wohlbekannten Metalle Magneſium und Zirkon.</s> <s xml:id="echoid-s6275" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6276" xml:space="preserve">Von allgemeinerer Bedeutung wurden aber dieſe Unter-<lb/>ſuchungen erſt, als Auer ſich an ein anderes, bis dahin ganz <lb/>unbeachtetes und faſt unbekanntes Element, das <emph style="sp">Thorium</emph>, <lb/>heranmachte. </s> <s xml:id="echoid-s6277" xml:space="preserve">Das Oxyd dieſes Metalls iſt es, das die Ära <lb/>des Gasglühlichts eingeleitet hat.</s> <s xml:id="echoid-s6278" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6279" xml:space="preserve">Auer hatte ſeine mühevollen, zahlloſen, ſchwierigen <lb/>Verſuche darauf gerichtet, zu ermitteln, in welchen Miſchungs-<lb/>verhältniſſen jene Oxyde, die für ſich allein über einer Gas-<lb/>flamme verhältnismäßig nur geringe Lichtſtärke und zum Teil <lb/>rötliches oder grünes Licht geben, die größtmögliche Licht-<lb/>emiſſion oder Glühwiderſtandsfähigkeit bei weißer Farbe der <lb/>Flamme erzielt werden könne.</s> <s xml:id="echoid-s6280" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6281" xml:space="preserve">Im Laufe der vielen Verſuche wurde dieſer günſtigſte <lb/>Lichteffekt in einer völlig eiſenfreien Miſchung von weſentlich <lb/>Thoroxyd (circa 98 pCt.) </s> <s xml:id="echoid-s6282" xml:space="preserve">mit ſehr wenig Ceroxyd (ca. </s> <s xml:id="echoid-s6283" xml:space="preserve">1 pCt.) <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6284" xml:space="preserve">ermittelt. </s> <s xml:id="echoid-s6285" xml:space="preserve">Durch dieſen geringen Zuſatz yon Ceroxyd wird die <lb/>Lichtſtärke der Thorerde bis auf das 15 fache erhöht. </s> <s xml:id="echoid-s6286" xml:space="preserve">Aus der <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-523-01a" xlink:href="note-523-01"/> <pb o="106" file="524" n="524"/> genannten Miſchung beſtehen jetzt wohl die allermeiſten Glüh-<lb/>ſtrümpfe, nicht nur der Auer-Geſellſchaften, ſondern auch der <lb/>Konkurrenzfirmen, wie aus den Analyſen von R. </s> <s xml:id="echoid-s6287" xml:space="preserve"><emph style="sp">Freſenius</emph> <lb/>und E. </s> <s xml:id="echoid-s6288" xml:space="preserve"><emph style="sp">Hintz</emph> von Glühkörpern 11 Berliner Firmen hervorgeht.</s> <s xml:id="echoid-s6289" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div249" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-523-01" xlink:href="note-523-01a" xml:space="preserve"> “Seltene Erden” iſt ein Sammelname für eine Reihe minerali-<lb/>ſcher Stoffe, welche eine größere Anzahl von ſelten vorkommenden und <lb/>noch wenig erforſchten chemiſchen Elementen enthalten.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6290" xml:space="preserve">Mit der Löſung von ſalpeterſauren Verbindungen des <lb/>Thorium und Cer wird nun eine geeignete Miſchung bereitet, <lb/>und mit dieſer werden Gewebe getränkt. </s> <s xml:id="echoid-s6291" xml:space="preserve">Dieſe, von denen <lb/>ein Teil in der Nähe von Chemnitz, namentlich in der Haus-<lb/>induſtrie bei Hohenfichte, auf Strickmaſchinen in Schlauchform <lb/>erzeugt werden, ſind netzartige Baumwollengewebe. </s> <s xml:id="echoid-s6292" xml:space="preserve">Dieſelben <lb/>wäſcht man zunächſt mit ſehr verdünntem Ammoniak, alsdann <lb/>mit Waſſer, dem etwas Salzſäure beigemengt iſt, ſchließlich <lb/>mit reinem Waſſer aus, trocknet ſie und taucht ſie in die Löſung <lb/>der obengenannten Miſchung, trocknet ſie wieder und zieht ſie <lb/>dann in Strumpfform zuſammen. </s> <s xml:id="echoid-s6293" xml:space="preserve">Vor dem Einzelverkaufe <lb/>wird das Gewebe des Strumpfes über einem Bunſenbrenner <lb/>verbrannt; </s> <s xml:id="echoid-s6294" xml:space="preserve">darauf wird der Strumpf vermittels Preßgaſes <lb/>(d. </s> <s xml:id="echoid-s6295" xml:space="preserve">i. </s> <s xml:id="echoid-s6296" xml:space="preserve">Leuchtgas unter erhöhtem Druck) ausgeglüht, damit er <lb/>die Form und Haltbarkeit einer ſteifen Tute annehme, die nun <lb/>— in Deutſchland — an einem axialgeſtellten gußeiſernen <lb/>Stäbchen vermittels eines Asbeſtfadens über dem Rundbrenner <lb/>aufgehängt wird. </s> <s xml:id="echoid-s6297" xml:space="preserve">Ein ſolcher Glühſtrumpf, welcher ein Ge-<lb/>wicht von 0,35—0,5 g repräſentiert, behält durchſchnittlich <lb/>durch 500—700 Brennſtunden genügende Lichtſtärke und Halt-<lb/>barkeit, ſodaß derſelbe in Kontoren und Läden etwa nach <lb/>Verlauf eines Jahres, in Reſtaurants entſprechend früher er-<lb/>neuert werden muß. </s> <s xml:id="echoid-s6298" xml:space="preserve">Im Laufe der Jahre ſind an den Auer-<lb/>apparaten ſchon viele techniſche Verbeſſerungen angebracht <lb/>worden. </s> <s xml:id="echoid-s6299" xml:space="preserve">So werden namentlich jetzt eine ganze Reihe be-<lb/>quemer Anzündungsvorrichtungen auf den Markt gebracht, <lb/>ferner kann die Leuchtkraft durch einen vermittels mechaniſcher <lb/>Kraftquelle erzeugten, höheren Gasdruck bedeutend verſtärkt <lb/>werden.</s> <s xml:id="echoid-s6300" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="107" file="525" n="525"/> <p> <s xml:id="echoid-s6301" xml:space="preserve">Welches ſind nun die Mineralien, die das Rohmaterial <lb/>zur Gewinnung jener ſeltenen Stoffe abgeben? </s> <s xml:id="echoid-s6302" xml:space="preserve">Es ſind dies <lb/>gleichfalls ausſchließlich ſeltene Geſteine und Sande, die ſich <lb/>durch Beimengungen vieler fremder Stoffe auszeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s6303" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6304" xml:space="preserve">Als Hauptfundſtelle dieſer Mineralien, von denen in erſter <lb/>Linie Thorit, Orangit und Monazit zu nennen ſind, galt <lb/>zuerſt das ſüdliche Norwegen, und hier wieder namentlich die <lb/>Umgebung der Langeſundfjords, eine Gegend, die viele ſeltene, <lb/>zum Teil nur dort beobachtete Mineralien geliefert hat.</s> <s xml:id="echoid-s6305" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6306" xml:space="preserve">Als vor wenigen Jahren das Auer-Licht mit einem Male <lb/>raſch in Aufnahme kam (in Berlin wurden im Jahre 1893 im <lb/>April 1240, im Mai 2495, im Juli 4517, im September <lb/>19970, im November 42290 Brenner abgeſetzt), war in jener <lb/>Gegend die lebhafteſte Nachfrage nach Thorit und thorhaltigen <lb/>Mineralien. </s> <s xml:id="echoid-s6307" xml:space="preserve">Die Preiſe ſtiegen rapid. </s> <s xml:id="echoid-s6308" xml:space="preserve">Das Unglück wollte, <lb/>daß auf Grund fehlerhafter Analyſen ein verhältnismäßig <lb/>häufig vorkommendes Mineral — es war wohl Titanit oder <lb/>Rutil — in den Ruf kam, Thorium zu enthalten. </s> <s xml:id="echoid-s6309" xml:space="preserve">Agenten <lb/>deutſcher Firmen kauften jede nur erreichbare Menge davon <lb/>mit über 100 Kronen per Kilogramm. </s> <s xml:id="echoid-s6310" xml:space="preserve">Leute, die vorher keinen <lb/>Öre in der Taſche gehabt, beſaßen mit einemmale Tauſende <lb/>von Kronen. </s> <s xml:id="echoid-s6311" xml:space="preserve">Natürlich verbreitete ſich die Kunde hiervon wie <lb/>ein Lauffeuer in den Küſtenſtrichen, und bald graſſierte da-<lb/>ſelbſt ein wahres Thoritfieber. </s> <s xml:id="echoid-s6312" xml:space="preserve">Männer, Frauen, Knaben, <lb/>Mädchen hämmerten und meißelten an den unglaublichſten <lb/>Stellen, die kleinen, nackten Felſeninſeln ſtiegen enorm im Preiſe, <lb/>es entſtanden Mineralkontore mit Schaufenſtern, die Papier-<lb/>handlungen hielten gedruckte Schurfanmeldezettel vorrätig, man <lb/>riß Quaderſteine aus Gebäudemauern, eine Frau verkaufte die <lb/>Ballaſtſteine ihrer Wäſchemangel für mehrere hundert Kronen a.</s> <s xml:id="echoid-s6313" xml:space="preserve">, <lb/>kurz Alles dachte nur an Thorit, ſprach nur von Thorit. </s> <s xml:id="echoid-s6314" xml:space="preserve">Der <lb/>Rückſchlag folgte aber bald, als jenes Mineral nicht mehr @@ <lb/>kauft wurde und die wirklich thorhaltigen Mineralien nur <pb o="108" file="526" n="526"/> mühſam geſammelt werden mußten. </s> <s xml:id="echoid-s6315" xml:space="preserve">Nach verſchiedenen <lb/>Schätzungen hat Norwegen davon bis jetzt etwa 2000 kg ge-<lb/>liefert. </s> <s xml:id="echoid-s6316" xml:space="preserve">Es würde aber der koloſſalen Nachfrage bei weitem <lb/>nicht entſprechen können.</s> <s xml:id="echoid-s6317" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6318" xml:space="preserve">Zeitweiſe wurden ſehr hohe Preiſe, für Thorit über 500 <lb/>Mark, für Orangit über 600 Mark, für Monazit bis 30 Mark <lb/>per 1 kg bezahlt. </s> <s xml:id="echoid-s6319" xml:space="preserve">Trotz der großen Nachfrage gingen aber <lb/>die Preiſe herab, beim Thorit beiſpielsweiſe auf den im Ver-<lb/>gleich zu den hohen Gewinnungskoſten beſcheidenen Betrag von <lb/>80 Mark per 1 kg.</s> <s xml:id="echoid-s6320" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6321" xml:space="preserve">Es wiederholte ſich bei dieſer Gelegenheit nämlich eine <lb/>ſchon oft beobachtete Erſcheinung. </s> <s xml:id="echoid-s6322" xml:space="preserve">Ein mineraliſcher Stoff <lb/>findet in der Induſtrie, in der Technik oder im täglichen <lb/>Leben ausgedehntere Verwendung, die Nachfrage nach ihm <lb/>ſteigt, die Preiſe ziehen rapid an. </s> <s xml:id="echoid-s6323" xml:space="preserve">Jetzt ſtrengen ſich alle <lb/>geiſtigen Kräfte an, nach demſelben zu ſuchen und — man <lb/>findet ihn plötzlich in großer Menge, oder es gelingt, bekannte <lb/>Fundſtellen zu erſchließen. </s> <s xml:id="echoid-s6324" xml:space="preserve">So war es bei den Kaliſalzen, ſo bei <lb/>den natürlichen Phosphatdüngemitteln, beim Petroleum und <lb/>auch beim Golde, ſo war es auch in dieſem Falle. </s> <s xml:id="echoid-s6325" xml:space="preserve">Die an <lb/>einzelnen Punkten Nord- wie Südamerikas vorkommenden <lb/>Schwemmlandbildungen in Flußthälern, Bergſeebecken und an <lb/>der Meeresküſte, aus denen neben Gold und Edelſteinen auch <lb/>namentlich Monazit bekannt waren, wurden erſchloſſen und in <lb/>großem Maßſtabe ausgebeutet. </s> <s xml:id="echoid-s6326" xml:space="preserve">Es ſind dies die Sande, die <lb/>jetzt geradezu als Monazitſande bezeichnet werden und welche <lb/>jetzt das Hauptmaterial zur Gewinnung von Thor- und Cer-<lb/>präparaten abgeben. </s> <s xml:id="echoid-s6327" xml:space="preserve">Zunächſt finden ſie ſich in Nord- und <lb/>Südcarolina. </s> <s xml:id="echoid-s6328" xml:space="preserve">Nach den Angaben vom Staatsgeologen <emph style="sp">Nitze</emph> <lb/>bilden ſie zerſtreute Ablagerungen, die in der Regel {1/3} <lb/>bis {2/3} m, an wenigen Stellen bis 4 m mächtig ſind, auf <lb/>einer Fläche von 1600 bis 2000 Quadrat-Meileu. </s> <s xml:id="echoid-s6329" xml:space="preserve">Der Monazit <lb/>erſcheint hier in wachsgelben, thoriumhaltigen Körnchen und <pb o="109" file="527" n="527"/> Bohnen und macht urſprünglich 1—2 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6330" xml:space="preserve">des Sandes aus. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6331" xml:space="preserve">Durch einen einfachen Waſchprozeß wird der Monazit an Ort <lb/>und Stelle in 3 Sorten auf 60—70, 65—75 und 85 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6332" xml:space="preserve">an-<lb/>gereichert, ſoll aber jetzt nach einem patentierten Verfahren <lb/>noch weiter gereinigt werden. </s> <s xml:id="echoid-s6333" xml:space="preserve">Nach <emph style="sp">Nitze</emph> kann Carolina <lb/>jährlich bis zu 1000 Tonnen Monazitſand liefern.</s> <s xml:id="echoid-s6334" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6335" xml:space="preserve">Unter ähnlichen Verhältniſſen, mit einem gewöhnlichen <lb/>Thoriumoxyd-Gehalt des Handelsproduktes von 2—3 pCt.</s> <s xml:id="echoid-s6336" xml:space="preserve">, <lb/>tritt der Monazitſand in Braſilien auf.</s> <s xml:id="echoid-s6337" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6338" xml:space="preserve">Es möge noch erwähnt werden, daß Nachrichten über <lb/>Funde von fabrikmäßig verwertbaren Mengen thoriumhaltigen <lb/>Monazites vorliegen, ſo von einigen ruſſiſchen Flüſſen, z. </s> <s xml:id="echoid-s6339" xml:space="preserve">B. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6340" xml:space="preserve">dem Senaka, wie auch von auſtraliſchen und kanadiſchen, ferner <lb/>von großen Funden thorhaltiger Mineralien, wie Gadolinit, <lb/>Gummit, Auerlit @. </s> <s xml:id="echoid-s6341" xml:space="preserve">in Texas, Connecticut @.</s> <s xml:id="echoid-s6342" xml:space="preserve">, ohne ſpeziellere <lb/>Auskunft über das Auftreten und die Verwertung derſelben <lb/>zu geben.</s> <s xml:id="echoid-s6343" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6344" xml:space="preserve">Der Bedarf der Welt an Thorium für die Glühlicht-In-<lb/>duſtrie iſt alſo für lange, lange Zeit hinaus vollauf gedeckt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6345" xml:space="preserve">Und da der Gasverbrauch bei Anwendung der Glühſtrümpfe <lb/>ein weitaus geringerer iſt als vorher, ſo konnte thatſächlich <lb/>das Wunder geſchehen, daß im Verlauf von wenigen Jahren <lb/>ein völliger Umſchwung in der ganzen Gas-Beleuchtungstechnik <lb/>Platz griff, und daß man jetzt eine weit hellere und ſchönere <lb/>Gasbeleuchtung für einen geringeren Preis als früher herſtellen <lb/>kann! Bedenkt man nun ferner noch, daß die <emph style="sp">eine</emph> Erfindung <lb/>Auers in dem gleichen, unglaublich kurzen Zeitraum ganz <lb/>große, neue Induſtrien hervorgezaubert hat und vielen tauſenden <lb/>und abertauſenden Perſonen ihr tägliches Brot verſchafft, ſo <lb/>muß man thatſächlich eine ſtolze Freude empfinden, in einer <lb/>Zeit zu leben, welche ſo herrliche Kulturerrungenſchaften wie <lb/>mit einem Schlage hervorzaubert.</s> <s xml:id="echoid-s6346" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="110" file="528" n="528"/> </div> <div xml:id="echoid-div251" type="section" level="1" n="164"> <head xml:id="echoid-head185" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXX. Das Acetylen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6347" xml:space="preserve">Aber auch auf ganz anderen Gebieten ruhte die Wiſſen-<lb/>ſchaft nicht, die Beleuchtungstechnik in der möglichſten Weiſe <lb/>zu fördern und zu vervollkommnen.</s> <s xml:id="echoid-s6348" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6349" xml:space="preserve">Seit einigen Jahren iſt außerordentlich viel die Rede vom <lb/>Acetylen, und man hört oft die prächtige Flamme und die <lb/>große Helligkeit dieſer chemiſchen Verbindung rühmen. </s> <s xml:id="echoid-s6350" xml:space="preserve">Zwar <lb/>beſteht — ungerechtfertigter Weiſe — im Publikum noch immer <lb/>ein großes Mißtrauen gegen das Acetylen, doch fängt dies <lb/>Mißtrauen ſchon vielfach an zu ſchwinden, und das Acetylen <lb/>findet in immer weiteren Kreiſen Eingang und begeiſterte <lb/>Aufnahme.</s> <s xml:id="echoid-s6351" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6352" xml:space="preserve">Schon lange war bekannt, daß dasſelbe ein Beſtandteil <lb/>des Leuchtgaſes iſt, ja ſchon <emph style="sp">Davy</emph> befaßte ſich damit und er-<lb/>zeugte es im Jahre 1836; </s> <s xml:id="echoid-s6353" xml:space="preserve">nichtsdeſtoweniger macht dieſe Ver-<lb/>bindung erſt ſeit 1895 von ſich reden, ſeitdem ſie in größerer <lb/>Menge mit Leichtigkeit erzeugt werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s6354" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6355" xml:space="preserve">Das Acetylen iſt ein farbloſes Gas, eine eigentümliche <lb/>Verbindung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff; </s> <s xml:id="echoid-s6356" xml:space="preserve">ſtrömt es jedoch <lb/>in dickeren Strahlen, ſo bekommt es eine grauliche Farbe. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6357" xml:space="preserve">Sein intenſiver Knoblauchsgeruch verrät es in der kleinſten <lb/>Menge ſofort.</s> <s xml:id="echoid-s6358" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6359" xml:space="preserve">Es iſt intereſſant, daß der charakteriſtiſche Geruch des <lb/>Leuchtgaſes, der ſo leicht die Aufmerkſamkeit erregt und dadurch <lb/>ſchon ſo manche Gefahren verhütet hat, durch minimale Mengen <lb/>von Acetylen verurſacht wird, die im Leuchtgaſe immer ent-<lb/>halten ſind.</s> <s xml:id="echoid-s6360" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6361" xml:space="preserve">Seine Flamme iſt eine hellweiße, die bei gewöhnlichem <lb/>Druck ſtark rußt. </s> <s xml:id="echoid-s6362" xml:space="preserve">Iſt jedoch die Öffnung des Brenners eine <lb/>enge, und iſt der Druck groß genug und konſtant, dann iſt die <lb/>Flamme ruhig, ſie flackert nicht, iſt ganz rußfrei und ſauſt <pb o="111" file="529" n="529"/> auch nicht, wie die Leuchtgasflamme. </s> <s xml:id="echoid-s6363" xml:space="preserve">Sie entwickelt nicht ſo <lb/>viel Wärme, als die letztere; </s> <s xml:id="echoid-s6364" xml:space="preserve">ihre höchſte Temperatur iſt rund <lb/>1500° gegen 2100° des Leuchtgaſes. </s> <s xml:id="echoid-s6365" xml:space="preserve">Die Flamme verbraucht <lb/>zwar viel Sauerſtoff, entwickelt aber nicht ſoviel Verbrennungs-<lb/>produkte als Leuchtgas, daher iſt auch die Atmoſphäre, in der <lb/>Acetylen brennt, unter gleichen Verhältniſſen viel reiner, als <lb/>wenn eine Leuchtgasflamme in ihr brennen würde.</s> <s xml:id="echoid-s6366" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6367" xml:space="preserve">Eine Eigentümlichkeit der Acetylenflamme iſt, daß ſie <lb/>keinen ſchwarzen Kern beſitzt. </s> <s xml:id="echoid-s6368" xml:space="preserve">Im ſchwarzen Kern der ſonſtigen <lb/>Flammen werden nämlich die verſchiedenen Kohlehydrate, wie <lb/>Methan, Aethan, Aethylen, erſt erhitzt und bei der Temperatur <lb/>des ſchwarzen Kernes eigentlich erſt in Acetylen verwandelt, <lb/>um alsdann in die gelbe Zone zu gelangen. </s> <s xml:id="echoid-s6369" xml:space="preserve">Beim Acetylen <lb/>hingegen iſt das Leuchtmaterial fertig, daher hat es keinen <lb/>ſchwarzen Kern.</s> <s xml:id="echoid-s6370" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6371" xml:space="preserve">Das Acetylen wird bei 0° und 48 Atmoſphären Druck <lb/>flüſſig. </s> <s xml:id="echoid-s6372" xml:space="preserve">Wird aber der Druck kleiner oder die Temperatur <lb/>höher, ſo wird es wieder gasförmig und entwickelt eine große <lb/>Spannkraft; </s> <s xml:id="echoid-s6373" xml:space="preserve">eben das komprimierte Acetylen verurſachte einige <lb/>Unglücksfälle, es wird daher vom Gebrauch des flüſſigen <lb/>Acetylens ganz abgeſehen, zumal derſelbe auch polizeilich unter-<lb/>ſagt wurde.</s> <s xml:id="echoid-s6374" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6375" xml:space="preserve">Von den Verbindungen des Acetylens ſei in erſter Hin-<lb/>ſicht das Acetylenkupfer erwähut, da allgemein die Meinung <lb/>verbreitet worden iſt, daß Acetylen, in Kupfergefäßen oder <lb/>Gefäßen mit Kupferventilen gehalten, eine exploſive Verbindung <lb/>bildet. </s> <s xml:id="echoid-s6376" xml:space="preserve">Dem iſt jedoch nicht ſo. </s> <s xml:id="echoid-s6377" xml:space="preserve">Vielmehr iſt an eine Gefahr <lb/>bei Verwendung von Kupfer oder gar Meſſingverſchlüſſen <lb/>gar nicht zu denken.</s> <s xml:id="echoid-s6378" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6379" xml:space="preserve">Bedenklicher ſind die Verbindungen des Acetylens mit <lb/>Silber und Queckſilber, doch können dieſe bei der praktiſchen <lb/>Verwendung des Acetylens im Hausgebrauch nie und nirgends <lb/>vorkommen.</s> <s xml:id="echoid-s6380" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="112" file="530" n="530"/> <p> <s xml:id="echoid-s6381" xml:space="preserve">Das Acetylen wird gewonnen aus einem chemiſchen Stoff <lb/>namens Calciumcarbid, der von zwei genialen Chemikern, dem <lb/>Franzoſen <emph style="sp">Henri Moiſſan</emph> und dem Amerikaner <emph style="sp">Wilſon</emph>, <lb/>unabhängig von einander in größeren Quantitäten auf ver-<lb/>ſchiedene Weiſe gewonnen wurde.</s> <s xml:id="echoid-s6382" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6383" xml:space="preserve">Manche halten Acetylen für das Licht des 20ten Jahr-<lb/>hunderts. </s> <s xml:id="echoid-s6384" xml:space="preserve">Seine Vorteile, die es dazu prädeſtinieren, ſind: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6385" xml:space="preserve">das weiße intenſive Licht mit einer ruhigen, nicht ſauſenden <lb/>Flamme; </s> <s xml:id="echoid-s6386" xml:space="preserve">der Umſtand, daß ſeine Erzeugung nicht an eine <lb/>Centrale gebunden iſt, ſondern wo immer, durch wen immer, <lb/>mit einfachen Apparaten möglich gemacht werden kann.</s> <s xml:id="echoid-s6387" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6388" xml:space="preserve">Sein Preis hängt direkt vom Preiſe des Calciumcarbids <lb/>ab, da man dieſes nur mit Waſſer zu begießen braucht, um <lb/>Acetylen ſofort zu gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s6389" xml:space="preserve">In dieſer Hinſicht divergieren <lb/>die Anſichten der maßgebenden Fachleute ſoweit, daß während <lb/><emph style="sp">Wilſon</emph> den Koſtenpreis (des Fabrikanten) des Carbids ſchon <lb/>1895 per Metercentuer nicht höher als 8 Mark anſetzte, <emph style="sp">Bredel</emph> <lb/>behauptete, der Erzeugungspreis ſtelle ſich auf 15 Mark. </s> <s xml:id="echoid-s6390" xml:space="preserve">Da <lb/>ein Kilogramm Carbid 300 Liter Acetylen giebt (da aber <lb/>Carbid nicht rein iſt, iſt dies ein Maximum, welches nur ſelten <lb/>zu erreichen iſt), ſo würde nach <emph style="sp">Wilſon</emph> 1 Kubik-Meter Acetylen <lb/>27 Pfennige, nach <emph style="sp">Bredel</emph> 52 Pfennige koſten, gegen einen <lb/>Durchſchnittspreis von 20 Pfennigen des Leuchtgaſes. </s> <s xml:id="echoid-s6391" xml:space="preserve">Es ſei <lb/>jedoch bemerkt, daß dafür auch der Lichteffekt des Acetylens <lb/>16—20 mal größer iſt, als der des Leuchtgaſes.</s> <s xml:id="echoid-s6392" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6393" xml:space="preserve">Unter der Vorausſetzung, daß ein Liter Acetylen 0, 15 Pf. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6394" xml:space="preserve">koſtet, was keineswegs zu niedrig gegriffen iſt, und unter der <lb/>Annahme, daß ein Licht von einer Normalkerze, falls wir <lb/>durch dasſelbe die Leuchtkraft einer Leuchtgasflamme er-<lb/>zeugen wollen, ſtündlich {3/4} Liter Acetylen verbraucht, ſo <lb/>werden ſtündlich für 15 Normalkerzen 11,2 Liter Acetylen <lb/>verbraucht, und dieſe Flamme würde ſtündlich 1,88 Pf. </s> <s xml:id="echoid-s6395" xml:space="preserve"><lb/>koſten.</s> <s xml:id="echoid-s6396" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="113" file="531" n="531"/> <p> <s xml:id="echoid-s6397" xml:space="preserve">Zu 1000 Normalkerzen Stärke werden daher verbraucht: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6398" xml:space="preserve">8325 Liter Leuchtgas, <lb/>800 - Acetylen.</s> <s xml:id="echoid-s6399" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6400" xml:space="preserve">Da ein Liter Acetylen ſich auf 0,15 Pf, ſtellt, ein Liter <lb/>Gas hingegen 0,02 Pf. </s> <s xml:id="echoid-s6401" xml:space="preserve">koſtet, ſo ſtellen ſich 1000 Normal-<lb/>kerzen <lb/>mit Leuchtgas (8325 Liter) auf 166,5 Pf. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6402" xml:space="preserve">- Acetylen (800 - ) - 126,— -</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6403" xml:space="preserve"><emph style="sp">Acetylen iſt daher viel billiger als Gas.</emph></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6404" xml:space="preserve">Es darf auch nicht außer acht gelaſſen werden, daß der <lb/>Preis des Carbids fortwährend bedeutend reduziert wird, da <lb/>jetzt ſchon viele Fabriken gebaut worden ſind.</s> <s xml:id="echoid-s6405" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6406" xml:space="preserve">Wie ſteht’s nun aber mit der Gefährlichkeit des Acetylens? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6407" xml:space="preserve">Iſt es nicht exploſiver Natur? </s> <s xml:id="echoid-s6408" xml:space="preserve">In Verbindung mit Luft iſt <lb/>es unſtreitig gefährlich, aber nur in einer ganz beſtimmten <lb/>Verbindung: </s> <s xml:id="echoid-s6409" xml:space="preserve">mit 12 Volumen Luft; </s> <s xml:id="echoid-s6410" xml:space="preserve">Leuchtgas explodiert ſchon <lb/>mit 6 Volumen. </s> <s xml:id="echoid-s6411" xml:space="preserve">Das Leuchtgas iſt daher als gefährlicher zu <lb/>betrachten als das Acetylen: </s> <s xml:id="echoid-s6412" xml:space="preserve">und wenn uns die Anwendung <lb/>jenes nicht ſchreckt, ſo brauchen wir uns auch vor dieſem nicht <lb/>zu fürchten. </s> <s xml:id="echoid-s6413" xml:space="preserve">Abgeſehen davon iſt der intenſive Acetylen-Geruch <lb/>Gewähr genug dafür, daß es nur ſehr ſchwer zu einer unvor-<lb/>ſichtigen Entzündung eines Acetylen- und Luft-Gemiſches und <lb/>zu einer Exploſion kommen kann.</s> <s xml:id="echoid-s6414" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6415" xml:space="preserve">Eine andere Frage iſt die, ob das Acetylen giftig iſt? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6416" xml:space="preserve">Ja, aber iſt denn Leuchtgas nicht giftig? </s> <s xml:id="echoid-s6417" xml:space="preserve"><emph style="sp">Birchmoore</emph>, ein <lb/>Amerikaner, ſchrieb, daß ein hundertſtel Procent Acetylen ſchon <lb/>giftig wirkt; </s> <s xml:id="echoid-s6418" xml:space="preserve">demgegenüber machte <emph style="sp">Grehaut</emph> eine Meldung <lb/>an die Akademie in Paris, daß es unter 20 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6419" xml:space="preserve">in der Luft <lb/>gar nicht gefährlich iſt; </s> <s xml:id="echoid-s6420" xml:space="preserve">wenn die Luft über 30 bis 40 pCt. </s> <s xml:id="echoid-s6421" xml:space="preserve"><lb/>enthält, iſt es gefährlich. </s> <s xml:id="echoid-s6422" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vérteß</emph> hat viele Verſuche gemacht, <lb/>hat es eingeatmet, ſein Laboratorium war voll Acetylen, und <lb/>nie hat er arge Folgen gefühlt. </s> <s xml:id="echoid-s6423" xml:space="preserve">Jedenfalls iſt es nicht ſo giftig</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6424" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s6425" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph> Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s6426" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s6427" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="114" file="532" n="532"/> <p> <s xml:id="echoid-s6428" xml:space="preserve">wie Leuchtgas, denn Kohlenoxyd und Methan, die giftigen <lb/>Beſtandteile des Leuchtgaſes, enthält es nicht, es wäre denn, <lb/>daß das Carbid nicht rein iſt.</s> <s xml:id="echoid-s6429" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div252" type="section" level="1" n="165"> <head xml:id="echoid-head186" xml:space="preserve"><emph style="bf">XXXI. Schlußbetrachtungen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6430" xml:space="preserve">Ja, aber was iſt nun das? </s> <s xml:id="echoid-s6431" xml:space="preserve">Am Schluſſe des vorletzten <lb/>Kapitels ſchien es, als ob wir das Gasglühlicht als die beſte <lb/>und einzig rationelle Beleuchtung empfehlen wollten, und nun <lb/>ſingen wir wieder das Lob des Acetylens und thun, als ob <lb/>gegen dieſe Beleuchtungsmethode alle anderen zurücktreten <lb/>müßten. </s> <s xml:id="echoid-s6432" xml:space="preserve">Und wenn wir jetzt zufällig gerade die Vorteile des <lb/>elektriſchen Lichtes hervorzuheben hätten, dann würde es wahr-<lb/>ſcheinlich dem Leſer wieder ſcheinen, als ob dieſer Methode <lb/>einzig und allein die Zukunft gehören müſſe. </s> <s xml:id="echoid-s6433" xml:space="preserve">Welches iſt denn <lb/>nun wirklich die beſte Beleuchtung?</s> <s xml:id="echoid-s6434" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6435" xml:space="preserve">Lieber Leſer! Es kam uns hier nicht darauf an, dieſe <lb/>Frage zu entſcheiden, und es wäre auch verfrüht, einen ſolchen <lb/>Verſuch zu machen, da jedes Jahr noch große Fortſchritte in <lb/>der Beleuchtungstechnik bringt und die Zukunft wahrſcheinlich <lb/>noch neue Geheimniſſe und Fortſchritte birgt, gegen deren Er-<lb/>rungenſchaften uns alles bisher Erreichte unſcheinbar vor-<lb/>kommt. </s> <s xml:id="echoid-s6436" xml:space="preserve">Wir wollten nicht eine Beleuchtungsmethode heraus-<lb/>ſtreichen vor der anderen und für ſie Reklame machen; </s> <s xml:id="echoid-s6437" xml:space="preserve">wir <lb/>wollten Dir, lieber Leſer, nur an einem typiſchen und beſonders <lb/>intereſſanten Beiſpiel zeigen, “wie wir es doch ſo herrlich weit <lb/>gebracht”, wir wollten Dich darauf hinweiſen, welche Rieſen-<lb/>ſumme von Geiſteskraft und Erfahrung ſeit Jahrhunderten <lb/>und Jahrtauſenden aufgewandt werden mußte, um Dir und <lb/>der übrigen Kulturmenſchheit <emph style="sp">eine</emph>, nur <emph style="sp">eine</emph> unter zahl- <pb o="115" file="533" n="533"/> loſen anderen Bequemlichkeiten zu verſchaffen, welche Du viel-<lb/>leicht gedankenlos genießt und als ſelbſtverſtändlich hinnimmſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6438" xml:space="preserve">Und wir wollten in Dir Freude und Stolz erwecken beim An-<lb/>blick einer einzigen unter den unendlich vielen, naturwiſſen-<lb/>ſchaftlichen Errungenſchaften unſeres herrlichen Zeitalters, <lb/>unſeres großen Jahrhunderts.</s> <s xml:id="echoid-s6439" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6440" xml:space="preserve">Und ähnliche Überlegungen, wie wir ſie Dir an <emph style="sp">einem</emph> <lb/>Beiſpiel, der Beleuchtung, gezeigt haben, die ſtelle zuweilen <lb/>auch an bei Betrachtung und Benutzung ſo vieler anderer all-<lb/>täglicher Bequemlichkeiten. </s> <s xml:id="echoid-s6441" xml:space="preserve">Wo Du auch hinblickſt, überall <lb/>wirſt Du überreichen Stoff finden für großartige und über-<lb/>raſchende Gedankenketten, die ſich weithin erſtrecken über Raum <lb/>und Zeit, über die Kulturmenſchheit und die Kulturgeſchichte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6442" xml:space="preserve">Und wenn Dich Dein Gedankenausflug dann wieder zurück-<lb/>geführt hat zur Gegenwart, ſo wirſt Du immer und immer <lb/>wieder mit ſtaunender Bewunderung die Segnungen der <lb/>Kultur betrachten und genießen, die dem friedlichen, inter-<lb/>nationalen Wettſtreit der Geiſter ihre Entſtehung verdanken. </s> <s xml:id="echoid-s6443" xml:space="preserve"><lb/>Achtung, Liebe und Bewunderung wirſt Du immer wieder <lb/>empfinden müſſen für das Menſchengeſchlecht in ſeiner Geſamt-<lb/>heit und für den Vorn und den Urquell aller Kultur: </s> <s xml:id="echoid-s6444" xml:space="preserve">— die <lb/>naturwiſſeuſchaftliche Forſchung.</s> <s xml:id="echoid-s6445" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="534" n="534"/> </div> <div xml:id="echoid-div253" type="section" level="1" n="166"> <head xml:id="echoid-head187" xml:space="preserve"><emph style="bf">Biniges aus der Klimatologie.</emph></head> <head xml:id="echoid-head188" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Was iſt “Meteorologie”?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6446" xml:space="preserve">Über kein anderes Gebiet der Naturwiſſenſchaft dürften im <lb/>großen Publikum ſo zahlreiche unklare und verkehrte Anſichten <lb/>herrſchen, wie über die Meteorologie oder Witterungskunde. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6447" xml:space="preserve">Was dieſe junge Wiſſenſchaft eigentlich thut und treibt, was <lb/>für Ziele ſie verfolgt, in welcher Weiſe ſie ihre Beobachtungen <lb/>vornimmt, davon haben außerordentlich wenig Menſchen eine <lb/>richtige Vorſtellung. </s> <s xml:id="echoid-s6448" xml:space="preserve">Selbſt hochgebildete Leute bilden ſich oft, <lb/>ja ſogar in der Regel ein, daß Meteorologie und Aſtronomie <lb/>ungefähr ein und dasſelbe wären, und daß die “Beobachtungen” <lb/>der Meteorologen ſich auf den Lauf der Sonne und des <lb/>Mondes oder ſonſtiger Geſtirne erſtreckten. </s> <s xml:id="echoid-s6449" xml:space="preserve">Das iſt aber <lb/>grundverkehrt! Ja, man kann ſogar mit vollem Recht be-<lb/>haupten, daß von all den Zweigen der Naturwiſſenſchaft kaum <lb/>ein einziger ſo wenig Berührungspunkte mit der Meteorologie <lb/>hat, wie gerade die Aſtronomie. </s> <s xml:id="echoid-s6450" xml:space="preserve">Die Meteorologie beobachtet <lb/>nicht den Lauf der Geſtirne, ſondern Luftdruck, Lufttemperatur, <lb/>Feuchtigkeit der Luft, Bewölkung, Windrichtung und -Stärke. </s> <s xml:id="echoid-s6451" xml:space="preserve"><lb/>Niederſchlag u. </s> <s xml:id="echoid-s6452" xml:space="preserve">ſ. </s> <s xml:id="echoid-s6453" xml:space="preserve">w.</s> <s xml:id="echoid-s6454" xml:space="preserve">, alſo lauter Vorgänge, die ſich auf oder <lb/>unmittelbar über der Erdoberfläche abſpielen und mit der <lb/>Sternkunde nicht das geringſte zu thun haben, und die Inſtru-<lb/>mente, die ſie benutzt, ſind beileibe keine Fernrohre, ſondern <pb o="117" file="535" n="535"/> ausſchließlich Barometer, Thermometer, Hygrometer, Regen-<lb/>meſſer und Windfahne, allenfalls noch Anemometer (Wind-<lb/>ſtärke-Meſſer) und Regiſtrierapparate.</s> <s xml:id="echoid-s6455" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6456" xml:space="preserve">Und was für Ziele verfolgt die Meteorologie? </s> <s xml:id="echoid-s6457" xml:space="preserve">Der Laie <lb/>glaubt faſt immer, daß dieſe ganze Wiſſenſchaft lediglich dazu <lb/>da iſt, Wetterprophezeiungen und -Prognoſen zu machen, und <lb/>bildet ſich thatſächlich ein, daß die Meteorologen, die “Wetter-<lb/>macher”, den ganzen Tag da ſitzen und ſinnen und ſich den <lb/>Kopf zerbrechen, um herauszubekommen, wie wohl jetzt das <lb/>Wetter werden mag, ſofern ſie nicht gerade durch ihre Fern-<lb/>rohre den Mond beobachten, der ja nach uraltem Volksglauben <lb/>der eigentliche Wettermacher par excellence iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6458" xml:space="preserve">Aber davon <lb/>iſt gar keine Rede, und um den Mond kümmern ſich die <lb/>wirklich wiſſenſchaftlich vorgehenden Meteorologen ſchou gar <lb/>nicht mehr, ſeitdem auf ſtreng mathematiſchem wie auf ſtatiſti-<lb/>ſchem Wege zum Überdruß oft nachgewieſen iſt, daß ein irgend-<lb/>wie bemerkenswerter Einfluß des Mondes aufs Wetter nicht <lb/>exiſtiert, und daß ſomit jener überall verbreitete, tief wurzelnde <lb/>Volksglaube ein Aberglaube iſt — was freilich das große <lb/>Publikum nicht hindert, dennoch ſteif und feſt an den Wetter-<lb/>einfluß des Mondes nach wie vor zu glauben. </s> <s xml:id="echoid-s6459" xml:space="preserve">—</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6460" xml:space="preserve">Nein, unſere Meteorologen haben in der überwiegenden <lb/>Mehrzahl ganz andere Dinge zu thun, als ſich mit dem herzlich <lb/>undankbaren Geſchäft des Wetterprophezeiens abzugeben. </s> <s xml:id="echoid-s6461" xml:space="preserve">Gewiß <lb/>iſt die wiſſenſchaftliche Wetterprognoſe von hoher Wichtigkeit, <lb/>und wir haben im Teil I auch ſchon gezeigt, in wie be-<lb/>wundernswerter Weiſe heute alle Länder Europas zuſammen-<lb/>arbeiten, um eine möglichſt ſichere Prognoſe für die einzelnen <lb/>Länder unſeres Kontinents zu erzielen. </s> <s xml:id="echoid-s6462" xml:space="preserve">Aber nicht iſt die <lb/>Wetterprognoſe etwa nun die ganze Meteorologie oder auch <lb/>nur ein Hauptbeſtandteil davon, genau ebenſowenig wie etwa die <lb/>Hygiene der Hauptbeſtandteil der mediziniſchen Wiſſenſchaft iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6463" xml:space="preserve">Vielmehr iſt das Prognoſenweſen nur ein Zweig, nur eine <pb o="118" file="536" n="536"/> Unterabteilung, nur die “Hygiene” der Wetterkunde, deren weſent-<lb/>lichſte andere Unterabteilungen die mathematiſch-theoretiſche <lb/>Meteorologie, die Statiſtik und Witterungsgeſchichte nebſt dem <lb/>Beobachtungsweſen ſelbſt, ſowie endlich die Klimatologie ſind <lb/>— ganz zu ſchweigen von dem Gebiete der erdmagnetiſchen <lb/>Forſchungen, das zwar heute noch als Unterabteilung der <lb/>Meteorologie zählt, aber über kurz oder lang zweifellos ein <lb/>eigenes, unabhängiges Feld der Wiſſenſchaft darſtellen wird. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6464" xml:space="preserve">In dem folgenden ſoll uns nun einmal die Klimatologie etwas <lb/>näher beſchäftigen, und ſpeziell eine Betrachtung über unſer <lb/>mitteleuropäiſches Klima.</s> <s xml:id="echoid-s6465" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div254" type="section" level="1" n="167"> <head xml:id="echoid-head189" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Was iſt “Klimatologie”?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6466" xml:space="preserve">Was wir unter Klima verſtehen, wird dem Leſer wohl <lb/>ſo ungefähr bekannt ſein; </s> <s xml:id="echoid-s6467" xml:space="preserve">wir wollen aber hier bemerken, daß <lb/>Klima und Witterung zwei ganz verſchiedene Dinge ſind. </s> <s xml:id="echoid-s6468" xml:space="preserve">Die <lb/>Witterung eines Ortes iſt in faſt täglichem, oft ſtündlichem <lb/>Wechſel begriffen, das Klima eines Ortes bleibt im Laufe der <lb/>Jahre unverändert, “Witterung” bezeichnet den augenblicklichen <lb/>atmoſphäriſchen Zuſtand, “Klima” den jährlichen Geſamt-<lb/>charakter der Witterung. </s> <s xml:id="echoid-s6469" xml:space="preserve">Daher ſpricht man von der Witterung <lb/>eines Tages, aber nicht vom Klima eines Tages. </s> <s xml:id="echoid-s6470" xml:space="preserve">Ja, zwiſchen <lb/>Klima und Witterung beſteht ein ſo weſentlicher Unterſchied, <lb/>daß man von dem einen auf das andere durchaus nicht <lb/>ſchließen kann. </s> <s xml:id="echoid-s6471" xml:space="preserve">Während das Klima eines Landes mit ſeiner <lb/>geographiſchen Lage im engen Zuſammenhang ſteht, zeigt die <lb/>Witterung nicht ſelten Erſcheinungen, welche im vollen <lb/>Gegenſatz zum längſt bekannten Klima ſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s6472" xml:space="preserve">Es kommen <pb o="119" file="537" n="537"/> Fälle vor, in welchen Froſt mitten in heißen Klimaten und <lb/>Wärme in eutſchieden kalten Ländern auftreten.</s> <s xml:id="echoid-s6473" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6474" xml:space="preserve">Eine der wichtigſten Aufgaben der Meteorologie beſteht <lb/>nun darin, das Klima der verſchiedenſten Orte der Erde <lb/>kennen zu lernen und durch Zahlenangaben (langjährige <lb/>Mittelwerte der mannigfachen meteorologiſchen Faktoren für <lb/>das Jahr ſowie die einzelnen Monate) auszudrücken. </s> <s xml:id="echoid-s6475" xml:space="preserve">Eine <lb/>zuſammenfaſſende und vergleichende Beſchreibung der ver-<lb/>ſchiedenen Klimate iſt nun neben der Kenntnis der einzelnen <lb/>Klimate das, was man Klimatologie nennt; </s> <s xml:id="echoid-s6476" xml:space="preserve">und zwar iſt dieſe <lb/>Wiſſenſchaft weitaus wichtiger, als es auf den erſten Blick <lb/>ſcheinen mag, und von hoher praktiſcher Bedeutung.</s> <s xml:id="echoid-s6477" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6478" xml:space="preserve">Ehe wir uns nun aber auf die eigentliche Klimatologie <lb/>einlaſſen können, wollen wir uns zunächſt einmal einige Grund-<lb/>begriffe und Thatſachen aus dem Gebiete der theoretiſchen <lb/>Meteorologie vor Augen führen.</s> <s xml:id="echoid-s6479" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div255" type="section" level="1" n="168"> <head xml:id="echoid-head190" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Die Wärmeverteilung auf der Erde.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6480" xml:space="preserve">Es iſt eine Eigentümlichkeit der Wärmeſtrahlen, daß ſie <lb/>am ſtärkſten wirken, wo ſie ſenkrecht auf eine Fläche fallen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6481" xml:space="preserve">wo ſie ſchräg eine Fläche treffen, da nimmt ihre wärmende <lb/>Kraft in einem beſtimmten Maße ab, je größer die Abweichung <lb/>von der ſenkrechten Linie, oder — was dasſelbe iſt — je ſchräger <lb/>die Ebene zu den Wärmeſtrahlen liegt.</s> <s xml:id="echoid-s6482" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6483" xml:space="preserve">Da die Erde eine Kugel iſt, ſo fallen die Sonnenſtrahlen <lb/>immer nur auf einen einzigen Punkt vollkommen ſenkrecht auf <lb/>und wirken auf demſelben am ſtärkſten; </s> <s xml:id="echoid-s6484" xml:space="preserve">da ſich jedoch die Erde <lb/>in vierundzwanzig Stunden um ihre Axe dreht, ſo wechſelt der <lb/>Punkt der höchſten Erwärmung auch unausgeſetzt mit der Um- <pb o="120" file="538" n="538"/> drehung der Erde und wandert in vierundzwanzig Stunden in <lb/>einem Kreiſe herum. </s> <s xml:id="echoid-s6485" xml:space="preserve">Alle anderen Punkte der Erdkugel er-<lb/>halten nur eine immer ſchwächer und ſchwächer werdende <lb/>Portion Wärme, je ſchräger ſie von den Strahlen der Sonne <lb/>getroffen werden, oder — was dasſelbe iſt — je tiefer die <lb/>Sonne an ihrem Horizont ſteht.</s> <s xml:id="echoid-s6486" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6487" xml:space="preserve">Da die Lage der Erdaxe ſo iſt, daß ihre Pole immer nur <lb/>ſehr ſchräg von den Sonnenſtrahlen getroffen werden und bei <lb/>dem jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne abwechſelnd <lb/>bald der eine bald der andere Pol volle ſechs Monate ganz <lb/>und gar des Sonnenlichtes entbehrt, ſo entſtehen auf der Erd-<lb/>kugel ſehr verſchiedene Zonen der Erwärmung. </s> <s xml:id="echoid-s6488" xml:space="preserve">Um den Kreis, <lb/>der in der Mitte zwiſchen beiden Polen liegt, um den Äquator <lb/>der Erde, findet ſich eine heiße Zone. </s> <s xml:id="echoid-s6489" xml:space="preserve">Dort fallen die <lb/>Sonnenſtrahlen um die Mittagsſtunde faſt immer ſenkrecht auf <lb/>die Ebene des Horizonts. </s> <s xml:id="echoid-s6490" xml:space="preserve">Zu beiden Seiten dieſer heißen <lb/>Zone und nach beiden Polen der Erde zu tritt die Abwechſelung <lb/>im Lauf eines Jahres ein, je nachdem der eine oder der <lb/>andere Pol von dem Sonnenlichte getroffen wird, wodurch der <lb/>Sommer und der Winter entſteht. </s> <s xml:id="echoid-s6491" xml:space="preserve">In der Nähe der Pole <lb/>ſelbſt aber, wo auch im günſtigſten Falle die Sonne niemals <lb/>hoch über dem Horizont ſteht, herrſcht ſelbſt in den Sommer-<lb/>monaten nur eine ſehr geringe Wärme, während die Kälte in <lb/>den Winterzeiten in der ſechsmonatlichen Nacht ihren höchſten <lb/>Grad erreicht.</s> <s xml:id="echoid-s6492" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6493" xml:space="preserve">In dieſem Zuſtand auf der Erdkugel ſpielt nun die Luft <lb/>eine ſehr bedeutſame, wichtige Rolle in Bezug auf die Erhaltung <lb/>der Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s6494" xml:space="preserve">Sie bildet eine Art Mantel, der zwar den <lb/>Wärmeſtrahlen nicht ſofort den Durchgang zur Erde geſtattet, <lb/>aber dafür es auch verhütet, daß die Wärme ſchnell wieder <lb/>verſchwindet und in den Weltraum ausſtrahlt, wenn die Sonne <lb/>unter dem Horizont ſteht.</s> <s xml:id="echoid-s6495" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6496" xml:space="preserve">Dieſe Rolle der Lufthülle macht ſich auf der ganzen Erd- <pb o="121" file="539" n="539"/> kugel geltend. </s> <s xml:id="echoid-s6497" xml:space="preserve">Hätte die Erde nicht dieſen Mantel um ſich, ſo <lb/>würde ſelbſt am Äquator in jeder Nacht Froſt herrſchen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6498" xml:space="preserve">Die Wärme, welche die Oberfläche der Erde an einem Tage <lb/>erhält, dringt nämlich nie weit in die Tiefe ein. </s> <s xml:id="echoid-s6499" xml:space="preserve">Die Wärme <lb/>würde ſelbſt am Äquator ſofort mit dem Sonnenaufgang be-<lb/>ginnen zu ſteigen, ihren höchſten Grad um Mittag erreichen <lb/>und dann ſogleich zu ſinken anfangen bis zum Sonnenuntergang, <lb/>um ſich während der Nacht vollkommen wieder durch Aus-<lb/>ſtrahlung in den kalten Weltraum zu verflüchten.</s> <s xml:id="echoid-s6500" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6501" xml:space="preserve">Die Lufthülle bewirkt es, daß die Wärme langſamer ſteigt, <lb/>ihren Höhepunkt erſt zwei Stunden nach dem Mittag erreicht <lb/>und während der Nacht keineswegs verſchwindet. </s> <s xml:id="echoid-s6502" xml:space="preserve">Der Zeit-<lb/>punkt der Kälte iſt daher auch nicht um Mitternacht, ſondern <lb/>tritt erſt gegen Morgen ein, und die Kälte erreicht niemals, <lb/>ſelbſt in den kälteſten Gegenden nicht, die Höhe, welche that-<lb/>ſächlich im Weltraum herrſcht.</s> <s xml:id="echoid-s6503" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6504" xml:space="preserve">Eine noch entſchiedenere Rolle ſpielt hierbei die Feuchtig-<lb/>keit, welche ſich in der Luft befindet und deren Entſtehung wir <lb/>noch näher kennen lernen werden. </s> <s xml:id="echoid-s6505" xml:space="preserve">Sie verhindert ſowohl das <lb/>Eindringen der Wärmeſtrahlen am Tage wie das Ausſtrahlen <lb/>derſelben in der Nacht. </s> <s xml:id="echoid-s6506" xml:space="preserve">An wolkigen Tagen iſt es nicht ſo <lb/>warm und in wolkigen Nächten nicht ſo kalt wie bei klarem, <lb/>wolkenloſen Himmel. </s> <s xml:id="echoid-s6507" xml:space="preserve">In den Weltgegenden fern vom Äquator <lb/>und ſelbſt an den Polen iſt dieſe Rolle der Luft als ſchützende <lb/>Hülle noch entſchiedener, und die Feuchtigkeit der Luft, die <lb/>als Nebel, als Wolke, als Regen, als Schnee auftritt, bewirkt <lb/>eine Mäßigung des Zuſtandes, die ſehr bedeutſam für die <lb/>Verteilung der Wärme auf der Erdkugel iſt.</s> <s xml:id="echoid-s6508" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="122" file="540" n="540"/> </div> <div xml:id="echoid-div256" type="section" level="1" n="169"> <head xml:id="echoid-head191" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Die Rolle der Luftbewegung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6509" xml:space="preserve">Wäre nun die Lufthülle ein unbeweglicher Mantel um <lb/>die Erdkugel, ſo würde ihre Einwirkung eine gleichmäßige und <lb/>ſtetige ſein, und die Einwirkung würde mathematiſcher Be-<lb/>rechnung vollkommen unterzogen werden können. </s> <s xml:id="echoid-s6510" xml:space="preserve">Aber die <lb/>Luft iſt ſehr beweglich. </s> <s xml:id="echoid-s6511" xml:space="preserve">Der Mantel wird ſowohl gelockert <lb/>wie verdichtet von Naturkräften, die wir noch näher betrachten <lb/>müſſen; </s> <s xml:id="echoid-s6512" xml:space="preserve">zudem iſt er auch außerordentlich leicht verſchiebbar <lb/>und wechſelt ſeine Lage faſt unausgeſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s6513" xml:space="preserve">Und dieſer Umſtand <lb/>ſtört die mathematiſche Rechenkunſt und macht die Wetter-<lb/>beſtimmung zu einer Aufgabe, in welcher man den kommenden <lb/>Moment mit ſtets wechſelnden und fortwährend Störungen <lb/>ausgeſetzten Faktoren in Rechnung ziehen muß.</s> <s xml:id="echoid-s6514" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6515" xml:space="preserve">Von der Einwirkung der Wärme auf die bewegliche Luft-<lb/>hülle wiſſen wir nun folgendes mit voller Sicherheit.</s> <s xml:id="echoid-s6516" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6517" xml:space="preserve">Die Wärme, welche alle Gegenſtände ausdehnt, wirkt auch <lb/>auflockernd und ausdehnend auf die Lufthülle. </s> <s xml:id="echoid-s6518" xml:space="preserve">Um den <lb/>Äquator der Erde, wo die Wärmeſtrahlen der Sonne am <lb/>ſtärkſten ſind, findet eine ſtärkere Ausdehnung der Lufthülle <lb/>ſtatt. </s> <s xml:id="echoid-s6519" xml:space="preserve">Da bei dieſer Ausdehnung die Luft leichter wird, als ſie <lb/>ſonſt iſt, ſteigt ſie zur Höhe und bewirkt dadurch eine Luft-<lb/>verdünnung, welche ein Zuſtrömen der kälteren und dichteren <lb/>Luftmaſſen von beiden Seiten der Erdkugel her zu Wege <lb/>bringt. </s> <s xml:id="echoid-s6520" xml:space="preserve">Hierdurch entſteht an den Polen der Erde eine Luft-<lb/>leere, welche ſich ausfüllt durch die vom Äquator her hochauf-<lb/>geſtiegenen Luftmaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s6521" xml:space="preserve">Es finden daher um die Erdkugel <lb/>zwei Luftſtrömungen entgegengeſetzter Richtung ſtatt. </s> <s xml:id="echoid-s6522" xml:space="preserve">In der <lb/>Höhe begiebt ſich ein warmer Luftſtrom von dem Äquator <lb/>nach den Polen hin, und näher an der Erdoberfläche drängen <lb/>ſich kalte Luftmaſſen von den Polen nach dem Äquator hin.</s> <s xml:id="echoid-s6523" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6524" xml:space="preserve">Dieſer Zuſtand der Luftſtrömungen erleidet aber durch <pb o="123" file="541" n="541"/> die Umdrehung der Erde um ihre Axe eine Modifikation, <lb/>welche ſehr weſentlich iſt, und die wir nun näher vorführen <lb/>müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s6525" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6526" xml:space="preserve">Die Drehung der Erdkugel um ihre Axe geht von Weſten <lb/>nach Oſten vor ſich, und es geſchieht dieſe Umdrehung mit <lb/>durchaus gleichmäßiger Geſchwindigkeit; </s> <s xml:id="echoid-s6527" xml:space="preserve">allein die Oberfläche <lb/>der Kugel iſt bei dieſer Geſchwindigkeit in ſehr verſchiedenem <lb/>Grade beteiligt. </s> <s xml:id="echoid-s6528" xml:space="preserve">Am Äquator beſchreibt jeder Punkt alltäglich <lb/>einen Kreis, der dem ganzen Umfang der Erde gleich iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6529" xml:space="preserve">Wer ſich auf dem Äquator befindet, macht mit der Erde einen <lb/>alltäglichen Rundlauf, in welchem er ſich in jeder Sekunde <lb/>über 400 Meter fortbewegt. </s> <s xml:id="echoid-s6530" xml:space="preserve">Am Pol iſt zwar die Um-<lb/>drehungszeit ebenſo groß; </s> <s xml:id="echoid-s6531" xml:space="preserve">aber die Geſchwindigkeit iſt Null, <lb/>da der Pol eben ein Punkt iſt, der ſich in vierundzwanzig <lb/>Stunden nur einmal um ſich ſelber dreht. </s> <s xml:id="echoid-s6532" xml:space="preserve">In allen <lb/>Gegenden zwiſchen dem Pol und dem Äquator iſt die Ge-<lb/>ſchwindigkeit der Bewegung eine verſchiedene je nach der <lb/>näheren oder entfernteren Lage dieſes Punktes vom Äquator, <lb/>je nach dem kleineren oder größeren Kreis, den der Punkt bei <lb/>der Umdrehung beſchreibt.</s> <s xml:id="echoid-s6533" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6534" xml:space="preserve">So unmerklich nun dieſer Unterſchied der Geſchwindigkeit <lb/>für uns iſt, gleichviel auf welchem Punkt der Oberfläche wir <lb/>uns befinden, ſo bedeutſam wird doch der Unterſchied für alle <lb/>Gegenſtände, welche ſich vom Äquator zum Pol oder vom <lb/>Pol zum Äquator hin bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s6535" xml:space="preserve">Auf dem Äquator der Erde <lb/>hat jeder Gegenſtand eine Geſchwindigkeit, die ihn mit der <lb/>Erdkugel in jeder Sekunde mehr als vierhundert Meter nach <lb/>Oſten treibt. </s> <s xml:id="echoid-s6536" xml:space="preserve">Wird ſolch ein Gegenſtand in irgend welcher <lb/>Weiſe nach einem der Pole hingeſchleudert, ſo verliert er <lb/>darum ſeine Geſchwindigkeit nach Oſten keineswegs. </s> <s xml:id="echoid-s6537" xml:space="preserve">Er nähert <lb/>ſich wohl der Polgegend, aber nicht geradeaus, ſondern ſtets <lb/>ſeitlich mit einer zugleich nach Oſten gerichteten Bewegung. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6538" xml:space="preserve">Eine Kugel, welche man vom Äquator nach dem Nordpol <pb o="124" file="542" n="542"/> hinabſchießt, wird — vorausgeſetzt, daß ſie Hunderte von <lb/>Meilen fliegen könnte — den Lauf in nordöſtlicher Richtung <lb/>@nnehmen.</s> <s xml:id="echoid-s6539" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6540" xml:space="preserve">Aber nicht bloß geſchoſſene Kugeln, ſondern auch andere <lb/>in Bewegung befindliche Maſſen, wie zum Beiſpiel das Waſſer <lb/>aller Flüſſe, zeigen die Einwirkung der Erdumdrehung in eben <lb/>ſolcher Weiſe. </s> <s xml:id="echoid-s6541" xml:space="preserve">Jeder Fluß, der vom Äquator nach dem <lb/>Nordpol zu, alſo vom Süden nach Norden hinſtrömt, hat eine <lb/>ſtarke Neigung nach Oſten hin und unterwühlt die Ufer der <lb/>öſtlichen Seite ſtärker als die weſtlichen. </s> <s xml:id="echoid-s6542" xml:space="preserve">Ganz dasſelbe iſt <lb/>auch an den Flüſſen bemerkbar, die vom Äquator nach dem <lb/>Südpol hin, alſo von Nord nach Süd ihren Lauf haben. </s> <s xml:id="echoid-s6543" xml:space="preserve">Sie <lb/>beſitzen eine ſüdöſtliche Neigung und ſpülen die öſtlichen Ufer <lb/>ſtärker als die weſtlichen an.</s> <s xml:id="echoid-s6544" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6545" xml:space="preserve">Das ganz Entgegengeſetzte iſt aber der Fall mit allen <lb/>Gegenſtänden, welche ſich von den Polen nach dem Äquator <lb/>hin bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s6546" xml:space="preserve">An den Polen iſt die Umſchwungsgeſchwindig-<lb/>keit gleich Null. </s> <s xml:id="echoid-s6547" xml:space="preserve">Ein Gegenſtand, der ſich von dort her nach <lb/>dem Äquator zu begiebt, gerät immer mehr in Zonen, welche <lb/>ſich, je näher ſie dem Äquator ſind, deſto ſchneller nach Oſten <lb/>hin bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s6548" xml:space="preserve">Der Gegenſtand, der keine öſtliche Geſchwindig-<lb/>keit hat, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s6549" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6550" xml:space="preserve">ein Strom, der von Norden nach Süden <lb/>fließt, wird an der Weſtſeite ſeines Ufers einen größeren <lb/>Widerſtand erleiden und von dieſem mehr fortſpülen, als von <lb/>der Oſtſeite. </s> <s xml:id="echoid-s6551" xml:space="preserve">Eine Folge hiervon zeigt ſich denn auch that-<lb/>ſächlich darin, daß auf unſerer nördlichen Halbkugel die zur <lb/>rechten Hand liegenden Ufer aller Flüſſe, welche in der Richtung <lb/>von Süd nach Nord oder von Nord nach Süd ihren Lauf <lb/>haben, viel ſtärker unterwühlt und alſo auch höher ſind, als <lb/>die zur Linken liegenden Ufer. </s> <s xml:id="echoid-s6552" xml:space="preserve">Auf der ſüdlichen Halbkugel <lb/>iſt es umgekehrt: </s> <s xml:id="echoid-s6553" xml:space="preserve">es ſind die Ufer ſolcher Flüſſe zur Linken <lb/>gebirgiger als die zur Rechten.</s> <s xml:id="echoid-s6554" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6555" xml:space="preserve">In noch viel entſchiedenerem Grade tritt der Einfluß <pb o="125" file="543" n="543"/> der Erdumdrehung auf die Bewegung der Luftmaſſen hervor. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6556" xml:space="preserve">Die Wärme, welche die Luft in der Äquatorgegend ausdehnt, <lb/>auflockert und in die Höhe ſteigen läßt, benimmt derſelben <lb/>keineswegs die Geſchwindigkeit ihres Umſchwungs nach Oſten. </s> <s xml:id="echoid-s6557" xml:space="preserve"><lb/>Werden dieſe erwärmten Luftmaſſen hoch oben nach den Polen <lb/>hingetrieben, ſo geraten ſie immer weiter und weiter in Zonen, <lb/>welche dieſe Geſchwindigkeit nach Oſten nicht haben. </s> <s xml:id="echoid-s6558" xml:space="preserve">Dieſe <lb/>hoch oben nach den Polen hinſtrömenden Luftmaſſen werden <lb/>alſo als weſtlich herſtrömende Winde wirken. </s> <s xml:id="echoid-s6559" xml:space="preserve">Die kälteren <lb/>Luftmaſſen dagegen, welche unten von den Polen nach dem <lb/>Äquator zu hinſtrömen, haben ſelber keinen Impuls ſich nach <lb/>Oſten hinzubewegen, ſie kommen in ihrem Gang nach dem <lb/>Äquator immer mehr in die Zonen, welche von Weſten her-<lb/>eilen; </s> <s xml:id="echoid-s6560" xml:space="preserve">ſie werden alſo dort die ganze Wirkung haben, als ob <lb/>ſie gegen dieſe weſtliche Bewegung liefen, und ſomit den Effekt <lb/>eines nach Oſten gerichteten Windes haben.</s> <s xml:id="echoid-s6561" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div257" type="section" level="1" n="170"> <head xml:id="echoid-head192" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Die Paſſatwinde.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6562" xml:space="preserve">Dieſer Einfluß der täglichen Erdumdrehung zeigt ſich <lb/>denn auch in den regelmäßigen Winden der heißen Zone, <lb/>welche man die Paſſate nennt und die für die Schiffahrt von <lb/>außerordentlicher Wichtigkeit ſind. </s> <s xml:id="echoid-s6563" xml:space="preserve">Die Paſſatwinde haben an <lb/>beiden Seiten des Äquators eine Richtung gegen die Erd-<lb/>umdrehung, weil dieſe Luftmaſſen von den Polen herkommen, <lb/>wo die Umdrehungsgeſchwindigkeit nicht exiſtiert. </s> <s xml:id="echoid-s6564" xml:space="preserve">Die Paſſate <lb/>ſind regelmäßig herrſchende Nordoſt- bezw. </s> <s xml:id="echoid-s6565" xml:space="preserve">Südoſt-Winde, <lb/>welche ſowohl auf der nördlichen, wie auf der ſüdlichen Halb-<lb/>kugel an den Grenzen der heißen Zone dahinſtrömen. </s> <s xml:id="echoid-s6566" xml:space="preserve">Da <lb/>dieſe Luftmaſſen aus kälteren Weltgegenden herkommen, ſo <pb o="126" file="544" n="544"/> ziehen ſie unten am Erdboden entlang und bewirken eine Ab-<lb/>kühlung in den heißen Zonen. </s> <s xml:id="echoid-s6567" xml:space="preserve">Hoch oben aber in der Luft <lb/>findet das Umgekehrte ſtatt. </s> <s xml:id="echoid-s6568" xml:space="preserve">Da ziehen heiße Luftmaſſen, die <lb/>eine große Geſchwindigkeit nach Weſten hin beſitzen, den Polen <lb/>zu. </s> <s xml:id="echoid-s6569" xml:space="preserve">Sie führen den Namen der oberen Paſſate. </s> <s xml:id="echoid-s6570" xml:space="preserve">Von der <lb/>wirklichen Exiſtenz dieſer hoch oben dahinziehenden Luftmaſſen, <lb/>welche ſich der direkten Beobachtung entziehen, hat man in <lb/>einzelnen Fällen überzeugende Beweiſe, wenn zufällig Gegen-<lb/>ſtände hoch hinaus in das Luftmeer geraten. </s> <s xml:id="echoid-s6571" xml:space="preserve">So z. </s> <s xml:id="echoid-s6572" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6573" xml:space="preserve">er-<lb/>weiſt es ſich, daß, wenn Vulkanausbrüche ſtattfinden, welche <lb/>mit gewaltigem Stoß Aſchenmaſſen in große Höhen hinauf-<lb/>ſchleudern, der Aſchenregen von dem oberen Paſſat weithin <lb/>weſtlich fortgeführt wird, wenngleich in der unteren Region <lb/>der Wind eine öſtliche Richtung hat.</s> <s xml:id="echoid-s6574" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6575" xml:space="preserve">In der Wärme verdunſtet nun aber Waſſer ſchneller, und <lb/>warme Luft hat einen viel ſtärkeren Durſt nach Waſſer als <lb/>kalte. </s> <s xml:id="echoid-s6576" xml:space="preserve">In den heißen Gegenden, wo ſich Waſſer befindet, ver-<lb/>dunſtet dies ſehr ſtark, und die heiße, aufſteigende Luft nimmt <lb/>maſſenhaft dieſen Waſſerdunſt in ſich auf. </s> <s xml:id="echoid-s6577" xml:space="preserve">Wenn ſich jedoch <lb/>die Luft in den oberen Schichten der Atmoſphäre abkühlt, ſo <lb/>verliert ſich ihr Appetit. </s> <s xml:id="echoid-s6578" xml:space="preserve">Das in ihr enthaltene Waſſergas, <lb/>das faſt ganz klar und durchſichtig iſt, verwandelt ſich bei <lb/>ſteigender Abkühlung zuerſt in Dampf, dann in feinen Nebel, <lb/>endlich in Wolken und ſchließlich in Waſſertropfen, die als <lb/>Regen, Schnee oder Hagel zur Erde fallen.</s> <s xml:id="echoid-s6579" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div258" type="section" level="1" n="171"> <head xml:id="echoid-head193" xml:space="preserve"><emph style="bf">VI. Verteilung des Luftdrucks auf der Erdkugel.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6580" xml:space="preserve">Wir wenden uns nunmehr zu dem Druck der Luft, der <lb/>von ſehr großem Einfluß auf die Witterung iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6581" xml:space="preserve">Auch dieſe <pb o="127" file="545" n="545"/> Erſcheinung iſt eigentlich an und für ſich ziemlich einfach; </s> <s xml:id="echoid-s6582" xml:space="preserve">aber <lb/>die Umſtände, unter welchen der Luftdruck wechſelt, und die <lb/>Wirkung, welche dies auf den Gang des Witterungswechſels <lb/>ausübt, ſind ſehr verwickelt, ſo daß wir genötigt ſind, dieſes <lb/>Thema ein wenig weitläufiger, als es ſonſt uns lieb iſt, zu <lb/>behandeln.</s> <s xml:id="echoid-s6583" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6584" xml:space="preserve">Die Maſſe der Erdkugel zieht flüſſige und gasförmige <lb/>Stoffe ſo an, wie feſte Körper. </s> <s xml:id="echoid-s6585" xml:space="preserve">Das iſt ein einfacher Lehrſatz, <lb/>von deſſen Wahrheit man ſich ſehr leicht überzeugen kann. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6586" xml:space="preserve">Wenn man einen Löffel voll Waſſer in eine große Glaskugel <lb/>ſchüttet und ſie gut verkorkt, ſo kann man durch Kälte das <lb/>Waſſer gefrieren laſſen und es alſo in einen feſten Körper ver-<lb/>wandeln. </s> <s xml:id="echoid-s6587" xml:space="preserve">Wir können aber auch das Waſſer durch Erhitzung <lb/>in einen luftförmigen Stoff verwandeln und haben dabei die <lb/>Gelegenheit, zu prüfen, in welchem Zuſtand das Waſſer oder <lb/>die Anziehung der Erde ſich vermindert oder verſtärkt. </s> <s xml:id="echoid-s6588" xml:space="preserve">Die <lb/>Erfahrung lehrt, daß, wenn man die Glaskugel ſehr ſorgſam <lb/>auf eine Wageſchale bringt und ſich ihr Gewicht merkt, dies <lb/>ſich völlig gleich bleibt, wie ſehr ſich auch das Waſſer in ſeiner <lb/>Geſtalt und Form verändern mag. </s> <s xml:id="echoid-s6589" xml:space="preserve">Hieraus folgt, daß die <lb/>Anziehungskraft der Erde, von welcher das Gewicht der auf ihr <lb/>befindlichen Stoffe abhängt, ſich völlig gleich bleibt, gleichviel <lb/>ob dieſe Stoffe ſich in feſter oder flüſſiger oder luftförmiger <lb/>Geſtalt befinden.</s> <s xml:id="echoid-s6590" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6591" xml:space="preserve">Auf das gleiche Ergebnis führen auch andere Verſuche, <lb/>die man in ſehr mannigfaltiger Weiſe anſtellen kann. </s> <s xml:id="echoid-s6592" xml:space="preserve">Es folgt <lb/>aus allen mit voller Gewißheit, daß unſere Luft ebenſo gut <lb/>von der Erde angezogen wird, wie irgend ein anderer Körper <lb/>auf ihrer Oberfläche.</s> <s xml:id="echoid-s6593" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6594" xml:space="preserve">Indeſſen iſt die <emph style="sp">Wirkung dieſer Anziehung doch</emph> eine <lb/>ſehr verſchiedene je nach der Beſchaffenheit des Stoffes.</s> <s xml:id="echoid-s6595" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6596" xml:space="preserve">Ein wirklich feſter Körper verändert ſeine Geſtalt nicht, <lb/>gleichviel in welche Lage man dieſelbe zur Richtung der Erd- <pb o="128" file="546" n="546"/> Anziehung bringt. </s> <s xml:id="echoid-s6597" xml:space="preserve">Eine Flüſſigkeit dagegen wird durch die <lb/>Anziehung der Erde in ihrer Geſtalt in ſo weit verändert, <lb/>daß ſie die Geſtalt des Gefäßes annimmt, in welcher ſie ſich <lb/>befindet. </s> <s xml:id="echoid-s6598" xml:space="preserve">Die Anziehungskraft der Erde bewirkt es, daß eine <lb/>Flüſſigkeit in einer Schüſſel, in einer Schale, in einer Flaſche <lb/>oder in einem Glaſe ſich an die Wände des Gefäßes an-<lb/>ſchmiegt und in ihrer Oberfläche eine horizontale Ebene bildet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6599" xml:space="preserve">Ein luftförmiger Stoff endlich wird noch weſentlicher von der <lb/>Anziehungskraft der Erde beeinflußt als eine Flüſſigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s6600" xml:space="preserve">Er <lb/>wird von dem Gewicht der höheren Schicht derart zuſammen-<lb/>gedrückt, daß er an dem Boden des Gefäßes <emph style="sp">dichter</emph> wird, <lb/>als in den höheren Lagen. </s> <s xml:id="echoid-s6601" xml:space="preserve">Dieſer Druck der oberen Schichten <lb/>auf die unteren findet zwar bei Flüſſigkeiten auch ſtatt und hat <lb/>Einfluß auf die Geſchwindigkeit, mit welcher eine Flüſſigkeit <lb/>aus einer Öffnung des Gefäßes ausfließt; </s> <s xml:id="echoid-s6602" xml:space="preserve">aber bei gasförmigen <lb/>Stoffen iſt damit zugleich eine <emph style="sp">Verdichtung der unteren <lb/>Schichten</emph> verbunden, was bei Flüſſigkeiten in kaum merk-<unsure/> <lb/>lichem Grade der Fall iſt.</s> <s xml:id="echoid-s6603" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6604" xml:space="preserve">Die Erfahrung beſtätigt auch dieſe Annahme in ſehr aus-<lb/>geſprochenem Grade. </s> <s xml:id="echoid-s6605" xml:space="preserve">Die Lufthülle, welche die Erdkugel um-<lb/>giebt, wird nicht bloß von der Erde <emph style="sp">angezogen</emph>, ſondern ſie <lb/>iſt auch an dem flachen Erdboden einem ſtärkern Druck aus-<lb/>geſetzt als auf hohen Bergen. </s> <s xml:id="echoid-s6606" xml:space="preserve">Die Luft iſt auch wegen dieſes <lb/>Druckes am flachen Erdboden ſtärker verdichtet als in höheren <lb/>Schichten, und dieſer höhere Druck der Luft und ihre Dichtig-<lb/>keit iſt am ſtärkſten auf der Meeres-Oberfläche, welche die tiefſte <lb/>Ebene der Erdkugel bildet.</s> <s xml:id="echoid-s6607" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6608" xml:space="preserve">Die Beweiſe für dieſen Zuſtand machen ſich in vielen <lb/>Fällen ſehr bemerkbar. </s> <s xml:id="echoid-s6609" xml:space="preserve">Auf hohen Bergen iſt die Luft ſo ver-<lb/>dünnt, daß man in jeder Minute mehr Atem-Züge machen <lb/>muß, um das Blut mit dem nötigen Sauerſtoff zu verſorgen <lb/>als auf flachem Erdboden. </s> <s xml:id="echoid-s6610" xml:space="preserve">Der Luftdruck iſt auf hohen Bergen <lb/>ſo gering, daß dort viel ſchneller das Waſſer verdampft als <pb o="129" file="547" n="547"/> in tiefer Ebene. </s> <s xml:id="echoid-s6611" xml:space="preserve">Der verringerte Luftdruck in großen Höhen <lb/>bewirkt es, daß unter Umſtänden Luftſchiffern und Bergſteigern <lb/>das Blut aus den Poren dringt, weil die verdünnte Luft von <lb/>außen her dem Druck des Blutes im Körper nicht mehr das <lb/>Gleichgewicht hält. </s> <s xml:id="echoid-s6612" xml:space="preserve">Luftſchiffer, welche ganz beſonders hoch <lb/>empor ihre Fahrt ausdehnen, leiden oft an Sauerſtoff Mangel <lb/>und müſſen dann, falls ſie nicht Sauerſtoff zum Atmen im <lb/>Ballon mitgenommen haben, ſchleunigſt in tiefere Schichten zu <lb/>gelangen ſuchen, wenn ſie ſich nicht der Gefahr der Betäubung <lb/>und des Erſtickens ausſetzen wollen.</s> <s xml:id="echoid-s6613" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6614" xml:space="preserve">Obwohl nun die Lufthülle, welche die Erdkugel bedeckt, <lb/>ſich eigentlich gleichmäßig auf der ganzen Oberfläche derſelben <lb/>verteilen müßte, iſt ſie doch durch eine ganze Reihe von Um-<lb/>ſtänden beeinflußt, welche ihre Höhe und ihren Druck ganz <lb/>außerordentlich veränderlich machen. </s> <s xml:id="echoid-s6615" xml:space="preserve">Der hauptſächlichſte dieſer <lb/>Umſtände beſteht darin, daß die Erde eine tägliche Umdrehung <lb/>um ihre Axe macht. </s> <s xml:id="echoid-s6616" xml:space="preserve">Dies allein bewirkt ſchon, daß die Luft-<lb/>ſchicht um den Äquator der Erde ſich viel weiter von dem <lb/>Mittelpunkt der Erde entfernt als an den Polen, an denen der <lb/>Umdrehungsſchwung ganz verſchwindend iſt.</s> <s xml:id="echoid-s6617" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6618" xml:space="preserve">Wenn wir hiermit die Urſachen bezeichnet haben, weshalb <lb/>der Luftdruck ſich ſehr ſtark unter beſtimmten Umſtänden ſteigern <lb/>kann, ſo müſſen wir auch nunmehr die Umſtände näher an-<lb/>geben, unter welchen ſich dieſes Steigen der Lufthöhe mäßigt <lb/>und thatſächlich vermindert.</s> <s xml:id="echoid-s6619" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6620" xml:space="preserve">Was das Fortſchleudern und Ausdehnen der Luftmaſſe um <lb/>den Äquator durch die Umdrehung der Erde betrifft, ſo wird <lb/>dies ſchon durch die naturgemäße Verteilung der Luft nach <lb/>beiden Seiten der Erdhälfte vermindert, es fließt der ſtarke <lb/>Überſchuß der Höhe ſchon von ſelber nach dem Geſetz des <lb/>Gleichgewichts durch eine Verteilung desſelben nach der nörd-<lb/>lichen und der ſüdlichen Halbkugel. </s> <s xml:id="echoid-s6621" xml:space="preserve">Auch die Auflockerung der <lb/>um den Äquator befindlichen Luftſchicht durch die Sonnen-</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6622" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s6623" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s6624" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s6625" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="130" file="548" n="548"/> <p> <s xml:id="echoid-s6626" xml:space="preserve">wärme wird zum Teil ausgeglichen durch das Herandrängen <lb/>der weniger erwärmten Luft aus den benachbarten Zonen. </s> <s xml:id="echoid-s6627" xml:space="preserve">Die <lb/>ſtark erwärmte Luft ſteigt zwar zur Höhe und nimmt Waſſer-<lb/>dampf mit ſich hinauf, aber ſie bleibt nicht oben und verteilt <lb/>ſich ſamt dem Waſſerdampf nach beiden Erdhälften. </s> <s xml:id="echoid-s6628" xml:space="preserve">Hierbei <lb/>kühlt ſich der Waſſerdampf ab und verwandelt ſich in tropf-<lb/>bares Waſſer, das unter der Form des Regens wieder zur Erde <lb/>niederfällt.</s> <s xml:id="echoid-s6629" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6630" xml:space="preserve">Nun aber führt dieſes Gegenſpiel all’ der Urſachen noch <lb/>einen gewaltigen Faktor herbei, der eine Hauptrolle im Witte-<lb/>rungswechſel einnimmt, und das iſt der <emph style="sp">Wind</emph>, der ſeinerſeits <lb/>die ganzen Schichtungen der Luftmaſſe wieder verſchiebt und <lb/>namentlich die Luftmaſſe vom Orte ihrer Entſtehung verdrängt <lb/>und mit anderen Schichten vermiſcht.</s> <s xml:id="echoid-s6631" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6632" xml:space="preserve">An und für ſich beſteht ja der Wind auch nur in einem <lb/>durch natürliche Urſachen hervorgerufenen Wechſel der Luft-<lb/>wanderung; </s> <s xml:id="echoid-s6633" xml:space="preserve">aber er iſt ein ſo ſtarker und leicht erkennbarer <lb/>Repräſentant des Witterungswechſels, daß man nicht mit Un-<lb/>recht an ſeinen Bewegungen ein Hauptmerkmal des Wetters <lb/>erblickt. </s> <s xml:id="echoid-s6634" xml:space="preserve">“Der Wind hat ſich gedreht” — das bedeutet im <lb/>gewöhnlichen Sprechen ſo viel, wie das Wetter hat ſich ge-<lb/>ändert oder ſteht im Begriff ſich zu ändern; </s> <s xml:id="echoid-s6635" xml:space="preserve">obwohl man <lb/>eigentlich ſagen müßte: </s> <s xml:id="echoid-s6636" xml:space="preserve">das Wetter hat ſich geändert und hat <lb/>es bewirkt, daß der Wind jetzt von einer andern Seite her-<lb/>ſtrömt, als bisher.</s> <s xml:id="echoid-s6637" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6638" xml:space="preserve">Daß dieſe Wendungen in der Windſtrömung mit dem <lb/>ſteigenden und ſinkenden Luftdruck in der allerengſten Ver-<lb/>bindung ſtehen, haben wir ſchon in Teil I in den Abſchnitten <lb/>über Wetterprognoſe und Wetterkarten erfahren.</s> <s xml:id="echoid-s6639" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="131" file="549" n="549"/> </div> <div xml:id="echoid-div259" type="section" level="1" n="172"> <head xml:id="echoid-head194" xml:space="preserve"><emph style="bf">VII. Die Verteilung der Wärme auf der Erdkugel.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6640" xml:space="preserve">Wäre nun die Erde eine überall vollkommen ebene Kugel, <lb/>ohne Gebirge und Thäler, ohne Meere, Ströme und Seen, ſo <lb/>würde ſowohl die Verteilung des Luftdrucks, wie ganz beſon-<lb/>ders der Temperatur ſehr einfach und gleichmäßig ſein. </s> <s xml:id="echoid-s6641" xml:space="preserve">Am <lb/>Äquator würde ein Gürtel größter Hitze vorhanden ſein, an <lb/>den beiden Polen würde die geringſte Sonnenwirkung ſtattfinden <lb/>und würden ſomit die niedrigſten Temperaturen auftreten; </s> <s xml:id="echoid-s6642" xml:space="preserve">und <lb/>zwiſchen beiden Extremen würde mit jedem Breitengrad vom <lb/>Äquator zum Nord- bezw. </s> <s xml:id="echoid-s6643" xml:space="preserve">Südpol die jährliche Mitteltemperatur <lb/>gleichmäßig und allmählich abnehmen müſſen, ſo daß alle Orte, <lb/>die auf demſelben Breitengrad liegen, auch ungefähr den <lb/>gleichen jährlichen Gang der Witterung und die gleiche mittlere <lb/>Jahrestemperatur und ungefähr auch die gleichen Niederſchlags-<lb/>mengen haben müßten.</s> <s xml:id="echoid-s6644" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6645" xml:space="preserve">Nun wiſſen wir aber, daß ſo einfache Verhältniſſe nirgends <lb/>auf der Erde vorhanden ſind, daß keineswegs das Klima eines <lb/>Ortes ausſchließlich von ſeiner geographiſchen Breite abhängt, <lb/>ſondern daß die Verteilung von Land und Waſſer, ſowie die <lb/>Unebenheiten der Erdoberfläche zahlloſe Modifikationen und <lb/>Complikationen in den klimatiſchen Verhältniſſen bedingen und <lb/>ausſchlaggebend den vorwiegenden Witterungscharakter eines <lb/>Ortes beſtimmen können.</s> <s xml:id="echoid-s6646" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div260" type="section" level="1" n="173"> <head xml:id="echoid-head195" xml:space="preserve"><emph style="bf">VIII. Der Golfſtrom und ſeine klimatiſche</emph> <lb/><emph style="bf">Bedeutung.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6647" xml:space="preserve">Jeder wird wohl ſchon gehört haben, daß Deutſchland wie <lb/>überhaupt faſt ganz Europa ein weit wärmeres Klima beſitzt, <lb/>als ihm ſeiner geographiſchen Breite nach eigentlich zukommt, <pb o="132" file="550" n="550"/> und wahrſcheinlich iſt dem Leſer auch ſchon der Grund dieſer <lb/>auffallenden Begünſtigung bekannt: </s> <s xml:id="echoid-s6648" xml:space="preserve">es iſt der <emph style="sp">Golfſtrom</emph>, <lb/>dem wir ſolche große Wohlthat verdanken, jene außerordent-<lb/>lich große und breite Strömung inmitten des Ozeans, welche <lb/>aus den gewaltigen, ſonnendurchglühten, tropiſchen Meeren <lb/>Weſtindiens her ihren Lauf ſchräg durch den Atlantiſchen <lb/>Ozean an die europäiſche Küſte nimmt, um dann durch das <lb/>Norwegiſche Meer hindurch und an Spitzbergen vorbei dem <lb/>Nördlichen Eismeer zuzuſtrömen, wo die Strömung ſich all-<lb/>mählich verliert. </s> <s xml:id="echoid-s6649" xml:space="preserve">Die Wärme, welche dieſe Strömung fort <lb/>und fort, ſchon ſeit Jahrtauſenden aus den tropiſchen Meeren <lb/>an unſere Küſte trägt, wirkt in nachdrücklicher Weiſe auch auf <lb/>die Lufttemperatur auf dem Ozean ein, und da im centralen <lb/>Europa weſtliche Winde die vorherrſchenden ſind, ſo überflutet <lb/>meiſt eine mild-warme, ozeaniſche Luftſtrömung weithin unſern <lb/>bevorzugten Kontinent und bewirkt, daß unſere Winter ver-<lb/>hältnismäßig milde ſind, und auch, daß unſere Sommer nicht <lb/>gar zu heiß ausfallen.</s> <s xml:id="echoid-s6650" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6651" xml:space="preserve">Daher kommt es, daß z. </s> <s xml:id="echoid-s6652" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6653" xml:space="preserve">Berlin mildere Winter hat, <lb/>als New-York, trotzdem dies weit ſüdlicher liegt, nämlich auf <lb/>derſelben geographiſchen Breite wie in Europa Rom. </s> <s xml:id="echoid-s6654" xml:space="preserve">Auf <lb/>derſelben Breite, auf welcher Deutſchland und Großbritannien <lb/>liegen, liegt in Amerika Labrador, von deſſen furchtbar ſtrenger <lb/>Winterkälte wir uns gar keinen Begriff machen können, und <lb/>deſſen wärmſter Sommermonat nicht wärmer iſt als unſer <lb/>April, da ſeine Küſten unausgeſetzt von einer ſehr kalten, aus <lb/>dem Eismeer ſtammenden Strömung beſpült werden. </s> <s xml:id="echoid-s6655" xml:space="preserve">Und je <lb/>weiter wir nach dem europäiſchen Norden kommen, um ſo <lb/>fühlbarer wird der Unterſchied, welcher zwiſchen der thatſächlich <lb/>herrſchenden Temperatur beſteht und derjenigen, welche der <lb/>betreffenden geographiſchen Breite eigentlich zukommt. </s> <s xml:id="echoid-s6656" xml:space="preserve">An der <lb/>Norwegiſchen Küſte, die in ihrer ganzen Ausdehnung vom <lb/>Golfſtrom beſpült wird, iſt der Winter volle 20 Grad wärmer, <pb o="133" file="551" n="551"/> als er in allen anderen Gegenden auf der gleichen geographi-<lb/>ſchen Breite im Durchſchnitt zu ſein pflegt.</s> <s xml:id="echoid-s6657" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6658" xml:space="preserve">Und das iſt ausſchließlich der Einwirkung des Golfſtroms <lb/>zuzuſchreiben, denn ſchon im nördlichen Schweden, das von <lb/>Norwegen durch hohe Gebirge getrennt und ſomit von der <lb/>oceaniſchen Luft weit mehr abgeſchnitten iſt, pflegt der Winter <lb/>unvergleichlich viel ſtrenger aufzutreten. </s> <s xml:id="echoid-s6659" xml:space="preserve">Überhaupt: </s> <s xml:id="echoid-s6660" xml:space="preserve">je weiter <lb/>wir von der Küſte des Atlantiſchen Oceans in das Innere <lb/>Europas vorſchreiten, je mehr wir uns alſo dem Einfluß des <lb/>wärmenden Golfſtroms entziehen, um ſo ſtrenger werden die <lb/>Winter. </s> <s xml:id="echoid-s6661" xml:space="preserve">So beſitzt z. </s> <s xml:id="echoid-s6662" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6663" xml:space="preserve">Oſtpreußen bereits ein völlig andres <lb/>Winterklima als etwa die Nordſeeländer und erleidet — zu-<lb/>mal in ſeinen ſüdlichen Teilen — nicht ſelten einer ſo ſtrengen <lb/>und andauernden Kälte, daß man dort ſchon lebhaft an die <lb/>Nachbarſchaft des den oceaniſchen Einflüſſen faſt ganz ent-<lb/>zogenen Rußland erinnert wird.</s> <s xml:id="echoid-s6664" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div261" type="section" level="1" n="174"> <head xml:id="echoid-head196" xml:space="preserve"><emph style="bf">IX. Die höchſten und niedrigſten Temperaturgrade</emph> <lb/><emph style="bf">in Deutſchland und Europa.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6665" xml:space="preserve">Welches ſind wohl die höchſten und niedrigſten Tempera-<lb/>turen, die in unſern Gegenden vorkommen? </s> <s xml:id="echoid-s6666" xml:space="preserve">Wenn man dieſe <lb/>Frage an jemand ſtellt, der nicht ſchon genau Beſcheid weiß, <lb/>ſo wird man die ſeltſamſten Antworten zu hören bekommen <lb/>können. </s> <s xml:id="echoid-s6667" xml:space="preserve">Darum dürfte es recht gut ſein, wenn ſich der Leſer <lb/>einmal darüber klar wird.</s> <s xml:id="echoid-s6668" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6669" xml:space="preserve">Eine Temperatur von 30° C. </s> <s xml:id="echoid-s6670" xml:space="preserve">(= 24° R.) </s> <s xml:id="echoid-s6671" xml:space="preserve">im Schatten <lb/>(in der Sonne iſt natürlich die Hitze oft bedeutend größer) wird <lb/>in jedem Sommer mehrmals innerhalb Deutſchlands erreicht <lb/>und überſchritten, obſchon dies nicht etwa an <emph style="sp">allen</emph> Orten zu- <pb o="134" file="552" n="552"/> gleich zu geſchehen braucht. </s> <s xml:id="echoid-s6672" xml:space="preserve">Die Temperatur von 35° C. </s> <s xml:id="echoid-s6673" xml:space="preserve">da-<lb/>gegen gehört in Deutſchland ſchon zu den Ausnahmefällen und <lb/>pflegt ſchon faſt nur noch in den größeren Städten vorzu-<lb/>kommen, wo ja naturgemäß die Wirkung der Sonnenſtrahlung <lb/>eine intenſivere iſt als auf dem Lande. </s> <s xml:id="echoid-s6674" xml:space="preserve">Zuweilen können ſogar <lb/>Jahre vergehen, ohne daß dieſer Wärmegrad irgendwo in <lb/>Deutſchland vorkommt. </s> <s xml:id="echoid-s6675" xml:space="preserve">Noch höhere Temperaturgrade ſind <lb/>ſchon etwas ganz Abnormes; </s> <s xml:id="echoid-s6676" xml:space="preserve">ſo iſt z. </s> <s xml:id="echoid-s6677" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6678" xml:space="preserve">in Berlin während <lb/>der 51 Jahre von 1848—1898 die Temperatur von 35 {1/2}° nur <lb/>4 mal erreicht und überſchritten worden: </s> <s xml:id="echoid-s6679" xml:space="preserve">am 28. </s> <s xml:id="echoid-s6680" xml:space="preserve">Mai 1892 <lb/>(man beachte die frühe Jahreszeit), wo das Thermometer auf <lb/>35,5° ſtieg, am 5. </s> <s xml:id="echoid-s6681" xml:space="preserve">Auguſt 1857, wo es ſich bis 36,1° erhob, <lb/>und am 20. </s> <s xml:id="echoid-s6682" xml:space="preserve">und 21. </s> <s xml:id="echoid-s6683" xml:space="preserve">Juli 1865, wobei das Temperatur-Maximum <lb/>von 37,0° erreicht wurde. </s> <s xml:id="echoid-s6684" xml:space="preserve">Und dabei iſt zu beachten, daß Berlin <lb/>ſich ſchon vor den meiſten andern Städten Deutſchlands durch <lb/>Hitze auszuzeichnen pflegt. </s> <s xml:id="echoid-s6685" xml:space="preserve">Noch höhere Wärmegrade ſind in <lb/>Deutſchland bisher nur ganz vereinzelt in Norddeutſchland be-<lb/>obachtet worden, und zwar in einem Streifen Landes an der <lb/>ſchleſiſch-brandenburgiſchen Grenze, in Grünberg und Liegnitz, <lb/>wo am 19. </s> <s xml:id="echoid-s6686" xml:space="preserve">Auguſt 1892 die Temperatur die koloſſale Höhe von <lb/>38,9° erreichte. </s> <s xml:id="echoid-s6687" xml:space="preserve">Auch in Süddeutſchland iſt die Temperatur von <lb/>38° ſchon zuweilen überſchritten worden, ſo z. </s> <s xml:id="echoid-s6688" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6689" xml:space="preserve">an den <lb/>bairiſchen Orten Bamberg, Landau, Ingolſtadt, Amberg, <lb/>Reichenhall u. </s> <s xml:id="echoid-s6690" xml:space="preserve">a. </s> <s xml:id="echoid-s6691" xml:space="preserve">Am 18. </s> <s xml:id="echoid-s6692" xml:space="preserve">Auguſt 1892 will man in Amberg <lb/>39,8° und in Reichenhall gar 41,4° beobachtet haben, doch <lb/>dürften beide Werte ſtark anzuzweifeln ſein, ſo daß wir die <lb/>ſchon ganz abnorme Hitze von 39° C. </s> <s xml:id="echoid-s6693" xml:space="preserve">als das äußerſte Wärme-<lb/>extrem innerhalb Deutſchlands betrachten dürfen.</s> <s xml:id="echoid-s6694" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6695" xml:space="preserve">Wenn wir nun fragen, welches denn wohl die höchſten <lb/>vorkommenden Temperaturgrade in ganz Europa ſind, ſo iſt <lb/>darauf zu erwidern, daß dieſe nicht mehr viel höher ſind als <lb/>diejenigen, welche wir ſoeben in Deutſchland kennen gelernt <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s6696" xml:space="preserve">Temperaturen über 40° kommen in Südeuropa hin und <pb o="135" file="553" n="553"/> wieder vor; </s> <s xml:id="echoid-s6697" xml:space="preserve">der höchſte, feſtgeſtellte Wärmegrad dürfte 43,3° <lb/>ſein, welche Temperatur einmal in Malaga in Spanien ab-<lb/>geleſen wurde.</s> <s xml:id="echoid-s6698" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6699" xml:space="preserve">Ganz anders ſind die Differenzen hinſichtlich der niedrig-<lb/>ſten vorkommenden Temperaturgrade zwiſchen Teutſchland und <lb/>andren Ländern Europas. </s> <s xml:id="echoid-s6700" xml:space="preserve">Eine Kälte von — 20° C. </s> <s xml:id="echoid-s6701" xml:space="preserve">(= —16° R.) <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6702" xml:space="preserve">kommt faſt in jedem Winter einmal irgendwo in Deutſchland <lb/>vor; </s> <s xml:id="echoid-s6703" xml:space="preserve">hat doch ſelbſt der ganz ungewöhnlich milde, jüngſtver-<lb/>floſſene Winter 1897/98 in Oſtpreußen ein Temperatur-Minimum <lb/>von — 19° aufzuweiſen gehabt. </s> <s xml:id="echoid-s6704" xml:space="preserve">Meiſt pflegt der Wert von <lb/>— 20° ſogar nicht unbedeutend überſchritten zu werden, zumeiſt <lb/>allerdings nur im öſtlichen Deutſchland und allenfalls in der <lb/>bayeriſchen Hochebene, während im nordweſtlichen Deutſchland <lb/>ſich der erwärmende Einfluß der nahen Nordſee niemals ganz <lb/>verleugnet. </s> <s xml:id="echoid-s6705" xml:space="preserve">Im Gegenſatz zum Sommer ſind die Städte hin-<lb/>ſichtlich der Extremtemperaturen des Winters vor dem Lande <lb/>bevorzugt, da die großen Häuſermaſſen immer ein gewiſſes <lb/>Wärmereſervoir darſtellen, welches die Temperatur im Innern <lb/>der Stadt bis zu 8° über der der Umgebung zu erhalten ver-<lb/>mag. </s> <s xml:id="echoid-s6706" xml:space="preserve">Daher kommt es, daß z. </s> <s xml:id="echoid-s6707" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6708" xml:space="preserve">in Berlin Temperaturen <lb/>unter — 20° zu den ſeltenen Ausnahmen gehören, und die in <lb/>den letzten 50 Jahren beobachteten größten Kältegrade Berlins <lb/>ſind nur — 23,8° am 19. </s> <s xml:id="echoid-s6709" xml:space="preserve">Januar 1893, — 24,9° am 10. </s> <s xml:id="echoid-s6710" xml:space="preserve">Fe-<lb/>bruar 1855 und — 25,0° am 22. </s> <s xml:id="echoid-s6711" xml:space="preserve">Januar 1850. </s> <s xml:id="echoid-s6712" xml:space="preserve">Allerdings <lb/>iſt dabei einerſeits zu beachten, daß ſchon an der Weichbild-<lb/>grenze Berlins während des gleichen Zeitraums Temp@raturen <lb/>von — 32° vorgekommen ſind, andrerſeits, daß in früheren <lb/>Jahrzehnten auch in der inneren Stadt beträchtlich niedrigere <lb/>Werte (im Dezember 1829 — 30° C.) </s> <s xml:id="echoid-s6713" xml:space="preserve">aufgetreten ſind.</s> <s xml:id="echoid-s6714" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6715" xml:space="preserve">Eine große Reihe von Ortſchaften Deutſchlands übertreffen <lb/>Berlin an Intenſität der möglichen Winterkälte. </s> <s xml:id="echoid-s6716" xml:space="preserve">Selbſt in <lb/>Baiern (Hof und Cham), vielleicht auch noch anderswo im ſüd-<lb/>deutſchen Gebirgsland, hat man ſchon Temperaturen unter — 34° <pb o="136" file="554" n="554"/> beobachtet. </s> <s xml:id="echoid-s6717" xml:space="preserve">Den zweifelhaften Ruhm, die abſolut niedrigſten <lb/>Temperaturen in Deutſchland zu erreichen, darf aber ein Teil <lb/>des ſüdlichen Oſtpreußen, die ſogenannte “maſuriſche Seeen-<lb/>platte”, für ſich in Anſpruch nehmen, wo man am 16. </s> <s xml:id="echoid-s6718" xml:space="preserve">Januar <lb/>1893 eine Temperatur von — 36,4° beobachtet hat — und viel-<lb/>leicht ſind hier ſogar noch etwas niedrigere Thermometerſtände <lb/>möglich, ſo daß man ſagen kann, die größten Kältegrade Deutſch-<lb/>lands lägen ungefähr ebenſo tief unter 0°, wie ſeine höchſten <lb/>Wärmeextreme über 0°.</s> <s xml:id="echoid-s6719" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6720" xml:space="preserve">Entſprechen nun dieſe ſchon ganz gruſelerregenden, nie-<lb/>drigſten Temperaturwerte Deutſchlands wenigſtens auch den <lb/>niedrigſten von ganz Europa, oder kommen gar irgendwo noch <lb/>@iefere Kältewerte vor? </s> <s xml:id="echoid-s6721" xml:space="preserve">— Allerdings giebt es ſolche in Europa, <lb/>wenngleich nur in ſeltenen Fällen:</s> <s xml:id="echoid-s6722" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6723" xml:space="preserve">Am Morgen des 27. </s> <s xml:id="echoid-s6724" xml:space="preserve">Dezember 1887 wurden in Archan-<lb/>gelsk am Weißen Meer — 49° beobachtet, und in dem ſüdlich <lb/>davon, am Latſcha-See gelegenen Kargopol gar — 52°. </s> <s xml:id="echoid-s6725" xml:space="preserve">Wahr-<lb/>ſcheinlich aber werden in andern Orten dieſer Gegend des <lb/>nördlichen Rußland, wo keine Beobachtungen angeſtellt wurden, <lb/>noch höhere Kältegrade vorgekommen ſein. </s> <s xml:id="echoid-s6726" xml:space="preserve">Aber auch direkte <lb/>Ableſungen von tieferen Temperaturen innerhalb Europas <lb/>liegen vor: </s> <s xml:id="echoid-s6727" xml:space="preserve">während der kurzen, aber ungemein ſtrengen Froſt-<lb/>epoche im Winter 1892/3 wurden am 14. </s> <s xml:id="echoid-s6728" xml:space="preserve">Januar im nörd-<lb/>lichen Schweden, in Norrland, die größten bisher feſtgeſtellten <lb/>Kältegrade in Europa beobachtet. </s> <s xml:id="echoid-s6729" xml:space="preserve">In 109ſele las man an dieſem <lb/>Tage — 56° und in dem etwas nördlicher, unter 65 {1/2}° nördl. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6730" xml:space="preserve">Breite gelegenen Sorſele ſogar — 60° ab.</s> <s xml:id="echoid-s6731" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6732" xml:space="preserve">Somit beträgt die Differenz zwiſchen den höchſten und <lb/>niedrigſten möglichen Temperaturen innerhalb Europas mehr <lb/>als 100°, während die äußerſten Extreme innerhalb Deutſch-<lb/>lands ſich um 75—80° unterſcheiden.</s> <s xml:id="echoid-s6733" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="137" file="555" n="555"/> </div> <div xml:id="echoid-div262" type="section" level="1" n="175"> <head xml:id="echoid-head197" xml:space="preserve"><emph style="bf">X. Die wärmſten Gegenden auf der ganzen Erde.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6734" xml:space="preserve">Gehen wir nun noch einen Schritt weiter und fragen, <lb/>welches denn wohl die äußerſten Hitze- und Kältegrade auf <lb/>der ganzen Erde ſind, ſo läßt ſich dieſe Frage nur proviſoriſch <lb/>und mit Vorbehalt beantworten, da einerſeits noch große <lb/>Landflächen völlig unerforſcht ſind, andrerſeits an denjenigen <lb/>Orten, wo die Extreme der Temperatur auftreten, höchſtens <lb/>einige Jahre Beobachtungen vorliegen. </s> <s xml:id="echoid-s6735" xml:space="preserve">Nachdem wir oben <lb/>gehört haben, daß das Klima eines Ortes keineswegs aus-<lb/>ſchließlich oder auch nur hauptſächlich von der geogra-<lb/>phiſchen Breite abhängt, welche auf einer vollkommen ebenen <lb/>Erde faſt der einzig maßgebende Faktor für die Witterung <lb/>ſein würde, ſondern daß die Verteilung von Waſſer und Land <lb/>ſowie die Lage der Gebirge in der nachdrücklichſten Weiſe <lb/>auf das Klima einzuwirken vermögen, wird es nunmehr dem <lb/>Leſer auch gar nicht mehr wunderbar erſcheinen, wenn er hört, <lb/>daß weder die größten Hitzegrade unmittelbar am Äquator <lb/>noch die kälteſten Temperaturen in der nächſten Nachbarſchaft <lb/>der Pole vorkommen.</s> <s xml:id="echoid-s6736" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6737" xml:space="preserve">Das Jahresmittel der Temperatur erreicht ſeinen höchſten <lb/>Wert im inneren Afrika. </s> <s xml:id="echoid-s6738" xml:space="preserve">Das ganze gewaltige Ländergebiet <lb/>zwiſchen dem Ausfluß des Roten Meeres nach dem Indiſchen <lb/>Ocean, der ſogenannten Straße Bab-el-Mandeb, einerſeits und <lb/>der vielgenannten, ſagenumwobenen Stadt Timbuktu in der <lb/>weſtlichen Sahara und dem oberen Nigergebiet andrerſeits hat <lb/>Jahres <emph style="sp">mittel</emph> der Temperatur von mehr als 30° C. </s> <s xml:id="echoid-s6739" xml:space="preserve">aufzu-<lb/>weiſen.</s> <s xml:id="echoid-s6740" xml:space="preserve"><anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> Das heißt alſo: </s> <s xml:id="echoid-s6741" xml:space="preserve">im Durchſchnitt ſteht dort das Thermometer Jahr für Jahr auf einem Stand, wie bei uns nur <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-555-01a" xlink:href="note-555-01"/> <pb o="138" file="556" n="556"/> ab und zu einmal zur Zeit der größten, ſommerlichen Mittags-<lb/>hitze. </s> <s xml:id="echoid-s6742" xml:space="preserve">Nicht viel weniger, nämlich 28—29°, beträgt die mitt-<lb/>lere Jahrestemperatur im öſtlichen Vorderindien und in einem <lb/>Gebiete des inneren Mexiko.</s> <s xml:id="echoid-s6743" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div262" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-555-01" xlink:href="note-555-01a" xml:space="preserve">Die mittlere Jahrestemperatur Deutſchlands beträgt etwa 9 <lb/>und 10°.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6744" xml:space="preserve">Wo aber kommen denn nun die abſoluten Wärmeextreme vor, <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s6745" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6746" xml:space="preserve">diejenigen Temperaturgrade, welche überhaupt die höchſt-<lb/>möglichen zur Sommerzeit ſind, und wie hoch ſind dieſe Tempe-<lb/>raturen? </s> <s xml:id="echoid-s6747" xml:space="preserve">Dieſe Frage läßt ſich einſtweilen noch nicht mit <lb/>voller Sicherheit beantworten, da naturgemäß die heißeſten <lb/>Orte in unbewohnten, ſandigen oder felſigen Gegenden liegen <lb/>werden, wo kein Waſſerlauf und keine Vegetationsdecke die <lb/>Sonnenſtrahlung mildert und Kühlung ſchafft. </s> <s xml:id="echoid-s6748" xml:space="preserve">Man iſt daher <lb/>in der Kenntnis der Temperaturen ſolcher Gegenden ange-<lb/>wieſen auf die Beobachtungen durchziehender Forſchungs-<lb/>expeditionen und Karawanen. </s> <s xml:id="echoid-s6749" xml:space="preserve">Man nimmt aber an, daß die <lb/>höchſten Hitzegrade im Schatten vorkommen im “Todesthal” <lb/>im inneren Kalifornien, merkwürdigerweiſe alſo außerhalb der <lb/>eigentlichen Tropenzone. </s> <s xml:id="echoid-s6750" xml:space="preserve">Hier dürften aller Wahrſcheinlichkeit <lb/>nach Schattentemperaturen von nahezu 60° unter günſtigen <lb/>Bedingungen eintreten können. </s> <s xml:id="echoid-s6751" xml:space="preserve">Nicht viel werden dahinter die <lb/>höchſten Temperaturen zurückbleiben, welche ſich in der alge-<lb/>riſchen Sahara und an der ſüdlichen Weſtküſte des Noten <lb/>Meeres zuweilen einſtellen. </s> <s xml:id="echoid-s6752" xml:space="preserve">Duveyrier will ſogar in Algerien <lb/>bei den Tuaregs 67° im Schatten angetroffen haben, doch <lb/>dürfte dieſe Beobachtung wohl unmittelbar über dem Erdboden <lb/>angeſtellt worden ſein und nicht in der ſonſt üblichen Höhe <lb/>von 1 bis 2 Meter darüber, ſo daß dieſe Mitteilung nichts <lb/>Beſonderes bieten würde, denn daß der Wüſtenſand ſich bis <lb/>zu 70° und vielleicht noch mehr erhitzen kann, iſt eine längſt <lb/>bekannte Thatſache.</s> <s xml:id="echoid-s6753" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="139" file="557" n="557"/> </div> <div xml:id="echoid-div264" type="section" level="1" n="176"> <head xml:id="echoid-head198" xml:space="preserve"><emph style="bf">XI. Die kälteſten Gegenden auf der ganzen Erde.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6754" xml:space="preserve">Genauer orientiert iſt man über die größten, extremen <lb/>Kältegrade, welche auf Erden möglich ſind, und man kennt <lb/>ſogar genau den Ort, an dem ſie vorkommen. </s> <s xml:id="echoid-s6755" xml:space="preserve">Da aber dieſer <lb/>Ort, der im öſtlichen Sibirien liegt und auf den wir ſogleich <lb/>näher zu ſprechen kommen werden, neben ſeinen beiſpiellos <lb/>kalten Wintern recht warme, ja ſelbſt heiße Sommer aufweiſt, <lb/>ſo genießt er noch nicht den zweifelhaften Vorzug, das niedrigſte <lb/>Jahresmittel der Temperatur ſein eigen zu nennen, denn im <lb/>Jahres <emph style="sp">mittel</emph> heben dort eben die hohen ſommerlichen Wärme-<lb/>grade die koloſſal tiefen winterlichen Temperaturen zum <lb/>Teil auf.</s> <s xml:id="echoid-s6756" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6757" xml:space="preserve">Welcher Ort das abſolut niedrigſte Jahresmittel der Tem-<lb/>peratur aufzuweiſen hat, läßt ſich nur mit Vorbehalt entſcheiden, <lb/>da noch weite Gebiete um den Nordpol neben dem ganzen ge-<lb/>waltigen Terrain um den Südpol völlig unerforſcht ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6758" xml:space="preserve">Unter den bisher bekannten Orten kommt der Frauklin-Bai <lb/>in Grinnell-Land unter 81 {1/2}° nördl. </s> <s xml:id="echoid-s6759" xml:space="preserve">Br. </s> <s xml:id="echoid-s6760" xml:space="preserve">der traurige Ruhm <lb/>zu, im Jahresdurchſchnitt der kälteſte zu ſein. </s> <s xml:id="echoid-s6761" xml:space="preserve">Der Amerikaner <lb/><emph style="sp">Greely</emph>, der mit ſeinen Gefährten hier 3 furchtbare Jahre <lb/>(1881—84) zuzubringen gezwungen war und während der ganzen <lb/>Zeit unausgeſetzt meteorologiſche Beobachtungen anſtellte, fand <lb/>als Jahresmittel der Temperatur — 20° C.</s> <s xml:id="echoid-s6762" xml:space="preserve">; alſo eine Tem-<lb/>peratur, wie ſie in Mitteldeutſchland nur alle paar Jahre ein-<lb/>mal als Extrem der Winterkälte erreicht wird, als durchſchnitt-<lb/>lich herrſchende Temperatur!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6763" xml:space="preserve">Die tiefſte in der Franklin-Bai beobachtete Temperatur <lb/>betrug aber “nur” — 55°, und dieſe Zahl wird durch die <lb/>Winterkälte einiger andrer Orte noch recht bedeutend überboten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6764" xml:space="preserve">In Jakutsk in Sibirien hat man bereits — 62° beobachtet, und <lb/>da andrerſeits daſelbſt im Sommer das Thermometer ſchon bis <pb o="140" file="558" n="558"/> zu 39° Wärme geſtiegen iſt, übertrifft es z. </s> <s xml:id="echoid-s6765" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6766" xml:space="preserve">Berlin hinſichtlich <lb/>der vorkommenden Temperatur-Extreme nicht unbedeutend nach <lb/>beiden Seiten hin. </s> <s xml:id="echoid-s6767" xml:space="preserve">Da es ſich in dieſem Falle um abſolute Tem-<lb/>peraturſchwankungen von mehr als 100° handelt, muß uns <lb/>die Thatſache, daß Jakutsk nicht nur ein ſtändig bewohnter <lb/>Ort, ſondern ſogar die größte Stadt Oſtſibiriens iſt, mit hoher <lb/>Achtung erfüllen vor der ungeheuren Anpaſſungsfähigkeit des <lb/>Menſchengeſchlechts, welches auch an die extremſten klimatiſchen <lb/>Verhältniſſe ſich in verhältnismäßig ſehr kurzer Zeit zu ge-<lb/>wöhnen vermag.</s> <s xml:id="echoid-s6768" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6769" xml:space="preserve">Lange hielt man Jakutsk für denjenigen Ort, welcher die <lb/>ſchwerſte Winterkälte zu erdulden hat; </s> <s xml:id="echoid-s6770" xml:space="preserve">dann aber ſtellte ſich <lb/>heraus, daß die nördlich davon, unter 67° 34′ liegende Stadt <lb/>Werchojansk am Fluſſe Jana noch tiefere Minima der Tempe-<lb/>ratur aufzuweiſen hat. </s> <s xml:id="echoid-s6771" xml:space="preserve">Am 15. </s> <s xml:id="echoid-s6772" xml:space="preserve">Januar 1885 ſank hier das <lb/>Thermometer auf — 68°, und in den darauf folgenden Jahren <lb/>iſt ſogar einmal ein Temperaturminimum von — 70° erreicht <lb/>worden, und es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß unter Um-<lb/>ſtänden auch noch etwas höhere Kältegrade dort vorkommen <lb/>können. </s> <s xml:id="echoid-s6773" xml:space="preserve">Bei einer mittleren Jahrestemperatur von — 17,2° be-<lb/>trägt die Durchſchnitts-”Wärme” der 3 Wintermonate Dezem-<lb/>ber bis Februar — 48,5°, und die “normale” Temperatur des <lb/>kälteſten Monats Januar iſt —51°.</s> <s xml:id="echoid-s6774" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6775" xml:space="preserve">Werchojansk, eine für ſibiriſche Verhältniſſe ganz anſehn-<lb/>liche Stadt von mehreren Hundert Einwohnern, beſitzt ſomit <lb/>zweifellos unter allen bekannten Orten die größte Winter-<lb/>kälte, die auf der ganzen Erde zu finden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6776" xml:space="preserve">Dieſe That-<lb/>ſache iſt um ſo auffallender, als Werchojansk gar nicht weit <lb/>innerhalb des Polarkreiſes liegt, nur etwa auf der Breite der <lb/>Lofoten, alſo dicht an der ſogenannten gemäßigten Zone. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6777" xml:space="preserve">Der Grund, weshalb in dieſen verhältnismäßig wenig nörd-<lb/>lichen Breiten ſo unglaublich niedrige Temperaturen vor-<lb/>kommen, iſt zu ſuchen einerſeits in dem ganzen Klima <pb o="141" file="559" n="559"/> Sibiriens, das infolge des ſtändig herrſchenden hohen Baro-<lb/>meterſtandes faſt unausgeſetzt wolkenloſen Himmel und dem-<lb/>gemäß im Winter eine übermäßig ſtarke, nächtliche Ausſtrahlung <lb/>aufzuweiſen hat, andrerſeits in der Lage von Werchojansk <lb/>ſelbſt, das in einer Thalmulde liegt, wo die ſchwere, kalte Luft <lb/>ſich anzuſammeln vermag, ohne nach irgend einer Seite einen <lb/>Abfluß finden und ſich mit wärmerer Luft vermiſchen zu <lb/>können.</s> <s xml:id="echoid-s6778" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6779" xml:space="preserve">Übrigens ſei bemerkt, daß der menſchliche Organismus <lb/>dieſe grauenhafte Kälte vortrefflich erträgt. </s> <s xml:id="echoid-s6780" xml:space="preserve">Eine derartige <lb/>Thatſache wäre freilich niemals möglich, wenn nicht die Luft <lb/>im öſtlichen Sibirien ſo außerordentlich trocken wäre, wie nur <lb/>in wenigen andren Ländern. </s> <s xml:id="echoid-s6781" xml:space="preserve">Feuchte Luft würde dort dem menſch-<lb/>lichen Körper ſehr bald die zum Leben nötige Wärme ent-<lb/>ziehen, und der Menſch würde erfrieren. </s> <s xml:id="echoid-s6782" xml:space="preserve">Sehr trockene Luft <lb/>aber iſt ein ſo ſchlechter Wärmeleiter, daß der Menſch, wenn <lb/>er nur gut in Pelz gehüllt iſt, ohne Beſchwerden und ohne <lb/>Nachteile Kältegrade von — 70° ſtundenlang ertragen kann.</s> <s xml:id="echoid-s6783" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6784" xml:space="preserve">Vielleicht kommen im arktiſchen Nordamerika — mindeſtens <lb/>vereinzelt — ebenſo niedrige Temperaturen vor wie in Wercho-<lb/>jansk; </s> <s xml:id="echoid-s6785" xml:space="preserve">wenigſtens will der Amerikaner <emph style="sp">Dawſon</emph> in Fort Rae <lb/>— 67° — obendrein noch im April — beobachtet haben, und <lb/><emph style="sp">Gilder</emph>, ein Berichterſtatter des “New-York Herald”, welcher <lb/>ſich an einer der zur Aufſuchung des 1847 verſchollenen Nordpol-<lb/>fahrers <emph style="sp">Franklin</emph> ausgeſandten Expedition beteiligte, berichtet, <lb/>daß er im Winter von 1879/80 Temperaturen von — 71° er-<lb/>lebt habe. </s> <s xml:id="echoid-s6786" xml:space="preserve">Doch dürften dieſe Beobachtungen nicht völlig <lb/>ſicher ſein, um ſo mehr, als unterhalb von — 40° die Queckſilber-<lb/>Thermometer einfrieren und durch die nur mit Vorſicht zu ge-<lb/>brauchenden Weingeiſt- oder Luft-Thermometer erſetzt werden <lb/>müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s6787" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6788" xml:space="preserve">Jedenfalls aber iſt die <emph style="sp">durchſchnittliche</emph> Winterkälte in <lb/>Werchojansk die härteſte, die wir kennen, und es wäre nur <pb o="142" file="560" n="560"/> allenfalls noch möglich, daß innerhalb der bis jetzt meteoro-<lb/>logiſch noch gänzlich unbekannten und ganz unbewohnten <lb/>Polarkuppe der ſüdlichen Halbkugel ſich Gegenden finden, die <lb/>mit Werchojansk wetteifern können.</s> <s xml:id="echoid-s6789" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6790" xml:space="preserve">Nachdem wir nun ſo die vorkommenden Temperatur-<lb/>Extreme kennen gelernt haben, wollen wir uns auch einmal <lb/>anſehen, welche Extreme denn die beiden wichtigſten andren <lb/>klimatiſchen Faktoren, Luftdruck und Niederſchlag, auf Erden <lb/>zu erreichen vermögen.</s> <s xml:id="echoid-s6791" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div265" type="section" level="1" n="177"> <head xml:id="echoid-head199" xml:space="preserve"><emph style="bf">XII. Die höchſten und tiefſten Barometerſtände.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6792" xml:space="preserve">Das Barometer zeigt bekanntlich den Druck der darüber <lb/>lagernden Luftſäule an, und es iſt infolgedeſſen leicht erklärlich, <lb/>daß das Barometer “fällt”, wenn man damit in die Höhe <lb/>ſteigt, da eben alsdann die darüber lagernde Luftſäule kleiner <lb/>und ihr Gewicht geringer wird. </s> <s xml:id="echoid-s6793" xml:space="preserve">Und zwar entſpricht in den <lb/>unteren Schichten der Atmoſphäre einem Steigen um etwa <lb/>11 Meter jedesmal ein Sinken des Barometerſtandes um <lb/>1 Millimeter. </s> <s xml:id="echoid-s6794" xml:space="preserve">Während der Durchſchnittsſtand des Barometers <lb/>am Meeresſpiegel etwa 760 Millimeter beträgt, iſt er in <lb/>1000 Meter nur noch 672 Millimeter, in 5000 Meter Höhe <lb/>etwa 400 Millimeter, und in den höchſten Schichten, die der <lb/>Menſch bisher im Luftballon erreicht hat, in 9150 Meter Höhe <lb/>(<emph style="sp">Berſon</emph> am 4. </s> <s xml:id="echoid-s6795" xml:space="preserve">Dezember 1894) 230 Millimeter.</s> <s xml:id="echoid-s6796" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6797" xml:space="preserve">Will man daher die Barometerſtände von mehreren Statio-<lb/>nen, die in verſchiedener Höhe über dem Meeresſpiegel liegen, <lb/>mit einander vergleichen, ſo iſt es nötig, ſie alle auf die gleiche <lb/>Meereshöhe umzurechnen oder, wie der Meteorologe ſagt, zu <lb/>“reduzieren”. </s> <s xml:id="echoid-s6798" xml:space="preserve">Man reduziert nun die Barometerſtände bei <lb/>allen derartigen Vergleichen auf die Höhe 0, das heißt auf <pb o="143" file="561" n="561"/> das Niveau des Meeresſpiegels. </s> <s xml:id="echoid-s6799" xml:space="preserve">Lieſt man alſo z. </s> <s xml:id="echoid-s6800" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6801" xml:space="preserve">an einer <lb/>Station, die 55 Meter hoch liegt, den Barometerſtand 752 <lb/>Millimeter ab, ſo beträgt der aufs Meeresniveau reduzierte <lb/>Barometerſtand 752 + (55 : </s> <s xml:id="echoid-s6802" xml:space="preserve">11) = 757 Millimeter.</s> <s xml:id="echoid-s6803" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6804" xml:space="preserve">Dieſe Bemerkungen mußten wir vorausſchicken, <emph style="sp">da im <lb/>folgenden immer nur von reduzierten Barometer-<lb/>ſtänden die Rede iſt</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s6805" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6806" xml:space="preserve">Der normale Barometerſtand beträgt bei uns in Deutſch-<lb/>land, wie geſagt, etwa 760 Millimeter; </s> <s xml:id="echoid-s6807" xml:space="preserve">doch ſind die Grenzen, <lb/>innerhalb deren der Luftdruck ſteigt und fällt, ziemlich weit <lb/>gezogen. </s> <s xml:id="echoid-s6808" xml:space="preserve">Der höchſte in den letzten 50 Jahren innerhalb <lb/>Deutſchlands und Öſterreichs vorgekommene Barometerſtand <lb/>betrug 788,3 Millimeter (am 16. </s> <s xml:id="echoid-s6809" xml:space="preserve">Januar 1882 in Prag), der <lb/>tiefſte dagegen 722,1 Millimeter (am 9. </s> <s xml:id="echoid-s6810" xml:space="preserve">Februar 1889 in <lb/>Keitum auf Sylt). </s> <s xml:id="echoid-s6811" xml:space="preserve">Als Luftdruck-Extreme für Deutſchland <lb/>können wir ſomit die Werte 790 und 720 Millimeter be-<lb/>trachten. </s> <s xml:id="echoid-s6812" xml:space="preserve">Wenn auch dieſe ſehr bedeutenden Schwankungen <lb/>für unſer Gefühl in keiner Weiſe merkbar ſind, ſo wiſſen <lb/>wir doch ſchon aus Teil I, daß von der Höhe des <lb/>Barometerſtandes in nachdrücklichſter Weiſe die Witterung be-<lb/>einflußt wird. </s> <s xml:id="echoid-s6813" xml:space="preserve">Bei Barometerſtänden über 770 Millimeter <lb/>wird es nur in ganz vereinzelten Fällen Niederſchläge oder <lb/>ſtürmiſche Winde geben; </s> <s xml:id="echoid-s6814" xml:space="preserve">vielmehr pflegt das Wetter dann ruhig <lb/>und trocken zu ſein, meiſt auch klar oder doch nur ſchwach <lb/>neblig. </s> <s xml:id="echoid-s6815" xml:space="preserve">Dagegen wird ein Sinken des Barometers unter <lb/>745 Millimeter ſchon in der Regel von Niederſchlägen und <lb/>heftigen Winden begleitet ſein, und wenn der reduzierte Luft-<lb/>druck unter 730 oder gar 725 Millimeter herabgeht, ſo werden <lb/>Unwetter aller Art niemals ausbleiben.</s> <s xml:id="echoid-s6816" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6817" xml:space="preserve">Welches ſind nun aber wohl überhaupt die Extreme des <lb/>Luftdrucks, die bisher beobachtet ſind? </s> <s xml:id="echoid-s6818" xml:space="preserve">Nun: </s> <s xml:id="echoid-s6819" xml:space="preserve">um die höchſten <lb/>Barometerſtände ausfindig zu machen, ſind wir ſchon ge-<lb/>zwungen, uns wieder einmal mitten im Winter nach Sibirien <pb o="144" file="562" n="562"/> hinein zu begeben — wenngleich uns nach den obigen Schilde-<lb/>rungen wohl der Appetit darnach vergangen ſein dürfte. </s> <s xml:id="echoid-s6820" xml:space="preserve">Aber <lb/>es hilft nichts: </s> <s xml:id="echoid-s6821" xml:space="preserve">als echte Forſcher müſſen wir ſchon unſre <lb/>Behaglichkeit unſrem Wiſſensdrang opfern, und ſo ſetzen wir <lb/>uns denn noch einmal den Unbilden des ſibiriſchen Winters <lb/>aus. </s> <s xml:id="echoid-s6822" xml:space="preserve">Und da finden wir denn, daß wir hier Barometerſtände <lb/>erleben können, wie ſie ſich auf der ganzen Erde nirgends ſonſt <lb/>finden. </s> <s xml:id="echoid-s6823" xml:space="preserve">— Woran liegt das?</s> <s xml:id="echoid-s6824" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6825" xml:space="preserve">Es iſt eine allgemeine Regel, daß ſich der tiefe Barometer-<lb/>ſtand mit Vorliebe auf und an den Meeren, der hohe dagegen <lb/>im Innern großer Kontinente vorfindet. </s> <s xml:id="echoid-s6826" xml:space="preserve">Es rührt dies daher, <lb/>daß die barometriſchen Cyklonen oder Wirbel — denn als <lb/>Wirbelerſcheinungen hat man derartige Phänomene aufzufaſſen— <lb/>auf den Meeren, wo die Winde ja eine ganz andre Kraft <lb/>entfalten können, als auf dem Lande, bedeutend häufiger und <lb/>ausgeprägter auftreten als im Kontinent. </s> <s xml:id="echoid-s6827" xml:space="preserve">Sobald aber ein <lb/>ſolcher Wirbel die Küſte eines Kontinents erreicht, wird die <lb/>weitere Luftzufuhr durch die zahlreichen Unebenheiten des <lb/>Bodens ſo ſtark beeinträchtigt und geſchwächt, daß die Kraft <lb/>des Wirbels erlahmen und die Depreſſion ſich ausfüllen muß, <lb/>d. </s> <s xml:id="echoid-s6828" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s6829" xml:space="preserve">die Tiefe des Minimums wird immer geringer, bis <lb/>ſchließlich die Ausgleichung erfolgt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6830" xml:space="preserve">— Umgekehrt werden <lb/>ſehr hohe barometriſche Maxima auf den Meeren nur ſelten <lb/>ſein; </s> <s xml:id="echoid-s6831" xml:space="preserve">ſie ſtellen ſich meiſt dort ein, wo auf weiten Landflächen <lb/>ſtrenge Winterkälte herrſcht, welche eine Verdichtung und Zu-<lb/>ſammenziehung der Luftmaſſen und damit eine Steigerung des <lb/>Luftdruckes verurſacht. </s> <s xml:id="echoid-s6832" xml:space="preserve">Je weiter wir uns vom Meere ent-<lb/>fernen, um ſo höhere Anticyklonen (barometriſche Maxima) <lb/>können wir antreffen. </s> <s xml:id="echoid-s6833" xml:space="preserve">Im inneren Rußland ſind ſchon Baro-<lb/>meterſtände von 785 Millimeter keine große Seltenheiten mehr, <lb/>während ſolche von 730 Millimeter kaum einmal vorkommen <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s6834" xml:space="preserve">In Petersburg beobachtete man am 16. </s> <s xml:id="echoid-s6835" xml:space="preserve">Januar 1869 <lb/>nicht weniger als 797 Millimeter Luftdruck.</s> <s xml:id="echoid-s6836" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="145" file="563" n="563"/> <p> <s xml:id="echoid-s6837" xml:space="preserve">Noch anders liegen die Verhältniſſe in Sibirien. </s> <s xml:id="echoid-s6838" xml:space="preserve">Aſien <lb/>iſt bekanntlich weitaus die gewaltigſte Kontinentalmaſſe, welche <lb/>überhaupt auf Erden zu finden iſt, und der Norden wird im <lb/>Winter von der ungeheuer großen Eis- und Schneedecke des <lb/>Nördlichen Eismeeres begrenzt, deren Wirkung nicht anders <lb/>wie die eines neuen, rieſigen, ſchneebedeckten Landkomplexes iſt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6839" xml:space="preserve">Sibirien iſt alſo nach allen Seiten hin auf viele Hunderte von <lb/>Meilen vom offenen Meere entfernt, obendrein auch noch auf <lb/>drei Seiten durch hohe Gebirge eingeſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s6840" xml:space="preserve">Daher herrſcht <lb/>hier im Winter mit wenigen Unterbrechungen faſt fortwährend <lb/>ein gleichmäßig hoher Luftdruck, der zuweilen ganz extreme <lb/>Werte aufweiſt: </s> <s xml:id="echoid-s6841" xml:space="preserve">am 16. </s> <s xml:id="echoid-s6842" xml:space="preserve">Dezember 1877 kamen in Semipala-<lb/>tinsk 806.</s> <s xml:id="echoid-s6843" xml:space="preserve">5 Millimeter vor, am 14. </s> <s xml:id="echoid-s6844" xml:space="preserve">Januar 1893 in Jrkutsk <lb/>807,5 Millimeter und am 20. </s> <s xml:id="echoid-s6845" xml:space="preserve">Dezember 1896 ebendaſelbſt <lb/>gar 808,4 Millimeter.</s> <s xml:id="echoid-s6846" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6847" xml:space="preserve">Die niedrigſten Barometerſtände dagegen finden ſich, wie <lb/>man nach dem oben Geſagten wohl erwarten wird, auf dem <lb/>Meere ſelbſt oder über ſeinen Jnſeln und Küſten. </s> <s xml:id="echoid-s6848" xml:space="preserve">Schon in <lb/>Großbritannien hat man Barometerſtände beobachtet, welche <lb/>die tiefſten in Deutſchland vorgekommenen um nahezu 30 Milli-<lb/>meter übertreffen. </s> <s xml:id="echoid-s6849" xml:space="preserve">Barometerſtände von weniger als 700 Milli-<lb/>meter, die natürlich ſtets von wütendſten Orkanen begleitet <lb/>ſind, hat man dort mehr als einmal abgeleſen, der tiefſte <lb/>war bisher 694,2 Millimeter am 26. </s> <s xml:id="echoid-s6850" xml:space="preserve">Januar 1884 in Ochter-<lb/>tyre bei Crieff (Schottland).</s> <s xml:id="echoid-s6851" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6852" xml:space="preserve">Barometerſtände unter 700 Millimeter gehören allenthalben, <lb/>wo ſie überhaupt vorkommen, zu den großen Seltenheiten, und <lb/>nur ganz wenige Fälle ſind bekannt, in denen jenes Barometer-<lb/>minimum von Ochtertyre erreicht oder übertroffen wurde: </s> <s xml:id="echoid-s6853" xml:space="preserve">Der <lb/>Cunard Steamer “Tarifa” beobachtete den gleichen Stand von <lb/>694,2 Millimeter am 5. </s> <s xml:id="echoid-s6854" xml:space="preserve">Februar 1870 auf freiem Meere unter <lb/>51° N. </s> <s xml:id="echoid-s6855" xml:space="preserve">Br. </s> <s xml:id="echoid-s6856" xml:space="preserve">und 24° W. </s> <s xml:id="echoid-s6857" xml:space="preserve">L. </s> <s xml:id="echoid-s6858" xml:space="preserve">In Reikjavik, der Hauptſtadt <lb/>Islands, ſoll am 4. </s> <s xml:id="echoid-s6859" xml:space="preserve">Februar 1824 ein Luftdruck von nur</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6860" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s6861" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s6862" xml:space="preserve">Volksbücher XX.</s> <s xml:id="echoid-s6863" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="146" file="564" n="564"/> <p> <s xml:id="echoid-s6864" xml:space="preserve">692 Millimeter vorgekommen ſein — und bei Falſe Point an der <lb/>Küſte von Oriſſa im Bengaliſchen Meerbuſen ſank das Baro-<lb/>meter bei einem furchtbaren Wirbelſturme am 22. </s> <s xml:id="echoid-s6865" xml:space="preserve">September <lb/>1885 nach <emph style="sp">Blanfords</emph> Angaben gar auf 688,9 Millimeter.</s> <s xml:id="echoid-s6866" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6867" xml:space="preserve">Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß gelegentlich auch noch <lb/>tiefere Stände vorkommen. </s> <s xml:id="echoid-s6868" xml:space="preserve">So dürfte ſich der Luftdruck im <lb/>Innern von ſchweren Waſſer- und Windhoſen, von Tromben <lb/>und Tornados noch weiter erniedrigen, allerdings ſtets nur <lb/>auf wenige Sekunden, während er unmittelbar vorher und <lb/>nachher bedeutend höher iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6869" xml:space="preserve">Da freilich derartige Phänomene <lb/>ſtets von ganz unvergleichlich heftigen Zerſtörungen begleitet <lb/>ſind, ſo ſteht zu befürchten, daß der Beobachter, der das <lb/>“Glück” hat, in einen ſolchen Wirbel hineinzugeraten, ſich nicht <lb/>mit Barometerableſungen abgeben, ſondern möglichſt bald ſein <lb/>Leben in Sicherheit zu bringen ſuchen wird. </s> <s xml:id="echoid-s6870" xml:space="preserve">Daher werden <lb/>wir wohl leider ſo leicht nicht erfahren, welche Barometerſtände <lb/>im Jnnern ſolcher Luftwirbel vorkommen können. </s> <s xml:id="echoid-s6871" xml:space="preserve">Doch bei <lb/>der entſetzlichen Tornado-Kataſtrophe, durch welche St. </s> <s xml:id="echoid-s6872" xml:space="preserve">Louis <lb/>am 27. </s> <s xml:id="echoid-s6873" xml:space="preserve">Mai 1896 zerſtört wurde, will jemand durch einen <lb/>Zufall ſchon einen momentanen Barometerſtand von 683 Mil-<lb/>limeter feſtgeſtellt haben.</s> <s xml:id="echoid-s6874" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6875" xml:space="preserve">Jedenfalls ſehen wir, daß die Schwankungen, welche im <lb/>Luftdruck der Erde vorkommen, ganz koloſſale ſind, und getroſt <lb/>können wir behaupten, daß der höchſte Luftdruck ſich vom <lb/>niedrigſten vorkommenden um 125 Millimeter unterſcheidet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6876" xml:space="preserve">Das iſt eine ſehr reſpektable Zahl, denn wir müſſen bedenken, <lb/>daß wir erſt in etwa 1500 Meter Höhe über dem Meeres-<lb/>ſpiegel einen Luftdruck antreffen, der 125 Millimeter niedriger <lb/>iſt als auf der Erdoberfläche — und die dazwiſchen liegende <lb/>Luftſäule übt auf jeden Quadratmeter einen Druck von etwa <lb/>340 Centnern aus.</s> <s xml:id="echoid-s6877" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="147" file="565" n="565"/> </div> <div xml:id="echoid-div266" type="section" level="1" n="178"> <head xml:id="echoid-head200" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIII. Die niederſchlagärmſten und -reichſten</emph> <lb/><emph style="bf">Gegenden der Erde.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6878" xml:space="preserve">Giebt es wohl auf der Erde Orte, wo niemals Regen <lb/>fällt? </s> <s xml:id="echoid-s6879" xml:space="preserve">Der Leſer wird natürlich ſofort an die Wüſtengegenden <lb/>denken und meinen, daß wir es hier lhatſächlich mit gäuzlich <lb/>niederſchlagloſen Gebieten zu thun haben. </s> <s xml:id="echoid-s6880" xml:space="preserve">Aber das iſt ein <lb/>Irrtum! Vielmehr können wir die aufgeworfene Frage mit <lb/>einem runden “Nein!” beantworten. </s> <s xml:id="echoid-s6881" xml:space="preserve">Es giebt thatſächlich <lb/>keinen Ort, an dem nicht mindeſtens von Zeit zu Zeit ergiebi-<lb/>gere Regenfälle ſtattfinden. </s> <s xml:id="echoid-s6882" xml:space="preserve">Freilich finden ſich — mit Aus-<lb/>nahme von Europa — in allen Weltteilen Landſtrecken, an <lb/>denen es zuweilen viele, viele Monate, ja ſelbſt Jahre lang <lb/>überhaupt nicht regnet, und der Fall, daß ein Ort im ganzen <lb/>Jahr keinen Tropfen Regen zu verzeichnen hat, tritt in Wüſten-<lb/>ländern oft genug ein.</s> <s xml:id="echoid-s6883" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6884" xml:space="preserve">Kennt man nun aber auch den regenreichſten Ort der <lb/>Erde? </s> <s xml:id="echoid-s6885" xml:space="preserve">Gewiß! ſogar mit ſehr großer Beſtimmtheit! Aber ehe <lb/>wir uns dieſem feuchten Platze zuwenden, wollen wir uns noch <lb/>kurz über die Maßmethoden orientieren, welche die Meteoro-<lb/>logen bei den Niederſchlägen anwenden. </s> <s xml:id="echoid-s6886" xml:space="preserve">Die Menge des ge-<lb/>fallenen Regens oder Schnees drückt der Fachmann in Milli-<lb/>metern aus, und zwar giebt er an, wie hoch das gefallene <lb/>(beim Schnee das geſchmolzene) Waſſer die Erde bedecken <lb/>würde, wenn nichts davon verdunſtete oder in den Boden ein-<lb/>ſickerte. </s> <s xml:id="echoid-s6887" xml:space="preserve">Der Niederſchlag wird in Trichtern von ganz genau <lb/>beſtimmtem Querſchnitt aufgefangen und fließt aus dieſen durch <lb/>eine enge Öffnung in ein Blechgefäß, wo ein Einſickern natür-<lb/>lich ganz und ein Verdunſten faſt ganz vermieden wird. </s> <s xml:id="echoid-s6888" xml:space="preserve">Jeden <lb/>Morgen um 7 Uhr wird dann der in den letzten 24 Stunden <lb/>gefallene Niederſchlag bis auf Zehntel von Millimetern genau <lb/>gemeſſen.</s> <s xml:id="echoid-s6889" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="148" file="566" n="566"/> <p> <s xml:id="echoid-s6890" xml:space="preserve">Wir wollen noch erwähnen, daß der Jahresdurchſchnitt <lb/>des Niederſchlags in Deutſchland etwa 700 Millimeter beträgt, <lb/>in Berlin nicht ganz 600 Millimeter, damit wir uns nachher <lb/>ein beſſeres Bild von den koloſſalen Niederſchlagsmengen andrer <lb/>Orte machen können. </s> <s xml:id="echoid-s6891" xml:space="preserve">Die trockenſten Teile Deutſchlands haben <lb/>im langjährigen Durchſchnitt etwa 430 Millimeter Niederſchlag <lb/>zu verzeichnen, der niederſchlagreichſte Ort Deutſchlands, Bad <lb/>Kreuth in Oberbayern, aber zwiſchen 2300 und 2400 Milli-<lb/>metern. </s> <s xml:id="echoid-s6892" xml:space="preserve">Der naſſeſte Ort Europas überhaupt iſt Seathwaite <lb/>im Borrowdale des ſchottiſchen Seendiſtrikts, wo man durch-<lb/>ſchnittlich etwa 3450 Millimeter Niederſchlag in jedem Jahre hat.</s> <s xml:id="echoid-s6893" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6894" xml:space="preserve">Und nun wenden wir uns gleich zu dem größten “Regen-<lb/>neſt”, das auf Erden zu finden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s6895" xml:space="preserve">Auch dieſer Ort liegt — <lb/>wie die meiſten andren der frühergenannten, durch ganz beſondre <lb/>Extreme ausgezeichneten Orte — in Aſien, und zwar auf einem <lb/>Paß des Khaſſia-Gebirges, eines Vorgebirges des Himalaya <lb/>im ſüdweſtlichen Aſſam, in einer Meereshöhe von 1250 Meter, <lb/>und er heißt Cherrapundji. </s> <s xml:id="echoid-s6896" xml:space="preserve">Die alljährlich hier fallende Regen-<lb/>menge beträgt im langjährigen Durchſchnitt 12 000 Millimeter <lb/>oder 12 Meter. </s> <s xml:id="echoid-s6897" xml:space="preserve">Es iſt ein lokal ſehr eng begrenztes Gebiet, <lb/>das von dieſen ungeheuren Regenmaſſen betroffen wird, ſchon <lb/>wenige Kilometer weiter beträgt die jährliche Niederſchlags-<lb/>menge nur noch 3—4000 Millimeter. </s> <s xml:id="echoid-s6898" xml:space="preserve">Der Grund, weshalb <lb/>grade Cherrapunji ſo ungemein reichlich vom Himmel getränkt <lb/>wird, iſt darin zu ſuchen, daß es am nordöſtlichen Abhang <lb/>mehrerer ſtrahlig auslaufender Thäler liegt, aus denen der <lb/>vom Bengaliſchen Meerbuſen herwehende regenſchwangere Süd-<lb/>weſtmonſun in jedem Sommer koloſſale Maſſen von Regen-<lb/>wolken heraufführt, die alsdann ihre ganze Feuchtigkeit über <lb/>Cherrapunji abgeben. </s> <s xml:id="echoid-s6899" xml:space="preserve">Die Waſſermaſſen, welche hier in wenigen <lb/>Tagen oder Stunden herniederſtürzen können, übertreffen alle <lb/>unſre Begriffe.</s> <s xml:id="echoid-s6900" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6901" xml:space="preserve">Wenn bei uns in Deutſchland in 24 Stunden einmal 20 <pb o="149" file="567" n="567"/> oder 30 Millimeter Regen fallen, ſo ſprechen wir ſchon von <lb/>einem ſehr ſtarken Regenfall, zumal wenn eine ſolche Menge <lb/>im Zeitraum weniger Stunden fällt — als Gußregen bei <lb/>einem Gewitter. </s> <s xml:id="echoid-s6902" xml:space="preserve">Tagesmengen von mehr als 50 Millimeter <lb/>ſind im deutſchen Flachlande ſchon ſehr bemerkenswerte Aus-<lb/>nahmefälle und ſind z. </s> <s xml:id="echoid-s6903" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6904" xml:space="preserve">in Berlin ſeit 50 Jahren nur 5mal <lb/>vorgekommen. </s> <s xml:id="echoid-s6905" xml:space="preserve">Mehr als 100 Millimeter Regen fallen in <lb/>Deutſchland — mit ganz vereinzelten Ausnahmen — faſt nur <lb/>noch in Gebirgsgegenden, und die wenigen Fälle, in denen im <lb/>Gebirge über 150 Millimeter Regen fallen, haben ſchon ſtets <lb/>ſchwere Überſchwemmungen zur Folge. </s> <s xml:id="echoid-s6906" xml:space="preserve">Die größten in Deutſch-<lb/>land gefallenen Tagesmengen des Niederſchlags wurden gemeſſen <lb/>am 30. </s> <s xml:id="echoid-s6907" xml:space="preserve">Iuli 1897 auf der Schncckoppe, gelegentlich einer be-<lb/>rühmten Überſchwemmungskataſtrophe, mit 239 Millimeter <lb/>Regen und am 23. </s> <s xml:id="echoid-s6908" xml:space="preserve">Iuli 1855 am Büchenberg im Harz mit etwa <lb/>238 Millimeter Regen.</s> <s xml:id="echoid-s6909" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6910" xml:space="preserve">Und nun höre man die Regenſummen von Cherrapunji: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6911" xml:space="preserve">am 14. </s> <s xml:id="echoid-s6912" xml:space="preserve">Iuni 1876 fiel hier die grüßte Tagesmenge an Regen, <lb/>die man je irgendwo auf Erden beobachtet hat — 1036 Milli-<lb/>meter, faſt das doppelte von der Summe des Niederſchlags, <lb/>welcher im norddeutſchen Flachlande im ganzen <emph style="sp">Jahre</emph> fällt. </s> <s xml:id="echoid-s6913" xml:space="preserve"><lb/>Und in der ganzen Zeit vom 12.</s> <s xml:id="echoid-s6914" xml:space="preserve">—15. </s> <s xml:id="echoid-s6915" xml:space="preserve">Iuni 1876 fielen nicht <lb/>weniger als 2550 Millimeter, alſo in 4 Tagen ſo viel, wie bei <lb/>uns in 4 Jahren. </s> <s xml:id="echoid-s6916" xml:space="preserve">— In dem einen Monat Iuni 1859 erhielt <lb/>Cherrapunji 6172 Millimeter Regen, im Iuli 1861 gar <lb/>9296 Millimeter, alſo mehr als 9 Meter. </s> <s xml:id="echoid-s6917" xml:space="preserve">Die “normale” <lb/>jährliche Niederſchlagshöhe beträgt — wie ſchon geſagt — <lb/>12 Meter. </s> <s xml:id="echoid-s6918" xml:space="preserve">In dem bisher regenreichſten Jahre 1861 ſtieg <lb/>aber dieſe Zahl gar auf 20 Meter; </s> <s xml:id="echoid-s6919" xml:space="preserve">wenn alſo das Waſſer, <lb/>ohne zu verdunſten, zu verſickern und abzufließen, ſtehen ge-<lb/>blieben wäre, ſo hätte bequem ein dreiſtöckiges Haus vollſtändig <lb/>in der Waſſermenge untergetaucht werden können.</s> <s xml:id="echoid-s6920" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6921" xml:space="preserve">Allerdings darf ſich nun der Leſer nicht etwa vorſtellen, <pb o="150" file="568" n="568"/> als ob desgleichen im Gebiete der “tropiſchen Regen” allenthalben <lb/>üblich ſei. </s> <s xml:id="echoid-s6922" xml:space="preserve">Vielmehr ſind an keinem anderen Orte der Erde <lb/>die jährlichen und monatlichen Niederſchlagshöhen auch nur <lb/>annähernd ebenſo groß, wie in Cherrapunji.</s> <s xml:id="echoid-s6923" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div267" type="section" level="1" n="179"> <head xml:id="echoid-head201" xml:space="preserve"><emph style="bf">XIV. Sollen wir mit unſerem Klima zufrieden ſein?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6924" xml:space="preserve">Wir könnten uns nun auch vielleicht noch mal auf der <lb/>Erde umſehen, wo denn wohl die ſchwerſten Stürme vorkommen, <lb/>und welches ihre Wirkungen ſind, aber da dieſe Witterungs-<lb/>Faktoren der Meſſung ſehr unzugänglich ſind und ihre Stärke <lb/>ſich nicht, wie bei den bisher genannten, durch Zahlen leicht <lb/>ausdrücken läßt, ſo könnte dieſe Betrachtung am Ende gar nur <lb/>auf eine Beſchreibung beſonders ſchwerer Orkane hinauslaufen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6925" xml:space="preserve">Es wird daher beſſer ſein, wir beſchließen unſeren Erdenbummel <lb/>und kehren in die deutſche Heimat zurück, deren Klima uns <lb/>jetzt, nachdem wir ſo mancherlei extreme Witterungsverhältniſſe <lb/>kennen gelernt haben, viel angenehmer und günſtiger erſcheint, <lb/>als vor Antritt unſerer Weltreiſe.</s> <s xml:id="echoid-s6926" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6927" xml:space="preserve">Aber wie lange wird die Zufriedenheit dauern? </s> <s xml:id="echoid-s6928" xml:space="preserve">Es braucht <lb/>nur mal im Sommer acht Tage hintereinander regneriſch und <lb/>kühl zu ſein, oder der Winter braucht uns nur einmal etwas <lb/>mehr Froſt und Schnee zu bringen, als zum Schlittſchuhlaufen <lb/>und Schlittenfahren unbedingt notwendig iſt, und die üblichen <lb/>Klagen über die Witterung laſſen ſich wieder an allen Ecken <lb/>und Enden vernehmen. </s> <s xml:id="echoid-s6929" xml:space="preserve">Und gar manche froſtige Natur wünſcht <lb/>ſich womöglich gleich ein Klima herbei, das überhaupt die Be-<lb/>griffe Eis und Schnee nicht kennt: </s> <s xml:id="echoid-s6930" xml:space="preserve">“Ach wie ſchön müſſen’s <lb/>doch ſo manche andern Völker haben, die im Winter nicht ſo <lb/>zu frieren brauchen wie wir Deutſche!” — “Ja, verehrter Un-<lb/>zufriedener, Länder mit milderen Wintern giebt’s ja in der ge- <pb o="151" file="569" n="569"/> mäßigten Zone eine ganze Menge, aber glaubſt Du denn, daß <lb/>die wirklich beſſer dran ſind? </s> <s xml:id="echoid-s6931" xml:space="preserve">— Da iſt z. </s> <s xml:id="echoid-s6932" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6933" xml:space="preserve">Großbritannien! <lb/>Dort ſind die Winter faſt immer ſehr milde, aber dieſe warme <lb/>Winterwitterung wird dort auch nur erkauft mit einem Zuviel <lb/>an Stürmen, Nebeln und Niederſchlägen im Winter und mit <lb/>vielen regneriſchen, kühlen Tagen im Sommer.</s> <s xml:id="echoid-s6934" xml:space="preserve">” — “Nun ja, <lb/>an England dachte ich auch nicht; </s> <s xml:id="echoid-s6935" xml:space="preserve">aber wie ſchön muß nicht <lb/>z. </s> <s xml:id="echoid-s6936" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6937" xml:space="preserve">das Klima in Italien oder Griechenland ſein, wo ſtets <lb/>'ein warmer Wind vom blauen Himmel weht’, und wo die <lb/>Menſchen ſich nicht mit Wintermänteln und Kohlenrechnungen <lb/>alljährlich herumärgern müſſen!” — “Nun, ich weiß doch nicht, <lb/>ob Du Dich dort weſentlich wohler fühlen würdeſt. </s> <s xml:id="echoid-s6938" xml:space="preserve">Denn wenn <lb/>auch die Winter meiſt recht angenehm ſind, ſo pflegt dafür der <lb/>Sommer eine ſo erdrückende und erſchlaffende Hitze zu bringen, <lb/>daß die Menſchen faſt monatelang zu jeder größeren Arbeit <lb/>untauglich werden.</s> <s xml:id="echoid-s6939" xml:space="preserve">” — “Ach, das bischen Hitze würde ich ſchon <lb/>gern in Kauf nehmen! Ein zu heißer Sommer ſcheint mir doch <lb/>immer noch bedeutend beſſer, als ein zu kalter Winter.</s> <s xml:id="echoid-s6940" xml:space="preserve">” . </s> <s xml:id="echoid-s6941" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s6942" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s6943" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s6944" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6945" xml:space="preserve">Die folgenden Kapitel werden uns Aufſchluß geben, ob <lb/>der unzufriedene Sprecher recht hat, und ob wir wirklich mit <lb/>unſerem deutſchen Klima — wie wir es ſo oft thun — unzu-<lb/>frieden ſein ſollen.</s> <s xml:id="echoid-s6946" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div268" type="section" level="1" n="180"> <head xml:id="echoid-head202" xml:space="preserve"><emph style="bf">XV. Klimaſchwankungen.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6947" xml:space="preserve">Wir haben oben (Teil 7, Kap. </s> <s xml:id="echoid-s6948" xml:space="preserve">I) gehört, daß die Kul-<lb/>turen des Altertums hauptſächlich deshalb zu Grunde gehen <lb/>mußten, weil der Boden der Länder, in denen ſie ſo herrlich ge-<lb/>blüht hatten, in landwirtſchaftlicher Beziehung erſchöpft und <lb/>nicht mehr genügend ertragsfähig war. </s> <s xml:id="echoid-s6949" xml:space="preserve">Aber nicht für alle <lb/>Länder kann dieſer Umſtand die Urſache des Kulturverfalls <pb o="152" file="570" n="570"/> ſein. </s> <s xml:id="echoid-s6950" xml:space="preserve">Ägypten zum Beiſpiel, das ſeine hohe Fruchtbarkeit den <lb/>alljährlichen, großen Überſchwemmungen des Nils und den da-<lb/>durch bedingten Ablagerungen von Schlamm-Dünger verdankt, <lb/>genießt heut noch dieſe Segnungen ebenſo, wie vor 3000 Jahren, <lb/>als es die erſte Kultur der Welt beſaß. </s> <s xml:id="echoid-s6951" xml:space="preserve">Es dürfte alſo wohl <lb/>noch mindeſtens ein anderer Faktor mitgewirkt haben, welcher <lb/>den ſchnellen Verfall der antiken Kultur bedingte und be-<lb/>ſchleunigte.</s> <s xml:id="echoid-s6952" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6953" xml:space="preserve">Auf dem Naturforſchertag in Lübeck im September 1896 <lb/>hielt der Darmſtädter Geologe <emph style="sp">Richard Lepſius</emph> einen aus-<lb/>gezeichneten Vortrag, worin er die für die hiſtoriſche Wiſſenſchaft <lb/>ſcheinbar völlig gleichgültige Thatſache der Klimaſchwankungen <lb/>als einen Faktor hinſtellte, von dem das Wohl und Wehe der <lb/>Staaten und die Geſchicke der Völker in nachdrücklichſter Weiſe <lb/>beeinflußt werden. </s> <s xml:id="echoid-s6954" xml:space="preserve">Die Wahrſcheinlichkeit iſt nämlich eine hohe, <lb/>daß ſich in den letzten 2—3000 Jahren eine ungünſtige Änderung <lb/>im Klima der Mittelmeerländer vollzogen hat, daß es heutzutage <lb/>dort beträchtlich wärmer und trockener iſt, als zur Zeit des <lb/>klaſſiſchen Altertums. </s> <s xml:id="echoid-s6955" xml:space="preserve">Schon aus den Schriften der alten <lb/>Geſchichtsſchreiber glaubt man folgern zu können, daß Schnee <lb/>und Eis damals häuſiger waren als jetzt, und daß in den <lb/>Sommermonaten die Hitze und Dürre nicht ſo groß und un-<lb/>erträglich waren wie heute. </s> <s xml:id="echoid-s6956" xml:space="preserve">Zumal in Griechenland muß ſich <lb/>das Klima recht weſentlich geändert haben; </s> <s xml:id="echoid-s6957" xml:space="preserve">allerdings haben <lb/>hier außer den allgemeinen Urſachen auch künſtliche Eingriffe <lb/>durch Menſchenhand unabſichtlich mitgewirkt: </s> <s xml:id="echoid-s6958" xml:space="preserve">der früher ziem-<lb/>lich große und umfangreiche Waldbeſtand Griechenlands iſt im <lb/>Laufe der Zeit faſt völlig vernichtet und niedergehauen worden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6959" xml:space="preserve">Nachdem wir nun in neuerer Zeit erkannt haben, in wie außer-<lb/>ordentlicher Weiſe größere Waldkomplexe auf den Lauf von <lb/>Wind und Wetter und in allererſter Linie auf die Herbei-<lb/>führung von Niederſchlägen Einfluß haben, da wundern wir <lb/>uns nicht mehr, daß heut z. </s> <s xml:id="echoid-s6960" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s6961" xml:space="preserve">in Athen den ganzen Sommer <pb o="153" file="571" n="571"/> hindurch kein Tropfen Regen fällt, während man im Altertum <lb/>kaum je über allzugroße Dürre zu klagen hatte. </s> <s xml:id="echoid-s6962" xml:space="preserve">Einſt konnte ſich <lb/>Sokrates mit ſeinem Freunde Phädrus auf einem ſommerlichen <lb/>Spaziergang vor den Mauern Athens am Ufer des Fluſſes <lb/>Iliſſos im Schatten einer hohen Platane lagern — hent führt <lb/>das ſteinige Bett dieſes Fluſſes kaum ab und zu einen Tropfen <lb/>Waſſer, und ganz Attika iſt eine öde Felslandſchaft geworden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s6963" xml:space="preserve">Einſt fanden zu Olympia im heißeſten Monat des Jahres, im <lb/>Juli, jene berühmten Spiele ſtatt, wo viele Tauſende von Zu-<lb/>ſchauern und Wettkämpfern tagelang unter freiem Himmel <lb/>weilten — heut iſt es ganz unmöglich, in Olympia längere Zeit <lb/>mittags im Freien zu weilen und der verſengenden Iuliglut <lb/>zu trotzen, und <emph style="sp">Lepſius</emph> maß daſelbſt perſönlich über 40° im <lb/>Schatten und 50—60° in der Sonne.</s> <s xml:id="echoid-s6964" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6965" xml:space="preserve">Aber auch an vielen anderen Stellen können wir nach-<lb/>weiſen, daß eine Verſchlechterung des Klimas der Mittelmeer-<lb/>länder eingetreten iſt — teils mit, teils ohne menſchliches Ver-<lb/>ſchulden. </s> <s xml:id="echoid-s6966" xml:space="preserve">Lepſius ſagt darüber in ſeinem genannten Vortrag:</s> <s xml:id="echoid-s6967" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6968" xml:space="preserve">“Wenn man eine genaue Karte der lybiſchen Wüſte und <lb/>der Sahara betrachtet, ſo ſieht man dieſe jetzt völlig regenloſen <lb/>Gebiete durchzogen von ebenſo zahlreichen, wie tiefeingeſchnittenen <lb/>und verzweigten Flußthälern; </s> <s xml:id="echoid-s6969" xml:space="preserve">niemals fließt jetzt ein Tropfen <lb/>Waſſer durch dieſe gänzlich ausgetrockneten Wadis, welche <lb/>häufig von den Karawanen als leitende Wege durch die Wüſte <lb/>benutzt werden. </s> <s xml:id="echoid-s6970" xml:space="preserve">Dieſe großen Flußthäler der Wüſten von <lb/>Arabien, Syrien und Nord-Afrika können nur zu einer Zeit <lb/>entſtanden ſein, wo es noch in dieſen Landſtrecken regnete, und <lb/>das kann wiederum aus geologiſchen Gründen nur die dilu-<lb/>viale Zeit geweſen ſein, als Europa zum großen Teil von <lb/>Schnee und Eis bedeckt war; </s> <s xml:id="echoid-s6971" xml:space="preserve">alſo, prähiſtoriſch geſprochen, <lb/>während der älteren Steinzeit, als der Menſch zuerſt in Europa <lb/>erſchienen war. </s> <s xml:id="echoid-s6972" xml:space="preserve">— Die Halbinſel Sinai iſt jetzt ein ſo ödes <lb/>Felſengebirge, daß auf ihrer 450 Quadrat-Meilen weiten Fläche <pb o="154" file="572" n="572"/> nur etwa 4000 Beduinen wohnen und dabei oft genug unter-<lb/>einander in Hader liegen wegen der wenigen Weideplätze und <lb/>der ſpärlichen Waſſerquellen. </s> <s xml:id="echoid-s6973" xml:space="preserve">In einem Lande nun, das jetzt <lb/>eine Wüſte iſt, ſoll ſich ehemals das ganze Volk Israel jahre-<lb/>lang aufgehalten haben? </s> <s xml:id="echoid-s6974" xml:space="preserve">In wenigen Tagen hätte ein ſo zahl-<lb/>reiches Volk das Waſſer der ganzen heutigen Sinaihalbinſel <lb/>ausgeſchöpft, alle Vegetation mit ihren Heerden abgeweidet und <lb/>damit jedes weitere Lebensmittel aufgezehrt, ſelbſt wenn gar <lb/>keine heimiſche Bevölkerung vorhanden geweſen wäre. </s> <s xml:id="echoid-s6975" xml:space="preserve">Der <lb/>Sinai muß damals in allen ſeinen Thälern eine fruchtbare <lb/>Alpenlandſchaft geweſen ſein, die Berge mit Alpmatten bedeckt <lb/>— darauf weiſt die einſtige kräftige Thaleroſion hin, und es <lb/>beweiſen die Spuren der Eiszeit in dem ganzen Sinai-Gebirge.</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6976" xml:space="preserve">“Ebenſo beweiſen die großen Ruinenſtätten, die noch heute <lb/>von einſtiger Pracht zeugen, die Felſenſtadt Petra in dem jetzt <lb/>völlig wüſten peträiſchen Arabien und Palmyra, mitten in der <lb/>ſyriſchen Wüſte gelegen, den Wechſel des Klimas in hiſtoriſchen <lb/>Zeiten. </s> <s xml:id="echoid-s6977" xml:space="preserve">Die Umgebung des Toten Meeres, jetzt eine Wüſte, <lb/>war noch während der Poſtglacialzeit <anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> ein fruchtbares Ufer- land, auf welchem ſich die älteſte bis jetzt bekannte menſchliche <lb/>Kultur im Iordan-Gebiete mit den durch ein Erdbeben zer-<lb/>ſtörten Städten Sodom und Gomorrha ausbreiteten.</s> </p> </div> <div xml:id="echoid-div269" type="section" level="1" n="181"> <head xml:id="echoid-head203" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVI. Klima und Kultur.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s6978" xml:space="preserve">Und dieſe Klima-Schwankungen ſollen wirklich die Urſache <lb/>von dem Untergang der alten Völker und der alten Kulturen <lb/>ſein können? </s> <s xml:id="echoid-s6979" xml:space="preserve">Iſt nicht doch die Annahme einfacher und zu-<lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-572-01a" xlink:href="note-572-01"/> <pb o="155" file="573" n="573"/> treffender, daß die alten Völker “entarteten” und ſelbſt die <lb/>Schuld am Untergang ihrer Kultur trugen? </s> <s xml:id="echoid-s6980" xml:space="preserve">Hören wir, was <lb/>Lepſius dazu meint:</s> <s xml:id="echoid-s6981" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div269" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-572-01" xlink:href="note-572-01a" xml:space="preserve">Nach-Eiszeit.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s6982" xml:space="preserve">“Wenn ein Volk wie die Ägypter wirklich durch eigene <lb/>Schuld in ſich ſelbſt untergegangen wäre, warum ſind nicht <lb/>andere kräftigere Völker eingewandert, um die erſchlafften <lb/>Ägypter zu verdrängen und das fruchtbarſte Land des Mittel-<lb/>meeres zu beſetzen? </s> <s xml:id="echoid-s6983" xml:space="preserve">Warum ſind germaniſche Völkerſchaften, <lb/>als ſie während der Völkerwanderung im 5. </s> <s xml:id="echoid-s6984" xml:space="preserve">Jahrhundert nach <lb/>Chriſti Geburt bis in die ſüdlichen Spitzen von Europa, bis <lb/>in den Peloponnes, bis nach Süd-Italien, bis nach Spanien <lb/>und hinüber nach Nord-Afrika gelaugt waren, in dieſen ſüd-<lb/>lichen Ländern alsbald wieder untergegangen, ſtatt neue, lebens-<lb/>kräftige Reiche zu gründen?</s> </p> <p><s xml:id="echoid-s6985" xml:space="preserve">Ja, gerade dieſer letztere Punkt, der Umſtand, daß alle <lb/>die vielen Stämme des kraftſtrotzenden Germanenvolkes, welche <lb/>von den Stürmen der Völkerwanderungen in die Mittelmeer-<lb/>länder verſchlagen wurden, zu grunde gegangen ſind, verdient <lb/>höchſte Beachtung. </s> <s xml:id="echoid-s6986" xml:space="preserve">Sentimentale Gemüter werden ſagen, ſie <lb/>gingen eben unter, weil ſie den Boden der Heimat verlaſſen <lb/>hätten, und weil eine ſolche radikale Trennung kein Volk über-<lb/>dauern könne. </s> <s xml:id="echoid-s6987" xml:space="preserve">Aber das iſt grundfalſch, und die Geſchichte <lb/>weiß es beſſer: </s> <s xml:id="echoid-s6988" xml:space="preserve">die germaniſchen Sachſenſtämme, welche ſich in <lb/>Siebenbürgen und in Großbritannien niederließen, ſind wahr-<lb/>lich weit genug dem Boden der Heimat entführt worden, doch <lb/>haben ſie kraftvoll bis zum heutigen Tage die Jahrhunderte <lb/>überdauert, und kein Menſch kann behaupten, ſie ſeien der Ent-<lb/>artung oder — um einen moderneren Ausdruck zu gebrauchen <lb/>— der Décadence verfallen. </s> <s xml:id="echoid-s6989" xml:space="preserve">Waren etwa die Cimbern und <lb/>Teutonen, die Goten und Vandalen, und wie ſie alle geheißen <lb/>haben, die den ſüdlichen Klimaten zugetrieben wurden, weniger <lb/>“kraftvoll” als jene Sachſenſtämme? </s> <s xml:id="echoid-s6990" xml:space="preserve">Und doch — welch ganz <lb/>anderes Bild bietet uns ihre Entwickelung: </s> <s xml:id="echoid-s6991" xml:space="preserve">nur wenige Jahr- <pb o="156" file="574" n="574"/> hunderte genügten, um dieſe Volksſtämme völlig zu vernichten! <lb/>Wie die Motten, welche dem wärmenden Lichte zueilen, alsbald <lb/>mit verbrannten Flügeln niederfallen und ſterben, ſo ſehen wir <lb/>die Germanenſtämme, welche jenen warmen Ländern zuſtrömten, <lb/>einen nach dem andern rettungslos zu grunde gehen.</s> <s xml:id="echoid-s6992" xml:space="preserve"><anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/> Es iſt, als ob ein Gifthauch den ſonnigen Schönheiten des Südens <lb/>entſtrömte, welcher alles Lebende dem Siechtum oder dem Unter-<lb/>gange weihte.</s> <s xml:id="echoid-s6993" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s6994" xml:space="preserve">Alle dieſe Thatſachen in ihrer Geſamtheit bieten ein zu <lb/>merkwürdiges Bild der Übereinſtimmung dar, als daß man ſich <lb/>den Folgerungen verſchließen dürfte, welche ſich notwendiger-<lb/>weiſe daraus ergeben. </s> <s xml:id="echoid-s6995" xml:space="preserve">Es kann eben nur eine Verſchlechterung <lb/>des Klimas geweſen ſein in Verbindung mit dem oben ge-<lb/>nannten. </s> <s xml:id="echoid-s6996" xml:space="preserve">Niedergang der Landwirtſchaft, welche die ſchönen, <lb/>alten Kulturen der Mittelmeerländer der Vernichtung preis-<lb/>gegeben hat. </s> <s xml:id="echoid-s6997" xml:space="preserve">Das Klima Europas und der Nachbarländer <lb/>iſt in den letzten 3000 Jahren weſentlich wärmer geworden . </s> <s xml:id="echoid-s6998" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s6999" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7000" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s7001" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div271" type="section" level="1" n="182"> <head xml:id="echoid-head204" xml:space="preserve"><emph style="bf">XVII. Bin Blick in die Zukunft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7002" xml:space="preserve">Aber wie? </s> <s xml:id="echoid-s7003" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7004" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7005" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7006" xml:space="preserve">Wenn das Klima Europas wirklich, zwar <lb/>langſam und unmerklich, aber doch ſtetig, wärmer wird, dann <lb/>ſteht am Ende auch den centralen Gebieten unſeres Erdteils, <lb/>unſerer Heimat, ein gleiches Schickſal bevor, wie den Ländern <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-574-01a" xlink:href="note-574-01"/> <pb o="157" file="575" n="575"/> am Mittelländiſchen Meer? </s> <s xml:id="echoid-s7007" xml:space="preserve">— — Jetzt erſchreckt Dich dieſer <lb/>Gedanke plötzlich, lieber Leſer? </s> <s xml:id="echoid-s7008" xml:space="preserve">Und vorhin noch ſehnteſt Du <lb/>Dich nach den ewig warmen Gefilden jener ſüdlichen Länder! <lb/>Sollte am Ende unſer jetziges Klima doch beſſer und be-<lb/>gehrenswerter ſein, als Du ſelber glauben und zugeben <lb/>wollteſt?</s> <s xml:id="echoid-s7009" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div271" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-574-01" xlink:href="note-574-01a" xml:space="preserve">Wenn die Langobarden, die ſich in der Lombardei niederließen, <lb/>eine Ausnahme zu bilden ſcheinen, ſo liegt dies eben gerade daran, daß <lb/>das Klima der Lombardei ſchon weit kühler und rauher iſt, als das der <lb/>anderen Mittelmeerländer.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s7010" xml:space="preserve">Ja, wie ſieht es mit der Zukunft unſeres mittel-<lb/>europäiſchen Klimas aus? </s> <s xml:id="echoid-s7011" xml:space="preserve">Nun, die Ausſichten ſind nicht <lb/>ſchlecht: </s> <s xml:id="echoid-s7012" xml:space="preserve">das ſchwere Schickſal der meiſten Mittelmeerländer wird <lb/>uns ſicherlich erſpart bleiben! Es ſcheint nämlich, als ob die <lb/>fortdauernde Erwärmung in unſerm europäiſchen Klima bereits <lb/>ihren Höhepunkt überſchritten hat, ſo daß wir für die nächſten <lb/>Jahrtauſende eher auf ein allmähliches Sinken der Jahres-<lb/>temperaturen als auf ein Steigen rechnen können. </s> <s xml:id="echoid-s7013" xml:space="preserve">Etwa in <lb/>der Zeit vom Jahre 1000 bis 1250 ſcheint es in Europa am <lb/>wärmſten geweſen zu ſein. </s> <s xml:id="echoid-s7014" xml:space="preserve"><emph style="sp">Lepſius</emph> zählt hierfür folgende, ſchon <lb/>früher des öfteren beigebrachte Beweiſe auf: </s> <s xml:id="echoid-s7015" xml:space="preserve">“Damals hatte ſich <lb/>die Rebenkultur bis nach dem Norden Deutſchlands verbreitet: </s> <s xml:id="echoid-s7016" xml:space="preserve">die <lb/>Ritter der Marienburg bepflanzten die Hügel am Weichſelufer mit <lb/>Reben und kelterten wie die Kloſterbrüder im ganzen nördlichen <lb/>Europa bis nach Iütland und England ihren eigenen Wein. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7017" xml:space="preserve">Wenn man hierfür die Schuld dem damaligen rauheren Geſchmack <lb/>des menſchlichen Gaumens beimeſſen will, ſo ſtellt man die <lb/>Diagnoſe auf der falſchen Seite: </s> <s xml:id="echoid-s7018" xml:space="preserve">es giebt zwar Menſchen, die <lb/>einen ſauren Wein trinken mögen, aber es giebt keine Reben, <lb/>die ein kaltes Klima vertragen. </s> <s xml:id="echoid-s7019" xml:space="preserve">Falls man heute einen Wein-<lb/>berg in Oſtpreußen anlegen wollte, ſo würden die Reben im <lb/>erſten Winter vollſtändig erfroren ſein. </s> <s xml:id="echoid-s7020" xml:space="preserve">Es waren auch noch <lb/>vor 800 Jahren viele Alpenpäſſe gangbar, welche jetzt tief <lb/>unter dem Firneis begraben liegen; </s> <s xml:id="echoid-s7021" xml:space="preserve">ſo bildete damals der <lb/>3333 Meter hohe Theodulpaß am Matterhorn bei Zermatt <lb/>einen eisfreien Übergang aus dem Wallis nach Süden in <lb/>das Aoſtathal hinüber. </s> <s xml:id="echoid-s7022" xml:space="preserve">Daher begegnen wir in den Alpen <pb o="158" file="576" n="576"/> nicht ſelten Namen, wie “die übergoſſene Alm”, und hören <lb/>häufig von Sagen, die uns erzählen, daß reiche Alpmatten zur <lb/>Strafe übermütiger Sennen von Gletſchern überflutet wurden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7023" xml:space="preserve">Enthält doch die Sage ſtets einen realen Kern, nur das Märchen <lb/>entſpringt der reinen Phantaſie des Menſchen.</s> <s xml:id="echoid-s7024" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7025" xml:space="preserve">Ferner iſt ja auch bekannt, daß Grönland ſeinen Namen <lb/>erhalten hat, weil es bei ſeiner Entdeckung durch die Normannen <lb/>im zehnten Jahrhundert einen friſchen, grünen Küſtenſaum auf-<lb/>wies, während heutzutage davon nichts mehr zu ſpüren, viel-<lb/>mehr faſt die ganze Küſte von ungeheuren Gletſchern über-<lb/>deckt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7026" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7027" xml:space="preserve">Alle dieſe Thatſachen beweiſen zwar nicht unbedingt, daß ſeit <lb/>700 oder 800 Jahren das Klima der nördlichen Halbkugel wieder <lb/>kühler wird, und es giebt auch zahlreiche Forſcher, welche darin <lb/>durchaus keinen Beweis für eine ſolche Behauptung erblicken, aber <lb/>eine gewiſſe, und zwar nicht geringe Wahrſcheinlichkeit beſteht doch <lb/>entſchieden, daß die Vermutung richtig iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7028" xml:space="preserve">In dieſem Falle <lb/>würde unſer Klima künftig alſo nicht wärmer, ſondern ſogar <lb/>nach und nach etwas kälter werden; </s> <s xml:id="echoid-s7029" xml:space="preserve">ja manche neigen ſogar <lb/>zu der Anſicht, wir gingen wieder einer neuen “Eiszeit” ent-<lb/>gegen, die etwa um das Jahr 6400 erwartet werden könnte.</s> <s xml:id="echoid-s7030" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7031" xml:space="preserve">Aber es iſt zwecklos, ſich den Kopf zu zerbrechen, wie <lb/>unſer Klima in ſo und ſo viel tauſend Jahren beſchaffen ſein <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s7032" xml:space="preserve">Was geht’s uns an — vom praktiſchen Standpunkt? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7033" xml:space="preserve">Mögen doch unſere Nachkommen ſelber ſehen, wie ſie fertig <lb/>werden; </s> <s xml:id="echoid-s7034" xml:space="preserve">vorausſichtlich werden ſie ja doch auf einer ſo unend-<lb/>lich hohen Kulturſtufe ſtehen, daß ſie ſich gegen <emph style="sp">jedes</emph> beliebige <lb/>Klima und gegen alle Unannehmlichkeiten jeder Witterung mit <lb/>Leichtigkeit werden ſchützen können. </s> <s xml:id="echoid-s7035" xml:space="preserve">Alſo ſorgen wir nicht für <lb/>den anderen Tag, denn der morgige Tag wird für das Seine <lb/>@orgen.</s> <s xml:id="echoid-s7036" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7037" xml:space="preserve">Wichtig iſt nur die eine Thatſache, daß wir gegen eine <lb/>fernere, ungebührliche Erwärmung unſeres Klimas vollauf ge- <pb o="159" file="577" n="577"/> ſchützt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7038" xml:space="preserve">Und das Eine können wir mit Beſtimmtheit be-<lb/>haupten, daß eine fortdauernde Erwärmung unſres Klimas unter <lb/>den heutigen Umſtänden viel ſchlimmer und bedrohlicher wäre, als <lb/>eine allmähliche Erkaltung. </s> <s xml:id="echoid-s7039" xml:space="preserve">Kälte und Eis ſind — ſolange ſie <lb/>nicht gar zu intenſiv auftreten — keine Feinde von Kultur und <lb/>Leben, ſie erhalten Körper und Geiſt friſch und geſchmeidig, ſie <lb/>machen den Menſchen geſund und ſtark; </s> <s xml:id="echoid-s7040" xml:space="preserve">die übergroße Hitze da-<lb/>gegen lähmt und erſchlafft jegliche Kraft, macht träge und ſtumpf <lb/>und iſt der gefährlichſte Feind jeder Kulturentwickelung. </s> <s xml:id="echoid-s7041" xml:space="preserve">— “Als <lb/>die Cimbern und Teutonen zum erſtenmale im Jahre 113 vor <lb/>Chriſti Geburt an der Nordgrenze von Italien erſchienen, ſahen <lb/>die erſtaunten römiſchen Soldaten, wie die abgehärteten Deut-<lb/>ſchen voller Luſt ihre nackten Leiber im Schnee der Alpen <lb/>wälzten — ein bedeutſames Zeichen dafür, daß der Schnee <lb/>und das Eis des Nordens die glühende Sonne des Südens <lb/>beſiegen würden” (Lepſius).</s> <s xml:id="echoid-s7042" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7043" xml:space="preserve">Darum wollen wir nicht neidiſch hinblicken auf den “ſonni-<lb/>gen Süden” mit ſeinem milden Klima. </s> <s xml:id="echoid-s7044" xml:space="preserve">Denn ſo bezaubernd <lb/>dieſe Länder für den ſind, der ihre Reize nur vorübergehend <lb/>genießt, ſo verderblich und unheilbringend iſt ihre Schönheit <lb/>für alle, die dauernd mit ihr in Berührung bleiben. </s> <s xml:id="echoid-s7045" xml:space="preserve">Sie iſt wie <lb/>die Sphinx der altgriechiſchen Sage: </s> <s xml:id="echoid-s7046" xml:space="preserve">ſie lockt mit ſchmeichelnder <lb/>Unwiderſtehlichkeit an ſich; </s> <s xml:id="echoid-s7047" xml:space="preserve">wer aber, von Sehnſucht ergriffen, <lb/>den Lockungen folgt, dem ſaugt die Zauberin alle Lebenskraft <lb/>aus, und er geht zu Grunde in ihrer Umarmung. </s> <s xml:id="echoid-s7048" xml:space="preserve">— Seien <lb/>wir zufrieden mit unſerm kälteren, trüberen und feuchteren <lb/>Klima, denn wir können mit vollſtem Rechte ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s7049" xml:space="preserve">kaum <lb/>irgendwo auf Erden iſt das Klima ſo günſtig und vorteil-<lb/>haft für die Entwickelung der Kultur, wie in Mittel-Europa. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7050" xml:space="preserve">Deſſen wollen wir eingedenk ſein, wenn uns wieder einmal <lb/>der Unmut packt über eine etwas zu lange währende Regen-<lb/>periode in der ſommerlichen Reiſezeit, oder wenn wir ein-<lb/>mal ein wenig zu leiden haben unter den Unbilden des <pb o="160" file="578" n="578"/> Winters. </s> <s xml:id="echoid-s7051" xml:space="preserve">Mögen dieſe klimatiſchen Eigentümlichkeiten auch <lb/>für den Moment unangenehm empfunden werden — ohne ſie <lb/>wäre es ſchlimm um uns beſtellt! “Darum,” ſo ſchließen wir <lb/>mit <emph style="sp">Lepſius</emph> “wollen wir uns unſeres regenreichen, gemäßig-<lb/>ten Sommers und unſeres kalten Winters erfreuen; </s> <s xml:id="echoid-s7052" xml:space="preserve">denn wir <lb/>ſtammen aus der Eiszeit, und Schnee und Eis, das ſind die <lb/>Elemente, aus welchen wir wie aus einem unerſchöpflichen <lb/>Borne jedes Jahr unſere körperlichen und geiſtigen Kräfte er-<lb/>neuern.</s> <s xml:id="echoid-s7053" xml:space="preserve">”</s> </p> <pb file="579" n="579"/> </div> <div xml:id="echoid-div273" type="section" level="1" n="183"> <head xml:id="echoid-head205" xml:space="preserve"><emph style="bf">Naturwiſſenſchaftliche Volksbücher</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">A. Bernſtein.</emph></head> <head xml:id="echoid-head206" xml:space="preserve"><emph style="sp">Fünfte, reich illuſtrierte Auflage</emph>.</head> <head xml:id="echoid-head207" xml:space="preserve">Durchgeſehen und verbeſſert <lb/>von <lb/><emph style="bf">H. Potonié</emph> und <emph style="bf">R. Hennig.</emph></head> <head xml:id="echoid-head208" xml:space="preserve"><emph style="sp">Einundzwanzigſter Teil</emph>.</head> <figure> <image file="579-01" xlink:href="http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/zogilib?fn=/permanent/library/xxxxxxxx/figures/579-01"/> </figure> </div> <div xml:id="echoid-div274" type="section" level="1" n="184"> <head xml:id="echoid-head209" xml:space="preserve"><emph style="bf">Berlin.</emph></head> <head xml:id="echoid-head210" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.</emph></head> <pb file="580" n="580"/> </div> <div xml:id="echoid-div275" type="section" level="1" n="185"> <head xml:id="echoid-head211" xml:space="preserve">Das Recht der Überſetzung in fremde Sprachen iſt vorbehalten.</head> <pb file="581" n="581"/> </div> <div xml:id="echoid-div276" type="section" level="1" n="186"> <head xml:id="echoid-head212" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhaltsverzeichnis.</emph></head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/># # Seite <lb/>## <emph style="bf">Die Naturwiſſenſchaft im Erwerbsleben.</emph> <lb/># I. Der Siegeslauf der Naturwiſſenſchaft . . . . . . . # 1 <lb/># II. Die ſteigende Benutzung der Naturkräfte . . . . . . # 5 <lb/># III. Die Zuckerfabrikation . . . . . . . . . . . . # 9 <lb/># IV. Die Verwertung wertloſer Stoffe . . . . . . . . # 12 <lb/># V. Magneſium und Strontium . . . . . . . . . . # 16 <lb/>## <emph style="bf">Die Wiſſenſchaft.</emph> <lb/># I. Unſer Wiſſen und unſere Wiſſenſchaft . . . . . . . # 20 <lb/># II. Wie viel wiſſen wir? . . . . . . . . . . . . # 41 <lb/># III. Über die Grenze unſerer Erkenntnis . . . . . . . . # 46 <lb/>## <emph style="bf">Nachwort</emph> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . # 55 <lb/>## <emph style="bf">Inhalts-Verzeichnis des Geſamtwerks</emph> . . . . . . . . . # 56 <lb/>## <emph style="bf">Perſonen-Regiſter</emph> . . . . . . . . . . . . . . . . # 71 <lb/>## <emph style="bf">Sach-Regiſter</emph> . . . . . . . . . . . . . . . . . . # 75 <lb/></note> <pb file="582" n="582"/> <pb o="1" file="583" n="583"/> </div> <div xml:id="echoid-div277" type="section" level="1" n="187"> <head xml:id="echoid-head213" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Naturwiſſenſchaft im Erwerbsleben.</emph></head> <head xml:id="echoid-head214" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Der Siegeslauf der Naturwiſſenſchaft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7054" xml:space="preserve">Die Naturwiſſenſchaft im Dienſte der Menſchheit hat das <lb/>Leben der gebildeten Völker ſo mächtig umgeſtaltet, daß man <lb/>es tief bedauern muß, wenn Geſchichtsſchreiber meiſt nur die <lb/>politiſchen Kämpfe und Siege als das Material ihrer Dar-<lb/>ſtellungen betrachten und die gewaltigen Fortſchritte unbeachtet <lb/>laſſen, die ſich im Leben der Völker weit über alle politiſchen <lb/>Streitfragen hinaus geltend machen.</s> <s xml:id="echoid-s7055" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7056" xml:space="preserve">Es waltet freilich auch in gewöhnlichen Volkskreiſen viel-<lb/>fach der Irrtum ob, daß die Kunſt der Menſchenbeherrſchung <lb/>und der Staatenleitung noch immer von ſo weſentlichem Ein-<lb/>fluß auf die Geſchichte eines Volkes iſt, wie ehedem. </s> <s xml:id="echoid-s7057" xml:space="preserve">Man <lb/>fordert und erwartet noch immer von guten Regierungen, daß <lb/>ſie das geiſtige und materielle Wohl des Volkes fördern mögen <lb/>durch ſtaatliche Schulen und induſtrielle Ordnungen. </s> <s xml:id="echoid-s7058" xml:space="preserve">Man <lb/>ſtreitet noch immer über die beſte Gewerbe-Geſetzgebung und <lb/>vermeint, durch ſie die Regelung des wirtſchaftlichen Lebens <lb/>beherrſchen zu können. </s> <s xml:id="echoid-s7059" xml:space="preserve">Aber in Wahrheit iſt die Zeit, in <lb/>welcher dergleichen möglich war, längſt vorüber. </s> <s xml:id="echoid-s7060" xml:space="preserve">Das gegen-<lb/>wärtige Jahrhundert, in welchem die Naturwiſſenſchaft in den <lb/>Dienſt der gebildeten Völker eingetreten iſt, hat den Wahn <lb/>gründlich zerſtört. </s> <s xml:id="echoid-s7061" xml:space="preserve">Fürſten und Miniſter, Regierungen und <lb/>Poliziſten haben längſt aufgehört, Zuſtände zu ſchaffen, welche <lb/>auch nur eine Spur von Bedeutung haben gegenüber den</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7062" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s7063" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s7064" xml:space="preserve">Volksbücher XXI.</s> <s xml:id="echoid-s7065" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="2" file="584" n="584"/> <p> <s xml:id="echoid-s7066" xml:space="preserve">mächtigen Umwälzungen, die in dem Völkerleben und Völker-<lb/>weſen eingetreten ſind, ſeitdem die Naturkräfte von gebildeten <lb/>Völkern in richtigem Sinne ausgebeutet werden. </s> <s xml:id="echoid-s7067" xml:space="preserve">Die Natur-<lb/>beherrſchung iſt durch die Wiſſenſchaft ſo gewichtvoll geworden, <lb/>daß die ehemals ſo hochgeprieſene Menſchen-Beherrſchung faſt <lb/>zur Bedeutungsloſigkeit herabgeſunken iſt, um die ſich’s kaum <lb/>mehr lohnen würde zu ſtreiten. </s> <s xml:id="echoid-s7068" xml:space="preserve">Der Streit, den man Politik <lb/>nennt, hat nur noch inſofern Bedeutung, als es gilt den <lb/>Hemmungen entgegen zu wirken, welche die Künſtler der <lb/>Menſchenbeherrſchung dem Fortſchritt der freien Civiliſation <lb/>in den Weg legen. </s> <s xml:id="echoid-s7069" xml:space="preserve">Dieſe Hemmungen gipfeln daher auch in <lb/>dem Beſtreben, alles Schaffen der Civiliſation zu verſtaatlichen.</s> <s xml:id="echoid-s7070" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7071" xml:space="preserve">Welch ein Recht haben Staatsleiter in civiliſierten Ländern <lb/>auf ſolche Autorität?</s> <s xml:id="echoid-s7072" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7073" xml:space="preserve">Es gab freilich eine Zeit, in welcher hochbegabte Fürſten <lb/>durch direkte Einwirkung auf das Volk ganze Zweige der In-<lb/>duſtrie und der Kunſtgewerbe, wichtige Handels-Anlagen und <lb/>Verkehrs-Mittel in ihren Staaten gangbar machten. </s> <s xml:id="echoid-s7074" xml:space="preserve">Wir haben <lb/>in preußiſchen Staaten wichtige Ereigniſſe dieſer Art lobend <lb/>vorzuführen. </s> <s xml:id="echoid-s7075" xml:space="preserve">Die Porzellan-Manufactur, die Tuch-Fabrikation, <lb/>die Eiſengießerei, die Leinen-Fabrikation, die Seehandlung und <lb/>der Chauſſee-Bau ſind für ihre Zeit rühmenswerte Schöpfungen <lb/>preußiſcher Regenten geweſen. </s> <s xml:id="echoid-s7076" xml:space="preserve">Aber zwei Bedingungen waren <lb/>es, welche in früheren Zeiten hierin obgewaltet haben. </s> <s xml:id="echoid-s7077" xml:space="preserve">Die <lb/>erſte Bedingung beſtand in dem höchſt beſchränkten, engherzigen <lb/>Zunftweſen, das keinen ſelbſtändigen Aufſchwung des Erwerbs-<lb/>lebens ermöglichte. </s> <s xml:id="echoid-s7078" xml:space="preserve">Dies machte den Eingriff der Regierung <lb/>zu einer verdienſtlichen Notwendigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s7079" xml:space="preserve">Dazu trat die zweite <lb/>Bedingung: </s> <s xml:id="echoid-s7080" xml:space="preserve">die höhere Einſicht der Fürſten und Regierungen, <lb/>welche hierbei den Blick auf civiliſierte Staaten des Auslandes <lb/>gerichtet hatten. </s> <s xml:id="echoid-s7081" xml:space="preserve">Sie ſagten ſich, daß die Macht des Staates <lb/>auf dem wachſenden Wohlſtand des Volkes beruht und dieſer <lb/>wachſende Wohlſtand von der Entwickelung eines gehobenen <pb o="3" file="585" n="585"/> Erwerbslebens abhängt. </s> <s xml:id="echoid-s7082" xml:space="preserve">Veide Umſtände in einander wirkend <lb/>haben in der That glücklichen Erfolg gehabt.</s> <s xml:id="echoid-s7083" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7084" xml:space="preserve">Beide Umſtände, beide Grundbedingungen, welche ehedem <lb/>die Initiative des Staates zur Wohlthat machten, ſind jedoch <lb/>längſt geſchwunden. </s> <s xml:id="echoid-s7085" xml:space="preserve">Seit der Entwickelung der Naturwiſſen-<lb/>ſchaften hat die Kenntnis der Naturkraft und die Förderung <lb/>der Mechanik einen Aufſchwung genommen, an welchem die <lb/>Regierung nicht den allergeringſten Anteil hatte. </s> <s xml:id="echoid-s7086" xml:space="preserve">Die Dampf-<lb/>kraft iſt von keinem Fürſten und von keinem Miniſter erfunden <lb/>worden und hat doch die ſchaffende Welt umgeſtaltet. </s> <s xml:id="echoid-s7087" xml:space="preserve">Es <lb/>war das Wiſſen und die gehobene Einſicht des Volkes, <lb/>welche einen Auſſchwung von ungeahnter Tragweite ins Leben <lb/>gerufen hat, der weit über die Weisheit der ehemaligen amt-<lb/>lichen Förderer des Erwerbsweſens hinausging. </s> <s xml:id="echoid-s7088" xml:space="preserve">Ja, die Ge-<lb/>ſchichte dieſer Entwickelung zeigt uns ſogar, daß die Regierungen <lb/>ſich zu Anfang gegen die Einführung dieſer Naturkräfte nach <lb/>Möglichkeit ſtemmten und ſträubten. </s> <s xml:id="echoid-s7089" xml:space="preserve">Hätte nicht vor ſiebzig <lb/>Jahren die Notwendigkeit obgewaltet, die ganze Zunft-Weisheit <lb/>beiſeite zu werfen und die Entwickelung des Erwerbsweſens <lb/>dem freien Selbſtbetrieb des Einzelnen anheimzugeben, ſo wäre <lb/>höchſt wahrſcheinlich bei uns die Dampfkraft noch in der Kind-<lb/>heit ihrer Wirkſamkeit, wie ſie es noch gegenwärtig in Shina <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7090" xml:space="preserve">In dem dritten und vierten Jahrzehnt wuchs ſie bei <lb/>uns zu einer Macht heran, welche von der Regierung nur <lb/>mit Mißtrauen behandelt wurde. </s> <s xml:id="echoid-s7091" xml:space="preserve">Als der Plan zur Anlage <lb/>einer Eiſenbahn im Volke auftauchte, legte der Miniſter <emph style="sp">von</emph> <lb/><emph style="sp">Nagler</emph> entſchieden Proteſt ein gegen ein Unternehmen, welches <lb/>ſo frech ſei, gegen die ſo vorzügliche Schnellpoſt Sturm zu <lb/>laufen. </s> <s xml:id="echoid-s7092" xml:space="preserve">Erſt als im Jahre 1837 im Königreich Sachſen die <lb/>Leipzig-Dresdener Eiſenbahn fertig daſtand und ſelbſt preußiſche <lb/>Geheimräte es wagten, ihr koſtbares Leben dieſer Eiſenſchlange, <lb/>die das Land umſpannte, anzuvertrauen, konnte man in Preußen <lb/>dem Drang des Volkes nicht mehr widerſtehen und geſtattete, <pb o="4" file="586" n="586"/> eine Bahn von Berlin nach Potsdam anzulegen. </s> <s xml:id="echoid-s7093" xml:space="preserve">Als einige <lb/>Jahre ſpäter die Anhaltiſche Bahn gebaut werden ſollte, wehrte <lb/>ſich ein neuer Staatseinſpruch dagegen. </s> <s xml:id="echoid-s7094" xml:space="preserve">Der Kriegsminiſter <lb/>machte geltend, daß, wenn am Tempelhofer Berg bei Berlin ein <lb/>Durchſtich gemacht werden ſollte, ſo würden Kolonnen der <lb/>Kavallerie beim Manöver nicht ſo exakt wie bisher ausgeführt <lb/>werden können. </s> <s xml:id="echoid-s7095" xml:space="preserve">Es waren damals mächtigere Protektionen, um <lb/>den Plan auszuführen, nötig, als man ſie in jetziger Zeit be-<lb/>dürfte, um einen Tunnel durch den Chimboraſſo herzuſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s7096" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7097" xml:space="preserve">Es iſt nicht übertrieben, wenn wir ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s7098" xml:space="preserve">man braucht <lb/>bloß einen Blick auf das Leben der Gegenwart und der herr-<lb/>ſchenden Zuſtände zu werfen, um wahrzunehmen, wie über-<lb/>wältigend die Naturwiſſenſchaften in ihrer praktiſchen Wirkung <lb/>geworden und wie ſich darauf allgemeine Inſtitutionen ge-<lb/>gründet haben, welche nicht durch die Staatsweisheiten der <lb/>Menſchenbeherrſchung, ſondern durch die freie Unternehmungs-<lb/>luſt des Volksgeiſtes entſtanden ſind, und zwar in Ländern, in <lb/>welchen ſich das Erwerbsleben in voller Freiheit entwickelt hat.</s> <s xml:id="echoid-s7099" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7100" xml:space="preserve">Wer hat bei uns das Gaslicht eingeführt? </s> <s xml:id="echoid-s7101" xml:space="preserve">Nach welchen <lb/>Muſtern ſind unſere Dampfmaſchinen gebaut worden? </s> <s xml:id="echoid-s7102" xml:space="preserve">Wer <lb/>hat bei uns die Waſſerleitung angelegt? </s> <s xml:id="echoid-s7103" xml:space="preserve">Die Telegraphie iſt <lb/>eine rein deutſche Erfindung; </s> <s xml:id="echoid-s7104" xml:space="preserve">wer aber hat ſich derſelben be-<lb/>mächtigt und ſie im praktiſchen Leben verwertet? </s> <s xml:id="echoid-s7105" xml:space="preserve">Nach welchem <lb/>Vorbilde baut man jetzt allenthalben elektriſche Bahnen? </s> <s xml:id="echoid-s7106" xml:space="preserve">Wo <lb/>ſind Asphalt-Pflaſterungen zuerſt eingeführt worden? </s> <s xml:id="echoid-s7107" xml:space="preserve">Nach <lb/>welchen Modellen werden die Nähmaſchinen gebaut? </s> <s xml:id="echoid-s7108" xml:space="preserve">Welche <lb/>landwirtſchaftlichen Geräte ſind bei uns im Aufſchwung? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7109" xml:space="preserve">Wer hat uns gelehrt, Guß-Stahl bereiten? </s> <s xml:id="echoid-s7110" xml:space="preserve">Woher ſtammt die <lb/>Kunſt, unſer Eiſen vom Phosphor zu befreien? </s> <s xml:id="echoid-s7111" xml:space="preserve">Weſſen Ge-<lb/>werbsweſen in der Fabrikation iſt zur allgemeinſten Herrſchaft <lb/>emporgewachſen? </s> <s xml:id="echoid-s7112" xml:space="preserve">Wo ſtecken die Muſter unſeres Verkehrslebens?</s> <s xml:id="echoid-s7113" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7114" xml:space="preserve">Nicht in den Schöpfungen der eignen Regierungen be-<lb/>ſtehen dieſe das Volksleben durchdringenden Erfindungen und <pb o="5" file="587" n="587"/> Einrichtungen und die Verwendung der weltbeherrſchenden <lb/>Chemie und der Phyſik, ſondern in der freien Beteiligung des <lb/>Volkes an den Errungenſchaften ſolcher Völker und Staaten, <lb/>in welcher ſich das Volk ſelber der Kunſt, der Mechanik und <lb/>der Kraft der Natur bemächtigt hat. </s> <s xml:id="echoid-s7115" xml:space="preserve">Es ſind England und <lb/>Nordamerika unſere Lehrmeiſter und unſere Vorbilder, woſelbſt <lb/>das freie Erwerbsleben vollauf herrſcht!</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7116" xml:space="preserve">All das, was wir hier ausſprechen, fällt anſcheinend ge-<lb/>wichtvoll in die ſchwebende Frage unſeres Staatsweſens; </s> <s xml:id="echoid-s7117" xml:space="preserve">gleich-<lb/>wohl ſoll dieſe Betrachtung nur als Einleitung für ein Thema <lb/>dienen, das ſo recht mitten in das Bereich der Naturwiſſen-<lb/>ſchaften der neueſten Zeit gehört. </s> <s xml:id="echoid-s7118" xml:space="preserve">Wir wollen nunmehr unſeren <lb/>Leſern hierüber einen getreuen Bericht abſtatten.</s> <s xml:id="echoid-s7119" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div278" type="section" level="1" n="188"> <head xml:id="echoid-head215" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Die ſteigende Benutzung der Naturkräfte.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7120" xml:space="preserve">Das Thema, für welches wir die Aufmerkſamkeit unſerer <lb/>Leſer zu gewinnen ſuchen, liegt nicht auf dem politiſchen Ge-<lb/>biete; </s> <s xml:id="echoid-s7121" xml:space="preserve">aber es berührt den nationalen Wohlſtand und das <lb/>Intereſſe des Volkes ſo nahe, daß es bei ſeiner weiteren Ent-<lb/>wickelung einen lehrreichen Beitrag zu demſelben liefern wird. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7122" xml:space="preserve">Es handelt von der ſteigenden Benutzung der Naturkräfte <lb/>auf Grund wiſſenſchaftlicher Forſchungen, welche uns lehren, <lb/>wertloſe Materialien, die wir in Maſſe beſitzen, in nützliche <lb/>und wertvolle zu verwandeln.</s> <s xml:id="echoid-s7123" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7124" xml:space="preserve">Unſer deutſches Vaterland iſt von der Natur nicht mit <lb/>beſonderer Gunſt ausgeſtattet. </s> <s xml:id="echoid-s7125" xml:space="preserve">Das Klima verſagt uns Boden-<lb/>früchte, welche ſüdlichere Weltgegenden in reichem Maße ge-<lb/>nießen. </s> <s xml:id="echoid-s7126" xml:space="preserve">Auch die allernotwendigſten Lebensmittel gedeihen <lb/>nur hin und wieder in günſtigen Witterungsverhältniſſen bis <lb/>zur Befriedigung des vollen nationalen Bedürfniſſes. </s> <s xml:id="echoid-s7127" xml:space="preserve">Dazu <pb o="6" file="588" n="588"/> kommt noch der merkwürdige Umſtand, daß wir erſt jetzt be-<lb/>ginnen, das Wachstum der Bevölkerung durch Organiſation <lb/>von Kolonien und Auswanderungen zu mäßigen. </s> <s xml:id="echoid-s7128" xml:space="preserve">Wir leiden <lb/>an Übervölkerung. </s> <s xml:id="echoid-s7129" xml:space="preserve">Was auswandert, wird im allgemeinen <lb/>nur durch die Not dazu gedrängt. </s> <s xml:id="echoid-s7130" xml:space="preserve">Die Folge hiervon iſt, <lb/>daß wir bereits an Getreide-Mangel leiden und genötigt ſind, <lb/>von der Fremde her Nahrungsmittel einzuführen. </s> <s xml:id="echoid-s7131" xml:space="preserve">Ja, es <lb/>zeigt ſich bei uns der ſchwere Mißſtand, daß man einer-<lb/>ſeits die allernotwendigſten Lebensmittel durch Zollabgaben <lb/>verteuert und dabei noch obenein die Auswanderung zu be-<lb/>ſchränken ſucht, weil die Landwirtſchaft viele und wohlfeile <lb/>Menſchenkräfte zu gewinnen trachtet. </s> <s xml:id="echoid-s7132" xml:space="preserve">Es iſt dies ein Zuſtand, <lb/>der das Übel, woran wir leiden, anſtatt es zu mildern, nur <lb/>noch vergrößert.</s> <s xml:id="echoid-s7133" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7134" xml:space="preserve">Als Erſatz für all dieſe Mißſtände bleibt uns nur eins <lb/>übrig, und das iſt der Fleiß und Arbeitsſinn unſerer Bevöl-<lb/>kerung. </s> <s xml:id="echoid-s7135" xml:space="preserve">Wir brauchen zu viel vom Auslande und müſſen <lb/>dafür auch viel arbeiten, um es bezahlen zu können.</s> <s xml:id="echoid-s7136" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7137" xml:space="preserve">Fleiß und Arbeitsſinn ſind jedoch perſönliche Gaben, welche <lb/>noch etwas anderes zu richtiger Ausnutzung erfordern, und <lb/>das iſt die Wiſſenſchaft, welche man “Technologie” nennt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7138" xml:space="preserve">Sie beruht auf einer gründlichen Kenntnis der chemiſchen Ver-<lb/>hältniſſe aller Naturſtoffe und auf der Kunſt, ſie zu ſondern <lb/>und zu behandeln, daß ſie zu nützlichen Zwecken verwendbar <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s7139" xml:space="preserve">Einige Beiſpiele aus der neueren Zeit ſind hierüber <lb/>ungemein lehrreich und gereichen ganz beſonders den deutſchen <lb/>Chemikern zur Ehre. </s> <s xml:id="echoid-s7140" xml:space="preserve">Die Technologie oder richtiger die prak-<lb/>tiſche Chemie in Deutſchland, darf ſich ſchöner, großer Errungen-<lb/>ſchaften auf dieſem Gebiet rühmen. </s> <s xml:id="echoid-s7141" xml:space="preserve">Die Farben-Chemie hat uns <lb/>gelehrt, durch unſere Forſcher A. </s> <s xml:id="echoid-s7142" xml:space="preserve">W. </s> <s xml:id="echoid-s7143" xml:space="preserve">v. </s> <s xml:id="echoid-s7144" xml:space="preserve"><emph style="sp">Hofmann, Baeyer, <lb/>Liebermann, Greve</emph>, und andere, aus einem ganz wertloſen <lb/>Material, dem Steinkohlen-Teer, höchſt wertvolle Produkte zu <lb/>gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s7145" xml:space="preserve">Es liegt hierin eine ſtarke Bereicherung der Nation.</s> <s xml:id="echoid-s7146" xml:space="preserve"> <pb o="7" file="589" n="589"/> <emph style="sp">Baeyer</emph> hat einen ſehr koſtbaren, pflanzlichen Naturſtoff, den <lb/>man bisher mit ſchwerem Gelde aus der Fremde beziehen <lb/>mußte, den Indigo, auf rein chemiſchem Wege herſtellbar <lb/>gezeigt. </s> <s xml:id="echoid-s7147" xml:space="preserve">Die Farben-Chemie iſt noch immer in weiterer Aus-<lb/>bildung begriffen, deren Gewinn man noch gar nicht über-<lb/>ſehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s7148" xml:space="preserve">Ja, auch andere koſtbare, pflanzliche Naturſtoffe, <lb/>die wir auf natürlichem Wege nicht in unſerem Klima ge-<lb/>winnen können, ſind durch künſtliche chemiſche Operationen <lb/>hergeſtellt worden, ſo z. </s> <s xml:id="echoid-s7149" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s7150" xml:space="preserve">das Vanillin, das gleichſam nichts <lb/>anderes als eine künſtliche Vanille iſt, und das Jonon, ein <lb/>köſtlicher Riechſtoff, dem das Veilchen ſeinen berückenden Wohl-<lb/>geruch verdankt.</s> <s xml:id="echoid-s7151" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7152" xml:space="preserve">Ein ganz beſonderes Intereſſe nehmen zwei andere Er-<lb/>rungenſchaften der Technologie bei uns in Anſpruch, von wel-<lb/>chen wir die eine näher in Betracht ziehen wollen. </s> <s xml:id="echoid-s7153" xml:space="preserve">Es ſind <lb/>dies die Spiritus- und Zucker-Fabrikation, welche für unſeren <lb/>nationalen Wohlſtand von großer Bedeutung ſind.</s> <s xml:id="echoid-s7154" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7155" xml:space="preserve">Die Kunſt, aus Getreide Spiritus zu gewinnen, iſt alt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7156" xml:space="preserve">Die fortſchreitende Wiſſenſchaft unſeres Jahrhunderts hat ge-<lb/>lehrt, dieſes Kunſtprodukt aus der Behandlung einer an ſich <lb/>ſehr wenig koſtbaren Pflanze, der Kartoffel, herzuſtellen, die <lb/>glücklicherweiſe in unſerem Klima und auch auf ſterilem Boden <lb/>gut gedeiht. </s> <s xml:id="echoid-s7157" xml:space="preserve">An eigentlichem Nährſtoff iſt die Kartoffel arm. </s> <s xml:id="echoid-s7158" xml:space="preserve"><lb/>Sie wird auch in Ländern, in welchen beſſere Getreidearten <lb/>gedeihen, nur wenig gebaut. </s> <s xml:id="echoid-s7159" xml:space="preserve">Aber für unſer Klima und den <lb/>größten Teil unſerer Bodenbeſchaffenheit iſt der Kartoffelban <lb/>eine wahre Wohlthat. </s> <s xml:id="echoid-s7160" xml:space="preserve">Wir würden nicht im ſtande ſein, die <lb/>ſtark ſich vermehrenden Volksmaſſen zu ernähren, wenn wir <lb/>der Kartoffel entſagen müßten. </s> <s xml:id="echoid-s7161" xml:space="preserve">Die Verwendung der Kartoffel <lb/>für die Spiritus-Fabrikation iſt aber höchſt wichtig, weil der <lb/>Spiritus einen guten Abſatz im Auslande findet. </s> <s xml:id="echoid-s7162" xml:space="preserve">Auch die <lb/>Überreſte dieſer Fabrikation, die zu Viehfutter und als Dünger <lb/>verarbeitet werden, kommen der Nation zu gute. </s> <s xml:id="echoid-s7163" xml:space="preserve">Wer die <pb o="8" file="590" n="590"/> Geſchichte der Spiritus-Fabrikation näher kennt, der weiß auch, <lb/>daß man den nationalen Gewinn ganz direkt der Wiſſenſchaft <lb/>zu verdanken hat. </s> <s xml:id="echoid-s7164" xml:space="preserve">Sie hat Schritt vor Schritt immer neue <lb/>Eroberungen herbeigeführt.</s> <s xml:id="echoid-s7165" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7166" xml:space="preserve">Nicht minder bedeutungsvoll iſt die deutſche Zuckerfabri-<lb/>kation, welcher in neueſter Zeit ein Aufſchwung bevorſteht, den <lb/>ſie wiederum der Wiſſenſchaft zu verdanken hat.</s> <s xml:id="echoid-s7167" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7168" xml:space="preserve">Es iſt ein Irrtum, wenn man meint, daß der Genuß des <lb/>Zuckers weniger wichtig ſei für die Ernährung, als der der <lb/>Kartoffel. </s> <s xml:id="echoid-s7169" xml:space="preserve">Schon die Muttermilch belehrt uns, daß unſer <lb/>Blut des Zuckers bedarf. </s> <s xml:id="echoid-s7170" xml:space="preserve">Nicht umſonſt preiſen bereits die <lb/>älteſten Schriften diejenigen Länder als glückſelig, in welchen <lb/>“Milch und Honig” fließt. </s> <s xml:id="echoid-s7171" xml:space="preserve">Wenngleich man allen Grund hat <lb/>anzunehmen, daß damit nicht der Bienen-Honig, ſondern der <lb/>Dattel-Honig, alſo ein pflanzlicher Stoff gemeint iſt, ſo iſt es <lb/>doch zweifellos, daß in dieſem nur der eigentliche Zuckerſtoff <lb/>als weſentlicher Teil der Ernährung erkannt worden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7172" xml:space="preserve">In <lb/>Wahrheit iſt der Zuckergehalt der Nahrungsmittel ein höchſt <lb/>notwendiger Beſtandteil all der Pflanzen, die uns zur Speiſe <lb/>dienen. </s> <s xml:id="echoid-s7173" xml:space="preserve">Neben dem Pflanzen-Eiweiß, das zur Bildung unſerer <lb/>Muskeln unentbehrlich iſt, hat der Zuckergehalt der Nährpflanzen <lb/>ſeine Wichtigkeit zur Bildung des Fettes, deſſen wir nicht <lb/>entbehren können. </s> <s xml:id="echoid-s7174" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft der Chemie führte den Nach-<lb/>weis, daß das Fett ein Produkt iſt, welches vom Zuckergehalt der <lb/>Nahrungsmittel abhängig iſt und dazu dient, die Atmung zu unter-<lb/>halten, ohne welche wir nicht leben können. </s> <s xml:id="echoid-s7175" xml:space="preserve">Das Fett aber rührt <lb/>von dem Stärkemehl her, das wir meiſt in den zuckerhaltigen <lb/>Pflanzen genießen, wenngleich wir beim Verzehren vieler <lb/>Pflanzen den Zuckergehalt nicht ſchmecken, ſondern die Bildung <lb/>des Zuckers ein chemiſcher Prozeß iſt, der erſt in unſerem <lb/>Körper ſelber nach der Verdauung der Speiſen vor ſich geht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7176" xml:space="preserve">Die phyſiologiſchen Forſchungen haben auch gezeigt, daß die <lb/>Leber, welche die bittre Galle aus dem Blute abſondert, die <pb o="9" file="591" n="591"/> innere Fabrik unſeres Körpers iſt, aus welcher unſer Blut den <lb/>Zucker erhält.</s> <s xml:id="echoid-s7177" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7178" xml:space="preserve">Zucker iſt ein Beſtandteil ſowohl des Brotes, wie der <lb/>hauptſächlichſten Gemüſe. </s> <s xml:id="echoid-s7179" xml:space="preserve">Selbſt die Kartoffel enthält denſelben, <lb/>was wir zuweilen auch ſchmecken, wenn der Froſt die Zellen <lb/>des Stärkemehls der Kartoffel zum Platzen bringt. </s> <s xml:id="echoid-s7180" xml:space="preserve">Der <lb/>mäßige Genuß von fertigem Zucker aber erſpart unſerem Kör-<lb/>per die chemiſche Arbeit, ihn erſt fabrizieren zu müſſen und iſt <lb/>dadurch eine Förderung unſerer Geſundheit. </s> <s xml:id="echoid-s7181" xml:space="preserve">Die Mißbildung des <lb/>Zuckers in unſerem Körper dagegen, wodurch die Zuckerruhr ent-<lb/>ſteht, iſt eine ſchwere Krankheit, die zu den unheilbarſten Übeln <lb/>gezählt wird. </s> <s xml:id="echoid-s7182" xml:space="preserve">Die wohlfeile Herſtellung des Zuckers iſt eine <lb/>Wohlthat, welche wir der fortſchreitenden Wiſſenſchaft verdanken.</s> <s xml:id="echoid-s7183" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7184" xml:space="preserve">Die neueren Fortſchritte hierin verdienen daher die volle <lb/>Beachtung des Volkes. </s> <s xml:id="echoid-s7185" xml:space="preserve">Dieſem Thema ſollen nun die folgenden <lb/>Mitteilungen gewidmet ſein.</s> <s xml:id="echoid-s7186" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div279" type="section" level="1" n="189"> <head xml:id="echoid-head216" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Die Zuckerfabrikation.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7187" xml:space="preserve">Da der Genuß des Zuckers ungemein wichtig für die Ge-<lb/>ſundheit iſt, ſo iſt die Förderung der Zucker-Fabrikation, durch <lb/>welche die Wohlfeilheit dieſes Genußmittels auch dem ärmſten <lb/>Teil des Volkes möglich wird, eine allgemeine Wohlthat. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7188" xml:space="preserve">Das Gedeihen der Kinder hängt auch vielfach davon ab, daß <lb/>der ihnen nötige Zuckerſtoff im Blute nicht erſt durch die <lb/>Pflanzenkoſt im Körper ſelber bereitet, ſondern ſchon teilweiſe <lb/>durch Genuß von fertigem Zucker gefördert werde. </s> <s xml:id="echoid-s7189" xml:space="preserve">In den <lb/>Kreiſen der Armut muß leider vielfach das Stärkemehl der <lb/>Kartoffel die nötige Portion Zucker in den Körper einführen, <lb/>wobei nicht ſelten Überladung der Verdauungswerkzenge ein-<lb/>tritt, welche Grund zur Entſtehung von Krankheiten iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7190" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="10" file="592" n="592"/> <p> <s xml:id="echoid-s7191" xml:space="preserve">Iſt durch dieſen Umſtand allein ſchon die Herſtellung von <lb/>Zucker ſehr wichtig, ſo kommen noch mehrere Umſtände hinzu, <lb/>um ſeinen Wert zu erhöhen.</s> <s xml:id="echoid-s7192" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7193" xml:space="preserve">Die Natur bietet im Pflanzenreich ſehr verſchiedene Zucker-<lb/>ſorten, die zwar alle in chemiſcher Beziehung aus gleichen <lb/>Stoffen, aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beſtehen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7194" xml:space="preserve">allein in Menge dieſer einzelnen Stoffe, im Prozentſatz, ſich <lb/>unterſcheiden. </s> <s xml:id="echoid-s7195" xml:space="preserve">Man teilt dieſe ſpeziell in zwei Gruppen, in <lb/>Rohrzucker und in Traubenzucker. </s> <s xml:id="echoid-s7196" xml:space="preserve">Im Rohrzucker iſt jedes <lb/>Molekül faſt doppelt ſo reich an dieſen drei Grundſtoffen als <lb/>im Traubenzucker und beſitzt auch wertvollere Eigenſchaften <lb/>als dieſer. </s> <s xml:id="echoid-s7197" xml:space="preserve">Ein hauptſächlicher Unterſchied zwiſchen beiden <lb/>Gruppen beſteht darin, daß man erſtens den Rohrzucker viel <lb/>leichter reinigen und zur Kryſtalliſation bringen kann als den <lb/>Traubenzucker, der in vielen Fällen noch den Geſchmack der <lb/>Pflanze verrät, aus der er gewonnen wird; </s> <s xml:id="echoid-s7198" xml:space="preserve">und zweitens, daß <lb/>der gereinigte und kryſtalliſierte Rohrzucker ein beſtändiges <lb/>Produkt iſt, das nicht von ſelber in Gährung übergeht. </s> <s xml:id="echoid-s7199" xml:space="preserve">Ein <lb/>Stück weißer Zucker behält jahrelang ſeinen Geſchmack und ver-<lb/>ändert ſich nicht in ſeiner Beſchaffenheit, wenn man es trocken <lb/>liegen läßt. </s> <s xml:id="echoid-s7200" xml:space="preserve">Beim Traubenzucker iſt dies nicht der Fall. </s> <s xml:id="echoid-s7201" xml:space="preserve">Er <lb/>gerät leicht in Gährung und verwandelt ſich in Kohlenſäure <lb/>und in Alkohol. </s> <s xml:id="echoid-s7202" xml:space="preserve">Unſere Spiritus-Fabrikation grändet ſich auf <lb/>dieſe Eigenſchaft des Traubenzuckers und iſt auch die Quelle <lb/>vieler, wertvoller Produkte, welche aus wenig wertvollen Pflanzen <lb/>gewonnen werden. </s> <s xml:id="echoid-s7203" xml:space="preserve">Bei richtiger Behandlung iſt die Über-<lb/>führung des Stärkemehls der Kartoffel in reinen Alkohol eine <lb/>wertvolle, chemiſche Beſchäftigung der Landwirtſchaft.</s> <s xml:id="echoid-s7204" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7205" xml:space="preserve">Bis zum vorigen Jahrhundert verſtand man die Kunſt <lb/>nicht, aus einheimiſchen Pflanzenſtoffen den feſten und ge-<lb/>reinigten Rohrzucker herzuſtellen. </s> <s xml:id="echoid-s7206" xml:space="preserve">Man war auf die Einfuhr <lb/>von indiſchem Zucker angewieſen, der aus dem Saft des nur <lb/>in heißen Ländern gedeihenden Zuckerrohrs gepreßt wurde.</s> <s xml:id="echoid-s7207" xml:space="preserve"> <pb o="11" file="593" n="593"/> Natürlich war der harte Zucker ſehr teuer und ſein Genuß <lb/>äußerſt ſelten. </s> <s xml:id="echoid-s7208" xml:space="preserve">Aber vor circa hundert Jahren fing man mit <lb/>dem Erwachen der chemiſchen Wiſſenſchaft an, unſere einhei-<lb/>miſchen Pflanzen ernſtlicher zu unterſuchen, und es ſtellte ſich <lb/>uach und nach heraus, daß es gewiſſe Rübenſorten giebt, aus <lb/>welchen man bei richtiger Behandlung auch einen Ertrag von <lb/>Rohrzucker erzielen kann. </s> <s xml:id="echoid-s7209" xml:space="preserve">Es verging freilich noch faſt ein <lb/>halbes Jahrhundert, bevor man eine wirkliche Ausbeute der <lb/>heimiſchen Pflanze, der Runkelrübe, ernſtlich in Angriff nahm <lb/>und praktiſche Erfolge damit erzielte. </s> <s xml:id="echoid-s7210" xml:space="preserve">Aber nachdem es ſich mit <lb/>ſteter Hilfe der Chemie ergab, daß es einen Gewinn abwirft, <lb/>Zucker aus einheimiſchen Pflanzen zu produzieren, wuchs die <lb/>Fabrikation zu einer gewaltigen Macht heran und kam ſo weit, <lb/>daß man viel mehr davon fabriziert, als man in Deutſchland <lb/>gebraucht und durch die Ausfuhr von Zucker einen ſtarken <lb/>nationalen Gewinn erzielt.</s> <s xml:id="echoid-s7211" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7212" xml:space="preserve">Der Prozentſatz des Zuckers, den man aus der Runkelrübe <lb/>ziehen kann, iſt jedoch ſehr ſchwankend. </s> <s xml:id="echoid-s7213" xml:space="preserve">Die Runkelrübe iſt <lb/>natürlich nicht lauter Zucker. </s> <s xml:id="echoid-s7214" xml:space="preserve">Sie enthält Waſſer, Zellſtoff, <lb/>Eiweiß, verſchiedene Säuren und Salze. </s> <s xml:id="echoid-s7215" xml:space="preserve">Selbſt der Saft, der <lb/>eigentlich zuckerhaltig iſt, iſt je nach der Witterung, nach der <lb/>Behandlung des Bodens ſehr verſchieden. </s> <s xml:id="echoid-s7216" xml:space="preserve">In hundert Zentnern <lb/>Rübenſaft kann der Chemiker zuweilen nur neun Zentner Zucker, <lb/>im allerbeſten Fall etwas mehr als ſiebzehn Zentner Zucker-<lb/>maſſe herausfinden. </s> <s xml:id="echoid-s7217" xml:space="preserve">Nun iſt es klar, daß die Fabrik nicht im <lb/>ſtande iſt, ſo exakt zu verfahren, wie der Fachchemiker in <lb/>ſeinem Laboratorium. </s> <s xml:id="echoid-s7218" xml:space="preserve">In der Praxis ſchwankt daher der Zucker-<lb/>gewinn ſehr bedeutend, und darauf muß die Steuer natürlich <lb/>Rückſicht nehmen. </s> <s xml:id="echoid-s7219" xml:space="preserve">Anfangs hatte man die Kunſt auch nicht heraus, <lb/>um den Saft ſtark zu entzuckern. </s> <s xml:id="echoid-s7220" xml:space="preserve">Es blieben noch große Reſte von <lb/>Zucker in der Maſſe zurück. </s> <s xml:id="echoid-s7221" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft aber ſchritt deshalb <lb/>gerade mit vollſtem Eifer in der Methode des Zuckergewinnes fort.</s> <s xml:id="echoid-s7222" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="12" file="594" n="594"/> </div> <div xml:id="echoid-div280" type="section" level="1" n="190"> <head xml:id="echoid-head217" xml:space="preserve"><emph style="bf">IV. Die Verwertung wertloſer Stoffe.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7223" xml:space="preserve">Zu den Fortſchritten, welche die Wiſſenſchaft in der In-<lb/>duſtrie hervorruft, gehört nicht bloß die leichtere Methode, mit <lb/>der ſie den gewerblichen Zwecken direkt dient, ſondern auch, <lb/>daß ſie zugleich die Verwertung vieler bis dahin wertloſer <lb/>Naturſtoffe möglich macht. </s> <s xml:id="echoid-s7224" xml:space="preserve">Hierdurch hebt die Wiſſenſchaft den <lb/>Wohlſtand der Nation.</s> <s xml:id="echoid-s7225" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7226" xml:space="preserve">Es giebt eine große Maſſe von Naturſtoffen, welche vor <lb/>einem halben Jahrhundert unbenutzt in der Erde lagen, weil <lb/>man nicht wußte, wie ſie zu nützlichen Produkten verwandt <lb/>werden können. </s> <s xml:id="echoid-s7227" xml:space="preserve">Ja, noch gegenwärtig ſchlummern unter der <lb/>Oberfläche unſeres Erdbodens gewaltig maſſenhafte Stoffe, die <lb/>keine Verwendung finden und als müßiger Schutt betrachtet <lb/>werden. </s> <s xml:id="echoid-s7228" xml:space="preserve">So z. </s> <s xml:id="echoid-s7229" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s7230" xml:space="preserve">gelang es der Wiſſenſchaft nachzuweiſen, <lb/>daß man aus gewiſſen Erden, Steinen und Salzen ſehr merk-<lb/>würdige Metalle gewinnen kann, die ihren Grundſtoff aus-<lb/>machen und deren Verwendung und Verwertung gewiß noch <lb/>einmal einen Teil des Nationalreichtums bilden wird. </s> <s xml:id="echoid-s7231" xml:space="preserve">Kalium, <lb/>Natrium, Calcium ſind Metalle von höchſt intereſſanten, <lb/>wunderbaren Eigenſchaften, die man meiſt nur in den Labo-<lb/>ratorien der Chemiker zu einzelnen Zwecken verwendet und <lb/>die darum in ſehr ſpärlichem Grade gewerblich produziert <lb/>werden, obwohl man im ſtande wäre, ſie in gewaltigen Maſſen <lb/>herzuſtellen, wenn man eine gute Verwendung derſelben kennen <lb/>lernte. </s> <s xml:id="echoid-s7232" xml:space="preserve">Die Grundſtoffe ſind in ſo ungeheuren Lagern vor-<lb/>handen, daß man ſie als “Abraum-Mineralien” bezeichnet, die <lb/>man froh iſt los zu werden, um für nutzbare Mineralien den <lb/>Platz zu gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s7233" xml:space="preserve">Vor mehreren Jahren war auch Magne-<lb/>ſium ein faſt nutzloſes Metall, bis man dahinter kam, daß es <lb/>ein prachtvolles Licht beim Verbrennen ausſtrahlt und für <lb/>gewiſſe Zwecke, wie z. </s> <s xml:id="echoid-s7234" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s7235" xml:space="preserve">in der Photographie, gut verwendet <pb o="13" file="595" n="595"/> werden kann. </s> <s xml:id="echoid-s7236" xml:space="preserve">Ein anderes leichtes Metall, das <emph style="sp">Aluminium</emph>, <lb/>wurde erſt vor noch nicht dreißig Jahren brauchbar von der <lb/>Wiſſenſchaft hergeſtellt, während es bis dahin in der Thonerde <lb/>als ganz wertlos galt. </s> <s xml:id="echoid-s7237" xml:space="preserve"><emph style="sp">Nickel</emph> hat man in gleicher Weife <lb/>nicht zu ſchätzen gewußt, bis man es als haltbares Münz-<lb/>metall kennen lernte und durch die Vernickelungskunſt ſeinen <lb/>Wert zu ſchätzen weiß. </s> <s xml:id="echoid-s7238" xml:space="preserve">— Vor Jahrzehnten war ſogar Zink <lb/>nur von geringem Gebrauch, weil man nicht wußte, wie man <lb/>es löten kann; </s> <s xml:id="echoid-s7239" xml:space="preserve">jetzt iſt ſein Wert durch die wiſſenſchaftliche <lb/>Behandlung des Metalls und durch die näheren Kenntniſſe <lb/>ſeiner Verwendung außerordentlich geſtiegen. </s> <s xml:id="echoid-s7240" xml:space="preserve">Ja, wenn man <lb/>die Reihe der chemiſchen Elemente überblickt, ſo findet man, <lb/>daß von den ſiebenzig Urſtoffen einige zwanzig eine reichhaltige <lb/>Nutzbarkeit bereits gewonnen haben und noch viel in der <lb/>Wiſſenſchaft geſchehen muß, um der Welt mit den andern <lb/>Urſtoffen dienſtbar zu werden. </s> <s xml:id="echoid-s7241" xml:space="preserve">In viel höherem Grade gilt <lb/>dies gar noch von der organiſchen Chemie, welche aus <lb/>wertloſen Dingen wahre Schätze zu produzieren lehrte. </s> <s xml:id="echoid-s7242" xml:space="preserve">Wir <lb/>brauchen nur an den <emph style="sp">Steinkohlen-Teer</emph> zu erinnern, <lb/>der faſt bis zur Mitte unſeres Jahrhunderts als läſtiges <lb/>Nebenprodukt betrachtet wurde und jetzt zur Grundlage der <lb/>großartigſten Farben-Induſtrie geworden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7243" xml:space="preserve">Die Zahl der <lb/>Errungenſchaften auf dieſem Gebiet iſt eine faſt unüberſehbare, <lb/>und was da uns noch weiter bevorſteht, läßt ſich ſelbſt von <lb/>den Fachgelehrteſten noch gar nicht ahnen. </s> <s xml:id="echoid-s7244" xml:space="preserve">In all dem liegt <lb/>eine Quelle nationaler Bereicherung vor. </s> <s xml:id="echoid-s7245" xml:space="preserve">Ja, es iſt die Er-<lb/>füllung des eigentlichen Menſchenberufs, der ſich der Herrſchaft <lb/>über die Natur in vollem Maße bemächtigen ſoll. </s> <s xml:id="echoid-s7246" xml:space="preserve">Es iſt auch <lb/>nicht bloß die <emph style="sp">materielle</emph> Bereicherung des Menſchengeſchlech-<lb/>tes hiervon abhängig, ſondern auch ſein <emph style="sp">geiſtiges</emph> und <emph style="sp">leib-<lb/>liches</emph> Wohlergehen ſteht mit all den Fortſchritten der Wiſſen-<lb/>ſchaft im engſten Zuſammenhang. </s> <s xml:id="echoid-s7247" xml:space="preserve">Wir haben nur nötig, an <lb/>das <emph style="sp">Chloroform</emph> und ſeine unſchätzbaren Eigenſchaften zu <pb o="14" file="596" n="596"/> erinnern, um es jedermann einleuchtend zu machen, welches <lb/>Schatzes wir uns erfreuen, ſeitdem wir die Dienſte der For-<lb/>ſchungen und der Entdeckungen der Naturwiſſenſchaften zur <lb/>Dispoſition haben.</s> <s xml:id="echoid-s7248" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7249" xml:space="preserve">In die Reihe dieſer erfreulichen Dienſte der Wiſſenſchaft <lb/>gehören nun auch die Errungenſchaften, durch welche ſie die <lb/>Zucker-Induſtrie unſeres Vaterlandes gehoben hat. </s> <s xml:id="echoid-s7250" xml:space="preserve">Zwei dieſer <lb/>Errungenſchaften ſind es auch beſonders, welche uns veranlaſſen, <lb/>ſie zum Gegenſtand dieſer unſerer Betrachtungen zu machen.</s> <s xml:id="echoid-s7251" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7252" xml:space="preserve">Wie bereits erwähnt, iſt die Möglichkeit, den Zuckergenuß <lb/>auch unſerer ärmeren Bevölkerung zu erleichtern, eine Er-<lb/>rungenſchaft, welche das deutſche Vaterland faſt ausſchließlich <lb/>ſeinen chemiſchen Forſchern verdankt. </s> <s xml:id="echoid-s7253" xml:space="preserve">Deutſchland iſt die <lb/>eigentliche Heimat der Kunſt, aus einer an ſich wenig wert-<lb/>vollen Pflanze, der Runkelrübe, den Zuckerſtoff zu ziehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7254" xml:space="preserve">Die Natur, die uns nicht ſonderlich mit den reichen Gaben der <lb/>Pflanzenwelt bedacht hat, fand bei uns einen Erſatz und eine <lb/>reiche Konkurrentin in der <emph style="sp">Kultur der Induſtrie</emph>, welche <lb/>die Wiſſenſchaft in ihren Dienſt genommen. </s> <s xml:id="echoid-s7255" xml:space="preserve">Es iſt dies der <lb/><emph style="sp">echte Kulturkampf</emph>, den wir zu Ehren des Menſchenweſens <lb/>ſtets weiter zu pflegen und zu entwickeln haben. </s> <s xml:id="echoid-s7256" xml:space="preserve">Die Helden <lb/>dieſes <emph style="sp">wahren</emph> Kulturkampfs ſind nicht Fürſten und Regie-<lb/>rungen, Miniſterien und Poliziſten, ſondern Männer, die ein <lb/>inneres Verſtändnis haben für die Wohlthaten des Geiſtes, der <lb/>frei gebieten kann über die Kräfte, welche in den Naturſtoffen <lb/>verſchloſſen vor unſerm Blick liegen. </s> <s xml:id="echoid-s7257" xml:space="preserve">Die Förderer <emph style="sp">dieſes</emph> <lb/>Kampfes verdienen ganz beſonders unſere Achtung. </s> <s xml:id="echoid-s7258" xml:space="preserve">Ja, es iſt <lb/>einer denkenden Nation nicht würdig, die Errungenſchaften dieſer <lb/>Kulturmänner ſich anzueignen, ohne es zu merken und deſſen ein-<lb/>gedenk zu ſein, was und wem ſie dieſelben zu danken haben. </s> <s xml:id="echoid-s7259" xml:space="preserve"><lb/>Es iſt wirklich wahr, daß jedermann, der ein Stückchen Zucker <lb/>genießt, auch die Pflicht hat, ſich mindeſtens bewußt zu werden <lb/>der großen, geiſtigen Arbeiten, die nötig waren, um ihm den <pb o="15" file="597" n="597"/> Genuß ohne die Opfer zu ermöglichen, welche unſere Väter <lb/>demſelben bringen mußten, als der Zucker nur ein Produkt des <lb/>fernen Auslandes war.</s> <s xml:id="echoid-s7260" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7261" xml:space="preserve">Der Zuckergehalt unſerer Runkelrübe befindet ſich, wie be-<lb/>reits erwähnt, in dem waſſerreichen Saft derſelben, der ſofort <lb/>in Gährung übergehen würde, wenn man ihn nicht vor einer <lb/>natürlichen Zerſetzung bewahren könnte. </s> <s xml:id="echoid-s7262" xml:space="preserve">Hierbei ſpielt haupt-<lb/>ſächlich die Kalkmilch eine Hauptrolle, welche man dem Saft <lb/>beimiſcht und der die Säure des Saftes an ſich zieht. </s> <s xml:id="echoid-s7263" xml:space="preserve">Natür-<lb/>lich erfordert es der weitere Verlauf der Fabrikation, daß man <lb/>dieſes Gemiſch wiederum von Kalk befreien muß, um reinen <lb/>Zuckerſaft zu erhalten. </s> <s xml:id="echoid-s7264" xml:space="preserve">Dieſe Operation wird durch Einleiten <lb/>von Kohlenſäure bewirkt, durch welche der Kalk eine Art von <lb/><emph style="sp">Kreide</emph> wird, die zu Boden fällt und den Zuckerſtoff im Waſſer <lb/>gelöſt übrig läßt. </s> <s xml:id="echoid-s7265" xml:space="preserve">Nunmehr gilt es, das Waſſer zu entfernen, <lb/>was durch Kochen geſchieht. </s> <s xml:id="echoid-s7266" xml:space="preserve">Wollte man indeſſen dieſen Pro-<lb/>zeß in gewöhnlicher Weiſe vollziehen, ſo würde derſelbe durch <lb/>den Verbrauch von Brennmaterial ſehr koſtſpielig werden. </s> <s xml:id="echoid-s7267" xml:space="preserve">Da <lb/>lehrte dann die Wiſſenſchaft, daß man dieſes Auskochen des <lb/>Waſſers unter der Luftpumpe mit wenig Brennmaterial zu <lb/>Stande bringen kann. </s> <s xml:id="echoid-s7268" xml:space="preserve">Dadurch wird nun der Saft verdickt <lb/>und bildet eine Art Syrup, in welcher noch viele nutzloſe und <lb/>ſtörende Stoffe enthalten ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7269" xml:space="preserve">Es muß wiederum eine Rei-<lb/>nigung vorgenommen werden, die man durch Filtrieren über <lb/>Knochenkohle erreicht. </s> <s xml:id="echoid-s7270" xml:space="preserve">Wiederholtes Einkochen und weiteres <lb/>Durchſickern der Maſſe durch Kohle ſtellt dann den Syrup <lb/>her, der bereits Kryſtalle enthält, doch ſind noch weitere Ope-<lb/>rationen erforderlich, um die Kryſtalle zu einer feſten Maſſe <lb/>zu bilden.</s> <s xml:id="echoid-s7271" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7272" xml:space="preserve">Nach dieſer Operation kommt es darauf an, den zwiſchen <lb/>den Kryſtallen noch immer vorhandenen Syrup ganz zu ent-<lb/>fernen und wo möglich allen Zucker daraus zu gewinnen. </s> <s xml:id="echoid-s7273" xml:space="preserve">Und <lb/>dieſe Kunſt iſt es, in welcher nicht bloß ein großer Fortſchritt <pb o="16" file="598" n="598"/> in neuerer Zeit errungen, ſondern auch zugleich ein bisher un-<lb/>beachteter und wertloſer Naturſtoff zu einem ſehr wertvollen <lb/>Stoff gemacht wurde.</s> <s xml:id="echoid-s7274" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div281" type="section" level="1" n="191"> <head xml:id="echoid-head218" xml:space="preserve"><emph style="bf">V. Magneſium und Strontium.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7275" xml:space="preserve">Um die Wichtigkeit der neueren Errungenſchaften deutſcher <lb/>Chemiker auf dem Gebiet der Zucker-Induſtrie unſern Leſern <lb/>vorzuführen, müſſen wir den Blick auf zwei Grundſtoffe in der <lb/>Natur richten, welche in ungeheuren Maſſen, ganze Gebirge <lb/>bildend, vorhanden ſind, die aber bis in neueſter Zeit wertlos <lb/>blieben, weil man es nicht verſtanden hat, ſie gewinnreich zu <lb/>verwenden.</s> <s xml:id="echoid-s7276" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7277" xml:space="preserve">Der eine dieſer Stoffe iſt, wie bereits erwähnt, das Me-<lb/>tall <emph style="sp">Magneſium</emph>, der zweite iſt das zeither noch viel weniger <lb/>verwendbare Metall <emph style="sp">Strontium</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s7278" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7279" xml:space="preserve">Was das Magneſium betrifft, ſo iſt es mit Kalkſteinen <lb/>und Kohlenſäuren in der Natur verbunden und bildet als <lb/><emph style="sp">Dolomit</emph> große Gebirgsmaſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7280" xml:space="preserve">Nun iſt daraus ſehr leicht <lb/>durch Erhitzung die Kohlenſäure auszutreiben; </s> <s xml:id="echoid-s7281" xml:space="preserve">jedoch Mag-<lb/>neſium von Kalk zu ſondern und rein zu erhalten, bietet <lb/>große Schwierigkeiten und wird ſo außerordentlich koſtſpielig, <lb/>daß man auf dieſe Arbeit faſt verzichtete, obwohl man <lb/>metalliſches, reines Magneſium ſehr gut für Beleuchtungs-<lb/>zwecke verwenden könnte. </s> <s xml:id="echoid-s7282" xml:space="preserve">Aber auch das nicht reine Magneſium, <lb/>ſondern die mit Kohlenſäure verbundene <emph style="sp">Magneſia</emph>, beſitzt <lb/>ſehr wertvolle Eigenſchaften. </s> <s xml:id="echoid-s7283" xml:space="preserve">Die Magneſia löſt ſich im Waſſer <lb/>nicht auf und wird ſelbſt in der Knallgas-Flamme nicht ge-<lb/>ſchmolzen oder zerſtört. </s> <s xml:id="echoid-s7284" xml:space="preserve">Sie eignet ſich außerordentlich zum <lb/>Unzerſtörbarmachen von Ziegelſteinen, welche in großen Feuer-<lb/>anlagen verwendet werden. </s> <s xml:id="echoid-s7285" xml:space="preserve">Magneſia, in Lehm verarbeitet, <lb/>bildet eine Art <emph style="sp">Cement</emph> von ſehr großer Dauerhaftigkeit.</s> <s xml:id="echoid-s7286" xml:space="preserve"> <pb o="17" file="599" n="599"/> Man würde ſie auch längſt in reichem Maße verwendet haben, <lb/>wenn es nur nicht gar ſo koſtſpielig wäre, ſie von Kalk ab-<lb/>zuſondern.</s> <s xml:id="echoid-s7287" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7288" xml:space="preserve">Hierin that denn der verdienſtvolle Chemiker Prof. </s> <s xml:id="echoid-s7289" xml:space="preserve"><emph style="sp">Cloſſen</emph> <lb/>den erſten Schritt, um Kalk und Magneſia in ſehr leichter <lb/>Weiſe zu trennen. </s> <s xml:id="echoid-s7290" xml:space="preserve">Der Kalk hat die beſondere Neigung, ſich <lb/>mit Chlor zu verbinden. </s> <s xml:id="echoid-s7291" xml:space="preserve">Cloſſen ließ nun den von Kohlen-<lb/>ſäure befreiten Dolomit durch Stampfwerke in Pulver ver-<lb/>wandeln und miſchte dieſes mit Waſſer, in welchem Chlor-<lb/>magneſium enthalten war. </s> <s xml:id="echoid-s7292" xml:space="preserve">Hierdurch wurde der Kalk angeregt, <lb/>eine enge Verbindung mit dem Chlor einzugehen, ſo daß die <lb/>Magneſia frei und ihre wertvolle Verwendung als Cement <lb/>möglich wurde.</s> <s xml:id="echoid-s7293" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7294" xml:space="preserve">Freilich bleibt bei dieſem Prozeß noch eine chemiſche Ver-<lb/>bindung, ein Salz aus Kalk und Chlor beſtehend, übrig, das <lb/>unter dem Namen Chlor-Calcium bekannt iſt und für welches <lb/>man keine einträgliche Verwendung kannte. </s> <s xml:id="echoid-s7295" xml:space="preserve">Hierdurch war <lb/>man genötigt, die Koſten der Operation ganz der Magneſia <lb/>aufzuerlegen und deren Preis zu erhöhen. </s> <s xml:id="echoid-s7296" xml:space="preserve">Da galt es denn <lb/>für die Gewinnung der Magneſia einen neuen Weg einzu-<lb/>ſchlagen und die Operation ſo einzurichten, daß die Ver-<lb/>wendung derſelben für Cementierung der Steine allgemein <lb/>möglich zu machen war.</s> <s xml:id="echoid-s7297" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7298" xml:space="preserve">Dieſen mächtigen Schritt that nun Profeſſor <emph style="sp">Scheibler</emph> in <lb/>ſehr erfolgreicher Weiſe, indem er die Neigung des Kalks, ſich <lb/>mit Zucker zu verbinden, glücklich ausbeutete. </s> <s xml:id="echoid-s7299" xml:space="preserve">Er förderte da-<lb/>durch nicht bloß die Zuckerfabrikation, ſondern auch die Ver-<lb/>wendung der Magneſia, die an Wohlfeilheit jetzt kaum etwas <lb/>zu wünſchen übrig läßt.</s> <s xml:id="echoid-s7300" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7301" xml:space="preserve">In Scheiblers Verfahren wird der zu Pulver zermalmte <lb/>Dolomit in die Abgänge des Zuckers gebracht, welche noch <lb/>zuckerhaltig ſind und als Melaſſe ſehr billig verkauft werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7302" xml:space="preserve">Der Kalk des Dolomit-Pulvers verbindet ſich in dem Waſſer</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7303" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s7304" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s7305" xml:space="preserve">Volksbücher XXI.</s> <s xml:id="echoid-s7306" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="18" file="600" n="600"/> <p> <s xml:id="echoid-s7307" xml:space="preserve">der Melaſſe mit den Zuckerreſten, während die Magneſia, die <lb/>nicht löslich iſt, rein zurückbleibt. </s> <s xml:id="echoid-s7308" xml:space="preserve">Nachdem man die Magneſia <lb/>aus der Löſung entfernt, leitet man Kohlenſäure in den Kalk-<lb/>zucker, wodurch der Kalk den Zucker verläßt und ſich mit der <lb/>Kohlenſäure verbindet. </s> <s xml:id="echoid-s7309" xml:space="preserve">Die Zuckerreſte bleiben in der wäſſe-<lb/>rigen Löſung und werden durch erneuerte Operationen ge-<lb/>wonnen, während die Magneſia aus dem Dolomit zu ſehr ge-<lb/>ringen Preiſen zu haben iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7310" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7311" xml:space="preserve">Es bietet dies ein recht ſchlagendes Beiſpiel, wie die <lb/>Fortſchritte in der Induſtrie nicht bloß direkt das <emph style="sp">Produkt</emph> <lb/>derſelben fördern, fondern indirekt von großem Einfluß ſind, <lb/><emph style="sp">um unverwertbare Stoffe, welche die Erde uns <lb/>bietet, in wertvolle und verwendbare zu ver-<lb/>wandeln</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s7312" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7313" xml:space="preserve">Einen noch weſentlicheren Fortſchritt in dieſer Richtung <lb/>bieten die Erfindungen und Entdeckungen, welche man <emph style="sp">Scheibler</emph> <lb/>über die Verwendung und Verwertung des <emph style="sp">Strontiums</emph> zu <lb/>verdanken hat.</s> <s xml:id="echoid-s7314" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7315" xml:space="preserve">Strontium iſt ein Grundſtoff, der in die Reihe der leichten <lb/>Erdmetalle gehört. </s> <s xml:id="echoid-s7316" xml:space="preserve">Man findet es nicht frei in der Natur, <lb/>ſondern nur in Verbindungen mit Kohlenſäure als <emph style="sp">Stron-<lb/>tianit</emph> oder auch mit Schwefel als <emph style="sp">Cöleſtin</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s7317" xml:space="preserve">Durch Be-<lb/>handlung mit Salzſäure, Schwefelſäure oder Salpeterſäure <lb/>kann man es in einen Niederſchlag verwandeln oder durch <lb/>Glühen mit Natrium in ſeinem metalliſchen Zuſtand erhalten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7318" xml:space="preserve">Die Verwendung und Verwertung indeſſen war bisher faſt <lb/>unbekannt. </s> <s xml:id="echoid-s7319" xml:space="preserve">Man gebrauchte es nur für <emph style="sp">bengaliſche Flam-<lb/>men</emph>, in welchen es ein ſehr ſchönes, rotes Licht abgiebt. </s> <s xml:id="echoid-s7320" xml:space="preserve"><lb/>Durch glückliche Verſuche, das Strontianit. </s> <s xml:id="echoid-s7321" xml:space="preserve">in der Zucker-<lb/>Induſtrie anzuwenden, iſt dieſes Mineral, das faſt wertlos <lb/>war und deshalb gar nicht direkt im Bergbau beachtet worden <lb/>iſt, ein ſo wichtiges Naturprodukt geworden, daß man es jetzt <lb/>direkt aufſucht. </s> <s xml:id="echoid-s7322" xml:space="preserve">Zur Freude aller, welche Sinn für den <pb o="19" file="601" n="601"/> Nationalwohlſtand haben, fand man, daß die Provinz Weſt-<lb/>falen ganz merkwürdig reich damit geſegnet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7323" xml:space="preserve">Man be-<lb/>hauptet, daß ſich Strontianit in meilenweiten Lagern daſelbſt <lb/>befindet und durch Verwendung in der Zuckerfabrikation eine <lb/>noch ganz unabſehbare Quelle des Reichtums werden würde. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7324" xml:space="preserve">Auch die Spekulation bemächtigt ſich bereits dieſer Verwertung, <lb/>und ſelbſt Schwefel-Strontium, das <emph style="sp">Cöleſtin</emph>, iſt als Kon-<lb/>kurrenz des Strontianits im Preiſe geſtiegen. </s> <s xml:id="echoid-s7325" xml:space="preserve">Wie ſehr hier-<lb/>bei auch die Spekulation in Übertreibungen des Wertes ver-<lb/>fallen mag: </s> <s xml:id="echoid-s7326" xml:space="preserve">es iſt jedenfalls ein erfreuliches Ereignis, daß <lb/>wiederum die Wiſſenſchaft einen bisher unbenutzbaren Naturſtoff <lb/>in einen wertvollen verwandelt hat und nicht bloß der In-<lb/>duſtrie Vorteile ſchafft, ſondern auch hiermit die Herrſchaft des <lb/>Menſchengeiſtes über die Naturkräfte dokumentiert.</s> <s xml:id="echoid-s7327" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7328" xml:space="preserve">Die Entdeckungen und Erfindungen Scheiblers beſtehen <lb/>darin, daß das Strotianit ganz beſonders die Eigenſchaft <lb/>hat, den Zuckergehalt von wäſſerigen Zuckerlöſungen und <lb/>Syrupen faſt vollſtändig in ſich aufzunehmen und bei ge-<lb/>eigneter fabrikmäßiger Behandlung wieder von ſich zu geben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7329" xml:space="preserve">Während man in der erſten Zeit der deutſchen Zuckerfabrikation <lb/>froh war, 50 Prozent des Zuckergehalts der Runkelrübe als <lb/>wirklichen kryſtalliſchen Zucker zu gewinnen, iſt man durch die <lb/>neueren Fortſchritte ſo weit gekommen, <emph style="sp">daß man mehr als <lb/>98 Prozent herausbekommt</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s7330" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7331" xml:space="preserve">Deutſchland darf ſich dieſer Errungenſchaften ganz beſon-<lb/>ders rühmen, und das Volk ſollte auch in richtiger Erkenntnis <lb/>den Männern beſonders Dank wiſſen, welche in rühmlichem <lb/>Eifer ſolche Triumphe des Geiſtes herbeiführen!</s> </p> <pb file="602" n="602"/> </div> <div xml:id="echoid-div282" type="section" level="1" n="192"> <head xml:id="echoid-head219" xml:space="preserve"><emph style="bf">Die Wiſſenſchaft.</emph></head> <head xml:id="echoid-head220" xml:space="preserve"><emph style="bf">I. Unſer Wiſſen und unſere Wiſſenſchaft.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7332" xml:space="preserve">In der herrlichſten Dichtung Goethes verläßt der “trockene <lb/>Schleicher”, der Famulus Wagner, den im Wiſſensdurſt er-<lb/>krankten Meiſter Fauſt mit den Worten:</s> <s xml:id="echoid-s7333" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7334" xml:space="preserve"><q>Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich Alles wiſſen,</q> </s></p><p><s xml:id="echoid-s7335" xml:space="preserve">und der nach Allwiſſenheit ſtrebende Fauſt ſendet ihm den <lb/>Stoßſeufzer nach:</s> <s xml:id="echoid-s7336" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7337" xml:space="preserve">Wie nur dem Kopf nicht alle Huffnung ſchwindet, <lb/>Der immerfort am ſchalen Zeuge klebt, <lb/>Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt <lb/>Und froh iſt, wenn er Regenwürmer findet.</s> <lb/><s xml:id="echoid-s7338" xml:space="preserve">Einen gleichen Stoßſeufzer möchte man gar oft denen <lb/>nachſenden, die, unklar über die weiten Grenzen des menſch-<lb/>lichen Wiſſens, den gegenwärtigen, noch gar ſehr engen Kreis <lb/>der menſchlichen Wiſſenſchaft überſchätzen und ſo viel zu wiſſen <lb/>wähnen, daß ſie “Alles” zu wiſſen ſich fähig glauben.</s> <s xml:id="echoid-s7339" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7340" xml:space="preserve">In früheren Jahrhunderten und bis auf die erſten Jahr-<lb/>zehnte unſeres Zeitalters war dieſer Wahn, Alles zu wiſſen, <lb/>ein eingebildetes Erbe der Philoſophie. </s> <s xml:id="echoid-s7341" xml:space="preserve">In neuerer Zeit, wo <lb/>deren Phantasmen durch Entdeckungen von Naturgeſetzen und <lb/>Erläuterungen vieler Naturerſcheinungen in den Hintergrund <lb/>dialektiſcher Geiſtesſpielereien verwieſen worden ſind, hört man <pb o="21" file="603" n="603"/> von Laien der Naturwiſſenſchaft gar häufig einen Dünkel der <lb/>Allwiſſenheit ausſprechen, den der wahre Freund der Natur-<lb/>wiſſenſchaft mit tiefer Wemut vernimmt. </s> <s xml:id="echoid-s7342" xml:space="preserve">Jhm entgeht es nicht, <lb/>wie das menſchliche Wiſſen, zu welchem uns noch der Schlüſſel <lb/>der Wiſſenſchaft ganz fehlt, ſo unendlich groß und wie das Gebiet <lb/>der Erkenntnis, welches die Erforſchung der Naturerſcheinungen <lb/>uns eröffnet hat, gar ſo eng und klein iſt gegenüber all dem, <lb/>was wir zu wiſſen uns vermeſſen möchten.</s> <s xml:id="echoid-s7343" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7344" xml:space="preserve">Ein Kind an der Mutterbruſt erſcheint bereits mit einem <lb/>Wiſſen ausgeſtattet, das alle unſere wiſſenſchaftlichen Erkenntniſſe <lb/>weit überragt. </s> <s xml:id="echoid-s7345" xml:space="preserve">Es benimmt ſich wie bewußt von der Liebes-<lb/>quelle, welche ihm die Lebensnahrung ſpendet. </s> <s xml:id="echoid-s7346" xml:space="preserve">Es lächelt dem <lb/>Mutterauge entgegen, das ſein Verlangen verſteht und ſeiner <lb/>Lebensluſt mit froher Wonne die Naturgabe ſpendet, die ohne <lb/>ihr Wiſſen und Wollen aus ihrem Herzblut vorbereitet iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7347" xml:space="preserve">Es <lb/>ſtrahlt ein Liebesverſtändnis von Angeſicht zu Angeſicht, für <lb/>welches uns ein wiſſenſchaftliches Verſtändnis ſelbſt in dem <lb/>beſcheidenſten Maße fehlt. </s> <s xml:id="echoid-s7348" xml:space="preserve">Und wir wiſſen, daß dieſes Ver-<lb/>ſtändnis-Vermögen mit dem Wachstum des kleinen Weſens <lb/>wachſen, daß es bald ein Liebeswort verſtehen, eine Liebkoſung <lb/>erwidern wird. </s> <s xml:id="echoid-s7349" xml:space="preserve">Bald wird es beginnen, der Sprachwerkzeuge <lb/>mächtig zu werden und aus dem Bereich der Laute, welche <lb/>ihm zu Gebote ſtehen, diejenigen bewußt zu wählen, welche <lb/>ſein Wünſchen und Wollen verſtändlich ausdrücken. </s> <s xml:id="echoid-s7350" xml:space="preserve">Es wird <lb/>im Wiſſen gedeihen und den Kreis des Erkennens weit aus-<lb/>dehnen über das ganze Gebiet ſeiner häuslichen Umgebung. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7351" xml:space="preserve">Es wird viel, ſehr viel wiſſen, lange bevor die Jahre kommen, <lb/>wo wir freudig beginnen, es in die Anfangsgründe einer <lb/>Wiſſenſchaft einzuweihen.</s> <s xml:id="echoid-s7352" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7353" xml:space="preserve">In dem kleinen Menſchenweſen aber ſpiegelt ſich ein großes <lb/>gewaltiges Stück des Weſens der Menſchheit ab, welches man <lb/>Kulturgeſchichte nennt, und das in Wahrheit den wichtigſten <lb/>Inhalt der ſogenannten Weltgeſchichte ausmacht.</s> <s xml:id="echoid-s7354" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="22" file="604" n="604"/> <p> <s xml:id="echoid-s7355" xml:space="preserve">Überblicken wir die Schätze des Geiſtes, die uns die <lb/>Völker des höchſten Altertums hinterlaſſen haben, ſo ſehen <lb/>wir die wichtigſten und bedeutſamſten Lehren ſittlicher Er-<lb/>kenntnis in einer Reife entwickelt vor uns, die noch heutigen <lb/>Tages zu den edelſten Blüten menſchlicher Kultur gerechnet <lb/>wird. </s> <s xml:id="echoid-s7356" xml:space="preserve">Indier und Parſen, Egypter und Hebräer kennen und <lb/>lehren die idealſte Moral der Menſchenliebe, dieſe Grund-<lb/>quelle alles Erhabenſten und Edelſten des Menſchendaſeins. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7357" xml:space="preserve">Sie ſind ſo tief von der Wahrheit dieſer Lehre überzeugt, daß <lb/>ſie ihre Erkenntnis einem Wunder der Offenbarung zuſchreiben <lb/>und ihr Wiſſen hiervon unter der überkommenen Form eines <lb/>Glaubens ausdrücken. </s> <s xml:id="echoid-s7358" xml:space="preserve">Aber die Spur einer <emph style="sp">Wiſſenſchaft</emph> <lb/>ſucht man vergeblich bei ihnen. </s> <s xml:id="echoid-s7359" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft, deren Weſen <lb/>darin beſteht, daß man von unbeſtreitbaren Grundthatſachen, <lb/>von Axiomen, ausgeht und nach Regeln einer feſten Logik ſich <lb/>Aufſchluß verſchafft über weitere fragliche Erſcheinungen, tritt <lb/>in der Weltgeſchichte erſt ſpät auf. </s> <s xml:id="echoid-s7360" xml:space="preserve">Das Wiſſen iſt alt, ſo alt, <lb/>daß man ſeinen Urſprung in Mythen ſucht; </s> <s xml:id="echoid-s7361" xml:space="preserve">die Wiſſenſchaft <lb/>iſt jung, ſo jung, daß wir noch immer an ihren erſten Ele-<lb/>menten zu arbeiten haben. </s> <s xml:id="echoid-s7362" xml:space="preserve">Unſere Dichter, die aus einem <lb/>unbeſtimmbaren Wiſſen heraus ihre Geſtaltungen bilden, ver-<lb/>ſtehen die Kunſt, die tiefſten, verborgenſten Regungen der <lb/><emph style="sp">Menſchenſeele</emph> vor uns zu entwickeln; </s> <s xml:id="echoid-s7363" xml:space="preserve">unſere Forſcher, die <lb/>der Sicherheit der Logik auf dem Wege der Wiſſenſchaft nach-<lb/>ſpüren, ſind noch nicht über die Frage nach den <emph style="sp">Atomen</emph> <lb/>hinaus, welche doch eigentlich die elementarſte Grundlage der <lb/>Natur-Erkenntnis iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7364" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7365" xml:space="preserve">Wiſſen und Wiſſenſchaft ſind nicht gleichbedeutend.</s> <s xml:id="echoid-s7366" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7367" xml:space="preserve">Ein Kind, das zu gehen anfängt, weiß ſehr beſtimmt, ob <lb/>es das Gleichgewicht ſeines Körpers bewahren kann oder im <lb/>Begriff iſt, dasſelbe zu verlieren. </s> <s xml:id="echoid-s7368" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft des Gehens <lb/>aber, die Auseinanderſetzung der Bedingungen, unter welchen <lb/>unſer Gehen zuſtande kommt, iſt erſt in unſerem Jahrhundert <pb o="23" file="605" n="605"/> von den in der Mathematik, Phyſik und Anatomie aus-<lb/>gezeichneten Brüdern <emph style="sp">Weber</emph> in einem großen Werke dar-<lb/>geſtellt worden und iſt noch heutigen Tages ein Gegenſtand <lb/>tiefen Studiums, das mannigfache, weitere Aufſchlüſſe wünſchens-<lb/>wert macht.</s> <s xml:id="echoid-s7369" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7370" xml:space="preserve">Daß das Auge zum Sehen eingerichtet iſt, iſt eine Wahr-<lb/>heit, welche die Menſchheit ganz ſicher ſeit vielen Jahrtau-<lb/>ſenden weiß. </s> <s xml:id="echoid-s7371" xml:space="preserve">Wie aber das Sehen zu ſtande kommt, das iſt <lb/>ein Gegenſtand der Wiſſenſchaft, welche erſt in unſerem Jahr-<lb/>hundert phyſikaliſch zum Teil erforſcht worden iſt, während alles, <lb/>was darüber hinaus im Gebiete der <emph style="sp">Phyſiologie</emph> und gar <lb/>der <emph style="sp">Pſychologie</emph> liegt, noch immer ein ungelöſtes Rätſel iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7372" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7373" xml:space="preserve">Mit dem <emph style="sp">Ohr</emph> hören wir. </s> <s xml:id="echoid-s7374" xml:space="preserve">Das iſt eine Wahrheit, welche <lb/>wir wiſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7375" xml:space="preserve">Welche Geſetze aber hierbei obwalten und welche <lb/>Rolle die uns bekannten Hör-Werkzeuge dabei ſpielen, iſt ein <lb/>Gegenſtand der Wiſſenſchaft, welche erſt in unſerem Jahrhundert <lb/><emph style="sp">angebahnt</emph> worden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7376" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7377" xml:space="preserve">Und wie mit dieſen alltäglichen und allergewöhnlichſten, <lb/>iſt es mit tauſendfachen Wahrheiten, die wir im Kulturleben <lb/>als ſicher annehmen, der Fall. </s> <s xml:id="echoid-s7378" xml:space="preserve">Wäre unſer Wiſſen von vielen <lb/>Dingen erſt abhängig von den Forſchungen der Wiſſenſchaft, <lb/>ſo würden wir auf der allerunterſten Stufe der Erkenntnis <lb/>und der Entwickelung des Menſchenweſens ſtehen. </s> <s xml:id="echoid-s7379" xml:space="preserve">— Das Wiſſen <lb/>von dem, was der menſchlichen Geſellſchaft zum Wohl gereicht, <lb/>iſt unendlich alt. </s> <s xml:id="echoid-s7380" xml:space="preserve">Auf dieſem Wiſſen beruht die ganze Kultur <lb/>vieler Jahrtauſende, in welchen Völker in der Menſchengeſchichte <lb/>entſtanden und verſchwanden. </s> <s xml:id="echoid-s7381" xml:space="preserve">Dieſes Wiſſen, in Lehrſätzen <lb/>ausgedrückt, bildet die Grundlage aller Moral, welche die <lb/>Menſchen zu Kulturweſen erhebt und ihnen einen Vorzug vor <lb/>dem Tiere giebt, das nur inſtinktiv, das heißt ohne Ahnung <lb/>eines Geſetzes, welches ſein Leben regelt, ſeine Daſeins-Bedin-<lb/>gungen erfüllt. </s> <s xml:id="echoid-s7382" xml:space="preserve">Die Geſellſchaftslehre als Wiſſenſchaft dagegen <lb/>iſt eine ſehr junge Frucht der Forſchung und entbehrt noch ſo <pb o="24" file="606" n="606"/> ſehr der Sicherheit, daß wir der Auflöſung der menſchlichen <lb/>Geſellſchaft entgegengingen, wenn wir ſie einzig und allein <lb/>auf der Baſis der Wiſſenſchaft begründen wollten. </s> <s xml:id="echoid-s7383" xml:space="preserve">— Viele, <lb/>viele Jahrtauſende hindurch haben die Menſchen gedacht und <lb/>die erhabenſten Gedanken ausgeſprochen, ohne die Geſetze des <lb/>Denkens, die Logik, wiſſenſchaftlich zu erkennen. </s> <s xml:id="echoid-s7384" xml:space="preserve">Durch viele <lb/>Jahrtauſende haben die Menſchen ein ſo beſtimmtes Gefühl <lb/>von der eigentlichen Würde des Menſchenweſens gehabt, die <lb/>im Denken liegt, daß ſie die wichtigſte aller menſchlichen Er-<lb/>findungen, die der ſchriftlichen Darſtellung ihrer Gedanken, aus-<lb/>gebildet haben, um von Geſchlecht zu Geſchlecht den Schatz <lb/>ihres Wiſſens vererben zu können. </s> <s xml:id="echoid-s7385" xml:space="preserve">Ihr Wiſſen war ihnen ſo <lb/>heilig, daß ſie deſſen Verleugnung als das ſchwerſte Verbrechen <lb/>gegen den Beruf der Menſchheit mit harten Strafen belegten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7386" xml:space="preserve">Aber erſt ſehr ſpät in der Menſchengeſchichte entſtand die <lb/>Wiſſenſchaft, welche jede gläubige Vorausſetzung abweiſt, und <lb/>nur für wahr annimmt, was entweder aus Thatſachen unbe-<lb/>ſtreitbarer Natur oder aus den Denkgeſetzen mit unabweisbarer <lb/>Folgerung angenommen werden <emph style="sp">muß</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s7387" xml:space="preserve">Der Wiſſensdrang iſt <lb/>ein alter, tiefer, unbewußter Kultur-Trieb in der Geſchichte der <lb/>Menſchheit; </s> <s xml:id="echoid-s7388" xml:space="preserve">die Wiſſenſchaft iſt die junge Frucht des Triebes, <lb/>welche die Kultur zu einer bewußten Errungenſchaft der Menſch-<lb/>heit erhebt.</s> <s xml:id="echoid-s7389" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7390" xml:space="preserve">Eigentümlich verſchieden ſind auch die Aufgaben, welche <lb/>ſich das Wiſſen und die Wiſſenſchaft ſtellen.</s> <s xml:id="echoid-s7391" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7392" xml:space="preserve">Das menſchliche Wiſſen ſtrebte bereits im graueſten Alter-<lb/>tum nach Löſung der allerhöchſten Probleme des Weltalls. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7393" xml:space="preserve">Es forſchte nach Gott, nach den Grundſätzen der Weltregierung, <lb/>nach dem Ideal eines Rechtes, nach der Menſchenſeele, nach <lb/>ihrem Urſprung und ihrem Verbleiben, nach den berechtigten <lb/>Aufgaben der menſchlichen Geſellſchaft, nach den Zielen des <lb/>Staates, nach den Geſetzen des öffentlichen und des ſtaatlichen, <lb/>wie nach den Pflichten des privaten Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s7394" xml:space="preserve">Dieſem Streben <pb o="25" file="607" n="607"/> nach dem Höchſten verdanken wir denn auch alles, was ſich <lb/>bis auf unſere Zeiten als Grundſätze der Religion, der Moral, <lb/>der Sitte, der Gewiſſens-Pflicht vererbt hat und noch immer <lb/>im ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und privaten Leben als Leit-<lb/>ſtern menſchlicher Ordnung wirkt. </s> <s xml:id="echoid-s7395" xml:space="preserve">Wo dieſes Erbe der <lb/>Menſchheit fehlt, da waltet in ihr der bloße Naturtrieb vor, <lb/>den wir “Unkultur” nennen, wie ſie bei wilden Völkerſchaften <lb/>herrſcht.</s> <s xml:id="echoid-s7396" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7397" xml:space="preserve">Der Gang der Wiſſenſchaft dagegen iſt ein ganz anderer, <lb/>ja ein entgegengeſetzter. </s> <s xml:id="echoid-s7398" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft beginnt nicht mit <lb/>Erforſchung der höchſten Probleme, ſondern mit dem Aufſuchen <lb/>der allereinfachſten Wahrheiten, die auf unbeſtreitbaren Axio-<lb/>men beruhen. </s> <s xml:id="echoid-s7399" xml:space="preserve">Sie ſtellt dieſe als die Grundlagen der Mathe-<lb/>matik feſt und geht von dieſen zu den Lehren der Mechanik <lb/>über. </s> <s xml:id="echoid-s7400" xml:space="preserve">Sie hat ſich jetzt glücklich bis zur Phyſik erhoben, <lb/>welche ſich mit den erkennbaren Kräften beſchäftigt, die in der <lb/>Natur walten. </s> <s xml:id="echoid-s7401" xml:space="preserve">Von dieſer beſcheidenen, aber ſicheren Grund-<lb/>lage aus verſucht es die Wiſſenſchaft, auch die ſehr verwickelten <lb/>Erſcheinungen der Lebens-Thätigkeit, die Geſetze der Phyſio-<lb/>logie, zu erforſchen, obwohl es unleugbar iſt, daß hierbei noch <lb/>andere, uns noch völlig unbekannte Bedingungen und Kom-<lb/>binationen mitwirken. </s> <s xml:id="echoid-s7402" xml:space="preserve">Ein Übergang von der phyſikaliſchen <lb/>Welt der <emph style="sp">unbelebten</emph> Natur zu der Thätigkeit, wie ſie als <lb/>Lebenszeichen in der <emph style="sp">organiſchen</emph> Welt zur Erſcheinung <lb/>kommt, iſt noch nicht gefunden und harrt noch eines großen <lb/>Denkers, der dereinſt dieſe Brücke auf naturwiſſenſchaftlicher <lb/>Grundlage auffinden wird. </s> <s xml:id="echoid-s7403" xml:space="preserve">Bis zum Seelenleben des Menſchen <lb/>aber wagt die neue Wiſſenſchaft kaum hinanzublicken. </s> <s xml:id="echoid-s7404" xml:space="preserve">Alles, <lb/>was wir bisher unter dem Titel einer Wiſſenſchaft mit dem <lb/>Namen Pſychologie bezeichnen, iſt nur vager Verſuch, von <lb/>welchem man ſich gegenwärtig in ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit fern <lb/>hält. </s> <s xml:id="echoid-s7405" xml:space="preserve">Wiſſenſchaftlich iſt die Exiſtenz einer Pſyche (Seele) noch <lb/>ſo ſehr fraglich und unerwieſen, daß man die Erforſchung ihrer <pb o="26" file="608" n="608"/> Erſcheinungen, wie ſie in früheren Zeiten ſehr in Aufſchwung <lb/>war, in die Träumereien der Philoſophie verweiſt. </s> <s xml:id="echoid-s7406" xml:space="preserve">Die red-<lb/>liche Wiſſenſchaft bekennt freimütig, daß ſie für die Löſung <lb/>dieſes Problems noch keinen ſicheren Anhalt ausfindig ge-<lb/>macht hat.</s> <s xml:id="echoid-s7407" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7408" xml:space="preserve">Der Unterſchied zwiſchen unſerem Wiſſen und unſerer <lb/>Wiſſenſchaft läßt ſich noch genauer kennzeichnen, wenn man die <lb/>Gebiete in Betracht zieht, über welche ſie uns belehren.</s> <s xml:id="echoid-s7409" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7410" xml:space="preserve">Das Gebiet deſſen, was wir mit vollſter Beſtimmtheit <lb/>wiſſen, ohne uns darüber eine wiſſenſchaftliche Aufklärung <lb/>geben zu können, erſtreckt ſich hauptſächlich auf die Funktionen <lb/>unſeres eigenen Körpers, auf die Welt in uns, wenn man <lb/>ſo ſagen darf. </s> <s xml:id="echoid-s7411" xml:space="preserve">Das Gebiet deſſen, worin uns die Wiſſenſchaft <lb/>ihre erhabenen Aufſchlüſſe giebt, liegt außer uns, in der Welt <lb/>draußen.</s> <s xml:id="echoid-s7412" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7413" xml:space="preserve">Ein Kind erſchrickt, wenn man ihm plötzlich eine Fall-<lb/>bewegung erteilt. </s> <s xml:id="echoid-s7414" xml:space="preserve">Es greift im Gefühl, daß ſeine Gleich-<lb/>gewichtslage geſtört iſt, mit Armen und Beinen in die Höhe, <lb/>als wollte es mit dieſer dem Fall entgegengeſetzten Richtung <lb/>ſeinen Schwerpunkt nach oben hin lenken. </s> <s xml:id="echoid-s7415" xml:space="preserve">Es iſt dies eine <lb/>Handlungsweiſe, welche wiſſenſchaftlich vollkommen gerecht-<lb/>fertigt iſt; </s> <s xml:id="echoid-s7416" xml:space="preserve">aber wenn man ſie wiſſenſchaftlich definieren will, <lb/>ſo muß man zu einem Schatz von Kenntniſſen ſeine Zuflucht <lb/>nehmen, welche die tiefſten Denker erſt nach außerordentlichen <lb/>Geiſtes-Anſtrengungen nach und nach ermittelt haben. </s> <s xml:id="echoid-s7417" xml:space="preserve">Die <lb/>Lehre von der Anziehungskraft der Erde, die Lehre von den <lb/>Geſetzen des Falles, die Lehre vom Schwerpunkt der Körper, <lb/>die Lehre von der Verſchiebung desſelben mit der Veränderung <lb/>der Lage der einzelnen Teile, all’ das ſind Ergebniſſe von <lb/>Forſchungen, die viele, viele Jahrtauſende den Menſchen ver-<lb/>ſchloſſen waren, bis erſt vor wenig Jahrhunderten der gran-<lb/>dioſe Geiſt <emph style="sp">Newtons</emph> und <emph style="sp">Galileis</emph> die Grundlage für <lb/>dieſelben geſchaffen haben.</s> <s xml:id="echoid-s7418" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="27" file="609" n="609"/> <p> <s xml:id="echoid-s7419" xml:space="preserve">Ein neugeborenes Kind verſteht vortrefflich die Bewegung <lb/>des Saugens mit Lippen, Zunge und Gaumen zu vollführen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7420" xml:space="preserve">Eine wiſſenſchaftliche Erklärung dieſer Kunſt war ſo lange <lb/>unmöglich, bis man eine Thatſache erforſchte, welche der <lb/>Menſchheit viele, viele Jahrtauſende verſchloſſen war. </s> <s xml:id="echoid-s7421" xml:space="preserve">Die <lb/>Lehre vom Luftdruck und dem Verhalten der Flüſſigkeiten unter <lb/>teilweiſer Aufhebung desſelben iſt ein Ergebnis der Wiſſen-<lb/>ſchaft, welche erſt zwei Jahrhunderte alt iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7422" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7423" xml:space="preserve">Noch wunderbarer als in den Menſchen trilt uns die <lb/>Erſcheinung eines Wiſſens in der Tierwelt auf, das man zwar <lb/>mit einem wiſſenſchaftlich klingenden Wort “Inſtinkt” belegt <lb/>hat, von dem aber jeder aufrichtige Freund der Wiſſenſchaft <lb/>geſteht, daß es für jetzt noch ein uns völlig unlösbares <lb/>Rätſel iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7424" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7425" xml:space="preserve">Eine Henne weiß nach dem erſten Tage der Brütung ſo-<lb/>fort zu unterſcheiden zwiſchen den befruchteten, entwickelungs-<lb/>fähigen und den unbefruchteten, der Entwickelung nicht fähigen <lb/>Eiern. </s> <s xml:id="echoid-s7426" xml:space="preserve">Sie wirft die letzteren aus ihrem Neſte und bethätigt <lb/>dabei ein Wiſſen, deſſen wir uns nicht rühmen können. </s> <s xml:id="echoid-s7427" xml:space="preserve">Erſt <lb/>wenn wir die Schale aufgebrochen und die Keimblättchen <lb/>der Eier mit dem Mikroſkop ſorgfältig unterſuchen, bemerken <lb/>wir einen Unterſchied, den die Henne an den unverletzten <lb/>Eiern richtig erkannt hat.</s> <s xml:id="echoid-s7428" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7429" xml:space="preserve">Der ſogenannte Inſtinkt der Brieftaube, welcher ſie ohne <lb/>Kompaß und Landkarte lehrt, ihre Heimats- und Brutſtätte <lb/>aufzufinden, ſelbſt wenn ſie in wohlverſchloſſenem Kaſten an <lb/>hundert Meilen weit von ihr entfernt worden iſt, bildet für <lb/>uns ein Rätſel ganz unlösbarer Natur.</s> <s xml:id="echoid-s7430" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7431" xml:space="preserve">Wiſſenſchaftlich ſteht es feſt, daß unſer Auge uns nicht <lb/>die Gegenſtände der Außenwelt zeigt, ſondern nur auf unſerer <lb/>Netzhaut ein Lichtbildchen dieſer Gegenſtände entſtehen läßt <lb/>und es erſt unſerem Urteil anheimgegeben iſt, durch Erfahrung <lb/>zu ermitteln, wie das, was wir auf der Nerventapete unſeres <pb o="28" file="610" n="610"/> Auges wahrnehmen, eine Folge der Lichteinwirkung der Gegen-<lb/>ſtände iſt, die draußen exiſtieren. </s> <s xml:id="echoid-s7432" xml:space="preserve"><emph style="sp">Helmholtz</emph> hat mit außer-<lb/>ordentlichem Scharfſinn zu erklären geſucht, wie dieſes Urteil, <lb/>dieſer Schluß von der inneren Wahrnehmung auf die äußere Er-<lb/>ſcheinung in uns zu ſtande kommt; </s> <s xml:id="echoid-s7433" xml:space="preserve">allein auch dieſe wiſſenſchaft-<lb/>liche Erklärung erſcheint unvollkommen, wenn man ſich die Frage <lb/>vorlegt, woher es kommt, daß ein neugeborenes Kalb ſofort, nach-<lb/>dem es die Augen geöffnet, auf die Mutter zugeht, um zu <lb/>ſangen. </s> <s xml:id="echoid-s7434" xml:space="preserve">Woher weiß dieſes Tier ohne jegliche Erfahrung, daß <lb/>das Lichtbildchen der Mutter auf der Netzhaut ſeines Auges <lb/>von der Exiſtenz derſelben in der Außenwelt herrührt? </s> <s xml:id="echoid-s7435" xml:space="preserve">Iſt es <lb/>in dieſem Falle undenkbar, ein Urteil, einen geiſtigen Schluß <lb/>vorauszuſetzen, ſo ſind wir wiederum auf den “Inſtinkt” ver-<lb/>wieſen, was aber nichts weiter als ein Wort für ein wiſſen-<lb/>ſchaftlich unerklärtes Rätſel iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7436" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7437" xml:space="preserve">All’ ſolche Thatſachen und die Wahrnehmung, wie die <lb/>wichtigſten Lebensfunktionen bei uns zur Ausübung kommen, <lb/>ohne ein wiſſenſchaftliches, genetiſches Erkennen derſelben, hat <lb/>einen nicht unbedeutenden Denker, <emph style="sp">Eduard v. Hartmann</emph>, <lb/>veranlaßt, unter dem Titel “Philoſophie des Unbewußten” unſer <lb/>ganzes geiſtiges Erkenntnisvermögen in Abrede zu ſtellen und <lb/>in übertriebener Weiſe aus einer gewiſſen Verehrung des un-<lb/>bewußt in uns Wirkenden eine Art Religion zu entwickeln.</s> <s xml:id="echoid-s7438" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7439" xml:space="preserve">Dieſem Verſuch gegenüber tritt in neuerer Zeit das ganz <lb/>entgegengeſetzte Beſtreben auf, unſere wiſſenſchaftlich entwickelte <lb/>Erkenntnis einzig und allein als Maßſtab und Richtſchnur <lb/>unſerer Handlungsweiſe hinzuſtellen und alles von uns zu <lb/>weiſen, was in der Menſchengeſchichte von je her auf uns <lb/>unter der Form von Religion, Sitte, moraliſchem Geſetz, <lb/>Staatenbildung und ſozialer Ordnung vererbt worden iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7440" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7441" xml:space="preserve">Beſtrebungen dieſer Art ſind eine ernſte Mahnung für <lb/>jeden Freund der Wahrheit, der nicht in theoretiſchen Lieb-<lb/>habereien befangen iſt, aus der Kulturgeſchichte der Menſch- <pb o="29" file="611" n="611"/> heit und der Entwickelungsgeſchichte der ſtrengen Wiſſenſchaft <lb/>die Lehre ſelber zu entnehmen, wo die Wurzel alles deſſen zu <lb/>ſuchen iſt, was ſich dem Menſchengeiſt einerſeits unbewußt <lb/>darbietet, und was ihn andererſeits zu dem Lichte einer gene-<lb/>tiſchen Erkenntnis emporhebt.</s> <s xml:id="echoid-s7442" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7443" xml:space="preserve">Verſuchen wir dieſe Prüfung an der Hand der Menſchen-<lb/>geſchichte, ſo nehmen wir wahr, daß in dem Menſchengeſchlechte, <lb/>ſo weit wir nur deſſen Spur in verwichenen Jahrtauſenden <lb/>verfolgen können, ein tiefer Seelentrieb waltet, ſich aus tie-<lb/>riſchem Zuſtande zu erheben und nach Geſetz und Regel ſein <lb/>Daſein zu ordnen. </s> <s xml:id="echoid-s7444" xml:space="preserve">Leiblich — das iſt wahr — iſt der Menſch <lb/>den höheren Tiergattungen ſo außerordentlich ähnlich, daß er <lb/>nur wie eine natürlich entwickeltere Reihenfolge derſelben er-<lb/>ſcheint. </s> <s xml:id="echoid-s7445" xml:space="preserve">Dieſe Thatſache kann niemand leugnen und ſtellt <lb/>ſelbſt derjenige jetzt nicht mehr in Abrede, der im ſtrengſten <lb/>Wortglauben den Menſchen als nach dem “Ebenbilde Gottes” <lb/>geſchaffen wähnt. </s> <s xml:id="echoid-s7446" xml:space="preserve">Aber eben ſo unbeſtreitbar iſt es, daß geiſtig <lb/>der Menſch ein Weſen anderer Art iſt als ſelbſt das mit den <lb/>vorzüglichſten Inſtinkten begabte Tier.</s> <s xml:id="echoid-s7447" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7448" xml:space="preserve">Die Tierwelt, das iſt eine unbeſtreitbare Thatſache, ſteht <lb/>unter einer Naturherrſchaft, der ſie ſich nicht zu entziehen ver-<lb/>mag. </s> <s xml:id="echoid-s7449" xml:space="preserve">Verändert ſich das Klima, ſo ſterben ganze Tierge-<lb/>ſchlechter ans. </s> <s xml:id="echoid-s7450" xml:space="preserve">Wir finden nach Jahrtauſenden ihre Überreſte <lb/>als ein Zeugnis, daß ſie der Herrſchaft der Naturzuſtände <lb/>unterlegen ſind und nur diejenigen Gattungen ſich erhalten <lb/>haben, welche ſich nach und nach den Zuſtänden der äußeren <lb/>Natur anzupaſſen im ſtande waren. </s> <s xml:id="echoid-s7451" xml:space="preserve">Alle Überreſte ausgeſtorbe-<lb/>ner <emph style="sp">Menſchengeſchlechter</emph> aber überzeugen uns, daß ſelbſt <lb/>in den roheſten Zuſtänden eine wohlbewußte Herrſchaft über <lb/>die Natur in ihnen vorgewaltet hat. </s> <s xml:id="echoid-s7452" xml:space="preserve">Ja, wir erkennen dieſe <lb/>Überreſte auch nur durch die Werkzeuge, welche ſich die Menſchen <lb/>verfertigen, um ſich zur Beherrſchung der äußeren Naturkräfte <lb/>emporzuheben. </s> <s xml:id="echoid-s7453" xml:space="preserve">Die rohe Steinaxt, die in Ausgrabungen ge- <pb o="30" file="612" n="612"/> funden wird, erzählt uns, daß an der Fundſtätte Menſchen <lb/>gelebt haben vor vielen, vielen Jahrtauſenden, bevor der ver-<lb/>änderte Naturzuſtand den Lauf der Flüſſe verändert, bevor <lb/>Eiswanderungen Felsmaſſen verſchoben und Gletſcher die Ge-<lb/>ſteine zu Staub zerrieben und mit Kiesgeröllen den ehemaligen <lb/>Wohnſitz unter haushohen Ablagerungen begruben. </s> <s xml:id="echoid-s7454" xml:space="preserve">Aber die-<lb/>ſelben Funde erzählen uns zugleich, daß auch in jenen Zeiten, <lb/>die von den unſrigen wohl um viele Tauſende von Jahren <lb/>getrennt ſein mögen, der Menſch ſich nicht der rohen Natur-<lb/>Herrſchaft fügte, daß er das Klima zu überwältigen verſtand <lb/>durch künſtliche Erzeugung von Wärme, daß er der leiblich <lb/>mächtigeren Tierwelt ſeine Herrſchaft auferlegte durch künſtliche <lb/>Herſtellung von Werkzeugen, mit welchen er ſie erlegte. </s> <s xml:id="echoid-s7455" xml:space="preserve">Die <lb/>Überreſte der Pfahlbauten lehren uns, daß der Menſch vor <lb/>vielen, unberechenbaren Jahrtauſenden den Wald ſich dienſtbar <lb/>zu machen verſtand und das Waſſer zu ſeiner Schutzmauer <lb/>geſtaltete, um eine geſicherte Wohnſtätte für ſeine Ruhe zu <lb/>haben. </s> <s xml:id="echoid-s7456" xml:space="preserve">Ja, wir erkennen die Spur des älteſten Menſchen-<lb/>daſeins nur daran, daß wir die Überreſte all’ ſeiner Vorrich-<lb/>tungen entdecken, mit welchen er ſich gegen die Oberherrſchaft <lb/>der Naturkräfte und der mächtigen Tierwelt wehrte.</s> <s xml:id="echoid-s7457" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7458" xml:space="preserve">Die Menſchengeſchichte unterſcheidet ſich von der der Tier-<lb/>welt auch ganz beſonders noch dadurch, daß ſie einen Fort-<lb/>ſchritt nachweiſt in den Mitteln, ſich die Natur dienſtbar zu <lb/>machen. </s> <s xml:id="echoid-s7459" xml:space="preserve">Wie wunderbar der Zellenbau der Biene, das Ge-<lb/>webe der Spinne, das Neſt der Vögel iſt, man hat trotz aller <lb/>Mühen noch nicht erforſcht, daß es im Lauf der Jahrtauſende <lb/>von den Tieren verbeſſert worden iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7460" xml:space="preserve">Die Fertigkeit ſteht <lb/>fertig da und iſt ſogar fertig vorgebildet in jedem Tiere, ſelbſt <lb/>wenn es niemals die Künſte ſeiner Vorfahren vor ſich geſehen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7461" xml:space="preserve">Inſekten, welche im Frühling aus den Eiern kriechen, nachdem <lb/>bereits im Herbſte ihre Erzeuger geſtorben, und wiederum nach <lb/>kurzem Daſein abſterben, ohne die Entwickelung ihrer Nach- <pb o="31" file="613" n="613"/> kommen aus den Eiern jemals zu ſehen, beſitzen die für uns <lb/>unerklärliche Kunſt, ihre Brutſtätte dort anzulegen, wo die <lb/>junge Brut ſofort die Nahrung für ihren Lebensunterhalt <lb/>finden wird. </s> <s xml:id="echoid-s7462" xml:space="preserve">Die Annahme, die Tiere würden durch eigene <lb/>Erfahrungen in ihrer Handlungsweiſe belehrt, iſt in ſolchen <lb/>Fällen ganz undenkbar.</s> <s xml:id="echoid-s7463" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7464" xml:space="preserve">Die Tierwelt, belehrt in ihren Lebensbedingungen von <lb/>einer uns unerklärlichen Leitung, die wir Inſtinkt nennen, iſt <lb/>auch wiederum wehrlos gegenüber Naturkräften, wo ſie dieſer <lb/>Leitung entbehrt.</s> <s xml:id="echoid-s7465" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7466" xml:space="preserve">Im Weſen des Menſchengeſchlechts tritt uns eine andere <lb/>Erſcheinung entgegen. </s> <s xml:id="echoid-s7467" xml:space="preserve">Auch hier waltet Inſtinkt vor, ohne <lb/>deſſen Wirkſamkeit die Lebensmöglichkeit nicht vorhanden wäre; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7468" xml:space="preserve">aber er herrſcht nicht blind und nicht unabänderlich, ſondern <lb/>regt Urteil und Willen an — Urteil, um die Urſachen zu er-<lb/>gründen, woher die Macht des unbewußt Wirkenden ſtammt, <lb/>und Willen, um wiſſentlich die Mittel herbeizuſchaffen, der <lb/>blinden Herrſchſucht der Naturkräfte entgegenzuwirken.</s> <s xml:id="echoid-s7469" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7470" xml:space="preserve">Finden wir Überreſte untergegangener Weſen aus unbe-<lb/>ſtimmbar uralten Zeiten, ſo iſt es ſelbſt dem forſchenden Blick <lb/>gar nicht ſo leicht zu unterſcheiden, ob man den Schädel einer <lb/>hochentwickelten Tiergattung oder den eines Menſchen vor ſich <lb/>hat. </s> <s xml:id="echoid-s7471" xml:space="preserve">Unterſucht man aber die Umgebung und findet ein <lb/>Kohlenhäufchen, ein Steinwerkzeug, eine Grabeshöhle, wenn <lb/>auch der roheſten Art, ſo iſt es ein unzweifelhaftes Merkmal, <lb/>daß hier der Geiſt des Menſchen gewaltet. </s> <s xml:id="echoid-s7472" xml:space="preserve">Das Sklaventum <lb/>des Tieres und die Herrſchergewalt des Menſchen zeigen den <lb/>Unterſchied in unbezweifelbaren Merkmalen.</s> <s xml:id="echoid-s7473" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7474" xml:space="preserve">Fragen wir uns nach dem Urgrund dieſer Unterſchiede, ſo <lb/>gewahrt man, daß uns ſchon die älteſten Urkunden der Men-<lb/>ſchengeſchichte hierüber einen Aufſchluß geben wollen. </s> <s xml:id="echoid-s7475" xml:space="preserve">Es iſt <lb/>in hohem Grade beachtenswert, wie die dichteriſche Darſtellung <lb/>der Schöpfungsgeſchichte in der Bibel bereits das weſentlichſte <pb o="32" file="614" n="614"/> Merkmal der Menſchennatur in die Herrſchergabe über die <lb/>Naturkräfte verlegt. </s> <s xml:id="echoid-s7476" xml:space="preserve">Gott ſegnet die Menſchen und ſpricht zu <lb/>ihnen: </s> <s xml:id="echoid-s7477" xml:space="preserve">“erfüllet die Erde und beherrſchet ſie!” Der Dichter <lb/>dieſes Mythus, der nicht wußte, daß Tag und Nacht, Licht und <lb/>Finſternis auf der Erde von der Sonne und der Umdrehung <lb/>der Erde um ihre Axe herrührt, der Sonne und Mond und <lb/>das ganze Heer der Fixſternwelt unterſchiedslos mit einem <lb/>Male entſtehen läßt, er hatte über das Menſchenweſen eine <lb/>bewunderungswürdig richtige Anſchauung. </s> <s xml:id="echoid-s7478" xml:space="preserve">Er läßt ihn als <lb/>Kulturgeſchöpf auftreten; </s> <s xml:id="echoid-s7479" xml:space="preserve">denn Kultur iſt ja nichts Anderes <lb/>als die Unterwerfung und die Dienſtbarmachung aller Natur-<lb/>kräfte zum Beſten des Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s7480" xml:space="preserve">Entſprechend dieſer dichte-<lb/>riſchen Anſchauung, die noch heutigen Tages viele Gemüter <lb/>beherrſcht und als Glaubens-Wahrheit in Millionen Menſchen <lb/>fortlebt, iſt die ganze Natur fertig aus der Hand eines all-<lb/>mächtigen Schöpfers hervorgegangen und der Menſch, ein <lb/>Abbild desſelben, als Herrſcher auf die Erde geſetzt. </s> <s xml:id="echoid-s7481" xml:space="preserve">In <lb/>richtiger Konſequenz dieſer gläubigen Aunahme iſt auch alles, <lb/>was das Menſchenweſen von dem Tierweſen unterſcheidet, <lb/>nicht ein Produkt des menſchlichen Geiſtes und ſeiner Ent-<lb/>wickelungsfähigkeit, ſondern das Produkt einer ihm oktroyierten <lb/>Offenbarung aus dem Geiſte ſeines Schöpfers. </s> <s xml:id="echoid-s7482" xml:space="preserve">Sitte, Geſetz, <lb/>Staat, Geſellſchaft, alles iſt hiernach in Offenbarungs-Geſetzen <lb/>dem Menſchen als Lehre angewieſen, ein fertiges Gnaden-<lb/>geſchenk, das er empfangen hat und in Gehorſam erfüllen ſoll. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7483" xml:space="preserve">Sein Wiſſen iſt nach dieſer religiöſen Anſchauung nicht gene-<lb/>tiſches Ergründen, ſondern ein Aufnehmen des ihm in Gnade <lb/>Verliehenen. </s> <s xml:id="echoid-s7484" xml:space="preserve">Sein Forſchen hat eine Grenze an dem, was ihm <lb/>ein- für allemal gegeben. </s> <s xml:id="echoid-s7485" xml:space="preserve">Hierin, in dem Offenbarten, iſt alles <lb/>enthalten in einer Vollkommenheit, wie der Geber ſelber voll-<lb/>kommen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7486" xml:space="preserve">Es iſt wohl ein Vertiefen, ein weiteres Suchen <lb/>nach dem richtigſten Verſtändnis der Offenbarung, nicht aber <lb/>ein Erheben über dieſelbe möglich. </s> <s xml:id="echoid-s7487" xml:space="preserve">Hier liegt die Quelle alles <pb o="33" file="615" n="615"/> Wiſſens, aus der alles entſpringt, was die Menſchheit, der es <lb/>offenbart worden iſt, über die bewußtloſe Natur und all’ ihre <lb/>Geſchöpfe erhebt.</s> <s xml:id="echoid-s7488" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7489" xml:space="preserve">Überſchauen wir nun die Menſchengeſchichte, ſo weit ſie <lb/>uns in allen ihren Schöpfungen zugänglich iſt, ſo iſt es un-<lb/>verkennbar, daß dieſe gläubige Anſchauung dem geſamten <lb/>Menſchengeſchlechte gemeinſam eigen iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7490" xml:space="preserve">Wie verſchieden auch <lb/>die Darſtellungen, die dichteriſchen Ausſchmückungen des Glau-<lb/>bens in den verſchiedenen Völkern auftreten, ſo ſehr ſtimmen <lb/>ſie doch in dem Grundgedanken überein, daß ein Geiſt oder <lb/>mehrere geiſtige Weſen unveränderlicher und ewiger Natur <lb/><emph style="sp">über</emph> dem Weltall walten und aus deren Willen und Schaffen <lb/>alles entſprungen iſt, was wir Natur nennen, und was des <lb/>Menſchen Schaffen und Walten in derſelben hervorgebracht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7491" xml:space="preserve">Hierin und nur hierin liegt auch die Quelle und — die Grenze <lb/>ſeines Wiſſens.</s> <s xml:id="echoid-s7492" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7493" xml:space="preserve">Blicken wir wiederum auf dieſes Walten und Schaffen, ſo <lb/>können wir es in der That nicht leugnen, daß dieſem Boden <lb/>eines dunklen Wiſſens alles Edle und Große, Reine und Er-<lb/>habene entſproſſen iſt, was die Menſchengeſchichte von Lehren <lb/>der Sitte, von Weisheit der Geſetze, von Leitung der Moral, <lb/>von Pflichten der Geſellſchaft, vom Bündnis des Familien-<lb/>lebens, von Ordnung des Staatsweſens auf uns vererbt hat. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7494" xml:space="preserve">Nicht bloße Inſtinkte ſind das größte Rätſel, ſondern ein viel <lb/>größeres iſt es, wie auf dem Boden von Mythen und Sagen <lb/>eine Menſchenwelt ſich geſtaltet hat, welcher wir die höchſten <lb/>und weiſeſten Lehren der Moral und der Sitte verdanken. </s> <s xml:id="echoid-s7495" xml:space="preserve"><lb/>Der aufrichtige Freund der Wahrheit muß geſtehen, daß wir <lb/>vor den alten Geboten der Gerechtigkeit, der Menſchenliebe, <lb/>der Fürſorge für das Menſchenwohl, der Bruderpflicht, der <lb/>Familienheiligkeit, der Geſellſchaftsordnung und des Staaten-<lb/>bandes, wie vor vollendeten Schöpfungen ſtehen, deren Ver-<lb/>breitung und Geltung wir zu erſtreben haben, aber zu deren</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7496" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s7497" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s7498" xml:space="preserve">Volksbücher XXI.</s> <s xml:id="echoid-s7499" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="34" file="616" n="616"/> <p> <s xml:id="echoid-s7500" xml:space="preserve">Vervollkommnung wir kaum etwas hinzuzuſetzen wiſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7501" xml:space="preserve">Unſere <lb/>Civiliſationsbeſtrebungen beſtehen nicht in neuen Lehren, ſon-<lb/>dern nur in Klärung und Verallgemeinerung uralter Grund-<lb/>züge, die oft in unübertrefflichen Worten uns überkommen ſind. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7502" xml:space="preserve">Was die Menſchengeſchichte uns aus alten Zeiten als Offen-<lb/>barung überliefert hat, iſt für jedes edle Menſchenherz noch <lb/>heute ein Wiſſen, dem es ſich hingiebt in der freudigen Sicher-<lb/>heit, daß in ihr die Quelle des ſittlichen Wohls liegt, welche <lb/>den reinſten Beruf der Menſchen ausmacht.</s> <s xml:id="echoid-s7503" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7504" xml:space="preserve">Es iſt ein Wiſſen, dem wir uns nicht entſchlagen können, <lb/>wenn wir nicht das ganze Band zerreißen wollen, welches uns <lb/>mit der Kultur-Entwickelung der Menſchen verknüpft. </s> <s xml:id="echoid-s7505" xml:space="preserve">— Wie <lb/>aber verhält ſich hierzu die Wiſſenſchaft? </s> <s xml:id="echoid-s7506" xml:space="preserve">Wenn wir mit dem <lb/>Namen Wiſſenſchaft nur diejenigen Geiſtesſchöpfungen bezeich-<lb/>nen, welche fern von Spekulation und vorgefaßter Tendenz nur <lb/>als Ergebniſſe der Beobachtungen, der Experimente und der <lb/>Berechnungen daſtehen, ſo charakteriſiert ſich dieſelbe in allen <lb/>Punkten als die vollſte Abweiſung jenes Wiſſens dunkeln Ur-<lb/>ſprunges. </s> <s xml:id="echoid-s7507" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft im ſtrengen Sinne dieſes Wortes <lb/>iſt die Konſequenz einer Logik unſeres Verſtandes, welche nichts <lb/>für wahr hält, was nicht ſeine Baſis in unumſtößlichen Axiomen <lb/>hat, wie es in der Mathematik der Fall iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7508" xml:space="preserve">Man kann in der <lb/>That ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s7509" xml:space="preserve">unſere Wiſſenſchaft hat ihre Grundquelle in der <lb/>Mathematik und datiert erſt aus der Zeit des Griechentums, <lb/>wo man zum erſtenmal unterſcheiden lernte zwiſchen einer un-<lb/>umſtößlichen Gewißheit und einem möglichen Meinen. </s> <s xml:id="echoid-s7510" xml:space="preserve">In der <lb/>Wiſſenſchaft gilt keine andere Autorität, als die der allgemeinen <lb/>Denkgeſetze. </s> <s xml:id="echoid-s7511" xml:space="preserve">In ihr muß jede Behauptung, welche auf Wahr-<lb/>heit Anſpruch macht, auf Beweiſe geſtützt ſein, die kein Men-<lb/>ſchenverſtand beſtreiten kann, wenn er ſich nicht ſelber wider-<lb/>ſprechen will. </s> <s xml:id="echoid-s7512" xml:space="preserve">Für die Wiſſenſchaft giebt es kein Heiligtum, <lb/>keine Tradition, keine Empfindung, kein Wollen, kein Wünſchen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7513" xml:space="preserve">Ob eine Behauptung beglückend oder bedrückend, beſeligend <pb o="35" file="617" n="617"/> oder beängſtigend iſt, ob ſie der Moral, der Tugend, dem <lb/>Wohlwollen unſeres Herzens und dem Wohlgefühl unſeres <lb/>Gemütes entſpricht oder nicht, das gilt der ſtrengen Wiſſenſchaft <lb/>gleich. </s> <s xml:id="echoid-s7514" xml:space="preserve">Sie hat nur ein Ziel im Auge, die unwiderſprechliche <lb/>Wahrheit und nur einen Maßſtab, dieſe zu erkennen, den <lb/>mathematiſchen und logiſchen Beweis.</s> <s xml:id="echoid-s7515" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7516" xml:space="preserve">Daher iſt denn auch das Gebiet dieſer in aller Strenge <lb/>waltenden Wiſſenſchaft noch ſehr fern von dem weiten Umfang, <lb/>welchen unſer Wiſſen für ſich in Anſpruch nimmt. </s> <s xml:id="echoid-s7517" xml:space="preserve">Religion, <lb/>Moral, Sitte, Recht, Geſetz, alles, was in Staat und Geſell-<lb/>ſchaft leitend in der Menſchheit waltet, liegt auf einem Gebiete, <lb/>welches die ſtrenge Wiſſenſchaft in Wahrheit noch nicht be-<lb/>herrſcht. </s> <s xml:id="echoid-s7518" xml:space="preserve">— Der mathematiſchen Berechnung iſt es möglich, den <lb/>Lauf eines Geſtirnes auf Jahrtauſende hinaus zu beſtimmen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7519" xml:space="preserve">aber dem Rechner iſt der Lauf ſeines eigenen Ich verſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7520" xml:space="preserve"><lb/>Die Wiſſenſchaft dringt tief ins Weltall ein, um den Bewegungs-<lb/>geſetzen in den fernſten Regionen nachzuſpüren; </s> <s xml:id="echoid-s7521" xml:space="preserve">aber was ein <lb/>Menſchenherz ſeeliſch bewegt, iſt ihr ein ungelöſtes Rätſel. </s> <s xml:id="echoid-s7522" xml:space="preserve"><lb/>Es erſchließen ſich ihr die draußen in der Natur waltenden <lb/>Geſetze und Zuſtände, von welchen die frühere Menſchheit keine <lb/>Ahnung hatte; </s> <s xml:id="echoid-s7523" xml:space="preserve">aber was ahnend in der Menſchenſeele waltet <lb/>und zum bindenden Geſetz des Lebens zwiſchen Menſch und <lb/>Menſchen ſeit Jahrtauſenden geworden iſt, dafür beſitzt die <lb/>ſtrenge Wiſſenſchaft kein Fernrohr, kein Vergrößerungsglas, <lb/>kein Spektroſkop und keinen Gradmeſſer. </s> <s xml:id="echoid-s7524" xml:space="preserve">Sie übt Kritik an <lb/>den Mythen des Altertums und weiſt überzeugend nach, daß <lb/>ſie — ſoweit ſie die Naturerſcheinungen draußen betreffen — <lb/>auf irriger Anſchauung beruhen; </s> <s xml:id="echoid-s7525" xml:space="preserve">aber für das thatſächliche, <lb/>dieſen Mythen entſproſſene Kulturleben der Menſchengeſchichte <lb/>hat ſie noch keinen Erſatz zu ſchaffen vermocht. </s> <s xml:id="echoid-s7526" xml:space="preserve">Sie zerſtört <lb/>das Wunder, ſchwört den Glauben ab, widerſpricht der Auto-<lb/>rität, ſie hat die Hoffnung auf den Himmel, die Furcht vor <lb/>der Hölle vernichtet, ſie leugnet die Vorſehung und vernichtet <pb o="36" file="618" n="618"/> den Zufall, ſie zertrümmert eine herkömmliche Weltanſchauung, <lb/>aber ſie hat für die Ordnung des menſchlichen inneren Ge-<lb/>triebes und des geſellſchaftlichen Zuſammenhanges die neue <lb/>Formel noch nicht aufgefunden.</s> <s xml:id="echoid-s7527" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7528" xml:space="preserve">Verhehlen wir uns nicht, daß ein ſolcher Zwieſpalt exiſtiert <lb/>zwiſchen dem Wiſſen dunkeln Urſprunges, das die Menſchheit <lb/>zeither in geſitteten Bahnen geleitet, und der ſtrengen Wiſſen-<lb/>ſchaft, die das herkömmliche Weltbild in allen ſeinen Vor-<lb/>ſtellungen als Täuſchung aufgedeckt hat. </s> <s xml:id="echoid-s7529" xml:space="preserve">Schon ſeit Jahr-<lb/>hunderten iſt dieſer Zwieſpalt den klareren Geiſtern offenbar, <lb/>wenngleich ſie in Ehrfurcht oder in Beſcheidenheit, in Toleranz <lb/>oder in ſtiller Verzweiflung ihn aufzudecken ſich ſcheuten. </s> <s xml:id="echoid-s7530" xml:space="preserve">In <lb/>unſerer Zeit aber tritt ein Geiſt der Wahrheitsliebe einerſeits <lb/>und ein Geiſt der Zertrümmerungsluſt andererſeits offener als <lb/>je hervor und fordert uns heraus zum Bekenntnis dieſes Zwie-<lb/>ſpaltes! Und mitten in dieſem Andrängen, das jeden Denken-<lb/>den erfaßt, erhebt ſich auf der einen Seite der Dünkel laien-<lb/>hafter Geiſter, die nach gebrechlichen Rezepten wiſſenſchaftlichen <lb/>Anſcheins vorgeben, alles zu wiſſen, und auf der andern Seite <lb/>die thörichte Anmaßung, die in Glaubensmärchen ſchwelgt und <lb/>heilverkündend der Welt zuruft: </s> <s xml:id="echoid-s7531" xml:space="preserve">ich bin unfehlbar.</s> <s xml:id="echoid-s7532" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7533" xml:space="preserve">All dem gegenüber iſt es Pflicht der beſcheidenen Wahr-<lb/>heitsliebe, offen zu bekennen, daß wir den Zwieſpalt zu löſen <lb/>und die Entſcheidung endgiltig zu treffen nicht im ſtande ſind; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7534" xml:space="preserve">aber hinzufügen dürfen wir: </s> <s xml:id="echoid-s7535" xml:space="preserve">es gereicht unſerem Jahrhundert <lb/>reicher Erkenntnis nicht zur Schmach, ſondern zur Ehre, daß <lb/>die beſſeren Geiſter von dem Wahn der Allwiſſenheit frei ſind <lb/>und der richtigeren Erkenntnis leben, daß die Reihe der Men-<lb/>ſchengeſchlechter vor uns und nach uns durch eine Kette des <lb/>Fortſchritts verbunden iſt, in welcher wir nur ein einzelnes <lb/>Glied ausmachen. </s> <s xml:id="echoid-s7536" xml:space="preserve">Auf der Stufenleiter der Erkenntnis ſtehen <lb/>wir nicht an der erſten unterſten Sproſſe, die den Urbeginn <lb/>des Menſchendaſeins bildet und nicht auf der letzten, wo uns <pb o="37" file="619" n="619"/> die Rätſel alles Daſeins gelöſt vorliegen, ſondern auf einer <lb/>mittleren Sproſſe der Erkenntnis, wo wir ererbte Wahrnehmungen <lb/>zu erweitern und im Wahrheitsdienſt vermehrt unſern Nachfolgeru <lb/>zu vererben haben. </s> <s xml:id="echoid-s7537" xml:space="preserve">Wir haben nicht zu erſchrecken vor der <lb/>Forſchung, welche in unſerm leiblichen Gebilde ein nach natur-<lb/>gemäßer Entwickelung vollendeteres Urbild zeigt, das bereits <lb/>in der Tierwelt typiſch angelegt und bis zur nahen Ver-<lb/>wandtſchaft der Art ausgeprägt iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7538" xml:space="preserve">Aber es demütigt uns <lb/>nicht, ſondern erhebt uns, es zu wiſſen, daß auch in den aller-<lb/>älteſten und roheſten Überreſten des Menſchendaſeins ein Geiſt <lb/>waltete, der ſich wehrt gegen jede Naturmacht, ein <emph style="sp">Geiſt</emph> lebte, <lb/>der zum Walde ſpricht: </s> <s xml:id="echoid-s7539" xml:space="preserve">diene uns! der dem Strom gebietet: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7540" xml:space="preserve">trage mich! der zum Winde ſpricht: </s> <s xml:id="echoid-s7541" xml:space="preserve">ſchwelle meine Segel, treibe <lb/>meine Mühle! zum Feuer: </s> <s xml:id="echoid-s7542" xml:space="preserve">erwärme meine Hütte, erleuchte <lb/>meine Nacht! Ein Geiſt, der die Erdſcholle umbricht und das <lb/>Wachstum der Nutzpflanze ihr aufzwingt, der zum Berge <lb/>ſpricht: </s> <s xml:id="echoid-s7543" xml:space="preserve">ebene Dich! zum Thale: </s> <s xml:id="echoid-s7544" xml:space="preserve">fülle Dich! der Klüfte und <lb/>Abgründe überbrückt. </s> <s xml:id="echoid-s7545" xml:space="preserve">Aus den erſten Spuren des Menſchen-<lb/>daſeins leuchtet uns ein Geiſt des Herrſchertums entgegen, <lb/>der ſich fortſchreitend entwickelnd anders, ganz anders zeigt, <lb/>als der dumpfe, dunkele, unabänderliche Inſtinkt des Tieres, <lb/>dem wir leiblich ſo nahe verwandt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7546" xml:space="preserve">Dieſer Geiſt iſt <lb/>es, der noch heute dem Kompaß gebietet, uns den Weg in <lb/>unbekannten Richtungen zu führen, dem Dampf, uns ein all-<lb/>gewaltiger Diener zu ſein; </s> <s xml:id="echoid-s7547" xml:space="preserve">der Geiſt, der die Erde öffnet, um <lb/>uns Metalle anſtatt Steine zu geben, der durch die Alpen-<lb/>gebirge Tunnel bricht, durch Weltmeere Kabel legt, der im un-<lb/>endlichen Raume in den Nebelflecken werdenden Welten und im <lb/>unendlich Kleinen unſichtbaren Atomen nachſpürt! Unſer Leib iſt <lb/><emph style="sp">nicht</emph> nach dem Ebenbilde Gottes geſchaffen, aber unſer Geiſt iſt <lb/>nicht eine Entwickelung deſſen, was im Tiere lebt. </s> <s xml:id="echoid-s7548" xml:space="preserve">Glauben <lb/>wir auch nicht dem Mythus, daß ein Gott es geſprochen, ſo <lb/>ſtaunen wir doch die erhabene Seele eines die Wahrheit <pb o="38" file="620" n="620"/> ahnenden Dichters an, der den Gott ſprechen ließ zum erſten <lb/>Menſchen: </s> <s xml:id="echoid-s7549" xml:space="preserve">erfülle die Erde und beherrſche ſie! Es tritt uns <lb/>in ſolchen Worten aus grauer Vorzeit ein <emph style="sp">Wiſſen</emph> entgegen, <lb/>das dem Genius einer ſpät erwachten <emph style="sp">Wiſſenſchaft</emph> pro-<lb/>phetiſch vorangeleuchtet.</s> <s xml:id="echoid-s7550" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7551" xml:space="preserve">Wir ſind die Erben großer Geiſteserrungenſchaften, deren <lb/>Urſprung wir nicht kennen. </s> <s xml:id="echoid-s7552" xml:space="preserve">Die Sprache, die Kunſt, die <lb/>Buchſtabenſchrift, die Staatenbildung, die Geſetzesregel, die <lb/>Lehren der Moral, die Ordnung der Sitte und das Kleinod <lb/>alles Menſchenweſens, die <emph style="sp">Menſchenliebe</emph>, ſie ſind einer <lb/>Geneſis entſprungen, die unſere mathematiſche Berechnung <lb/>nicht zu erforſchen vermag. </s> <s xml:id="echoid-s7553" xml:space="preserve">Die Kraft dieſes Erbes lebt fort <lb/>in uns, wenngleich nur als ein Wiſſen dunklen Urſprunges, <lb/>und es bewährt auch ſeine Macht über uns in einer tief ver-<lb/>borgenen, aber zur Stunde der Prüfung laut in uns ſprechen-<lb/>den Stimme des Gemütes, welche unſere Sprache in treffender <lb/>Bezeichnung das “<emph style="sp">Gewiſſen</emph>“ nennt.</s> <s xml:id="echoid-s7554" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7555" xml:space="preserve">Aber je ernſter wir in unſerer Zeit zerrüttender Kämpfe <lb/>auf die Pflege des Gewiſſens und namentlich in der Erziehung <lb/>unſerer gar vielen ideellen Verleitungen und materialiſtiſchen <lb/>Verführungen preisgegebenen Jugend hingewieſen ſind, um ſo <lb/>höher müſſen wir das Heiligtum der Wiſſenſchaft als die <lb/>Stätte der Geiſtesfreiheit und Geiſteserleuchtung hinſtellen; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7556" xml:space="preserve">der Geiſtesfreiheit, die keinem Machtſpruch herrſchender Auto-<lb/>rität und keinem Bannſpruch frommer Verdammungsſucht ſich <lb/>beugen ſoll; </s> <s xml:id="echoid-s7557" xml:space="preserve">und der Geiſteserleuchtung, damit die Wiſſenſchaft <lb/>in ihrem ſichtenden Urteil den Abgrund dunklen Wiſſens meiden <lb/>lehre, in welchen das Gewiſſen ohne Kritik gar oft ſchon <lb/>Menſchengeſchlechter hineingeriſſen.</s> <s xml:id="echoid-s7558" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7559" xml:space="preserve">Der warnenden Beiſpiele hierfür bietet die Menſchenge-<lb/>ſchichte gar viele dar. </s> <s xml:id="echoid-s7560" xml:space="preserve">— <emph style="sp">Torquemada</emph>, der berüchtigtſte Ketzer-<lb/>richter der heiligen Inquiſition, ſagte zu einem ſeiner Opfer, das <lb/>er zum Feuertode verurteilte: </s> <s xml:id="echoid-s7561" xml:space="preserve">wenn ich wüßte, daß ich deine <pb o="39" file="621" n="621"/> Seele vor dem ewigen Fegefeuer dadurch retten könnte, daß <lb/>ich meine Hand mir abhauen laſſe, ſo würde ich es um Chriſti <lb/>Barmherzigkeit willen thun; </s> <s xml:id="echoid-s7562" xml:space="preserve">da ich aber weiß, daß ich deine <lb/>Seele nur retten kann, wenn ich ſie aus deinem ſündigen Leib <lb/>erlöſe, ſo ſchicke ich dich um Chriſti Barmherzigkeit willen auf <lb/>den Scheiterhaufen.</s> <s xml:id="echoid-s7563" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7564" xml:space="preserve">Einem Ratsmann in Bremen, zur Zeit der Hexenprozeſſe, <lb/>ließ ſein Gewiſſen nicht Ruhe, weil er wegen Unwohlſeins <lb/>die Richterbank verlaſſen hatte, bevor die Hexe verurteilt war. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7565" xml:space="preserve">Er ſtand krank aus dem Bette auf und eilte auf das Rathaus, <lb/>um durch ſeinen Richterſpruch “das Werk des Teufels” aus <lb/>der Welt zu bannen.</s> <s xml:id="echoid-s7566" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7567" xml:space="preserve">Als der König Friedrich Auguſt von Sachſen nach der <lb/>Schlacht bei Leipzig von den Alliierten als Gefangener be-<lb/>handelt wurde, rief er aus: </s> <s xml:id="echoid-s7568" xml:space="preserve">“Ich weiß nicht, lieber Gott, wes-<lb/>halb du mich ſo hart ſtrafſt. </s> <s xml:id="echoid-s7569" xml:space="preserve">Habe ich ja ſtets nach deinem <lb/>Willen regiert und niemals gelitten, daß ſich ein Jude in <lb/>meinem Staate niederlaſſe!”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7570" xml:space="preserve">Das ſind Stimmen des Gewiſſens ohne die Leuchte der <lb/>Wiſſenſchaft.</s> <s xml:id="echoid-s7571" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7572" xml:space="preserve">Bedarf das Gewiſſen dieſer Führung, um nicht in finſtere <lb/>Abgründe zu gleiten, ſo bedarf aber auch nicht minder die <lb/>Wiſſenſchaft des Gewiſſens, ohne welches Großes und Wahres <lb/>nimmermehr geſchaffen wird.</s> <s xml:id="echoid-s7573" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7574" xml:space="preserve">Es iſt ein Irrtum, wenn man wähnt, daß irgend eine <lb/>Wiſſenſchaft gefördert werden kann ohne den Opfermut der <lb/>Wahrheitsliebe, die durch Tage und Nächte den Geiſt an-<lb/>ſpannend nach dem einen geahnten, vorſchwebenden Ziele lenkt. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7575" xml:space="preserve">Jeder Fortſchritt der Wiſſenſchaft erfordert eine Aneignung <lb/>vorangegangener Forſchungen, die der ſittlich Verwahrloſte <lb/>nimmermehr den Mut hat zu erringen. </s> <s xml:id="echoid-s7576" xml:space="preserve">Nur ſtrenge Prüfung, <lb/>ernſte Unterſuchung, lange Beobachtung, anſtrengende Kombi-<lb/>nation und in Ausdauer und Konſequenz verfolgte Spuren <pb o="40" file="622" n="622"/> der Wahrheit führen zu Ergebniſſen einer wiſſenſchaftlichen <lb/>Eroberung. </s> <s xml:id="echoid-s7577" xml:space="preserve">Ohne die ſittliche Kraft der Gewiſſenhaftigkeit <lb/>und die hochentwickelte Wahrheitsliebe, die in großen Geiſtern <lb/>waltet und die kein Opfer an Kraft, an Zeit und an Geſund-<lb/>heit ſcheut, wäre die Wiſſenſchaft nimmermehr auf die Höhe <lb/>gebracht, die ſie in gebildeten Nationen errungen hat.</s> <s xml:id="echoid-s7578" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7579" xml:space="preserve">Wir leben in einer Zeit, die der ernſten Mahnung des <lb/>Gewiſſens im Gemüt und der Erleuchtung im Geiſte dringend <lb/>bedarf. </s> <s xml:id="echoid-s7580" xml:space="preserve">Das Weltbild früherer Glaubens-Anſchauungen liegt <lb/>zertrümmert hinter uns. </s> <s xml:id="echoid-s7581" xml:space="preserve">Es iſt nicht bloß unratſam, ſondern <lb/>im vollen Sinne des Wortes gefährlich, unſere heranwachſende <lb/>Jugend darin fortleiten zu laſſen, gefährlich, weil wir wiſſen, <lb/>daß die Zeit unabwendbar an ſie herantreten wird, wo ſie <lb/>Glaubensmärchen abſtreift und der Verſuchung anheimfällt, mit <lb/>dieſen auch alles von ſich zu weiſen, was wir derſelben an Sitte <lb/>und Moral in traditioneller Glaubensform übertragen haben. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7582" xml:space="preserve">Aber nicht minder gefährdend und zerrüttend wirkt die Über-<lb/>treibung einer wiſſenſchaftlichen Anſchauung, wenn man im <lb/>Menſchenweſen das Herrſchertum des Geiſtes über die Natur <lb/>unbeachtet läßt und in ſeiner Entwickelung auch nur <emph style="sp">den</emph> <lb/><emph style="sp">Kampf ums Daſein</emph> erblickt, der in dem Tiergeſchlecht <lb/>waltet, das der Herrſchaft der Natur willenlos unter-<lb/>worfen iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7583" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7584" xml:space="preserve">Die ſittliche Entwickelung des Menſchenweſens iſt ein uns <lb/>überkommenes, thatſächliches <emph style="sp">Wiſſen</emph>, welches wir als Heilig-<lb/>tum in uns zu wahren haben, wenn wir ſeinen Urſprung auch <lb/>nicht wiſſenſchaftlich zu ergründen im ſtande ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7585" xml:space="preserve">Die Wiſſen-<lb/>ſchaft, ſie iſt uns ein hohes Gut, das wir zu pflegen haben <lb/>als die edelſte Frucht des menſchlichen Geiſtes, wenngleich ſie <lb/>nicht alles weiß. </s> <s xml:id="echoid-s7586" xml:space="preserve">— Heil der Nation, die im Gewiſſen pflegt, <lb/>was kulturentwickelnd in Staat und Geſellſchaft, in Familien-<lb/>ſitte und erhebender Menſchenliebe auf uns vererbt iſt aus <lb/>uralten Zeiten. </s> <s xml:id="echoid-s7587" xml:space="preserve">Heil ihr, wenn ſie der Wiſſenſchaft eine Stätte <pb o="41" file="623" n="623"/> der Freiheit bereitet, wenngleich ſie nicht die <emph style="sp">letzten</emph> Rätſel <lb/>löſt, ſondern des beſcheidneren Ruhms lebt, dem Fortſchritt der <lb/>Wiſſenſchaft ihre Kraft zu weihen.</s> <s xml:id="echoid-s7588" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div283" type="section" level="1" n="193"> <head xml:id="echoid-head221" xml:space="preserve"><emph style="bf">II. Wie viel wiſſen wir?</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7589" xml:space="preserve"><emph style="sp">Paul von Gizycki</emph> giebt zu dieſer uns tief angehenden <lb/>Frage die folgende Auseinanderſetzung:</s> <s xml:id="echoid-s7590" xml:space="preserve"><anchor type="note" xlink:href="" symbol="*)"/></s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7591" xml:space="preserve">Es iſt durchaus richtig, daß uns die Wiſſenſchaft auf ge-<lb/>wiſſe letzte Fragen, wie dieſe: </s> <s xml:id="echoid-s7592" xml:space="preserve">“Was iſt Materie?</s> <s xml:id="echoid-s7593" xml:space="preserve">” “Was iſt <lb/>Kraft?</s> <s xml:id="echoid-s7594" xml:space="preserve">” “Wie iſt das Bewußtſein entſtanden, wie iſt ſein Vor-<lb/>handenſein aus materiellen Vorausſetzungen zu begreifen?</s> <s xml:id="echoid-s7595" xml:space="preserve">” <lb/>nicht klare und befriedigende Antworten giebt. </s> <s xml:id="echoid-s7596" xml:space="preserve">Es iſt nicht <lb/>minder richtig, daß ſie die viel dringenderen Fragen: </s> <s xml:id="echoid-s7597" xml:space="preserve">“Was <lb/>ſollen wir hier auf Erden?</s> <s xml:id="echoid-s7598" xml:space="preserve">” “Was für einen Sinn hat dieſe <lb/>Welt und das wechſelvolle Treiben der Menſchen?</s> <s xml:id="echoid-s7599" xml:space="preserve">” “Was <lb/>ſind alle Hoffnungen der Idealiſten, alle Opfer der Helden <lb/>und Förderer der Humanität, alle Hoffnungen auf Fortſchritt <lb/>und Vervollkommnung des Menſchengeſchlechts, wenn dereinſt <lb/>vielleicht die ganze Menſchheit mit der erkalteten Erde zu Grunde <lb/>geht?</s> <s xml:id="echoid-s7600" xml:space="preserve">” nicht beantworten kann.</s> <s xml:id="echoid-s7601" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7602" xml:space="preserve">Es läßt ſich nicht leugnen, daß dieſe Fragen ein hohes <lb/>Intereſſe für uns Sterbliche beſitzen, daß ſeit dem Beginn <lb/>menſchlicher Kultur die Weiſeſten und Beſten ſie zum Gegen-<lb/>ſtand ihres ernſteſten Nachdenkens gemacht haben. </s> <s xml:id="echoid-s7603" xml:space="preserve">Wenn das <lb/>Fragen der “Mondpolitik” ſind, wie <emph style="sp">Huxley</emph> ſich ausdrückt, ſo <lb/>hat doch für dieſe Mondpolitik das Menſchengeſchlecht ſeit <lb/>Jahrtauſenden ein ſo unleugbares Intereſſe gezeigt, daß man <lb/> <anchor type="note" xlink:label="note-623-01a" xlink:href="note-623-01"/> <pb o="42" file="624" n="624"/> wohl annehmen darf, daß dieſe Neugierde tief im menſchlichen <lb/>Gemüt begründet iſt.</s> <s xml:id="echoid-s7604" xml:space="preserve"/> </p> <div xml:id="echoid-div283" type="float" level="2" n="1"> <note symbol="*)" position="foot" xlink:label="note-623-01" xlink:href="note-623-01a" xml:space="preserve">Vom Baume der Erkenntnis. Fragmente zur Ethik und Pſycho-<lb/>logie aus der Weltlitteratur, geſammelt u. herausgegeben von Dr. Paul <lb/>von Gizycki. I. Grundprobleme. 2. Auflage. (Ferd. Dümmlers Verlags-<lb/>buchhandlung in Berlin.) S. 61—64.</note> </div> <p> <s xml:id="echoid-s7605" xml:space="preserve">Und auf dieſe Fragen weiß die Wiſſenſchaft wirklich keine <lb/>Antwort zu geben? </s> <s xml:id="echoid-s7606" xml:space="preserve">Sie geſteht es ſelbſt ein, indem ſie erklärt, <lb/>dieſe Fragen ſeien ohne praktiſche Bedeutung oder unrichtig <lb/>geſtellt, oder ſie gründeten ſich auf falſche Vorausſetzungen. </s> <s xml:id="echoid-s7607" xml:space="preserve">Iſt <lb/>es da zu verwundern, wenn das menſchliche Gemüt ſich von <lb/>den heiteren Tempeln der Weiſen abwendet und im geheimnis-<lb/>vollen Dunkel gotiſcher Kathedralen, weihrauchduftender Ka-<lb/>pellen und verſchwiegener Beichtſtühle eine Zuflucht ſucht und <lb/>ſich den Männern vertrauensvoll zuwendet, die beſtimmte und <lb/>untrügliche Antworten auf alle ſchwierigen Fragen zu wiſſen <lb/>behaupten?</s> <s xml:id="echoid-s7608" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7609" xml:space="preserve">Der Mann der Wiſſenſchaft giebt uns ohne Zaudern die <lb/>Grenze an, jenſeits deren ſeine Forſchung keine zuverläſſigen <lb/>Ergebniſſe mehr bietet, er geſteht uns ein: </s> <s xml:id="echoid-s7610" xml:space="preserve">“Hier iſt meine <lb/>Kunſt zu Ende, ich weiß nicht”; </s> <s xml:id="echoid-s7611" xml:space="preserve">aber der Prieſter weiß auch <lb/>dort noch, wenn auch ſein Wiſſen anderer, geheimnisvollerer <lb/>Art iſt; </s> <s xml:id="echoid-s7612" xml:space="preserve">und er zögert nicht, uns ſein Wiſſen mitzuteilen.</s> <s xml:id="echoid-s7613" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7614" xml:space="preserve">Wir lauſchen begierig ſeinen Worten und hoffen auf Er-<lb/>kenntnis.</s> <s xml:id="echoid-s7615" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7616" xml:space="preserve">Wir wünſchten vorhin zu wiſſen, was Kraft, was Materie <lb/>ſei, wie das Bewußtſein entſtanden, wie ſein Vorhandenſein <lb/>im Zuſammenhang und in Wechſelwirkung mit der Materie <lb/>zu begreifen ſei. </s> <s xml:id="echoid-s7617" xml:space="preserve">Hören wir, was uns der Prieſter antwortet. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7618" xml:space="preserve">“Alle Kraft in der Welt iſt Gottes allmächtiger Wille. </s> <s xml:id="echoid-s7619" xml:space="preserve">Gott <lb/>iſt ein Geiſt. </s> <s xml:id="echoid-s7620" xml:space="preserve">Er hat die Materie, Erde, Sonne, Mond und <lb/>alle die leuchtenden Geſtirne des Himmels, Pflanzen und Tiere <lb/>aus Nichts geſchaffen. </s> <s xml:id="echoid-s7621" xml:space="preserve">Er hat auch den Menſchen geſchaffen <lb/>nach ſeinem Ebenbilde.</s> <s xml:id="echoid-s7622" xml:space="preserve">”</s> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7623" xml:space="preserve">Befriedigen dich dieſe Erklärungen? </s> <s xml:id="echoid-s7624" xml:space="preserve">Du konnteſt dir über <lb/>die Begriffe Kraft und Stoff, mit denen die Wiſſenſchaft ar-<lb/>beitet, nicht klar werden und hörſt nun von einem Geiſt, der <pb o="43" file="625" n="625"/> die Materie aus nichts erſchafft. </s> <s xml:id="echoid-s7625" xml:space="preserve">Du konnteſt die Hypotheſen <lb/>der Forſcher über die Entſtehung des organiſchen Lebens nicht <lb/>begreifen und hörſt nun, daß Pflanzen und Tiere durch einen <lb/>Machtſpruch Gottes aus Nichts ins Leben gerufen worden <lb/>ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7626" xml:space="preserve">Du konnteſt nicht verſtehen, wie das menſchliche Be-<lb/>wußtſein den Körper beeinfluſſen und wiederum durch mecha-<lb/>niſche Einwirkungen auf den Körper beeinflußt werden kann, <lb/>und nun erfährſt du, daß Gott, der doch ein Geiſt iſt, den <lb/>Menſchen nach ſeinem Ebenbilde geſchaffen hat. </s> <s xml:id="echoid-s7627" xml:space="preserve">Sind jetzt <lb/>deine Fragen beantwortet? </s> <s xml:id="echoid-s7628" xml:space="preserve">Iſt deine Wißbegier geſtillt? </s> <s xml:id="echoid-s7629" xml:space="preserve">Mußt <lb/>du nicht jetzt, wie du früher fragteſt: </s> <s xml:id="echoid-s7630" xml:space="preserve">“Was iſt das: </s> <s xml:id="echoid-s7631" xml:space="preserve">— Ma-<lb/>terie?</s> <s xml:id="echoid-s7632" xml:space="preserve">” “Was iſt das: </s> <s xml:id="echoid-s7633" xml:space="preserve">— Kraft?</s> <s xml:id="echoid-s7634" xml:space="preserve">” nun erſt recht fragen: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7635" xml:space="preserve">“Was iſt das: </s> <s xml:id="echoid-s7636" xml:space="preserve">— Gott?</s> <s xml:id="echoid-s7637" xml:space="preserve">” “Was iſt das: </s> <s xml:id="echoid-s7638" xml:space="preserve">— ein Geiſt?</s> <s xml:id="echoid-s7639" xml:space="preserve">” <lb/>“Was heißt das: </s> <s xml:id="echoid-s7640" xml:space="preserve">— aus nichts erſchaffen?</s> <s xml:id="echoid-s7641" xml:space="preserve">” Sind dieſe Fragen <lb/>leichter zu beantworten? </s> <s xml:id="echoid-s7642" xml:space="preserve">Hat man dir nicht, anſtatt die Pro-<lb/>bleme zu löſen, welche die Wiſſenſchaft nicht löſen konnte, neue <lb/>und weit ſchwierigere Probleme aufgeſtellt?</s> <s xml:id="echoid-s7643" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7644" xml:space="preserve">Aber die Antworten der Prieſter befriedigen mein Herz <lb/>mehr als das Troſtloſe: </s> <s xml:id="echoid-s7645" xml:space="preserve">“Ignoramus“ (wir wiſſen nicht) der <lb/>Männer der Wiſſenſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s7646" xml:space="preserve">Dieſer Gott, den ich allerdings <lb/>nicht völlig begreife, wird mir als ein allgütiger, allweiſer und <lb/>allmächtiger Vater geſchildert, der mich geſchaffen hat, meine <lb/>Lebensbahn von Anfang bis zu Ende in ſeine treue Obhut <lb/>nimmt und mich endlich, nachdem ſein eigener Sohn ſein un-<lb/>ſchuldiges Blut für mich vergoſſen hat, um meine Sünden zu <lb/>ſühnen, zu ewiger Freude in ſein Himmelreich aufnehmen will. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7647" xml:space="preserve">Du wirſt mir zugeben, daß das beruhigende Verſicherungen <lb/>ſind, auf denen ich mein irdiſches Leben vertrauensvoller auf-<lb/>bauen kann als auf der wiſſenſchaftlichen Hypotheſe vom mit-<lb/>leidsloſen Kampfe aller gegen alle und einer Natur, die dem <lb/>millionenfachen Untergang und der Todesqual ihrer Geſchöpfe <lb/>gleichgiltig zuſieht.</s> <s xml:id="echoid-s7648" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7649" xml:space="preserve">Um von allem anderen zu ſchweigen, ſage mir nur eins! <pb o="44" file="626" n="626"/> Wie war es möglich, daß du in Sünde verfieleſt, da dich der <lb/>allgütige, allweiſe und allmächtige Gott doch nach ſeinem Eben-<lb/>bilde geſchaffen hat? </s> <s xml:id="echoid-s7650" xml:space="preserve">Hat er dich mit Abſicht ſchwach und zur <lb/>Sünde geneigt gemacht, — ſo erſcheint ſeine Güte zweifelhaft; <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7651" xml:space="preserve">hat er dich nicht beſſer machen können, obgleich er wollte, — <lb/>ſo müſſen wir ſeine Allmacht in Frage ſtellen; </s> <s xml:id="echoid-s7652" xml:space="preserve">hat er nur ein <lb/>Verſehen begangen, obwohl er dich hätte beſſer machen können, <lb/>— ſo müſſen wir an ſeiner Allweisheit zweifeln. </s> <s xml:id="echoid-s7653" xml:space="preserve">Ich weiß, <lb/>du wirſt mir auf alle dieſe dunklen Fragen mit einem neuen <lb/>Myſterium antworten und ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s7654" xml:space="preserve">Er gab mir den freien Willen.</s> <s xml:id="echoid-s7655" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7656" xml:space="preserve">Nun, wir können die Sache beliebig fortſetzen, aus dem <lb/>Unbegreiflichen kommen wir keinesfalls heraus, und, was <lb/>ſchlimmer für dich iſt, dieſe Widerſprüche, Unbegreiflichkeiten <lb/>und die Zweifel, welche ſie gebären, erſchüttern auch jene be-<lb/>ruhigenden Verſicherungen, auf welche du dein Lebensglück <lb/>gründen wollteſt, in ihren Fundamenten. </s> <s xml:id="echoid-s7657" xml:space="preserve">Du beklagſt dich, <lb/>daß die großen Geſetze der Natur kein Mitleid mit deinen <lb/>Schmerzen kennen, dir ſcheint die Gleichgiltigkeit troſtlos, mit <lb/>welcher im Kampfe ums Daſein die Exiſtenzen von Millionen <lb/>von Lebeweſen erbarmungslos vernichtet werden. </s> <s xml:id="echoid-s7658" xml:space="preserve">Überlege <lb/>dir, was du für dieſe gleichgiltigen Naturgeſetze, die doch nur <lb/>dein kurzes Erdenleben beherrſchen, und dir nach aller mög-<lb/>lichen Pein dieſer Exiſtenz ein ruhiges Nichtſein, ein ewiges <lb/>Vergeſſen deiner Qualen gönnen, eintauſchen willſt.</s> <s xml:id="echoid-s7659" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7660" xml:space="preserve">Höre, was deine Prieſter ſagen: </s> <s xml:id="echoid-s7661" xml:space="preserve">“Der Gott, der dir im <lb/>freien Willen die Möglichkeit zu ſündigen gegeben hat, wird <lb/>dich für dieſe deine Sünden zu ewiger Pein verdammen und <lb/>wird ſogar die Sünden deiner Väter und Vorväter an dir <lb/>heimſuchen.</s> <s xml:id="echoid-s7662" xml:space="preserve">” “Weißt du, was das heißt: </s> <s xml:id="echoid-s7663" xml:space="preserve">— Ewige Pein?</s> <s xml:id="echoid-s7664" xml:space="preserve">” <lb/>Wenn du es nicht weißt, ſchlage die Viſionen der heiligen <lb/>Männer auf, welche die Qualen der Verdammten mit eigenen <lb/>Augen geſehen zu haben behaupten, betrachte die Gemälde <lb/>gläubiger Künſtler, welche das jüngſte Gericht darſtellen, lies <pb o="45" file="627" n="627"/> die Schilderungen des großen Florentiner Dichters <emph style="sp">Dante</emph> <lb/>(1263—1321).</s> <s xml:id="echoid-s7665" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7666" xml:space="preserve">Aber dich wird dein Glaube erlöſen und das Blut des <lb/>für deine Sünden gekreuzigten Gottesſohnes. </s> <s xml:id="echoid-s7667" xml:space="preserve">Und dennoch <lb/>wird am jüngſten Tage die Zahl der Verdammten die der <lb/>Seligen überwiegen. </s> <s xml:id="echoid-s7668" xml:space="preserve">Tröſte dich, wenn du kannſt, damit, daß <lb/>du einer von den wenigen Auserwählten ſein wirſt, während <lb/>Millionen deiner Menſchenbrüder, die es im Glauben nicht ſo <lb/>weit haben bringen können wie du, ewiger Verdammnis an-<lb/>heimfallen. </s> <s xml:id="echoid-s7669" xml:space="preserve">Verſuche dir endlich eine “ewige” Seligkeit aus-<lb/>zumalen.</s> <s xml:id="echoid-s7670" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7671" xml:space="preserve">Doch genug! Kehren wir zur Wiſſenſchaft zurück. </s> <s xml:id="echoid-s7672" xml:space="preserve">Sie <lb/>weiß uns zwar die letzten Fragen nicht zu löſen, ſie bietet auch <lb/>gerade keine ſehr ſchmeichelhaften und erfreulichen Ausſichten.</s> <s xml:id="echoid-s7673" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7674" xml:space="preserve">Die Geſetze des Lebens ſind ernſt und ſtreng und kennen <lb/>keine Liebe, kein Mitleid, außer denen, die in den Herzen un-<lb/>ſerer Menſchenbrüder wohnen; </s> <s xml:id="echoid-s7675" xml:space="preserve">aber ſie ſind auch frei von <lb/>Laune, Schadenfreude und Grauſamkeit — ſie kennen keinen <lb/>Ort ewiger Qualen.</s> <s xml:id="echoid-s7676" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7677" xml:space="preserve">Die moderne Forſchung weiſt als Naturwiſſenſchaft die <lb/>Annahme einer denkenden und wollenden “Erſten Urſache” zu-<lb/>rück, weil dieſe Hypotheſe, anſtatt die Erklärung der Er-<lb/>ſcheinungswelt zu vereinfachen, dieſelbe unendlich komplizierter <lb/>machen würde, ſie weiſt als Ethik den Gedanken an einen <lb/>ſtrafenden und belohnenden Gott, an Wunder und Jenſeits <lb/>zurück, weil ſie die Gründe durchſchaut, durch welche die Völker <lb/>niederer Kulturſtufen ganz naturgemäß und ohne alle Ein-<lb/>wirkung übernatürlicher Mächte zu dieſen Glaubenselementen <lb/>geführt werden <emph style="sp">mußten</emph>, weil dieſe Dogmen ſelbſt einer ge-<lb/>wiſſenhaften, wiſſenſchaftlichen Kritik nicht ſtandhalten, weil ſie <lb/>endlich, — und das iſt der ſchwerſte Einwurf, — zu ernſten, <lb/>moraliſchen Bedenken Anlaß geben.</s> <s xml:id="echoid-s7678" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="46" file="628" n="628"/> </div> <div xml:id="echoid-div285" type="section" level="1" n="194"> <head xml:id="echoid-head222" xml:space="preserve"><emph style="bf">III. Über die Grenze unſerer Erkenntnis.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7679" xml:space="preserve">Zu allen Zeiten, wo große naturwiſſenſchaftliche Entdeckungen <lb/>gemacht worden ſind, hat es Enthuſiaſten gegeben, welche ver-<lb/>meinten, es ſei damit auch das letzte Problem der Wiſſenſchaft, <lb/>das Geheimnis des Menſchenweſens, des Menſchenlebens und <lb/>der Menſchenſeele nunmehr enthüllt, und es bedürfe fortan nur <lb/>der konſequenten Ausführung der neu angeregten Wiſſenſchaft, <lb/>um ſie für immer abzuſchließen.</s> <s xml:id="echoid-s7680" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7681" xml:space="preserve">Die Übertreibungen der Enthuſiaſten haben denn auch <lb/>regelmäßig den Widerſpruch nicht bloß gegen die Übertreibung, <lb/>ſondern gegen den wirklichen Fortſchritt der Wiſſenſchaft wach-<lb/>gerufen und einen Kampf entzündet, der ſich durch Menſchen-<lb/>alter hinzog. </s> <s xml:id="echoid-s7682" xml:space="preserve">Erſt wenn dieſer ſich abnutzte und auslebte, <lb/>pflegte ſich die neue Entdeckung dem Bereich der Forſchungen <lb/>in beſcheidenerer Grenze anzuſchließen und in der Regel erkannte <lb/>man dann, daß, wie groß auch der Fortſchritt iſt, er doch nur <lb/>die Anſchauung über das Weſen der unendlichen Natur erweitert <lb/>und keineswegs abgeſchloſſen und erſchöpft habe.</s> <s xml:id="echoid-s7683" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7684" xml:space="preserve">Beiſpiele derart bietet das letzte Jahrhundert mannigfach <lb/>dar. </s> <s xml:id="echoid-s7685" xml:space="preserve">Die Schädel-Lehre von <emph style="sp">Gall</emph> hat ihrer Zeit einen ſo <lb/>gewaltigen Enthuſiasmus erzeugt, daß ein Gerichtshof in Öſter-<lb/>reich ganz ernſtlich an einem des Diebſtahls Angeklagten die <lb/>Unterſuchung ſeines Schädels für maßgebender erklärte, als die <lb/>Zeugenausſage. </s> <s xml:id="echoid-s7686" xml:space="preserve">Die Lehre <emph style="sp">Galls</emph> wurde infolge dieſer Über-<lb/>treibung in Öſterreich als “Gottesläſterung” verboten, weil ſie <lb/>die Freiheit des Willens und die Pflicht der Beſtrafung des <lb/>Böſen verleugne.</s> <s xml:id="echoid-s7687" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7688" xml:space="preserve">Als <emph style="sp">Galvani</emph> die Entdeckung machte, daß eine elektriſche <lb/>Reizung eines toten Muskels eine Zuckung desſelben zu Wege <lb/>bringt, ſtand es bei vielen Enthuſiaſten feſt, daß nunmehr das <lb/>Geheimnis der ſtets geſuchten Lebenskraft enthüllt ſei. </s> <s xml:id="echoid-s7689" xml:space="preserve">Als <pb o="47" file="629" n="629"/> gar eine Leiche in lebensähnliche Zuckungen durch den galva-<lb/>niſchen Strom verſetzt wurde, wähnte man das Lebenselixier, <lb/>das Tote aufweckt, gefunden. </s> <s xml:id="echoid-s7690" xml:space="preserve">Die redliche Naturforſchung hat <lb/>denn auch erſt nach vielen Unterſuchungen dieſe Erſcheinungen <lb/>auf ihr richtiges Maß zurückgeführt. </s> <s xml:id="echoid-s7691" xml:space="preserve">Der elektriſche Nerven-<lb/>und Muskelſtrom iſt in die Reihe der Lebenserſcheinungen ein-<lb/>geführt worden.</s> <s xml:id="echoid-s7692" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7693" xml:space="preserve">Welcher Mißbrauch mit dem Magnetismus und dem da-<lb/>nach erſchwindelten ſogenannten tieriſchen Magnetismus ge-<lb/>trieben worden, haben wir ſchon früher erfahren. </s> <s xml:id="echoid-s7694" xml:space="preserve">Die Tiſch-<lb/>rückerei und das ſogenannte “Od” ſind nicht minder in unſeren <lb/>Lebzeiten als enthüllte Geheimniſſe der Naturkräfte aufgetreten. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7695" xml:space="preserve">Wenngleich ſie glücklicherweiſe die Wiſſenſchaft nicht in Ab-<lb/>irrungen zu leiten vermochten, ſo haben ſie doch hinlänglich <lb/>bewieſen, daß der naturwiſſenſchaftliche Aberglaube für die Un-<lb/>wiſſenden nicht minderen Reiz hat wie der religiöſe.</s> <s xml:id="echoid-s7696" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7697" xml:space="preserve">Ein Beiſpiel anderer Art erleben wir gegenwärtig in der <lb/>Übertreibung der großen wiſſenſchaftlichen Anſichten <emph style="sp">Darwins</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s7698" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7699" xml:space="preserve">Die Phyſiologie und die Anatomie haben bereits vor <lb/>Darwin auf den Grundgedanken hingewieſen, daß die organi-<lb/>ſchen Gebilde eine Reihenfolge der Entwickelung verraten. </s> <s xml:id="echoid-s7700" xml:space="preserve">Der <lb/>Phyſiologe <emph style="sp">Siebold</emph> (1804—1885) hat gezeigt, daß der weibliche <lb/>Schmetterling der bekannten Seidenraupe auch ohne männliche <lb/>Befruchtung lebensfähige Eier lege und ſomit eine ſogenannte <lb/>“Jungfern-Zeugung” in der Natur vorkomme. </s> <s xml:id="echoid-s7701" xml:space="preserve">Ferner, daß das-<lb/>ſelbe Gebilde, welches im Darm des Menſchen den Bandwurm <lb/>erzeugt, im Darm des Hundes zu einem durchaus anders ge-<lb/>ſtalteten Paraſiten wird. </s> <s xml:id="echoid-s7702" xml:space="preserve"><emph style="sp">Auguſt Müller</emph> wies nach, daß <lb/>der allbekannte Neun-Auge in ſeiner Jugend ein Tier ſei, <lb/>welches man für ein Weſen ganz anderer Gattung hielt, und <lb/>demnach die Verwandlung, welche bisher unter den Fiſchen <lb/>ganz unbekannt war, auch bei dieſen obwalte. </s> <s xml:id="echoid-s7703" xml:space="preserve">Nicht minder <lb/>wurden Erſcheinungen von Übergängen zwiſchen Pflanzen und <pb o="48" file="630" n="630"/> Tieren nachgewieſen, die bei vielen Gebilden noch heute Zweifel <lb/>offen laſſen, ob man ſie in das eine oder das andere Reich <lb/>einzureihen hat. </s> <s xml:id="echoid-s7704" xml:space="preserve">Die fortgeſchrittene Pflanzen- und Tierzucht <lb/>hat gezeigt, daß man künſtlich ſehr bedeutende Veränderungen <lb/>in den Lebenserſcheinungen derſelben hervorbringen kann. </s> <s xml:id="echoid-s7705" xml:space="preserve">Durch <lb/>dies und vieles andere wurde der Grundgedanke angeregt, daß <lb/>auch wohl in der Natur ſolche Umgeſtaltungen und Umbildungen <lb/>vorkommen mögen, welche organiſche Gebilde von Gattung zu <lb/>Gattung überführen, und Geſchöpfe, welche ſehr verſchiedenartig <lb/>erſcheinen, die Nachkommen einer und derſelben älteren Gattung <lb/>ſeien, welche durch unbekannte Umſtände ſich verändert haben <lb/>und einander ſo unähnlich geworden ſind, daß man ſie als <lb/>Gebilde verſchiedener Schöpfungen anſieht.</s> <s xml:id="echoid-s7706" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7707" xml:space="preserve"><emph style="sp">Lamarcks</emph> und <emph style="sp">Darwins</emph> großartige Unterſuchungen und <lb/>ganz außerordentlich ſcharfſinnige Kombinationen haben dieſe <lb/>Vermutungen nicht bloß beſtätigt, ſondern auch die unbekannten <lb/>Umſtände teilweiſe aufgedeckt, durch welche die Umwandlungen <lb/>und Vervollkommnungen naturgemäß vor ſich gehen. </s> <s xml:id="echoid-s7708" xml:space="preserve">Darwins <lb/>immenſer Scharfblick umfaßt die ganze organiſche Welt von <lb/>der Urzelle der Pflanze und dem Urſchleim tieriſchen Lebens <lb/>bis zur Höhe der entwickelten Pflanze und dem Gebilde des <lb/>menſchlichen Leibes. </s> <s xml:id="echoid-s7709" xml:space="preserve">Die Kombinationen dieſes kühnen Geiſtes <lb/>ſind ganz unzweifelhaft gewaltige Errungenſchaften, die im Be-<lb/>reich der Forſchung weitere Früchte tragen werden. </s> <s xml:id="echoid-s7710" xml:space="preserve">Die ſeit-<lb/>herige Vorſtellung, daß das Menſchengeſchlecht ein vom Tier-<lb/>reich ganz geſondertes und apart geſchaffenes ſei, iſt durch ihn <lb/>unhaltbar geworden. </s> <s xml:id="echoid-s7711" xml:space="preserve">Und mit Zuſammenbruch dieſer Vor-<lb/>ſtellung ſind mannigfache Vorſtellungsweiſen von dem Weſen <lb/>des Menſchen und ſeinem geiſtigen Leben ſo ſehr in den Hinter-<lb/>grund der Sagen getreten, daß nunmehr ganz neue Gebiete der <lb/>Forſchungen ſich eröffnen und eine Reviſion unſeres Wiſſens <lb/>unabweisbar machen.</s> <s xml:id="echoid-s7712" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7713" xml:space="preserve">Die ſtrenge Wiſſenſchaft iſt ſich dieſer großen Aufgabe <pb o="49" file="631" n="631"/> vollkommen bewußt. </s> <s xml:id="echoid-s7714" xml:space="preserve">Die Entwickelungs-Lehre der organiſchen <lb/>Gebilde hat eine neue Baſis gewonnen, auf der Botanik und <lb/>Zoologie in ihrem ganzen Umfang nochmals durchgearbeitet <lb/>werden müſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7715" xml:space="preserve">Und mehr noch: </s> <s xml:id="echoid-s7716" xml:space="preserve">es ſind auch die Entwicke-<lb/>lungen des Menſchenweſens mit in den Bereich der neu zu be-<lb/>gründenden, wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen hineingezogen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7717" xml:space="preserve">Das dadurch erweiterte Reich der Forſchungen hat die Grenzen <lb/>der Erkenntnis bis zur Höhe des Denkprozeſſes, dieſes höchſten <lb/>Produktes der Entwickelung, hinausgeſchoben. </s> <s xml:id="echoid-s7718" xml:space="preserve">“Wo beginnt <lb/>und wo endet unſer Wiſſen?</s> <s xml:id="echoid-s7719" xml:space="preserve">” Dieſe Frage, welche bisher die <lb/>Philoſophie zu löſen verſuchte, iſt nunmehr aus der Rätſel-<lb/>Sphäre philoſophiſcher Träumereien in die feſtere und klarere <lb/>Sphäre der Naturforſchung eingetreten.</s> <s xml:id="echoid-s7720" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7721" xml:space="preserve">Es giebt aber Grenzen unſerer Natur-Erkenntnis, wie ſie <lb/>die ſtrenge Wiſſenſchaft zeigen muß.</s> <s xml:id="echoid-s7722" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7723" xml:space="preserve">Eben ſo charakteriſtiſch wie es für die enthuſiaſtiſche Auf-<lb/>faſſung iſt, daß ſie in jeder neuen Wahrheit das letzte Ende <lb/>des Wiſſens in Händen zu haben vorgiebt, eben ſo bezeichnend <lb/>iſt es für die ſtreng disziplinierte Wiſſenſchaft, daß ſie bei jeder Er-<lb/>rungenſchaft auf ihrem Gebiet die Grenzen des Wiſſens revidiert <lb/>und zunächſt vom erweiterten Geſichtskreis aus den Punkt feſtzu-<lb/>ſtellen ſucht, wo uns das Wiſſen noch immer verſchloſſen bleibt.</s> <s xml:id="echoid-s7724" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7725" xml:space="preserve">Der verſtorbene Phyſiologe E. </s> <s xml:id="echoid-s7726" xml:space="preserve"><emph style="sp">Dubois-Reymond</emph> <lb/>(1818—1896), ein Mann der ſtrengſten Wiſſenſchaft, thut dies <lb/>— unter vollſter Anerkennung der von Darwin dargelegten <lb/>Geſetze der Entwickelung organiſcher Gebilde, — in ſeiner Rede <lb/>“über die Grenzen des Natur-Erkennens.</s> <s xml:id="echoid-s7727" xml:space="preserve">” Dieſe Grenzen <lb/>laſſen einen ungeheuren Spielraum unſerer Forſchung offen, <lb/>und doch wiederum ſetzen ſie dem Streben des Menſchengeiſtes <lb/>nach Allwiſſenheit eine Schranke, über welche hinaus unſere <lb/>Vermutungen an dichteriſche und philoſophiſche Formen und <lb/>Formeln ſtreifen, ohne die feſte Baſis des Wiſſens und Er-<lb/>kennens zu gewinnen.</s> <s xml:id="echoid-s7728" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7729" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s7730" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s7731" xml:space="preserve">Volksbücher XXI.</s> <s xml:id="echoid-s7732" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="50" file="632" n="632"/> <p> <s xml:id="echoid-s7733" xml:space="preserve">Dieſe Grenzen laſſen ſich in populärer Form in folgender <lb/>Weiſe bezeichnen.</s> <s xml:id="echoid-s7734" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7735" xml:space="preserve">Unſer bisheriges Wiſſen beruht auf Axiomen, z. </s> <s xml:id="echoid-s7736" xml:space="preserve">B. </s> <s xml:id="echoid-s7737" xml:space="preserve">denen der <lb/>Mathematik, welche bis zur Mechanik in der Lehre von der Träg-<lb/>heit und der Bewegung präzis entwickelt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s7738" xml:space="preserve">Die Möglichkeit <lb/>dieſes Erkennens geht ungeheuer weit, ſobald es wahr iſt, daß <lb/>alle Naturerſcheinungen auf einer Bewegung von materiellen <lb/>Atomen beruhen, welche durch Centralkräfte dirigiert werden. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7739" xml:space="preserve">Unter dieſer Vorausſetzung iſt es möglich, daß ein übermenſch-<lb/>licher, außerordentlicher Rechner im ſtande ſein könnte, nicht bloß <lb/>Geheimniſſe der Vergangenheit, ſondern auch der Zukunft durch <lb/>Berechnung der Atom-Bewegungen zu erforſchen. </s> <s xml:id="echoid-s7740" xml:space="preserve">Wie man aſtro-<lb/>nomiſch im ſtande iſt, Sonnenfinſterniſſe im verwichenen und <lb/>in kommenden Jahrtauſenden mit Sicherheit anzugeben, ſo wäre <lb/>man auch im ſtande, die Bewegungen der Gehirn-Atome einer <lb/>Rechnung zu unterwerfen und die Menſchengeſchichte vorwärts <lb/>und rückwärts im Laufe der Jahrtauſende zu ermitteln.</s> <s xml:id="echoid-s7741" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7742" xml:space="preserve">Ein Wiſſen dieſer Art hatte bereits <emph style="sp">Laplace</emph> (1749—1827) <lb/>im vorigen Jahrhundert für möglich erklärt, freilich unter der <lb/>Vorausſetzung, daß alle Naturerſcheinungen auf von Central-<lb/>kräften bewegten Atomen beruhen und unter der denkbaren Mög-<lb/>lichkeit, daß ein großer Geiſt einmal im ſtande wäre, die unendliche <lb/>Reihe einer ſolchen Rechnungsaufgabe analytiſch zu entwickeln. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7743" xml:space="preserve">Iſt es auch nicht wahrſcheinlich, daß jemals ſolch ein gewaltiger <lb/>Geiſt in der Menſchheit auftreten werde, ſo iſt doch die Mög-<lb/>lichkeit darum nicht ausgeſchloſſen.</s> <s xml:id="echoid-s7744" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7745" xml:space="preserve">Haben wir denn aber auch eine Gewißheit, daß dieſe Vor-<lb/>ſtellung von den Atomen richtig ſei?</s> <s xml:id="echoid-s7746" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7747" xml:space="preserve">Dubois-Reymond meint, daß uns nicht bloß dieſe Gewiß-<lb/>heit fehlt, ſondern daß wir nicht einmal die Möglichkeit vor-<lb/>ausſehen können, dieſe Gewißheit zu erlangen. </s> <s xml:id="echoid-s7748" xml:space="preserve">Die Voraus-<lb/>ſetzung, daß alle Materie aus einem Konglomerat von Atomen <lb/>beſteht, iſt uns eine bequeme Vorſtellung, die uns Erſchei- <pb o="51" file="633" n="633"/> nungen der Phyſik und der Chemie erklärbar macht. </s> <s xml:id="echoid-s7749" xml:space="preserve">Eine <lb/>Vorſtellung aber von ſolchen Atomen, die unteilbar ſein und <lb/>doch Raum einnehmen ſollen, iſt uns verſchloſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7750" xml:space="preserve">Wir ſtehen <lb/>hier vor einem Widerſpruch, den wir nicht abweiſen und nicht <lb/>löſen können. </s> <s xml:id="echoid-s7751" xml:space="preserve">Wir befinden uns vor einer Grenze des Er-<lb/>kennens der Natur, welche wir nicht bloß nicht zu überſchreiten <lb/>im ſtande ſind, ſondern auch nach unſeren jetzigen Denkgeſetzen <lb/>für unüberſchreitbar halten müſſen.</s> <s xml:id="echoid-s7752" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7753" xml:space="preserve">Gilt dies von den mechaniſch-phyſikaliſchen und unorga-<lb/>niſch-chemiſchen Erſcheinungen, ſo tritt in der organiſchen Natur <lb/>eine neue Schranke auf, die gleichfalls unſerem Wiſſen ein <lb/>“Halt!” zuruft. </s> <s xml:id="echoid-s7754" xml:space="preserve">Wie bildet ſich aus unorganiſchem Stoff ein <lb/>organiſcher? </s> <s xml:id="echoid-s7755" xml:space="preserve">Hier ſind wir wiederum auf Vermutungen ohne <lb/>Beweis hingewieſen. </s> <s xml:id="echoid-s7756" xml:space="preserve">Es iſt möglich, daß die Erde in ihrer <lb/>Bildungsepoche einmal in einem uns unbekannten Zuſtande <lb/>ſolch ein Kunſtſtück naturgemäß fertig bekommen hat. </s> <s xml:id="echoid-s7757" xml:space="preserve">Es iſt <lb/>ferner möglich, daß die Einwirkung der ewig in Thätigkeit <lb/>begriffenen Sonne ſolch eine Entſtehung organiſcher Gebilde <lb/>hervorruft. </s> <s xml:id="echoid-s7758" xml:space="preserve">Es iſt endlich auch wohl noch denkbar, daß die <lb/>Erde, welche ſamt der Sonne durch den Weltraum wandert, <lb/>zu irgend welcher Zeit durch einen organiſche Gebilde ent-<lb/>haltenden kosmiſchen Nebel gewandert iſt, der organiſche Urkeime <lb/>auf ihrer Oberfläche zurückgelaſſen — wie ſie freilich dorthin <lb/>gelangt ſind, vermögen wir wieder nicht anzugeben.</s> <s xml:id="echoid-s7759" xml:space="preserve">. Aber die <lb/>Annahme von dergleichen Möglichkeiten ſind nicht ein Wiſſen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7760" xml:space="preserve">Wir ſind hier auf eine Thatſache der Exiſtenz organiſcher Materie <lb/>verwieſen, ohne ihre Entſtehung erklären zu können.</s> <s xml:id="echoid-s7761" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7762" xml:space="preserve">Freilich, macht man einmal eine ſolche oder ähnliche Vor-<lb/>ausſetzung und nimmt die Exiſtenz wenn auch nur einer ein-<lb/>zigen Pflanzenzelle auf dem Erdenrund an, ſo betreten wir <lb/>wiederum ein gewaltiges Gebiet des Erkennens. </s> <s xml:id="echoid-s7763" xml:space="preserve">Hier haben <lb/>Lamarck und Darwin eine Möglichkeit der Entwickelung dar-<lb/>gelegt, die uns den ungeheuern Weg von einer Urzelle bis zur <pb o="52" file="634" n="634"/> körperlichen Bildung des ganzen Menſchengeſchlechts denkbar <lb/>macht, ſoweit es ſich in Form und Geſtalt um Herausbildung <lb/>mechaniſch und pflanzlich wirkender Organe handelt. </s> <s xml:id="echoid-s7764" xml:space="preserve">Aber in <lb/>dem tieriſchen Organismus, ſelbſt des allerniedrigſten Gebildes, <lb/>handelt. </s> <s xml:id="echoid-s7765" xml:space="preserve">es ſich noch um etwas Anderes, und vor dieſem anderen <lb/>ſtehen wir wiederum vor einer Grenze des Wiſſens, welche <lb/><emph style="sp">Dubois-Reymond</emph> für unüberſchreitbar erklärt.</s> <s xml:id="echoid-s7766" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7767" xml:space="preserve">Dieſes Andere nennen wir im gewöhnlichen Leben “Geiſt”. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7768" xml:space="preserve"><emph style="sp">Dubois-Reymond</emph> nennt es, um die allerniedrigſte Stufe damit <lb/>zu bezeichnen: </s> <s xml:id="echoid-s7769" xml:space="preserve">“Bewußtſein”. </s> <s xml:id="echoid-s7770" xml:space="preserve">Wie kommt dieſe Eigenſchaft zu <lb/>der organiſierten Materie, in welcher ſich dieſelbe aus einem <lb/>bewußtloſen Pflanzen- in ein bewußtes Tierleben verwan-<lb/>delt? </s> <s xml:id="echoid-s7771" xml:space="preserve">Wir wiſſen es nicht! Im Namen der ſtrengen Wiſſen-<lb/>ſchaft, welche keinen kühnen Geiſtesgriff abweiſt, wie ſehr er <lb/>auch vorhandenen Vorurteilen den Garaus macht, ſpricht Du-<lb/>bois-Reymond ſogar das Bekenntnis aus: </s> <s xml:id="echoid-s7772" xml:space="preserve">“Ignorabimus!”, d. </s> <s xml:id="echoid-s7773" xml:space="preserve">h. </s> <s xml:id="echoid-s7774" xml:space="preserve"><lb/><emph style="sp">wir werden es nie wiſſen</emph>!; </s> <s xml:id="echoid-s7775" xml:space="preserve">ein Bekenntnis, das wir <lb/>ſchon im vorangehenden Abſchnitt kennen lernten.</s> <s xml:id="echoid-s7776" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7777" xml:space="preserve">Es lag uns daran, den Ernſt nachzuweiſen, mit welchem einer <lb/>der freieſten und kühnſten Forſcher die Aufgabe und die Gebiete des <lb/>Wiſſens für ſich zu beſchränken weiß. </s> <s xml:id="echoid-s7778" xml:space="preserve">Wir wollen aber nicht <lb/>unterlaſſen, ausdrücklich darauf hinzuweiſen, daß ſolche Feſt-<lb/>legungen von Grenzen verſchieden ausfallen müſſen je nach den <lb/>Kenntniſſen, je nach den Neigungen der Forſcher ſogar, und <lb/>die Auseinanderſetzungen über die Dubois-Reymondſchen An-<lb/>ſichten ſollten daher nur ein Beiſpiel ſein. </s> <s xml:id="echoid-s7779" xml:space="preserve">Wir wollten keines-<lb/>wegs ſagen, daß der genannte Gelehrte die Grenzen unbedingt <lb/><emph style="sp">richtig und dauernd</emph> feſtgelegt hat.</s> <s xml:id="echoid-s7780" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7781" xml:space="preserve">So antwortete der bekannte und begeiſterte Kämpfer für den <lb/>Darwinismus <emph style="sp">Ernſt Haeckel</emph> in Jena auf das Ignorabimus mit <lb/>den Worten impavidi progrediamur, das heißt <emph style="sp">unerſchrocken <lb/>vorwärts</emph>!, und ein anderer bedeutender Forſcher, auf deſſen <lb/>Anſichten zu achten die Gelehrtenwelt alle Veranlaſſung hat, <pb o="53" file="635" n="635"/> <emph style="sp">Carl Wilhelm Nägeli</emph> (1817—1891), der verſtorbene <lb/>Münchener Botaniker, hat nach einer eingehenden naturwiſſen-<lb/>ſchaftlich-philoſophiſchen Auseinanderſetzung im Gegenſatz zu <lb/>Dubois-Reymond dieſem mit dem Ausſpruch geantwortet: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7782" xml:space="preserve">“<emph style="sp">Wir wiſſen und wir werden wiſſen</emph>“, ſofern es ſich <lb/>nämlich um das Streben nach Erkenntnis <emph style="sp">des Endlichen</emph> <lb/>handelt.</s> <s xml:id="echoid-s7783" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7784" xml:space="preserve">Solche totalen Gegenſätze ſind ſo recht geeignet, eindrücklich <lb/>zu mahnen, daß die Erforſchung der Natur beſcheiden machen <lb/>ſollte, der Menſch lernt hierbei die Schwäche ſeiner geiſtigen <lb/>Fähigkeiten kennen. </s> <s xml:id="echoid-s7785" xml:space="preserve">Der im Buſen des wahren Forſchers <lb/>wühlende Trieb: </s> <s xml:id="echoid-s7786" xml:space="preserve">erkennen zu wollen, was die Welt im <lb/>Innerſten zuſammenhält, wird niemals zu voller Befriedi-<lb/>gung gelangen. </s> <s xml:id="echoid-s7787" xml:space="preserve">Ewige Wunder werden uns bleiben teils un-<lb/>löslich, weil unſer endlicher Geiſt die “Unendlichkeit” nicht zu <lb/>erfaſſen vermag, und weil gewiß nur der kleinſte Teil der <lb/>Naturerſcheinungen durch das Thor unſerer ſpärlichen Sinne <lb/>uns zum Bewußtſein kommt. </s> <s xml:id="echoid-s7788" xml:space="preserve">Dieſe Erkenntnis betrübt aber <lb/>nur den, der einſeitig im Verſtande lebt: </s> <s xml:id="echoid-s7789" xml:space="preserve">nicht unſer <emph style="sp">Verſtand</emph> <lb/>allein, auch das <emph style="sp">Gemüt</emph> fordert bei dem ganzen Menſchen <lb/>mächtig Befriedigung. </s> <s xml:id="echoid-s7790" xml:space="preserve">Der Glaube ſetzt ein, wo die Ver-<lb/>ſtandeskräfte nicht ausreichen: </s> <s xml:id="echoid-s7791" xml:space="preserve">das Herz füllt ſich und trägt <lb/>uns. </s> <s xml:id="echoid-s7792" xml:space="preserve">Nur die Phantaſie vermag die Brücke zu bilden zwiſchen <lb/>dem, was wir erkennen <emph style="sp">können</emph> und dem, was wir erkennen <lb/><emph style="sp">möchten</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s7793" xml:space="preserve">Die Philoſophie betritt dieſe unſichere, ſchwanke <lb/>Brücke, die naturwiſſenſchaftliche Forſchung muß zurückbleiben <lb/>und ehrlich geſtehen: </s> <s xml:id="echoid-s7794" xml:space="preserve">ich weiß nicht weiter. </s> <s xml:id="echoid-s7795" xml:space="preserve">Aber <emph style="sp">wir</emph> ſagen mit <lb/><emph style="sp">Schwendener: “was die Naturforſchung aufgiebt an <lb/>weltumfaſſenden Ideen und an lockenden Gebilden <lb/>der Phantaſie, wird ihr reichlich erſetzt durch den <lb/>Zauber der Wirklichkeit, der ihre Schöpfungen <lb/>ſchmückt!”</emph></s> </p> <pb file="636" n="636"/> <pb file="637" n="637"/> </div> <div xml:id="echoid-div286" type="section" level="1" n="195"> <head xml:id="echoid-head223" xml:space="preserve"><emph style="bf">Dachwort.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7796" xml:space="preserve">Wenn die beiden Unterzeichneten, als ſie die Neu-Heraus-<lb/>gabe der Volksbücher vor gerade 2 Jahren begannen, “nur <lb/>eine Umarbeitung gemäß den gewaltigen Fortſchritten der <lb/>neueren Wiſſenſchaft” verſprachen, ſo haben ſie doch im Verlauf <lb/>der Arbeit immer mehr einſehen müſſen, daß ſich eine “Um-<lb/>arbeitung” weit öfter als unmöglich erwies, als es im voraus <lb/>veranſchlagt worden war. </s> <s xml:id="echoid-s7797" xml:space="preserve">Um nun zu zeigen, in wieweit die <lb/>vorliegende illuſtrierte Auflage von der vorletzten abweicht, <lb/>wurde in dem nachfolgenden Inhalts-Verzeichnis, welches eine <lb/>Geſamtüberſicht bietet, im Speziellen näher angedeutet, <emph style="sp">welche</emph> <lb/>Abſchnitte ganz neu eingeſchaltet wurden und welche eine weit-<lb/>gehendere Umarbeitung erfahren haben. </s> <s xml:id="echoid-s7798" xml:space="preserve">Dabei bedeutet:</s> <s xml:id="echoid-s7799" xml:space="preserve"/> </p> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/>(umg. P) # = # umgearbeitet durch H. <emph style="sp">Potonié</emph>, <lb/>(umg. H.) # = # - - R. <emph style="sp">Hennig</emph>, <lb/>(P.) # = # neues Kapitel verfaßt von H. Potonié, <lb/>(H.) # = # - - - - R. <emph style="sp">Hennig</emph>, <lb/></note> <p> <s xml:id="echoid-s7800" xml:space="preserve">während das Fehlen jeglichen Zuſatzes andeutet, daß das be-<lb/>treffende Kapitel — abgeſehen natürlich von zeitgemäßen Ver-<lb/>beſſerungen — im Ganzen unverändert geblieben iſt. </s> <s xml:id="echoid-s7801" xml:space="preserve">Es wurden <lb/>alſo die Zeichen P. </s> <s xml:id="echoid-s7802" xml:space="preserve">u. </s> <s xml:id="echoid-s7803" xml:space="preserve">H. </s> <s xml:id="echoid-s7804" xml:space="preserve">nur dort geſetzt, wo es ſich um ganz <lb/>neue oder um <emph style="sp">weſentliche</emph> Umarbeitungen handelt.</s> <s xml:id="echoid-s7805" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7806" xml:space="preserve"><emph style="sp">Berlin</emph>, im Februar 1899.</s> <s xml:id="echoid-s7807" xml:space="preserve"/> </p> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/><emph style="bf">Dr. H. Potonié,</emph> \\ Kgl. vreuß. Bezirksgeologe. # <emph style="bf">Dr. R. Hennig,</emph> \\ wiſſ. Beamter bei der Firma \\ Siemens & Halske, A.-G. <lb/></note> <pb file="638" n="638"/> </div> <div xml:id="echoid-div287" type="section" level="1" n="196"> <head xml:id="echoid-head224" xml:space="preserve"><emph style="bf">Inhalts-Derzeichnis</emph> <lb/>von <lb/><emph style="bf">Bernſtein’s Naturwiſſenſchaftſichen Voſksbüchern.</emph></head> <head xml:id="echoid-head225" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 1.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7808" xml:space="preserve">Vorwort (P. </s> <s xml:id="echoid-s7809" xml:space="preserve">u. </s> <s xml:id="echoid-s7810" xml:space="preserve">H.)</s> <s xml:id="echoid-s7811" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7812" xml:space="preserve">— <emph style="sp">Einleitung, zugleich als Schluß-<lb/>wort</emph> (P. </s> <s xml:id="echoid-s7813" xml:space="preserve">u. </s> <s xml:id="echoid-s7814" xml:space="preserve">H.)</s> <s xml:id="echoid-s7815" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s7816" xml:space="preserve">Das Ziel der Naturforſchung. </s> <s xml:id="echoid-s7817" xml:space="preserve">— Die Wellen-<lb/>bewegung. </s> <s xml:id="echoid-s7818" xml:space="preserve">— Der Schall. </s> <s xml:id="echoid-s7819" xml:space="preserve">— Das Licht. </s> <s xml:id="echoid-s7820" xml:space="preserve">— Die Wärme- und die <lb/>chemiſchen Strahlen. </s> <s xml:id="echoid-s7821" xml:space="preserve">— Die Elektrizität. </s> <s xml:id="echoid-s7822" xml:space="preserve">— Die Anziehungskraft und <lb/>die Schwerkraft. </s> <s xml:id="echoid-s7823" xml:space="preserve">— Die Erhaltung der Energie (bis hierher H.)</s> <s xml:id="echoid-s7824" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s7825" xml:space="preserve">— <lb/>Das Leben. </s> <s xml:id="echoid-s7826" xml:space="preserve">— Was iſt das Leben? </s> <s xml:id="echoid-s7827" xml:space="preserve">— Die Abſtammungslehre. </s> <s xml:id="echoid-s7828" xml:space="preserve">— <lb/>Thatſachen zur Begründung der Abſtammungslehre (bis hierher P.)</s> <s xml:id="echoid-s7829" xml:space="preserve">.</s> <s xml:id="echoid-s7830" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7831" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Geſchwindigkeit</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7832" xml:space="preserve">Die Geſchwindigkeiten der Naturkräſte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7833" xml:space="preserve">— Wie kann man die Geſchwindigkeit des elektriſchen Stromes meſſen?</s> <s xml:id="echoid-s7834" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7835" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Schwere der Erde</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7836" xml:space="preserve">Wie viel Pſund wiegt die ganze Erde? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7837" xml:space="preserve">— Der Verſuch, die Erde zu wiegen. </s> <s xml:id="echoid-s7838" xml:space="preserve">— Beſchreibung des Verſuchs, <lb/>die Erde zu wiegen.</s> <s xml:id="echoid-s7839" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7840" xml:space="preserve"><emph style="sp">Das Licht und die Entfernung</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7841" xml:space="preserve">Etwas über Beleuchtung. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7842" xml:space="preserve">— Die Beleuchtung der Planeten durch die Sonne.</s> <s xml:id="echoid-s7843" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7844" xml:space="preserve"><emph style="sp">Zur Witterungskunde</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s7845" xml:space="preserve">H.)</s> <s xml:id="echoid-s7846" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s7847" xml:space="preserve">Etwas über das Wetter. </s> <s xml:id="echoid-s7848" xml:space="preserve">— <lb/>Von der Witterung im Sommer und Winter. </s> <s xml:id="echoid-s7849" xml:space="preserve">— Die Luftſtrömungen und <lb/>das Wetter. </s> <s xml:id="echoid-s7850" xml:space="preserve">— Die feſten Regeln der Witterungskunde. </s> <s xml:id="echoid-s7851" xml:space="preserve">— Die Luft und <lb/>das Waſſer in ihrer Beziehung zum Wetter. </s> <s xml:id="echoid-s7852" xml:space="preserve">— Nebel, Wolken, Regen <lb/>und Schnee. </s> <s xml:id="echoid-s7853" xml:space="preserve">— Wie Wärme gebunden wird und wie Wärme frei wird. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7854" xml:space="preserve">— Die gebundenene Wärme macht kalt, die freie Wärme macht warm. </s> <s xml:id="echoid-s7855" xml:space="preserve"><lb/>— Witterungsregeln und Störungen derſelben. </s> <s xml:id="echoid-s7856" xml:space="preserve">— Die Schwierigkeit <lb/>und die Möglichkeit der Wetterverkündigungen. </s> <s xml:id="echoid-s7857" xml:space="preserve">— Die Wetterpropheten. </s> <s xml:id="echoid-s7858" xml:space="preserve"><lb/>— Die Wetterkarten und ihre Anwendung. </s> <s xml:id="echoid-s7859" xml:space="preserve">— Hat der Mond Einfluß <lb/>auf das Wetter?</s> <s xml:id="echoid-s7860" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="57" file="639" n="639"/> <p> <s xml:id="echoid-s7861" xml:space="preserve"><emph style="sp">Von der Blüte und der Frucht</emph> (P.)</s> <s xml:id="echoid-s7862" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s7863" xml:space="preserve">Die Flora und der <lb/>Menſch. </s> <s xml:id="echoid-s7864" xml:space="preserve">— Fortpflanzung durch Teilung. </s> <s xml:id="echoid-s7865" xml:space="preserve">— Die geſchlechtliche Fort-<lb/>pflanzung. </s> <s xml:id="echoid-s7866" xml:space="preserve">— Blumen und Blüten. </s> <s xml:id="echoid-s7867" xml:space="preserve">— Ban der Blüten. </s> <s xml:id="echoid-s7868" xml:space="preserve">— Die Be-<lb/>ſtäubung. </s> <s xml:id="echoid-s7869" xml:space="preserve">— Die Inſektenblüten oder Blumen. </s> <s xml:id="echoid-s7870" xml:space="preserve">— Beiſpiele zur Er-<lb/>läuterung des Beſtäubungsvorganges bei den Blumen. </s> <s xml:id="echoid-s7871" xml:space="preserve">— Waſſerblütler. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7872" xml:space="preserve">— Windblütler. </s> <s xml:id="echoid-s7873" xml:space="preserve">— Der Entdecker des Geheimniſſes der Blumen. </s> <s xml:id="echoid-s7874" xml:space="preserve">— <lb/>Bedeutung der Beſruchtung. </s> <s xml:id="echoid-s7875" xml:space="preserve">— Einiges über die Früchte und deren <lb/>Erziehung. </s> <s xml:id="echoid-s7876" xml:space="preserve">(Dieſer letzte Abſchnitt wurde von Bernſtein übernommen).</s> <s xml:id="echoid-s7877" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7878" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Nahrungsmittel für das Volk</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7879" xml:space="preserve">Umſatz der Nahrungs-<lb/>mittel. </s> <s xml:id="echoid-s7880" xml:space="preserve">— Die Verdauung. </s> <s xml:id="echoid-s7881" xml:space="preserve">— Kaffee. </s> <s xml:id="echoid-s7882" xml:space="preserve">— Nützlichkeit und Schädlichkeit <lb/>des Kaffees. </s> <s xml:id="echoid-s7883" xml:space="preserve">— Das Frühſtück. </s> <s xml:id="echoid-s7884" xml:space="preserve">— Branntwein. </s> <s xml:id="echoid-s7885" xml:space="preserve">— Gefahren des Brannt-<lb/>weins. </s> <s xml:id="echoid-s7886" xml:space="preserve">— Der Arme und der Branntwein. </s> <s xml:id="echoid-s7887" xml:space="preserve">— Die Folgen der Trunk-<lb/>ſucht und deren Verhütung. </s> <s xml:id="echoid-s7888" xml:space="preserve">— Der Mittagstiſch. </s> <s xml:id="echoid-s7889" xml:space="preserve">— Notwendigkeit der <lb/>verſchiedenartigſten Koſt. </s> <s xml:id="echoid-s7890" xml:space="preserve">— Fleiſchbrühe. </s> <s xml:id="echoid-s7891" xml:space="preserve">— Zweckmäßige Zuthat zur <lb/>Fleiſchbrühe. </s> <s xml:id="echoid-s7892" xml:space="preserve">— Hülſenfrüchte. </s> <s xml:id="echoid-s7893" xml:space="preserve">— Gemüſe und Fleiſch. </s> <s xml:id="echoid-s7894" xml:space="preserve">— Das Mittags-<lb/>ſchläfchen. </s> <s xml:id="echoid-s7895" xml:space="preserve">— Waſſer und Bier. </s> <s xml:id="echoid-s7896" xml:space="preserve">— Abendbrot.</s> <s xml:id="echoid-s7897" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div288" type="section" level="1" n="197"> <head xml:id="echoid-head226" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 2.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s7898" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Ernährung</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7899" xml:space="preserve">Nichts als Milch. </s> <s xml:id="echoid-s7900" xml:space="preserve">— Der Menſch, die ver-<lb/>wandelte Speiſe. </s> <s xml:id="echoid-s7901" xml:space="preserve">— Was für wunderliche Speiſen wir eſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7902" xml:space="preserve">— Wie die <lb/>Speiſen ſür uns von der Natur vorbereitet werden. </s> <s xml:id="echoid-s7903" xml:space="preserve">— Was wird aus <lb/>der Muttermilch, wenn ſie in den Körper des Kindes kommt? </s> <s xml:id="echoid-s7904" xml:space="preserve">— Wie <lb/>das Blut im Körper zum lebendigen Körper wird. </s> <s xml:id="echoid-s7905" xml:space="preserve">— Der Kreislauf <lb/>der Stoffe. </s> <s xml:id="echoid-s7906" xml:space="preserve">— Die Nahrung. </s> <s xml:id="echoid-s7907" xml:space="preserve">— Einige Verſuche über die Ernährung.</s> <s xml:id="echoid-s7908" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s7909" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Inſtinkt der Tiere</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s7910" xml:space="preserve">Was iſt Inſtinkt? </s> <s xml:id="echoid-s7911" xml:space="preserve">— Unterſchied <lb/>des Inſtinkts der Pflanze und des Tieres. </s> <s xml:id="echoid-s7912" xml:space="preserve">— Der Inſtinkt des Tieres. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7913" xml:space="preserve">— Die beſtimmten Zwecke des Inſtinkts. </s> <s xml:id="echoid-s7914" xml:space="preserve">— Inſtinktmäßige Liſt der <lb/>Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s7915" xml:space="preserve">— Inſtinktmäßige Wahl der Nahrungsmittel. </s> <s xml:id="echoid-s7916" xml:space="preserve">— Inſtinkt zum <lb/>Sammeln und Aufſpeichern der Nahrungsmittel. </s> <s xml:id="echoid-s7917" xml:space="preserve">— Kunſt der Tiere <lb/>bei Einrichtung ihrer Wohnungen. </s> <s xml:id="echoid-s7918" xml:space="preserve">— Vorſorge der Inſekten für ihre <lb/>Jungen. </s> <s xml:id="echoid-s7919" xml:space="preserve">— Elterlicher Unterricht der Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s7920" xml:space="preserve">— Das Benehmen der <lb/>Tiere gegen ihre Feinde. </s> <s xml:id="echoid-s7921" xml:space="preserve">— Der Inſtinkt der Geſelligkeit. </s> <s xml:id="echoid-s7922" xml:space="preserve">— Ver-<lb/>ſtändigung der Tiere untereinander. </s> <s xml:id="echoid-s7923" xml:space="preserve">— Das Leben der Bienen. </s> <s xml:id="echoid-s7924" xml:space="preserve">— An-<lb/>ſiedelung der Bienen. </s> <s xml:id="echoid-s7925" xml:space="preserve">— Der Bau der Bienenzellen. </s> <s xml:id="echoid-s7926" xml:space="preserve">— Bienen-Eier <lb/>und deren Entwickelung. </s> <s xml:id="echoid-s7927" xml:space="preserve">— Tod und Entſtehung einer Bienenkönigin. </s> <s xml:id="echoid-s7928" xml:space="preserve"><lb/>— Das Geſellſchaftsleben der Ameiſen. </s> <s xml:id="echoid-s7929" xml:space="preserve">— Das Geſellſchaftsleben der <lb/>Termiten. </s> <s xml:id="echoid-s7930" xml:space="preserve">— Der Soldatenkrieg der Termiten. </s> <s xml:id="echoid-s7931" xml:space="preserve">— Der Wander-Trieb <lb/>der Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s7932" xml:space="preserve">— Der Wander-Inſtinkt der Störche. </s> <s xml:id="echoid-s7933" xml:space="preserve">— Die Taube. </s> <s xml:id="echoid-s7934" xml:space="preserve">— <lb/>Der Einfluß der menſchlichen Umgebung auf die Haustiere. </s> <s xml:id="echoid-s7935" xml:space="preserve">— Be-<lb/>wußtſein bei Tieren. </s> <s xml:id="echoid-s7936" xml:space="preserve">— Merkwürdige Eigentümlichkeiten des Hundes.</s> <s xml:id="echoid-s7937" xml:space="preserve"> <pb o="58" file="640" n="640"/> — Verſtandes-Entwickelung bei den Affen. </s> <s xml:id="echoid-s7938" xml:space="preserve">— Die Menſchenähnlichkeit <lb/>der Affen hinſichtlich ihres Benehmens. </s> <s xml:id="echoid-s7939" xml:space="preserve">— Das Nervenſyſtem der <lb/>Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s7940" xml:space="preserve">— Die Sonderung der verſchiedenen Nervenſyſteme bei den <lb/>höheren im Gegenſatz zu den niederen Tieren.</s> <s xml:id="echoid-s7941" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div289" type="section" level="1" n="198"> <head xml:id="echoid-head227" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 3</emph> (umg. H.).</head> <p> <s xml:id="echoid-s7942" xml:space="preserve">Wenn wir einen Sinn weniger hätten. </s> <s xml:id="echoid-s7943" xml:space="preserve">— Wenn wir einen Sinn <lb/>mehr hätten. </s> <s xml:id="echoid-s7944" xml:space="preserve">— Die verſchiedenen Anziehungskräfte. </s> <s xml:id="echoid-s7945" xml:space="preserve">— Von den kleinſten <lb/>Teilchen und den unſichtbaren Zwiſchenräumen. </s> <s xml:id="echoid-s7946" xml:space="preserve">— Was man unter <lb/>Atom zu verſtehen hat. </s> <s xml:id="echoid-s7947" xml:space="preserve">— Wie die Wärme mit den Atomen ihr Spiel <lb/>treibt. </s> <s xml:id="echoid-s7948" xml:space="preserve">— Woher die Wirkung der Wärme auf die Atome ſtammt. </s> <s xml:id="echoid-s7949" xml:space="preserve">— <lb/>Von der Anziehungs- und Abſtoßungskraft der Atome. </s> <s xml:id="echoid-s7950" xml:space="preserve">— Wodurch <lb/>die Dinge feſt oder flüſſig oder gasartig erſcheinen. </s> <s xml:id="echoid-s7951" xml:space="preserve">— Die Verflüſſigung <lb/>der Luft. </s> <s xml:id="echoid-s7952" xml:space="preserve">— Der Einfluß der Wärme auf die Atome. </s> <s xml:id="echoid-s7953" xml:space="preserve">— Die An-<lb/>ziehungskraft der Maſſen. </s> <s xml:id="echoid-s7954" xml:space="preserve">— Wie die Anziehung der Erde mit der <lb/>Entfernung abnimmt. </s> <s xml:id="echoid-s7955" xml:space="preserve">— Allgemeine Betrachtung über den Fall der <lb/>Körper. </s> <s xml:id="echoid-s7956" xml:space="preserve">— Wie groß iſt die Geſchwindigkeit des Falls? </s> <s xml:id="echoid-s7957" xml:space="preserve">— Nähere Be-<lb/>trachtung der Fall-Geſchwindigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s7958" xml:space="preserve">— Wichtigkeit der Fallgeſetze. </s> <s xml:id="echoid-s7959" xml:space="preserve">— <lb/>Der Lauf des Mondes verglichen mit dem Lauf einer Kanonenkugel. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7960" xml:space="preserve">— Die Bewegungen und die Anziehungen der Geſtirne. </s> <s xml:id="echoid-s7961" xml:space="preserve">— Worin liegt <lb/>die Kraft der Anziehung? </s> <s xml:id="echoid-s7962" xml:space="preserve">— Die Anziehungskraft und die Entſtehung <lb/>der Welt. </s> <s xml:id="echoid-s7963" xml:space="preserve">— Die Verſchiedenheit ähnlicher Naturkräfte. </s> <s xml:id="echoid-s7964" xml:space="preserve">— Die Kraft <lb/>des Magneten. </s> <s xml:id="echoid-s7965" xml:space="preserve">— Weitere Verſuche mit einem Magneten. </s> <s xml:id="echoid-s7966" xml:space="preserve">— Was es <lb/>mit den zwei Polen der Magnete für Bewandtnis hat. </s> <s xml:id="echoid-s7967" xml:space="preserve">— Was mit <lb/>einem Magneten geſchieht, der in der Mitte durchgebrochen wird. </s> <s xml:id="echoid-s7968" xml:space="preserve">— <lb/>Eine Erklärung der magnetiſchen Erſcheinungen. </s> <s xml:id="echoid-s7969" xml:space="preserve">— Was in einer Nadel <lb/>vorgeht, die man magnetiſiert. </s> <s xml:id="echoid-s7970" xml:space="preserve">— Wie auf alle Dinge magnetiſch ein-<lb/>gewirkt werden kann. </s> <s xml:id="echoid-s7971" xml:space="preserve">— Die magnetiſche Kraft der Erde. </s> <s xml:id="echoid-s7972" xml:space="preserve">— Die Un-<lb/>endlichkeit und die — Elektrizität. </s> <s xml:id="echoid-s7973" xml:space="preserve">— Die Elektrizität in ihren ein-<lb/>fachſten Erſcheinungen. </s> <s xml:id="echoid-s7974" xml:space="preserve">— Weitere elektriſche Verſuche. </s> <s xml:id="echoid-s7975" xml:space="preserve">— Die Ver-<lb/>ſchiedenheit der elektriſchen und magnetiſchen Erſcheinungen. </s> <s xml:id="echoid-s7976" xml:space="preserve">— Über <lb/>die Leitung der Elektrizität. </s> <s xml:id="echoid-s7977" xml:space="preserve">— Der elektriſche Funke und der Blitz. </s> <s xml:id="echoid-s7978" xml:space="preserve"><lb/>— Die Leitung, Anſammlung und Ladung der Elektriziät. </s> <s xml:id="echoid-s7979" xml:space="preserve">— Wie man <lb/>die Elektrizität feſſeln kann. </s> <s xml:id="echoid-s7980" xml:space="preserve">— Eine Erklärung über Ladung und Ent-<lb/>ladung der Elektrizität. </s> <s xml:id="echoid-s7981" xml:space="preserve">— Welche Rolle die Elektrizität bei einem <lb/>Gewitter ſpielt.</s> <s xml:id="echoid-s7982" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div290" type="section" level="1" n="199"> <head xml:id="echoid-head228" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 4</emph> (umg. H.).</head> <p> <s xml:id="echoid-s7983" xml:space="preserve">Die Erſcheinungen des Galvanismus. </s> <s xml:id="echoid-s7984" xml:space="preserve">— Was man unter gal-<lb/>vaniſcher Kette verſteht. </s> <s xml:id="echoid-s7985" xml:space="preserve">— Wie man eine Voltaſche Säule herſtellt, <pb o="59" file="641" n="641"/> und was man an ihr bemerken kann. </s> <s xml:id="echoid-s7986" xml:space="preserve">— Die Wirkung des Galvanismus <lb/>auf den lebenden Körper. </s> <s xml:id="echoid-s7987" xml:space="preserve">— Dcr elektriſche Funke. </s> <s xml:id="echoid-s7988" xml:space="preserve">— Die galvaniſche <lb/>Hitze. </s> <s xml:id="echoid-s7989" xml:space="preserve">— Das elektriſche Licht. </s> <s xml:id="echoid-s7990" xml:space="preserve">— Die praktiſche Verwendung des <lb/>elektriſchen Lichtes. </s> <s xml:id="echoid-s7991" xml:space="preserve">— Die chemiſche Wirkung des elektriſchen Lichtes. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s7992" xml:space="preserve">Die Wirkung des elektriſchen Stromes auf Eiſen. </s> <s xml:id="echoid-s7993" xml:space="preserve">— Die Anwendung <lb/>der elektromagnetiſchen Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s7994" xml:space="preserve">— Drehende Bewegung der Elektro-<lb/>magneten. </s> <s xml:id="echoid-s7995" xml:space="preserve">— Die elektriſchen Telegraphen. </s> <s xml:id="echoid-s7996" xml:space="preserve">— Die Telegraphen von <lb/>Siemens und Halske. </s> <s xml:id="echoid-s7997" xml:space="preserve">— Der Schreibe-Telegraph. </s> <s xml:id="echoid-s7998" xml:space="preserve">— Berichtigung <lb/>einer zu weit getriebenen Theorie über die elektriſche Ausgleichung. </s> <s xml:id="echoid-s7999" xml:space="preserve">— <lb/>Die elektromagnetiſchen Uhren. </s> <s xml:id="echoid-s8000" xml:space="preserve">— Die Induktionselektrizität und das <lb/>Geheimnis des Telephons. </s> <s xml:id="echoid-s8001" xml:space="preserve">— Die Erklärung des Telephons. </s> <s xml:id="echoid-s8002" xml:space="preserve">— Das <lb/>Mikrophon. </s> <s xml:id="echoid-s8003" xml:space="preserve">— Der Phonograph. </s> <s xml:id="echoid-s8004" xml:space="preserve">— Betrachtungen über den Phono-<lb/>graphen. </s> <s xml:id="echoid-s8005" xml:space="preserve">— Die Elektrizität in den Muskeln und Nerven.</s> <s xml:id="echoid-s8006" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div291" type="section" level="1" n="200"> <head xml:id="echoid-head229" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 5.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8007" xml:space="preserve">Von den chemiſchen Kräften. </s> <s xml:id="echoid-s8008" xml:space="preserve">— Die Verſchiedenheit der An-<lb/>ziehungs-Kräfte. </s> <s xml:id="echoid-s8009" xml:space="preserve">— Die beſonderen Eigentümlichkeiten der chemiſchen <lb/>Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s8010" xml:space="preserve">— Die Haupt-Erſcheinnngen der chemiſchen Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s8011" xml:space="preserve">— Die chemiſche <lb/>Verwandtſchaft oder Neigung. </s> <s xml:id="echoid-s8012" xml:space="preserve">— Wie ſonderbar oft die Reſultate <lb/>chemiſcher Verbindungen ſind. </s> <s xml:id="echoid-s8013" xml:space="preserve">— Die Umſtände, unter welchen chemiſche <lb/>Anziehungen ſtattfinden. </s> <s xml:id="echoid-s8014" xml:space="preserve">— Eine Reihenfolge der chemiſchen Neigungen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8015" xml:space="preserve">— Wie die größte chemiſche Neigung gerade zwiſchen ſich unähnlichen <lb/>Stoffen beſteht. </s> <s xml:id="echoid-s8016" xml:space="preserve">— Von der Natur der chemiſchen Verbindungen. </s> <s xml:id="echoid-s8017" xml:space="preserve">— <lb/>Die Gewichts-Verhältniſſe der chemiſchen Verbindungen. </s> <s xml:id="echoid-s8018" xml:space="preserve">— Wie die <lb/>chemiſchen Stoffe ſtets nur in beſtimmten Gewichtsteilen ihre Ver-<lb/>bindungen eingehen. </s> <s xml:id="echoid-s8019" xml:space="preserve">— Was chemiſche Anziehung und was chemiſche <lb/>Energie iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8020" xml:space="preserve">— Die Verbindung eines chemiſchen Stoffes mit doppelten <lb/>und mehrfachen Portionen. </s> <s xml:id="echoid-s8021" xml:space="preserve">— Was man in der Chemie von den <lb/>Atomen erfahren kann. </s> <s xml:id="echoid-s8022" xml:space="preserve">— Verſchiedener Zuſtand der Atome in ver-<lb/>ſchiedenen Dingen. </s> <s xml:id="echoid-s8023" xml:space="preserve">— Die Anzahl der Atome bei chemiſchen Ver-<lb/>bindungen und das Gewicht jedes Stoffes. </s> <s xml:id="echoid-s8024" xml:space="preserve">— Die mehrfachen Ver-<lb/>bindungen der Atome. </s> <s xml:id="echoid-s8025" xml:space="preserve">— Die Atome und die Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8026" xml:space="preserve">— Was man <lb/>ſpezifiſche Wärme der Stoffe nennt und wie die Atome erwärmt werden. </s> <s xml:id="echoid-s8027" xml:space="preserve"><lb/>— Was man unter Diffuſion verſteht. </s> <s xml:id="echoid-s8028" xml:space="preserve">— Von der Diffuſion flüſſiger <lb/>Körper. </s> <s xml:id="echoid-s8029" xml:space="preserve">— Wie Chemie und Elektrizität mit einander verwandt ſind. </s> <s xml:id="echoid-s8030" xml:space="preserve"><lb/>— Die chemiſchen Wirkungen elektriſcher Ströme. </s> <s xml:id="echoid-s8031" xml:space="preserve">— Von der elektro-<lb/>chemiſchen Kraft. </s> <s xml:id="echoid-s8032" xml:space="preserve">— Die Erklärung der chemiſchen Erſcheinungen durch <lb/>elektriſche Kräfte. </s> <s xml:id="echoid-s8033" xml:space="preserve">— Erklärung der chemiſchen Verbindungen und <lb/>Trennungen nach der elektro-chemiſchen Lehre. </s> <s xml:id="echoid-s8034" xml:space="preserve">— Die Galvano-Plaſtik. </s> <s xml:id="echoid-s8035" xml:space="preserve"><lb/>— Von der galvaniſchen Verſilberung. </s> <s xml:id="echoid-s8036" xml:space="preserve">— Von der Bereitung der <pb o="60" file="642" n="642"/> Verſilberungs-Flüſſigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s8037" xml:space="preserve">— Ginrichtung des Apparats zum Verſilbern. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8038" xml:space="preserve">— Etwas von der galvaniſchen Vergoldung. </s> <s xml:id="echoid-s8039" xml:space="preserve">— Merkwürdige weitere <lb/>Verſuche. </s> <s xml:id="echoid-s8040" xml:space="preserve">— Schlußbetrachtung.</s> <s xml:id="echoid-s8041" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div292" type="section" level="1" n="201"> <head xml:id="echoid-head230" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 6.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8042" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ein wenig Chemie</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s8043" xml:space="preserve">I.</s> <s xml:id="echoid-s8044" xml:space="preserve">: Wichtigkeit der Chemie fürs Leben. </s> <s xml:id="echoid-s8045" xml:space="preserve">— <lb/>Sauerſtoff mit Kohle und mit Schwefel. </s> <s xml:id="echoid-s8046" xml:space="preserve">— Sauerſtoff und Phosphor. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8047" xml:space="preserve">— Sauerſtoff und Eiſen. </s> <s xml:id="echoid-s8048" xml:space="preserve">— Wie gewinnt man Sauerſtoff? </s> <s xml:id="echoid-s8049" xml:space="preserve">— Was <lb/>iſt eine ſogenannte chemiſche Verbindung? </s> <s xml:id="echoid-s8050" xml:space="preserve">— Die Verbrennung. </s> <s xml:id="echoid-s8051" xml:space="preserve">— <lb/>Die Lehre der Chemie über das Verbrennen. </s> <s xml:id="echoid-s8052" xml:space="preserve">— Chemie allenthalben. </s> <s xml:id="echoid-s8053" xml:space="preserve"><lb/>— Die Wanderung des Sauerſtoffes durch unſeren Körper. </s> <s xml:id="echoid-s8054" xml:space="preserve">— Atmen <lb/>und Einheizen. </s> <s xml:id="echoid-s8055" xml:space="preserve">— Die chemiſche Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8056" xml:space="preserve">— Die Chemie in aller Welt <lb/>Händen. </s> <s xml:id="echoid-s8057" xml:space="preserve">— Verſuche mit einem Zündhölzchen. </s> <s xml:id="echoid-s8058" xml:space="preserve">— Ein chemiſches Geſetz. </s> <s xml:id="echoid-s8059" xml:space="preserve"><lb/>— Einiges vom Waſſerſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8060" xml:space="preserve">— Anleitung zu einem Verſuch. </s> <s xml:id="echoid-s8061" xml:space="preserve">— Von <lb/>der Zerlegung des Waſſers auf elektriſchem Wege. </s> <s xml:id="echoid-s8062" xml:space="preserve">— Etwas vom <lb/>Stickſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8063" xml:space="preserve">— Die chemiſche Trägheit des Stickſtoffes und deren wohl-<lb/>thätige Folgen. </s> <s xml:id="echoid-s8064" xml:space="preserve">— Merkwürdige Verbindungen des Stickſtoffs. </s> <s xml:id="echoid-s8065" xml:space="preserve">— Was <lb/>iſt Kohlenſtoff? </s> <s xml:id="echoid-s8066" xml:space="preserve">— Kohle und Diamant. </s> <s xml:id="echoid-s8067" xml:space="preserve">— Sonderbare Eigenſchaften <lb/>des Kohlenſtoffs. </s> <s xml:id="echoid-s8068" xml:space="preserve">— Einige Verſuche mit Kohlenſäure. </s> <s xml:id="echoid-s8069" xml:space="preserve">— Kleine Ver-<lb/>ſuche und große Folgerungen. </s> <s xml:id="echoid-s8070" xml:space="preserve">— Ein wenig organiſche Chemie. </s> <s xml:id="echoid-s8071" xml:space="preserve">— <lb/>Die wichtigen Aufgaben der organiſchen Chemie.</s> <s xml:id="echoid-s8072" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div293" type="section" level="1" n="202"> <head xml:id="echoid-head231" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 7.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8073" xml:space="preserve"><emph style="sp">Ein wenig Chemie</emph>. </s> <s xml:id="echoid-s8074" xml:space="preserve">II.</s> <s xml:id="echoid-s8075" xml:space="preserve">: Naturwiſſenſchaft, Weltgeſchichte und <lb/>ſoziale Frage (H.)</s> <s xml:id="echoid-s8076" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8077" xml:space="preserve">— Die landwirtſchaftliche Chemie, der Keim, die <lb/>Frucht und einige Verſuche. </s> <s xml:id="echoid-s8078" xml:space="preserve">— Die chemiſche Werkſtatt der Pflanze. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8079" xml:space="preserve">— Die Nahrung der Pflanze. </s> <s xml:id="echoid-s8080" xml:space="preserve">— Die Speiſung der Pflanze durch die <lb/>Wurzel. </s> <s xml:id="echoid-s8081" xml:space="preserve">— Womit und wie man die Pflanzen füttern muß. </s> <s xml:id="echoid-s8082" xml:space="preserve">— Die <lb/>Düngung des Feldes. </s> <s xml:id="echoid-s8083" xml:space="preserve">— Die wiſſenſchaftliche Unterſuchung des Düngers, <lb/>— Die Entdeckung neuer Stoffe. </s> <s xml:id="echoid-s8084" xml:space="preserve">— Die freiwilligen Veränderungen <lb/>der Pflanzenſtoffe. </s> <s xml:id="echoid-s8085" xml:space="preserve">— Die Bereitung von Mehl und Stärke aus einer <lb/>Kartoffel. </s> <s xml:id="echoid-s8086" xml:space="preserve">— Die Verwandlung der Kartoffel in Zucker. </s> <s xml:id="echoid-s8087" xml:space="preserve">— Die Dienſte <lb/>der Schwefelſäure oder des Malzes. </s> <s xml:id="echoid-s8088" xml:space="preserve">— Kann man nicht aus Holz <lb/>Zucker machen? </s> <s xml:id="echoid-s8089" xml:space="preserve">— Die Verwandlung des Zuckers durch Gährung. </s> <s xml:id="echoid-s8090" xml:space="preserve">— <lb/>Was die Gährung für Veränderung hervorbringt. </s> <s xml:id="echoid-s8091" xml:space="preserve">— Die Bildung <lb/>von Met, Rum, Wein und Bier. </s> <s xml:id="echoid-s8092" xml:space="preserve">— Die Fabrikation des Biers in <lb/>ſeinen verſchiedenen Sorten. </s> <s xml:id="echoid-s8093" xml:space="preserve">— Die Bildung des Äthers aus Alkohol. </s> <s xml:id="echoid-s8094" xml:space="preserve"><lb/>— Die Verwandlung des Alkohols in Eſſig. </s> <s xml:id="echoid-s8095" xml:space="preserve">— Die ſchnellere Ver-<lb/>wandlung des Alkohols in Eſſig. </s> <s xml:id="echoid-s8096" xml:space="preserve">— Die Bedeutung der Chemie als <lb/>Wiſſenſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s8097" xml:space="preserve">— Die höchſte Aufgabe der Tierchemie.</s> <s xml:id="echoid-s8098" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="61" file="643" n="643"/> <p> <s xml:id="echoid-s8099" xml:space="preserve"><emph style="sp">Über Bäder und deren Wirkung</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8100" xml:space="preserve">Was das Waſſer alles <lb/>kann. </s> <s xml:id="echoid-s8101" xml:space="preserve">— Wir leben in einem Luftbade. </s> <s xml:id="echoid-s8102" xml:space="preserve">— Wie Waſſer ein ander Ding <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8103" xml:space="preserve">— In was für Haut wir ſtecken. </s> <s xml:id="echoid-s8104" xml:space="preserve">— Die Verdunſtung durch die <lb/>Haut. </s> <s xml:id="echoid-s8105" xml:space="preserve">— Einteilung der Bäder. </s> <s xml:id="echoid-s8106" xml:space="preserve">— Das Reinigungsbad. </s> <s xml:id="echoid-s8107" xml:space="preserve">— Die <lb/>Empfindlichkeit und die Geſundheit. </s> <s xml:id="echoid-s8108" xml:space="preserve">— Die Einwirkung des Waſſer-<lb/>Druckes. </s> <s xml:id="echoid-s8109" xml:space="preserve">— Die Haut als durchdringliche Wand. </s> <s xml:id="echoid-s8110" xml:space="preserve">— Die Anregung <lb/>der Haut-Thätigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s8111" xml:space="preserve">— Die lebendige Gegenwirkung. </s> <s xml:id="echoid-s8112" xml:space="preserve">— Die warmen <lb/>Bäder. </s> <s xml:id="echoid-s8113" xml:space="preserve">— Die Gegenwirkung im kalten Bade. </s> <s xml:id="echoid-s8114" xml:space="preserve">— Schlußbetrachtungen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8115" xml:space="preserve">— Anhang: </s> <s xml:id="echoid-s8116" xml:space="preserve">Die Kneipp-Kur (verf. </s> <s xml:id="echoid-s8117" xml:space="preserve">v. </s> <s xml:id="echoid-s8118" xml:space="preserve">Dr. </s> <s xml:id="echoid-s8119" xml:space="preserve">Kremski).</s> <s xml:id="echoid-s8120" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div294" type="section" level="1" n="203"> <head xml:id="echoid-head232" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 8.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8121" xml:space="preserve"><emph style="sp">Etwas vom Alter der Erde</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s8122" xml:space="preserve">P. </s> <s xml:id="echoid-s8123" xml:space="preserve">und die drei letzten <lb/>Abſchnitte H.)</s> <s xml:id="echoid-s8124" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s8125" xml:space="preserve">Das Leben der ſogenannten “toten Natur”. </s> <s xml:id="echoid-s8126" xml:space="preserve">— Wie <lb/>entſtehen die Berge und die Meere? </s> <s xml:id="echoid-s8127" xml:space="preserve">— Die Wirkung entgegengeſetzter <lb/>Kräfte auf die Erde — Wie ſieht es im Innern der Erde aus? </s> <s xml:id="echoid-s8128" xml:space="preserve">— <lb/>Die harte Erdſchale. </s> <s xml:id="echoid-s8129" xml:space="preserve">— Die Bildung des tropfbaren Waſſers auf der <lb/>Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8130" xml:space="preserve">— Geſteine, die ſich unter dem Waſſer geblidet haben. </s> <s xml:id="echoid-s8131" xml:space="preserve">— Unter-<lb/>ſchied der Geſteinarten. </s> <s xml:id="echoid-s8132" xml:space="preserve">— Unterſchied in Bezug auf das Vorkommen <lb/>der Geſteine. </s> <s xml:id="echoid-s8133" xml:space="preserve">— Die gegenwärtige Umbildung der Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8134" xml:space="preserve">— Das nord-<lb/>deutſche Flachland (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8135" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8136" xml:space="preserve">— Die Braunkohle und ihre Entſtehung (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8137" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8138" xml:space="preserve">— <lb/>Der Bernſtein (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8139" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8140" xml:space="preserve">— Die Eiszeit (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8141" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8142" xml:space="preserve">— Wie alt iſt der gegen-<lb/>wärtige Zuſtand der Erde? </s> <s xml:id="echoid-s8143" xml:space="preserve">— Wie lange Zeit brauchte die Erdrinde, <lb/>um zu erkalten? </s> <s xml:id="echoid-s8144" xml:space="preserve">— Haben wir noch eine Umwälzung der Erde zu <lb/>erwarten? </s> <s xml:id="echoid-s8145" xml:space="preserve">— Iſt eine einſtmalige Rückbildung der Erde denkbar? </s> <s xml:id="echoid-s8146" xml:space="preserve">— <lb/>Veränderungen, die man an den Kometen beobachtet. </s> <s xml:id="echoid-s8147" xml:space="preserve">— Das Ent-<lb/>ſtehen und Vergehen der Fixſterne. </s> <s xml:id="echoid-s8148" xml:space="preserve">— Nebelflecke.</s> <s xml:id="echoid-s8149" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8150" xml:space="preserve"><emph style="sp">Von der Umdrehung der Erde</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8151" xml:space="preserve">Die Uhr. </s> <s xml:id="echoid-s8152" xml:space="preserve">— Das Pendel. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8153" xml:space="preserve">— Die Taſchenuhren. </s> <s xml:id="echoid-s8154" xml:space="preserve">— Rotiert die Erde gleichmäßig? </s> <s xml:id="echoid-s8155" xml:space="preserve">— Der Um-<lb/>lauf des Mondes. </s> <s xml:id="echoid-s8156" xml:space="preserve">— Scheinbare Beſchleunigung des Mondes. </s> <s xml:id="echoid-s8157" xml:space="preserve">— Wie <lb/>der Mond unſere Tage länger macht.</s> <s xml:id="echoid-s8158" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8159" xml:space="preserve"><emph style="sp">Von der Geſchwindigkeit des Lichtes</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8160" xml:space="preserve">Vom Licht. </s> <s xml:id="echoid-s8161" xml:space="preserve">— <lb/>Der Poſtenlauf des Lichtes. </s> <s xml:id="echoid-s8162" xml:space="preserve">— Was uns der Planet Jupiter angeht. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8163" xml:space="preserve">— Wie die Geſchwindigkeit des Lichtes gemeſſen wurde. </s> <s xml:id="echoid-s8164" xml:space="preserve">— Die weiteren <lb/>Beſtätigungen. </s> <s xml:id="echoid-s8165" xml:space="preserve">— Die Entdeckung Bradleys. </s> <s xml:id="echoid-s8166" xml:space="preserve">— Wie Bradley die Ab-<lb/>Irrung des Lichtes entdeckte. </s> <s xml:id="echoid-s8167" xml:space="preserve">— Ein Blick in die Unendlichkeit.</s> <s xml:id="echoid-s8168" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div295" type="section" level="1" n="204"> <head xml:id="echoid-head233" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 9.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8169" xml:space="preserve"><emph style="sp">Von der Entwickelung des tieriſchen Lebens</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s8170" xml:space="preserve">P.)</s> <s xml:id="echoid-s8171" xml:space="preserve">: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8172" xml:space="preserve">Vom Ei und vom Leben. </s> <s xml:id="echoid-s8173" xml:space="preserve">— Von dem Studium der Entwickelung des <lb/>Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s8174" xml:space="preserve">— Die Brütung des Eies. </s> <s xml:id="echoid-s8175" xml:space="preserve">— Was ſteckt eigentlich im Ei? </s> <s xml:id="echoid-s8176" xml:space="preserve">— <pb o="62" file="644" n="644"/> Beſehen wir uns das Ei. </s> <s xml:id="echoid-s8177" xml:space="preserve">— Wie die Rechnung genau ſtimmt. </s> <s xml:id="echoid-s8178" xml:space="preserve">— Wie <lb/>ein Ei zur Welt kommt. </s> <s xml:id="echoid-s8179" xml:space="preserve">— Das Ei in der Bildungsanſtalt. </s> <s xml:id="echoid-s8180" xml:space="preserve">— Was man <lb/>ſieht und was man nicht ſieht. </s> <s xml:id="echoid-s8181" xml:space="preserve">— Nach der Brütung von ſechs und <lb/>von zwölf Stunden. </s> <s xml:id="echoid-s8182" xml:space="preserve">— Inwiefern das Hühnchen durch die Art ſeiner <lb/>Entwickelung auf ſeine Ur-Vorfahren weiſt. </s> <s xml:id="echoid-s8183" xml:space="preserve">— Wir ſehen etwas vom <lb/>Hühnchen. </s> <s xml:id="echoid-s8184" xml:space="preserve">— Das Hühnchen iſt einen Tag alt. </s> <s xml:id="echoid-s8185" xml:space="preserve">— Ein Blick in die <lb/>Hühnerfabrik. </s> <s xml:id="echoid-s8186" xml:space="preserve">— Wie einem Hören, Sehen und Denken vergehen kann. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8187" xml:space="preserve">— Ein Weſen von Kopf und Herz. </s> <s xml:id="echoid-s8188" xml:space="preserve">— Das lebendige Drei-Blatt. </s> <s xml:id="echoid-s8189" xml:space="preserve">— <lb/>Wie viel das Hühnchen am dritten Tage zu thun hat. </s> <s xml:id="echoid-s8190" xml:space="preserve">— Drei neue <lb/>Lebenstage. </s> <s xml:id="echoid-s8191" xml:space="preserve">— Wie das Hühnchen anfängt, Tauſchgeſchäfte zu machen. </s> <s xml:id="echoid-s8192" xml:space="preserve"><lb/>— Das Kommiſſionsgeſchäft für ungeborene Weſen. </s> <s xml:id="echoid-s8193" xml:space="preserve">— Das Hühnchen <lb/>wird ſeinen Eltern immer ähnlicher. </s> <s xml:id="echoid-s8194" xml:space="preserve">— Bis zum Auskriechen. </s> <s xml:id="echoid-s8195" xml:space="preserve">— Wie <lb/>das Hühnchen ſich reiſefertig für das Leben macht. </s> <s xml:id="echoid-s8196" xml:space="preserve">— Ein gedanken-<lb/>ſchwerer Abſchied vom Hühnchen.</s> <s xml:id="echoid-s8197" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8198" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Hypnotismus</emph> (H.)</s> <s xml:id="echoid-s8199" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s8200" xml:space="preserve">Einleitende Bemerkungen. </s> <s xml:id="echoid-s8201" xml:space="preserve">— Das <lb/>Weſen der Suggeſtion. </s> <s xml:id="echoid-s8202" xml:space="preserve">— Von den “Wachſuggeſtionen”. </s> <s xml:id="echoid-s8203" xml:space="preserve">— Eine Hin-<lb/>richtung durch Suggeſtion. </s> <s xml:id="echoid-s8204" xml:space="preserve">— Die Suggeſtionen im gewöhnlichen Schlaf. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8205" xml:space="preserve">— Das Nachtwandeln. </s> <s xml:id="echoid-s8206" xml:space="preserve">— Die Herbeiführung des hypnotiſchen Schlafes. </s> <s xml:id="echoid-s8207" xml:space="preserve"><lb/>— Die Erſcheinungen während des leichteren hypnotiſchen Schlafes. </s> <s xml:id="echoid-s8208" xml:space="preserve">— <lb/>Die Erſcheinungen während des hypnotiſchen Tiefſchlafes. </s> <s xml:id="echoid-s8209" xml:space="preserve">— Die ſo-<lb/>genannte Poſthypnoſe. </s> <s xml:id="echoid-s8210" xml:space="preserve">— Vom verbrecheriſchen Mißbrauch des Hypno-<lb/>tismus. </s> <s xml:id="echoid-s8211" xml:space="preserve">— Iſt die Hypnoſe nicht ſchädlich? </s> <s xml:id="echoid-s8212" xml:space="preserve">— Der Nutzen des <lb/>Hypnotismus.</s> <s xml:id="echoid-s8213" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div296" type="section" level="1" n="205"> <head xml:id="echoid-head234" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 10.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8214" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen</emph> <lb/>(umg. </s> <s xml:id="echoid-s8215" xml:space="preserve">P.)</s> <s xml:id="echoid-s8216" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8217" xml:space="preserve">I.</s> <s xml:id="echoid-s8218" xml:space="preserve">: Das Leben in ſeinen verſchiedenen Arten. </s> <s xml:id="echoid-s8219" xml:space="preserve">— Die ſogenannte <lb/>“tote” und “lebende” Natur. </s> <s xml:id="echoid-s8220" xml:space="preserve">— Tod und Leben. </s> <s xml:id="echoid-s8221" xml:space="preserve">— Die Stufenreihen des <lb/>Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s8222" xml:space="preserve">— Die einfachſten Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8223" xml:space="preserve">— Die Einzelzelle. </s> <s xml:id="echoid-s8224" xml:space="preserve">— Wachstum <lb/>und Verbreitung der Einzelzelle. </s> <s xml:id="echoid-s8225" xml:space="preserve">— Wie die Pflanzen wachſen. </s> <s xml:id="echoid-s8226" xml:space="preserve">— <lb/>Lebensthätigkeit der Pflanze. </s> <s xml:id="echoid-s8227" xml:space="preserve">— Die Verwandlung unbelebter Stoffe <lb/>in belebte durch die Pflanze. </s> <s xml:id="echoid-s8228" xml:space="preserve">— Von dem Rätſel des Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s8229" xml:space="preserve">— Die <lb/>eigne Art des Wachstums der Pflanze. </s> <s xml:id="echoid-s8230" xml:space="preserve">— Die Bildung des Baumes. </s> <s xml:id="echoid-s8231" xml:space="preserve">— <lb/>Genaueres über den inneren Bau der Pflanzen (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8232" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8233" xml:space="preserve">— Mittel zur Er-<lb/>reichung der Feſtigkeit bei den Pflanzen (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8234" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8235" xml:space="preserve">— Die Zellen des Skelett-<lb/>gewebes (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8236" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8237" xml:space="preserve">— Die Bedeutung der Steinkörper im Fruchtfleiſche der <lb/>Birnen (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8238" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8239" xml:space="preserve">— Die Eigenſchaften der Skelettzellen (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8240" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8241" xml:space="preserve">— Anordnung <lb/>des Skelettgewebes im Pflanzenkörper (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8242" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8243" xml:space="preserve">— Allſeitig biegungsfeſte <lb/>Organe (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8244" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8245" xml:space="preserve">— Bau der auf Zug in Anſpruch genommenen Organe (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8246" xml:space="preserve">. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8247" xml:space="preserve">— Das Leben eines Baumes. </s> <s xml:id="echoid-s8248" xml:space="preserve">— Das Wunder der Blüte. </s> <s xml:id="echoid-s8249" xml:space="preserve">— Ein ſich <pb o="63" file="645" n="645"/> klärendes Rätſel. </s> <s xml:id="echoid-s8250" xml:space="preserve">— Das Rätſel des Lebens und das Rätſel des Todes. </s> <s xml:id="echoid-s8251" xml:space="preserve">— <lb/>Vom Leben des Tieres. </s> <s xml:id="echoid-s8252" xml:space="preserve">— Der Übergang von den Pflanzen zur Tier-<lb/>welt. </s> <s xml:id="echoid-s8253" xml:space="preserve">— Die Entwickelung der Tierwelt. </s> <s xml:id="echoid-s8254" xml:space="preserve">— Die Selbſtzeugung. </s> <s xml:id="echoid-s8255" xml:space="preserve">— Zur <lb/>Geſchichte des Tierlebens auf der Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8256" xml:space="preserve">— Empfindungen und Be-<lb/>wegungen der Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s8257" xml:space="preserve">— Der Wohnſitz der Empfindung im Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s8258" xml:space="preserve">— Wo <lb/>man die Schmerzen hat. </s> <s xml:id="echoid-s8259" xml:space="preserve">— Weitere Verſuche über die Empfindungen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8260" xml:space="preserve">— Das Pflanzenleben der Tiere. </s> <s xml:id="echoid-s8261" xml:space="preserve">— Das ſympathiſche Nervenſyſtem. </s> <s xml:id="echoid-s8262" xml:space="preserve"><lb/>— Von der Innen- und Außenwelt. </s> <s xml:id="echoid-s8263" xml:space="preserve">— Das Tier und die Außenwelt. </s> <s xml:id="echoid-s8264" xml:space="preserve"><lb/>— Wie die Eindrücke der Außenwelt den Weg zum Gehirn finden. </s> <s xml:id="echoid-s8265" xml:space="preserve">— <lb/>Von den übrigen Sinnesnerven. </s> <s xml:id="echoid-s8266" xml:space="preserve">— Die Fähigkeit der Bewegung des <lb/>Tierleibes. </s> <s xml:id="echoid-s8267" xml:space="preserve">— Wie die Muskeln zur Bewegung angereizt werden. </s> <s xml:id="echoid-s8268" xml:space="preserve">— <lb/>Eine Nervendurchſchneidung. </s> <s xml:id="echoid-s8269" xml:space="preserve">— Eine weitere Folge der Nervendurch-<lb/>ſchneidung. </s> <s xml:id="echoid-s8270" xml:space="preserve">— Die Teilung der Nervenarbeit. </s> <s xml:id="echoid-s8271" xml:space="preserve">— Ein Nervengift. </s> <s xml:id="echoid-s8272" xml:space="preserve">— <lb/>Das Pfeilgift und ſeine Gegenmittel. </s> <s xml:id="echoid-s8273" xml:space="preserve">— Die Nervenverwachſung. </s> <s xml:id="echoid-s8274" xml:space="preserve">— <lb/>Die Nervenverheilung. </s> <s xml:id="echoid-s8275" xml:space="preserve">— Ein künſtlicher Nerv. </s> <s xml:id="echoid-s8276" xml:space="preserve">— Nervenreize. </s> <s xml:id="echoid-s8277" xml:space="preserve">— <lb/>Nervenleitung. </s> <s xml:id="echoid-s8278" xml:space="preserve">— Fortpflanzung der Nervenleitung. </s> <s xml:id="echoid-s8279" xml:space="preserve">— Geſchwindigkeit <lb/>und Nervenleitung. </s> <s xml:id="echoid-s8280" xml:space="preserve">— Neueſtes über den Aufbau des Nervenſyſtems.</s> <s xml:id="echoid-s8281" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div297" type="section" level="1" n="206"> <head xml:id="echoid-head235" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 11</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8282" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen</emph>. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8283" xml:space="preserve">II.</s> <s xml:id="echoid-s8284" xml:space="preserve">: Das Band des Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s8285" xml:space="preserve">— Der Zuſammenhang der drei Nerven-<lb/>ſyſteme. </s> <s xml:id="echoid-s8286" xml:space="preserve">— Beſehen wir uns einmal ein Gehirn. </s> <s xml:id="echoid-s8287" xml:space="preserve">— Das Gehirn von <lb/>der untern Seite. </s> <s xml:id="echoid-s8288" xml:space="preserve">— Ob man im Gehirn etwas von ſeinem Thätigkeits-<lb/>vermögen ſehen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8289" xml:space="preserve">— Die Thätigkeit des großen Gehirns. </s> <s xml:id="echoid-s8290" xml:space="preserve">— Eine <lb/>Taube ohne Gehirn. </s> <s xml:id="echoid-s8291" xml:space="preserve">— Was das kleine Gehirn zu thun hat. </s> <s xml:id="echoid-s8292" xml:space="preserve">— Von <lb/>der Schädellehre. </s> <s xml:id="echoid-s8293" xml:space="preserve">— Thätigkeit und Ruhe. </s> <s xml:id="echoid-s8294" xml:space="preserve">— Der Schlaf. </s> <s xml:id="echoid-s8295" xml:space="preserve">— Ein-<lb/>ſchlafen und Aufwachen. </s> <s xml:id="echoid-s8296" xml:space="preserve">— Die Träume. </s> <s xml:id="echoid-s8297" xml:space="preserve">— Die Träume durch äußer-<lb/>liche Anregungen. </s> <s xml:id="echoid-s8298" xml:space="preserve">— Denken im Traum. </s> <s xml:id="echoid-s8299" xml:space="preserve">— Inſtinkt und Geiſtesleben. </s> <s xml:id="echoid-s8300" xml:space="preserve"><lb/>— Das Menſchenleben — ein Geiſtesleben. </s> <s xml:id="echoid-s8301" xml:space="preserve">— Die Sprache der <lb/>Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s8302" xml:space="preserve">— Die Herrſchaft der Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s8303" xml:space="preserve">— Der Menſchengeiſt und der <lb/>Luftkreis. </s> <s xml:id="echoid-s8304" xml:space="preserve">— Was im Gehirn während des Denkens vorgeht. </s> <s xml:id="echoid-s8305" xml:space="preserve">— Der <lb/>angeborene Geiſt und die Erfahrung. </s> <s xml:id="echoid-s8306" xml:space="preserve">— Von den Vorſtellungen und <lb/>deren Entwickelung. </s> <s xml:id="echoid-s8307" xml:space="preserve">— Ruheloſigkeit und Ruhe der Gedanken. </s> <s xml:id="echoid-s8308" xml:space="preserve">— Ge-<lb/>dächtnis- und Erinnerungs-Vermögen. </s> <s xml:id="echoid-s8309" xml:space="preserve">— Wie ſich das Gehirn beſinnt. </s> <s xml:id="echoid-s8310" xml:space="preserve"><lb/>— Vom Vergeſſen alter und dem Erzeugen neuer Gedanken. </s> <s xml:id="echoid-s8311" xml:space="preserve">— Wie <lb/>man im Gehirn etwas überlegt. </s> <s xml:id="echoid-s8312" xml:space="preserve">— Die Energie. </s> <s xml:id="echoid-s8313" xml:space="preserve">— Eigentümlichkeiten <lb/>der Energie.</s> <s xml:id="echoid-s8314" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div298" type="section" level="1" n="207"> <head xml:id="echoid-head236" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 12.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8315" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen</emph>. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8316" xml:space="preserve">III.</s> <s xml:id="echoid-s8317" xml:space="preserve">: Die Neigungen der Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s8318" xml:space="preserve">— Neigung und Geiſt. </s> <s xml:id="echoid-s8319" xml:space="preserve">— Urſprung <pb o="64" file="646" n="646"/> und Sitz der Neigungen. </s> <s xml:id="echoid-s8320" xml:space="preserve">— Die Entwickelung der Neigungen. </s> <s xml:id="echoid-s8321" xml:space="preserve">— Die <lb/>Freiheit des Menſchen und die Neigungen der Menſchheit. </s> <s xml:id="echoid-s8322" xml:space="preserve">— Die <lb/>Welt der Neigungen. </s> <s xml:id="echoid-s8323" xml:space="preserve">— Geiſtige Neigungen. </s> <s xml:id="echoid-s8324" xml:space="preserve">— Eine ungelöſte Frage. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8325" xml:space="preserve">— Die Entſtehung der Denkformen (P.)</s> <s xml:id="echoid-s8326" xml:space="preserve">. </s> <s xml:id="echoid-s8327" xml:space="preserve">— Die Moral. </s> <s xml:id="echoid-s8328" xml:space="preserve">— Die Kunſt. </s> <s xml:id="echoid-s8329" xml:space="preserve">— <lb/>Die mannigfaltigen Einwirkungen des Geiſtes. </s> <s xml:id="echoid-s8330" xml:space="preserve">— Leib und Geiſt. </s> <s xml:id="echoid-s8331" xml:space="preserve">— <lb/>Geiſt und Leib. </s> <s xml:id="echoid-s8332" xml:space="preserve">— Charakter und Temperament. </s> <s xml:id="echoid-s8333" xml:space="preserve">— Das ſanguiniſche <lb/>und das choleriſche Temperament. </s> <s xml:id="echoid-s8334" xml:space="preserve">— Das Phlegma und die Melancholie. </s> <s xml:id="echoid-s8335" xml:space="preserve"><lb/>— Das Rätſel des Todes. </s> <s xml:id="echoid-s8336" xml:space="preserve">— Entſtehen und Vergehen. </s> <s xml:id="echoid-s8337" xml:space="preserve">— Wie Leib <lb/>und Geiſt ſtirbt. </s> <s xml:id="echoid-s8338" xml:space="preserve">— Wie alt eine neue Erfindung iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8339" xml:space="preserve">— Wie wenig <lb/>das Herz die Wahrheit ahnt und wie blind man mit ſehendem Auge <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8340" xml:space="preserve">— Die Kunſtſtücke der Hände, der Füße und der Nerven. </s> <s xml:id="echoid-s8341" xml:space="preserve">— Zur <lb/>Vermeidung von Mißverſtändniſſen. </s> <s xml:id="echoid-s8342" xml:space="preserve">— Die Lunge im Bruſtkaſten. </s> <s xml:id="echoid-s8343" xml:space="preserve">— <lb/>Wie wie atmen. </s> <s xml:id="echoid-s8344" xml:space="preserve">— Das Luftrohr der Lunge. </s> <s xml:id="echoid-s8345" xml:space="preserve">— Die Lunge, wie ſie <lb/>wirklich iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8346" xml:space="preserve">— Art und Zweck der Lungenthätigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s8347" xml:space="preserve">— Die ſinnreiche <lb/>Einrichtung. </s> <s xml:id="echoid-s8348" xml:space="preserve">— Die regulierte Thätigkeit und die Nebengeſchäfte der <lb/>Lunge. </s> <s xml:id="echoid-s8349" xml:space="preserve">— Die Lunge als Heizapparat. </s> <s xml:id="echoid-s8350" xml:space="preserve">— Die Regulierung der Leibes-<lb/>wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8351" xml:space="preserve">— Wie ſparſam die Natur iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8352" xml:space="preserve">— Ein Banm, eine Tonne <lb/>und eine Lunge.</s> <s xml:id="echoid-s8353" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div299" type="section" level="1" n="208"> <head xml:id="echoid-head237" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 13.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8354" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Leben der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen</emph>. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8355" xml:space="preserve">IV.</s> <s xml:id="echoid-s8356" xml:space="preserve">: Ein menſchliches Herz vor einem Menſchenherzen. </s> <s xml:id="echoid-s8357" xml:space="preserve">— Der kleine <lb/>und der große Kreislauf des Blutes. </s> <s xml:id="echoid-s8358" xml:space="preserve">— Der große Kreislauf. </s> <s xml:id="echoid-s8359" xml:space="preserve">— <lb/>Einige Haupt- und Nebenumſtände bei der Arbeit des Herzens. </s> <s xml:id="echoid-s8360" xml:space="preserve">— <lb/>Eine Waſſerleitung und die Blutleitung im Körper. </s> <s xml:id="echoid-s8361" xml:space="preserve">— Weitere Ver-<lb/>gleichung der Waſſer- mit der Blut-Leitung. </s> <s xml:id="echoid-s8362" xml:space="preserve">— Verſchiedenheit der <lb/>Adern und ihrer Lagen. </s> <s xml:id="echoid-s8363" xml:space="preserve">— Die Klappen oder Ventile. </s> <s xml:id="echoid-s8364" xml:space="preserve">— Wie ſtark <lb/>das Herz iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8365" xml:space="preserve">— Die ſogenannten mechaniſchen Fehler des Herzens. </s> <s xml:id="echoid-s8366" xml:space="preserve">— <lb/>Das Auge und die Kamera-Dbſcura. </s> <s xml:id="echoid-s8367" xml:space="preserve">— Die Kamera-Dbſcura. </s> <s xml:id="echoid-s8368" xml:space="preserve">— Die <lb/>Mängel der Kamera-Obſcura. </s> <s xml:id="echoid-s8369" xml:space="preserve">— Die Kamera-Obſcura der Photo-<lb/>graphen. </s> <s xml:id="echoid-s8370" xml:space="preserve">— Wir beſehen uns den Ban eines Auges. </s> <s xml:id="echoid-s8371" xml:space="preserve">— Die Durch-<lb/>ſichtigkeit des Innern unſeres Auges. </s> <s xml:id="echoid-s8372" xml:space="preserve">— Wir gehen ins Auge hinein. </s> <s xml:id="echoid-s8373" xml:space="preserve"><lb/>— Der ſogenannte Glaskörper im Auge. </s> <s xml:id="echoid-s8374" xml:space="preserve">— Die Vorzüge des Auges. </s> <s xml:id="echoid-s8375" xml:space="preserve"><lb/>— Die Lichtblende. </s> <s xml:id="echoid-s8376" xml:space="preserve">— Die Augenlider. </s> <s xml:id="echoid-s8377" xml:space="preserve">— Die Beweglichkeit des <lb/>Auges. </s> <s xml:id="echoid-s8378" xml:space="preserve">— Die Lenkung und Richtung der Augen. </s> <s xml:id="echoid-s8379" xml:space="preserve">— Die Stellung <lb/>der Augen. </s> <s xml:id="echoid-s8380" xml:space="preserve">— Die Nerventapete. </s> <s xml:id="echoid-s8381" xml:space="preserve">— Die Feinheit der Nerventapete. </s> <s xml:id="echoid-s8382" xml:space="preserve"><lb/>— Die Beſchaffenheit der Nerventapete. </s> <s xml:id="echoid-s8383" xml:space="preserve">— Einige Verſuche. </s> <s xml:id="echoid-s8384" xml:space="preserve">— Weshalb <lb/>wir nicht verkehrt ſehen. </s> <s xml:id="echoid-s8385" xml:space="preserve">— Zwei Augen und ein Bild. </s> <s xml:id="echoid-s8386" xml:space="preserve">— Der Menſch <lb/>wie er iſt — und was er erfindet. </s> <s xml:id="echoid-s8387" xml:space="preserve">— Schlußbetrachtung.</s> <s xml:id="echoid-s8388" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8389" xml:space="preserve"><emph style="sp">Kleine Kräfte und große Wirkungen</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s8390" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="65" file="647" n="647"/> </div> <div xml:id="echoid-div300" type="section" level="1" n="209"> <head xml:id="echoid-head238" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 14.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8391" xml:space="preserve"><emph style="sp">Anleitung zu chemiſchen Experimenten für Anfänger</emph>: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8392" xml:space="preserve">Wie man Glasrohr gut brechen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8393" xml:space="preserve">— Wie man Glasrohr biegt. </s> <s xml:id="echoid-s8394" xml:space="preserve"><lb/>— Ein drittes Kunſtſtück. </s> <s xml:id="echoid-s8395" xml:space="preserve">— Probiergläschen. </s> <s xml:id="echoid-s8396" xml:space="preserve">— Eine Kochflaſche. </s> <s xml:id="echoid-s8397" xml:space="preserve">— <lb/>Gute Pfropfen und deren Vorrichtung. </s> <s xml:id="echoid-s8398" xml:space="preserve">— Die pneumatiſche Wanne. </s> <s xml:id="echoid-s8399" xml:space="preserve"><lb/>— Wie man ſich Waſſerſtoffgas machen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8400" xml:space="preserve">— Wie man Gas in <lb/>einem Gefäß auffangen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8401" xml:space="preserve">— Wie man einen kleinen Luftballon <lb/>füllen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8402" xml:space="preserve">— Wie man Sauerſtoff macht und auffängt. </s> <s xml:id="echoid-s8403" xml:space="preserve">— Einige <lb/>Verſuche mit Waſſerſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8404" xml:space="preserve">— Einige Verſuche mit Sauerſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8405" xml:space="preserve">— Sauer-<lb/>ſtoff mit Schwefel und Phosphor. </s> <s xml:id="echoid-s8406" xml:space="preserve">— Sauerſtoff und Eiſen. </s> <s xml:id="echoid-s8407" xml:space="preserve">— Die <lb/>Hitze, in welcher ſich Waſſerſtoff und Sauerſtoff verbinden. </s> <s xml:id="echoid-s8408" xml:space="preserve">— Etwas <lb/>vom Stickſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8409" xml:space="preserve">— Etwas vom Kohlenſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8410" xml:space="preserve">— Wie man Kohlenſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8411" xml:space="preserve"><lb/>mit Sauerſtoff chemiſch verbindet. </s> <s xml:id="echoid-s8412" xml:space="preserve">— Einige Verſuche mit Silber. </s> <s xml:id="echoid-s8413" xml:space="preserve">— <lb/>Einige Verſuche mit reinem Silber und mit Höllenſtein.</s> <s xml:id="echoid-s8414" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8415" xml:space="preserve"><emph style="sp">Praktiſche Heizung</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8416" xml:space="preserve">Die Wiſſenſchaft und die Praxis. </s> <s xml:id="echoid-s8417" xml:space="preserve">— <lb/>Verbrennung und Erwärmung. </s> <s xml:id="echoid-s8418" xml:space="preserve">— Wir brennen ein Stück Kien an. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8419" xml:space="preserve">— Der Zug und das Feuer. </s> <s xml:id="echoid-s8420" xml:space="preserve">— Der Zug im Ofen. </s> <s xml:id="echoid-s8421" xml:space="preserve">— Lufttransport <lb/>und Ofen-Konzert. </s> <s xml:id="echoid-s8422" xml:space="preserve">— Ofen und Kamin. </s> <s xml:id="echoid-s8423" xml:space="preserve">— Der Kachelofen. </s> <s xml:id="echoid-s8424" xml:space="preserve">— Material, <lb/>Farbe und Glaſur des Ofens. </s> <s xml:id="echoid-s8425" xml:space="preserve">— Der Ofen innerlich. </s> <s xml:id="echoid-s8426" xml:space="preserve">— Die Züge <lb/>im Ofen. </s> <s xml:id="echoid-s8427" xml:space="preserve">— Die Züge und das Brennmaterial. </s> <s xml:id="echoid-s8428" xml:space="preserve">— Die Schornſtein-<lb/>Frage. </s> <s xml:id="echoid-s8429" xml:space="preserve">— Die verſchiedenen Brennmaterialien. </s> <s xml:id="echoid-s8430" xml:space="preserve">— Die Unterſuchungen <lb/>der Brennmaterialien. </s> <s xml:id="echoid-s8431" xml:space="preserve">— Die Verſuche über die Heizkraft. </s> <s xml:id="echoid-s8432" xml:space="preserve">— Über <lb/>den Wert des Kien- und Büchenholzes. </s> <s xml:id="echoid-s8433" xml:space="preserve">— Der Brennwert des Eichen-<lb/>holzes. </s> <s xml:id="echoid-s8434" xml:space="preserve">— Der Heiz- und der Geldwert. </s> <s xml:id="echoid-s8435" xml:space="preserve">— Der Torf. </s> <s xml:id="echoid-s8436" xml:space="preserve">— Der Heiz-<lb/>wert des Torfes. </s> <s xml:id="echoid-s8437" xml:space="preserve">— Für und gegen den Torf. </s> <s xml:id="echoid-s8438" xml:space="preserve">— Der Koks. </s> <s xml:id="echoid-s8439" xml:space="preserve">— Die <lb/>Heizkraft des Koks. </s> <s xml:id="echoid-s8440" xml:space="preserve">— Der Koks wiſſenſchaftlich und wirtſchaftlich. </s> <s xml:id="echoid-s8441" xml:space="preserve">— <lb/>Die Steinkohle. </s> <s xml:id="echoid-s8442" xml:space="preserve">— Gegen die Steinkohlen. </s> <s xml:id="echoid-s8443" xml:space="preserve">— Die Braunkohle. </s> <s xml:id="echoid-s8444" xml:space="preserve">— Die <lb/>Heizung und die Geſundheit. </s> <s xml:id="echoid-s8445" xml:space="preserve">— Die Nebenumſtände der Erwärmung. </s> <s xml:id="echoid-s8446" xml:space="preserve"><lb/>— Wände, Stubendecke und Schornſtein-Öffnung. </s> <s xml:id="echoid-s8447" xml:space="preserve">— Die einmalige <lb/>Heizung. </s> <s xml:id="echoid-s8448" xml:space="preserve">— Der zu ſchnell heizende Ofen. </s> <s xml:id="echoid-s8449" xml:space="preserve">— Der eiſerne Ofen. </s> <s xml:id="echoid-s8450" xml:space="preserve">— <lb/>Schädlichkeit des eiſernen Ofens. </s> <s xml:id="echoid-s8451" xml:space="preserve">— Anwendbarkeit und Unanwend-<lb/>barkeit des eiſernen Ofens. </s> <s xml:id="echoid-s8452" xml:space="preserve">— Wie man den Torf praktiſcher macht. </s> <s xml:id="echoid-s8453" xml:space="preserve"><lb/>— Die luftdicht verſchloſſenen Ofenthüren. </s> <s xml:id="echoid-s8454" xml:space="preserve">— Eine Erklärung. </s> <s xml:id="echoid-s8455" xml:space="preserve">— <lb/>Das Kochen im Ofen. </s> <s xml:id="echoid-s8456" xml:space="preserve">— Heizgas, ein Ausblick in die Zukunft.</s> <s xml:id="echoid-s8457" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8458" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Heizung im Großen</emph> (neu verfaßt mit Unterſtützung des <lb/>Herrn Angrick): </s> <s xml:id="echoid-s8459" xml:space="preserve">Die Warm-Waſſerheizung. </s> <s xml:id="echoid-s8460" xml:space="preserve">— Die Niederdruck-Dampf-<lb/>heizung.</s> <s xml:id="echoid-s8461" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div301" type="section" level="1" n="210"> <head xml:id="echoid-head239" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 15.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8462" xml:space="preserve"><emph style="sp">Etwas aus der Volkswirtſchaft</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8463" xml:space="preserve">Verlorene Nähnadeln. </s> <s xml:id="echoid-s8464" xml:space="preserve">— <lb/>Verſchwendung von Streichhölzern. </s> <s xml:id="echoid-s8465" xml:space="preserve">— Der Wert von Verſchwendungen.</s> <s xml:id="echoid-s8466" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8467" xml:space="preserve">A. </s> <s xml:id="echoid-s8468" xml:space="preserve"><emph style="sp">Bernſtein</emph>, Naturw. </s> <s xml:id="echoid-s8469" xml:space="preserve">Volksbücher XXI.</s> <s xml:id="echoid-s8470" xml:space="preserve"/> </p> <pb o="66" file="648" n="648"/> <p> <s xml:id="echoid-s8471" xml:space="preserve">— Die Verallgemeinerung der Bedürfniſſe. </s> <s xml:id="echoid-s8472" xml:space="preserve">— Etwas vom Schreibe-, <lb/>Kunſt- und Leſebedürfnis.</s> <s xml:id="echoid-s8473" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8474" xml:space="preserve"><emph style="sp">Naturkraft und Geiſteswalten</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8475" xml:space="preserve">Die Legung des erſten <lb/>transatlantiſchen Kabels. </s> <s xml:id="echoid-s8476" xml:space="preserve">— Ein alltägliches Geſpräch. </s> <s xml:id="echoid-s8477" xml:space="preserve">— Die Ent-<lb/>zifferung der aſſyriſch-babyloniſchen Keilſchrift. </s> <s xml:id="echoid-s8478" xml:space="preserve">— Einige Geheimniſſe <lb/>der Zahlen.</s> <s xml:id="echoid-s8479" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8480" xml:space="preserve"><emph style="sp">Vom Spiritismus</emph> (H.)</s> <s xml:id="echoid-s8481" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s8482" xml:space="preserve">Einleitende Betrachtungen. </s> <s xml:id="echoid-s8483" xml:space="preserve">— Das <lb/>Tiſchrücken. </s> <s xml:id="echoid-s8484" xml:space="preserve">— Das Tiſchklopfen. </s> <s xml:id="echoid-s8485" xml:space="preserve">— Die Klopfgeiſter und der eigentliche <lb/>Spiritismus. </s> <s xml:id="echoid-s8486" xml:space="preserve">— Die Schreibmedien. </s> <s xml:id="echoid-s8487" xml:space="preserve">— Sonſtige Geiſterkundgebungen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8488" xml:space="preserve">— Von den ſpiritiſtiſchen Medien. </s> <s xml:id="echoid-s8489" xml:space="preserve">— Die Geiſtererſcheinungen und <lb/>Geiſterphotographieen. </s> <s xml:id="echoid-s8490" xml:space="preserve">— Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen. </s> <s xml:id="echoid-s8491" xml:space="preserve">— <lb/>Tie Urſachen der ſpiritiſtiſchen Bewegung.</s> <s xml:id="echoid-s8492" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div302" type="section" level="1" n="211"> <head xml:id="echoid-head240" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 16.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8493" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Bewegung im Sonnenſyſtem</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8494" xml:space="preserve">Von der Ebene des <lb/>Planetenſyſtems. </s> <s xml:id="echoid-s8495" xml:space="preserve">— Eine Vorſtellung vom Sonnenſyſtem. </s> <s xml:id="echoid-s8496" xml:space="preserve">— Wie die <lb/>Planetenbewegung uns erſcheint und wie ſie wirklich iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8497" xml:space="preserve">— Ein Bei-<lb/>ſpiel für den ſcheinbaren Lauf des Planeten Venus. </s> <s xml:id="echoid-s8498" xml:space="preserve">— Ein Beiſpiel <lb/>von der Bewegung des Planeten Mars. </s> <s xml:id="echoid-s8499" xml:space="preserve">— Die Bewegungen von <lb/>Weſt nach Oſt. </s> <s xml:id="echoid-s8500" xml:space="preserve">— Verſuch einer Geſamtüberſicht. </s> <s xml:id="echoid-s8501" xml:space="preserve">— Die Erde und <lb/>der Mond. </s> <s xml:id="echoid-s8502" xml:space="preserve">— Merkwürdiger Lauf des Mondes. </s> <s xml:id="echoid-s8503" xml:space="preserve">— Von Mars und <lb/>den kleinen Planeten. </s> <s xml:id="echoid-s8504" xml:space="preserve">— Von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8505" xml:space="preserve">— Zur Erklärung einer wunderbaren Entdeckung. </s> <s xml:id="echoid-s8506" xml:space="preserve">— Die Hauptſtütze <lb/>der Leverrier’ſchen Entdeckung. </s> <s xml:id="echoid-s8507" xml:space="preserve">— Die großartige Entdeckung.</s> <s xml:id="echoid-s8508" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8509" xml:space="preserve"><emph style="sp">Eine Phantaſie - Reiſe im Weltall</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s8510" xml:space="preserve">H.</s> <s xml:id="echoid-s8511" xml:space="preserve">, mit Be-<lb/>nutzung von Littrow’s “Wunder des Himmels”): </s> <s xml:id="echoid-s8512" xml:space="preserve">Die Abreiſe. </s> <s xml:id="echoid-s8513" xml:space="preserve">— Auf <lb/>der Station zwiſchen Erde und Mond. </s> <s xml:id="echoid-s8514" xml:space="preserve">— Wir langen auf dem Monde <lb/>an. </s> <s xml:id="echoid-s8515" xml:space="preserve">— Auf dem Monde. </s> <s xml:id="echoid-s8516" xml:space="preserve">— Was beginnen wir auf dem Monde? </s> <s xml:id="echoid-s8517" xml:space="preserve">— <lb/>Etwas wiſſenſchaftliche Schwärmerei. </s> <s xml:id="echoid-s8518" xml:space="preserve">— Ein paar Reiſe-Gedanken. </s> <s xml:id="echoid-s8519" xml:space="preserve">— <lb/>Kleine Reiſe-Begegnungen. </s> <s xml:id="echoid-s8520" xml:space="preserve">— Weitere Reiſe-Abenteuer. </s> <s xml:id="echoid-s8521" xml:space="preserve">— Die Ober-<lb/>fläche der Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s8522" xml:space="preserve">— Wir ſuchen uns ein Abſteige-Quartier. </s> <s xml:id="echoid-s8523" xml:space="preserve">— Die <lb/>Größe der Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s8524" xml:space="preserve">— Allen Reſpekt vor einer Kubik-Meile. </s> <s xml:id="echoid-s8525" xml:space="preserve">— Wir <lb/>bekommen noch mehr Reſpekt vor der Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s8526" xml:space="preserve">— Die Raumver-<lb/>ſchwendung im Sonnenſyſtem. </s> <s xml:id="echoid-s8527" xml:space="preserve">— Ein Sonnen-Syſtem im Kleinen. </s> <s xml:id="echoid-s8528" xml:space="preserve">— <lb/>Wie das Modell ſtimmt. </s> <s xml:id="echoid-s8529" xml:space="preserve">— Was wir zuweilen am Himmel ſehen <lb/>können. </s> <s xml:id="echoid-s8530" xml:space="preserve">— Auf dem Mars. </s> <s xml:id="echoid-s8531" xml:space="preserve">— Die kleinen Planeten. </s> <s xml:id="echoid-s8532" xml:space="preserve">— Die Bahnen <lb/>der kleinen Rundläufer. </s> <s xml:id="echoid-s8533" xml:space="preserve">— Zwei eigentümliche Kometen. </s> <s xml:id="echoid-s8534" xml:space="preserve">— Ein wenig <lb/>Kometen-Furcht. </s> <s xml:id="echoid-s8535" xml:space="preserve">— Jupiter, der gewichtigſte der Planeten. </s> <s xml:id="echoid-s8536" xml:space="preserve">— Wie <lb/>ſich’s auf Jupiter lebt. </s> <s xml:id="echoid-s8537" xml:space="preserve">— Die Jupiters-Monde. </s> <s xml:id="echoid-s8538" xml:space="preserve">— Saturn und ſein <lb/>Ring. </s> <s xml:id="echoid-s8539" xml:space="preserve">— Wie Saturn zu ſeinem Ring gekommen. </s> <s xml:id="echoid-s8540" xml:space="preserve">— Das Wohnen <pb o="67" file="649" n="649"/> auf dem Saturn. </s> <s xml:id="echoid-s8541" xml:space="preserve">— Die etwaigen Bewohner des Saturn-Ringes. </s> <s xml:id="echoid-s8542" xml:space="preserve">— <lb/>Das Schickſal des Saturn-Ringes. </s> <s xml:id="echoid-s8543" xml:space="preserve">— Uranus. </s> <s xml:id="echoid-s8544" xml:space="preserve">— Neptun. </s> <s xml:id="echoid-s8545" xml:space="preserve">— Die <lb/>Stellung der Kometen im Sonnenſyſtem. </s> <s xml:id="echoid-s8546" xml:space="preserve">— Die berechneten und un-<lb/>berechneten Kometen. </s> <s xml:id="echoid-s8547" xml:space="preserve">— Die ſonderbare Beſchaffenheit der Kometen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8548" xml:space="preserve">— Der Komet vom Jahre 1680. </s> <s xml:id="echoid-s8549" xml:space="preserve">— Kometen aus den Jahren 1729 <lb/>bis 1759. </s> <s xml:id="echoid-s8550" xml:space="preserve">— Kometen aus den Jahren 1769 und 1770. </s> <s xml:id="echoid-s8551" xml:space="preserve">— Kometen <lb/>aus den Jahren 1807 bis 1811. </s> <s xml:id="echoid-s8552" xml:space="preserve">— Was im Halley’ſchen Kometen im <lb/>Jahre 1835 vorging. </s> <s xml:id="echoid-s8553" xml:space="preserve">— Die Kometen von 1843 und 1858. </s> <s xml:id="echoid-s8554" xml:space="preserve">— Die <lb/>Kometen von 1880 und 1882. </s> <s xml:id="echoid-s8555" xml:space="preserve">— Sternſchnuppen und Meteore. </s> <s xml:id="echoid-s8556" xml:space="preserve">— <lb/>Aërolithenfälle. </s> <s xml:id="echoid-s8557" xml:space="preserve">— Höhe und Maſſe der Meteore. </s> <s xml:id="echoid-s8558" xml:space="preserve">— Was wir heim-<lb/>bringen.</s> <s xml:id="echoid-s8559" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8560" xml:space="preserve"><emph style="sp">Über die Größe der Erdbahn</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8561" xml:space="preserve">Der Zollſtock der Aſtronomie. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8562" xml:space="preserve">— Die Venus-Durchgänge. </s> <s xml:id="echoid-s8563" xml:space="preserve">— Ergebniſſe der Beobachtungen der <lb/>Venus-Durchgänge. </s> <s xml:id="echoid-s8564" xml:space="preserve">— Die Störungen des Mondlaufs. </s> <s xml:id="echoid-s8565" xml:space="preserve">— Wie die <lb/>Erde und der Mond um die Sonne wandern. </s> <s xml:id="echoid-s8566" xml:space="preserve">— Der Schwerpunkt <lb/>der Erd- und Mondmaſſe. </s> <s xml:id="echoid-s8567" xml:space="preserve">— Die Störungen der Planeten-Bahnen. </s> <s xml:id="echoid-s8568" xml:space="preserve"><lb/>— Beobachtungen des Planeten Mars im Jahre 1862. </s> <s xml:id="echoid-s8569" xml:space="preserve">— Die Ge-<lb/>ſchwindigkeit des Lichts. </s> <s xml:id="echoid-s8570" xml:space="preserve">— Bradley’s Entdeckung. </s> <s xml:id="echoid-s8571" xml:space="preserve">— Die Geſchwindig-<lb/>keit des Lichts und die Größe der Erdbahn. </s> <s xml:id="echoid-s8572" xml:space="preserve">— Wie man größte <lb/>Räume durch kleinſte Zeitteilchen meſſen kann. </s> <s xml:id="echoid-s8573" xml:space="preserve">— Fizean’s Meſſungen <lb/>der Geſchwindigkeit des Lichtes. </s> <s xml:id="echoid-s8574" xml:space="preserve">— Genauere Beſtimmung der Licht-<lb/>Geſchwindigkeit. </s> <s xml:id="echoid-s8575" xml:space="preserve">— Schlußbetrachtung.</s> <s xml:id="echoid-s8576" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div303" type="section" level="1" n="212"> <head xml:id="echoid-head241" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 17.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8577" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die anſteckenden Krankheiten und die Bakterien</emph> (umg. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8578" xml:space="preserve">P. </s> <s xml:id="echoid-s8579" xml:space="preserve">mit Benutzung von Mittmann’s “Die Bakterien”): </s> <s xml:id="echoid-s8580" xml:space="preserve">Ein Wort <lb/>über Kultur und Civiliſation. </s> <s xml:id="echoid-s8581" xml:space="preserve">— Die anſteckenden Krankheiten. </s> <s xml:id="echoid-s8582" xml:space="preserve">— <lb/>Die Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8583" xml:space="preserve">— Fortpflanzung der Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8584" xml:space="preserve">— Die Urzeugung <lb/>und die Frage der Herkunft der Lebeweſen. </s> <s xml:id="echoid-s8585" xml:space="preserve">— Die Einflüſſe der Um-<lb/>gebung auf die Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8586" xml:space="preserve">— Die Bakterien-Arten und ihre Stoff-<lb/>wechſelprodukte. </s> <s xml:id="echoid-s8587" xml:space="preserve">— Wie unterſucht man Bakterien? </s> <s xml:id="echoid-s8588" xml:space="preserve">— Feſte Nähr-<lb/>böden. </s> <s xml:id="echoid-s8589" xml:space="preserve">— Die Steriliſation. </s> <s xml:id="echoid-s8590" xml:space="preserve">— Die Züchtung der Bakterien in Rein-<lb/>kulturen. </s> <s xml:id="echoid-s8591" xml:space="preserve">— Das Bakterien-Mikroſkop. </s> <s xml:id="echoid-s8592" xml:space="preserve">— Die Unterſuchung der <lb/>Bakterien unter dem Mikroſkop. </s> <s xml:id="echoid-s8593" xml:space="preserve">— Das Färben der Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8594" xml:space="preserve">— <lb/>Nachweis und Zählung von Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8595" xml:space="preserve">— Unterſuchung der Luft auf <lb/>Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8596" xml:space="preserve">— Unterſuchung des Bodens auf Bakterien. </s> <s xml:id="echoid-s8597" xml:space="preserve">— Bemühungen, <lb/>die durch Bakterien veranlaßten Krankheiten zu heilen. </s> <s xml:id="echoid-s8598" xml:space="preserve">— Kochs Heil-<lb/>methode der Schwindſucht. </s> <s xml:id="echoid-s8599" xml:space="preserve">— Verſuch zur Heilung der Diphtheritis.</s> <s xml:id="echoid-s8600" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8601" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Pflanzenwelt unſerer Heimat ſonſt und jetzt</emph> (P): <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8602" xml:space="preserve">War die Erde ſtets von Lebeweſen bewohnt? </s> <s xml:id="echoid-s8603" xml:space="preserve">— Die Pflanzenſpuren und <pb o="68" file="650" n="650"/> -Reſte der Vorwelt und ihr Zuſtandekommen. </s> <s xml:id="echoid-s8604" xml:space="preserve">— Geringfügigkeit der <lb/>uns hinterbliebenen organiſchen Reſte der Vorwelt. </s> <s xml:id="echoid-s8605" xml:space="preserve">— Die geologiſchen <lb/>Zeitepochen. </s> <s xml:id="echoid-s8606" xml:space="preserve">— Die älteſten Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8607" xml:space="preserve">— Entſtehung der Steinkohlen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8608" xml:space="preserve">— Die Flora der Steinkohlenzeit. </s> <s xml:id="echoid-s8609" xml:space="preserve">— Das Klima zur Steinkohlenzeit. </s> <s xml:id="echoid-s8610" xml:space="preserve"><lb/>Nach der Steinkohlenzeit. </s> <s xml:id="echoid-s8611" xml:space="preserve">— Die Pflanzen der Eiszeit. </s> <s xml:id="echoid-s8612" xml:space="preserve">— Pflanzen <lb/>unſerer Steppenzeit. </s> <s xml:id="echoid-s8613" xml:space="preserve">— Die heimatliche Flora erhält die heute für ſie <lb/>charakteriſtiſchen Arten.</s> <s xml:id="echoid-s8614" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8615" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Spektralanalyſe und die Fixſternwelt</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s8616" xml:space="preserve">H): <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8617" xml:space="preserve">Einleitung. </s> <s xml:id="echoid-s8618" xml:space="preserve">— Von der Brechung des Lichtes und dem Spektrum. </s> <s xml:id="echoid-s8619" xml:space="preserve">— <lb/>Merkwürdigkeiten im Spektrum. </s> <s xml:id="echoid-s8620" xml:space="preserve">— Die Löſung des Rätſels. </s> <s xml:id="echoid-s8621" xml:space="preserve">— Be-<lb/>deutung der Spektralanalyſe für die Chemie. </s> <s xml:id="echoid-s8622" xml:space="preserve">— Spektralanalyſe und <lb/>Aſtronomie. </s> <s xml:id="echoid-s8623" xml:space="preserve">— Was für Stoffe kommen auf der Sonne vor? </s> <s xml:id="echoid-s8624" xml:space="preserve">— Aus <lb/>was für Stoffen beſtehen die Fixſterne? </s> <s xml:id="echoid-s8625" xml:space="preserve">— Verwandlung des Weltbildes. </s> <s xml:id="echoid-s8626" xml:space="preserve"><lb/>— Die große That Herſchels. </s> <s xml:id="echoid-s8627" xml:space="preserve">— Bewegt ſich die Sonne? </s> <s xml:id="echoid-s8628" xml:space="preserve">— Wohin <lb/>geht die Reiſe? </s> <s xml:id="echoid-s8629" xml:space="preserve">— Bewegen ſich die Fixſterne? </s> <s xml:id="echoid-s8630" xml:space="preserve">— Meſſung der Fix-<lb/>ſtern-Bewegungen. </s> <s xml:id="echoid-s8631" xml:space="preserve">— Das Spektrum zeigt uns, wie ſich die Sterne <lb/>bewegen. </s> <s xml:id="echoid-s8632" xml:space="preserve">— Ergebniſſe der Meſſungen auf ſpektroſkopiſchem Wege. </s> <s xml:id="echoid-s8633" xml:space="preserve">— <lb/>Das Sternbild des Orion. </s> <s xml:id="echoid-s8634" xml:space="preserve">— Das Sternbild des großen Bären. </s> <s xml:id="echoid-s8635" xml:space="preserve">— <lb/>Die Geſchwindigkeit der Fixſtern-Bewegungen. </s> <s xml:id="echoid-s8636" xml:space="preserve">— Unvollkommenheiten <lb/>der bisherigen Meſſungen. </s> <s xml:id="echoid-s8637" xml:space="preserve">— Die Unendlichkeit in Raum und Zeit. </s> <s xml:id="echoid-s8638" xml:space="preserve"><lb/>— Neue Sterne. </s> <s xml:id="echoid-s8639" xml:space="preserve">— Von den Nebelflecken. </s> <s xml:id="echoid-s8640" xml:space="preserve">— Die Spektralanalyſe <lb/>und die Nebelflecke.</s> <s xml:id="echoid-s8641" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div304" type="section" level="1" n="213"> <head xml:id="echoid-head242" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 18.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8642" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Abſtammungs- oder Deſcendenz-Lehre</emph> (P): </s> <s xml:id="echoid-s8643" xml:space="preserve">Des-<lb/>cendenz-Lehre, Darwinismus und Lamarckismus. </s> <s xml:id="echoid-s8644" xml:space="preserve">— Über das Populari-<lb/>ſieren. </s> <s xml:id="echoid-s8645" xml:space="preserve">— Einige wichtige Begriffe der Deſcendenz-Lehre. </s> <s xml:id="echoid-s8646" xml:space="preserve">— Anſichten <lb/>über die Herkunft der Lebeweſen. </s> <s xml:id="echoid-s8647" xml:space="preserve">— Die Schlagworte der Darwinſchen <lb/>Theorie. </s> <s xml:id="echoid-s8648" xml:space="preserve">— Die Zuchtwahl. </s> <s xml:id="echoid-s8649" xml:space="preserve">— Zuchtwahl und Soziologie. </s> <s xml:id="echoid-s8650" xml:space="preserve">— Charles <lb/>Darwin. </s> <s xml:id="echoid-s8651" xml:space="preserve">— Gedanken zur Abſtammungslehre im Altertum. </s> <s xml:id="echoid-s8652" xml:space="preserve">— Des-<lb/>cendenz-Lehre im Mittelalter und in der darauf folgenden Zeit. </s> <s xml:id="echoid-s8653" xml:space="preserve">— <lb/>Gedanken zur Deſcendenz-Lehre bei deutſchen Philoſophen und Schrift-<lb/>ſtellern. </s> <s xml:id="echoid-s8654" xml:space="preserve">— Johann Gottfried Herder. </s> <s xml:id="echoid-s8655" xml:space="preserve">— Immanuel Kant. </s> <s xml:id="echoid-s8656" xml:space="preserve">— Goethe. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8657" xml:space="preserve">— Lamarckismus. </s> <s xml:id="echoid-s8658" xml:space="preserve">— Jean Baptiſt de Lamarck. </s> <s xml:id="echoid-s8659" xml:space="preserve">— Darwins Meinung <lb/>über Lamarck. </s> <s xml:id="echoid-s8660" xml:space="preserve">— Weitere unmittelbare Vorgänger Darwins unter <lb/>den Naturforſchern. </s> <s xml:id="echoid-s8661" xml:space="preserve">— A. </s> <s xml:id="echoid-s8662" xml:space="preserve">Moritzi, ein noch nicht gewürdigter Vor-<lb/>gänger Darwins. </s> <s xml:id="echoid-s8663" xml:space="preserve">— Schwierigkeit des Eindringens wiſſenſchaftlicher <lb/>Gedanken in den Geiſt der Zeitgenoſſen. </s> <s xml:id="echoid-s8664" xml:space="preserve">— Die Deſcendenz-Lehre und <lb/>die heutige Wiſſenſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s8665" xml:space="preserve">— Der Kampf ums Daſein und das Menſchen-<lb/>geſchlecht. </s> <s xml:id="echoid-s8666" xml:space="preserve">— Stammesgeſchichtliche Entwickelung der Pflanzenwelt. </s> <s xml:id="echoid-s8667" xml:space="preserve">— <pb o="69" file="651" n="651"/> Das Syſtem. </s> <s xml:id="echoid-s8668" xml:space="preserve">— Die Arbeitsteilung. </s> <s xml:id="echoid-s8669" xml:space="preserve">— Die Ernährung. </s> <s xml:id="echoid-s8670" xml:space="preserve">— Die Fort-<lb/>pflanzung. </s> <s xml:id="echoid-s8671" xml:space="preserve">— Niedere Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8672" xml:space="preserve">— Farne und verwandte Pflanzen. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8673" xml:space="preserve">— Die höchſt-entwickelten Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8674" xml:space="preserve">— Die Pflanzen in ihrem Auf-<lb/>treten in den geologiſchen Perioden. </s> <s xml:id="echoid-s8675" xml:space="preserve">— Aus der Lehre von den Ver-<lb/>zweigungen der Pflanzen-Organe. </s> <s xml:id="echoid-s8676" xml:space="preserve">— Die übliche Verzweigungs-Art <lb/>der älteſten Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8677" xml:space="preserve">— Das biogenetiſche Grundgeſetz. </s> <s xml:id="echoid-s8678" xml:space="preserve">— Die Ver-<lb/>zweigungen bei höheren Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8679" xml:space="preserve">— Wie erklärt ſich die Verdrängung <lb/>der Gabel-Verzweigung bei Luftpflanzen durch die fiederige reſp. </s> <s xml:id="echoid-s8680" xml:space="preserve"><lb/>riſpige Verzweigung? </s> <s xml:id="echoid-s8681" xml:space="preserve">— Vermutliche Vorfahren der höchſten Pflanzen. </s> <s xml:id="echoid-s8682" xml:space="preserve"><lb/>— Ein Schlußwort über die Arbeitsteilung. </s> <s xml:id="echoid-s8683" xml:space="preserve">— Rückſchlags-Erſcheinungen <lb/>der Lebeweſen auf Eigentümlichkeiten ihrer Vorfahren (Atavismus). </s> <s xml:id="echoid-s8684" xml:space="preserve"><lb/>— Verkümmerte Organe. </s> <s xml:id="echoid-s8685" xml:space="preserve">— Die Didergenz der Arten und Formen. </s> <s xml:id="echoid-s8686" xml:space="preserve"><lb/>— Morphologiſche Charaktere.</s> <s xml:id="echoid-s8687" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div305" type="section" level="1" n="214"> <head xml:id="echoid-head243" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 19.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8688" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Erhaltung der Kraft und der Weltuntergang</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8689" xml:space="preserve">Die <lb/>Sonne als Quelle des Lebens. </s> <s xml:id="echoid-s8690" xml:space="preserve">— Das Geſetz von der Erhaltung der Kraft. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8691" xml:space="preserve">— Das Perpetuum mobile und der Hebel. </s> <s xml:id="echoid-s8692" xml:space="preserve">— Von der Reibung. </s> <s xml:id="echoid-s8693" xml:space="preserve">— <lb/>Die Reibung und die Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8694" xml:space="preserve">— Wie Wärme nur verwandelte Kraft <lb/>iſt. </s> <s xml:id="echoid-s8695" xml:space="preserve">— Von dem ſogenannten Wärmeſtoff. </s> <s xml:id="echoid-s8696" xml:space="preserve">— Das Weſen der Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8697" xml:space="preserve"><lb/>— Äußere Bewegung und innere Bewegung. </s> <s xml:id="echoid-s8698" xml:space="preserve">— Wie ſich im Welt-<lb/>raum Bewegung in Wärme verwandelt. </s> <s xml:id="echoid-s8699" xml:space="preserve">— Wir eſſen Sonnenwärme. </s> <s xml:id="echoid-s8700" xml:space="preserve"><lb/>— Die Erde eine große Dampfmaſchine. </s> <s xml:id="echoid-s8701" xml:space="preserve">— Wie die Meere mit Luft <lb/>geſpeiſt werden. </s> <s xml:id="echoid-s8702" xml:space="preserve">— Die konſervative Arbeit der Wärme. </s> <s xml:id="echoid-s8703" xml:space="preserve">— Das Kraft-<lb/>Konto im Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s8704" xml:space="preserve">— Die Aufſpeicherung der Sonnenwärme. </s> <s xml:id="echoid-s8705" xml:space="preserve">— <lb/>Die Abkühlung der Sonne. </s> <s xml:id="echoid-s8706" xml:space="preserve">— Der Welt-Untergang.</s> <s xml:id="echoid-s8707" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8708" xml:space="preserve"><emph style="sp">Unſere Sinne, unſere Seele, unſere Sprache</emph>.</s> <s xml:id="echoid-s8709" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div306" type="section" level="1" n="215"> <head xml:id="echoid-head244" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 20.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8710" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Entwickelung der Beleuchtungstechnik</emph> (früherer Titel: <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8711" xml:space="preserve">“Nur eine Schiebelampe”; </s> <s xml:id="echoid-s8712" xml:space="preserve">umg. </s> <s xml:id="echoid-s8713" xml:space="preserve">H. </s> <s xml:id="echoid-s8714" xml:space="preserve">mit Benutzung von Zimmermann’s <lb/>“Chemie für Laien” und Aufſätzen der “Naturwiſſenſchaftlichen Wochen-<lb/>ſchrift”): </s> <s xml:id="echoid-s8715" xml:space="preserve">Die Natur und die Beſtimmung des Menſchen. </s> <s xml:id="echoid-s8716" xml:space="preserve">— Die Kohle <lb/>als Leuchtmaterial. </s> <s xml:id="echoid-s8717" xml:space="preserve">— Die erſten Lampen. </s> <s xml:id="echoid-s8718" xml:space="preserve">— Verbeſſerte Lampen. </s> <s xml:id="echoid-s8719" xml:space="preserve">— Die <lb/>Argandſche Lampe. </s> <s xml:id="echoid-s8720" xml:space="preserve">— Die Regelung des Ölſtandes. </s> <s xml:id="echoid-s8721" xml:space="preserve">— Vom Druck der <lb/>Luft. </s> <s xml:id="echoid-s8722" xml:space="preserve">— Von der Wirkung und Meſſung des Luftdruckes. </s> <s xml:id="echoid-s8723" xml:space="preserve">— Einige <lb/>hauptſächliche Erſcheinungen des Luftdruckes. </s> <s xml:id="echoid-s8724" xml:space="preserve">— Wir kehren zur Lampe <lb/>zurück. </s> <s xml:id="echoid-s8725" xml:space="preserve">— Das Vrennrohr. </s> <s xml:id="echoid-s8726" xml:space="preserve">— Der Luftſtrom und die Verbrennung. </s> <s xml:id="echoid-s8727" xml:space="preserve"><lb/>— Die Regelung des Luftzuges. </s> <s xml:id="echoid-s8728" xml:space="preserve">— Hydroſtatiſche Lampen. </s> <s xml:id="echoid-s8729" xml:space="preserve">— Dampf-<lb/>lampen. </s> <s xml:id="echoid-s8730" xml:space="preserve">— Die Beleuchtung ſehr großer Strecken durch eine Licht- <pb o="70" file="652" n="652"/> quelle. </s> <s xml:id="echoid-s8731" xml:space="preserve">— Leuchttürme. </s> <s xml:id="echoid-s8732" xml:space="preserve">— Der “Pharus”. </s> <s xml:id="echoid-s8733" xml:space="preserve">— Der Leuchtturm von <lb/>Cordouan. </s> <s xml:id="echoid-s8734" xml:space="preserve">— Der Leuchtturm von Eddyſtone. </s> <s xml:id="echoid-s8735" xml:space="preserve">— Der Leuchtturm von <lb/>Bellrock. </s> <s xml:id="echoid-s8736" xml:space="preserve">— Beleuchtung der neueren Leuchttürme. </s> <s xml:id="echoid-s8737" xml:space="preserve">— Parallelismus <lb/>der Strahlen durch Brechung. </s> <s xml:id="echoid-s8738" xml:space="preserve">— Signale der Leuchttürme. </s> <s xml:id="echoid-s8739" xml:space="preserve">— <lb/>Drummond’ſches Licht. </s> <s xml:id="echoid-s8740" xml:space="preserve">— Gasbeleuchtung. </s> <s xml:id="echoid-s8741" xml:space="preserve">— Die Grubenlampe. </s> <s xml:id="echoid-s8742" xml:space="preserve">— <lb/>Die Fortſchritte der Beleuchtungstechnik in den letzten Jahrzehnten <lb/>— Das Gasglühlicht. </s> <s xml:id="echoid-s8743" xml:space="preserve">— Das Acetylen. </s> <s xml:id="echoid-s8744" xml:space="preserve">— Schlußbetrachtungen.</s> <s xml:id="echoid-s8745" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8746" xml:space="preserve"><emph style="sp">Einiges aus der Klimatologie</emph> (H): </s> <s xml:id="echoid-s8747" xml:space="preserve">Was iſt Meteorologie? <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8748" xml:space="preserve">— Was iſt Klimatologie? </s> <s xml:id="echoid-s8749" xml:space="preserve">— Die Wärmeverteilung auf der Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8750" xml:space="preserve">— <lb/>Die Rolle der Luftbewegung. </s> <s xml:id="echoid-s8751" xml:space="preserve">— Die Paſſatwinde. </s> <s xml:id="echoid-s8752" xml:space="preserve">— Verteilung des <lb/>Luftdruckes auf der Erdkugel. </s> <s xml:id="echoid-s8753" xml:space="preserve">— Die Verteilung der Wärme auf der <lb/>Erdkugel. </s> <s xml:id="echoid-s8754" xml:space="preserve">— Der Golfſtrom und ſeine klimatiſche Bedeutung. </s> <s xml:id="echoid-s8755" xml:space="preserve">— Die <lb/>höchſten und niedrigſten Temperaturgrade in Deutſchland und Europa. </s> <s xml:id="echoid-s8756" xml:space="preserve"><lb/>— Die wärmſten Gegenden auf der ganzen Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8757" xml:space="preserve">— Die kälteſten <lb/>Gegenden auf der ganzen Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8758" xml:space="preserve">— Die höchſten und tiefſten Barometer-<lb/>ſtände. </s> <s xml:id="echoid-s8759" xml:space="preserve">— Die niederſchlagärmſten und -reichſten Gegenden der Erde. </s> <s xml:id="echoid-s8760" xml:space="preserve"><lb/>— Sollen wir mit unſerem Klima zufrieden ſein? </s> <s xml:id="echoid-s8761" xml:space="preserve">— Klimaſchwankungen. </s> <s xml:id="echoid-s8762" xml:space="preserve"><lb/>— Klima und Kultur. </s> <s xml:id="echoid-s8763" xml:space="preserve">— Ein Blick in die Zukunft.</s> <s xml:id="echoid-s8764" xml:space="preserve"/> </p> </div> <div xml:id="echoid-div307" type="section" level="1" n="216"> <head xml:id="echoid-head245" xml:space="preserve"><emph style="bf">Teil 21.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8765" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Naturwiſſenſchaft im Erwerbsleben</emph>: </s> <s xml:id="echoid-s8766" xml:space="preserve">Der Sieges-<lb/>lauf der Naturwiſſenſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s8767" xml:space="preserve">— Die ſteigende Benutzung der Naturkräfte. <lb/></s> <s xml:id="echoid-s8768" xml:space="preserve">— Die Zuckerfabrikation. </s> <s xml:id="echoid-s8769" xml:space="preserve">— Die Verwertung wertloſer Stoffe. </s> <s xml:id="echoid-s8770" xml:space="preserve">— <lb/>Magneſium und Strontium.</s> <s xml:id="echoid-s8771" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8772" xml:space="preserve"><emph style="sp">Die Wiſſenſchaft</emph> (umg. </s> <s xml:id="echoid-s8773" xml:space="preserve">P.)</s> <s xml:id="echoid-s8774" xml:space="preserve">: </s> <s xml:id="echoid-s8775" xml:space="preserve">Unſer Wiſſen und unſere Wiſſen-<lb/>ſchaft. </s> <s xml:id="echoid-s8776" xml:space="preserve">— Wie viel wiſſen wir? </s> <s xml:id="echoid-s8777" xml:space="preserve">— Über die Grenzen unſerer Erkenntnis.</s> <s xml:id="echoid-s8778" xml:space="preserve"/> </p> <p> <s xml:id="echoid-s8779" xml:space="preserve">Nachwort. </s> <s xml:id="echoid-s8780" xml:space="preserve">— Inhaltsverzeichnis. </s> <s xml:id="echoid-s8781" xml:space="preserve">— Perſonen-Regiſter. </s> <s xml:id="echoid-s8782" xml:space="preserve">— Sach-<lb/>regiſter.</s> <s xml:id="echoid-s8783" xml:space="preserve"/> </p> <pb file="653" n="653"/> </div> <div xml:id="echoid-div308" type="section" level="1" n="217"> <head xml:id="echoid-head246" xml:space="preserve"><emph style="bf">Perſonen - Regiſter.</emph></head> <p> <s xml:id="echoid-s8784" xml:space="preserve">(Die römiſchen Zahlen bezeichnen den Teil, die arabiſchen die Seite.)</s> <s xml:id="echoid-s8785" xml:space="preserve"/> </p> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/>Anaximander XVIII, 31, 32. <lb/>Argand XX, 10. <lb/>Argelander VIII, 147; XVI, 178; <lb/># XVII, 138. <lb/>Ariſtoteles XVIII, 32. <lb/>Auer v. Welsbach VI, 73; XX, <lb/># 105. <lb/>Baco XVIII, 34. <lb/>Baeyer XXI, 6. <lb/>Baily I, 49. <lb/>Balzac, Honorè de XVIII, 4. <lb/>Becquerel III, 83; V, 99. <lb/>Behring XVII, 55. <lb/>Bell, Graham IV, 68 <lb/>Benzenberg XIX, 14. <lb/>Bergſon IX, 107. <lb/>Berlioz, Hector IX, 89. <lb/>Bernheim IX, 110, 120. <lb/>Beſſel VIII, 147; XVI, 52, 180, <lb/># 206, 210; XIX, 37. <lb/>Biela XVI, 120. <lb/>Birchmoore XX, 113. <lb/>Bode XVI, 115. <lb/>Bölſche, Wilhelm XV, 135, 150. <lb/>Bradley VIII, 140; XVI, 245; <lb/># XVII, 144. <lb/>Braid IX, 106. <lb/>Braun, A. (Botaniker) XVIII, 56. <lb/>Bredel XX, 112. <lb/>Brix, P. W. XIV, 86 ff. <lb/>Brongniart, Adolphe XVIII, 65. <lb/>Buch, Leop. v. VIII, 58. <lb/>Bunſen XVII, 120 ff. <lb/>Camerarius I, 117. <lb/>Candolle, A. de XVIII, 8. <lb/>Carlisle V, 74. <lb/>Carnot XIX, 10. <lb/>Caſelli IV, 58. <lb/>Caſſini XVI, 242. <lb/>Cavendiſh I, 47, 49. <lb/>Charcot IX, 115, 120. <lb/>Clairant XVI, 172. <lb/>Clauſius XIX, 34. <lb/>Cloſſen XXI, 17. <lb/>Colding XIX, 10. <lb/>Cohn, Ferd. XVII, 12. <lb/>Conwenß VIII, 51 f. <lb/>Cooke IV, 43. <lb/>Cuvier, G. XVIII, 7, 49, 50. <lb/>Daguerre XIII, 50. <lb/>Darwin I, 30; X, 76; XVII, 17; <lb/># XXI, 47, 48. <lb/>— Lebensabriß XVIII, 20—30. <lb/>Davy IV, 23; V, 73, 99; XX, <lb/># 99, 110. <lb/>Delaunay VIII, 122 ff.; XIX, 77. <lb/>Dewar III, 25. <pb o="72" file="654" n="654"/> Dollond XIII, 71. <lb/>Donders XIX, 90. <lb/>Drummond XX, 89 ff. <lb/>Du Bois-Reymond IV, 14, 94 ff; <lb/># XXI, 49—53. <lb/>Dühring, E. XII, 31. <lb/>Ediſon IV, 84. <lb/>Ehrenberg X, 9; XVII, 12; XVIII, <lb/># 56. <lb/>Empedokles XVIII, 32. <lb/>Encke VIII, 87; XVI, 119, 167, <lb/># 222. <lb/>Esdaile IX, 104. <lb/>Esmarch XVII, 46. <lb/>Euler, Leonhard XIII, 71; XIX, <lb/># 14. <lb/>Fabré-Palaprat V, 99. <lb/>Faraday III, 82; XV, 126. <lb/>Fechner XIX, 87. <lb/>Field, Cyrus XV, 27 ff. <lb/>Fizean XVI, 256 ff. <lb/>Foucault XVI, 241. <lb/>Franklin III, 103 ff. <lb/>Fraunhofer XVII, 119 ff. <lb/>Fresnel XX, 81 ff. <lb/>Galilei XVII, 133. <lb/>Gall XI, 25—31; XXI, 46. <lb/>Galle XVI, 44. <lb/>Galvani IV, 1; XXI, 46. <lb/>Gauß III, 87; IV, 41. <lb/>Gizycki, Paul v. XXI, 41—45. <lb/>Godron XVIII, 50. <lb/>Goethe XVIII, 40. <lb/>Gräfe, H. O. XIII, 60. <lb/>Graham I, 65. <lb/>Greely XX, 139. <lb/>Grehaut XX, 113. <lb/>Greve XXI, 6. <lb/>Grotefend XV, 66. <lb/>Guericke, v. III, 103. <lb/>Haeckel XVIII, 63, 87; XXI, 52. <lb/>Haller, v. XVIII, 34. <lb/>Halley XVI, 171, 217 ff. <lb/>Hanſen VIII, 120; XVI, 226 ff. <lb/>Hartmann, Eduard v. XXI, 28. <lb/>Harvey XII, 75. <lb/>Helmholtz I, 24; VIII, 125; XIII, <lb/># 58; XIX, 10, 77; XXI, 28. <lb/>Herder, I. G. XVIII, 37—39. <lb/>Herſchel, A. XVI, 207. <lb/>—, William XIII, 130; XVI, 42; <lb/># XVII, 130, 134—138, 171, 172. <lb/>Hertz, Heinrich XIX, 32. <lb/>Hinks XV, 70. <lb/>Hirſch XIX, 79. <lb/>Hobbes XVIII, 61. <lb/>Hofmann, A. W. v. VII, 28; <lb/># XXI, 6. <lb/>Hornſchuh XVIII, 34. <lb/>Huggins XVII, 169, 173. <lb/>Hughes IV, 58, 80. <lb/>Humboldt, A. v., III, 86, 89; <lb/># VI, 9. <lb/>Huxley XXI, 41. <lb/>Huyghens XVI, 134. <lb/>Jacoby V, 85. <lb/>Janſſen XVII, 127, 128. <lb/>Jenner (Arzt) XVII, 8. <lb/>Iolly IX, 108. <lb/>Ioule XIX, 10. <lb/>Kant XVIII, 39, 40. <lb/>Kirchhoff XVII, 120 ff. <lb/>Kneipp, Sebaſtian VII, 108 ff. <lb/>Kny XVII, 97, 99. <lb/>Koch, Rob. XVII, 14 ff., 50—54. <lb/>Kohlwey XVIII, 123. <lb/>Kopernikus XIII, 131; XVI, 13. <lb/>Krafft-Ebing IX, 108. <lb/>Kröning XIX, 34. <lb/>Kützing XVIII, 50. <lb/>Lacaze-Duthiers, H. de XVIII, 49. <lb/>Lamarck, I. B. de, I, 30; XVII, <lb/># 18; XVIII, 45 ff; XXI, 48. <pb o="73" file="655" n="655"/> Laplace VIII, 116; XVI, 51; <lb/># XIX, 22; XXI, 50. <lb/>Layard XV, 77. <lb/>Leeuwenhoek XVII, 11. <lb/>Leibniz XVIII, 35. <lb/>Lepſius, Richard XX, 152 ff. <lb/>Leſſing XVIII, 35. <lb/>Leverrier XVI, 43, 228 ff. <lb/>Liébault IX, 97, 120. <lb/>Liebermann XXI, 6. <lb/>Liebig, Juſtus v. VII, 5; XII, <lb/># 109. <lb/>Linde III, 25. <lb/>Link XVIII, 56. <lb/>Linné, Carl XVIII, 7, 11, 65. <lb/>Locke XVIII, 34. <lb/>Lockyer XVII, 129. <lb/>Lüdersdorf XX, 43, 48. <lb/>Lyell, Charles VIII, 59. <lb/>Mädler XVII, 140. <lb/>Maillet XVIII, 34. <lb/>Malthus XVIII, 61. <lb/>Matſchie XVIII, 9. <lb/>Mayer, Jul. Rob. I, 24; VIII, <lb/># 124; XIX, 10, 20. <lb/>Melloni XIX, 30. <lb/>Moiſſan, Henry VI, 59; XX, <lb/># 112. <lb/>Moritzi XVIII, 50—56. <lb/>Morſe IV, 52. <lb/>Müller, Auguſt XXI, 47. <lb/>—, Fritz XVIII, 87. <lb/>—, Johannes XI, 50. <lb/>Nägeli, Carl Wilhelm XVII, 23; <lb/># XXI, 53; <lb/>Newton I, 45; III, 6, 34—36; <lb/># XVI, 46 ff., 206; XVII, 118. <lb/>Nicholſon V, 74. <lb/>Niebuhr XV, 66. <lb/>Oken XVIII, 36. <lb/>Olbers XVI, 160. <lb/>Oerſted IV, 29. <lb/>Palitzſch XVI, 173. <lb/>Paſteur VII, 49; XVII, 10. <lb/>Perkin VII, 28. <lb/>Piazzi XVII, 144. <lb/>Porta XII, 76; XIII, 50. <lb/>Potonié, H. XII, 26; XVII, 82. <lb/>Prevoſt XVII, 138. <lb/>Preyer IX, 102; XVIII, 14. <lb/>Quincke XIX, 57. <lb/>Raleigh XVIII, 34. <lb/>Redtenbacher XIX, 32, 34. <lb/>Reich I, 49. <lb/>Reichenbach XIX, 38. <lb/>Reis, Philipp IV, 68. <lb/>Remak IX, 59. <lb/>Rieß, Peter IV, 19. <lb/>Rive, de la V, 85. <lb/>Römer, Olaw VIII, 138; XVI, <lb/># 242 ff. <lb/>Röntgen I, 19. <lb/>Rudyerd, John XX, 59. <lb/>Saint-Hilaire XVIII, 42, 49, 50, <lb/># 115. <lb/>Scheibler XXI, 16 ff. <lb/>Schelling XVIII, 36, 58. <lb/>Schiaparelli XVI, 191. <lb/>Schmidt, I. F. XVI, 190, 198. <lb/>Schrader, Eberhard XV, 80 ff. <lb/>Schrenck-Notzing, v. IX, 123. <lb/>Schwendener X, 38; XXI, 53. <lb/>Secchi XVII, 173. <lb/>Siebold X, 79; XXI, 47. <lb/>Smeaton XX, 60. <lb/>Smith, Georg XV, 102. <lb/>Spinoza XVIII, 61. <lb/>Sprengel, Chr. Konrad I, 117, <lb/># 118. <lb/>Stahl, E. XVII, 96—99. <lb/>Starcke IX, 121. <lb/>Steinheil IV, 43. <pb o="74" file="656" n="656"/> Stevenſon XX, 63. <lb/>Struve VIII, 147. <lb/>Theognis XVIII, 33. <lb/>Thomaſius, Chr. XVIII, 61. <lb/>Tietjen XVII, 129. <lb/>Torrell, Otto VIII, 60. <lb/>Traube, Moritz X, 19. <lb/>Treviranus XVIII, 49. <lb/>Tſchirnhauſen XX, 79. <lb/>Tycho de Brahe VIII, 92. <lb/>Tychſen XV, 67. <lb/>Veiteß XX, 113. <lb/>Virchow XVIII, 109. <lb/>Vogt, Karl XVIII, 109. <lb/>Volta IV, 9. <lb/>Wagner, Rudolf XI, 19. <lb/>Wallace XVIII, 29. <lb/>Weber, Wilhelm IV, 41; XXI, <lb/># 23. <lb/>Weiß, Edm. XVI, 197, 206. <lb/>Wetterſtrand IX, 123. <lb/>Wheatſtone IV, 43; XVI, <lb/># 253 ff. <lb/>Wilſon XX, 112. <lb/>Winſtanley XX, 58. <lb/>Xenophanes XVIII, 32. <lb/></note> <pb file="657" n="657"/> </div> <div xml:id="echoid-div309" type="section" level="1" n="218"> <head xml:id="echoid-head247" xml:space="preserve"><emph style="bf">Sarh - Regiſter.</emph></head> <head xml:id="echoid-head248" xml:space="preserve">(Die römiſchen Zahlen bezeichnen den Teil, die arabiſchen die Seite.)</head> <note position="right" xml:space="preserve"> <lb/>Aberration des Lichtes VIII, 140 <lb/># bis 146; XVI, 246—248. <lb/>Abſtammungslehre I, 30—39; <lb/># XVII, 17, 18; XVIII; Ver-<lb/># änderlichkeit der Arten XVIII, <lb/># 8—13; Darwinſche Theorie <lb/># XVIII, 13—17; Zuchtwahl und <lb/># Soziologie XVIII, 17—20; <lb/># frühere Theorien XVIII, 30 <lb/># bis 41; Lamarckismus XVIII, <lb/># 42—45; weitere Vorgänger <lb/># Darwins XVIII, 49—61; Ent-<lb/># wickelung der Planzenwelt <lb/># XVIII, 62—124. <lb/>Abſtoßungskraft der Atome III, <lb/># 13, 17—23; magnetiſche III, <lb/># 71—76. <lb/>Acetylen XX, 110—114. <lb/>Affen, Verſtandes-Entwickelung bei <lb/># den A. II, 92—95; Menſchen-<lb/># ähnlichkeit II, 98—100. <lb/>Alkohol VII, 54—60. <lb/>Ameiſen, Leben der II, 68—71. <lb/>Ammoniak VI, 52. <lb/>Anziehungskraft I, 20, 21, 45 bis <lb/># 47; verſchiedene Aeußerungen <lb/># III, 5—11; der Atome III, <lb/># 13—25, 29—31, 62—65; Gra-<lb/># vitation III, 31—62; quadra-<lb/># tiſche Abnahme der A. bei Entfer-<lb/># nung III, 34—36; Geſetze des <lb/># Falls III, 36—50; Lauf des <lb/># Mondes III, 50—53; Bewe-<lb/># gungen und Anziehungen der <lb/># Geſtirne III, 53—56; X, 5, 6; <lb/># XVI, 46—53; Verhältnis zur <lb/># Maſſe III, 56—62; Entſtehung <lb/># der Himmelskörper durch A. III, <lb/># 61; Magnetismus III, 65—89; <lb/># der Sonne, Grundquell aller <lb/># irdiſchen Kräfte XIX, 1—5; Ver-<lb/># ſchiedenheit der Atome V, 4—6. <lb/>Archaeopterix I, 38, 39. <lb/>Atavismus XVIII, 102—110. <lb/>Aether aus Alkohol VII, 54. <lb/>Aether im Weltall I, 11—21; <lb/># XIX, 29—34. <lb/>Atmoſphäre der Erde XX, 120 <lb/># bis 130. <lb/>Atolle X, 76. <lb/>Atome III, 11—23; Einfluß der <lb/># Wärme auf A. III, 13—31; <lb/># jeder Körper beſteht aus A. V, <lb/># 44—47; A. bei chemiſchen Ver-<lb/># bindungen V, 47—62; Diffuſion <lb/># V, 62—71. <lb/>Auerſches Gasglühlicht XX, 103 <lb/># bis 109.</note> <pb o="76" file="658" n="658"/> <note position="right" xml:space="preserve">Auge, das, mit einer Kamera-<lb/># Obſcura verglichen XIII, 37 <lb/># bis 78; der farbige Ring im A. <lb/># XIII, 71—74; die Augenlider <lb/># XIII, 74—78; Beweglichkeit <lb/># und Stellung der Augen XIII, <lb/># 78—88; der Sehnerv und die <lb/># Nerven-Tapete XIII, 88—96; <lb/># weshalb wir nicht verkehrt ſehen <lb/># XIII, 101—104; Augenſpiegel <lb/># XIII, 58—61. <lb/>Bäder und deren Wirkung VII, <lb/># 66—112; Wirkung des Luft-<lb/># und des Waſſer-Bades VII, 68 <lb/># bis 79; das Reinigungsbad VII, <lb/># 82—87; der Waſſerdruck im <lb/># Bade VII, 88—90; Aufnehmen <lb/># oder Abgeben von Flüſſigkeit <lb/># der Haut VII, 90—96; die <lb/># warmen Bäder VII, 99—102; <lb/># Regeln über den Gebrauch VII, <lb/># 105—108; die Kneipp-Kur VII, <lb/># 108—112. <lb/>Bakterien XVII, 1—56; Fortpflan-<lb/># zung XVII, 15, 16; Wachstum <lb/># XVII, 19, 20; Unterſuchung <lb/># XVII, 22, 23; Nährboden <lb/># XVII, 23—26; Steriliſation <lb/># XVII, 26U-29; Züchtung in Rein-<lb/># kulturen XVII, 29—34; mikro-<lb/># ſkopiſche Unterſuchung XVII, <lb/># 34—38; Färben XVII, 38, 39; <lb/># Zählung XVII, 39—43; Unter-<lb/># ſuchung der Luft XVII, 43 bis <lb/># 46; des Bodens XVII, 46—48. <lb/>Barometer I, 82, 83; XX, 25, <lb/># 26; die höchſten und tiefſten <lb/># Barometerſtände XX, 142-146. <lb/>Baſtarde XVIII, 123. <lb/>Bazillen ſ. Bakterien. <lb/>Behrings Schutzimpfung gegen <lb/># Diphtheritis XVII, 55, 56. <lb/>Beleuchtung; etwas über B. I, <lb/># 51—53; B. der Planeten durch <lb/># die Sonne I, 53—55. <lb/>Beleuchtungstechnik, die Entwicke-<lb/># lung der, XX, 1—115; die erſten <lb/># Lampen XX, 5—8; verbeſſerte <lb/># Lampen XX, 8, 9; die Argand-<lb/># ſche Lampe XX, 10—17, 27 <lb/># bis 38; hydroſtatiſche Lampen <lb/># XX, 38—43; Dampflampen <lb/># XX, 43—48; Leuchttürme XX, <lb/># 49—89; Drummondſches Licht <lb/># XX, 89—93; Gasbeleuchtung <lb/># XX, 94—99; die Grubenlampe <lb/># XX, 99—101; Gasglühlicht <lb/># XX, 103—110; Acetylen XX, <lb/># 110—114. <lb/>Bernſtein, der VIII, 45—57; <lb/># XVII, 106. <lb/>Bienen, Leben der II, 57—68. <lb/>Bier VII, 49—54. <lb/>Blüte und Frucht I, 94—121; <lb/># Fortpflanzung durch Teilung <lb/># I, 94—96; geſchlechtliche Fort-<lb/># pflanzung I, 96—98; Bau der <lb/># B. I, 99—101; Beſtäubung I, <lb/># 102, 105—113; von Inſekten-<lb/># blüten oder Blumen I, 103 bis <lb/># 105; Waſſerblütler I, 113, 114; <lb/># Windblütler I, 115, 116; Be-<lb/># deutung der Befruchtung I, 118, <lb/># 119; Einiges über die Früchte <lb/># u. deren Erziehung I, 119—121. <lb/>Branntwein I, 135—148; Schäd-<lb/># lichkeit I, 135; mediciniſche Ei-<lb/># genſchaft I, 135—143; Trunk-<lb/># ſucht I, 146—148. <lb/>Braunkohle, Entſtehung VIII, 40 <lb/># —45; XVII, 106. <lb/>Brennglas XX, 77—81. <lb/>Brennmaterialien, Heizkraft der <lb/># XIV, 86—130. <lb/>Brennſpiegel XX, 79. <lb/>Calamarien XVII, 80 ff. <lb/>Chemie V, VI, VII, 1—65; Wich-<lb/># tigkeit derſelben VI, 1—3; Sau-<lb/># erſtoff VI, 3—11; die Grund-</note> <pb o="77" file="659" n="659"/> <note position="right" xml:space="preserve"># ſtoffe VI, 11, 12; chemiſche <lb/># Verbindung VI, 12, 13; Ver-<lb/># brennung VI, 14—19; der <lb/># tieriſche Körper ein lebendiger <lb/># Ofen VI, 22 — 27; chemiſche <lb/># Verbindung und Wärme-Ent-<lb/># wickelung VI, 27—29; ein Geſetz <lb/># bei chemiſchen Verbindungen VI, <lb/># 34—37; Nutz-Anwendung der <lb/># organiſchen Chemie für den <lb/># Landbau VI, 70—75; VII, 1 bis <lb/># 60; ſiehe näheres unter “land-<lb/># wirtſchaftliche” Chemie; Her-<lb/># ſtellung neuer Stoffe aus der <lb/># Pflanzenwelt VII, 26—29; Ver-<lb/># änderung der Pflanzenſtoffe VII, <lb/># 30—32; Mehl und Stärke aus <lb/># Kartoffel VII, 32—35; Zucker-<lb/># bereitung VII, 35—43; Be-<lb/># deutung der Chemie als Wiſſen-<lb/># ſchaft VII, 60—62; Aufgabe <lb/># der Tier-Chemie VII, 62—65; <lb/># Anleitung zu chemiſchen Experi-<lb/># menten für Anfänger XIV, 1 <lb/># bis 38; Bedeutung der Spektral-<lb/># analyſe für die Ch. XVII, <lb/># 123, 127. <lb/>Chemiſche Kraft, die V, der <lb/># Sonne als Quelle alles Lebens <lb/># XIX, 1—5, 63. <lb/>Cordaiten XVII, 86. <lb/>Dampfheizung XIV, 181—187. <lb/>Darwinismus XVIII, ſiehe auch <lb/># Abſtammungslehre. <lb/>Davyſche Sicherheitslampe XX, <lb/># 99—101. <lb/>Deltabildung VIII, 33, 34. <lb/>Denkformen, die Entſtehung der <lb/># XII, 25—32. <lb/>Deſcendenzlehre XVIII, ſiehe auch <lb/># Abſtammungslehre. <lb/>Deſtillation, trockene XX, 94—99. <lb/>Diamant VI, 58—60. <lb/>Diatomeen VIII, 28. <lb/>Diffuſion V, 62—71; X, 17. <lb/>Diphtheritis, Behring’s Schutz-<lb/># impfung XVII, 55, 56. <lb/>Divergenz der Arten und Formen <lb/># XVIII, 116—118. <lb/>Drummond’ſches Licht XX, 89 bis <lb/># 93. <lb/>Dünen VIII, 36. <lb/>Dünger der Guano-Inſeln II, 82, <lb/># 83. <lb/>Düngung VII, 21—26. <lb/>Ebbe und Flut I, 91, 92. <lb/>Ei-Entwickelung IX, 1—85; XIX, <lb/># 53, 54; wie die Entwickelung <lb/># des Lebens beobachtet wird IX, <lb/># 4—8; der Froſchlaich und der <lb/># Froſch IX, 5, 6; Brütung des <lb/># Eies IX, 8—11; der Keim im <lb/># Ei IX, 11—14; die Luft im <lb/># Ei IX, 14—18; vom Eiweiß <lb/># und Eidotter IX, 16—21; Bil-<lb/># dung des Eies IX, 21—25; die <lb/># Keimſcheibe in ihren verſchie-<lb/># denen Entwickelungsphaſen IX, <lb/># 25 - 82. <lb/>Eisbildung I, 68—70. <lb/>Eiszeit VIII, 57—73; Pflanzen <lb/># zur E. XVII, 107—109. <lb/>Elektrizität III, 89—116; IV, 1 <lb/># bis 94; Wellenbewegung I, 17 <lb/># bis 20; Geſchwindigkeit des <lb/># elektriſchen Stromes I, 17, 18, <lb/># 40—43; einfache Erſcheinungen <lb/># der Elektrizität III, 91—94; <lb/># poſitive und negative Elektrizi-<lb/># tät III, 94 — 96, 154; und <lb/># Magnetismus III, 97 — 100; <lb/># Elektrizitäts-Leiter III, 100 bis <lb/># 102; der Blitz und Blitzableiter <lb/># III, 103—106; eine Elektriſier-<lb/># maſchine III, 106—110; gebun-<lb/># dene Elektrizität III, 110—112; <lb/># die Leidener Flaſche III, 111; <lb/># Ladung und Entladung der</note> <pb o="78" file="660" n="660"/> <note position="right" xml:space="preserve"># Elektrizität III, 113—115: die <lb/># Elektrizität bei einem Gewitter <lb/># III, 115, 116; Dauer des elek-<lb/># triſchen Funken IV, 16—19; <lb/># tierkſche E. in Muskeln und <lb/># Nerven IV, 94—100. <lb/>Elektriſches Licht IV, 22 — 28; <lb/># XX, 102; Anwendung bei der <lb/># Taucherglocke IV, 24; chemiſche <lb/># Wirkung des E. IV, 27, 28; <lb/># Anwendung bei der Photogra-<lb/># phie IV, 27, 28. <lb/>Elektro-chemiſche Kraft V, 71 bis <lb/># 85; die chemiſche Kraſt nur eine <lb/># Erſcheinung der Elektrizität V, <lb/># 71—85; Galvano-Plaſtik V, 85 <lb/># bis 88; galvaniſche Verſilberung <lb/># V, 88—96; galvaniſche Ver-<lb/># goldung V, 96—98. <lb/>Elektro-Magnetismus IV, 33 bis <lb/># 94; Entdeckung IV, 29; Elektro-<lb/># Magnetismus als Maſchinen-<lb/># kraft benützt IV, 33—40; Er-<lb/># findung der Telegraphie IV, <lb/># 40—43; verſchiedene Arten des <lb/># Telegraphierens IV, 44—59; <lb/># elektromagnetiſche Uhren IV, <lb/># 62—64; das Telephon IV, 65 <lb/># bis 79; das Mikrophon IV, <lb/># 79—83; der Phonograph IV, <lb/># 83—94. <lb/>Endosmoſe V, 69—71; VII, 90 <lb/># bis 93; X, 17. <lb/>Energie, Erhaltung der I, 21 bis <lb/># 25.; XIX, 1—72. <lb/>Entſtehung der Arten, ſiehe <emph style="sp">Ab-<lb/># ſtammungslehre</emph>. <lb/>Erde, Schwere I, 44—50; Alter <lb/># der Erde VIII, 1—99; Ver-<lb/># änderungen VIII, 1—4; Ent-<lb/># ſtehung der Berge und Meere <lb/># VIII, 5—11; das Innere der <lb/># Erde VIII, 11—14; Erdbeben <lb/># VIII, 14; Schale VIII, 14 <lb/># bis 17; Bildung des tropfbaren <lb/># Waſſers VIII, 17—20; Schich-<lb/># tenfolgen des norddeutſchen <lb/># Flachlandes VIII, 37—40; wie <lb/># alt iſt der gegenwärtige Zu-<lb/># ſtand der Erde? VIII, 73—76; <lb/># Erkaltung der Erdrinde VIII, <lb/># 76 — 78; haben wir noch eine <lb/># Umwälzung zu erwarten? VIII, <lb/># 78—81; Rückbildung VIII, 81 <lb/># bis 84; die meiſten Stoffe der <lb/># Erde haben ſchon einmal gelebt <lb/># X, 7 — 10; Wärmeverteilung <lb/># XX, 119—121; Klimatologie <lb/># XX, 116—160; Anziehungskraft <lb/># III, 17, 33 ff.; XVI, 62—64, <lb/># 74, 75; Umdrehung VIII, 100 <lb/># bis 127; Größe der Erdbahn <lb/># XVI, 213—267; Stellung im <lb/># Weltall XVI, 30—33; Umlauf <lb/># um die Sonne XVI, 227 — 230; <lb/># Schwerpunkt der Erde XVI, 231 <lb/># bis 234; die Erde eine große <lb/># Dampfmaſchine XIX, 43—47; <lb/># Weltuntergang XIX, 68—72. <lb/>Erhaltung der Kraft, die, und der <lb/># Weltuntergang XIX, 1—72. <lb/>Ernährung II, 1—20; des Säug-<lb/># lings II, 1—3; Stoffwechſel <lb/># II, 3—5; chemiſche Beſtandteile <lb/># der Milch II, 5—9; Verwand-<lb/># lung der Speiſen in Blut II, <lb/># 9—11; Kreislauf des Blutes <lb/># II, 11—13; Kreislauf der Stoffe <lb/># II, 13—16; wichtigſte Nährſtoffe <lb/># für den menſchlichen Körper II, <lb/># 16 — 18; einförmige Koſt II, 19; <lb/># Eigenſchaften einiger Nahrungs-<lb/># mittel II, 20. <lb/>Eſſig VII, 54—60. <lb/>Falbs Wettervorherſagen I, 56. <lb/>Fallgeſchwindigkeit III, 39—45; <lb/># -Geſetze III, 45—50. <lb/>Farne der Steinkohlenzeit XVII, <lb/># 86 ff; Verzweigungen XVIII,</note> <pb o="79" file="661" n="661"/> <note position="right" xml:space="preserve"># 74—76, 87—97; Rückſchlags-<lb/># erſcheinungen XVIII, 102 bis <lb/># 110. <lb/>Fixſterne, Entſtehen und Vergehen <lb/># d. F. VIII, 91—94; XVII, 134 <lb/># bis 137, 168—170; Spektrum <lb/># XVII, 129—131, 146—162; <lb/># Veränderungen XVII, 134; <lb/># Bewegung XVII, 135, 141 bis <lb/># 162; Entfernung XVII, 165 <lb/># bis 168; Veränderlichkeit ihres <lb/># Lichts XVII, 168—170. <lb/>Flora, die älteſte XVII, 70—74; <lb/># der Steinkohlenzeit XVII, 80 <lb/># bis 106; der Braunkohlenzeit <lb/># XVII, 106, 107; der Eiszeit <lb/># XVII, 107—109; der Steppen-<lb/># zeit XVII, 110—112. <lb/>Fortpflanzung der Gewächſe durch <lb/># Teilung I, 94—96; IX, 3, 4; <lb/># die geſchlechtliche I, 96—98. <lb/>Foſſilien XVII, 57—114. <lb/>Fraunhoferſche Linien im Sonnen-<lb/># ſpektrum XVII, 119—125. <lb/>Früchte, Entwickelung I, 119, 120; <lb/># Ernährung und Veredlung I, <lb/># 120, 121. <lb/>Galvanismus IV, 1—28; Unter-<lb/># ſchied des G. und der Reibungs-<lb/># Elektrizität IV, 1—5; galvani-<lb/># ſche Kette IV, 5—8; Voltaſche <lb/># Säule IV, 8—13; Wirkung des <lb/># Galvanismus auf lebende Kör-<lb/># per IV, 13—15; der elektriſche <lb/># Funken IV, 16—19; die galva-<lb/># niſche Hitze IV, 19—22; das <lb/># elektriſche Licht IV, 22—28. <lb/>Galvano-Plaſtik, Entdeckung V, <lb/># 85; Beſchreibung eines galvano-<lb/># plaſtiſchen Apparats V, 86 bis <lb/># 88; Galvaniſche Verſilberung <lb/># V, 88—96; Galvaniſche Ver-<lb/># goldung V, 96—98. <lb/>Gas, Beleuchtung XX, 94—99; <lb/># Gasglühlicht XX, 103—109; <lb/># Heizgas XIV, 165—168. <lb/>Geheimniſſe der Zahlen XV, 108 <lb/># bis 117. <lb/>Gehirn, das, der Tiere und Men-<lb/># ſchen XI, 5—25, 65—96; XIX, <lb/># 84 ff. <lb/>Geiſtererſcheinungen XV, 149 bis <lb/># 153. <lb/>Geſchwindigkeit der Naturkräfte <lb/># I, 40—43; G. des elektriſchen <lb/># Stromes I, 17, 18, 41—43. <lb/>Geſpräch, ein alltägliches XV, 42 <lb/># bis 62. <lb/>Geſteine, Bildung der G. VIII, <lb/># 20—22; Geſteinarten VIII, <lb/># 23 ff.; Kanteng. VIII, 37; Irr-<lb/># (erratiſche). Blöcke VIII, 57 ff.; <lb/># Ablagerungen XVII, 69 ff. <lb/>Glazial-Flora XVII, 107—109. <lb/>Gletſcher VIII, 59 ff. <lb/>Golfſtrom, der, u. ſeine klimatiſche <lb/># Bedeutung XX, 131—133. <lb/>Graphit XVII, 70 <lb/>Gravitation ſiehe Anziehungskraft. <lb/>Grundgeſetz, biogenetiſches XVIII, <lb/># 86, 87. <lb/>Hagel, I, 67. <lb/>Haustiere, Einfluß des Menſchen <lb/># auf die H. II, 83, 84. <lb/>Hebel, der XIX, 12, 13. <lb/>Hefe VII, 44—49. <lb/>Heizung, praktiſche XIV, 39—168; <lb/># des Kienholzes XIV, 46—50; <lb/># der Zug und das Feuer XIV, 50 <lb/># bis 53; der Zug im Ofen XIV, <lb/># 53—60; Ofen und Kamin <lb/># XIV, 60—63; der Kachelofen <lb/># XIV, 64—70; der Ofen inner-<lb/># lich XIV, 70—77; die verſchie-<lb/># denen Brennmaterialien XIV, <lb/># 77—80, 83—89; der Schorn-</note> <pb o="80" file="662" n="662"/> <note position="right" xml:space="preserve"># ſtein XIV, 80—83; Heizkraft <lb/># der verſchiedenen Brennmate-<lb/># rialien XIV, 89—129; Wärme-<lb/># grade unſrer Stuben XIV, 130 <lb/># bis 133; Vorfenſter und andere <lb/># Nebenumſtände der Erwärmung <lb/># XIV, 133—139; einmalige Hei-<lb/># zung XIV, 139—142; der zu <lb/># ſchnell heizende Ofen XIV, 142 <lb/># bis 145; der eiſerne Ofen XIV, <lb/># 146—155; wie man Torf prak-<lb/># tiſcher macht XIV, 155—157; <lb/># luftdicht verſchloſſene Ofenthüren <lb/># XIV, 157—161; das Kochen im <lb/># Ofen XIV, 162—165. <lb/>Heizung im Großen XIV, 169 <lb/># bis 187; die Warmwaſſerhei-<lb/># zung XIV, 169—180; dieNieder-<lb/># druck-Dampfheizung XIV, 181 <lb/># bis 187. <lb/>Herz, das menſchliche XIII, 1 bis <lb/># 37. <lb/>Hieroglyphen XV, 63 ff. <lb/>Hohlſpiegel XX, 72—76. <lb/>Holtz’ſche Influenzmaſchine III, <lb/># 107. <lb/>Hypnotismus IX, 86—123. <lb/>Ichthyoſaurus I, 37. <lb/>Impfung ſ. Schutz-Impfung. <lb/>Influenzmaſchine, Holtzſche III, <lb/># 107. <lb/>Inkruſtation XVII, 66. <lb/>Inſtinkt der Tiere II, 21—104; <lb/># XXI, 27, 28; Mimicry II, 21 <lb/># bis 24; Unterſchied des Inſtinkts <lb/># der Pflanzen und der Tiere II, <lb/># 26—28; Aenderungen der In-<lb/># ſtinkte II, 29—30; Zwecke des <lb/># Inſtinkts II, 30—32, 33—35; <lb/># Wahl der Nahrungsmittel II, <lb/># 35, 36; Sammeln der Nahrungs-<lb/># mittel II, 36—39; Winterſchlaf <lb/># II, 38; Kunſtreicher Aufbau von <lb/># Wohnungen II, 39—43; Vor-<lb/>ſorge für die Nachkommenſchaft <lb/># II, 40—47; Elterlicher Unter-<lb/># richt II, 47—49; Wehr ihren <lb/># Feinden gegenüber II, 49—51; <lb/># Geſelligkeits- und Wander-Trieb <lb/># II, 51—54; Verſtändigung der <lb/># Tiere II, 54—57; Wander-In-<lb/># ſtinkt II, 76—83; Sitz des <lb/># Inſtinkts XI, 52, 53. <lb/>Iſobaren I, 87. <lb/>Jupiter XVI, 38—40, 124—129; <lb/># Beleuchtung I, 55; XVI, 125; <lb/># Monde VIII, 133—140; XVI, <lb/># 129—131, 242, 243. <lb/>Kabel, Legung des erſten trans-<lb/># atlant. K. XV, 24—41. <lb/>Kaffee I, 126—129; Nützlichkeit <lb/># und Schädlichkeit I, 129—131. <lb/>Kalk VI, 64. <lb/>Kalk- und Kreide-Gebirge, Bildung <lb/># derſelben VI, 66; VIII, 22, 38, <lb/># 39, 62, 63; X, 9. <lb/>Kamera-Obſcura XIII, 37 ff. <lb/>Katalepſie IX, 101. <lb/>Keilſchrift, Entzifferung der aſſy-<lb/># riſch-babylon. K. XV, 63—107. <lb/>Kirchhoff, Spektralanalyſe XVII, <lb/># 120—126. <lb/>Klimatologie, Einiges aus der <lb/># XX, 116—160; was iſt K.? <lb/># XX, 118, 119; Wärmevertei-<lb/># lung auf der Erde XX, 119 <lb/># bis 121, 131; die Rolle der <lb/># Luftbewegung XX, 122—125; <lb/># Paſſatwinde XX, 125, 126; <lb/># Verteilung des Luftdrucks XX, <lb/># 126—130; der Golfſtrom XX, <lb/># 131—133; höchſte und niedrigſte <lb/># Temperaturgrade XX, 133 bis <lb/># 142; höchſte und tiefſte Baro-<lb/># meterſtände XX, 142—146; <lb/># Niederſchläge XX, 147—150; <lb/># Klimaſchwankungen XX, 151 <lb/># bis 154; K. und Kultur XX,</note> <pb o="81" file="663" n="663"/> <note position="right" xml:space="preserve"> 154—156; künftige K. -Aende-<lb/># rungen XX, 156—160. <lb/> Kneipp-Kur VII, 108—112. <lb/>Kohle, die, Braunkohle und ihre <lb/># Entſtehung VIII, 40—45; Ent-<lb/># ſtehung der Steinkohle XVII, <lb/># 74—80; als Heizmaterial: <lb/># Braunkohle XIV, 125—129; <lb/># Steinkohle XIV, 119—125; <lb/># K. als Leuchtmaterial XX, <lb/># 4, 5. <lb/>Kohlenoxyd-Gas VI, 20—22. <lb/>Kohlenſäure VI, 19, 20, 63—76. <lb/>Kohlenſtoff VI, 54—57, 60—62. <lb/>Koks als Heizmaterial XIV, 110 <lb/># bis 119. <lb/>Kometen, Veränderungen an denſ. <lb/># VIII, 84—91, XVI, 119—124, <lb/># 166—187; Stellung der K. im <lb/># Sonnenſyſtem XVI, 156—159; <lb/># Anzahl der K. XVI, 159—162; <lb/># Beſchaffenheit der K. XVI, 162 <lb/># bis 166. <lb/>Korallen X, 74 ff. <lb/>Kraft, Erhaltung der K. XIX, 1 <lb/># bis 72; Geſetz von der Erhaltung <lb/># der K. I, 21—25; XIX, 5—9; <lb/># K. in Wärme umgeſetzt und <lb/># umgekehrt XIX, 18—68; Kraft-<lb/># Konto im Menſchen XIX, 56 <lb/># bis 61; Aufſpeicherung von <lb/># Sonnen-Wärme XIX, 61—64. <lb/>Kräfte, kleine, und große Wir-<lb/># kungen XIII, 115—131. <lb/>Krankheiten, anſteckende, und die <lb/># Bakterien XVII, 1—56. <lb/>Kreide VI, 65. <lb/>Kreidegebirge, deren Bildung VI, <lb/># 66, 67. <lb/>Kreislauf des Bluts II, 11—13; <lb/># VI, 22—25; XIII, 9—37; der <lb/># Stoffe II, 13—16; des Waſſers <lb/># VIII, 17—20, 29—32. <lb/>Kreuzungen bei der tieriſchen Fort-<lb/># pflanzung XVIII, 123. <lb/> Kryſtalle I, 27—29; Schneekryſtalle # I, 66, 67. Kubikmeile, was iſt eine? XVI, # 91—98. Kultur und Landwirtſchaft VII, # 1—6; Einfluß des Klimas XX, # 154—156; Kultur und Civili- # ſation XVII, 1—5. Kunſt, die, als freie Neigung des # Menſchen XII, 36—39. Lamarckismus XVIII, 42—45. Lampen ſ. Beleuchtungstechnik. Landwirtſchaftliche Chemie, kul- # turelle Bedeutung VII, 1—6; # VII, 6—60; Ernährung der # Pflanze VII, 6—21; Düngung # VII, 21—29; Veränderungen der # Pflanzenſtoffe in der Kartoffel # VII, 30—32; künſtliche Ver- # wandlung der Pflanzenſtoffe # VII, 32—60; Kartoffeln in # Mehl, Stärke und Zucker 32 bis # 36; das Malz und die Diaſtaſe # 37—39; aus Holzund alter Lein- # wand wird Traubenzucker fa- # briciert 39—43; die Hefe 43 # bis 49; Fabrikation des Mets, # des Rums, des Weines und # des Bieres 49—54; Verwand- # lung des Alkohols in Eſſig # VII, 54—60. Leben, das; was iſt L.? I, 25 # bis 29; die Abſtammungslehre # I, 30—39; der Pflanzen X, # 1—68; L. der Tiere X, 68 # bis 159; L. des Menſchen XI, # XII, XIII, 1—114. Leidener Flaſche III, 111. Lepidodendron (Schuppenbaum) # XVII, 84 ff. Lepidophyten XVII, 80. Leuchttürme XX, 49—89. Licht, Weſen des L. I, 10—14; # Abnahme bei Entfernung I, 51 # bis 55; Abirrung (Aberration) <pb o="82" file="664" n="664"/> # des L. VIII, 140—146; XVI, # 246—248; Brechung der L.- # Strahlen XIII, 44—46; XVII, # 116—119; XX, 77—81; Ge- # ſchwindigkeit des L. VIII, 128 # bis 148; XVI, 241—263; Spek- # tral-Analyſe XVII, 116—174; # Entwickelung der Beleuchtungs- # technik XX, 1—115; — Drum- # mond’ſches XX, 89—93; Elek- # triſches IV, 22—28; chemiſche # Wirkung des L. IV, 27, 28; # Gasglühlicht XX, 103—109; # Acetylen XX, 110—114; Rönt- # genſtrahlen I, 19, 20. Luft, die, Ausdehnung, I, 61; # Thätigkeit und Bewegung der # Luft I, 60—64; Verflüſſigung # der L. III, 25—29. Luftdruck XX, 17—27; Vertei- # lung des Luftdrucks XX, 126 # bis 130; höchſte und tiefſte # Barometerſtände XX, 142 bis # 146. Lunge, die XII, 84—120. Magneſium XXI, 16—18. Magnetismus III, 65—89; Mag- # netiſierung von hartem und # weichem Eiſen III, 81; Erd- # Magnetismus III, 84—89. Magnetnadel III, 87—89. Mars, Beleuchtung I, 55; Bahn # XVI, 35—38; rotes Licht XVI, # 109; auf dem M. XVI, 110 # bis 113; Kanäle XVI, 112; # Beobachtungen XVI, 238—241. Medien, ſpiritiſtiſche XV, 139 bis # 152. Meeresſtrömungen, XIX, 47 bis # 51; Ebbe und Flut I, 91 bis # 93; der Golfſtrom XX, 131 # bis 133. Menſch, der X, 81—159; XI, # XII, XIII, 1—114; Geiſtes- # leben XI, 1—96, XII, 1—69; # Allgemeines XI, 53—56; die # Sprache XI, 57—59; XIX, # 73—100; das menſchliche Wiſſen # XXI, 19—53; was im Gehirn # während des Denkens vorgeht # XI, 65—68; der angeborene # Geiſt und die Erfahrung XI, # 68—71; Entwickelung der Vor- # ſtellungen XI, 71—74; Ruhe- # loſigkeit der Gedanken XI, 74 # bis 77; Gedächtnis- und Er- # innerungsvermögen XI, 77 bis # 80; wie ſich das Gehirn beſinnt # XI, 80—84; vom Vergeſſen # alter und Erzeugung neuer Ge- # danken XI, 84—87; wie man # überlegt XI, 87—90; wie Ener- # gie gebildet wird XI, 90—96; # die Neigungen XII, 1—35; # Leib und Geiſt XII, 43—49; # Charakter und Temperament # XII, 49—52; die vier Tempe- # ramente XII, 52—58; Ent- # ſtehen und Vergehen XII, 58 # bis 69; über die fernere geiſtige # Entwickelung der Menſchheit # XIII, 112—114; die Sinne, # Seele und Sprache XIX, 73 # bis 100; Beſtimmung des M. # XX, 1—4; die Sonne als # Quelle ſeiner Kraft XIX, 56 # bis 61. Merkur, Größe, Entfernung von # der Sonne I, 54; XVI, 81, 82. Met VII, 49—52. Metamorphoſe d. organ. Weſen # XVIII, 8—13, 120—124. Meteore XVI, 187—208; Meteor- # ſteine XVI, 191—203; XIX, # 38; Meteoreiſen XVI, 194. Meteorologie I, 56—93; was iſt # M.? XX, 116—118; ſ. auch # Witterungskunde. Mikrophon IV, 79—83. <pb o="83" file="665" n="665"/> Milch, die II, 1—3, 5—11. Milchſtraße, die XVII, 131, 135 # bis 137. Mimicry II, 21—24. Mittagsſchläfchen, das I, 163 bis # 165. Mond, Anziehungskraft des M. # XVI, 62—64, 68—69; De- # launay’s Anſicht hierüber VIII, # 122; ſein Lauf um Erde und # Sonne III, 50—53; VIII, 117 # bis 127; XVI, 30—35, 69, 70, # 227—230; Tag und Nacht XVI, # 70; ſcheinbare Beſchleunigung # des Umlaufes VIII, 120—126; # Reiſe nach dem M. XVI, 54 # bis 60; auf dem M. XVI, 61 # bis 73; warum der M. keine # Rotation und Lufthülle hat # XVI, 73—76; Störungen des # Mondlaufs XVI, 223—227; # Schwerpunkt der Mondmaſſe # XVI, 231—234; Einfluß des # M. auf das Wetter I, 91—93. Monde, die, des Jupiter VIII, # 133—140; XVI, 129—131, # 242, 243; M. des Saturn VIII, # 139; XVI, 41; M. des Uranus # XVI, 42. Moral, die, eine geiſtige Neigung # des Menſchen XII, 33—36. Morphologie XVIII, 118—124. Nachtwandeln IX, 95—97. Nähnadeln, verlorene XV, 1—4. Nahrungsmittel für das Volk I, # 122—170; Umſatz der N. I, # 122—124; die Verdauung I, # 124—126; der Kaffee I, 127 # bis 131; das Frühſtück I, 131 # bis 134; Branntwein I, 135 # bis 145; Folgen d. Trunkſucht # und deren Verhütung I, 146 # bis 148; der Mittagstiſch I, # 148—150; Notwendigkeit der # verſchiedenartigſten Koſt I, 151 # bis 153; Fleiſchbrühe I, 153 # bis 156; Zweckmäßige Zuthat # z. Fleiſchbrühe I, 156—158; # Hülſenfrüchte I, 158—160; Ge- # müſe und Fleiſch I, 160—163; # das Mittagsſchläfchen I. 163 # bis 165; Waſſer und Bier I, # 165—168; Abendbrot I, 168 # bis 170. Naturkraft und Geiſteswalten XV, # 24—117. Naturwiſſenſchaft, die, im Erwerbs- # leben XXI, 1—19. Nebel I, 70—72. Nebelflecke VIII, 94—99; XVII, # 130, 131, 170—174. Neptun XVI, 42—46, 153—155; # ſchwache Beleuchtung I, 55. Nervenſyſtem II, 100—104; X, # 99—159; XI, 1—5; die Nerven- # gattungen II, 100—104; X, # 87—96, 99—101, 108—114; # ein Nervengift X, 126—129; # Verſchiedenes über die Nerven # X, 133—159; XI, 1—5; XIX, # 85—100. Niederſchläge I, 70—72; XX, 147 # bis 150. Nordlicht XVI, 58—60. Oel als Leuchtmaterial XX, 5 ff. Ozon VI, 53, 54. Paſſat-Winde I, 61, 62; XX, # 125, 126. Pendel-Schwingung, Mittel zur # Berechnung der Anziehungskraft # I, 46; III, 58—60; VIII, 106 # bis 110; als regelnde Kraft bei # den Uhren benützt VIII, 104 # bis 110; Hemmungen der Be- # wegung XIX, 16, 17. Perpetuum mobile XIX, 9—13. Petrefakten XVII, 57—114. <pb o="84" file="666" n="666"/> Pflanzen, Leben der I, 94—121; # X, 1—68; X, 32—83; Blüte # und Frucht I, 94—121; X, 62 # bis 68; Fortpflanzung durch # Teilung I, 94—96; die ge- # ſchlechtliche Fortpflanzung I, # 96—98; Blumen und Blüten # I, 98, 99; Bau der Blüten I, # 99—101; die Beſtäubung I, # 102, 105—113; die Inſekten- # blüten oder Blumen I, 103 bis # 105; Waſſerblütler I, 113, 114; # Windblütler I, 114—116; der # Entdecker des Geheimniſſes der # Blumen I, 116—118; Bedeu- # tung der Befruchtung I, 118; # über die Früchte und deren Er- # ziehung I, 119—121; die ein- # fachſten Pflanzen X, 13—15; # die Einzelzelle X, 16—22; wie # die Pflanzen wachſen X, 22 bis # 24, 31—33; Lebensthätigkeit X, # 24—26; Verwandlung unbeleb- # ter Stoffe in belebte X, 26 bis # 29; von dem Rätſel des Lebens # und des Todes X, 29—31, # 66—68; Bildung des Baumes # X, 34—36; der innere Bau der # Pflanze X, 36—39; die Zellen # des Skelettgewebes X, 40—51; # allſeitig biegungsfeſte Organe # X, 51—57; Bau der auf Zug # in Anſpruch genommenen Or- # gane X, 57—59; das Leben # eines Baumes X, 59—62; das # Wunder der Blüte X, 62—66; # ſtammesgeſchichtliche Entwicke- # lung XVIII 62—124; Funk- # tionen d. Organe XVIII, 67, # 68; Ernährung u. Fortpflanzung # XVIII, 68—79; Auftreten in # den geolog. Perioden XVIII, # 79 — 82; Verzweigungsarten # XVIII, 82—99; Vorfahren der # höchſten Pflanzen XVIII, 99, # 100; Rückſchlagserſcheinungen # XVIII, 102—110; ſ. anch # Chemie. Pflanzenwelt, die, unſerer Heimat # ſonſt und jetzt XVII, 57—114; # Pflanzenſpuren und -Reſte der # Vorwelt XVII, 58—67; Ge- # ringfügigkeit der vrgan. Reſte # der Vorwelt XVII, 67, 68; die # geologiſchen Zeitepochen XVII, # 69, 70; die älteſten Pflanzen # XVII, 70—74; Entſtehung der # Steinkohlen XVII, 74 — 80; # Flora der Steinkohlenzeit XVII, # 80—87; Klima der Steinkohlen- # zeit XVII, 87—106; nach der # Steinkohlenzeit XVII, 106, 107; # Pflanzen der Eiszeit XVII, # 107—109, 110—112; die hei- # matliche Flora erhält die heute # für ſie charakteriſtiſchen Arten # XVII, 112—114. Phantaſie-Reiſe im Weltall XVI, # 54—212. Phonograph IV, 83—94. Photographie IV, 27, 28; V, 23; # die Kamera obſcura XIII, 50 # bis 54. Phyſiologie, etwas von der X, # XI, XII, XIII; die verſchie- # denen Arten des Lebens X, 1 # bis 4; das Leben der Pflanzen # X, 13—66; der Menſchen- und # Tierleib verwandelte Pflanze # X, 68—71; die Selbſtzeugung # X, 77—81; Empfindungen und # Bewegungen X, 84—96; das # Pflanzenleben der Tiere X, 96 # bis 99; die Nervenſyſteme X, # 99—159; XI, 1—5; vom Ge- # hirn und Schädel XI, 5—31; # Thätigkeit und Ruhe XI, 31 # bis 53; das Menſchenleben ein # Geiſtesleben XI, 53—96; XII, # XIII, XXI, 19—53. <pb o="85" file="667" n="667"/> Planeten, regelmäßige Bahnen # und Störungen VIII, 118 bis # 120; XVI, 234 — 238; die # Planeten unſeres Sonnen- # Syſtems XVI, 1—53; Neptun # XVI, 42 — 46, 153 — 155; # I, 55; Jupiter XVI, 38 bis # 40, 124—129; Saturn XVI, # 40 — 42, 131 — 149; Uranus # XVI, 52, 149—152; Venus # XVI, 14—19, 76—81; Merkur # XVI, 28, 29; Mars XVI, 19 # bis 23, 35, 36, 110—113; kleine # Planeten XVI, 37, 38, 114 bis # 119; Aehnlichkeiten und Ver- # ſchiedenheiten der Planeten un- # ſeres Sonnenſyſtems XVI, 163, # 164; Beleuchtung der Planeten # I, 53—55; Größenverhältnis # zur Sonne XVI, 101—104. Pleſioſaurus I, 37. Pockenimpfung XVII, 7, 8. Polarlicht XVI, 58—60. Prisma XVII, 116—119. Protiſten XVIII, 63. Protoplasma I, 97; X, 16 ff. Protuberanzen der Sonne XVII, # 127, 128. Ranhfroſt I, 68. Raum, Unendlichkeit des R.s VIII, # 97, 98, 146, 147; XVII, 135 bis # 137; 165—168. Regen I, 70—72, XX, 147—150. Röntgenſtrahlen I, 19, 20. Rum VII, 49—52. Salpeterſäure VI, 52. Saturn XVI, 40—42; Beleuch- # tung des S. I, 55; Ringe und # Monde XVI, 131—149. Schädellehre XI, 25—31. Schall, der I, 7—10. Schiebelampe XX, 13 ff. Schlaf, der XI, 37—51. Schnee I, 70—72. Schutz-Impfung gegen Pocken # XVII, 7, 8; Maſern, Scharlach, # Diphtheritis XVII, 9, 55, 56; # Cholera XVII, 9, 10. Schwere der Erde, die I, 44—50. Schwerkraft iſt eine Art der An- # ziehungskraft I, 20, 21. Schwindſucht, Koch’s Heilmethode # XVII, 50—54. Selektions-Theorie XVIII, 17 bis # 20. Sigillarien (Siegelbäume) XVII, # 82 ff. Sinne des Menſchen III, 1 — 5; # XIX, 73—100. Solenoid III, 80. Sonne; Anziehungskraft XVI, 86, # 87; Oberfläche XVI, 82 bis # 88; Größe XVI, 88—91; Be- # wegung durch den Weltraum # XVII, 137 — 141; Rotation # XVI, 27, 28; XVII, 133; # Sonnenferne XVI, 213—267; # Quelle alles Lebens X, 5; XIX, # 1—5, 38—43; Abkühlung XIX, # 65 — 68; Sonnenflecken XVI, # 84—86, XVII, 133; Protube- # ranzen XVII, 127, 128; Sonnen- # finſternis XVII, 126; Spektrum # I, 12, 13; XVII, 116—131, # 142—162, 173, 174; Fraun- # hofer’ſche Linien im Sonnen- # ſpektrum XVII, 119—125. Sonnenflecken XVI, 84 — 86; # XVII, 133. Sonnenſyſtem, unſer XVI, XIX, # 1—72; im Kleinen XVI, 101 # bis 108. Spektralanalyſe I, 12, 13; XVII, # 115—174; durch S. neu ent- # deckte Metalle XVII, 122. Spektrum I, 12, 13; XVII, 116 # bis 131, 142—162, 173, 174. Spiritismus, vom S. XV, 118 # bis 159. <pb o="86" file="668" n="668"/> Sprache, die XI, 57—59; XIX, # 73—100. Steinkohlenzeit; Flora XVII, 80 # bis 87; Klima XVII, 87 bis # 106. Sternſchnuppen VIII, 90, 91; # XVI, 187—208; XIX, 36—38. Stickſtoff VI, 44—50. Stigmarien XVII, 76 ff. Strahlen, chemiſche I, 14—17; # Wärmeſtrahlen I, 14 — 17; # Röntgenſtrahlen I, 19, 20. Stoffwechſel, der, II, 1—20; VII, # 7—21; X, 22—26; XVIII, # 68—70; Verwandlung unbe- # lebter Stoffe in belebte X, 26 # bis 29. Strontium XXI, 16—19. Suggeſtion IX, 87 ff. Tau, der I, 68. Telegraphie IV, 44—59; Legung # des erſten transatlantiſchen Ka- # bels XV, 24—41. Telephon IV, 65—79. Temperamente, die, des Menſchen # XII, 49—58. Temperaturen, höchſte und nie- # drigſte auf der Erde XX, 133 # bis 142. Termiten, Leben der II, 72—76. Tiere, Leben der X, 68—159; # Entwickelung des tieriſchen Le- # bens IX, 1—85; Nervenſyſtem # der Tiere II, 100—104; Inſtinkt # II, 21—104; XXI, 27, 28; XI, # 52, 53; verkümmerte Organe # XVIII, 111 — 116; Verſteine- # rungen VIII, 40; T. der Eis- # zeit VIII, 66 ff.; Uebergang von # der Pflanzen- zur Tierwelt X, # 71—74, ſ. auch Abſtammungs- # lehre, Menſch. Tiſchrücken und Tiſchklopfen XV, # 121—133. Tod, das Rätſel des T. X, 66 # bis 68; XII, 58—69. Torf als Heizmaterial XIV, 101 # bis 110. Tote und lebende Natur X, 4—71. Träume XI, 43—51. Trunkſucht, Folgen u Verhütung # I, 146—148. Tuberkuloſe, Koch’s Heilmethode # XVII, 50—54. Uhr, die, als Zeitmeſſer VIII, # 100 — 114; Pendeluhr VIII, # 104—110; Taſchenuhr VIII, # 110—114; elektro-magnetiſche U. # IV, 62—64; U. als Kunſtwerk # XV, 44—48. Uranus XVI, 149—152; Beleuch- # tung I, 55; Entdeckung XVI, # 42, 52; ſeine Monde XVI, 42, # 149—152. Urzeugung XVII, 16—19. Venus, Lauf XIV, 14—19; Maſſe, # Umdrehung, Beleuchtung I, 54, # 55; XVI, 76—81; Durchgänge # XVI, 216—223. Veränderlichkeit der Arten XVIII, # 8—13. Verſteinerungen XVII, 57—114. Volkswirtſchaft, Etwas aus der V., # XV, 1—23. Volta’ſche Säule IV, 9—13. Wärme, Weſen der W. XIX, # 25—36; wie W. gebunden und # frei wird I, 73—77; III, 17—20. # Klimate XX, 116—160; Ein- # fluß auf Atome III, 13—31; # Ausdehnung durch W. III, # 13—20; Verwandlung feſter # Körper in flüſſige und gas- # förmige III, 23—29; gute und # ſchlechte W.-Leiter V, 56—62. # XIV, 60 — 70; ſpecifiſche V, 59 <pb o="87" file="669" n="669"/> # bis 62; Eisbildung, Ausdehnung # I, 68—70; die W. als bewe- # gende Kraft XIX, 21—72; W.- # Entwicklung durch Reibung XIX, # 18—25, 35, 36; W. iſt ver- # wandelte Kraft XIX, 21—25, # die Sonnenwärme XIX, 1—5, # 38—72; W. iſt Schwingungs- # form des Äthers I, 14—17; # W. des Erdinnern VIII, 12 ff. Waſſer, das, als Nahrungsmittel # I, 165—167; Zerlegung auf # elektriſchem Wege VI, 43, 44; # Kreislauf des W.s VIII, 17—20, # 29—32; Meeres-Strömungen # XIX, 47—51; Ebbe und Flut # I, 91—93; der Golfſtrom XX, # 131—133. Waſſerſtoff VI, 37—42; XV, 27 # bis 31. Waſſerheizung XIV, 169—180. Wein VII, 49—52. Wellenbewegung, die I, 3—25. Weltall, Phantaſiereiſe im, XVI. Weltuntergang XIX, 68—72. Wetterkarten u. ihre Anwendung # I, 85—91. Wetterverkündigungen I, 80—85. Wind, macht das Wetter I, 60; # Urſachen des W. I, 62—64; Ein- # wirkung auf das Klima XX, # 122—130. Wiſſenſchaft, die XXI, 20—53; # Unſer Wiſſen und unſere Wiſſen- # ſchaft XXI, 20—41; Wieviel # wiſſen wir? XXI, 41—45; über # die Grenze unſerer Erkenntnis # XXI, 46—53. Witterungs- Kunde I, 56—93; # Wetterverkündigungen I, 80 bis # 85; Wetterkarten I, 85—91; # hat der Mond Einfluß auf das # Wetter? I, 91—93; Barometer # I, 82, 83; XX, 25, 26; Was iſt # Meteorologie? XX, 116—118. Wolken I, 70—72. Zahlen, einige Geheimniſſe der Z. # XV, 108—117. Zeit, Unendlichkeit der Z. VIII, # 146—148, XVII, 165—168. Zeitepochen, die geologiſchen XVII, # 69, 70. Zeitmeſſung, aſtronomiſche XIX, # 76—78. Zuchtwahl XVIII, 17—20. Zucker als Nahrungsmittel XXI, # 8 ff. Zuckerbereitung VII, 35—43, XXI, # 8 ff. </note> <pb file="670" n="670"/> </div> <div xml:id="echoid-div310" type="section" level="1" n="219"> <head xml:id="echoid-head249" xml:space="preserve">Druck von G. Bernſtein in Berlin SW. 12.</head> <pb file="671" n="671"/> <pb file="672" n="672"/> <pb file="673" n="673"/> <pb file="674" n="674"/> </div></text> </echo>